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PDF, 206KB - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und ...

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Hans-Peter Weinheimer<br />

Tokio, 20. März 1995<br />

W » ir waren genau vor dem Eingang<br />

des Ministeriums <strong>für</strong> Handel <strong>und</strong> Industrie.<br />

Menschen lagen mit Schaum vor<br />

dem M<strong>und</strong> am Boden. Auf dieser Seite der<br />

Straße hatte man eine Szene wie aus der<br />

Hölle vor sich, doch auf der anderen Seite<br />

gingen die Leute zur Arbeit, als wäre nichts<br />

geschehen.Wenn ich, während ich jemand<br />

versorgte, mal einen Blick nach drüben<br />

warf, sah ich, dass die Passanten herüberschauten<br />

<strong>und</strong> sich zu fragen schienen, was<br />

los sei, aber niemand ergriff die Initiative<br />

<strong>und</strong> überquerte die Straße. Als gehörten<br />

sie einer völlig getrennten Welt an. Alle gingen<br />

weiter, als gingen wir sie nichts an.<br />

Ein paar Wachen vom Ministerium standen<br />

direkt vor unserer Nase. Drei sterbende<br />

Menschen lagen am Boden <strong>und</strong> warteten<br />

verzweifelt auf den Rettungswagen, der<br />

nicht kam. Lange Zeit nicht kam. Doch niemand<br />

von den Leuten aus dem Ministerium<br />

hat Hilfe geholt. Nicht einmal ein Taxi<br />

haben sie gerufen. Das Sarin wurde um<br />

8.10 Uhr freigesetzt, das heißt, es dauerte<br />

über anderthalb St<strong>und</strong>en, bis überhaupt<br />

ein Rettungswagen eintraf. Während dieser<br />

ganzen Zeit haben diese Leute uns<br />

selbst überlassen.«<br />

Dies ist ein Zitat aus dem Buch »Untergr<strong>und</strong>krieg<br />

– Der Anschlag von Tokyo« des<br />

japanischen Schriftstellers Haruki Murakami.<br />

In einem Interview beschreibt hier eine<br />

junge Frau ihre Eindrücke aus dem unmittelbaren<br />

Erleben dieses furchtbaren Ereignisses.<br />

In diesem Buch gibt der Autor seine<br />

Gespräche sowohl mit den Opfern als<br />

auch mit den Tätern wieder. Das Ergebnis<br />

ist eine ebenso beeindruckende, wie erschütternde<br />

Analyse des Anschlags mit<br />

dem Nervenkampfstoff Sarin in der Tokioer<br />

U-Bahn im März 1995. Ein Attentat, das<br />

eine völlig neue Dimension terroristischer<br />

Taten darstellte. Es traf auf eine Öffentlich-<br />

Überlebende des Sarin-Anschlags durch Mitglieder<br />

der AUM-Sekte in der Tokioter U-Bahn im Jahr 1995.<br />

Foto: dpa<br />

EUROPÄISCHE SICHERHEIT 8/2010


Risikokommunikation<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> einen modernen <strong>Bevölkerungsschutz</strong> im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Anschlag in London im Jahr 2005. Foto: AP<br />

keit, die bereits durch das Erdbeben von<br />

Kobe, bei dem nur zwei Monate zuvor mehr<br />

als 5.500 Menschen ihr Leben verloren<br />

hatten, zutiefst verunsichert worden war.<br />

Hinzu kamen in dieser Zeit zahlreiche politische<br />

Skandale <strong>und</strong> eine allgemeine<br />

ökonomische Stagnation. Also insgesamt<br />

Rahmenbedingungen, die in Verbindung<br />

mit diesem Anschlag die japanische Gesellschaft<br />

tief getroffen hatten. Eine Wirkung,<br />

die über viele Jahre Japan sowohl<br />

eine wirtschaftliche wie politische Krise<br />

bescherte.<br />

Mit Blick auf die Situation des japanischen<br />

Katastrophenschutzes zu dieser Zeit<br />

lässt sich feststellen: Dieser Anschlag, der<br />

von Mitgliedern der Aum-Sekte glücklicherweise<br />

höchst dilettantisch ausgeführt wurde,<br />

forderte gleichwohl zwölf Tote <strong>und</strong><br />

5.500 Verletzte. Er fand eine völlig unvorbereitete<br />

Bevölkerung vor <strong>und</strong> ihm stand<br />

ein Gefahrenabwehrsystem entgegen, das<br />

offenbar in keiner Weise auf eine solche Situation<br />

eingestellt war. Dies ist um so bemerkenswerter,<br />

wenn man sich vor Augen<br />

führt, dass bereits ein Jahr zuvor ein Sarin-Anschlag<br />

in der Stadt Matsumoto, mit<br />

sieben Toten <strong>und</strong> mehr als 300 Verletzten,<br />

stattgef<strong>und</strong>en hatte.<br />

Dieses Ereignis von Tokio, das weltweite<br />

Aufmerksamkeit erhielt, ist ein bedrückendes<br />

Beispiel <strong>für</strong> fehlende Kommunika-<br />

tion zwischen den zuständigen staatlichen<br />

Einrichtungen <strong>und</strong> den Bürgern. Darüber<br />

hinaus waren die offenk<strong>und</strong>igen Mängel in<br />

der Organisation des Katastrophenschutzes,<br />

insbesondere im Bereich des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes,<br />

nicht nur in Japan Anlass<br />

<strong>für</strong> ein Umdenken in der Frage, auf welche<br />

Szenarien sich ein staatliches Schutzsystem<br />

einstellen muss. Hierbei geriet nun<br />

auch die Rolle des einzelnen Bürgers <strong>und</strong><br />

seine Möglichkeiten schadensmindernd in<br />

einer solchen außergewöhnlichen Situation<br />

wirken zu können in den Fokus der<br />

Überlegungen.<br />

Ähnliche Erfahrungen, mit Blick auf die<br />

bürgerliche Selbsthilfe <strong>und</strong> die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft<br />

unter dem Eindruck »bedeutsamer« Katastrophen,<br />

hatte man sowohl beim Terroranschlag<br />

in London 2005 als auch in den<br />

USA beim Hurrikan Katrina gemacht. Im<br />

Ergebnis hat man darauf hin in beiden Ländern,<br />

sowohl Konzepte in Bezug auf den<br />

Bürger als Teil des Bewältigungspotenzials<br />

als auch in Hinblick auf gesellschaftliche<br />

Widerstandsfähigkeit (Resilienz) entwickelt.<br />

Wobei der Begriff »Resilienz« die<br />

generelle Widerstands- <strong>und</strong> Regenerationsfähigkeit<br />

von technischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Systemen oder ganz allgemein<br />

die Toleranz eines Systems gegenüber<br />

Störungen beinhaltet.<br />

Nationale Lagefeststellung<br />

Die Erfahrungen mit Großkatastrophen<br />

<strong>und</strong> terroristischen Anschlägen der letzten<br />

Jahre, aber auch der Blick auf künftig zu<br />

erwartende bedeutsame Gefahren- <strong>und</strong><br />

Schadenslagen führte <strong>und</strong> führt immer<br />

noch in vielen Ländern, so auch bei uns,<br />

zu einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Neubetrachtung<br />

der Ausgestaltung von Sicherheitsvorsorge.<br />

Gesellschaftliche Resilienz <strong>und</strong> die<br />

stärkere Inpflichtnahme des Bürgers als<br />

Teil des Gesamtbewältigungspotenzials<br />

sind hier zu vorrangigen Zielsetzungen<br />

staatlicher Weiterentwicklungsbemühungen<br />

geworden.<br />

In Deutschland haben die politisch Verantwortlichen<br />

in den Ressorts <strong>und</strong> in den<br />

nachgeordneten Behörden diese Zusammenhänge<br />

<strong>und</strong> Erfordernisse, auch gestützt<br />

durch entsprechende wissenschaftliche<br />

Aufarbeitung, durchaus erkannt.<br />

Gleichwohl haben diese Erkenntnisse <strong>und</strong><br />

ihre Niederlegung in entsprechenden Dokumenten<br />

einen sehr langen Weg hinter<br />

sich, <strong>und</strong> bezogen auf die Umsetzung, stehen<br />

wir erst am Beginn. Hier gilt es nun<br />

rasch <strong>und</strong> mit großer Konsequenz, das als<br />

richtig Erkannte, auch zu realisieren.<br />

Risiken<br />

Welches sind nun die Gefahren, die als<br />

anerkannte <strong>und</strong> bewertete Risiken staatliches<br />

Planen <strong>und</strong> Handeln, insbesondere mit<br />

Blick auf den »Schutzauftrag« gegenüber<br />

der Bevölkerung, maßgeblich bestimmen<br />

müssen? Der OECD-Bericht »Neue Risiken<br />

im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert« von 2003 nennt fünf<br />

große Risikobereiche: Naturkatastrophen,<br />

Technologie- bzw. Industrieunfälle, Infektionskrankheiten,<br />

Lebensmittelsicherheit <strong>und</strong><br />

Terrorismus. Dies korrespondiert im Wesentlichen<br />

auch mit den Feststellungen in<br />

den folgenden nationalen Dokumenten, die<br />

sich mit nationaler Sicherheitsvorsorge <strong>und</strong><br />

den Herausforderungen des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

befassen: das »Weißbuch« von 2006,<br />

das »Programm Innere Sicherheit – Fortschreibung<br />

2008/2009« der Innenministerkonferenz<br />

(IMK) <strong>und</strong> die »Strategie <strong>für</strong> einen<br />

modernen <strong>Bevölkerungsschutz</strong> in<br />

Deutschland« von 2009 des B<strong>und</strong>esministeriums<br />

des Innern (BMI). Darüber hinaus<br />

wurden in dem amerikanischen Report<br />

»World at Risk« von 2008 vor allem der Bio<strong>und</strong><br />

Nuklearterrorismus als vorrangige Risiken<br />

herausgestellt.<br />

Gerade in den letzten Monaten sind aus<br />

diesem umfangreichen Katalog zwei Gefahren<br />

in den Mittelpunkt der öffentlichen<br />

Wahrnehmung gerückt, die in ganz besonderer<br />

Weise das System <strong>Bevölkerungsschutz</strong><br />

bei ihrem Eintritt fordern würden.<br />

Zum einen die Gefährdung durch eine Pan-<br />

EUROPÄISCHE SICHERHEIT 8/2010 61


US-Präsident Obama beim Nuklearen Gipfel in Washington<br />

2010. Foto: Wordpress<br />

demie <strong>und</strong> zum anderen eine mögliche Bedrohung<br />

durch den Nuklearterrorismus.<br />

Beides Gefahren, die in einer Risikoanalyse<br />

bezogen auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

<strong>und</strong> ihr potenzielles Schadensausmaß<br />

zunehmend als hohe Risiken eingestuft<br />

werden müssen.<br />

Die Erfahrungen mit der so genannten<br />

Vogelgrippe (H5N1) 2006 <strong>und</strong> der pandemischen<br />

Influenza (H1N1) (»Schweinegrippe«)<br />

2009 haben gezeigt, dass insbesondere<br />

die Kommunikation zwischen den<br />

beteiligten Behörden <strong>und</strong> Organisationen<br />

<strong>und</strong> mit der Öffentlichkeit einen deutlich<br />

höheren Stellenwert erhalten muss. In<br />

dem Bericht über einen Workshop im<br />

März 2010 (»Erster Erfahrungsaustausch<br />

zur H1N1-Pandemie in Deutschland«,<br />

veröffentlicht im B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsblatt-<br />

Ges<strong>und</strong>heitsforschung-Ges<strong>und</strong>heitsschutz<br />

5-2010, S. 510ff) heißt es: »Über<br />

die reine Pressearbeit <strong>und</strong> Krisenkommunikation<br />

hinaus muss ein größerer Schwerpunkt<br />

auf Aufklärungsmaßnahmen gelegt<br />

werden. Aufklärungsmaßnahmen müssen<br />

auch unabhängig vom pandemischen Geschehen<br />

langfristig angelegt werden.« Diesem<br />

deutlichen Hinweis auf eine Verbesserung<br />

der behördlichen Risikokommunikation<br />

aus berufenem M<strong>und</strong>e, muss nun<br />

die dringend erforderliche Umsetzung in<br />

entsprechende Kommunikationsstrategien<br />

folgen. Teilnehmer waren im Übrigen Vertreter<br />

alle relevanten Ressorts, Behörden,<br />

Berufsgruppen, Verbände <strong>und</strong> Organisationen<br />

des deutschen Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />

<strong>Bevölkerungsschutz</strong>es.<br />

Es wird interessant sein zu beobachten,<br />

ob es gelingt, hier ausgetretene Pfade zu<br />

verlassen <strong>und</strong> neue Wege des Dialogs mit<br />

62<br />

dem Bürger zu beschreiten. Dies ist ebenso<br />

notwendig wie dringlich, da wir uns keineswegs<br />

sicher sein können, dass die<br />

nächste »Pandemie« einen ebenso »milden<br />

Verlauf« wie die »Schweinegrippe«<br />

nimmt.<br />

Neben dem Risiko einer Pandemie hat<br />

gerade in diesem Jahr das Risiko Nuklearterrorismus«,<br />

in Verbindung mit der Proliferationsproblematik,<br />

durch die internationale<br />

Staatengemeinschaft, ebenfalls eine hohe<br />

Priorisierung erfahren. In seiner viel<br />

beachteten Rede im April 2009 in Prag kam<br />

der amerikanische Präsident Obama im Zusammenhang<br />

mit seiner »Global Zero«-Initiative<br />

zu folgender Feststellung: »… Die<br />

Gefahr eines weltweiten Atomkrieges hat<br />

sich verringert, das Risiko eines atomaren<br />

Angriffs ist gestiegen … Eine Nuklearwaffe,<br />

die in einer Stadt explodiert – ob das<br />

New York oder Moskau wäre, Islamabad<br />

oder Mumbai, Tokio oder Tel Aviv, Paris<br />

oder Prag – ein solches Ereignis könnte<br />

H<strong>und</strong>erttausenden von Menschen das Leben<br />

kosten. Und unabhängig davon, wo so<br />

etwas passieren würde, wären die Konsequenzen<br />

unabsehbar <strong>für</strong> unsere globale<br />

Sicherheit, die Gesellschaft, die Wirtschaft,<br />

unser Überleben.«<br />

Dieser Bef<strong>und</strong>, der auf dem »Gipfel zur<br />

Nuklearsicherheit« ein Jahr später in Washington<br />

(April 2010) ausdrücklich bestätigt<br />

wurde, zeigt deutlich, dass man dem<br />

Risiko des Nuklearterrorismus in seiner extensivsten<br />

Ausprägung zu Recht vorrangige<br />

Beachtung schenkt.<br />

Die deutsche Hervorhebung<br />

in diesem Zusammenhang,<br />

dass »… Terroristen<br />

mit Atommaterial Anschläge<br />

verüben wollten,<br />

sei real …«, ist womöglich<br />

der Versuch das »kleinere<br />

Übel« einer »Schmutzigen<br />

Bombe« in den Vordergr<strong>und</strong><br />

zu rücken. Im Sinne<br />

einer vorbehaltlosen nationalenRisikokommunikation<br />

das falsche Signal. Es<br />

entspricht jedoch leider<br />

auch der Aussage des<br />

Weißbuchs von 2006. In<br />

ihm ist ebenfalls nur das radiologische<br />

Risiko benannt<br />

worden. Der Hinweis auf<br />

die Möglichkeit, dass der<br />

Terrorismus auch auf die<br />

Option des Einsatzes eines<br />

Nuklearsprengkörpers<br />

früher oder später zurückgreifen<br />

könnte, wird in diesem<br />

wichtigen Dokument<br />

nationaler Sicherheitsvorsorge<br />

geradezu »ausdrücklich«<br />

nicht genannt.<br />

Es ist an dieser Stelle allerdings<br />

auch deutlich he-<br />

rauszustellen, dass dieser Nuklearterrorismus<br />

keine akute Bedrohung darstellt, sondern<br />

es sich hierbei um ein auf die Zukunft<br />

projiziertes Risiko handelt, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

sich jedoch stetig erhöht.<br />

Und wenn man hier von Risiken spricht,<br />

dann ist dies bereits das Ergebnis eines<br />

Prozesses, den man als Risikomanagement<br />

bezeichnet. Erkannte Gefahren werden<br />

über eine Risikoanalyse zu anerkannten<br />

<strong>und</strong> bewerteten Risiken. Wobei ein<br />

»Risiko« als eine Funktion von Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

<strong>und</strong> Schadensausmaß<br />

betrachtet werden kann. In diesem Risikomanagementprozess<br />

steht am Ende die<br />

Frage, wie denn mit den so ermittelten<br />

Risiken umzugehen ist? Dabei ist die Aufbereitung<br />

<strong>und</strong> Bereitstellung dieser Ergebnisse<br />

<strong>für</strong> die Öffentlichkeit, aber auch <strong>für</strong><br />

die politischen Entscheidungsträger, im<br />

Rahmen der Risikokommunikation, eine<br />

der zentralen Umsetzungsmaßnahmen in<br />

diesem Prozess.<br />

Für den in Deutschland weitgehend föderal<br />

strukturierten <strong>Bevölkerungsschutz</strong><br />

hat hier das <strong>B<strong>und</strong>esamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Bevölkerungsschutz</strong><br />

<strong>und</strong> Katastrophenhilfe (BBK) eine<br />

Methode <strong>für</strong> die Durchführung von Risikoanalysen<br />

erarbeitet. Sie wird den Ländern<br />

als Hilfsmittel zur Verfügung gestellt (»Methode<br />

<strong>für</strong> eine Risikoanalyse im <strong>Bevölkerungsschutz</strong>«,<br />

BBK, Bonn, April 2010). Absicht<br />

ist, dass auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser<br />

Methodik <strong>und</strong> ergänzender Leitfäden, auf<br />

»Risikomanagement«. Grafik: Autor<br />

EUROPÄISCHE SICHERHEIT 8/2010


allen Verwaltungsebenen relevante Risiken<br />

deutschlandweit nach einheitlichem Verfahren<br />

ermittelt werden können.<br />

Im Folgenden sollen nun bezogen auf<br />

den nationalen <strong>Bevölkerungsschutz</strong>, insbesondere<br />

mit Blick auf die Forderungen<br />

nach bürgerschaftlicher Selbsthilfefähigkeit<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlicher Resilienz, die Bedeutung<br />

von <strong>und</strong> die Anforderungen an behördliche<br />

Risikokommunikation näher betrachtet<br />

werden.<br />

<strong>Bevölkerungsschutz</strong> -<br />

Teilsystem nationaler<br />

Sicherheitsvorsorge 1<br />

Der <strong>Bevölkerungsschutz</strong> in unserem<br />

Lande kann sich auf ein beeindruckendes<br />

Potenzial von ca. 1,8 Millionen – überwiegend<br />

ehrenamtlichen – Helfern abstützen.<br />

Ein Potenzial, das in alltäglichen Gefahren-<br />

<strong>und</strong> Schadenslagen herausragende<br />

Leistungen erbringt <strong>und</strong> der Öffentlichkeit,<br />

mit Polizei, Feuerwehren <strong>und</strong> Rettungsdiensten,<br />

immer wieder eine nahezu omnipräsente<br />

»Blaulichtorganisation« bietet.<br />

Gleichwohl ist die Frage zu stellen, ob dieses<br />

»Nationale Notfallvorsorge- <strong>und</strong> Hilfeleistungssystem«<br />

auch in Lagen, die weit<br />

über die alltägliche Gefahrenabwehr hinaus<br />

gehen, den Schutz der Bürger nachhaltig<br />

sicherstellen kann.<br />

Diese Fragestellung erhält ihre besondere<br />

Relevanz im Zusammenhang mit der<br />

Bewältigung von sogenannten »national<br />

bedeutsamen Lagen«. Hierunter werden<br />

neben großflächigen, länderübergreifenden<br />

konventionellen Schadenslagen, wie<br />

sie durch Extremwetterereignisse, technische<br />

Unfälle oder auch terroristische Anschläge<br />

verursacht werden können, vor allem<br />

CBRN-Szenarien (Chemische (C),<br />

Biologische (B), Radiologische ((R) <strong>und</strong><br />

Nukleare (N) Ereignisse. Löst zunehmend<br />

den Begriff ABC-Schutz ab) verstanden.<br />

Sie besitzen am ehesten sowohl die Dynamik<br />

als auch das Eskalationspotenzial <strong>und</strong><br />

die psychologische Wirkung auf das Einsatzpersonal<br />

<strong>und</strong> die Bürger, um nationale<br />

Bedeutung zu erlangen. Dies vor allem<br />

dann, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

ohnehin außerordentlich<br />

belastend sind.Wie beispielsweise im Falle<br />

hoher Arbeitslosigkeit <strong>und</strong>/oder Finanzmarktkrisen<br />

<strong>und</strong> deren möglicherweise tief<br />

greifenden Auswirkungen auf Staat <strong>und</strong><br />

Gesellschaft.<br />

Und so kann eine Lage unabhängig vom<br />

objektiven Schadensausmaß auch dann<br />

national bedeutsam sein, wenn sie durch<br />

die Öffentlichkeit als solche empf<strong>und</strong>en<br />

wird. Dass hierbei die mediale Aufbereitung<br />

eines Szenarios von entscheidender Bedeutung<br />

ist, erleben wir immer wieder,<br />

auch auf anderen Feldern staatlicher bzw.<br />

gesellschaftlicher Realität. Gerade unter<br />

Berücksichtigung der besonderen Anforderungen<br />

an das staatliche Schutzsystem<br />

im Falle »bedeutsamer Szenarien«, wird<br />

nun auch bei uns die Selbsthilfe des Bürgers<br />

als zentrale Aufgabe wiederbelebt.<br />

Um diese Zielsetzung realisieren zu können,<br />

ist unbestritten die eindeutige <strong>und</strong> verständliche<br />

Kommunikation relevanter Risiken<br />

eine der unabdingbaren Voraussetzungen.<br />

Hier haben wir jedoch unübersehbare<br />

Defizite. Der Öffentlichkeit werden allzu<br />

häufig erkannte Risiken vorenthalten, weil<br />

man glaubt, sie dem Bürger nicht zumuten<br />

zu können.Vermutlich häufig mit dem Blick<br />

auf die vermeintlich hierdurch gefährdete<br />

Mehrheitsfähigkeit der eigenen Position.<br />

Die Erkenntnis, dass die Menschen Wahrheiten<br />

durchaus vertragen, im Gegenteil<br />

Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Offenheit in aller Regel<br />

honoriert werden, hat sich leider noch nicht<br />

entscheidend durchgesetzt.<br />

Darüber hinaus sind mangelnde Strategiefähigkeit<br />

<strong>und</strong> das Fehlen eines nennenswerten<br />

öffentlichen sicherheitspolitischen<br />

Diskurses zu beklagen. Selbst wenn<br />

Ansätze sicherheitspolitischer Weiterentwicklung<br />

erkennbar werden, erfolgt in aller<br />

Regel, meist auch durch die Medien forciert,<br />

ein ungerechtfertigter Abbruch der<br />

inhaltlichen Auseinandersetzung. Allzu<br />

schnell wird das nächste Thema aufgegriffen.<br />

Mit dem Ergebnis, dass wir selten zum<br />

Kern des Problems vorstoßen, geschweige<br />

denn eine tragfähige konzeptionelle<br />

Auseinandersetzung zustande bringen.<br />

Das ist leider der generelle Bef<strong>und</strong> des<br />

Umgangs mit sicherheitspolitischen Fragestellungen<br />

<strong>und</strong> dies findet sich dann<br />

auch in der konkreten Ausgestaltung unserer<br />

Sicherheitsarchitektur wieder.<br />

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass<br />

es heute <strong>und</strong> vor allem in der Zukunft, möglich<br />

sein wird, Schadenslagen zu erzeugen,<br />

die nicht nur den Gesamtstaat <strong>und</strong><br />

sein Gefahrenabwehrpotenzial, sondern<br />

die Gesamtgesellschaft fordern werden.<br />

Neu an dieser Situation ist die Tatsache,<br />

dass solche Szenarien auch durch nichtstaatliche<br />

Akteure oder gar durch Einzeltäter<br />

herbeigeführt werden können. Diese<br />

»Demokratisierung von Gewalt« unterscheidet<br />

sich gr<strong>und</strong>sätzlich von den »Bildern«<br />

des Kalten Krieges <strong>und</strong> zwingt zu einer<br />

Reform nationaler Sicherheitsvorsorge.<br />

Nicht zuletzt, indem die normativ<br />

begründete Trennung der Zuständigkeiten<br />

zwischen B<strong>und</strong> (V-Fall) <strong>und</strong> Ländern (friedenszeitliche<br />

Katastrophen) im <strong>Bevölkerungsschutz</strong><br />

ernsthaft überdacht wird.<br />

Gleichwohl gilt es unabhängig von der<br />

Möglichkeit diese bestehende, sehr starre,<br />

staatliche Kompetenzordnung zu überwinden,<br />

die folgende Forderung im System zu<br />

etablieren: Gefahren frühzeitig erkennen<br />

<strong>und</strong> als Risiken anerkennen, analysieren,<br />

bewerten <strong>und</strong> umfassend kommunizieren.<br />

Handlungserfordernisse, die sich hieraus<br />

ableiten, müssen konzeptionell begründet<br />

in einem <strong>für</strong> die Öffentlichkeit transparenten<br />

<strong>und</strong> dialogischen Prozess realisiert<br />

werden.<br />

Gr<strong>und</strong>legende Bedingung <strong>für</strong> ein solches<br />

Verfahren ist die Bereitschaft <strong>und</strong> die Fähigkeit<br />

politischer Entscheidungsträger mittel-<br />

bis langfristige Prognosen zu wagen,<br />

sich festzulegen, sich mutig »aus dem<br />

Fenster zu lehnen«. Hier tut man sich sehr<br />

schwer: Frühzeitig entscheiden <strong>und</strong> festlegen<br />

macht gegebenenfalls politisch verletzlich<br />

<strong>und</strong> daher wird häufig darauf verzichtet<br />

oder die Dinge werden »kleingeredet«<br />

<strong>und</strong> »geschönt«. Dies hat sich gerade bei<br />

der Vermittlung des deutschen Afghanistaneinsatzes<br />

als schwerwiegender Mangel<br />

erwiesen. Einem militärischen Einsatz in<br />

einem asymmetrischen Konfliktszenario<br />

viel zu lange krampfhaft das Etikett eines<br />

ausschließlich humanitären Engagements,<br />

im Sinne von »Schulen bauen <strong>und</strong> Brunnen<br />

bohren«, zu verleihen, entbehrt genau<br />

der Transparenz <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit, die erforderlich<br />

ist, will man den notwendigen gesellschaftlichen<br />

Rückhalt erzielen.<br />

Wenn nunmehr sich der Staat – was richtig<br />

<strong>und</strong> dringend erforderlich ist – dem Bürger<br />

verstärkt zuwendet, dann muss zunächst<br />

einmal deutlich gemacht werden,<br />

dass es eine 100-prozentige Sicherheit<br />

jetzt <strong>und</strong> in der Zukunft nicht geben kann.<br />

Es werden Szenarien eintreten können, die<br />

extremes Schadenspotenzial besitzen <strong>und</strong><br />

in denen der Einzelne schadensmindernd<br />

wirken kann <strong>und</strong> muss. Darüber hinaus ist<br />

unmissverständlich deutlich zu machen,<br />

dass man bereit sein muss auch Schaden<br />

zu ertragen, ohne die bestehende Rechtsordnung<br />

in Frage zu stellen.<br />

Staatliche Zielvorgaben<br />

Diese hier dargelegten Bewertungen<br />

<strong>und</strong> Einsichten sind durchaus von den<br />

Ressorts <strong>und</strong> Behörden aufgenommen,<br />

<strong>und</strong> sie haben in den bereits genannten<br />

Gr<strong>und</strong>satzdokumenten ihren Niederschlag<br />

gef<strong>und</strong>en. Die folgenden Aussagen zur<br />

Weiterentwicklung des <strong>Bevölkerungsschutz</strong>es<br />

in Deutschland belegen dies: »Das Sicherheitsdenken<br />

der Bevölkerung muss zu<br />

einer neuen Risikosensibilisierung gewandelt<br />

<strong>und</strong> die Selbsthilfefähigkeit verbessert<br />

werden.« Diese gr<strong>und</strong>legende Zielsetzung<br />

der Innenministerkonferenz (IMK) findet<br />

1 Eine umfassende Bewertung des Systems <strong>Bevölkerungsschutz</strong>.<br />

In: Weinheimer, Hans-Peter: <strong>Bevölkerungsschutz</strong><br />

in Deutschland. Kann der Staat seine Bürger<br />

schützen? Verlag E.S. Mittler&Sohn GmbH, Hamburg-Berlin-Bonn,<br />

2008 <strong>und</strong> ders. <strong>Bevölkerungsschutz</strong><br />

in Deutschland – Die erfolgreiche Weiterentwicklung<br />

eines Anachronismus. In: Europäische Sicherheit<br />

9/2009, Seite 72-77.<br />

EUROPÄISCHE SICHERHEIT 8/2010 63


Strategie/IMK-Programm – Deckblätter. Grafik: BBK<br />

sich ebenso in der »Strategie <strong>für</strong> einen modernen<br />

<strong>Bevölkerungsschutz</strong> in Deutschland«<br />

der Abteilung Krisenmanagement<br />

<strong>und</strong> <strong>Bevölkerungsschutz</strong> (KM) des Innenministeriums<br />

(BMI). Hier heißt es unter der<br />

Kapitelüberschrift »Vorbereitung der Gesellschaft/Bevölkerung<br />

auf die neuen Herausforderungen«:<br />

… »Eine Bevölkerung,<br />

die nicht auf Risiken vorbereitet ist, wird<br />

auch keinen eigenen Beitrag zur Risikominimierung<br />

bzw. Schadensbewältigung leisten<br />

können.«<br />

Auch die Schutzkommission beim B<strong>und</strong>esminister<br />

des Innern weist in ihrem »Dritten<br />

Gefahrenbericht« sowohl auf die »Widerstandsfähigkeit«<br />

als auch auf die Bedeutung<br />

der Selbsthilfefähigkeit der<br />

Bevölkerung ausdrücklich hin: »… je besser<br />

die Bewohner dieses Raumes (Anmerkung:<br />

»… eines Gefährdungsraumes …«)<br />

im Umgang mit Gefahr sozialisiert sind.<br />

… Das meint insbesondere: von herannahender<br />

Gefahr gewarnt, über damit zusammenhängende<br />

Belange informiert, mit<br />

Kenntnissen <strong>und</strong> Ressourcen versorgt,<br />

mental wie psychisch vorbereitet – so dass<br />

insgesamt ein Grad an sozialer Kohäsion<br />

<strong>und</strong> Krisenstabilität vorherrscht, der subsidiäre<br />

Kooperation <strong>und</strong> spontane Solidarität<br />

befördert, anstatt diese zu schwächen.«<br />

So sind erklärte Ziele zur Ausgestaltung<br />

eines modernen <strong>Bevölkerungsschutz</strong>es,<br />

zum einen die Realisierung einer »widerstandsfähigen«<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> die Bereitschaft<br />

<strong>und</strong> die Fähigkeit der Bürger zur<br />

Selbsthilfe. Wesentliche Voraussetzung<br />

hierzu ist unbestritten eine neue »Risikosensibilität«,<br />

dies vor allem gegenüber au-<br />

64<br />

ßergewöhnlichen, national bedeutsamen<br />

Lagen. Daher ist die Reduktion der Bewertung<br />

von möglichen Schadensbildern auf<br />

das, was wir erlebt <strong>und</strong> auch weitgehend<br />

beherrscht haben (z. B. Hochwasserlagen<br />

oder Lagen der alltäglichen Gefahrenabwehr),<br />

der falsche Weg. Unter diesen Bedingungen<br />

ein System zu loben, weil es<br />

sich bewährt habe, signalisiert keineswegs<br />

Augenhöhe zwischen Staat <strong>und</strong> Bürger.<br />

Vielmehr nährt es den Verdacht, dass man<br />

kein Vertrauen in den Bürger setzt. Im Übrigen<br />

ein Vorgang, der vom Bürger durchaus<br />

durchschaut wird <strong>und</strong> letztlich mit dazu<br />

beiträgt »Verdrossenheit« zu erzeugen.<br />

Risiko- <strong>und</strong> Krisenkommunikation<br />

2<br />

Man muss also viel konsequenter <strong>und</strong><br />

umfassender dazu übergehen der Bevölkerung<br />

zu sagen, was sie bedrohen bzw.<br />

gefährden kann. Und es muss darüber informiert<br />

werden, was der Staat zur Verhinderung<br />

der Gefahr zu tun gedenkt <strong>und</strong><br />

welches Bewältigungspotenzial er bereithält,<br />

wenn die Gefahr nicht abgewendet<br />

werden konnte <strong>und</strong> sich signifikante Wirkung<br />

entfaltet. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage ist<br />

dem Bürger zu vermitteln, welcher Beitrag<br />

von ihm selbst erwartet werden muss.<br />

Die entscheidende Frage ist jedoch: Wie<br />

können die Menschen zur Selbsthilfe motiviert<br />

<strong>und</strong> befähigt werden?<br />

Die Erfahrungen, die man über viele Jahre<br />

mit dem Selbstschutz, als Teilaufgabe<br />

des V-Fall bezogenen Zivilschutzes ge-<br />

macht hat, sind mit Blick auf die Frage nach<br />

dem Grad der Selbsthilfebereitschaft <strong>und</strong><br />

Selbsthilfefähigkeit der Bürger nicht gerade<br />

ermutigend. Über diese Aufgabe ist es<br />

zu keiner Zeit gelungen, die Menschen in<br />

unserem Land von dem Erfordernis eines<br />

eigenen Beitrags zur Herstellung des eigenen<br />

Schutzes zu überzeugen bzw. sie hierzu<br />

hinreichend zu befähigen.<br />

Die Voraussetzung, um den Bürger überhaupt<br />

zu erreichen, ist Wahrhaftigkeit in Bezug<br />

auf die Risiken <strong>und</strong> die Transparenz<br />

staatlichen Wirkens bei der Konzipierung<br />

des Bewältigungspotenzials. Gr<strong>und</strong>lage<br />

hierzu ist eine anlassunabhängige Risikokommunikation,<br />

die eben nicht erst unter<br />

dem Druck realer Schadensereignisse<br />

stattfinden darf. Denn dann wäre es auch<br />

bereits Krisenkommunikation, deren Wirkung<br />

sich unter solchen Bedingungen<br />

kaum positiv entfalten könnte. Diese Krisenkommunikation,<br />

die sowohl zwischen<br />

den Akteuren des nationalen <strong>und</strong> des internationalen<br />

Bewältigungspotenzials als<br />

auch zwischen Staat <strong>und</strong> Öffentlichkeit im<br />

Ereignisfall funktionieren muss, ist wichtiger<br />

Bestandteil eines umfassenden <strong>Bevölkerungsschutz</strong>es.<br />

Sie wird jedoch nur auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage einer – ihr vorausgehenden<br />

– erfolgreichen Risikokommunikation wirksam<br />

werden können.<br />

Wesentlicher Bestandteil moderner Krisenkommunikation<br />

ist die Fähigkeit, die Bevölkerung<br />

bei einer akuten Gefahrenlage<br />

zu warnen <strong>und</strong> zielgerichtet zu informieren.<br />

In einem einheitlichen staatlichen Konzept<br />

zur effektiven Warnung müssen die Warnsignale<br />

so konzipiert werden, dass sie in<br />

ihrem Informationsgehalt dem Bürger unmissverständlich<br />

deutlich machen, in welcher<br />

Art von Gefahrenlage er sich aktuell<br />

befindet. Dann sollte es ihm gelingen, sich<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage erlernter Kenntnisse<br />

<strong>und</strong> Fähigkeiten (Selbsthilfefähigkeit) angemessen<br />

zu verhalten.<br />

So macht eine Brandschutzübung in einer<br />

Schule nur Sinn, wenn man allen Beteiligten<br />

deutlich macht, dass es auch Szenarien<br />

geben kann, die ein gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

anderes Verhalten, als bei einem Brand,<br />

verlangen. Im Falle eines Brandes ist das<br />

Verlassen des Gebäudes richtig. Bei einer<br />

herannahenden Gefahrstoff- oder gar<br />

Kampfstoffwolke jedoch gerade nicht. Hier<br />

ist der Verbleib im Gebäude die richtige Reaktion.<br />

Hier gilt es eben, Schutz innerhalb<br />

des Gebäudes herzustellen. Die Kenntnis<br />

solcher zweifellos einfachen Zusammenhänge,<br />

wenn sie denn ins Bewusstsein ge-<br />

2 Aktuelle Definition des BBK <strong>für</strong> den Begriff »Risikokommunikation«:<br />

Austausch von Informationen <strong>und</strong> Meinungen<br />

über Risiken zur Risikovermeidung, -minimierung<br />

<strong>und</strong> -akzeptanz. Krisenkommunikation hingegen<br />

wird hier definiert als: (Staatliche) Kommunikation in<br />

Katastrophen im Gegensatz zur Kommunikation vor Katastrophen<br />

(Risikokommunikation).<br />

EUROPÄISCHE SICHERHEIT 8/2010


langt sind, nimmt Ängste.Vor allem ist den<br />

Menschen jedoch deutlich zu machen,<br />

dass auch in bedeutsamen <strong>und</strong> komplexen<br />

Lagen das Beherrschen einfacher Verhaltensmuster<br />

durch den Einzelnen außerordentlich<br />

schadensmindernd wirken wird.<br />

So ist die anlassunabhängige Befassung<br />

mit solchen Situationen im Zuge einer Ausbildung<br />

zur Selbsthilfe, beispielsweise auf<br />

kommunaler Ebene, die gr<strong>und</strong>legende Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> den Bürger Verhaltenssicherheit<br />

zu erlangen. Verhaltensunsicherheit<br />

führt in der Regel zur »Verweigerung«,<br />

zum Nicht-Handeln. Nicht mangelnde Empathie,<br />

sondern das subjektive Empfinden<br />

überfordert zu sein, <strong>und</strong> die Erwartung etwas<br />

falsch zu machen, hindert in aller Regel<br />

die Menschen daran selbst »Hand anzulegen«.<br />

Um jedoch Menschen in eine solche<br />

Ausbildungssituation zu bringen, muss zunächst<br />

eine Form der Risikokommunikation<br />

gef<strong>und</strong>en werden, die die Einsicht vermittelt,<br />

dass »Schutz« eine originäre Aufgabe<br />

der Gesamtgesellschaft ist. Hierzu<br />

sind Bürger erforderlich, die ihre Motivation<br />

nicht zuletzt auch aus der Überzeugung<br />

beziehen, dass es Gefahren- <strong>und</strong> Schadenslagen<br />

geben kann, die nur mit ihrer tätigen<br />

Mithilfe bewältigt werden können.<br />

Wenn es also diese Gefahren <strong>und</strong> Risiken<br />

gibt <strong>und</strong> daran besteht kein Zweifel, dann<br />

müssen sie den Menschen vernünftig nahegebracht<br />

werden, sonst werden sie sich,<br />

wenn es auf sie ankommt, verweigern. Die<br />

sicherheitspolitischen Analysen nationaler<br />

wie auch internationaler Fachleute <strong>und</strong><br />

Gremien, <strong>und</strong> nicht zuletzt die bedrückende<br />

Wirklichkeit von Tokio, New York <strong>und</strong><br />

London, bis hin zu den Anschlagsversuchen<br />

in unserem eigenen Land, zeigen nur<br />

allzu deutlich, dass es sie gibt, die Gefahren<br />

<strong>und</strong> Risiken einer tief greifenden Auseinandersetzung,<br />

in der man sich ggf. aller<br />

verfügbaren Gewaltmittel bedienen wird.<br />

Wir werden möglicherweise in Zukunft<br />

mit weltumspannenden biologischen Gefahrenlagen<br />

konfrontiert. Ihnen müssen wir<br />

ebenso als Gemeinschaft entgegentreten<br />

wie gegenüber asymmetrisch agierenden<br />

Opponenten, die ggf. auch nicht vor dem<br />

Einsatz von Massenvernichtungswaffen<br />

zurückschrecken. Den Erkenntnisprozess<br />

bei den Menschen in Gang zu setzen, dass<br />

Szenarien Realität werden können, die uns<br />

alle gemeinsam fordern werden, bedarf einer<br />

einfühlsamen <strong>und</strong> sachlich aufbereiteten<br />

Informationspolitik. Sie wird nur in einem<br />

auf Nachhaltigkeit abzielenden, sehr<br />

langfristig angelegten Prozess, nicht zuletzt<br />

mithilfe der Medien, entwickelt werden<br />

können. Hierzu bedarf es sicher mehr als<br />

einiger gut gemeinter <strong>und</strong> zweifellos auch<br />

gut gemachter Broschüren.<br />

Und es erfordert auch mehr als »behördliche«<br />

Willensbek<strong>und</strong>ungen in entsprechenden<br />

Strategiepapieren, die zudem leider sel-<br />

BBK-Broschüre. Grafik: BBK<br />

ten ausreichend öffentlich kommuniziert<br />

werden. Es ist eben nicht die Auflage einer<br />

Broschüre, die Erfolg signalisiert. Die Frage<br />

ist vielmehr, wird der Text auch tatsächlich<br />

gelesen <strong>und</strong> überzeugt er die Menschen, indem<br />

er sie »betroffen« macht <strong>und</strong> dadurch<br />

letztlich die gewünschte Verhaltensänderung<br />

herbeiführt. Wir sollten dazu übergehen,<br />

uns mehr auf die Wirkung von Menschen<br />

auf Menschen zu verlassen <strong>und</strong> nicht<br />

zu sehr auf die alleinige Wirkung von Broschüren<br />

zu hoffen. Es ist wohl keine Frage,<br />

dass Menschen am ehesten durch Menschen<br />

überzeugt werden können. Vorausgesetzt<br />

es gelingt, Kompetenz zu vermitteln<br />

<strong>und</strong> vor allem Vertrauen herzustellen.<br />

Information – Das Dilemma<br />

von Absicht <strong>und</strong> Wirkung<br />

Neben der Feststellung, ob eine Botschaft<br />

angekommen ist, stellt sich die Frage,<br />

ob sie auch unmissverständlich formuliert<br />

ist. Das gr<strong>und</strong>sätzlich bestehende Dilemma<br />

von Absicht <strong>und</strong> Wirkung im<br />

Umgang mit Information gilt prinzipiell auch<br />

<strong>für</strong> eine behördliche Risikokommunikation.<br />

Die Zielsetzung, sowohl den Bürger sachlich<br />

zu informieren als auch das bestehende<br />

System der Schadensbewältigung (<strong>Bevölkerungsschutz</strong>)<br />

darzustellen <strong>und</strong> zu bewerten,<br />

ist durchaus risikobehaftet. Man<br />

setzt sich womöglich der Gefahr aus, missverstanden<br />

zu werden. Zum einen, weil<br />

eine Risikoanalyse häufig mit einer konkreten,<br />

aktuellen Bedrohung gleichgesetzt<br />

wird, <strong>und</strong> zum anderen mit der Beschreibung<br />

von potenziellen Gefahren- <strong>und</strong><br />

Schadenslagen häufig unterstellt wird, man<br />

versuche damit letztlich Strukturen zu begründen<br />

oder man ziele gar auf eine Manipulation<br />

der Öffentlichkeit ab. Letztlich<br />

muss natürlich vermieden werden, dass<br />

»… eine gesellschaftliche Selbstgefährdung<br />

durch Kommunikation stattfindet«.<br />

Das Risiko, im Einzelfall missverstanden<br />

zu werden, muss jedoch eingegangen werden,<br />

da die Gestaltung einer tragfähigen<br />

Sicherheitsarchitektur nur möglich sein<br />

wird, wenn es gelingt, die Menschen <strong>für</strong> die<br />

Voraussetzungen ihres eigenen Schutzes<br />

zu interessieren. Dies wird allerdings nur<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage einer vertrauensvollen<br />

<strong>und</strong> damit offenen Informationspolitik gelingen.<br />

Dieses Ziel, dem Bürger die Möglichkeit<br />

zu geben, sich ein sachgerechtes<br />

Bild zu machen von dem, was sein könnte,<br />

ohne Gefahren <strong>und</strong> Risiken zu überhöhen,<br />

noch sie »kleinzureden«, ist vor allem<br />

einer der Ansprüche an ein Konzept »Risikokommunikation«.<br />

Die Einstellung, die somit hoffentlich hier<br />

gestärkt wird, ist Gelassenheit. Eine Gelassenheit,<br />

die auf dem Wissen <strong>und</strong> der<br />

Überzeugung beruht, dass wir in einer Welt<br />

leben, die durchaus Gefahren <strong>und</strong> Risiken<br />

birgt, aber auch den folgenden »schlichten«<br />

Satz akzeptiert, den Carl Friedrich von<br />

Weizsäcker schon vor mehr als 20 Jahren<br />

formuliert hat: »Es macht einen Unterschied,<br />

ob wir <strong>für</strong> den Schutz etwas tun<br />

oder nicht«. Diese Aussage bemisst sich<br />

im Übrigen nicht an der Größe <strong>und</strong> dem<br />

potenziellen Ausmaß einer Schadenslage,<br />

<strong>und</strong> sie gilt sowohl <strong>für</strong> die friedenszeitliche<br />

als auch <strong>für</strong> die kriegsbedingte Katastrophe<br />

gleichermaßen.<br />

EUROPÄISCHE SICHERHEIT 8/2010 65


66<br />

Gesellschaftliche Resilienz<br />

<strong>und</strong> Selbsthilfefähigkeit<br />

Diese psychologischen Aspekte von<br />

»Information« sind vor allem im Hinblick<br />

auf die innere Verfasstheit einer Gesellschaft<br />

von Belang. Um den Bestand der<br />

rechtsstaatlichen Ordnung auch in extremen<br />

Gefahren- <strong>und</strong> Schadenslagen nicht<br />

in Frage zu stellen, wird es ganz wesentlich<br />

sein, auch solchen »katastrophalen«<br />

Lagen als Gesellschaft emotional standzuhalten.<br />

Es muss uns klar sein, dass<br />

auch diese Fähigkeit westlicher Demokratien<br />

in das Kalkül insbesondere des transnationalen<br />

Terrorismus mit einbezogen<br />

wird. Wie wir auf außerordentliche Ereignisse<br />

als Gesellschaft reagieren, wird eine<br />

entscheidende Rolle spielen, inwieweit<br />

Anschläge, auch mit Massenvernichtungsmitteln,<br />

als probates Mittel der Zielerreichung<br />

begriffen werden. Denn letztlich<br />

zielt der Terrorismus nicht auf territoriale<br />

Integrität, sondern eher auf den<br />

Verlust rechtsstaatlicher Integrität ab <strong>und</strong><br />

damit auf den Bestand unserer Gesellschaftsordnung<br />

in Gänze. Von daher ist<br />

das Verhalten einer Gesellschaft insgesamt,<br />

insbesondere angesichts einer als<br />

»bedeutsam« empf<strong>und</strong>enen Schadenslage,<br />

von großer Wichtigkeit, auch mit Blick<br />

auf die Absichten potenzieller Aggressoren.<br />

Somit gilt es, neben den politischen,<br />

nachrichtendienstlichen, polizeilichen <strong>und</strong><br />

militärischen Maßnahmen der Verhinderung<br />

von Gefahrenlagen, die Gesellschaft<br />

»robust« zu machen, um in einer Lage,<br />

die nicht verhindert werden konnte, schadensmindernd<br />

– auch mit Blick auf die<br />

innere Verfasstheit – zu reagieren. Diese<br />

widerstandsfähige Gesellschaft entsteht<br />

nicht zwangsläufig durch eine Verschärfung<br />

der Rechtsordnung. Sie entsteht vor<br />

allem, indem die Bevölkerung in sachlicher<br />

Form über Risiken <strong>und</strong> Gefahren einer<br />

zunehmend globalisierten <strong>und</strong> konfliktträchtigen<br />

Welt unterrichtet wird. Der<br />

Bürger muss darüber hinaus Hinweise erhalten,<br />

wie er sich in einer Gefahren- <strong>und</strong><br />

Schadenslage zu verhalten hat. Gelassenheit<br />

statt Hysterie als gr<strong>und</strong>sätzliches<br />

Verhaltensmuster <strong>und</strong> Verhaltenssicherheit,<br />

auch in einer katastrophalen Lage<br />

mit belastenden Schadensbildern, ist die<br />

Voraussetzung, um Schaden zu minimieren<br />

<strong>und</strong> als Gemeinschaft zu bestehen.<br />

Die Zeit zwischen Eintritt eines Unglücks<br />

<strong>und</strong> dem Eintreffen der organisierten<br />

Einsatzkräfte, der so genannten »Isolationsphase«,<br />

ist häufig mitentscheidend,<br />

inwieweit letztlich Opfer zu beklagen sind.<br />

In dieser Phase müssen die Selbsthilfefähigkeiten<br />

des Einzelnen bzw. der organisierten<br />

Selbst- <strong>und</strong> Nachbarschaftshilfe,<br />

wie sie auch der Selbstschutz beschreibt,<br />

greifen. Hier muss sich bereits in der Art<br />

<strong>und</strong> Weise der Schadensbewältigung die<br />

Bereitschaft auf Überwindung der Katastrophe<br />

zeigen <strong>und</strong> der Wille zum »Wiederaufbau«<br />

deutlich werden.<br />

Dieses bürgerliche Engagement wird jedoch<br />

nur erreicht werden können, wenn<br />

eine <strong>für</strong> die Öffentlichkeit nachvollziehbare<br />

Begründung erkennbar wird. Diese Begründung<br />

liegt in einem unmissverständlichen<br />

Bild, vor allem künftiger Gefahren<strong>und</strong><br />

Schadenslagen. Lagen, die wir bisher<br />

zwar noch nicht wirklich bestehen<br />

mussten, die uns allerdings jederzeit treffen<br />

können. Hierzu ist es erforderlich, sozusagen<br />

als Gr<strong>und</strong>voraussetzung, sicherheitspolitische<br />

Fragestellungen in den Alltag<br />

zu transportieren. Sicherheitspolitik<br />

darf nicht, wie bisher, eine unnahbare Materie<br />

sein, die lediglich in intellektuellen<br />

Zirkeln behandelt wird <strong>und</strong> in einer Parallelwelt,<br />

jenseits der bürgerlichen Realität,<br />

ihr Dasein frönt.<br />

Fazit<br />

Es gilt eine Sicherheitsarchitektur zu<br />

gestalten, in der der einzelne Bürger nicht<br />

nur Objekt, sondern auch Subjekt aller<br />

Anstrengungen ist. Er muss sich hier als<br />

gleichberechtigter <strong>und</strong> damit auch als verantwortlicher<br />

Teil des Ganzen begreifen,<br />

der durch sein Verhalten <strong>und</strong> seine Einstellungen<br />

ganz maßgeblich daran beteiligt<br />

ist, in welchem Umfang, gerade in »bedeutsamen«<br />

Lagen sich katastrophale<br />

Wirkungen <strong>und</strong> Auswirkungen entfalten.<br />

Nur mit diesem Selbstverständnis, mit<br />

dieser »Corporate Identity« eines gemeinsamen<br />

Aufgabenverständnisses,<br />

wird es gelingen, auch außergewöhnlichen<br />

Szenarien mit extremen Schadensbildern<br />

standzuhalten <strong>und</strong> auch dann als<br />

offene <strong>und</strong> freiheitliche Gesellschaft weiter<br />

zu bestehen.<br />

Letztlich muss hierzu die Politik näher<br />

an den Bürger rücken. Eine komplexe Welt<br />

erfordert Erläuterung, Zusammenhänge<br />

müssen verdeutlicht werden, <strong>und</strong> dies in<br />

einem wirklichen Dialog aller gesellschaftlichen<br />

Kräfte. Die Art <strong>und</strong> Weise wie wir<br />

mit Risiken umgehen, gibt durchaus Einblick<br />

in unsere gesellschaftliche Verfasstheit,<br />

<strong>und</strong> sie ist ein Gradmesser »sozialer<br />

Kohäsion«. Es muss klar sein, wo der<br />

Staat eintritt <strong>und</strong> wo der Einzelne Verantwortung<br />

trägt. Diese »soziale Verhandlung«,<br />

in der das Kommunizieren von Risiken<br />

wesentlicher Bestandteil ist, ist eine<br />

der unverzichtbaren Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> ein wirklich umfassendes <strong>und</strong> tragfähiges<br />

Schutzsystem. ■<br />

Oberst a.D. Hans-Peter Weinheimer ist<br />

Sonderkorrespondent <strong>für</strong> <strong>Bevölkerungsschutz</strong>.

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