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2. Kapitel: Die Thesen Norbert Hoersters 3.5 Neugeborene und Sterbehilfe - Das Problem des ‚mutmaßlichen Willens’ Bei Neugeborenen nun muß noch eine besondere Schwierigkeit Beachtung finden: Wie drücken diese ihren Wunsch nach aktiver Sterbehilfe aus? Wie verweigern sie ihre Einwilligung in eine lebenserhaltende Maßnahme? Neugeborene sind nicht zu einer ausdrücklichen Willensbekundung in der Lage. (Damit sind die hier vorgestellten Thesen ebenso von Relevanz für diejenigen Men- schen, die aktuell nicht bzw. nicht mehr zu einer wirksamen, ausdrücklichen Wil- lensbekundung in der Lage sind oder dies noch nie waren. Vgl. ebd., 70) Die Frage ist also, „unter genau welchen Bedingungen eine Sterbehilfe ohne ausdrückliche Er- mächtigung zulässig sein soll“ (ebd.). Hier greift die Rechtsfigur der ‚mutmaßlichen Einwilligung’. Eine mutmaßliche Einwilligung, die z.B. auch die Voraussetzung für jede medizinische Versorgung bewußtloser Unfallopfer ist, in eine Behandlung ist dann gegeben, wenn „der Betrof- fene in diese Behandlungsmaßnahme im Zustand der Urteilsfähigkeit und der Kennt- nis ihrer Bedeutung und Tragweite ausdrücklich einwilligen würde“ (ebd., 72). Ent- scheidend ist hierbei, daß die mutmaßliche Einwilligung sich alleine auf die mutmaß- liche Bewertung der Behandlung durch den Betroffenen bezieht. Nicht entscheidend ist die Bewertung einer Behandlung und ihrer Konsequenzen, die der Arzt, die El- tern, etc. treffen würden, wären sie an Stelle des Betroffenen (ebd., 73). Bei der Feststellung des mutmaßlichen Willens eines Patienten müssen Präferen- zen und Überzeugungen des Betroffenen berücksichtigt werden: „Wenn A sich etwa zu einem früheren Zeitpunkt in wirksamer Form ausdrücklich gegen eine Bluttrans- fusion zu seiner Lebensrettung ausgesprochen hat, so muß daraus normalerweise von B geschlossen werden, daß es für eine Bluttransfusion zum gegebenen Zeitpunkt an einer mutmaßlichen Einwilligung des A fehlt“ (ebd., 74). Damit ist das Problem jedoch bei Neugeborenen nicht gelöst, denn zweifelsohne waren diese nie vorher in der Lage, irgendwelche Präferenzen auszudrücken. Geht es also um Sterbehilfe bei Neugeborenen – und dies ist faktisch nur bei schwergeschä- digten Neugeborenen der Fall – bietet HOERSTER zwei Modelle an, wie der mut- maßliche Wille zu bestimmen ist. Das erste Modell skizziert HOERSTER in seinem Buch „Neugeborene und das Recht auf Leben“ (1995b) wie folgt: Der Wunsch der Eltern tritt an die Stelle des 28

2. Kapitel: Die Thesen Norbert Hoersters Wunsches des Kindes, wie dies überhaupt bei Vornahme oder Unterlassung einer ärztlichen Behandlung geschieht. Dennoch ist auch hier auf den mutmaßlichen Wunsch des Kindes zu achten: Der mutmaßliche Wunsch eines Kindes nach Sterbe- hilfe muß einem Leidenszustand entspringen, der so gravierend ist, „daß das Kind, wenn es urteilsfähig und über seinen Zustand aufgeklärt wäre, aufgrund reiflicher Überlegung die Sterbehilfe selbst wünschen würde“ (HOERSTER 1995b, 106-107). Treffen die Eltern eine Entscheidung, die nach Meinung des Arztes nicht im Inte- resse des Kindes ist, so muß dieser die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts einholen (ebd., 112). Ein zweites Modell, daß diesem Weg noch einen weiteren Gedanken hinzufügt, formuliert HOERSTER in seinem später (1998) erschienen Buch „Sterbehilfe im säkularen Staat“, allerdings nicht speziell in Bezug auf die Situation Neugeborener sondern generell in Bezug auf Menschen, die aktuell zu keiner Willensäußerung in der Lage sind: Sind die Präferenzen eines Menschen bezüglich einer Behandlung nicht bekannt, so muß man von einer mutmaßlichen Einwilligung (also etwa in eine lebenserhalten- de Behandlung) dann ausgehen, wenn praktisch jedermann ausdrücklich einwilligen würde. „Denn wenn praktisch jedermann ausdrücklich einwilligen würde und über die persönlichen Präferenzen des A nichts bekannt ist, muß mit hoher Wahrschein- lichkeit davon ausgegangen werden, daß auch A, wenn er dazu in der Lage wäre, ausdrücklich einwilligen würde. Ob aber praktisch jedermann für seine Person ein- willigen würde, läßt sich prinzipiell, sofern Zweifel bestehen, durch Befragungen ermitteln“ (HOERSTER 1998, 75). An dieser Stelle ist allerdings wieder zwischen passiver Sterbehilfe und aktiver Sterbehilfe zu differenzieren: Bei der Frage nach der Legitimität passiver Sterbehilfe ist folgendes zu beachten: „Es ist generell der (aktive) Eingriff der Behandlung – und nicht der (passive) Ver- zicht auf diesen Eingriff -, welcher der legitimierenden Einwilligung des Patienten bedarf“ (ebd., 83). Gerade bei schwergeschädigten Neugeborenen ist zu erwarten, daß wohl nicht jedermann in eine lebensverlängernde Behandlung einwilligen würde und somit eine solche Behandlung eher unterbleiben müßte. 29

2. Kapitel: Die Thesen Norbert Hoersters<br />

3.5 Neugeborene und Sterbehilfe - Das Problem <strong>de</strong>s ‚mutmaßlichen Willens’<br />

Bei Neugeborenen nun muß noch eine beson<strong>de</strong>re Schwierigkeit Beachtung fin<strong>de</strong>n:<br />

Wie drücken diese ihren Wunsch nach aktiver Sterbehilfe aus? Wie verweigern sie<br />

ihre Einwilligung in eine lebenserhalten<strong>de</strong> Maßnahme?<br />

Neugeborene sind nicht zu einer ausdrücklichen Willensbekundung in <strong>de</strong>r Lage.<br />

(Damit sind die hier vorgestellten Thesen ebenso von Relevanz für diejenigen Men-<br />

schen, die aktuell nicht bzw. nicht mehr zu einer wirksamen, ausdrücklichen Wil-<br />

lensbekundung in <strong>de</strong>r Lage sind o<strong>de</strong>r dies noch nie waren. Vgl. ebd., 70) Die Frage<br />

ist also, „unter genau welchen Bedingungen eine Sterbehilfe <strong>ohne</strong> ausdrückliche Er-<br />

mächtigung zulässig sein soll“ (ebd.).<br />

Hier greift die Rechtsfigur <strong>de</strong>r ‚mutmaßlichen Einwilligung’. <strong>Eine</strong> mutmaßliche<br />

Einwilligung, die z.B. auch die Voraussetzung für je<strong>de</strong> medizinische Versorgung<br />

bewußtloser Unfallopfer ist, in eine Behandlung ist dann gegeben, wenn „<strong>de</strong>r Betrof-<br />

fene in diese Behandlungsmaßnahme im Zustand <strong>de</strong>r Urteilsfähigkeit und <strong>de</strong>r Kennt-<br />

nis ihrer Be<strong>de</strong>utung und Tragweite ausdrücklich einwilligen wür<strong>de</strong>“ (ebd., 72). Ent-<br />

schei<strong>de</strong>nd ist hierbei, daß die mutmaßliche Einwilligung sich alleine auf die mutmaß-<br />

liche Bewertung <strong>de</strong>r Behandlung durch <strong>de</strong>n Betroffenen bezieht. Nicht entschei<strong>de</strong>nd<br />

ist die Bewertung einer Behandlung und ihrer Konsequenzen, die <strong>de</strong>r Arzt, die El-<br />

tern, etc. treffen wür<strong>de</strong>n, wären sie an Stelle <strong>de</strong>s Betroffenen (ebd., 73).<br />

Bei <strong>de</strong>r Feststellung <strong>de</strong>s mutmaßlichen Willens eines Patienten müssen Präferen-<br />

zen und Überzeugungen <strong>de</strong>s Betroffenen berücksichtigt wer<strong>de</strong>n: „Wenn A sich etwa<br />

zu einem früheren Zeitpunkt in wirksamer Form ausdrücklich gegen eine Bluttrans-<br />

fusion zu seiner Lebensrettung ausgesprochen hat, so muß daraus normalerweise von<br />

B geschlossen wer<strong>de</strong>n, daß es für eine Bluttransfusion zum gegebenen Zeitpunkt an<br />

einer mutmaßlichen Einwilligung <strong>de</strong>s A fehlt“ (ebd., 74).<br />

Damit ist das Problem jedoch bei Neugeborenen nicht gelöst, <strong>de</strong>nn zweifels<strong>ohne</strong><br />

waren diese nie vorher in <strong>de</strong>r Lage, irgendwelche Präferenzen auszudrücken. Geht es<br />

also um Sterbehilfe bei Neugeborenen – und dies ist faktisch nur bei schwergeschä-<br />

digten Neugeborenen <strong>de</strong>r Fall – bietet HOERSTER zwei Mo<strong>de</strong>lle an, wie <strong>de</strong>r mut-<br />

maßliche Wille zu bestimmen ist.<br />

Das erste Mo<strong>de</strong>ll skizziert HOERSTER in seinem Buch „Neugeborene und das<br />

Recht auf Leben“ (1995b) wie folgt: Der Wunsch <strong>de</strong>r Eltern tritt an die Stelle <strong>de</strong>s<br />

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