Eine Welt ohne Behinderte? - sonderpaedagoge.de!
Eine Welt ohne Behinderte? - sonderpaedagoge.de!
Eine Welt ohne Behinderte? - sonderpaedagoge.de!
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus<br />
neine ich <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren schon als An<strong>de</strong>ren. In diesem Sinne ist es prinzipiell fraglich,<br />
ob eine solche Macht ausgeübt wer<strong>de</strong>n darf.<br />
Damit bleibt jedoch die Frage, ob Sterbehilfe prinzipiell erlaubt sein soll unter<br />
<strong>de</strong>n Bedingungen, daß eine Einwilligung <strong>de</strong>s Betreffen<strong>de</strong>n nicht vorliegt.<br />
HOERSTER hält eine Sterbehilfe dann für legitim, sogar geboten, wenn „<strong>de</strong>r Lei-<br />
<strong>de</strong>nszustand <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s .. so gravierend .. [ist], daß das Kind, wenn es urteilsfähig<br />
und über seinen Zustand aufgeklärt wäre, aufgrund reiflicher Überlegung die Sterbe-<br />
hilfe selbst wünschen wür<strong>de</strong>“ (1995b, 106-107).<br />
Dies möchte HOERSTER gesetzlich geregelt wissen. Mit einer solchen gesetzli-<br />
chen Regelung ist ein scheinbar objektives Kriterium für die Legitimität von Sterbe-<br />
hilfe festgeschrieben.<br />
<strong>Eine</strong> solch objektive Bewertung ist jedoch unmöglich. Die Kränkungen einer sol-<br />
chen Beobachtungswirklichkeit, die REICH aufführt, ver<strong>de</strong>utlichen dies. <strong>Eine</strong> Rege-<br />
lung, wie HOERSTER sie vorschlägt, birgt in sich außer<strong>de</strong>m folgen<strong>de</strong> Gefahr: gera-<br />
<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n Zuschreibungsprozeß, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Begriff ‚behin<strong>de</strong>rt’ verbun<strong>de</strong>n ist,<br />
wer<strong>de</strong>n bestimmte Beobachterperspektiven und Fremdbewertungen <strong>de</strong>r Fremdbeob-<br />
achter provoziert (vgl. Kapitel 1). Es ist also nicht abwegig, davon auszugehen, daß<br />
alleine durch die Diagnose <strong>de</strong>r ‚Behin<strong>de</strong>rung’ vielfältige an<strong>de</strong>re Perspektiven unbe-<br />
wußt o<strong>de</strong>r bewußt ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />
Dennoch mag es einzelne Fälle geben, in <strong>de</strong>nen eine Sterbehilfe tatsächlich in<br />
Erwägung gezogen wird. Diese können aber nicht unter <strong>de</strong>m allgemeinen Fall <strong>de</strong>r<br />
Sterbehilfe eines einwilligungsfähigen Menschen gesehen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn bedürfen<br />
äußerst sorgfältiger, strenger und umfassen<strong>de</strong>r Prüfung und Diskussion durch ver-<br />
schie<strong>de</strong>nste Gruppen. Dabei darf es sich nicht alleine um eine Entscheidung <strong>de</strong>r El-<br />
tern han<strong>de</strong>ln.<br />
2.4 Lebenswert<br />
„Das Leben irgen<strong>de</strong>ines Individuums A, von <strong>de</strong>m wir nichts weiter wissen, als daß es<br />
nicht krank o<strong>de</strong>r behin<strong>de</strong>rt ist, besitzt wahrscheinlich einen größeren Wert als das<br />
Leben irgen<strong>de</strong>ines Individuums B, von <strong>de</strong>m wir nichts weiter wissen, als daß es<br />
krank o<strong>de</strong>r behin<strong>de</strong>rt ist“ (HOERSTER 1995b, 120).<br />
72