Eine Welt ohne Behinderte? - sonderpaedagoge.de!
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3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus<br />
und Mutter: „Das medizinische Wissen über die Schwangerschaft hat das vormals<br />
sehr intime, durch Empfindungen, Phantasien und Gefühle <strong>de</strong>r Frau geprägte Ver-<br />
hältnis zu einer in stärkerem Maße objektivierten Beziehung gemacht“ (DEDERICH<br />
2000, 256). Es verschwin<strong>de</strong>t in einer solchen Schwangerschaft <strong>de</strong>r Fötus als An<strong>de</strong>rer,<br />
<strong>de</strong>r mir verborgen ist, statt <strong>de</strong>ssen erscheint <strong>de</strong>r Fötus als an<strong>de</strong>rer, über <strong>de</strong>n durch<br />
symbolische Wissensvorräte (in diesem Falle also medizinische Diagnosen) <strong>de</strong>r Fö-<br />
tus auf das Wissen <strong>de</strong>r Medizin beschränkt wird.<br />
Was geschieht nun also, wenn mittels pränataler Diagnostik die Behin<strong>de</strong>rung ei-<br />
nes Kin<strong>de</strong>s festgestellt wird? 25<br />
Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Fällen, in <strong>de</strong>nen eine Frau eine Schwangerschaft wollte, tritt die<br />
diagnostizierte Behin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s als Reales auf. Die Imaginationen <strong>de</strong>r Frau<br />
wer<strong>de</strong>n gebrochen durch das Auftreten <strong>de</strong>s Realen in Form <strong>de</strong>r Diagnose ‚behin<strong>de</strong>rt’.<br />
Nach REICH (vgl. auch 2000b, 103-110) wird jedoch Reales sofort wie<strong>de</strong>r einge-<br />
fangen und in Symbolisches, also bereits bekanntes überführt: hier ist kritisch anzu-<br />
setzen. Welche symbolischen Vorräte stehen einer Frau in <strong>de</strong>r beschriebenen Situati-<br />
on zur Verfügung?<br />
Relevant wird hier, was in <strong>de</strong>r Einleitung dieser Arbeit thematisiert wur<strong>de</strong>: das<br />
Verständnis von Behin<strong>de</strong>rung. Behin<strong>de</strong>rung als Leid ist zu vermei<strong>de</strong>n, es entspricht<br />
nicht <strong>de</strong>n „i<strong>de</strong>alen Normen von Gesundheit und Intaktheit“ (ANTOR & BLEIDICK<br />
2000, 26).<br />
Aus dieser Perspektive wird verständlich, wieso <strong>de</strong>r Diagnose ‚behin<strong>de</strong>rt’ fast<br />
zwangsläufig eine Abtreibung folgt: Denn darauf beschränkt sich – bis auf wenige<br />
Ausnahmen - <strong>de</strong>r Vorrat an Symbolischem, <strong>de</strong>r Handlungsmöglichkeiten aufzeigt.<br />
Durch gesellschaftlichen Druck zu einem nicht behin<strong>de</strong>rten Kind gezwungen, sich ob<br />
<strong>de</strong>r Geburt eines behin<strong>de</strong>rten Kin<strong>de</strong>s rechtfertigen zu müssen, gehört zu diesem Vor-<br />
rat an Symbolischen.<br />
Fassen wir also noch einmal zusammen, was sich in Bezug auf die Frage nach<br />
<strong>de</strong>r Abtreibung ergeben hat: <strong>de</strong>m Fötus das Recht auf Leben abzusprechen entspricht<br />
25 Dabei wird hier <strong>de</strong>utlich, was mit SPECK unter einem attributivem Auslöser zu verstehen ist: In<strong>de</strong>m<br />
eine Behin<strong>de</strong>rung diagnostiziert wird, löst sie bei Eltern, Ärzten, etc. Reaktionen aus, die sich<br />
bloß auf diesen Auslöser beziehen und nicht auf das Subjekt, <strong>de</strong>m dieser Auslöser zukommt. Damit ist<br />
jedoch wenig über die Persönlichkeit <strong>de</strong>s Subjektes, in diesem Fall <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s, das als behin<strong>de</strong>rt bezeichnet<br />
wird, gesagt. Diese Reaktionen wer<strong>de</strong>n aber, sollte das Kind nach <strong>de</strong>r pränatalen Diagnose<br />
geboren wer<strong>de</strong>n, auf die Persönlichkeit <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s zurückwirken und es entsteht eine Behin<strong>de</strong>rung<br />
i.S. SPECKs. Behin<strong>de</strong>rung erweist sich damit als soziale Kategorie.<br />
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