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3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus<br />
kennung. Als solcher verweist er jedoch direkt auf die Ebene <strong>de</strong>r Beziehungswirk-<br />
lichkeit.<br />
Nun macht uns also bereits <strong>de</strong>r Diskurs <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>utlich, wie sich ein System <strong>de</strong>r<br />
Zuschreibung bei allgemeiner (machtvoller) Anerkennung aufrechterhält. Die Argu-<br />
mentation HOERSTERs erhält jedoch eine weitere Kränkung:<br />
HOERSTER trifft hier eine Unterscheidung, die uns zum Diskurs <strong>de</strong>s Wissens<br />
führt: er gibt vor, wissen zu können, a) was Selbstbewußtsein ist, b) wer über Selbst-<br />
bewußtsein verfügt.<br />
Das Wissen, um das es hier geht, scheint ‚linear’: um über die Eigenschaft<br />
‚Selbstbewußtsein’ zu verfügen, bedarf ein Mensch bestimmter neuro-<br />
physiologischer Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen sind erst mit einem gewis-<br />
sen Alter und einem damit korrespondieren<strong>de</strong>n Entwicklungsstand <strong>de</strong>s Gehirns er-<br />
reicht (HOERSTER 1995a, 80).<br />
Ohne nun im Detail <strong>de</strong>n Diskurs nachzubil<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>n dieses Wissen eintritt, ge-<br />
nügt bereits die generalisierte Kritik REICHs am Wissen im Diskurs <strong>de</strong>s Wissens:<br />
Das Wissen auf <strong>de</strong>m Platz <strong>de</strong>s <strong>Eine</strong>n ruht auf <strong>de</strong>r Wahrheit, die sich auf <strong>de</strong>m<br />
Platz <strong>de</strong>r Wirklichkeit fin<strong>de</strong>t. Dabei wird Wahrheit jedoch erst produziert durch das<br />
Wissen, welches sich dann wie<strong>de</strong>r auf die Wirklichkeit beruft. Wissen ist jedoch plu-<br />
ral, die Wahrheiten auf <strong>de</strong>m Platz <strong>de</strong>r Wirklichkeit erscheinen lediglich als „unter-<br />
schiedliche Lösungsversuche“, „weil es das Wissen kurzum gar nicht gibt und gar<br />
nicht geben kann“ (REICH 1998b, 344).<br />
Die Pluralität <strong>de</strong>s Wissens, die sich aus <strong>de</strong>n grundsätzlichen Kränkungsbewegun-<br />
gen ergibt, läßt HOERSTER nicht zu: „Es gibt .. keine wissenschaftlichen Hinweise<br />
darauf, daß das Neugeborene bereits so etwas wie ein Ichbewußtsein – sei es auch in<br />
rudimentärer Form – besäße“ (HOERSTER 1995a, 80). Hinweise auf an<strong>de</strong>re Ergeb-<br />
nisse und an<strong>de</strong>rs diskutierte Bestimmungen <strong>de</strong>s Begriffes ‚Selbstbewußtsein’ fin<strong>de</strong>n<br />
sich jedoch z.B. bei DEDERICH (2000, 143-147), FEUSER (1992, 33-36, 47-52)<br />
o<strong>de</strong>r THEUNISSEN (1997, 63-76). Selbst ROTH kommt in seiner sehr intensiven<br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m menschlichen Gehirn zu <strong>de</strong>r Schlußfolgerung, daß bis-<br />
lang keine ein<strong>de</strong>utige und ‚wissenschaftlich’ verläßliche Aussage möglich ist, wem<br />
unter welchen Bedingungen Bewußtsein zuzuschreiben ist (ROTH 1997, 213-313).<br />
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