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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

„Tatortschule? - Prävention wirkt!!" am 27.2.2010<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister Bouffier, liebe Frau<br />

Geis, liebe Eltern(vertreter), liebe Mitwirkende und liebe Gäste, ich freue mich, heute<br />

hier zu sein und mit Ihnen diesen Tag zu gestalten.<br />

Als mich Frau Geis zu Beginn des neuen Jahres fragte, ob ich bereit sei, einen<br />

Vortrag auf dem heutigen Elternforum zu übernehmen, habe ich spontan zugesagt<br />

und dabei unbeachtet gelassen, dass es sich dabei um einen Samstag handelt und<br />

nicht nur der, sondern weitere Tage für die Vorbereitung „drauf gehen“ würden. Das<br />

hat damit zu tun, dass ich Frau Geis seit vielen Jahren aus einem gemeinsamen<br />

Arbeitszusammenhang, einer Arbeitsgruppe des Landespräventionsrates, kenne und<br />

mich von Anfang an beeindruckt hat, mit wie viel Engagement, Unerschrockenheit und<br />

Klarheit sie sich für die Sache der Schüler, der Eltern und der Schulen einsetzt. Man<br />

könnte also sagen, der Umstand, dass wir uns schon kannten, dass wir eine<br />

Arbeitsbeziehung haben, hat es für Frau Geis leicht gemacht, mich zu gewinnen und<br />

für mich schwer, ihre Anfrage abzulehnen. Allgemeiner gesagt: Beziehung schafft<br />

Bindung – und Beziehung und Bindung sind ein Geflecht, das Verbindlichkeit schafft,<br />

das Energie freisetzt und Mitverantwortung stärkt. Um es mit Martin Buber zu sagen:<br />

Alles Leben ist Begegnung.<br />

In dieser interministeriellen Arbeitsgruppe des Landespräventionsrates haben wir es<br />

uns in den letzten 2 Jahren zur Aufgabe gemacht, Schulen und Eltern für das Thema<br />

„Neue Medien und Gewalt“ zu interessieren. Doch dazu an anderer Stelle mehr.<br />

Es lag also nahe, mich als Vertreterin der Arbeitsgruppe „Neue Medien und Gewalt“<br />

mit dem Untertitel „Neue Medien: Ja – Gewalt nein!“, als Schulpsychologin und als<br />

Psychotherapeutin zu Ihrem heutigen Themenschwerpunkt "Tatort Schule –<br />

Prävention wirkt" anzusprechen. Gleichzeitig habe ich Frau Geis darum gebeten, nicht<br />

als Expertin für Internetsucht, Mobbing und Gewalt sprechen zu müssen, ich würde<br />

mich in dieser Rolle nicht gut wiederfinden können. An erster Stelle möchte ich über<br />

die „Primärprävention“, also über die elementaren Bedingungen von Entwicklung und<br />

Lernen in der Familie und in der Schule sprechen, die, wie mir scheint, in dem<br />

gegenwärtigen „Hype“ um Amok zu sehr in den Hintergrund getreten ist.<br />

Das heißt, ich möchte Sie im folgenden unter anderem auch zu einem<br />

Gedankenspaziergang in die Nachbardisziplinen der Neurobiologie und der<br />

psychoanalytischen Entwicklungspsychologie einladen, von denen wir lernen können,<br />

welche enormen Ressourcen in jedem Kind stecken, sich auch unter schwierigen<br />

Bedingungen zu entwickeln, und welche Ressourcen in jedem von uns stecken, sei es<br />

als Eltern, als Lehrkräfte, als Schulsozialarbeiter und als engagierte Mitbürger oder<br />

eben auch als Psychologinnen und Psychologen, diese Entwicklungs- und<br />

Lernprozesse zu begleiten und zu unterstützen.<br />

Als Psychologin bin ich naturgemäß entwicklungsorientiert und da gefällt mir der<br />

Begriff der Ressource noch viel mehr, als der Begriff der Prävention. Prävention richtet<br />

den Blickwinkel immer auf etwas, was man vermeiden will, hingegen<br />

Ressourcenorientierung die Aufmerksamkeit auf das richtet, was man erhalten,<br />

fördern oder entwickeln will.<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Und gestatten Sie mir nun eine letzte Vorbemerkung: Zu Beginn der Vorbereitung<br />

dieses Forums stand auf dem Flyer neben meinem Namen allein der Begriff<br />

„Impulsreferat“. Das hat mir gefallen und mich zugleich auch vor die Frage gestellt,<br />

welche Art von Impuls ich denn mit meinem Beitrag geben möchte?<br />

Das Beste ist immer: In Kontakt zu kommen, mit den eigenen Gedanken,<br />

Möglichkeiten, Sorgen, Grenzen und Wünschen und mit Anderen in Kontakt zu<br />

kommen, eine Beziehung aufzunehmen. Nun ist das vom Podium aus mit Ihnen allen<br />

auf einmal in der vorhandenen Zeit sicherlich schwer herzustellen.<br />

Was ich mir wünsche ist, dass ich dazu beitragen kann, dass Sie im Verlaufe dieses<br />

Forums mit Ihrer Nachbarin oder Ihrem Nachbarn ins Gespräch kommen und sich<br />

über das austauschen, was Sie angeregt hat, was Sie bewegt, wozu Sie innerlich<br />

Zustimmung geben können oder zu dem Sie im Kontrast stehen, kurz, was Ihnen<br />

einen Impuls gegeben hat.<br />

Im Überblick werde ich Ihnen in der nächsten 3/4 Stunde einen kurzen Abriss über die<br />

drei großen Präventionsthemen an unseren Schulen geben: Mobbing, Internetsucht und<br />

Amok und aufzeigen, welche präventiven Maßnahmen aktuell greifen und welche<br />

Ressourcen aus meiner fachlichen Sicht vorhanden sind und genutzt werden können.<br />

Abschließend möchte ich Ihnen Gelegenheit geben, das Aufgabengebiet von uns<br />

Schulpsychologinnen und Schulpsychologen kennen zu lernen, damit Sie künftig<br />

diese Ressourcen für die Unterstützung Ihrer Kinder, der Schülerinnen und Schüler<br />

noch besser nutzen können.<br />

„Tatort Schule“ – ein mächtiger Titel, in dem Gewalt und Ohnmacht, Verbrechen und<br />

Angst mitschwingt, Erfahrungen und Gefühlszustände, die keine guten Begleiter für<br />

Entwicklung und Lernen sind. Dem „Tatort Schule“ stehen die „Tatorte Elternhaus“<br />

und „familiäres Umfeld“ zur Seite, in denen auch immer noch viel zu oft subtile und<br />

brachiale Formen von Gewalt und Ohnmacht aufzufinden sind. Erlauben Sie mir also,<br />

dass ich mich primär als Interessensvertreterin unserer Schülerinnen und Schüler<br />

sehe und heute beide Seiten auch kritisch in den Blick nehme und hier samstags nicht<br />

etwa Sonntagsreden halte<br />

Auch zu Ihrer und zu meiner Zeit war die Schule nicht nur ein Ort des Lernens,<br />

sondern auch einer, an dem Freundschaften geschlossen wurden, Konflikte<br />

ausgetragen oder auch mal Schüler und Lehrer gehänselt wurden. Seit einigen Jahren<br />

ist das Klima rauer geworden: Unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen<br />

und der Allgegenwärtigkeit von Gewalt im Internet und in den Massenmedien sind<br />

Schüler und Lehrer mit Mobbingformen konfrontiert, auf die Schulen häufig noch keine<br />

Antwort gefunden haben und auf die sie sich vorbereiten müssen.<br />

Im Folgenden ist also von Mobbing die Rede, damit meine ich eine gezielte und<br />

anhaltende psychische und/oder körperliche Drangsalierung einer Person durch eine<br />

oder mehrere Andere mit dem Ziel, sie zu beschämen, zu entwürdigen und<br />

auszugrenzen.<br />

Nicht gemeint ist der verständliche, aber nicht einlösbare – oftmals von Müttern auch<br />

an die Schule oder die Schulpsychologen herangetragene Wunsch – ihre Tochter mit<br />

dieser oder jenem befreundet zu sehen oder einen Anspruch auf diesen oder jenen<br />

Sitznachbarn einklagen zu wollen.<br />

Mobbing gibt es in allen, vor allen Dingen den stark strukturierten, gegliederten,<br />

hierarchischen Institutionen unserer Gesellschaft und genauso auch unter<br />

Erwachsenen. Vermutlich gibt es also Mobbing mindestens seit es Institutionen gibt.<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Ob das Mobbing in den letzten Jahren zugenommen hat oder nur vermehrt in die<br />

Diskussion gekommen ist, bleibt eine offene Frage.<br />

Zur Wirkung von Mobbing ist jedoch die wissenschaftliche Forschungslage – anders<br />

als bei den nachfolgenden Themen – mehr als einheitlich: Mobbing stellt einen<br />

seelischen und körperlichen Angriff auf die personale Integrität oder auf die<br />

Persönlichkeit eines Menschen dar und hat gravierende Auswirkungen auf allen<br />

Ebenen.<br />

Eine Forschergruppe um Wolf Singer hat am Max-Planck-Institut folgendes<br />

Experiment aufgestellt: Die Probanden oder Untersuchungsteilnehmer sitzen vor<br />

einem Bildschirm (sic!) und beobachten drei Trickmännchen beim Ballspielen. Die<br />

Spielaufforderung heißt: Fangen und abwerfen. Sie in der Rolle als Proband, sind ein<br />

virtueller Mitspieler, können allerdings das Spielgeschehen nicht aktiv bestimmen und<br />

erleben im Verlaufe des Spiels, wie Ihnen zunächst der Ball zugespielt wird und Sie<br />

ihn abspielen können und wie Sie zunehmend, scheinbar zufällig, später systematisch<br />

aus dem gemeinsamen Spiel ausgegrenzt werden. Die währenddessen erfassten<br />

physiologischen Parameter, also Puls, Blutdruck, etc. der Versuchspersonen ergaben,<br />

dass körperliche Reaktionen durch das alleinige Gefühl des unerklärlichen<br />

Ausgeschlossenwerdens in ähnlicher Art und Weise auftreten, wie, wenn dem<br />

Organismus große Schmerzen zugefügt werden. Mit anderen Worten, das Gefühl oder<br />

die Erfahrung ausgegrenzt zu werden, als ein wesentlicher Bestandteil des Mobbings,<br />

greift nicht nur die Seele oder die Stimmungslage an, es verletzt bis hinein in die<br />

körperlichen Prozesse der Zellstrukturen und des autonomen Nervensystems. Es<br />

besteht sogar Grund zu der Annahme, dass solche Erfahrungen, auf Dauer,<br />

anhaltende Schädigungen auch auf der körperlichen oder Organebene nach sich<br />

ziehen.<br />

Mit Sicherheit können wir davon ausgehen, dass Kinder und Erwachsene, die in eine<br />

Mobbing-Situation geraten, in ihrem Gefühlsleben und in ihrer Leistungsfähigkeit<br />

eingeschränkt sind. Beides Gründe genug, um Mobbing ernst zu nehmen, wo auch<br />

immer wir diesem Phänomen begegnen. Mobbing ist ein soziales Phänomen der<br />

Dysregulation, was oft lange Zeit nicht entdeckt wird und, endlich entdeckt, nicht so<br />

einfach aufzuheben ist.<br />

Die beste Mobbingprävention im vorschulischen, familiären Bereich ist natürlich eine<br />

Beziehung, die auf Achtung, Anerkennung, Wertschätzung und klaren Regeln basiert,<br />

in der man früh lernt, seine Wünsche und Erwartungen zu vermitteln und auch mit<br />

Kritik, mit Schwächen, mit Grenzen und mit Regeln respektvoll umzugehen.<br />

In der Schule wird dies natürlich gestützt durch das achtsame und aufmerksame<br />

Erarbeiten der Regeln des Miteinander in der Klasse und sie dort nicht nur als<br />

Klassenregeln oder bloße Verbote allein im Blick der Lehrkräfte hängen und ein<br />

unproduktives Dasein fristen. In der Reflektion und Abbildung dieser klasseninternen<br />

oder jahrgangsbezogenen Prozesse für die gesamte Schulgemeinde u. A. durch<br />

AG´s, Projektgestaltung und Feste, damit sie eine Schulgemeinde werden kann, in der<br />

sich jeder und jede sicher fühlen kann. Dafür müssen in der Grundschule, als dem<br />

Übergang aus dem Kindergarten und in den weiterführenden Schulen, also den<br />

Übergängen aus der Grundschule, sowohl Zeit, als auch Konzepte da sein, die diese<br />

Prozesse moderieren, es ist gut investierte Zeit!!!<br />

Neue Medien, Internet, Handys sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken,<br />

erleichtern Arbeitsabläufe, Kontakte und vor allem den Zugang zu Informationen.<br />

Insofern sitzen wir alle hier in doppelter Rolle: als Nutzer und zumindest Grenzgänger<br />

in „virtuellen Welten“ und als Lehrer, Berater und Therapeuten von Kindern und<br />

Jugendlichen mit Blick auf deren Umgang mit den neuen Medien.<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Wir leben in einer Zeit, in der auf der einen Seite völlig neue Berufsbilder auf dem<br />

Hintergrund von IT-Kompetenz entstanden sind, und in der auf der anderen Seite<br />

bereits Grundschulkinder Happy Slapping Aktionen durchführen und Kinder und<br />

Jugendliche durch ihren Medienkonsum ihrem sozialen, schulischen und familiären<br />

Leben entfremdet werden. Kinder und Jugendforscher in Deutschland, wie in den USA<br />

sprechen mittlerweile von der Abschaffung der Kindheit.<br />

Sieht man sich die Verkaufszahlen von Toys R Us an, so scheinen Kinder ihre freie<br />

Zeit hauptsächlich mit Monstern und vollautomatischen Puppen zu verbringen, nicht<br />

zu sprechen von der Umzingelung durch Cross-Merchandising. Es werden ständig<br />

neue Erlebniswelten erfunden, deren Halbwertszeiten immer kürzer werden. 70 % der<br />

Lego Produkte werden jährlich ausgetauscht. Kinder werden immer früher zu Kunden<br />

gemacht, deren Eltern von Zeitmangel und schlechtem Gewissen geplagt, konzeptuell<br />

und psychisch immer weniger in der Lage sind, Grenzen zu ziehen und Alternativen<br />

anzubieten.<br />

Kinder und Jugendliche heute sind „Digital Natives“, sie verbringen zum Teil<br />

erschreckend viel Zeit nicht mehr in Beziehungen, wie wir sie noch aus unser Kinder-<br />

und Jugendzeit her kennen, sondern in virtuellen Welten mit virtuellen Spielpartnern<br />

oder zumindest Partnern, die sie nie dreidimensional gesehen, gerochen, gespürt<br />

haben, und die sie vermutlich niemals wirklich treffen werden. Es sind neue virtuelle<br />

Welten, die sich von denen der Fantasie oder des kreativen Spiels unterscheiden.<br />

Diese bilden, im Gegensatz zu den präformierten Internetspielen,<br />

entwicklungsnotwendige und entwicklungsfördernde Übergangsräume.<br />

Nun sind die neuen Medien natürlich auch ein Tor zur Welt, zur Demokratisierung von<br />

Informationen, und unsere Entwicklung von der Wissens- zur Informationsgesellschaft<br />

ist in vollem Gange – mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Wir alle, nicht<br />

nur die Kinder und Schüler, erleben Auswirkungen der Informationstechnologie auf<br />

unser Denken, auf die Art und Weise, wie wir unsere Zeit verbringen, auf unser<br />

subjektiv erlebtes Zeitgefühl selbst, auf unser Gedächtnis und vieles mehr.<br />

Mit großer Sorge beobachten wir seit einigen Jahren gewalttätige Exzesse von Handy-<br />

und Internetkonsum bei unseren Schülern und Kindern, die mit dem Phänomen des<br />

Happy Slapping oder der Internetsucht verbunden sind. Dies haben wir in unserer<br />

Arbeitsgruppe des Landespräventionsrats zum Thema gemacht, mit dem Ziel,<br />

Schulen und Eltern in gemeinsamer Verantwortung dafür zu gewinnen, Schülerinnen<br />

und Schüler zu einem ethisch verantwortungsvollen, aufgeklärten und bewussten<br />

Umgang mit den Neuen Medien anzuhalten.<br />

Unter der Maxime: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wurden Schulen<br />

aufgerufen, Konzepte zu entwickeln, statt Handys auszugrenzen.<br />

Für diejenigen unter Ihnen, denen der Begriff Happy Slapping neu ist: Er bezeichnet<br />

aggressive, körperliche oder seelische Handlungen gegenüber einem Opfer, die<br />

alleine aus dem Zweck betrieben werden, diese Grausamkeit mit dem Handy<br />

aufzunehmen und anschließend ins Netz zu stellen oder über Handys weiterzuleiten.<br />

Es gibt also keinen nachvollziehbaren Konflikt oder Streit als Auslöser der Prügelei<br />

oder der Zerstörung von Gegenständen, sondern allein den Wunsch, das Opfer in<br />

dieser doppelten Weise zu demütigen und sich selbst als mutigen Held zu stilisieren,<br />

der keine Grenzen kennt, also Fame zu erwerben. Laut einer aktuellen europaweiten<br />

Studie sind 1/5 aller Schülerinnen und Schüler von dem so genannten Cyberbulling,<br />

also dem Mobbing im Netz, betroffen.<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Wir haben 2007 alle Schulen und alle Elternvertreter angeschrieben, und ich darf<br />

sagen, dass die Schulen, quer durch alle Schulformen, die sich mit diesem Thema<br />

beschäftigt haben, wunderbare Ergebnisse erzielt haben und mit Sicherheit einen<br />

nachhaltigen und sehr wichtigen Prozess in ihrer Schule und in ihren Klassen erleben<br />

durften.<br />

Angesichts dieses weit verbreiteten Phänomens war insgesamt jedoch die<br />

Zurückhaltung der Schulen bedrückend groß und die Beteiligung der Elternvertreter,<br />

die uns so wichtig war, nicht nur, weil sie ja ihren Kindern die Hardware kaufen,<br />

praktisch gleich Null. Für uns ist immer noch eine offene Frage, warum dieses Thema<br />

gerade bei den Eltern auf so wenig Resonanz gestoßen ist.<br />

Aktuell gehen wir im Kultusministerium dieser Frage nach und überlegen, wie wir<br />

Eltern und Lehrkräften das Aufgabenfeld “Neue Medien“ als einen zentralen<br />

Erziehungsgegenstand noch rechtzeitig genug nahe bringen können. Ich freue mich<br />

und bin Ihnen dankbar, wenn Sie mir Hinweise geben, wie wir Sie diesmal besser<br />

erreichen und einbinden können.<br />

Neben dem Happy Slapping stellt Internetsucht ein wachsendes Gegenwartsproblem<br />

für Kinder, Jugendliche und Erwachsene dar. Eine ganze Reihe von Schülern ist<br />

aktuell nicht mehr zum Schulbesuch zu bewegen, schlicht weil sie zu müde sind, nach<br />

verbrachter Nacht im Netz. Hier sind natürlich Sie als Eltern zunächst einmal näher<br />

dran und müssen sich die Frage stellen: Was weiß ich noch von meinem Kind, bin ich<br />

noch in Kontakt, bin ich noch in Beziehung?<br />

Ich knie innerlich nieder vor jedem und jeder von Ihnen, die im Moment ein Kind im<br />

pubertären Alter hat, es gibt Phasen in der Entwicklung von Kindern, in denen, „in<br />

Kontakt bleiben“ wirklich eine extrem schwierige Herausforderung darstellt.<br />

Es ist auch zunehmend eine große Herausforderung für das Familienleben und das<br />

Schulleben, mit den Verlockungen und Reizen des Internets in Konkurrenz treten zu<br />

müssen. Auch hier gilt im familiären, wie im schulischen Feld gleichwohl: In Beziehung<br />

bleiben und Vorbild sein, dann gelingt es leichter, Grenzen glaubhaft zu vertreten und<br />

entwicklungsangemessen anzupassen.<br />

Wenn der Schüler, die Schülerin, der Sohn oder die Tochter allerdings nicht mehr<br />

ansprechbar ist und Suchtphänomene bei Internetentzug auftreten, gilt dasselbe, wie<br />

für alle Suchtentwicklungen: schnellstmöglich professionelle Hilfe anfordern!<br />

Zu der oft diskutierten Frage, ob das exzessive Schauen von gewalttätigen Videos<br />

oder Internetspielen selbst gewalttätig macht, möchte ich mich nicht äußern, die Daten<br />

und Forschungslage liefert dazu seit Jahrzehnten widersprüchliche Befunde.<br />

Nichts hindert uns aber, ein Selbstexperiment zu machen und die Auswirkungen<br />

mehrstündigen, exzessiven Medienkonsums mit gewalttätigen Inhalten auf unser<br />

Fühlen, Denken und unser körperliches Erleben zu untersuchen. Dazu braucht es<br />

keine Ego-Shooter, da reichen zum Teil selbst die öffentlich-rechtlichen<br />

Fernsehprogramme vollkommen aus. Frank Schirrmachergeht in seinem aktuell viel<br />

zitierten Buch „Pay Back“ gleichermaßen der Frage nach, welche Auswirkungen neue<br />

Medien auf die Qualität und Struktur unserer Denkprozesse und die Gestaltung<br />

unserer Zeit haben.<br />

Ähnlich wie bei Gummibärchen und Schokolade, nur mit weitaus gravierenderen und<br />

nachhaltigeren Folgen, merkt man meist erst zu spät, dass man zu viel genossen hat.<br />

Aus dieser Erfahrung kann aber ein Lerneffekt entstehen, der eine aktive<br />

Selbstregulation und Gegensteuerung möglich macht, um zu verhindern, dass wir das<br />

kaufen, was Ebay und Pay Back uns vorschlagen oder das hören, was Amazon für<br />

uns ausgesucht hat.<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Die großen Technologiekonzerne haben eben nur die Produkte und, wenn's gut geht,<br />

die technische Bedienungsanleitung auf den Markt gebracht, die kulturelle, soziale<br />

Bedienungsanleitung müssen wir als Eltern, Lehrkräfte und Psychologen allererst<br />

schreiben und vertreten.<br />

In den letzten Jahren und im Nachgang zu den Pisa Ergebnissen hat sich eine ganze<br />

Reihe von schulischen und außerschulischen Initiativen zur Förderung des Lesens<br />

gegründet. Dies scheint auch bitter nötig zu sein!<br />

An dieser Stelle möchte auch ich deshalb kurz eine Lanze für das Lesen brechen,<br />

speziell für das literarische Lesen. Wichtige Hintergrundinformationen dazu finden Sie<br />

übrigens auch in der Zeit, einer Zeitschrift, die wöchentlich jedem zugänglich ist, man<br />

muss also nicht immer unbedingt auf Fachbücher oder Studien zurückgreifen.<br />

Lesen lernt man am besten durch Vorlesen, das eingebunden ist in eine Vorlesekultur<br />

(über das Gelesene zu sprechen, etc.). Das Vorlesen, wie auch das Lesen<br />

Erwachsener ist nun allerdings in dramatischem Maße rückläufig. In einer aktuellen<br />

repräsentativen Studie geben nur 50 % der Jugendlichen an, von ihren Eltern Bücher<br />

geschenkt zu bekommen. Und unter den Erwachsenen, die potentiell Bücher<br />

verschenken, hat sich in den letzten 10 Jahren die Zahl derer halbiert, die selber zum<br />

Buch gegriffen haben.<br />

Die Lesekultur wiederum gilt als der beste Prediktor für die spätere Lesekompetenz<br />

der Schülerinnen und Schüler. Ebenso wie Bücher im Haus, ein Prediktor für<br />

Schulerfolg sind und das Vorhandensein von Unterhaltungselektronik mit Schulerfolg<br />

negativ korreliert. Neben der Lesekultur in der Familie entscheiden die Erfahrungen in<br />

der Grundschule darüber, ob ein Kind ein Leser wird oder nicht.<br />

Das heißt, die Ressourcen für die Lesekompetenz unserer Kinder und Schüler liegen<br />

in uns, den vorlesenden Eltern, den vorlesenden Grundschullehrerinnen und -lehrern<br />

und in unserer eigenen Lust und Praxis am literarischen Lesen.<br />

Warum nun ist ausgerechnet diese Kompetenz so umfassend wichtig? Lesen und<br />

Schreiben ist weit mehr als reine Informationsvermittlung. Vor allem das literarische<br />

Lesen vermittelt psychologische, kognitive und soziale Kompetenzen von zentraler<br />

Bedeutung; nämlich die Fähigkeit zur Einfühlung und die Fähigkeit zum<br />

Perspektivenwechsel. Diese werden genuin im literarischen Lesen vermittelt und sind<br />

die Fundamente unserer Beziehungskompetenz, von der in meinem Beitrag immer<br />

wieder die Rede ist. Sie können eine Gegenwelt zu der präformierten Welt der<br />

Spielkonsolen herstellen.<br />

Lassen Sie mich nun nach diesem kleinen Exkurs über das Lesen wieder<br />

zurückkommen zu den Präventionsthemen an unseren Schulen.<br />

Mobbing und Internetgewalt stellen Phänomene dar, die als dysregulierte und<br />

zerstörerische Prozesse bei denen nicht nur die Opfer geschädigt, sondern auch die<br />

Täter und scheinbar passive Zuschauer in ihrer Entwicklung beschädigt werden.<br />

In extremster Form gilt dies natürlich für Amoks oder Schoolshootings, bei denen der<br />

Akteur nicht nur eine Vielzahl von Opfern tötet, sondern seine Tat in der Regel selbst<br />

nicht überlebt. In den Industrienationen haben wir in den letzten 20 Jahren eine<br />

absolute Zunahme von Schoolshootings zu verzeichnen, wenngleich insgesamt die<br />

Fallzahl nicht hoch ist. Allein in Deutschland 2002 an einem Gymnasium in Erfurt, in<br />

dem 17 Menschen getötet wurden, 2006 an einer Realschule in Emsdetten mit einem<br />

Todesopfer und mehreren Verletzten bei einem Amoklauf, im letzten Jahr 2009 der<br />

Amoklauf eines 17-jährigen in Winnenden bei dem 15 Menschen getötet und 11<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

schwer verletzt wurden und zuletzt die Gewalttat an einer Berufsschule in<br />

Ludwigshafen am 17.2.2010.<br />

Hessen hat 2007 eine Handreichung „Handeln in Krisensituationen“ herausgegeben,<br />

jeder Schule den Auftrag gegeben, ein Krisenteam aufzustellen und<br />

Schulpsychologen qualifiziert bei Großschadensereignissen die Schulgemeinde darin<br />

zu unterstützen, die psychosozialen Folgeschäden so gering wie möglich zu halten<br />

und so alle Beteiligten so schnell wie möglich wieder in die Lage zu versetzen,<br />

schulfähig zu sein. Auftrag und Aufgaben der schulischen Krisenteams lassen sich mit<br />

vielen bereits bestehenden präventiven Aufgaben und Arbeitsgruppen der Schule gut<br />

vernetzen. Sie sind nicht nur dazu da, im Notfall der Polizei zu assistieren, sondern<br />

können sich als psychosoziale „Task Forces“ begreifen, frühzeitig Fehlentwicklungen<br />

in ihrer Schule aufzuspüren, Lösungskonzepte mit allen Beteiligten zu bearbeiten und<br />

eine Integration und Stärkung der von Ausgrenzung oder Versagen bedrohten Schüler<br />

zu bewirken.<br />

Dabei halte ich persönlich wenig von dem Ansatz, potentielle Amoktäter über<br />

Screeningverfahren, wie Dyrias herausfiltern zu wollen. Dies scheint mir eine<br />

unzulässige Verkürzung und Individualisierung eines Gruppen-, eines<br />

gesellschaftlichen Phänomens zu sein.<br />

Vielversprechender finde ich die sogenannte Sternchenübung, bei der alle Lehrkräfte<br />

in Klassenkonferenzen aufgefordert sind, neben den Noten auch die sozialen<br />

Beziehungen zu erfassen. Also ein Sternchen zu zeichnen, hinter jeden Schüler, jede<br />

Schülerin, zu der oder dem ich als Lehrerin im guten Kontakt stehe. Im Überblick kann<br />

man ganz schnell erkennen, ob in dieser Klasse Schüler und Schülerinnen sind, zu<br />

denen keiner der beteiligten Lehrkräfte eine gute Beziehung hat, um die müsste man<br />

sich dann kümmern. Ein, wie mir scheint, einfaches, übersichtliches und<br />

zeitsparendes, eben ressourcenorientiertes Instrument. Es setzt an der sozialen<br />

Verantwortung der Lehrkräfte an.<br />

Wie Sie merken, komme ich immer wieder auf den Stellenwert, die tragende<br />

Bedeutung von Beziehung auch und gerade im schulischen Kontext zurück. In letzter<br />

Zeit haben uns die Neurowissenschaften, speziell die Neurobiologie, dafür<br />

hochinteressante Forschungsergebnisse und gute Argumente an die Hand gegeben.<br />

Gerald Hüther hat 2008 auf dem 13. Präventionstag in Leipzig zum Abschluss der<br />

Tagung eine viel beachtete Rede gehalten, in der er die Bedingungen von Entwicklung<br />

und Lernen aus neurobiologischer Sicht zusammengefasst hat und in ganz einfachen<br />

Sätzen sagte, was menschliche Entwicklung ausmacht, worum es uns allen von klein<br />

an geht: Um die Möglichkeit, dazuzugehören und die Chance, wachsen, uns<br />

entwickeln zu dürfen.<br />

Uns Menschen werden, quasi als „Survival Package“, zwei so genannte ontologische<br />

Konstanten mitgegeben: Der Wunsch, in Beziehung zu sein und der Wunsch,<br />

wachsen, uns entwickeln zu dürfen. Dabei ist neurophysiologisch Lernen und<br />

Entdecken mit Lust und Freude verknüpft, bedingt durch die neuronale Aktivität, bei<br />

der es im Gehirn zur Dopaminauschüttung kommt. Dies will jedes Kind immer wieder<br />

erleben. Wenn also Lernerfahrungen auf diese Art und Weise positiv erlebt und<br />

bewertet werden können, ist fast keine Anstrengung zu groß. Wir kennen das alle aus<br />

eigenen Gelingenserfahrungen, dem AHA-Erlebnis, wenn wir etwas bisher<br />

Unverstandenes jetzt begriffen haben. Denn das ist die erste wichtige Erkenntnis der<br />

modernen Neurobiologie: Kinder kommen mit einer unglaublichen Lust am eigenen<br />

Entdecken und Gestalten zur Welt.<br />

Dies ist auch von den Kinderanalytikern Rene Spitz und dem Kognitionsforscher Jean<br />

Piaget gut dokumentiert und beschrieben worden: Nie wieder ist ein Mensch so<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

neugierig und so entdeckungsfreudig, wie in den ersten Lebensmonaten und Jahren.<br />

Es geht also weniger um Förderprogramme, sondern um Vorsicht, dieses<br />

uranfängliche Neugierverhalten zu schützen. Mit Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn ihr<br />

wollt, dass eure Kinder ein Schiff bauen lernen, dann weckt in ihnen die Sehnsucht<br />

nach der Seefahrt“.<br />

Neugier und Sehnsucht nach Bindung sind also elementare Bedingungen und<br />

Voraussetzungen von Lernen und Entwicklung. Wenn jedoch Beziehungen, die „good<br />

enough“ sind, fehlen, wenn der Wunsch, wachsen zu dürfen gestört wird, durch<br />

Kleinmachen, nicht Zuhören, keine Zeit haben, zu viel fordern, zu inkonsequent sein,<br />

hat dies Auswirkungen, nicht zuletzt natürlich auch auf die schulischen Leistungen.<br />

Angst ist grundsätzlich ein schlechter Lernbegleiter, wir müssen gleichwohl<br />

annehmen, dass ca. 40 Prozent der Schüler mit Angst in die Schule gehen. Angst<br />

führt dazu, anders als bei den Gelingenserfahrungen, dass unspezifische<br />

Erregungsmuster im Gehirn aufgebaut werden und sich ausbreiten können. Es kommt<br />

so zum „Teufelskreis Lernstörungen“, die dann LRS, Dyskalkulie, ADS oder<br />

Teilleistungsstörungen genannt werden.<br />

Das Einzige, was dagegen hilft, ist Vertrauen in die eigene Kompetenz und das<br />

Zutrauen wesentlicher Bezugspersonen. Wird diese uranfängliche Sehnsucht,<br />

dazuzugehören bestärkt, stellt sie eine zentrale Ressource dar, die hilft, die Angst zu<br />

überwinden und neue Erfahrungen zu machen.<br />

In den letzten Jahrzehnten ist auch die familiäre Erziehung Gegenstand der<br />

wissenschaftlichen Untersuchung und der Ratgeberkulturen gleichermaßen geworden.<br />

In den Schulen und in den gesamten Bildungssystemen kursieren Begriffe wie<br />

Exzellenz, Kompetenz, Effizienz, Modularisierung, die aktuell viel Verwirrung stiften<br />

und bislang im schulischen und im universitären Bereich nicht das halten, was sie<br />

versprechen.<br />

Als Schulpsychologin und als Psychotherapeutin möchte ich im Schulterschluss mit<br />

den Neurowissenschaften den Stellenwert der Beziehung wieder mehr ins Blickfeld<br />

rücken. Sie erinnern sich: Beziehung und Interesse teilen, gehört zu dem Wenigen,<br />

was mehr wird, wenn man es teilt.<br />

Letzten Endes geht es doch darum, dass Familie, wie auch immer sie gestaltet ist, bei<br />

allen Problemen, Spannungen, Konflikten, die unvermeidlich sind, ein Ort der sicheren<br />

Beziehung ist und bleibt, der im Winnicott`schen Sinne „good enough“ ist.<br />

In der Folge geht es um die Fragen: Wie müssen Schulen gebaut, wie Lehrkräfte und<br />

Schulleitungen ausgebildet und gesellschaftlich gewertschätzt sein, wie die<br />

Kooperation mit Unterstützungssystemen geregelt und erleichtert, damit Schule ein<br />

Ort wird, mit dem sich alle, Schüler, Lehrkräfte, Schulleitungen, Hausmeister und<br />

Schulsekretärinnen – und nicht zuletzt auch die Eltern – identifizieren können?<br />

Damit ist nicht einer anspruchsfreien Kuschelpädagogik das Wort geredet, sondern<br />

eine lebendige Schule gemeint, die die Beziehung und Entwicklungsbedürfnisse aller<br />

berücksichtigt, ja sie zur Grundlage ihres Handelns macht und die sich als<br />

Erfahrungsraum versteht, in dem alle Lernen. Das ist kein Hexenwerk und gleichwohl<br />

unter den obwaltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht anstrengungsfrei<br />

und kostenneutral herzustellen.<br />

In unseren Fortbildungsveranstaltungen für die schulischen Krisenteams haben wir<br />

einige Gelingensfaktoren zusammengestellt, die helfen, Gewalt und andere<br />

Fehlentwicklungen zu vermeiden, die für die Lehrer unter Ihnen und natürlich auch für<br />

Sie als Eltern vielleicht einen Impuls darstellen können.<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

Kurz gesagt dreht sich alles – ressourcenorientiert – um die Förderung der<br />

Schutzfaktoren und die Verminderung der Risikofaktoren. Als Schutzfaktoren sind die<br />

Entwicklung und Stärkung des Selbstbewusstseins, die Vermittlung von frühkindlichen<br />

Erfolgserfahrungen und der Aufbau von Fehlertoleranz, wenn etwas nicht, wie<br />

gewünscht und auf Anhieb klappt, zentral. Entscheidend ist das so genannte<br />

Selbstwirksamkeitserleben, das allein unter der Voraussetzung entstehen kann, dass<br />

ich etwas ausprobieren kann und, dass mein Handeln voller Zutrauen begleitet wird.<br />

Dies gilt es zunächst in der Familie und im Anschluss im Kindergarten mehr<br />

zuzulassen als zu fördern und in der Schule weiter zu pflegen. Es stellt ebenso die<br />

psychosozialen Gelingensbedingungen von privater und beruflicher Entwicklung auch<br />

für uns Erwachsene dar. Wir sind dann am Glücklichsten und am meisten bei uns,<br />

wenn wir eingebunden sind in anerkennende Beziehungen, wenn wir etwas gestalten<br />

können und wenn man uns etwas zutraut.<br />

Die zweite Ebene ist die Verminderung der Risikofaktoren: In der Schule durch die<br />

Umsetzung pädagogischer und sozialarbeiterischer Konzepte, nicht nur in den<br />

Projektwochen. Die Vorbeugung und der Abbau von Ängsten (zum Beispiel vor Noten,<br />

vor Nichtversetzung, vor Ordnungsmaßnahmen) als gemeinsames Ziel von Elternhaus<br />

und Schule. Und die Einrichtung eines niederschwelligen Beratungsangebotes für<br />

Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte, für all die Situationen, in denen für die<br />

anstehenden Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben nicht genügend eigene Partner<br />

zur Verfügung stehen oder wir einfach nur einen Blick von Außen brauchen, weil sich<br />

alles verhakt und verklemmt hat. Dazu gehört aber auch, am Beispiel des Aufbaus<br />

einer medienkritischen Schulkultur, für Eltern, Lehrkräfte und Schüler gleichermaßen,<br />

den Mut und die Kraft zur Kontrolle und Sanktionierung von Gewalt aufzubringen und<br />

zwar in all ihren Darstellungen, Handlungen, Sprache und „Kult“. Über Erfolg und<br />

Gelingen des Aufbaus von Schutzfaktoren und der Vermeidung von Risikofaktoren<br />

entscheidet letztlich die gelebte Praxis oder anders gesagt, ob es uns als Eltern und<br />

Lehrkräften gelingt, selbst Modell zu sein und uns in unserem erzieherischen Handeln<br />

immer wieder selbst zu überprüfen.<br />

Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte pro domo also für und über die<br />

Schulpsychologie sprechen. Schulpsychologen sind wie Schulsozialarbeiter und BFZ-<br />

Lehrkräfte eine wichtige, ja ich meine unverzichtbare Ressource für die Schulen und<br />

die Eltern. Ganz aktuell hat die hessische Landesregierung 15 neue Stellen zur<br />

Stärkung der Gewaltprävention an hessischen Schulen geschaffen – ein großer Schritt<br />

in die richtige Richtung!<br />

Schulpsychologen sind durch ihr Psychologiestudium qualifiziert zu diagnostizieren<br />

und zu beraten, viele von ihnen haben zudem eine Lehrerausbildung und verfügen<br />

über eine hohe schulische Feldkompetenz, oft haben sie eine therapeutische<br />

Zusatzausbildung und qualifizieren sich in internen und externen Fortbildungen und<br />

Supervisionen kontinuierlich berufsbegleitend weiter.<br />

Schulpsychologinnen und Schulpsychologen übernehmen Aufgaben in der<br />

Lehrerausbildung, der Fort- und Weiterbildungen von Lehrkräften und Schulleitungen,<br />

wirken in landesweiten Arbeitsgruppen zu allen schulrelevanten Fragestellungen, vor<br />

allem mit dem Schwerpunkt der (Gewalt-) Prävention mit, sind an der Durchführung,<br />

Auswertung und Ergebnispräsentation von internationalen und nationalen<br />

Vergleichsarbeiten (PISA, et al.) beteiligt, kooperieren in kommunalen Netzwerken<br />

(AK Hilfe statt Gewalt, etc).<br />

Der Dienstort einer Schulpsychologin, eines Schulpsychologen ist das Staatliche<br />

Schulamt. Auch dort beraten sie, schulamtsintern die Schulamtsdirektoren und<br />

Juristen bei anstehenden schulfachlichen Entscheidungen und erstellen bei den<br />

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Dr. Carola Eunicke-Morell Vortrag auf dem 5. Hessischen Elternforum<br />

gesetzlich vorgegebenen Fragestellungen schulpsychologische Stellungnahmen und<br />

Gutachten. Jede Schulpsychologin, jeder Schulpsychologe ist für die Beratung einer<br />

Vielzahl von Schulen zuständig, d.h. als unparteiische Beraterin und Berater für Eltern,<br />

Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen ansprechbar. Im Rahmen<br />

der schülerbezogenen, individuellen Beratung geht es um Themen, wie<br />

Schullaufbahnberatung, Diagnose und Beratung bei Lern-Leistungsproblemen bis hin<br />

zur Beratung bei Schulphobie oder bei Schwänzen. Dazu zählen auch<br />

Akutinterventionen bei Suiziddrohung oder, wie in jüngster Zeit gehäuft, bei<br />

schulischen Gefährdungslagen, wie der Androhung einer Amoktat.<br />

Der zweite gesetzliche Auftrag besteht in der systembezogenen Beratung von<br />

Schulen, in der zum Beispiel auch Projekte zur Prävention für die ganze<br />

Schulgemeinde angestoßen und begleitet werden.<br />

In Zeiten eines sich stark verändernden gesellschaftlichen und schulischen Umfeldes<br />

braucht es solche Ressourcen stärkenden und präventiven Unterstützungen an den<br />

Schulen. Ihnen, sehr geehrte Eltern, habe ich dies so ausführlich dargelegt, um Ihnen<br />

einen Einblick in unser Aufgabenfeld zu geben, Ihnen Mut zu machen, rechtzeitig<br />

schulpsychologische Unterstützung anzufragen und auch damit Sie Verständnis für<br />

die, in jedem Unterstützungssystem unvermeidbaren, Wartezeiten aufbringen.<br />

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