30.04.2013 Aufrufe

1984 RUDOLF RENZ Kirche im Nationalsozialismus.pdf

1984 RUDOLF RENZ Kirche im Nationalsozialismus.pdf

1984 RUDOLF RENZ Kirche im Nationalsozialismus.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Sonderdruck aus:<br />

<strong>Kirche</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong><br />

Herausgegeben<br />

vom Geschichtsverein der Diözese<br />

Rottenburg-Stuttgart<br />

Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen


© <strong>1984</strong> by J an Thorbecke Verlag GmbH & Co., Sigmaringen<br />

Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter<br />

Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu<br />

verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen des Werkes -<br />

auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiederg~be, des Vortrags, der Funkund<br />

Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung und der literarischen<br />

oder anderweitigen Bearbeitung.<br />

Gesamtherstellung: M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co., Sigmaringen<br />

Printed in Germany . ISBN 3-7995-4067-9


<strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

<strong>Kirche</strong>nkampf in Ellwangen<br />

Bericht eines Zeitgenossen':'<br />

Als vor nun 50 Jahren der <strong>Nationalsozialismus</strong> die Macht in Deutschland ergriH, mußte man<br />

von vornherein mit Auseinandersetzungen auch und besonders auf religiösem Gebiet rechnen.<br />

Zunächst freilich wurde der <strong>Kirche</strong>nkampf getarnt und regional ganz verschieden geführt.<br />

Ellwangen, als altes katholisches Gebiet, sollte den <strong>Kirche</strong>nkampf in besonderem Maße zu<br />

spüren bekommen. Wenn ich auf der Jahresversammlung des Geschichtsvereins der Diözese<br />

Rottenburg-Stuttgart heute von diesem Kampf berichte, so kann es nicht eine lückenlose<br />

Schilderung über all die Auseinandersetzungen zwischen der Partei und der <strong>Kirche</strong> in jener Zeit<br />

sein, sondern ein Bericht meiner persönlichen Erlebnisse in jenen Jahren der Verfolgung.<br />

Manches ist in diesen 50 Jahren dem Gedächtnis entschwunden, vieles aber ist für <strong>im</strong>mer haften<br />

geblieben, anderes wieder in Berichten an das Bischöfliche Ordinariat festgehalten. Diese<br />

Berichte standen mir zur Verfügung und verbürgen die Zuverlässigkeit meiner Ausführungen.<br />

Als ich am 21. Juni 1932 nach Ellwangen versetzt wurde, übertrug man mir die Führung der<br />

katholischen männlichen Jugend und die Leitung des Kindererziehungshe<strong>im</strong>es Marienpflege<br />

mit einer Normal- und Hilfsschule. So kam ich bald mit dem Bürgermeister und Kreisleiter der<br />

Partei, einem radikalen Nationalsozialisten, in Berührung. Er interessierte sich zunächst dafür,<br />

wie ich mich <strong>im</strong> Falle eines Konfliktes zwischen dem Staat und der <strong>Kirche</strong> entscheiden würde.<br />

Ich erklärte ihm, daß ich von Geburt ein katholischer Deutscher oder, wenn er wolle, ein<br />

deutscher Katholik sei und mich zu jeder Zeit als solcher entscheiden würde, und ließ mich auf<br />

dieses Problem weiter nicht ein.<br />

Mitternachtsmesse mit der Jugend <strong>im</strong> Jahre 1933<br />

Zu einer ersten Konfrontation kam es anläßlich der 1933 von der katholischen Jugend in<br />

Ellwangen geplanten Mitternachtsmesse, die in der von der Stadt etwa eine halbe Stunde<br />

entfernten Eichkapelle stattfinden sollte. Diese Feier war für Ellwangen etwas Neues, da in der<br />

Diözese Rottenburg die erste Weihnachtsmesse gewöhnlich in der Frühe des Weihnachtstages<br />

stattfand. Sie war für uns auf meine Bitte hin vom Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg<br />

eigens genehmigt worden. Zur Einst<strong>im</strong>mung der Teilnehmer war eine Statio in der Krypta der<br />

Stiftskirche mit anschließender Prozession zur Eichkapelle vorgesehen. Um bei dieser Prozes-<br />

* Anmerkung der Schriftleitung: Pfarrer RudoU Renz wurde arn 1. 9. 1898 in VöhringenlIller geboren.<br />

Am 28. 3. 1925 erhielt er die Priesterweihe in Rottenburg. Er war Vikar in Schwäbisch Gmünd<br />

(Sr. Franziskus) seit dem 15. 5. 1925, in Hohenrechberg seit dem 31. 5. 1926, wieder in Schwäbisch Gmünd<br />

(St. Franziskus) seit dem 30.6. 1926 und in Stuttgart (St. Elisabeth) seit dem 9. 8. 1926. Am 21. 6. 1932<br />

wurde er Kaplan in Ellwangenl]agst, arn 21. 10. 1945 Stadtpfarrer in Aalen. Am 17. 7. 1970wurde er zum<br />

Geistlichen Rat ernannt. Seit dem 1. 9. 1970 lebt Pfarrer Renz in Ellwangen/Jagst <strong>im</strong> Ruhestand.


256 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

sion keine Schwierigkeiten zu bekommen, machte ich dem Bürgermeisteramt am 23. Dezember<br />

fernmündlich hiervon Mitteilung. Der Bürgermeister fragte, ob dies eine Demonstration mit<br />

W<strong>im</strong>peln, Bannern und Bundestracht sei. Dies verneinte ich. Er fragte weiter, ob es sich um eine<br />

Prozession handle und ob die Veranstaltung zum erstenmal stattfinde. Beides bestätigte ich, was<br />

er mit der Bemerkung »gut« zur Kenntnis nahm. Auf seine Frage, ob auch Lieder gesungen<br />

würden, erklärte ich ihm, es handle sich um eine stille Prozession.<br />

Nachträglich bereute der Bürgermeister offenbar seine Zust<strong>im</strong>mung, und er schrieb noch<br />

am selben Tag an das Katholische Stadtpfarramt in Ellwangen, er halte eine Ausführung des<br />

geplanten geschlossenen Marsches für untunlich und untersage sie <strong>im</strong> vermuteten Einverständnis<br />

der Württembergischen Politischen Polizei.<br />

Dieses Schreiben wurde mir vom Katholischen Stadtpfarramt am 24. Dezember 1933<br />

übergeben, worauf ich mich zum Bürgermeisteramt begab, um gegen dieses Verbot zu<br />

protestieren. Die Unterredung mit Bürgermeister Kölle dauerte von 15bis 17Uhr. Obwohl ich<br />

den Bürgermeister darauf hinwies, daß der geschlossene Zug in der Stadt kein Aufsehen erregen<br />

würde, gelang es mir nicht, ihn von dem in seinem Schreiben ausgesprochenen Verbot der<br />

Prozession abzubringen. Das Verbot wurde damit begründet, daß der geschlossene Marsch den<br />

Charakter einer Demonstration habe. Auf meinen Einwand, daß dann folgerichtig die<br />

Fronleichnamsprozession auch verboten werden müsse, erklärte Bürgermeister Kölle, das<br />

werde nicht geschehen, da es sich hierbei um eine alte Tradition handle; die Mitternachtsmesse<br />

jedoch und der geschlossene Zug zur Eichkapelle sei etwas Neues. Er habe den Eindruck, daß<br />

ich in der Erkenntnis, daß die katholischen Jugendorganisationen »erledigt« seien, nach neuen<br />

Formen suche, um die katholische Jugend zusammenzuhalten und ihr das Bewußtsein der<br />

Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Da es aber keine andere Gemeinschaft gebe als die<br />

Volksgemeinschaft, könne er ein geschlossenes Auftreten der katholischen Jugend nicht mehr<br />

zulassen.<br />

Von dem eigentlichen Gegenstand unserer Unterredung abweichend, kamen wir dann auf<br />

verschiedene Fragen zu sprechen. Bürgermeister Kölle erklärte, daß an erster Stelle und vor<br />

allem anderen das Vaterland stehe, während ich ihn darauf hinwies, daß an erster Stelle Gott<br />

stehe, was er nicht gelten ließ. Wir sprachen von der Reformation und vom Konkordat, von<br />

dem er meinte, es käme eben darauf an, wie man es auslege, und daß es auf jeden Fall die<br />

katholischen Organisationen nicht schützen könne.<br />

Inzwischen wurde der Bürgermeister, bald telefonisch, bald durch den Türspalt, <strong>im</strong>mer<br />

wieder zum Aufbruch gemahnt, da um 17 Uhr die Christbaumfeier der SDAP auf dem<br />

Stiftsplatz beginnen sollte. Ich erklärte, daß ich ihn nicht zurückhalten wolle und wir unsere<br />

Mitternachtsmesse in der angekündigten Weise abhalten würden. Kreisleiter Kölle erklärte, daß<br />

die Prozession nicht erlaubt sei. Ich wies ihn darauf hin, daß ich nicht um Erlaubnis bei ihm<br />

nachgesucht hätte und diese Erlaubnis auch nicht brauche. Meine Mitteilung an das Bürgermeisteramt<br />

sei nicht aus Pflicht, sondern nur aus Loyalität geschehen. Der Bürgermeister<br />

wiederholte, daß ich früher oder später in Konflikt mit dem Staat geraten werde.<br />

Über die geplante Mitternachtsmesse in der Eichkapelle war weder in der Tagespresse noch<br />

in den »Kirchlichen Mitteilungen« berichtet worden. Die Feier wurde von den männlichen<br />

katholischen Jugendorganisationen vorbereitet; durch eifrige Mundpropaganda wurden alle<br />

Gemeindeangehörigen von der Feier unterrichtet und eingeladen. Als ich um halb 12 Uhr in die<br />

Krypta kam, mußte ich den Versammelten von der Unterredung mit Bürgermeister Kölle und<br />

seinem Verbot der Prozession berichten. Ich konnte jedoch darauf hinweisen, daß ich mich bei<br />

zuständiger Stelle erkundigt hätte und erklären könne, daß eine gesetzliche Grundlage für das<br />

Verbot nicht bestehe. Ich würde aber allen freistellen, an der Feier teilzunehmen oder nicht.<br />

Kreuz und Fahne nahmen wir nicht mit, jedoch hatten fast alle Teilnehmer Kerzen oder<br />

Laternchen bei sich, die jetzt entzündet wurden. Nach der Einst<strong>im</strong>mung verließen wir alle


KIRCHENKAMPF IN ELLWANGEN 257<br />

durch dieselbe Tür die Stiftskirche zur Priestergasse. <strong>im</strong>mer zwei oder drei Teilnehmer, die sich<br />

an der Kirchtiir trafen, gingen ohne jeden Aufenthalt in langsamem Schritt stillschweigend auf<br />

den Prozessionsweg. So ergab sich eine sehr lange und würdige Lichterprozession. Die vom<br />

Bürgermeisteramt aufgebotene Polizei- und Landjägerabteilung säumte - ebenfalls andächtigden<br />

Weg. Als wir an der Eichkapelle ankamen, wurde mir gleich gemeldet: »Der Bürgermeister<br />

ist da, den lassen wir nicht herein.« Ich sagte: »Es ist niemand von der Teilnahme ausgeschlossen.«<br />

Tatsächlich war Bürgermeister Kölle be<strong>im</strong> Gottesdienst anwesend.<br />

Die Beteiligung der katholischen männlichen Jugend war über Erwarten groß. Alte deutsche<br />

Weihnachtslieder wurden unter Begleitung von Geigen und Klampfen gesungen. Fast alle<br />

Teilnehmer empfingen die W. Kommunion. Nach der hl. Messe gingen wir wieder in losem<br />

Zuge in die Stiftskirche zurück, wo mit dem gemeinsam gesungenen »Danket dem Herrn« die<br />

Feier ausklang, über der eine tiefe Weihe und Bereitschaft lag.<br />

Bürgermeister Kölle hat in der Sache nichts mehr unternommen. Als ich ihn einmal auf die<br />

Feier, an der er ja anwesend gewesen war, ansprach, sagte er: »Es war schön.« Ich hatte nie die<br />

Absicht gehabt, die Prozession zur Eichkapelle zu einer Demonstration umzufunktionieren,<br />

dazu hätte sich die Nachtzeit am wenigsten geeignet. Der Widerstand des Kreisleiters hat das<br />

Erlebnis und den Eindruck der Mitternachtsmesse auf die Jugend nur vertieft.<br />

Was den Kreisleiter am meisten störte, war das Bemühen und die Sorge der <strong>Kirche</strong> um die<br />

männliche katholische Jugend. Der Bürgermeister hat das eines Tages sehr unmißverständlich<br />

zum Ausdruck gebracht, indem er mir in einem Gespräch mitteilte, daß auf dem Unteren<br />

Kuhberg in Ulm ein kleines Konzentrationslager eingerichtet worden sei, in dem auch einige<br />

Kollegen von mir säßen: »Da gehören auch Sie hin!« Ich fragte ihn, was ich getan oder gesagt<br />

hätte, um KZ-Haft verdient zu haben. Er antwortete sehr gereizt: »Das ist es ja! Man kann Sieja<br />

nie packen: da sind Sie viel zu klug dazu; aber Ihrer Gesinnung nach gehören Sie dort hin.« Ich<br />

überlegte, ob ich darauf eine Antwort geben sollte, oder ob ein Schweigen als Zust<strong>im</strong>mung<br />

angesehen würde, und wagte schließlich doch zu erwidern: »Herr Kreisleiter. ich kann mir<br />

diesen Vorwurf nicht gefallen lassen; Sie würden sich gewiß von mir auch nicht sagen lassen: Sie<br />

gehören Ihrer Gesinnung nach ins Zuchthaus.« Es folgte betretenes Schweigen. Dann ging er<br />

auf ein anderes Thema über. Daß er nichts unterlassen würde, Anklagematerial zu sammeln,<br />

war klar.<br />

Der »Elejantenstall« wird überwacht<br />

An einem schönen Sommerabend kamen einige HJ-Führer als ungebetene, vom Kreisleiter<br />

gesandte Gäste zum He<strong>im</strong>abend einer von mir geführten katholischen Jugendgruppe in den<br />

»Elefantenstall«, So hieß in der Stadt Ellwangen das Nebengebäude einer Gastwirtschaft mit<br />

verschiedenen Räumen, die uns der Wirt für unsere Veranstaltungen zur Verfügung gestellt<br />

hatte. Da die Haustür geschlossen war, nahmen die HJ-Führer ihren Weg durch den Garten<br />

und ein offenstehendes Fenster. Trotzdem grüßte ich die jungen Leute freundlich und war<br />

damit einverstanden, daß sie mit den Jungen ein Gespräch führten, das selbstverständlich darauf<br />

hinauslief, daß jetzt auch endlich die katholische Jugend sich der Hitlerjugend anschließen<br />

müsse - es gebe nur noch eine deutsche Jugend, die des Führers.<br />

Nachdem sie ihre Unterweisung auftragsgemäß durchgeführt hatten, führte ich sie zum<br />

Fenster und wies auf die Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Blumen in dem Garten hin. Alle die<br />

Blumen in ihren verschiedenen Farben, Formen und Gestalten bildeten doch eine wunderschöne<br />

Einheit, und ich legte ihnen dar, wie langweilig dieser Garten wäre, wenn all die Blumen<br />

nur eineFarbe und eine Gestalt hätten. In der Harmonie dieser umfassenden Mannigfaltigkeit<br />

offenbare sich doch die Schönheit der Natur und die Größe des Schöpfers, und das gelte in ganz<br />

besonderem Maße vom Menschen in seiner unermeßlichen Vielfalt der Gestalt, der Veranla-


258 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

gung und der Begabung. Unsere Aufgabe müsse es doch sein, diese Vielfalt zur Harmonie<br />

zusammenzufügen. So müsse auch die Vielfalt und Verschiedenheit der Jugendgruppen und<br />

-organisationen durch gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme zur Harmonie werden in<br />

edlem Wettstreit der Liebe und Treue zu unserem Vaterland." Das war wohl nicht das, was sie<br />

brauchten; so verschwanden sie wieder, wie sie gekommen waren.<br />

Ein andermal kam Polizeikommissar L. in Uniform, um sich ein Bild von der katholischen<br />

Jugend zu machen. Wir nahmen ihn in unserer Runde auf und hatten schnell auf ein geeignetes<br />

Thema umgeschaltet. Wir sprachen von den heidnischen Germanen, ihren guten Anlagen, vor<br />

allem ihrer Treue in der Ehe, in der Sippe, ihrer Tapferkeit, aber auch ihren Schwächen; von<br />

ihrer Ablehnung und doch ihrer gehe<strong>im</strong>en Sehnsucht nach dem Christentum und schließlich<br />

von der Verschmelzung von Germanenturn und Christentum in einer neuen christlichen<br />

Kultur. Zum Schluß sangen wir Aus grauer Städte Mauern ... mit einer eingefügten Schlußstrophe:<br />

Gott verbrennt in Zornesjeuern eine Welt,<br />

sie zu erneuern, wollen machtvoll wir beteuern:<br />

Christus Herr der neuen Zeit,<br />

Christus Herr der neuen Zeit.<br />

Diese letzte Strophe sangen die Jungen stehend mit erhobener Rechten. Auch der Polizist<br />

hatte sich erhoben, den Säbel gezogen und stand mit erhobener Klinge in unserer Runde. Dann<br />

steckte er den Säbel in die Scheide zurück, drückte mir die Hand und beteuerte, offenbar<br />

ergriffen: "Herr Kaplan, ich kann dem Herrn Bürgermeister bestätigen, daß die Jugend bei<br />

Ihnen in guten Händen ist.«<br />

Die Erkundungen der Hitlerjugend und der Polizei konnten der Kreisleitung keine<br />

staatsfeindliche Tätigkeit, wohl aber eine lebendige katholische Jugend nachweisen. Die<br />

Schlußfolgerung des Bürgermeisters wurde mir durch ein Schreiben des Führers der Flieger-<br />

Ortsgruppe am 16. Juni 1934 mitgeteilt: ••Sehr geehrter Herr Kaplan! Nach Rücksprache mit<br />

Herrn Hagele, Gastwirt zum>Wilden Manne, erhielten wir von ihm die Erlaubnis, den Raum in<br />

dem Haus am Buchenberg, gen. -Elefantenstall- als Arbeitsräume zu benützen ... Da Herr<br />

Hagele keinen Schlüssel <strong>im</strong> Besitz hat, möchte ich Sie freundliehst bitten, den Überbringern des<br />

Schreibens einen Schlüssel zu diesem Raum auszuhändigen, damit wir spätestens am kommenden<br />

Montag unsere Arbeit fortsetzen können ...<br />

gez.... "<br />

An besagtem Montag überbrachten mir zwei Männer der hier stationierten Landjägerabteilung<br />

das Kruzifix aus unserem Jugendhe<strong>im</strong> und meldeten, daß sie auftragsgemäß das He<strong>im</strong><br />

ausgeräumt hätten. Die Einrichtung sei beschlagnahmt und weggeschafft worden. An dem<br />

Kreuz aber hätten sie sich nicht vergreifen wollen.<br />

Ein tragisches Ereignis <strong>im</strong> Borromäum<br />

In diese Zeit fällt ein tragisches Ereignis. In Ellwangen bestand das Gymnasial-Konvikt<br />

Borromäum, in dem katholische Jungen wohnten, die das Ellwanger Gymnasium besuchten.<br />

Der Leiter des Hauses, Professor Haug, war gestorben, und ich wurde zum kommissarischen<br />

Leiter des Hauses bestellt, war aber noch nicht offiziell eingeführt. Die Leitung hatte damals<br />

Präfekt Flaig, dem ein Hilfspräfekt zur Seite stand.<br />

Präfekt Flaig war ein äußerst gewissenhafter Priester, dem die Verantwortung für die<br />

Zöglinge schwer auf der Seele lag. Da er von der Gefahr des <strong>Nationalsozialismus</strong> zutiefst<br />

überzeugt war, suchte er die Gründung einer Hitlerjugend-Gruppe <strong>im</strong> Borromäum zu


KIRCHENKAMPF IN ELLWANGEN 259<br />

verhindern, was freilich auf die Dauer nicht möglich war. Im März 1935 waren sieben Zöglinge<br />

des Borromäums in der HJ. Am Samstag, den 16. März 1935, fragten vier von ihnen Präfekt<br />

Flaig um Erlaubnis zur Teilnahme an einem Gepäckmarsch in der Nacht von Samstag auf<br />

Sonntag. Diese Erlaubnis wurde nicht erteilt. Präfekt Flaig sagte den Jungen, sie sollten ihren<br />

HJ -Führer zu ihm schicken, um die Sache zu besprechen. Das geschah nicht, und als dieJungen<br />

am Samstagabend wieder nachfragten, war Präfekt Flaig nicht anwesend. Der Hilfspräfekt<br />

Osswald war nicht befugt, die Jungen zu der geplanten Nachtübung zu beurlauben. Auf<br />

Anfrage des Hilfspräfekten sagte ich ihm, er möge ihnen in aller Ruhe sagen: Da der Präfekt den<br />

Nachtmarsch untersagt habe, sollten sie sich für diese Übung bei dem HJ-Führer entschuldigen.<br />

Herr Osswald teilte dies be<strong>im</strong> Abendessen den vierJungen mit. Sie verließen dennoch ohne<br />

Mitteilung das Haus und kamen um 23.15 bzw. 23.45 Uhr zurück. Präfekt Flaig stellte sie zur<br />

Rede. Hierbei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen der offenkundig sehr<br />

erregte Präfekt Flaig einen der Jungen mit einem Stock züchtigte.<br />

Die Jungen berichteten den Verlauf der Auseinandersetzung am Sonntagfrüh ihrem<br />

Gefolgschaftsführer , der sie veranlaßte, bei der Politischen Polizei und bei der Kreisleitung der<br />

NSDAP Mitteilung zu machen. Auch ich erfuhr von der Sache durch Präfekt Flaig, den ich am<br />

Sonntag in der Sakristei der Marienkirche traf.<br />

Am Sonntagnachrnittag kam ein Bäckermeister zu mir und berichtete, er wisse aus ganz<br />

sicherer Quelle, daß von der Hitlerjugend eine Kundgebung gegen Präfekt Flaig geplant sei, in<br />

deren Verlauf Präfekt Flaig aus dem Borromäum geholt, auf den Stiftsplatz geführt und dort<br />

gelyncht werden solle. Ich ging daher sofort ins Borromäum, um dies Präfekt Flaig mitzuteilen<br />

und ihm zu raten, mit mir die Fastenandacht in der Stiftskirche zu besuchen und sich hernach in<br />

meine Wohnung zu begeben. Während der Fastenandacht wurde die <strong>Kirche</strong> von der Hitlerjugend<br />

und vor allem von Mannschaften der Politischen Bereitschaft (SS in Zivil) umstellt. Dies<br />

meldeten mir die Jungen der katholischen Jugend nach der Andacht.<br />

Auf dem Stiftsplatz und besonders vor der Sakristei war ein großer Tumult, der es<br />

verhinderte, daß Präfekt Flaig die <strong>Kirche</strong> verlassen konnte. Wir holten einige Wolldecken und<br />

rieten ihm, zunächst in der Krypta der <strong>Kirche</strong> zu bleiben. Ich versprach, ihn zu holen, wenn es<br />

ruhig geworden sei. Dies war bald der Fall, da um 19.30 Uhr in der Stadthalle ein Werbeabend<br />

von BdM und Jungmädchen stattfand. Ich holte Präfekt Flaig in der Stiftskirche ab und lud ihn<br />

zum Abendessen und Übernachten in das Kaplaneihaus ein.<br />

Bei der Werbeveranstaltung kam Kreisleiter Kölle in sehr scharfer Weise auf die Vorfälle <strong>im</strong><br />

Borromäum zu sprechen. Nach der Veranstaltung zogen viele Teilnehmer vor das Borromäum,<br />

wo man Präfekt Flaig vermutete. Da die Haustür geschlossen war, wurden vier Fensterscheiben<br />

eingeschlagen; HJ, Jungvolk, SSund andere Personen drangen in das Haus ein und brachen die<br />

verschlossenen Türen zum Arbeitsz<strong>im</strong>mer und Schlafz<strong>im</strong>mer des Präfekten Flaig auf. Dem<br />

Hilfspräfekten Osswald wurde erklärt, daß er sich an der Suche nach Flaig beteiligen müsse.<br />

Als wir um etwa 22.30 Uhr zu Bett gehen wollten, rückte das Trommler-Corps der HJ an<br />

und hielt vor dem Kaplaneihaus. Unterbannführer Dollinger läutete heftig an der Hausglocke<br />

und verlangte von mir Auskunft, ob Präfekt Flaig <strong>im</strong> Hause sei. Ich antwortete ihm, daß hier<br />

Kaplan Renz wohne und forderte, die nächtliche Ruhestörung zu beenden. Inzwischen wurde<br />

versucht, die Haustür aufzubrechen, was nicht gelang, weil ich einen schweren eisernen Riegel<br />

von Wand zu Wand hatte anbringen lassen. Es entstand ein großer Tumult vor dem Haus.<br />

Hetzreden gegen die <strong>Kirche</strong> wurden gehalten, wobei sich SS-Leute von der Kaserne besonders<br />

hervortaten. Auch Kreisleiter Kölle war dabei, allerdings ohne einzugreifen. Ich versuchte<br />

vergebens, die Polizei herbeizurufen. Es wurde mir mitgeteilt, daß nur ein Mann auf der<br />

Polizeiwache sei und dieser den Raum nicht verlassen dürfe. Auch der Anruf be<strong>im</strong> Landjägerkommando<br />

war vergeblich. Es wurde darauf hingewiesen, daß sie bei Vorkommnissen in der<br />

Stadt nicht eingreifen dürften.


260 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

Nach etwa 20 bis 30 Minuten erschien der mir bekannte Leiter der Zweigstelle Ellwangen<br />

der Politischen Polizei, Herr Stöckle, mit zwei Beamten. Ich ließ Stöckle eintreten. Dieser<br />

erklärte gegenüber Präfekt Flaig, daß er ihn in Schutzhaft nehmen müsse. Er wurde auch in die<br />

benachbarte Kanzlei der Politischen Polizei abgeführt und später in das Kreisgefängnis in der<br />

Priestergasse verbracht. Es wurde mir zugesagt, daß kein Hindernis bestehe, Herrn Präfekt<br />

Flaig alles otwendige und auch Lebensmittel zu überbringen, da es sich um Schutzhaft zu<br />

seiner persönlichen Sicherheit handle. Diese Vergünstigung wurde am andern Tag von Herrn<br />

Stöckle wieder aufgehoben. Es kam zu einer gerichtlichen Verhandlung; Flaig wurde zu einer<br />

Gefängnisstrafe verurteilt.<br />

Die Stufen der Fe/dherrnhalle<br />

achdem die evangelische Jugend in der Hitlerjugend aufgegangen war, machte der Kreisleiter<br />

einen weiteren Vorstoß und forderte auch die Eingliederung der katholischen Jugend in<br />

Ellwangen in die Hitlerjugend. Ich erklärte ihm, daß dies nicht in Frage komme, solange Baldur<br />

von Schirach der Reichsführer der Hitlerjugend sei, und begründete dies mit dem Hinweis auf<br />

ein Lied, das von Baldur von Schirach stammte und das in der HJ allgemein gesungen wurde. In<br />

ihm wurden die Stufen der Feldherrnhalle den Altären in den alten Domen und <strong>Kirche</strong>n, deren<br />

Zeit vorüber sei, gegenübergestellt, und der Schlußvers lautete: "Uns sind Altar die Stufen der<br />

Feldherrnhalle. «<br />

Ich sagte dem Kreisleiter, daß ich verstehen könne, wenn eine Bewegung den Ort in Ehren<br />

halte, an dem einige Vorkämpfer ihr Blut vergossen hätten. Aber ein Vergleich zwischen den<br />

Stufen der Feldherrnhalle mit den Altären in unseren <strong>Kirche</strong>n sei ganz unmöglich, denn auf<br />

unseren Altären wird das Blut Jesu Christi, des Gottessohnes, dargebracht, so wie es Jesus<br />

Christus darbrachte be<strong>im</strong> Letzten Abendmahl vor seinem Tod, als er seinen Jüngern den Kelch<br />

reichte mit den Worten: "Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur<br />

Vergebung der Sünden, tut dies zu meinem Gedächtnis.« Das Opferblut auf unseren Altären ist<br />

als Blut des Gottessohnes von unendlichem Wert, und kein menschliches Opfer kann mit<br />

diesem Opfer verglichen werden. Der Kreisleiter hörte dieser Unterweisung, die etwa 20 bis 30<br />

Minuten dauerte, ruhig und, wie mir schien, aufmerksam zu, ohne zunächst zu antworten.<br />

Eine Erwiderung gab er mir dann auf schriftlichem Wege von München aus, wo einige<br />

Wochen nach diesem Gespräch in einer großen Feier die Toten der Feldherrnhalle auf dem<br />

Königlichen Platz beigesetzt wurden. Ich erhielt eine Ansichtskarte von der Feldherrnhalle<br />

»Mahnmal für die Gefallenen des 9. November 1923 in der Feldherrnhalle« mit folgendem<br />

Inhalt:<br />

Herrn Kap/an Renz, Ellwangen/Jagst, Württemberg<br />

9. Nebelung 1935<br />

Trotz alledem »Uns sind Altar die Stufen der Feldberrnballe«. Es kommt auf die<br />

Gesinnung an. Unser Herrgott segnet sichtbar das Werk unseres Führers Ado/f Hit/er,<br />

seines besten Sohnes, den eine deutsche Mutter gebar.<br />

Hei/ Hit/er<br />

Kreis/eiter Kölle<br />

Ich hatte die Karte einige Tage in meiner Brieftasche und hatte sie dem einen und anderen<br />

gezeigt, da wurde mir in der Marienpflege der Besuch von Oberregierungsrat Löbich gemeldet.<br />

Er war evangelischer Pfarrer und hatte ein evangelisches Kinderhe<strong>im</strong> geleitet. Jetzt war er zum<br />

Leiter der Abteilung Anstaltswesen bei der Landesfürsorgebehörde befördert worden und hatte<br />

damit die staatliche Aufsicht über alle katholischen und evangelischen Erziehungshe<strong>im</strong>e für<br />

Kinder und Jugendliche in Württemberg. Ich nahm an, daß er das He<strong>im</strong> turnusgemäß besuchen


KIRCHENKAMPF IN ELLWANGEN 261<br />

lln tftt t!


262 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

und besichtigen wolle. Er sagte aber. daß es sich um meine persönliche Angelegenheit handle.<br />

Er eröffnete mir. daß Bürgermeister Kölle be<strong>im</strong> Innenministerium meine Abberufung von der<br />

Leitung der Marienpflege verlangt habe. da es untragbar sei. daß einem katholischen Priester die<br />

Erziehung deutscher Jugend obliege. Löbich fragte mich. ob es besondere Auseinandersetzungen<br />

mit dem Kreisleiter gegeben habe. da er von früheren Besuchen wußte. daß mir Kölle nicht<br />

besonders gewogen war. Ich sagte ironisch. daß man vielleicht meinen könne. es bahne sich ein<br />

besseres Verhältnis an. Löbich fragte. worauf diese Annahme begründet sei. Ich zog die Karte<br />

heraus und sagte: »Diese Karte habe ich aus München bekommen. wo am 9. November 1935<br />

die »Gefallenen der Feldhermhalle« mit großer Feierlichkeit auf den Königsplatz umgebettet<br />

wurden.« Er las die Karte. und ich bemerkte seine Verwunderung. Er fragte: »Ist die<br />

Unterschrift echt?« Ich zeigte ihm andere Schriftstücke der Stadtverwaltung mit Kölles<br />

Unterschrift. Löbich bat mich. vom Inhalt der Karte »Kenntnis nehmen zu dürfen«, was ich<br />

selbstverständlich gestattete. Er schrieb die Karte in seinen Notizkalender ab. Wir verloren kein<br />

Wort mehr über das Begehren des Kreisleiters und wandten uns anderen Problemen zu.<br />

Kreisleiter Kölle hatte mit dem Kartengruß die eigenen Anwürfe gegen mich selber<br />

entkräftet. Wie mir ein Freund. dem Oberregierungsrat Löbich seinen Bericht an das<br />

Innenministerium gezeigt hatte. erzählte. habe Löbich in einer feinen Weise seine Verwunderung<br />

ausgesprochen. daß man zu gleicher Zeit dem Empfänger seine Hochachtung ausspreche<br />

und bei der Behörde seine Abberufung fordere. Auf Grund der Beurteilung Löbichs wurde die<br />

Forderung des Kreisleiters abgelehnt.<br />

Verhaftung und Verhör "in kr<strong>im</strong>ineller Sache"<br />

Ganz überraschend kam am Abend des 27. Februar 1934 aus Sruttgan Kr<strong>im</strong>inalkommissar W.<br />

von der Politischen Polizei in Begleitung des Ellwanger Stadtpolizeikommissars L. und<br />

eröffnete mir. daß er mich zu seinem großen Bedauern wegen einer "kr<strong>im</strong>inellen Sacheverhaften<br />

müsse. Als ich ihn nach dem Grund fragte. gab er nur ausweichend Antwort und<br />

verlangte alles Material. was mit meiner Jugendarbeit zusammenhänge. Uber die Dauer des<br />

Gefängnisaufenthaltes konnte oder wollte er keine Angaben machen.<br />

Ich verlangte schon zu Hause und auf dem Weg zum Amtsgerichtsgefängnis ein sofortiges<br />

Verhör. In meiner Einzelzelle nahm ich das Brevier zur Hand. um die Vesper zu beten. Dabei<br />

stieß ich auf eine tröstliche Stelle <strong>im</strong> 124. Psalm: »Ich bin wie ein Sperling <strong>im</strong> Netz des<br />

Vogelstellers. aber das Netz zerriß und der Vogel ist Irei.« Dabei ging das Licht aus, und jetzt<br />

war ich mit meinen Gedanken allein. Alles. was ich in letzter Zeit getan und was ich gepredigt<br />

hatte. ging mir durch den Kopf. Schließlich schlief ich doch ein.<br />

Aber schon bald darauf rasselten die Schlüssel. Ich sollte zum Verhör kommen. erhielt mein<br />

Messer und mein Geld zurück und wurde einem Polizisten übergeben. der mich nicht in das<br />

Gerichtsgebäude, sondern ins Rathaus führte. Das Verhör nahmen Kr<strong>im</strong>inalkomrnissar W. und<br />

Polizeikommissar L.. die mich verhaftet hatten. vor.<br />

Zu Beginn forderte mich der Krirninalkommissar in dringlicher Weise auf. die volle<br />

Wahrheit zu sagen und nicht die von mir verführte Jugend zu belasten. Ich sagte. daß es dieser<br />

Mahnung nicht bedürfe und machte darauf aufmerksam. daß ich den Sachverhalt. um den es<br />

gehe. ja nicht kenne. Darauf wurde mir mitgeteilt. daß in die Geschäftsstelle der HJ ein<br />

Einbruch oder ein fingierter Einbruch ausgeübt worden sei. Ich konnte erleichtert aufatmen<br />

und gab auf jede weitere Frage die gleiche Antwort: »Ich weiß von dieser Sache nichts«, was den<br />

Kommissar nervös machte. Er stellte fest. mein Benehmen sei sehr verdächtig. denn ich trüge<br />

dauernd ein Lächeln <strong>im</strong> Gesicht. Ich konterte: das sei eine glückliche Naturanlage. und ich hätte<br />

die Sache bisher mehr von der lustigen Seite angesehen. weil ausgerechnet am anderen Morgen


KIRCHENKAMPF IN ELLWANGEN 263<br />

in allen meinen Schulklassen vom Bischöflichen Kommissär eine Religionsprüfung abgehalten<br />

werden sollte. Ich müsse aber jetzt die Sache von der ernsten Seite nehmen. Und mit einem<br />

Faustschlag auf den Tisch schrie ich den Kommissar an: "Ich lasse mich von Ihnen nicht weiter<br />

beleidigen. Ich habe sechs- bis achtmal erklärt, daß ich von der Sache nichts weiß, und Sie<br />

glauben mir das nicht; so erklären Sie mich zum Lügner und nehmen mir die Ehre. Das kann ich<br />

mir von Ihnen nicht gefallen lassen.« Die Wirkung war durchgreifend: »Herr Kaplan,<br />

beruhigen Sie sich! Wir müssen doch ein Protokoll schreiben.« Dazu fühlte ich mich nach allem<br />

Vorausgegangenen nicht in der Lage und sagte zu dem Kommissar: Da ich doch nichts von der<br />

Sache wisse, solle er selbst das Protokoll schreiben. Nachdem er mir zuerst eine Verurteilung<br />

der Aktion in den Mund legen wollte, einigten wir uns auf den Satz: Ȇber die Tat kann ich ein<br />

Urteil nicht abgeben, weil mir die Tatbestände nicht genügend bekannt sind.« Dann verlangte<br />

ich alles Aktenmaterial zurück, das in meinem Z<strong>im</strong>mer beschlagnahmt worden war. Die Hälfte<br />

brachte er mit der Bemerkung, in meinem eigenen Interesse wolle der Herr Kreisleiter dieses<br />

Material noch durchsehen. So wußte ich, daß der Kreisleiter selbst auf dem Rathaus war. Zum<br />

AbscWuß drängte es mich, dem Kommissar zu sagen, es wundere mich, daß er zu Beginn des<br />

Verhörs gesagt habe, die beiden jungen Leute, die gestern bei mir gewesen seien, hätten schon<br />

ausgesagt, daß die ganze Sache von mir geleitet worden sei. Meine Feststellung: Die beiden<br />

kenne ich als aufrechte, wahrhaftige und unbescholtene junge Männer, die nicht lügen.<br />

In Wirklichkeit hatte ich mit den beiden J ungführern am Vorabend einen Elternabend<br />

besprochen, in dem wir die Eltern ermuntern wollten, ihre Jungen nicht aus Neudeutschland<br />

ab- und in die HJ anzumelden. Die beiden Jungmänner waren am Nachmittag verhaftet<br />

worden. Zum Beweis, daß sie mit dem »Einbruch« in der HJ-Geschäftsstelle nichts zu tun<br />

hatten, beriefen sie sich darauf, daß sie in dieser Zeit bei mir in der Marienpflege waren.<br />

Der »Einbruch« in der HJ-Geschäftsstelle war von den HJ-Führern selbst inszeniert<br />

worden, weil sie be<strong>im</strong> Umtreiben eine Schreibmaschine beschädigt hatten und den Schaden<br />

vertuschen wollten. Daher schlugen sie die Fensterscheiben ein, rissen die Schubladen heraus<br />

und zerstreuten die Akten <strong>im</strong> Raum. Dem Kreisleiter meldeten sie, daß offenbar die katholische<br />

Jugend in die Geschäftsstelle eingebrochen sei.<br />

Störung religiöserJugendveranstaltungen<br />

Etwas Interessantes erfuhr ich bei dem kurzen Gefängnisaufenthalt. Ich fragte den Gefängnisaufseher,<br />

wer wohl diese Verhaftung angeordnet habe. Er antwortete: -Das können Sie sich<br />

doch denken; schon vor acht Tagen waren Sie angemeldet, sind aber nicht gekommen.«<br />

Vom 17. auf den 18. Februar 1934 war <strong>im</strong> Exerzitienhaus auf dem Schönenberg ein<br />

Einkehrtag für die katholische männliche Jugend unseres Bezirks, veranstaltet von der<br />

Diözesanleitung in Stuttgart. Wir hatten mit etwa 30 Teilnehmern gerechnet, in Wirklichkeit<br />

waren etwa 130 Jungen und J ungmänner gekommen, die in den vorhandenen Betten und<br />

Notunterkünften kaum unterzubringen waren. Die HJ-Führung war auf diesen Zustrom der<br />

Jugend zum Schönenberg aufmerksam geworden. Der Unterbannführer Hieber erschien und<br />

sagte, er habe die Aufgabe, alle Jugendveranstaltungen <strong>im</strong> Bezirk zu überwachen. Er habe<br />

erfahren, daß auch Jungen in Uniform unter den Teilnehmern seien. Ich erklärte ihm, es handle<br />

sich um einen religiösen Einkehrtag und es seien keine Uniformierten unter den Teilnehmern.<br />

Wenn er trotzdem einzudringen versuche, wäre das Hausfriedensbruch. Schließlich entfernte<br />

sich Hieber. Etwa eine halbe Stunde später fuhr Kreisleiter Kölle mit seinem Adjutanten<br />

Ostertag und zwei auswärtigen Amtswaltern <strong>im</strong> Auto vor und »überraschte« die Schwestern,<br />

die <strong>im</strong> Speisesaal die Tische für das Frühstück herrichteten. Sie riefen den Pfarrer vom<br />

Schönenberg, dann auch den Diözesanleiter Erwin Häußler und mich. Es entspann sich eine<br />

eineinhalbstündige Auseinandersetzung, die schließlich mit dem Abzug der NS-Prominenz


264 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

15 Minuten nach Mitternacht endete. Ich ahnte nicht, daß mich Kreisleiter Kölle in das<br />

Amtsgerichtsgefängnis abholen wollte.<br />

In ähnlicher Weise versuchte man <strong>im</strong>mer wieder, religiöse Veranstaltungen zu verhindern<br />

oder zu stören. So z. B. das Jugendtreffen des Unterbezirks Ellwangen in Bühlertann am 7. Juli<br />

1935, wo etwa 100Jungen und Jungmänner aus dem Unterbezirk zusammengekommen waren.<br />

Auch hier wurden das Eindringen der HJ und ihre Schnüffeleien verhindert. Auf dem He<strong>im</strong>weg<br />

aber wurden sieben Teilnehmer, die in schwarzen Samtanzügen oder Samtwesten gekommen<br />

waren, angehalten. (Diese Anzüge wurden in allen größeren Herrenbekleidungsgeschäften<br />

geführt und von der Jugend gerne als besserer Straßenanzug, aber keineswegs als Uniform<br />

getragen; etwa 20 Teilnehmer an dem Treffen trugen eine solche Joppe.) Sie mußten auf der<br />

Straße ihre schwarzen Samtwesten ausziehen und abgeben. Es bedurfte des Eingreifens des<br />

Bischöflichen Ordinariats in Rottenburg und des Oberstaatsanwaltes be<strong>im</strong> Landgericht<br />

Ellwangen, daß die Rückgabe der Kleidungsstücke für den 5. Oktober 1935 vom Staatsanwalt<br />

in Aussicht gestellt wurde.<br />

Die »Galgenaktion« - eine öffentliche Gotteslästerung<br />

Eine besonders häßliche Aktion führte die HJ in der Nacht vom 9. auf den 10. April 1934 in der<br />

ganzen Stadt durch: Überall, an Türen und Fensterläden, an Mauern und Wänden, auf geteerten<br />

Gehwegen und auf Straßen und Plätzen waren mit roter Farbe oder weißer Kreide Galgen<br />

gemalt, an denen das Christus-Monogramm hing. Allein in der Adolf-Hitler-Straße waren es<br />

32, in der Stadt etwa 80, manche über 2 Meter hoch.<br />

Der Kreisleiter sprach von einem Jungenstreich. Ich sah es in den Predigten am darauffolgenden<br />

Sonntag etwas anders. Die ganze Stadt war durch diese Schmieraktion aufs höchste<br />

aufgebracht.<br />

Ich erklärte zuerst das Christusmonogramm XP (= griechische Buchstaben Xi und Rho =<br />

Chr) als Abkürzung des Christusnamens und als in der Urkirche allgemein bekannt. Die<br />

Galgenstrafe sei eine besonders sch<strong>im</strong>pfliche Strafe für gemeine Verbrechen. So mußten also<br />

diese Malereien gedeutet werden: Christus gehört an den Galgen, Christus ist ein Verbrecher!<br />

Man könne diese Schmierereien, sagte ich weiter, aber auch so deuten: »Diejenigen, die das<br />

Christuszeichen tragen - unsere katholische organisierte Jugend - gehört an den Galgen. Dann<br />

muß ich ausdrücklich erklären: Dann gehören wir alle an den Galgen, dann hängt auch mich an<br />

den Galgen! Wir sind gezeichnet durch Christus in der Taufe.«<br />

Wenn ich die Schmierereien ganz objektiv in ihrer Aussage betrachte, dann ist tatsächlich<br />

diese Galgenaktion eine furchtbare Gotteslästerung gerade in der Stadt Ellwangen, die doch ihre<br />

Gründung und ihre Blüte Christus verdankt und die das Grab eines Heiligen (P. Philipp<br />

Jeningen SJ) in ihren Mauern birgt.<br />

Als »Anrwort« bat ich die Gemeinde, am Fronleichnamsfest die Stadt, besonders die<br />

Straßen und Plätze, über die die Prozession führte, zu schmücken und durch unsere ganze<br />

Haltung die Prozession zu einem lebendigen Christusbekenntnis zu machen. Schon anläßLich<br />

des kommenden Herz-jesc-Freirags sollten wir die Heilige Stunde am Donnerstagabend<br />

miteinander <strong>im</strong> Geiste der Sühne für den Frevel vom 10. April 1934 halten.<br />

Caritasdirektor Dr. Johannes Straubinger, der am Montag, den 16. April 1934 nach<br />

Ellwangen kam und von der Predigt erfuhr, bat mich telefonisch, in die Marienpflege zu<br />

kommen und die Predigt mitzubringen. Sie wurde dort in die Schreibmaschine diktiert.<br />

Dr. Straubinger wollte sie sofort am anderen Tag nach Rottenburg bringen, weil er Gefahr in<br />

Verzug sah. Der Bischof selbst hat in einem Schreiben an den Klerus, in dem verschiedene<br />

Übergriffe gegenüber der <strong>Kirche</strong> zurückgewiesen wurden, auch meine Predigt erwähnt und sie<br />

voll und ganz gutgeheißen.


KIRCHENKAMPF IN ELLWANGEN 265<br />

Der Bürgermeister der Stadt Ellwangen reagierte auf seine An: Ich wurde auf den 17. April,<br />

vormittags acht Uhr, auf das Bürgermeisteramt bestellt. Die Aussprache mit Bürgermeister<br />

Kölle und seinem Adjutanten dauerte von neun bis dreiviertel elf. Kölle sah in der Predigt ein<br />

Politikum, was er durch die Tatsache zu beweisen suchte, daß ein Herr während der Predigt, die<br />

dre<strong>im</strong>al in gutbesuchten Gottesdiensten gehalten wurde, die <strong>Kirche</strong> verlassen habe. Weiterhin<br />

sei die Äußerung gefallen: »Kaplan Renz hat's denen gesagt.«<br />

In Wirklichkeit zeigte die Reaktion in der Stadt, daß das religiöse Empfinden der Gläubigen<br />

aufs tiefste verletzt worden war. In der Sitzung des Gemeinderats am 17. April nahm der<br />

Bürgermeister laut Pressebericht der Nationalzeitung vom 18. April 1934 folgendermaßen<br />

Stellung:<br />

Zum Schluß hat sich der Gemeinderat noch mit einer Frage zu beschäftigen, die rein politischen<br />

Charakter trägt. In den letzten Tagen wurden in der Stadt an verschiedenen Stellen die<br />

Abzeichen des kath. Jugendvereins Neudeutschland in nicht mißverständlicher Art publiziert,<br />

<strong>im</strong> Auftrag des Bürgermeisters aber durch das Stadtbauamt wieder entfernt. Herr Kaplan Renz<br />

hat sich bemüßigt gefühlt, daraus einen Angriff auf die christliche Religion konstruieren und<br />

damit einen Druck auf die Tränensäcke seiner Zuhörerschaft ausüben zu müssen. Der<br />

nationalsozialistische Gemeinderat stellt fest, daß essich bei der Sache lediglich um einen Kampf<br />

der Hitlerjugend, des Jugendverbandes der Deutschen, gegen den konfessionellen Jugendoerband<br />

Neudeutschland handelt, aber niemals um eine gegensätzliche Stellungnahme zur<br />

christlichen Religion. Ferner stellt er fest, daß es in unserem Staat nicht angängig ist, einen<br />

Schuljungenstreich zum Gegenstand einer religiösen Auseinandersetzung zu machen, am<br />

allerwenigsten von der Kanzel herab, zumal von den Jungen sicherlich kein einziger von der<br />

Herkunft, dem Sinn und der Bedeutung des genannten Symbols etwas weiß. Dernationalsozialistische<br />

Gemeinderat kann niemals zulassen, daß auf diese wenig anständige Art versucht wird,<br />

deutsche Volksgenossen gegen einander aufzuhetzen und dadurch unsern Kampf um die<br />

endgültige Volksgemeinschaft zu sabotieren. Herr Kaplan Renz möge versichert sein, daß er<br />

dereinst höchstens von ein paar »Unentuiegten •. als sog. Märtyrer bewundert werden wird.<br />

Endlich möge er nie vergessen, daß er es nächst seinem Schöpfer einer nationalsozialistischen<br />

Regierung zu danken hat, daß er überhaupt noch seinen Dienst an der Christenheit in deutschen<br />

Landen ausüben darf Statte er diesen Dank ab, indem er einsehen lernt, daß ein Nationalsozialist<br />

beides gleichzeitig sein kann: ein grundanständiger Kerl und ein guter Christ.<br />

Gefahr für Leib und Leben<br />

Auf den folgenden Donnerstag braute sich etwas zusammen: In der SS-Kaserne wurde für den<br />

Donnerstagnachmittag Ausgangssperre angesetzt. Es gab Gerüchte, nach denen ich während<br />

der Sühneandacht aus der <strong>Kirche</strong> geholt und auf dem Stiftsplatz gelyncht werden sollte. Darum<br />

rieten mir die priesterlichen Mitbrüder dringend, am Donnerstagnachmittag Ellwangen zu<br />

verlassen. Als mich Architekt Gauckler eine halbe Stunde vor Beginn der Andacht mit dem<br />

Auto nach Schwäbisch Gmünd brachte, marschierte eben die Musikkapelle der SS-Garnison auf<br />

dem Stiftsplatz auf, vermutlich, um die Bevölkerung vom Besuch der Andacht abzuhalten. Als<br />

ich am späten Abend von Gmünd aus Kaplan Zörlein über den Verlauf des Abends in Ellwangen<br />

befragte, berichtete er, daß kurz nach dem Aufmarsch der Musikkapelle ein heftiges Gewitter<br />

mit wolkenbruchartigem Regen ausbrach, so daß die Musikkapelle sofort ihre Instrumente<br />

einpacken mußte, um eiligst in die Kaserne zurückzukehren. Die Heilige Stunde sei sehr gut<br />

besucht gewesen. Nach Einbruch der Dunkelheit habe eine SS-Formation mit aufgepflanztem<br />

Bajonett unter Voraustritt der Musikkapelle und mit Fackelträgern einen Demonstrationsmarsch<br />

durch die ganze Stadt veranstaltet.


266 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

Ich übernachtete in Schwäbisch Gmünd und fuhr anderntags nach Rottenburg. um dort zu<br />

berichten und mit den zuständigen Herren das weitere Verhalten zu besprechen, wie ich es in<br />

schwierigen Situationen zu tun pflegte.<br />

Die Bespitzelungen durch Partei, H] und Gestapo gingen weiter, vor allem die]ugendarbeit<br />

und Predigttätigkeit wurden scharf überwacht. Ich selbst wurde eigens einem Mitarbeiter der<br />

Gestapo, der eifrig die Gottesdienste besuchte und über die Predigten an die Gestapo<br />

berichtete, ••anvertraute. Er verstand meine Predigten gut, so daß er etwa aus einer Predigt über<br />

den Antichrist der Gestapo berichtete, ich hätte Adolf Hider den Antichrist genannt. Ich<br />

antwortete dem Gestapobeamten. daß ich den Namen Adolf Hider überhaupt nicht in der<br />

Predigt genannt habe. Der Kr<strong>im</strong>inalkommissar berief sich darauf, daß der Bericht über die<br />

Predigt von einem Akademiker stamme, der meine Predigt wohl zu verstehen und zu beurteilen<br />

wüßte. Ich machte den Vorschlag, er möge diesen Berichterstatter und mich zusammen auf sein<br />

Amt bestellen, damit wir uns in seiner Gegenwart miteinander über die Predigt unterhalten<br />

könnten. Selbstverständlich wollte der Kommissar darauf nicht eingehen, weil er seinen<br />

Mitarbeiter nicht verraten wollte; er fragte mich vielmehr, ob ich ein Manuskript der Predigt<br />

hätte und auf sein Amt bringen könne. Ich holte das Manuskript <strong>im</strong> benachbarten Kaplaneihaus<br />

und brachte es aufs Amt. Dort las ich die einschlägigen Stellen vor, worauf der Gestapobeamte<br />

mich bat, ihm das Manuskript zu überlassen. Das lehnte ich aber mit der Begründung ab, dann<br />

hätte ich ja gar kein Beweismittel mehr in der Hand; außerdem sei die Predigt in Gabelsberger<br />

Stenographie geschrieben, die veraltet sei. Herr Hilzinger sagte, sie hätten auch Mitarbeiter, die<br />

diese Schrift beherrschten, und bat mich nochmals dringendst in meinem eigenen Interesse, ihm<br />

die Predigt zu geben. Schließlich gab er mir das Ehrenwort, daß ich noch am selben Abend die<br />

Predigt in meinem Briefkasten finden werde. Jetzt konnte ich nachgeben. Ich sagte: »Herr<br />

Hilzinger, wenn Sie, ein deutscher Mann, mir das Ehrenwort geben, dann weiß ich, daß ich die<br />

Predigt heute abend wieder zurückerhalte.« Am übernächsten Tag fand ich die Predigt<br />

tatsächlich in meinem Briefkasten.<br />

Die Vorladungen zur Gestapo horten nicht auf. Die Predigten waren aktuell, weil ich mich<br />

an den guten Rat von] ugendpräses Ludwig Wolker hielt, der uns in Exerzitien die Weisung gab,<br />

bei der Vorbereitung der Predigt <strong>im</strong>mer die Tageszeitung und die Heilige Schrift zur Hand zu<br />

haben.<br />

Schließlich kam es zum letzten Verhör am 3. Februar 1942. Herr Hilzinger empfing mich<br />

lächelnd mit der Bemerkung, , daß wir schon lange nicht mehr beisammen gewesen seien; dafür<br />

sei es diesmal ernst, es gehe um drei Predigten in der Weihnachtszeit. Natürlich hatte ich über<br />

Herodes und seine Untaten gepredigt und wieder Adolf Hitler gemeint und ähnliches. Einige<br />

Leute, gute Katholiken, hätten sich über die Weihnachtspredigten geärgert. Ich entgegnete ihm,<br />

daß sich viele Gläubige über die gleiche Predigt gefreut hätten und daß mich eine Mutter gebeten<br />

habe, ihr die Weihnachtspredigt zu überlassen, damit sie sie abschreiben und ihren Söhnen als<br />

Trost und Stärkung ins Feld schicken könne. Wir sprachen längere Zeit über die Predigten;<br />

Hilzinger wies darauf hin, daß die Gestapo-Hauptleitstelle in Stuttgart der Auffassung sei, daß<br />

das Akrenbündel. das gegen mich spreche, allmählich so schwer geworden sei, daß man<br />

annehmen müsse, daß doch mehr dahinterstecke, wenn ich mich auch <strong>im</strong>mer gut zu verteidigen<br />

wüßte. Darum müsse eben einmal ein Knopf gemacht werden. Er, Hilzinger, werde über die<br />

heutige Vorladung und Aussprache nach Stuttgart berichten und mich wieder vorladen, wenn<br />

die Entscheidung vorliege. Dies war nach einigen Wochen der Fall. Die Entscheidung von<br />

Stuttgart lautete wie angedeutet: Es lägen jetzt so viele Anklagen vor, daß man nicht weiter<br />

zusehen könne. Ich müßte zur Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme durch Unterschrift<br />

bestätigen, daß, wenn noch eine Anzeige gegen mich erfolge, ich mit den schärfsten staatspolizeilichen<br />

Maßnahmen zu rechnen hätte. Hilzinger bemerkte dazu: "Sie wissen, was das heißt« j<br />

ich antwortete: "Das müssen Siemir sagen.« Hilzinger: »Redeverbot und Konzentrationslager,


KIRCHENKAMPF IN ELLWANGEN 267<br />

wissen Sie es jetzt?« Ich mußte unterschreiben, daß ich diese Entscheidung erhalten hätte, fügte<br />

aber hinzu, daß eine solche Entscheidung mit deutscher Rechtssprechung nichts mehr zu tun<br />

habe, wenn ein Urteil nur auf Grund des Papiergewichts der Anklagen gefällt werde. Ich hoffe<br />

aber, daß nach einem solchen Urteil der Herrgott mir die Kraft geben werde, auch KZ-Haft<br />

durchzustehen.<br />

Diese letzte Anzeige kam erst, nachdem die Ellwanger Gestapostelle nach Polen verlegt<br />

worden war. Ich wurde von Herrn Ihle, dem Ellwanger Polizeichef geladen, der sagte, er<br />

müsse mich <strong>im</strong> Auftrag der Politischen Polizei verhören. Er ließ mich Platz nehmen, entfaltete<br />

das Dokument, legte es so auf den Tisch, daß ich leicht Einsicht nehmen konnte. Dann entfernte<br />

er sich mit dem Bemerken, er müsse noch ein Telefongespräch führen. Ich verstand die<br />

Einladung des Polizeichefs, begnügte mich aber damit festzustellen, daß Kölle die Anzeige<br />

unterschrieben hatte. Herr Ihle verlas die Anzeige, auf der genau Tag, Stunde und Minute<br />

festgehalten waren, wo ich mich wann und wie lange <strong>im</strong> Hause Bruder, Textilgeschäft in<br />

Ellwangen, aufgehalten habe und wie lange zur gleichen Zeit ein anderer Geistlicher, offenbar<br />

vom Ordinariat Rottenburg, sich ebenfalls in diesem Haus aufhielt. Der Tatbestand war: Frau<br />

Bruder hatte eine alleinstehende alte Verwandte, die pflegebedürftig war, in ihr Haus<br />

aufgenommen. Ich hatte diese Kranke seelsorgerlieh bis zu ihrem Tode betreut. Als mir Frau<br />

Bruder telefonisch mitteilte, daß die Frau <strong>im</strong> Sterben liege, suchte ich die Familie auf. Bei diesem<br />

Besuch wurde auch die Beerdigung besprochen. Der Geistliche, der auch zur Beerdigung<br />

gekommen war, war ein Verwandter von Frau Bruder.<br />

Herr Ihle nahm dies alles protokollarisch zur Kenntnis, verabschiedete mich und verhehlte<br />

<strong>im</strong> Gesichtsausdruck nicht, was er von einer solch schäbigen Anzeige hielt, die schließlich auch<br />

nicht zu dem vom Kreisleiter ersehnten Ziel führte.<br />

Nicht alle Verhöre verliefen so einfach, denn man war ja der Willkür des Reg<strong>im</strong>es<br />

ausgeliefert. Ellwangen hat dafür ein furchtbares Beispiel erlebt: Der Kunstmaler Max Reeb<br />

hatte in einer Nachbarfamilie, wo die Hausfrau verunglückt war, Beistand geleistet. Die<br />

verunglückte Frau empfing ihn mit der glücklichen Äußerung, daß nun auch die Italiener unter<br />

Führung von Mussolini in den Krieg eingetreten seien. Max Reeb bemerkte dazu: »Mit denen<br />

haben wir schon einmal einen Krieg verloren«. Der Ehemann der Verunglückten, dem Siediese<br />

Äußerung erzählte, berichtete sie weiter an den Kreisleiter. Max Reeb wurde verhaftet und kam<br />

vor das Sondergericht in Stuttgart. Nach vierzehntägiger Untersuchungshaft wurde er freigesprochen<br />

und kam ganz glücklich nach Hause. Aber nach weiteren zwei Wochen wurde er ohne<br />

Gerichtsurteil von der Politischen Polizei verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau<br />

eingeliefert. Von dort erhielt Frau Reeb die Mitteilung vom Tode ihres Mannes. Diese Tat und<br />

ähnliche Willkürakte lagen wie eine schwere Last auf der Stadt.<br />

"Allein den Betern kann es noch gelingen•.<br />

Dazu kam die katastrophale militärische Lage. In Ellwangen gab es fünf Militarlazarette,<br />

weswegen sich der Leitende Arzt bemühte, daß Ellwangen zur »Offenen Stadt- erklärt werde.<br />

Die Partei und die SS dagegen suchten der Stadt das Gesicht einer Festung zu geben. Die SS-<br />

Verbände, die sich auf dem Rückzug vom Osten befanden, wurden in Ellwangen zu einer<br />

Igelstellung konzentriert, Panzersperren wurden gebaut und andere militärische Vorbereitungen<br />

getroffen. Ellwangen war in höchster Gefahr.<br />

Am Ostermontag 1945 kam eine Gruppe Jugendlicher ins Kaplaneihaus mit der Frage:<br />

"Können wir nichts run?« Und sie erzählten auch, daß einige Frauen den Plan hätten, eine<br />

Novene auf dem Schönenberg zu halten. Auch ich hielt das Gebet für das einzige, was wir zur<br />

Rettung der Stadt tun könnten, und wir beschlossen, am Ostermontag abends mit dieser


268 <strong>RUDOLF</strong> <strong>RENZ</strong><br />

Novene zu beginnen und jedermann dazu einzuladen. Am Ostermontag waren die Gnadenkapelle<br />

und die St. Anna-Kapelle mit Betern gefüllt. Ich übernahm das Vorbeten und die<br />

Gestaltung der Betstunden, die vom Ostermontag an jeden Tag be<strong>im</strong> Bußkreuz ihren Anfang<br />

nahmen und, selbstverständlich nicht in geschlossener Prozession, in der Schönenbergkirche<br />

endeten. Obwohl das Kriegsgeschehen <strong>im</strong>mer näher kam und Tiefflieger Ellwangen und den<br />

Schönenberg umkreisten, wurden die Teilnehmer <strong>im</strong>mer zahlreicher und das Beten <strong>im</strong>mer<br />

inniger und selbstloser. Als sich die Novene dem Ende näherte, meinten die Teilnehmer, man<br />

sollte doch ein Gelübde zur Rettung der Stadt machen, wie dies etwa in früheren Zeiten die<br />

Oberammergauer und andere Dörfer und Städte in Kriegszeiten getan hätten. Wir haben aber<br />

dann das einfache Versprechen abgelegt, nach Kriegsende fünf Jahre die gleiche Novene vom<br />

Ostermontag an zu halten und in zwanzig weiteren Jahren an jedem Ostermontag eine<br />

Wallfahrt auf den Schönenberg als Dank für die Hilfe. Am letzten Tag der Novene wurde mir<br />

zur Schlußandacht ein Kreuz übergeben, das nach alter Überlieferung als das Kreuz des Guten<br />

Pater Philipp Jenningen angesehen wurde und das man zu Schwerkranken und Sterbenden zu<br />

tragen pflegte. Es war ein tröstliches Zeugnis, daß auch der große Wohltäter Ellwangens uns mit<br />

seiner Fürsprache beistehen würde, und so kam es auch: Am 21. April 1945 brach über<br />

Ellwangen eine unhe<strong>im</strong>liche Finsternis herein, und dann entlud sich über der Stadt ein<br />

Gewitter, wie es die meisten noch nicht erlebt hatten. Das fürchterliche Unwetter war die<br />

Rettung für die Stadt. Der amerikanische Major, der mit seinen Truppen in Ellwangen<br />

einmarschierte, erzählte seinen Quartierleuten, daß auf diesen Samstagabend ein großer<br />

Luftangriff auf Ellwangen angesetzt war, unter dem wohl Ellwangen, wie andere Städte, in<br />

Trümmer gesunken wäre. Wegen des Gewitters habe der Luftangriff der Amerikaner aber<br />

unterbleiben müssen, und er wurde auch nicht nachgeholt. Wir waren alle davon überzeugt und<br />

sind es auch heute noch, daß hier tatsächlich Gottes gütige Allmacht eingegriffen hat und unser<br />

Beten nicht umsonst war.<br />

Es drängt mich, hier eine Anregung einzufügen, die <strong>im</strong>mer wieder geäußert wird: Könnte<br />

nicht dieses große Ereignis der Rettung der Stadt Ellwangen durch ein Gewitter in einem noch<br />

freien Wandfeld über den Galerien in der Schönenbergkirche festgehalten werden? Es war doch<br />

ein wunderbarer Beweis der Göttlichen Liebe und Allmacht auf die Fürsprache der Gottesmutter,<br />

Unserer Lieben Frau vom Schönenberg.<br />

Eine merkwürdige Fügung führte mich nochmals zu einer Begegnung mit Kreisleiter Kölle.<br />

Es herrschte für die deutsche Bevölkerung noch nächtliches Ausgehverbot. Da ich aber ständig<br />

zwischen der Marienpflege und dem Kaplaneihaus in der Priestergasse pendelte, hatte ich<br />

hierfür einen Ausweis von der amerikanischen Militärregierung.<br />

Eines Nachts wurde ich von einem amerikanischen Posten angehalten und zum Rathaus<br />

gebracht. Dort fragte mich ein anderer Posten, der etwas mehr Deutsch verstand, ob ich<br />

katholischer Priester sei. Als ich das bejahte und angab, schon zwölf Jahre hier zu sein, bat er<br />

mich, zu einer Identifizierung in das Rathaus zu kommen. Dort wurde mir eine jämmerliche<br />

Gestalt mit eingefallenem Gesicht vorgeführt, die ich erst erkannte, als sie mit rau her St<strong>im</strong>me<br />

sagte: »Siekennen mich doch!« Er hatte sich den Amerikanern gegenüber als Bürgermeister der<br />

Stadt Ellwangen ausgegeben. Ich mußte aber richtigstelIen, daß er schon lange nicht mehr<br />

Bürgermeister sei, sondern Kreisleiter der NSDAP. Dies sagte ich den Amerikanern wohl<br />

wissend, daß sie nicht verstehen würden, was dieses NSDAP bedeute. Aber es war mir be<strong>im</strong><br />

Anblick dieser armseligen Gestalt einfach nicht möglich zu bezeugen, daß er der schl<strong>im</strong>mste<br />

und maßgebliche Nazi in der Stadt gewesen war. Andererseits durfte man aber den auf Hinweis<br />

aus der Ellwanger Bevölkerung von der amerikanischen Militärpolizei festgenommenen<br />

Radfahrer, der sich als einfacher Volkssturmmann Adolf Kölle auswies, auch nicht wieder<br />

entkommen lassen. Aus meiner Verlegenheit half mir dann der Leiter der Deutschen Hilfspolizei,<br />

der auch zur Identifikation geholt worden war, der kurz und bündig sagte: »Einsperren!«


Inhalt<br />

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Verzeichnis der Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

Rudo/f Reinhardt<br />

Geleitwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

I. AUFSÄTZE<br />

Ulrich von Hehl<br />

<strong>Kirche</strong> und <strong>Nationalsozialismus</strong>. Ein Forschungsbericht 11<br />

Dieter Albrecht<br />

Der Vatikan und das Dritte Reich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Ra<strong>im</strong>und Baumgärtner<br />

Die Weltanschauung des <strong>Nationalsozialismus</strong> 45<br />

Klaus Volkmann<br />

Recht und Rechtspflege <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

Erich Strassner<br />

Sprache <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77<br />

Alois Keck<br />

Anpassung und Widerstand in der kirchlichen Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />

Max Tauch<br />

Kirchliche Kunst und Widerstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />

Thomas Schnabel<br />

Das Wahlverhalten der Katholiken in Württemberg 1928-1933. . . . . . . . . . .. 103<br />

Paul Kopf<br />

Das Bischöfliche Ordinariat und der <strong>Nationalsozialismus</strong> . . . . . . . . . . . . . .. 115<br />

Hans Kreidler<br />

Karl Adam und der <strong>Nationalsozialismus</strong> 129<br />

Joach<strong>im</strong> Köhler<br />

Katholische Aktion und politischer Katholizismus in der Endphase<br />

der We<strong>im</strong>arer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 141


11. ZEITGENOSSEN BERICHTEN<br />

Anton Huber<br />

Über den politischen Katholizismus 155<br />

111. QUELLEN<br />

Die Predigt <strong>im</strong> Dritten Reich<br />

Hermann Tüchle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 161<br />

Albert Manz-Eugen Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 165<br />

Bembard H anssler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169<br />

IV. MISZELLEN<br />

Winfried Löffler<br />

Das Ende einer Legende - hoffentlich. Staatspräsident Dr. Eugen Bolz blieb 1933<br />

Ehrenbürger der Bischofsstadt Rottenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181<br />

Rudolf Reinhardt<br />

Die Christlichen Gewerkschaften und der <strong>Nationalsozialismus</strong>. Bemerkungen<br />

aus Anlaß einer Neuerscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 187<br />

V. ARBEITSBERICHTE<br />

Karl-Heinz Wiest<br />

.Der Stellvertreter- - Ein Stück und seine Wirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203<br />

VI. DIE BASIS DER KIRCHE ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND<br />

Ra<strong>im</strong>und Baumgärtner<br />

Forschungslücken in der kirchlichen Zeitgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249<br />

Rudolf Renz<br />

<strong>Kirche</strong>nkampf in Ellwangen. Bericht eines Zeitgenossen. . . . . . . . . . . . . . .. 255<br />

Karl Wöhr<br />

Erinnerungen der Generaloberin der St.-Anna-Schwestern, Kreszentia Harder,<br />

an die Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Bürgermeister und<br />

Kreisleiter Adolf Kölle in Ellwangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269<br />

VII. VORGÄNGE VOR ORT<br />

Paul Kopf<br />

Buchau am Federsee in nationalsozialistischer Zeit. Die Ereignisse der Jahre 1934<br />

bis 1938 273<br />

Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 293

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!