U. Schultz: Richelieu. Der Kardinal des Königs 2009 ... - H-Soz-u-Kult
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U. <strong>Schultz</strong>: <strong>Richelieu</strong>. <strong>Der</strong> <strong>Kardinal</strong> <strong>des</strong> <strong>Königs</strong> <strong>2009</strong>-2-238<br />
<strong>Schultz</strong>, Uwe: <strong>Richelieu</strong>. <strong>Der</strong> <strong>Kardinal</strong> <strong>des</strong> <strong>Königs</strong>.<br />
Eine Biographie. München: C.H. Beck Verlag<br />
<strong>2009</strong>. ISBN: 978-3-406-58358-2; 350 S.<br />
Rezensiert von: Anuschka Tischer, Philipps-<br />
Universität Marburg<br />
Die neu erschienene <strong>Richelieu</strong>-Biographie<br />
von Uwe <strong>Schultz</strong> erschließt keine neuen Quellen,<br />
sondern ist aus der Literatur und aus bekannten<br />
älteren Quellenpublikationen gearbeitet.<br />
Das muss grundsätzlich kein Nachteil<br />
sein: Aktuelle deutschsprachige <strong>Richelieu</strong>-<br />
Biographien sind – anders als englische oder<br />
französische – rar. Dabei liefert die <strong>Richelieu</strong>-<br />
Forschung gerade auch in Deutschland ständig<br />
neue Ergebnisse zu unterschiedlichen<br />
Aspekten von Leben und Werk <strong>des</strong> <strong>Kardinal</strong>s,<br />
der von 1624 bis zu seinem Tod 1642<br />
führender Minister Ludwigs XIII. von Frankreich<br />
war. Eine Synthese der Forschung zu einer<br />
<strong>Richelieu</strong>-Biographie für Historiker ebenso<br />
wie für ein breiteres Publikum ist also<br />
durchaus ein Desiderat. Diese Lücke allerdings<br />
schließt <strong>Schultz</strong> nicht.<br />
<strong>Schultz</strong> zeichnet den Weg seines Protagonisten<br />
in 17 Kapiteln „aus der Tiefe <strong>des</strong> ländlichen<br />
Adels“ (S. 10), über die „Sümpfe <strong>des</strong><br />
Poitou“ (S. 29) zum „Favoriten der Königinmutter“<br />
(S. 51) und nach einem „Abgrund <strong>des</strong><br />
Selbstzweifels“ (S. 98) schließlich „in Etappen<br />
zur Macht“ (S. 118). Diese Kapitelüberschriften<br />
geben bereits einen Einblick in die gesamte<br />
Darstellung, die in einem gut lesbaren, lebhaften<br />
und farbigen Stil, allerdings ohne klares<br />
Konzept erfolgt. Sie ist weder stringent auf<br />
die Persönlichkeit <strong>Richelieu</strong>s, noch auf seine<br />
Politik oder auf ein exemplarisches Lebensbild<br />
der Zeit ausgerichtet. So folgt der Leser<br />
in dem „<strong>Der</strong> konsequente Krieg“ übertitelten<br />
Kapitel über die französische Kriegserklärung<br />
gegen Spanien von 1635 (S. 252-<br />
270) einem verschlungenen Erzählstrang, der<br />
von einer vermeintlichen Tradition französischer<br />
Expansionspolitik ausgeht und in <strong>des</strong>sen<br />
Verlauf der Kurfürst von Trier, Lothringen,<br />
Ludwigs XIII. Bruder Gaston d’Orléans,<br />
aber auch Wallenstein, der Hexenprozess von<br />
Loudon gegen Urbain Grandier und innerfranzösische<br />
Steuerrevolten erwähnt werden,<br />
bevor endlich der französische Herold mit der<br />
Kriegserklärung Brüssel erreicht. <strong>Der</strong> Leser<br />
muss sich angesichts fehlender Gliederungsebenen<br />
auf die so ständig neu angeschnittenen<br />
Themenfelder einlassen, ohne dass sich<br />
daraus eine klare Argumentation ergibt. Im<br />
skizzierten Kapitel erscheint der Krieg Frankreichs<br />
gegen Spanien und namentlich <strong>Richelieu</strong>s<br />
Entscheidung für diesen Krieg als „konsequent“<br />
nur <strong>des</strong>halb, weil damit der behauptete<br />
„expansive Drang Frankreichs, sein Territorium<br />
nach Nordosten auszudehnen“ (S.<br />
252), in eine postulierte Linie von Franz I.<br />
bis zu Ludwig XIII. und <strong>Richelieu</strong> gestellt<br />
wird. Dies vermag schon von der inneren Argumentation<br />
her nicht zu überzeugen, ganz<br />
zu schweigen davon, dass diese Darstellung<br />
wissenschaftlich unhaltbar ist: Nicht nur die<br />
langfristige Politik Frankreichs, sondern auch<br />
die Ereignisse und die Entscheidungsfindung<br />
vor der Kriegserklärung, die seit Jahrzehnten<br />
von der Forschung aufgearbeitet werden 1 ,<br />
waren wesentlich komplexer und führten keineswegs<br />
konsequent zum Krieg hin.<br />
Ein Blick in die Anmerkungen und die –<br />
mit 41 Titeln allerdings recht knappe – Bibliographie<br />
zeigt, dass <strong>Schultz</strong> mit aktueller, insbesondere<br />
französischsprachiger Forschungsliteratur<br />
vertraut ist. Die Darstellung selbst<br />
zeugt von durchaus profundem Hintergrundwissen.<br />
Doch anekdotenhafte ältere Literatur<br />
benutzt der Autor gleichrangig neben neuer<br />
Forschung. Immer wieder bedient er aus<br />
den Quellen längst widerlegte Klischees, oft<br />
gestützt auf die Historiettes <strong>des</strong> Tallemant<br />
<strong>des</strong> Réaux, die eher als kritisches Sittengemälde<br />
eines Zeitgenossen zu verstehen sind<br />
denn als faktengenaue Darstellung – und dies<br />
obwohl <strong>Schultz</strong> selbst Tallemant <strong>des</strong> Réaux<br />
durchaus präzise als „gern Gerüchten Raum<br />
1 Hier sind vor allem zu nennen: Hermann Weber,<br />
Frankreich, Kurtrier, der Rhein und das Reich 1623-<br />
1635, Bonn 1969; <strong>Der</strong>s., Vom verdeckten zum offenen<br />
Krieg. <strong>Richelieu</strong>s Kriegsgründe und Kriegsziele<br />
1634/35, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik<br />
1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven,<br />
München 1988, S. 203-217; <strong>Der</strong>s., Zur Legitimation<br />
der französischen Kriegserklärung von 1635, in:<br />
Historisches Jahrbuch 108 (1988), S. 90-113; <strong>Der</strong>s., Une<br />
paix sûre et prompte. Die Friedenspolitik <strong>Richelieu</strong>s,<br />
in Heinz Duchhardt (Hrsg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung<br />
in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln<br />
1991, S. 111-129 sowie: Anja Victorine Hartmann, Von<br />
Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen<br />
zwischen dem französischen König und dem<br />
Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630)<br />
bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember<br />
1641), Münster 1998.<br />
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gebenden Chronisten“ einschätzt (S. 152). So<br />
ist eine <strong>Richelieu</strong>-Biographie entstanden, die<br />
das überholte Bild vom skrupellosen sozialen<br />
Aufsteiger und Machtmenschen bedient, der<br />
Frankreich in die territoriale Expansion und<br />
den Kampf um die politische Dominanz geführt<br />
habe. Literatur und Anmerkungen dienen<br />
dabei vor allem als Steinbruch für Zitate,<br />
die dieses Bild bestätigen sollen, obwohl<br />
die neuere Literatur ein anderes Bild bietet.<br />
Mitunter gleitet der Autor auch völlig in eine<br />
rein aus der Imagination geschöpfte romanhafte<br />
Darstellung ab.<br />
Das letzte Kapitel widmet sich dem „Nachleben“<br />
<strong>des</strong> <strong>Kardinal</strong>s (S. 315-317). Darunter<br />
ist allerdings nicht jenes Spannungsfeld<br />
zwischen einer bis heute nachwirkenden<br />
Selbstinszenierung <strong>Richelieu</strong>s und seiner<br />
Darstellung durch Zeitgenossen, spätere<br />
historische Romane, Historienmalerei etc.<br />
zu verstehen, das die historische Person <strong>Richelieu</strong><br />
so schwer greifbar macht 2 . „Nachleben“<br />
meint hier die konkrete politische Folgewirkung<br />
<strong>des</strong> <strong>Kardinal</strong>premiers, seine Rolle<br />
als „Gestalter und Gefangener der absoluten<br />
Monarchie“. Die unterschiedlichen Bewertungen<br />
der Nachwelt erscheinen somit in<br />
letzter Konsequenz nur als unterschiedliche<br />
Bewertungen eines vermeintlich von ihm geschaffenen<br />
politischen Systems, nicht als Diskrepanzen<br />
zwischen unterschiedlichen Inszenierungsmodellen<br />
und Quellenaussagen.<br />
Den an einer deutschsprachigen <strong>Richelieu</strong>-<br />
Biographie Interessierten seien nach wie vor<br />
die bisherigen älteren Publikationen, darunter<br />
die ins Deutsche übersetzten Biographien<br />
von Philippe Erlanger oder von Daniel Patrick<br />
O’Connell, empfohlen. Auch wenn sie<br />
einige Jahrzehnte älter sind als die Neuerscheinung<br />
von <strong>Schultz</strong>, bieten sie bereits ein<br />
wesentlich aktuelleres Bild.<br />
HistLit <strong>2009</strong>-2-238 / Anuschka Tischer über<br />
<strong>Schultz</strong>, Uwe: <strong>Richelieu</strong>. <strong>Der</strong> <strong>Kardinal</strong> <strong>des</strong> <strong>Königs</strong>.<br />
Eine Biographie. München <strong>2009</strong>, in: H-<br />
<strong>Soz</strong>-u-<strong>Kult</strong> 30.06.<strong>2009</strong>.<br />
2 Siehe dazu besonders den Ausstellungskatalog: Hilliard<br />
Todd Goldfarb (Hrsg.), <strong>Richelieu</strong>, 1585-1642. Kunst,<br />
Macht und Politik. Ghent 2002.<br />
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