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02.05.2013 Aufrufe

3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus Wie kann sich Widerspruch gegen diese Thesen nun artikulieren? Zum einen ist es möglich, die Argumentation HOERSTERs auf ihre Konsistenz und ihre begriffliche Genauigkeit hin zu überprüfen. 15 Damit würden jedoch implizi- te Grundannahmen HOERSTERs wohl übernommen, die sich als problematisch und kritikwürdig herausstellen (vgl. unten). Zum anderen kann man von einem anderen philosophisch-ethischen Standpunkt aus Argumente gegen HOERSTER aufbringen. Insofern aber der Versuch, die Thesen HOERSTERs in ihrem zwingend- logischen Geltungsanspruch zu widerlegen, selbst wieder zu zwingend-logischen Gegenargumenten führt, zeigt sich dieser Versuch von der in dieser Arbeit einge- nommenen Perspektive als nicht ausreichend. Charakteristikum der Postmoderne ist überhaupt die Fragwürdigkeit eines solchen Versuches, ethische Positionen als all- gemein verpflichtend und letztlich richtig zu begründen (vgl. hierzu Kapitel 4.1). Kersten REICH hat in seinen Büchern „Die Ordnung der Blicke“ (1998a, 1998b) versucht, die Kränkungsbewegungen, die eine solche Begründung verunmöglichen, zu beschreiben. Darüber hinaus aber hat er Perspektiven entwickelt, die möglichst weite und umfassende Beobachtungen - in Beachtung der postmodernen Unschärfe solcher Beobachtung – ermöglichen. Seinen Ansatz hat er als ‚interaktionistischen Konstruktivismus’ bezeichnet. In diesem Kapitel soll grundlegend, aber die Komplexität des Ansatzes von REICH lediglich andeutend 16 , in die ‚Beobachterstandpunkte’ des interaktionisti- schen Konstruktivismus eingeführt und aus den angebotenen Perspektiven die The- sen HOERSTERs in den Blick genommen werden. Dabei werde ich versuchen, die Perspektiven HOERSTERs zu weiten und als Fremdbeobachter auch von anderen Standpunkten aus die beschriebenen Probleme in den Blick zu nehmen. Im folgenden, vierten Kapitel möchte ich dann versuchen, mit den verbliebenen Möglichkeiten und der sich ergebenden Beschränkung das Konstrukt der ‚Men- schenwürde’ zu betrachten, da es mir als ‚passenderes’ Konstrukt erscheint. Gleich- 15 Hier bieten z.B. DEDERICH (2000, 288-296) und THEUNISSEN (1997, 41-45) Ansatzpunkte, obschon beide HOERSTER insgesamt von einer umfassenderen theoretischen Perspektive in den Blick nehmen. 16 Die Reduktion der Komplexität, die an dieser Stelle im Rahmen einer Examensarbeit zwingend notwendig ist, erscheint vom Ansatz Kersten REICHs als äußerst problematisch. 36

3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus zeitig ist in diesem Kontext dann die Reichweite und Aussagekraft einer Ethik in ihrem Zusammenspiel mit Recht überhaupt zu bedenken. 1. Beobachter und Beobachtung aus Sicht des ‚Interaktionistischen Konstruktivis- mus’ Beobachtung, gerade in einer vermeintlich exakten und eindeutigen Weise, ist Grundlage von Wissenschaft. Beobachtung zeigt sich jedoch in der Moderne zuneh- mend als brüchig: Die Repräsentation der Wirklichkeit in unseren Beobachtungen stimmt nicht überein mit den Dingen da draußen, der Realität. In diesem Spannungs- verhältnis zwischen beobachteter Wirklichkeit und Realität rückt nun der Beobachter in den Mittelpunkt des Interesses (REICH 1998a, 11-15). Dieser Beobachter erscheint zweifach. Er ist immer Teilnehmer und Akteur: Er ist Teilnehmer in bestimmten funktionalen Systemen, deren Zwängen er unterliegt; er ist aber auch Akteur, er greift ein in diese Zwänge, agiert in diesen Systemen (ebd., 17-18). Wissenschaft versucht zumeist, den Beobachter zu verbergen, wenn sie „allen Eindruck zu erwecken versucht, daß ihre Beobachter in ‚wahrer’ Beobachtung auf- gehen“ (ebd., 19). Sie versucht, die Individualität des Beobachters durch Beobach- tungs-theorien zu begrenzen oder auszuschließen. Erst dann kann Wissenschaft wie- der den Anspruch vertreten, ihre Beobachtung sei ‚wahre’ Beobachtung (ebd., 19- 20). Konstruktivistische Theorien wie der interaktionistische Konstruktivismus set- zen an der Bruchstelle von Beobachtung und Beobachter an. An dieser Bruchstelle entstehen die Konstrukte und Konstruktionen, die Gegenstand solcher Theorien sind (ebd. 22). Ich werde nun versuchen, einige wesentliche Gedanken, Konstrukte und Perspek- tiven REICHs darzustellen, die letztlich allesamt den oder die Beobachter thematisie- ren. Die Auswahl der dargestellten Thesen ist nicht willkürlich, kann jedoch die un- geheure Komplexität REICHs nur stark reduzierend und selektiv betrachten. 37

3. Kapitel Norbert Hoerster & Interaktionistischer Konstruktivismus<br />

zeitig ist in diesem Kontext dann die Reichweite und Aussagekraft einer Ethik in<br />

ihrem Zusammenspiel mit Recht überhaupt zu be<strong>de</strong>nken.<br />

1. Beobachter und Beobachtung aus Sicht <strong>de</strong>s ‚Interaktionistischen Konstruktivis-<br />

mus’<br />

Beobachtung, gera<strong>de</strong> in einer vermeintlich exakten und ein<strong>de</strong>utigen Weise, ist<br />

Grundlage von Wissenschaft. Beobachtung zeigt sich jedoch in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne zuneh-<br />

mend als brüchig: Die Repräsentation <strong>de</strong>r Wirklichkeit in unseren Beobachtungen<br />

stimmt nicht überein mit <strong>de</strong>n Dingen da draußen, <strong>de</strong>r Realität. In diesem Spannungs-<br />

verhältnis zwischen beobachteter Wirklichkeit und Realität rückt nun <strong>de</strong>r Beobachter<br />

in <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>s Interesses (REICH 1998a, 11-15).<br />

Dieser Beobachter erscheint zweifach. Er ist immer Teilnehmer und Akteur: Er<br />

ist Teilnehmer in bestimmten funktionalen Systemen, <strong>de</strong>ren Zwängen er unterliegt;<br />

er ist aber auch Akteur, er greift ein in diese Zwänge, agiert in diesen Systemen<br />

(ebd., 17-18).<br />

Wissenschaft versucht zumeist, <strong>de</strong>n Beobachter zu verbergen, wenn sie „allen<br />

Eindruck zu erwecken versucht, daß ihre Beobachter in ‚wahrer’ Beobachtung auf-<br />

gehen“ (ebd., 19). Sie versucht, die Individualität <strong>de</strong>s Beobachters durch Beobach-<br />

tungs-theorien zu begrenzen o<strong>de</strong>r auszuschließen. Erst dann kann Wissenschaft wie-<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Anspruch vertreten, ihre Beobachtung sei ‚wahre’ Beobachtung (ebd., 19-<br />

20). Konstruktivistische Theorien wie <strong>de</strong>r interaktionistische Konstruktivismus set-<br />

zen an <strong>de</strong>r Bruchstelle von Beobachtung und Beobachter an. An dieser Bruchstelle<br />

entstehen die Konstrukte und Konstruktionen, die Gegenstand solcher Theorien sind<br />

(ebd. 22).<br />

Ich wer<strong>de</strong> nun versuchen, einige wesentliche Gedanken, Konstrukte und Perspek-<br />

tiven REICHs darzustellen, die letztlich allesamt <strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die Beobachter thematisie-<br />

ren. Die Auswahl <strong>de</strong>r dargestellten Thesen ist nicht willkürlich, kann jedoch die un-<br />

geheure Komplexität REICHs nur stark reduzierend und selektiv betrachten.<br />

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