Eine Welt ohne Behinderte? - sonderpaedagoge.de!
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3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus bensweltlichen Ebene sind z.B. das Vorhandensein von Hospizen, die Förderung, Bereitstellung und Finanzierung palliativmedizinischer Techniken, die Qualität von Pflegeheimen, etc. LEIST faßt diese und ähnliche Bedenken folgendermaßen zu- sammen: „Zwar tritt das Programm der aktiven Euthanasie explizit unter dem Prinzip der Autonomie an, aber die Tendenzen eines Übergangs von freiwilliger zu nicht- freiwilliger sind unübersehbar. Das Schwinden der Entscheidungsfähigkeit am Le- bensende, die Privatheit und Kontextgebundenheit der Entscheidung verstärken auch die Schwierigkeit, aktive Euthanasie sozial kontrollieren zu wollen. Der Tod ‚der uns gefällt’, kann sicher in einzelnen Fällen dann der beste sein, wenn er uns im Vollbe- sitz unserer geistigen Kräfte auf unsere Bitte hin von einem Arzt gebracht wird. In umfangreich praktizierter Form drängen sich jedoch Angehörige, Ärzte, Institutionen in die Entscheidung hinein und entkräften die Idee des selbstkontrollierten und auto- nomen Sterbens, auf der die moralische Rechtfertigung der aktiven Euthanasie einzig beruht“ (LEIST, zit. nach DEDERICH 2000, 317). Ähnliche Unschärfen sind mit dem Kriterien des schweren und unheilbaren Lei- dens verbunden. Vielleicht ist es möglich, Schmerzen zweifelsohne festzustellen. Aber wann werden Schmerzen zu Leiden? Und welcher Maßstab soll gelten, ab wann ein Leiden schwer ist? Zudem sind Fortschritte im Bereich der Schmerzthera- pie zu erwarten, so daß Leiden tatsächlich v.a. eine psychologische Kategorie sein mag. Auch hier werden also zirkuläre Prozesse der Beziehungswirklichkeit, Unschär- fen des Unbewußten, etc. eine große Rolle spielen, ohne daß sie genau zu bestimmen sind. Aus den angedeuteten Perspektiven ergibt sich, daß der Vorschlag HOERSTERs zwar für Selbstbeobachter innerhalb des von HOERSTER vorgeschlagenen Systems funktionieren mag. Als Fremdbeobachter erkennen wir jedoch vielfältige Brüche und Auslassungen, die die Regelung HOERSTERs suspekt machen. Aus den hier eingenommenen Perspektiven ergibt sich folgender Schluß: Eine gesetzliche Regelung der aktiven Sterbehilfe in einem von HOERSTER vorgeschla- genen Sinn ist nicht geeignet. Ob für diese Fragestellung überhaupt eine gesetzliche Regelung sinnvoll sein kann, ist ebenfalls fragwürdig. Denn eine solche gesetzliche Regelung schafft ihrerseits wieder machtvolle symbolische Zwänge, die auf die Ent- 70
3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus scheidungen der Subjekte zurückwirken. Dies schließt nicht aus, daß in seltenen Ein- zelfälle Sterbehilfe vielleicht tatsächlich der sinnvollste Weg zu Sterben sein mag. DEDERICH macht in diesem Kontext darauf aufmerksam, daß HOERSTERs Gleichsetzung der Bewertung von direkter und indirekter Sterbehilfe nicht zu halten ist. Sie ist lediglich aus dem Blickwinkel des Arztes plausibel. Für den Patienten stellt sich dies anders dar. „Ein Patient, der um starke Medikamente zur Schmerzlin- derung bittet bzw. in deren Verabreichung er einwilligt, von denen er weiß, daß sie den Todeseintritt beschleunigen, bittet nicht um Sterbehilfe, sondern um Linderung. Dabei wird er vermutlich sogar hoffen, die Nebenwirkung der Beschleunigung des Todeseintritts möge bei ihm nicht eintreten“ (DEDERICH 2000, 314). Damit ist – im Gegensatz zur Argumentation HOERSTERs – durchaus eine unterschiedliche Be- wertung von aktiver direkter und indirekter Sterbehilfe möglich, ja sogar sinnvoll. Bedenkt man die o.g. Kränkungen eines Wunsches nach aktiver Sterbehilfe, so bedeutet dies auch Einschränkungen für die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe. Diese kommt nun nur noch dann in Betracht, wenn der Sterbeprozeß als solcher bereits abzusehen ist und eine weitere Behandlung dem Patienten zusätzliches Leiden be- deuten würde. Auch hier ist jedoch eine kritische Hinterfragung der Prozesse, die zum Wunsch nach passiver Sterbehilfe führen, nötig. Eine pauschale Betrachtung ist auch hier abzulehnen. Wenden wir uns zwei Aspekten zu, die aus Sicht einer Behindertenpädagogik von Interesse sind: zum einen die Sterbehilfe bei Frühgeborenen, denen HOERSTER noch kein Recht auf Leben zuerkennt, zum anderen generell die Sterbehilfe bei Men- schen, bei denen lediglich über die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung Ster- behilfe zu erwägen ist. Frühgeborenen mit einem Gesamtalter unter 28 Wochen erkennt HOERSTER ein Lebensrecht aus pragmatischen Gründen nicht zu. Damit ist hier also erneut die Problematik berührt, wem ein Recht auf Leben zukommt. Wie wir jedoch oben be- reits gesehen haben, ist die Argumentation HOERSTERs keineswegs zwingend lo- gisch, sondern eher eine reduktive Betrachtung der Frage. Hier gelten also die glei- chen Überlegungen wie bei der Auseinandersetzung im Kapitel 3.2.1 zum Thema Lebensrecht. Auch das frühgeborene Kind existiert als Anderer, über den zu verfü- gen mir lediglich faktische Macht gestattet. In Ausübung dieser Macht jedoch ver- 71
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bensweltlichen Ebene sind z.B. das Vorhan<strong>de</strong>nsein von Hospizen, die För<strong>de</strong>rung,<br />
Bereitstellung und Finanzierung palliativmedizinischer Techniken, die Qualität von<br />
Pflegeheimen, etc. LEIST faßt diese und ähnliche Be<strong>de</strong>nken folgen<strong>de</strong>rmaßen zu-<br />
sammen: „Zwar tritt das Programm <strong>de</strong>r aktiven Euthanasie explizit unter <strong>de</strong>m Prinzip<br />
<strong>de</strong>r Autonomie an, aber die Ten<strong>de</strong>nzen eines Übergangs von freiwilliger zu nicht-<br />
freiwilliger sind unübersehbar. Das Schwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Entscheidungsfähigkeit am Le-<br />
bensen<strong>de</strong>, die Privatheit und Kontextgebun<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Entscheidung verstärken auch<br />
die Schwierigkeit, aktive Euthanasie sozial kontrollieren zu wollen. Der Tod ‚<strong>de</strong>r uns<br />
gefällt’, kann sicher in einzelnen Fällen dann <strong>de</strong>r beste sein, wenn er uns im Vollbe-<br />
sitz unserer geistigen Kräfte auf unsere Bitte hin von einem Arzt gebracht wird. In<br />
umfangreich praktizierter Form drängen sich jedoch Angehörige, Ärzte, Institutionen<br />
in die Entscheidung hinein und entkräften die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s selbstkontrollierten und auto-<br />
nomen Sterbens, auf <strong>de</strong>r die moralische Rechtfertigung <strong>de</strong>r aktiven Euthanasie einzig<br />
beruht“ (LEIST, zit. nach DEDERICH 2000, 317).<br />
Ähnliche Unschärfen sind mit <strong>de</strong>m Kriterien <strong>de</strong>s schweren und unheilbaren Lei-<br />
<strong>de</strong>ns verbun<strong>de</strong>n. Vielleicht ist es möglich, Schmerzen zweifels<strong>ohne</strong> festzustellen.<br />
Aber wann wer<strong>de</strong>n Schmerzen zu Lei<strong>de</strong>n? Und welcher Maßstab soll gelten, ab<br />
wann ein Lei<strong>de</strong>n schwer ist? Zu<strong>de</strong>m sind Fortschritte im Bereich <strong>de</strong>r Schmerzthera-<br />
pie zu erwarten, so daß Lei<strong>de</strong>n tatsächlich v.a. eine psychologische Kategorie sein<br />
mag. Auch hier wer<strong>de</strong>n also zirkuläre Prozesse <strong>de</strong>r Beziehungswirklichkeit, Unschär-<br />
fen <strong>de</strong>s Unbewußten, etc. eine große Rolle spielen, <strong>ohne</strong> daß sie genau zu bestimmen<br />
sind.<br />
Aus <strong>de</strong>n ange<strong>de</strong>uteten Perspektiven ergibt sich, daß <strong>de</strong>r Vorschlag HOERSTERs<br />
zwar für Selbstbeobachter innerhalb <strong>de</strong>s von HOERSTER vorgeschlagenen Systems<br />
funktionieren mag. Als Fremdbeobachter erkennen wir jedoch vielfältige Brüche und<br />
Auslassungen, die die Regelung HOERSTERs suspekt machen.<br />
Aus <strong>de</strong>n hier eingenommenen Perspektiven ergibt sich folgen<strong>de</strong>r Schluß: <strong>Eine</strong><br />
gesetzliche Regelung <strong>de</strong>r aktiven Sterbehilfe in einem von HOERSTER vorgeschla-<br />
genen Sinn ist nicht geeignet. Ob für diese Fragestellung überhaupt eine gesetzliche<br />
Regelung sinnvoll sein kann, ist ebenfalls fragwürdig. Denn eine solche gesetzliche<br />
Regelung schafft ihrerseits wie<strong>de</strong>r machtvolle symbolische Zwänge, die auf die Ent-<br />
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