Eine Welt ohne Behinderte? - sonderpaedagoge.de!
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3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus Interesse wird von HOERSTER immer gedacht als das Interesse eines Menschen. Als Fremdbeobachter können wir jedoch erkennen, daß ein Interesse im Sinne HOERSTERs gar nicht existiert. Äußere ich als Selbstbeobachter den Wunsch nach irgend etwas, so bin ich in dieser Äußerung immer schon gefangen in der symboli- schen, in diesem Sinne also sprachlichen oder kommunikativen Ordnung, in der ich meinen Wunsch auszudrücken vermag. Das Symbolische begrenzt meinen Wunsch, meine Imagination. Nehmen wir hier ein Bild von MEAD hinzu, das zu erläutern versucht, wie sich das Selbst bildet (vgl. zu diesem Modell insgesamt REICH 1998a, 265-288 oder 2000b, 76-85): (REICH 1998a, 271) „Das ‚I’ als eine Seite der Identitätsbildung ist eine Instanz, die durch Gefühle, Wünsche, Stimmungen, durch Spontaneität von Einfällen und Kreativität sich aus- drückt, dabei ein Aktions- und Reaktionspotential darstellt und gegenüber der Au- ßenwelt die eigentliche Subjektivität bildet“ (REICH 1998a, 269). Dieses ‚I’ kann sich in Interaktionen aber nur symbolisch ausdrücken: über das ‚Me’. Dieses ‚Me’ entsteht seit jüngster Kindheit in der Übernahme der Erwartungen eines Anderen in Bezug auf Verhaltensaspekte. Dennoch, und damit rückt das ‚Self’ in den Blick- punkt, bleibt in jeder Interaktion auch das ‚I’ erhalten. Das ‚Self’ integriert verschie- dene ‚Me’ - Rollen (z.B. gegenüber verschiedenen Bezugspersonen) mit der Subjek- tivität des ‚I’. Dieses ‚Self’ entsteht „durch das Spannungsverhältnis von ‚I’ und ‚Me’ über den Wechselbezug zu Anderen .. [als] immer wieder veränderliches, aber 58
3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus letztlich doch zunehmend integriertes Bild des eigenen Selbst, das verläßlich genug für Kommunikation ist“ (REICH 1998a, 271). Hieran wird deutlich: immer schon ist ein Wunsch, den ich äußere, angesiedelt im Spannungsfeld von Me, I und Self. Er entstammt also als mein Wunsch immer der Vermittlung zwischen eigenem Begehren, eigener Imagination und übernomme- nen Rollen des Me. Nicht nur die vermittelnde Distanz des ‚Self’ nimmt also Einfluß auf den symbo- lischen Ausdruck eines Wunsches, dazu äußere ich einen Wunsch immer auch direkt in einer Beziehung als Anspruch an einen Anderen. Damit bleibt der Wunsch in den Unschärfen der Beziehungswirklichkeit gefangen. Zuletzt macht die Kränkung des Unbewußten deutlich, daß ein geäußerter Wunsch nicht rein rational zu verstehen ist: „Erst im Nachhinein oder von Außen“ (REICH 2000a, 153) bin ich überhaupt in der Lage, mir über die Relevanz von Aus- lassungen bewußt zu werden, die aber dennoch jeweils aktuell bei der Äußerung ei- nes Wunsches eine Rolle spielen. Als Selbstbeobachter bin ich somit überhaupt nicht in der Lage, einen Wunsch zu äußern, der den Kriterien entspricht, ihn zu einem Interesse im Sinne HOERSTERs zu machen. Lediglich in der Position eines Fremdbeobachters kann ich aus dem Wunsch ein Interesse konstruieren. Dabei – und das ist der kritische Punkt – bediene ich mich als Fremdbeobachter Kategorien und Wertungen, die ihrerseits wieder nicht rein rational sein können, die mein eigenes Begehren und Imaginieren enthalten können, die den Anderen höchstens wieder als anderen zulassen. Dennoch ist ein solcher Begriff des ‚Interesses’ evtl. nicht zu umgehen oder im rechtlichen Rahmen notwendig. Gerade aber in einer Diskussion, in der es darum geht, Kriterien für die Zuerkennung eines Rechtes auf Leben zu finden, muß bedacht werden, welchen Stellenwert ein solch verkürzender und problematischer Begriff wie ‚Interesse’ erhalten kann. Versuchen wir noch einmal die Argumentation HOERSTERs in den Blick zu neh- men: Dabei vermuten wir die Eigenschaft des ‚Selbstbewußtseins‘ und das Interesse 59
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letztlich doch zunehmend integriertes Bild <strong>de</strong>s eigenen Selbst, das verläßlich genug<br />
für Kommunikation ist“ (REICH 1998a, 271).<br />
Hieran wird <strong>de</strong>utlich: immer schon ist ein Wunsch, <strong>de</strong>n ich äußere, angesie<strong>de</strong>lt<br />
im Spannungsfeld von Me, I und Self. Er entstammt also als mein Wunsch immer<br />
<strong>de</strong>r Vermittlung zwischen eigenem Begehren, eigener Imagination und übernomme-<br />
nen Rollen <strong>de</strong>s Me.<br />
Nicht nur die vermitteln<strong>de</strong> Distanz <strong>de</strong>s ‚Self’ nimmt also Einfluß auf <strong>de</strong>n symbo-<br />
lischen Ausdruck eines Wunsches, dazu äußere ich einen Wunsch immer auch direkt<br />
in einer Beziehung als Anspruch an einen An<strong>de</strong>ren. Damit bleibt <strong>de</strong>r Wunsch in <strong>de</strong>n<br />
Unschärfen <strong>de</strong>r Beziehungswirklichkeit gefangen.<br />
Zuletzt macht die Kränkung <strong>de</strong>s Unbewußten <strong>de</strong>utlich, daß ein geäußerter<br />
Wunsch nicht rein rational zu verstehen ist: „Erst im Nachhinein o<strong>de</strong>r von Außen“<br />
(REICH 2000a, 153) bin ich überhaupt in <strong>de</strong>r Lage, mir über die Relevanz von Aus-<br />
lassungen bewußt zu wer<strong>de</strong>n, die aber <strong>de</strong>nnoch jeweils aktuell bei <strong>de</strong>r Äußerung ei-<br />
nes Wunsches eine Rolle spielen.<br />
Als Selbstbeobachter bin ich somit überhaupt nicht in <strong>de</strong>r Lage, einen Wunsch zu<br />
äußern, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kriterien entspricht, ihn zu einem Interesse im Sinne HOERSTERs<br />
zu machen.<br />
Lediglich in <strong>de</strong>r Position eines Fremdbeobachters kann ich aus <strong>de</strong>m Wunsch ein<br />
Interesse konstruieren. Dabei – und das ist <strong>de</strong>r kritische Punkt – bediene ich mich als<br />
Fremdbeobachter Kategorien und Wertungen, die ihrerseits wie<strong>de</strong>r nicht rein rational<br />
sein können, die mein eigenes Begehren und Imaginieren enthalten können, die <strong>de</strong>n<br />
An<strong>de</strong>ren höchstens wie<strong>de</strong>r als an<strong>de</strong>ren zulassen.<br />
Dennoch ist ein solcher Begriff <strong>de</strong>s ‚Interesses’ evtl. nicht zu umgehen o<strong>de</strong>r im<br />
rechtlichen Rahmen notwendig. Gera<strong>de</strong> aber in einer Diskussion, in <strong>de</strong>r es darum<br />
geht, Kriterien für die Zuerkennung eines Rechtes auf Leben zu fin<strong>de</strong>n, muß bedacht<br />
wer<strong>de</strong>n, welchen Stellenwert ein solch verkürzen<strong>de</strong>r und problematischer Begriff wie<br />
‚Interesse’ erhalten kann.<br />
Versuchen wir noch einmal die Argumentation HOERSTERs in <strong>de</strong>n Blick zu neh-<br />
men: Dabei vermuten wir die Eigenschaft <strong>de</strong>s ‚Selbstbewußtseins‘ und das Interesse<br />
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