Expertenanhörung - LAG Erziehungsberatung NRW eV
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Expertenanhörung ‚Abhängigkeits- und Suchtpotenzial von Computerspielen‘ am 8.Juni 2009 Ausgerichtet vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit In Kooperation mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen Auswertung Prof. Dr. Beate Schneider Prof. Dr. Helmut Scherer Dipl.-Medienwiss. Dorothée Hefner Hannover, August 2009
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- Seite 38 und 39: Transparenz: Offenlegung der Spiele
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- Seite 48 und 49: Ausgewählte Publikationen Hasebrin
- Seite 50 und 51: schränkungen oder Verboten keine a
<strong>Expertenanhörung</strong><br />
‚Abhängigkeits- und Suchtpotenzial von Computerspielen‘<br />
am 8.Juni 2009<br />
Ausgerichtet vom Niedersächsischen Ministerium für<br />
Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit<br />
In Kooperation mit dem Ministerium für Arbeit,<br />
Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
Auswertung<br />
Prof. Dr. Beate Schneider<br />
Prof. Dr. Helmut Scherer<br />
Dipl.-Medienwiss. Dorothée Hefner<br />
Hannover, August 2009
Inhaltsverzeichnis<br />
Teil 1: Auswertung der Fragen<br />
1. Einleitung ............................................................................................................................................... 5<br />
1.1 Methode .............................................................................................................................................. 6<br />
2. Definition Sucht/Computerspielsucht ................................................................................................... 7<br />
2.1 Was ist Sucht/Abhängigkeit? .............................................................................................................. 7<br />
2.2 Was ist Sucht/Abhängigkeit/exzessive Nutzung/pathologische Nutzung im Bereich Medien? ......... 7<br />
2.3 Gesellschaftlicher Diskurs ................................................................................................................. 12<br />
2.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens ................................................................................................. 13<br />
3. Diagnosekriterien pathologischer Computerspielnutzung ................................................................. 14<br />
3.1 Quantitative Kriterien ....................................................................................................................... 14<br />
3.2 Qualitative Kriterien .......................................................................................................................... 14<br />
3.3 Prävalenz ........................................................................................................................................... 17<br />
3.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens ................................................................................................. 18<br />
4. Symptome pathologischer Computerspielnutzung und Eigenschaften der Spieler ........................... 19<br />
4.1 Eigenschaften der Spieler: Soziodemographie ................................................................................. 19<br />
4.2 Eigenschaften der Spieler: Persönlichkeit ......................................................................................... 20<br />
4.3 Spielverhalten und Spielmotivation .................................................................................................. 21<br />
4.4 Alltagsleben/Lebensführung ............................................................................................................. 22<br />
4.5 Psychische Symptome: Komorbiditäten ........................................................................................... 23<br />
4.6 Physische Symptome ........................................................................................................................ 24<br />
4.7 Symptome des und für das Umfeld .................................................................................................. 24<br />
4.8 Zwischenfazit: Konsens und Dissens ................................................................................................. 26<br />
5. Ursachen des pathologischen Computerspielens ............................................................................... 27<br />
5.1 Ursache‐Wirkungsdebatte ................................................................................................................ 27<br />
5.2 Spielseitige Ursachen: Eigenschaften von Spielen als suchtauslösende Momente .......................... 28<br />
5.3 Spielegenres ...................................................................................................................................... 30<br />
5.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens ................................................................................................. 33<br />
6. Maßnahmen ........................................................................................................................................ 35<br />
6.1 Maßnahmen bei Spielen ................................................................................................................... 35<br />
2
6.2 Maßnahmen im Umfeld der Spieler .................................................................................................. 36<br />
6.3 Zuständigkeiten und Möglichkeiten zur Implementierung der Maßnahmen .................................. 39<br />
6.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens ................................................................................................. 39<br />
7. Fazit und Empfehlungen ...................................................................................................................... 41<br />
Teil 2: Informationen zu den Experten und Auswertung ihrer Argumentation<br />
Prof. Dr. Hans Volker Bolay ......................................................................................................................... 43<br />
Prof. Dr. Uwe Hasebrink .............................................................................................................................. 47<br />
Prof. Dr. Christoph Klimmt .......................................................................................................................... 49<br />
Prof. Dr. Dr. Klaus Mathiak .......................................................................................................................... 53<br />
Prof. Dr. Christian Pfeiffer ........................................................................................................................... 56<br />
Prof. Dr. Thorsten Quandt ........................................................................................................................... 58<br />
Dr. Bert Theodor te Wildt ............................................................................................................................ 61<br />
Prof. Dr. med. Rainer Thomasius ................................................................................................................. 64<br />
Teil 3: Kurzfassung<br />
Definition Sucht/Computerspielsucht: Konsens und Dissens ..................................................................... 68<br />
Diagnosekriterien pathologischer Computerspielnutzung: Konsens und Dissens ...................................... 68<br />
Symptome pathologischer Computerspielnutzung und Eigenschaften der Spieler: Konsens und Dissens 69<br />
Ursachen des pathologischen Computerspielens: Konsens und Dissens ................................................... 70<br />
Maßnahmen: Konsens und Dissens ............................................................................................................ 71<br />
Fazit und Empfehlungen .............................................................................................................................. 72<br />
Prof. Bolay: Bewertung der Expertise und Argumentation ......................................................................... 74<br />
Prof. Hasebrink: Bewertung der Expertise und Argumentation ................................................................. 74<br />
Prof. Klimmt: Bewertung der Expertise und Argumentation ...................................................................... 74<br />
Prof. Mathiak: Bewertung der Expertise und Argumentation .................................................................... 75<br />
Prof. Pfeiffer: Bewertung der Expertise und Argumentation ...................................................................... 75<br />
Prof. Quandt: Bewertung der Expertise und Argumentation ..................................................................... 76<br />
Dr. te Wildt: Bewertung der Expertise und Argumentation ....................................................................... 76<br />
Prof. Thomasius: Bewertung der Expertise und Argumentation ................................................................ 77<br />
3
Anmerkung:<br />
Der folgende Bericht ist in zwei Bereiche unterteilt: Auf den Seiten 5 bis 36 werden die an die Experten<br />
herangetragenen Fragen beantwortet und die Inhalte anhand der inhaltlichen Dimensionen strukturiert.<br />
Es folgen ab Seite 37 Informationen über die Experten und eine Auswertung ihrer spezifischen Argumen‐<br />
tationsweise. Der Bericht schließt ab mit einem allgemeinen Fazit und Empfehlungen.<br />
Abkürzungen<br />
pCS = pathologisches Computerspielen<br />
Kennzeichnung der Zitate<br />
T = Transkript, Wortprotokoll (bspw. „aus T te Wildt“ = Zitat aus dem Transkript von Dr. te Wildt)<br />
S = schriftlicher Beitrag<br />
P = Präsentation<br />
4
Teil 1: Auswertung der Fragen<br />
1. Einleitung<br />
Am 8. Juni 2009 luden das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit<br />
und das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein‐Westfalen<br />
zu einer <strong>Expertenanhörung</strong> ‚Abhängigkeits‐ und Suchtpotenzial von Computerspielen‘ ein.<br />
Anlass der Veranstalteung war zum einen die zunehmende Diskussion in der Bevölkerung über die große<br />
Beliebtheit von Computerspielen unter Jugendlichen und Gefahren exzessiver Nutzung. Zum anderen<br />
legte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) unter der Leitung von Prof. Christian<br />
Pfeiffer Ergebnisse einer Befragungsstudie vor, die eine hohe Zahl exzessiver, suchtgefährdeter und tat‐<br />
sächlich süchtiger jugendlicher Nutzer konstatiert. Auch im Rahmen der Jugendministerkonferenz, die<br />
am 4. und 5. Juni 2009 in Bremen stattfand, wurden die jüngsten Entwicklungen diskutiert und die Exper‐<br />
tenanhörung begrüßt.<br />
Ziel der Anhörung war, die Diskussion mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Daten anzureichern.<br />
Zudem erwarteten die Ministerien Vorschläge der Experten für sinnvolle Maßnahmen bzw. eine Ein‐<br />
schätzung diskutierter Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht. Die eingeladenen Experten des Hea‐<br />
rings waren Prof. Dr. Hans Volker Bolay, Prof. Dr. Uwe Hasebrink, Prof. Dr. Christoph Klimmt, Prof. Dr. Dr.<br />
Klaus Mathiak, Prof. Dr. Thorsten Quandt, Prof. Dr. Christian Pfeiffer und Dr. Theodor te Wildt.<br />
Fünf Leitfragen wurden an die Experten gerichtet, an denen sich auch die folgende Auswertung orien‐<br />
tiert:<br />
1) Was ist Sucht/Abhängigkeit, insbesondere im Bereich der Medien?<br />
2) Bei welcher quantitativen und qualitativen Ausprägung kann man von exzessiver Nutzung, Abhängig‐<br />
keit und Sucht sprechen?<br />
3) Wie äußern sich exzessive Nutzung, Abhängigkeit oder Sucht im Alltagsverhalten der Betroffenen, und<br />
was sind die Parameter, die auf einen problematischen Umgang mit Computerspielen hinweisen?<br />
4) Welche Abhängigkeit oder suchtauslösende Momente sind in Computerspielen identifizierbar, und ist<br />
der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit bzw. Sucht und einzelnen Spielen nachweisbar?<br />
5) Was sollte zukünftig erfolgen, um ggf. exzessiven Gebrauch, Abhängigkeit und Sucht im Kontext der<br />
Nutzung von Computerspielen zu verhindern? Was sind aus Ihrer Sicht geeignete rechtliche, medienpä‐<br />
dagogische, politische Instrumente?<br />
Das Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung Hannover (IJK) erhielt vom Niedersächsischen<br />
Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit den Auftrag, das Expertenhearing wissen‐<br />
schaftlich auszuwerten.<br />
5
1.1 Methode<br />
Als Auswertungsgrundlage lagen dem IJK die Wortprotokolle des Hearings, die schriftlichen Beiträge der<br />
Experten und fünf Präsentationen der Experten vor (drei Experten hatten keine Präsentationen oder<br />
stellten diese dem Ministerium nicht zur Verfügung). Das Vorgehen der Auswertung war wie folgt:<br />
Zunächst wurde das gesamte Material gesichtet und Auswertungsdimensionen erarbeitet, die sich an<br />
den Leitfragen des Ministeriums orientierten. Das Material wurde dann anhand dieser Dimensionen qua‐<br />
litativ vercodet, das heißt, inhaltlich geordnet und systematisiert. Daraus resultiert eine Zusammenfas‐<br />
sung als strukturierte Darstellung von Positionen, Argumenten und Bewertungen der Experten, die sich<br />
wieder an den Leitfragen, die den Experten gestellt wurden, orientiert. Die Vercodung sowie Verdichtung<br />
des Materials wurde mit dem Atlas.ti durchgeführt, einem speziellen Programm für qualitative Auswer‐<br />
tungen.<br />
Die Informationen über die Experten wurden aus ihren schriftlich eingereichten Lebensläufen und Web‐<br />
seiten zusammengefasst, der Arbeitsschwerpunkt aus ihren Publikationen, Forschungsprojekten und<br />
Lehrangeboten extrahiert. Ausgewählte Publikationen der Experten zum hier relevanten Bereich Compu‐<br />
terspiele und Abhängigkeit wurden jeweils aufgelistet. Zudem wurden alle von ihnen genannten Publika‐<br />
tionen (im Wortprotokoll, schriftlichen Beitrag oder der Präsentation) erfasst und als Literaturliste darge‐<br />
stellt. Beide Listen wurden zur Bewertung ihrer Expertise und Argumentation herangezogen. In diese<br />
Bewertung flossen zudem die in ihrem Beitrag erkennbaren inhaltlichen Schwerpunkte sowie zentralen<br />
Argumentationsstränge ein.<br />
6
2. Definition Sucht/Computerspielsucht<br />
Leitfrage: Was ist Sucht/Abhängigkeit, insbesondere im Bereich der Medien?<br />
2.1 Was ist Sucht/Abhängigkeit?<br />
Der Begriff „Sucht“ wurde früher für substanzgebundene Abhängigkeiten und pathologisches Glücksspiel<br />
verwendet (Mathiak, Thomasus, te Wildt). Mittlerweile ist es gänzlich aus den internationalen psychiatri‐<br />
schen Klassifikationssystemen ICD und DSM entfernt bzw. durch Abhängigkeit ersetzt worden (te Wildt).<br />
Nach Mathiak und Bolay ist ein konstituierendes Merkmal von Süchten, dass sie psychische und physi‐<br />
sche Schäden mit sich bringen.<br />
Gemäß der Definition der World Health Organization ist Abhängigkeit “eine durch verschiedene Phäno‐<br />
mene des Verhaltens, der Kognition und des Körpers gekennzeichnete Störung, die nach wiederholter<br />
Einnahme von psychotropen Substanzen eintreten kann. Die Störung ist durch ein unüberwindbares<br />
Bedürfnis oder Verlangen charakterisiert, sich die jeweilige Substanz fortwährend und regelmäßig zuzu‐<br />
führen. Körperliche Anzeichen sind Toleranzentwicklung und in manchen Fällen körperliche Entzugs‐<br />
symptome.“ (vgl. WHO: http://apps.who.int/classifications/apps/icd/icd10online/ und Übersetzung:<br />
http://www.gbe‐bund.de/glossar/Abhaengigkeit)<br />
Diese Definition gilt nach der WHO für spezifische psychoaktive Substanzen wie Tabak, Alkohol oder Opi‐<br />
ate.<br />
2.2 Was ist Sucht/Abhängigkeit/exzessive Nutzung/pathologische Nutzung im Bereich Medien?<br />
Die Begriffe ‚Sucht‘, ‚Abhängigkeit‘ sowie ‚exzessive‘ und ‚pathologische‘ Nutzung sind in Bezug auf Me‐<br />
dien nicht einheitlich definiert. Die Ursache dafür liegt darin, dass die pathologische Computerspielnut‐<br />
zung kein eigenständiges Krankheitsbild in den internationalen diagnostischen Standardverzeichnissen<br />
ICD 10 (WHO) und DSM IV (APA) darstellt. Die Experten verwenden daher die Begriffe größtenteils syno‐<br />
nym. Eine Ausnahme bildet der Begriff der exzessiven Nutzung, er bezieht sich oft allein auf die reine<br />
Dauer der Nutzung.<br />
Einige Experten neigen allerdings zu bestimmten Begrifflichkeiten:<br />
• Bolay: „Computerspielsucht“<br />
• te Wildt, Hasebrink, Pfeiffer und Quandt: „Computerspielabhängigkeit“<br />
• Klimmt, Thomasius: „exzessiver Computerspielegebrauch bzw. exzessive Nutzung“<br />
Zwei Experten unterscheiden zwischen verschiedenen Spielergruppen: Pfeiffer grenzt gefährdete von<br />
süchtigen und diese von exzessiven Nutzern ab. Gefährdung definiert er als eine Vorstufe zur Sucht. Die‐<br />
ses wird durch seine Operationalisierung klar: Sobald ein Proband bei 14 Kategorien der KFN‐Skala (Items<br />
auf einer 1‐4‐Skala) mehr als 35 Punkte erreicht, gilt er als gefährdet; bei mehr als 42 Punkten als abhän‐<br />
7
gig. Den Begriff „exzessives Spielverhalten“ verwendet er unabhängig von der Skala ab einer täglichen<br />
Spielzeit von 4,5 h.<br />
Nach Bolay lassen sich anhand bestimmter Kriterien (siehe unten) drei Kategorien von Spielertypen defi‐<br />
nieren, deren Merkmale die nachfolgende Tabelle zeigt. Er schränkt jedoch ein, dass es hierfür noch kei‐<br />
ne stabilen Unterscheidungskriterien gibt.<br />
Spielertyp Normal Exzessiv Süchtig<br />
Zeitdauer gering hoch hoch<br />
Kontrolle über Spielver‐<br />
halten<br />
Interessen (Handlungs‐<br />
spielraum)<br />
Toleranzentwicklung/<br />
Habituation<br />
hoch mittel gering<br />
hoch zeitweise gering gering<br />
gering mittel hoch<br />
Negative Konsequenzen gering mittel hoch<br />
Entzugserscheinungen gering zeitweise hoch hoch<br />
Als konsensfähiger Begriff scheint „pathologische Computerspielnutzung“ zu fungieren, da er zum einen<br />
problematisch‐exzessive Nutzung von unproblematisch‐exzessiver Nutzung unterscheidet und zum ande‐<br />
ren nicht determiniert, ob es sich bei einem Verhalten um eine Abhängigkeit bzw. Sucht im Sinne einer<br />
substanzgebundenen Abhängigkeit handelt. Dieser Begriff wird im Folgenden daher in der Auswertung<br />
verwendet und als pCS abgekürzt.<br />
pCS wird (mangels Alternativen) als „andere näher bezeichnete Persönlichkeits‐ und Verhaltensstörun‐<br />
gen“ (ICD‐10: F 68.8) oder „abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ (ICD‐10: F 63)<br />
klassifiziert, da bislang nur die Glücksspielsucht als nicht‐stoffgebundene Sucht aufgeführt wird. Die<br />
meisten Experten äußern sich nicht eindeutig dazu, ob die Computerspielsucht als Verhaltenssucht klas‐<br />
sifiziert werden sollte. In der folgenden Tabelle sind die Stellungnahmen zur „Klassifizierung pathologi‐<br />
scher Computerspielnutzung“ verdichtet dargestellt:<br />
8
Eigenständiges Krankheitsbild:<br />
Bei Neuauflage des Klassifizierungssystems: Öffnung der Kapitel für Abhän‐<br />
gigkeitserkrankungen für nicht‐substanzgebundene Abhängigkeiten<br />
9<br />
te Wildt<br />
• Definition durch Klassifizierung wichtig für eine eindeutige Diagnose Hasebrink<br />
• Auch wenn pCS immer mit Komorbiditäten einhergeht (gilt für stoffge‐<br />
bundene Süchte ebenso), muss diese Krankheit ernst genommen wer‐<br />
den, weil bspw. aus einer subklinischen Depression erst durch die Com‐<br />
puterspielabhängigkeit eine pathologische Störung wird<br />
• Deutliche Parallelen zu stoffgebundenen Süchten<br />
• pCS erfüllt Kriterien einer „echten“ Abhängigkeit mit einer sehr subver‐<br />
siven Suchtwirkung<br />
te Wildt<br />
• Parallelwelt ähnlich zur Parallelwelt durch Drogenkonsum Thomasius<br />
• Ähnliche neurophysiologische Antwortmuster auf Computerspielreize<br />
(in Form von Bildern) von exzessiven Spielern wie auf Alkoholreize bei<br />
Alkoholkranken (Studie Thalemann, Wölfing & Grüsser, 2007)<br />
Mathiak<br />
• Deutliche Parallelen zu Glücksspielsucht te Wildt, Pfeiffer<br />
Kein eigenständiges Krankheitsbild<br />
• Keine physischen Schäden erkennbar<br />
• Unterschiede zu stoffgebundenen Süchten<br />
Es lassen sich keine Analogschlüsse zum Alkoholismus durch neurophysiolo‐<br />
gische oder psychologische Verfahren beweisen.<br />
Pathologisches Spielen basiert evtl. auf anderen Mechanismen als den<br />
suchttypischen Mechanismen, die mit dem Belohnungssystem gekoppelt<br />
sind. Es besteht Forschungsbedarf.<br />
Unterschiede zu Glücksspielsucht: Automatenspielsucht nicht anwendbar<br />
auf Spiele wie „World of Warcraft“, da sie auf sozialem Miteinander, Bere‐<br />
chenbarkeit, Prestigewerten und Selbstwirksamkeitserfahrungen basieren.<br />
Folgen sind weniger übergreifend (wie bei Drogen oder Alkohol).<br />
Folgen der Klassifizierung als eigenständiges Krankheitsbild<br />
+ Bessere Finanzierung medienpädagogischer und anderer präventiver<br />
Maßnahmen<br />
+ Aufbau therapeutischer Angebote<br />
‐ Nichtbehandlung von ggf. bedeutsameren psychischen Erkrankungen, z. B.<br />
Depression; „Modediagnose bei Jugendlichen“<br />
+/‐ Gesellschaftliche Kosten, z. B. verminderte angenommene Steuerungs‐<br />
fähigkeit der Spieler und infolge auch verminderte Schuldfähigkeit<br />
Quandt<br />
Klimmt<br />
te Wildt, Pfeiffer<br />
te Wildt, Pfeiffer<br />
Mathiak<br />
Mathiak<br />
Mathiak
Eine eindeutige Position zur Aufnahme der Computerspielsucht als eigenständige Krankheit in die diag‐<br />
nostischen Handbücher beziehen vor allem Experten aus der psychiatrischen Disziplin (te Wildt, Mathiak<br />
und Thomasius). Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass die Klassifizierungssysteme in ihrem<br />
Arbeitsalltag eine wesentlich bedeutendere Rolle spielen als im Berufsalltag von Kommunikationswissen‐<br />
schaftlern.<br />
• Te Wildt unterstützt eine Klassifizierung.<br />
• Mathiak nennt vor allem ihre möglichen negativen Folgen.<br />
• Thomasius ist prinzipiell gegen eine Klassifizierung.<br />
Bei Thomasius und Mathiak wird ein Zwiespalt deutlich: Einerseits sehen sie grundsätzliche Parallelen<br />
zwischen stoffgebundenen Süchten und einer durch Computerspiele induzierte Verhaltenssucht (was<br />
theoretisch für eine Klassifizierung sprechen müsste). Aufgund unzureichender Datenlage verweisen sie<br />
allerdings auf intensivere Forschung und Diskussion, bevor sie eine Klassifizierung unterstützen.<br />
Thomasius‘ Zitat unterstreicht den Zwiespalt (S Thomasius): „Diese Einengung auf das virtuelle Leben ist<br />
ein Prozess, der für stoffgebundene Abhängigkeit als Einengung auf den Substanzgebrauch beschrieben<br />
ist. Die Motivation zum Computerspiel ist nicht mehr eine Option unter anderen, sie verdrängt die ande‐<br />
ren Bedürfnisse mehr und mehr. So ist dann das exzessive Computerspiel aufgrund dieses Bedürfnisses<br />
keine wirklich freie Entscheidung mehr (Freiheit braucht Alternativen), und es kontrolliert nicht mehr der<br />
Spieler das Spiel, sondern mehr und mehr das Spiel den Spieler. Dieses Suchtartige des pathologischen<br />
Computerspiels hat dazu geführt, dass diese Störung als so genannte „Verhaltenssucht“ beschrieben<br />
wird. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Verhaltenssucht in der psychiatrischen Diagnostik<br />
noch umstritten ist. Der diagnostische Begriff der Abhängigkeit dagegen sollte auf Störungen durch Alko‐<br />
hol, Nikotin und Drogen, also auf substanzbezogene Störungen, beschränkt bleiben.“<br />
Auch Prof. Mathiak verweist auf fehlende Eindeutigkeiten. Er beschreibt eine Studie, in der neurophysio‐<br />
logische Muster gefunden wurden, die der Alkoholabhängigkeit gleichen (Thalemann, Wölfing & Grüsser,<br />
2007). Trotzdem resümiert er, dass es vermutlich irreführend wäre, „von Analogieschlüssen durch<br />
neurophysiologische oder psychologische Verfahren die Existenz einer Spielsucht beweisen zu wollen.“<br />
(Zitat aus S Mathiak). Vielmehr ist er der Meinung, dass der Definitionsprozess langfristig und im sozialen<br />
Miteinander geklärt werden muss: „Die Ontologie, die Nosologie und das Wesen des Alkoholismus ist<br />
vielmehr aus langjährigen Diskussionsprozessen vieler sozialer Gruppen geklärt.“ (Zitat aus S Mathiak).<br />
Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass die Symptomatik der Computerspielsucht behandelt werden<br />
sollte, und zwar auch losgelöst von etwaigen auslösenden Komorbiditäten, beispielsweise einer depres‐<br />
siven Erkrankung.<br />
Das Problem der exzessiven pathologischen Mediennutzung bezieht sich nicht alleine auf Computerspie‐<br />
le, sondern kann auch andere Medien betreffen. Die folgende Tabelle fasst die von den Experten ge‐<br />
nannten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum (pathologischen) Nutzungsverhalten von Computer‐<br />
spielen zu dem anderer Medien zusammen.<br />
10
Fernsehen<br />
Die durchschnittliche und extreme Fernsehnutzung<br />
übersteigt die Computerspielenutzung. Wirft die<br />
Frage auf, ob die Debatte um „Spielesucht“ nur aus<br />
gesellschaftlichem Druck entstanden ist.<br />
Der Leistungseinbruch der Jungen wird vom Computer‐<br />
spielen verursacht, nicht vom Fernsehen.<br />
Zitat T te Wildt: „Das Fernsehen hat niemals so eine<br />
Abhängigkeit hervorgerufen.“<br />
Internet Das Internet als umfassendes Interaktionsmedium sollte<br />
mehr im Fokus der Aufmerksamkeit stehen als nur der<br />
Computer bzw. die Computerspiele. Deshalb sollten<br />
auch andere internetfähige Endgeräte in die Diskussion<br />
integriert werden.<br />
Zitat T Thomasius: „Diskussion nicht alleine auf das<br />
Computerspiel zu beschränken, weil es einfach so nicht<br />
der Realität entspricht, und deshalb war ich ganz dank‐<br />
bar, dass die Ministerin gleich als Auftakt diesen Begriff<br />
pathologischen Internetgebrauch mit in die Diskussion<br />
annimmt.“<br />
Zitat S Thomasius: „Es ist auch keineswegs nur der Com‐<br />
puter, der im Zentrum des Verhaltens stehen muss, son‐<br />
dern zunehmend werden auch Handys und internetfähi‐<br />
ge Spielkonsolen an Bedeutung gewinnen.“<br />
Wenn man pathologisches Nutzungsverhalten von<br />
Computerspielen betrachtet, sollte man das Nutzungs‐<br />
verhalten des Internets mit einbeziehen. Suchtartiges<br />
Verhalten kann sich – außer auf Spiele – auch auf fol‐<br />
gende Internetanwendungen beziehen:<br />
Chat/Messaging, Pornografie, Online‐Einkäufe, virtuelle<br />
Kontaktpflege, pathologischer Gebrauch von Download,<br />
Produktion von Webinhalten, exzessive Informationssu‐<br />
che.<br />
Oft liegt eine Kombination von Internet‐ und Computer‐<br />
spielabhängigkeit vor.<br />
11<br />
Quandt<br />
Pfeiffer, te Wildt<br />
Thomasius, te Wildt<br />
Thomasius, te Wildt<br />
te Wildt<br />
Beim Fernsehen stehen sich zwei Positionen gegenüber: Quandt stellt die (sehr hohen) durchschnittli‐<br />
chen Nutzungszeiten des Fernsehens denen des Computerspielens gegenüber, um auf ein von ihm emp‐<br />
fundenes Ungleichgewicht in der Diskussion aufmerksam zu machen und die Frage aufzuwerfen, ob die<br />
Computerspielsucht auch ein gesellschaftlich konstruiertes Phänomen sein könnte. Pfeiffer und te Wildt<br />
sind dagegen der Meinung, dass eine hohe Computerspielnutzung tatsächlich schwerwiegendere Folgen<br />
als eine hohe Fernsehnutzung hat, zum Beispiel einen Leistungseinbruch in der Schule (Pfeiffer). te Wildt
etont darüber hinaus, dass es eben doch fundamentale Unterschiede zum Fernsehen gibt. Das Internet<br />
mit all seinen Handlungsmöglichkeiten bezeichnet er als „kompaktes Konvergenzmedium“ (T te Wildt),<br />
das sich vor allem durch die Kombination von Interaktivität und Realismus auszeichnet und deshalb nicht<br />
vergleichbar ist: „Ich glaube schon, dass es insofern ganz wichtig ist, sich da jetzt mit zu beschäftigen, und<br />
dass es ein paradigmatischer Wandel ist und man das nicht vergleichen kann mit den Vorläufermedien 1 :<br />
1, wie das bisher häufig in der Diskussion oft geschieht.“ (Zitat T te Wildt)<br />
Auf das Internet als übergeordnetes Medium für Computerspiele (übergeordnet deshalb, da die meisten<br />
Spiele, die im Verdacht stehen, pCS hervorzurufen, Online‐Spiele sind) gehen Thomasius und te Wildt<br />
ein. Sie sind der Meinung, dass eine Diskussion über Computerspielsucht das Medium Internet einbezie‐<br />
hen sollte, da deutliche Parallelen zwischen verschiedenen pathologischen Nutzungsmustern bestehen,<br />
die online ausgeführt werden.<br />
2.3 Gesellschaftlicher Diskurs<br />
In der Diskussion ist die Frage aufgekommen, inwiefern die Debatte um Computerspielabhängigkeit nur<br />
durch gesellschaftlichen Druck entstanden, nicht aber wissenschaftlich belegt ist (Quandt). Sozial uner‐<br />
wünschtes Verhalten wird demnach einfach als Sucht deklariert. Die Definition inakzeptablen Verhaltens<br />
ist kultur‐ und milieuabhängig, deswegen ist eine „objektive“ Abhängigkeit nur schwer von sozialen Kon‐<br />
struktionen zu trennen (Bolay, Quandt). Bolay und Quandt belegen ihre Vermutung damit, dass es keine<br />
vergleichbare Diskussion über eine Fernsehabhängigkeit gab, obwohl weder die Nutzungszeiten geringer<br />
sind (Quandt) noch der Gewaltanteil (Bolay).<br />
te Wildt betont vor allem die volkswirtschaftliche Problematik, die eine gesellschaftliche Auseinanderset‐<br />
zung erforderlich mache: Die zumeist männlichen Heranwachsenden fallen im Zuge der Abhängigkeits‐<br />
entwicklung häufig aus dem Bildungssystem und dem Arbeitsmarkt heraus. Zitat S te Wildt: „Computer‐<br />
spielabhängigkeit bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen stellt zunehmend eine ernsthafte Heraus‐<br />
forderung für die Gesellschaft und ihre Versorgungssysteme dar.“<br />
Pfeiffer unterstützt dieses Argument und fügt hinzu, dass – seit Computerspiele in hohem Ausmaß ge‐<br />
nutzt werden – die Zahl männlicher Schulabbrecher steigt, während die Zahl männlicher Abiturienten<br />
sinkt. Zitat T Pfeiffer: „Ein Staat, der einen dramatischen Geburtenrückgang verkraften muss, kann es sich<br />
nicht leisten, dass wir pro Jahr nur 115.000 männliche Abiturienten, aber 148.000 weibliche haben. Und<br />
wir können inzwischen aufzeigen durch unsere Studien, dass diese Differenz von 33.000 fehlenden männ‐<br />
lichen Abiturienten aber ein Überangebot bei den Schulabbrechern, da sind es 63 % männlich, oder bei<br />
den Sitzenbleibern 62 % oder bei den Absolventen von Sonderschülern mit 65 %, dass dieses Überangebot<br />
sich erst in den neunziger Jahren und letzten acht Jahren entwickelt hat, seit es Computerspiele gibt.“<br />
12
2.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens<br />
Konsens<br />
Die Experten stimmen darin überein, dass die Begrifflichkeiten Computerspielsucht, ‐abhängigkeit und<br />
pathologisches oder extremes Spielen noch nicht eindeutig festgelegt sind und somit in der Diskussion<br />
für Unschärfe sorgen. Einzig „exzessives Spielen“ beziehen alle auf die rein zeitliche Nutzungsdauer.<br />
Dissens<br />
Die Experten kommen nicht zu einem einheitlichen Urteil darüber, ob und inwiefern pCS als eigenständi‐<br />
ges Krankheitsbild als „Verhaltenssucht“ in die internationalen Diagnostikhandbücher ICD und DMS auf‐<br />
genommen werden sollte. te Wildt und Pfeiffer bezeichnen es als vergleichbar zum Substanzmissbrauch<br />
und somit echtes Suchtphänomen. Sie erhoffen sich von einer Klassifizierung darüber hinaus eine besse‐<br />
re Finanzierung von Forschung und Therapieangeboten.<br />
Alle anderen Experten beziehen dazu nicht eindeutig Stellung, sondern greifen nur Teilaspekte auf (zum<br />
Beispiel bezeichnet Klimmt die Folgen von pCS als weit weniger übergreifend als beispielsweise Alkohol‐<br />
missbrauch). Thomasius und Mathiak sind einer Klassifizierung gegenüber eher negativ eingestellt, sehen<br />
aber auch Parallelen zu substanzbezogenen Süchten.<br />
Weiterhin wird die Rolle der Gesellschaft unterschiedlich definiert: Während Quandt und Bolay darauf<br />
hinweisen, dass der gesellschaftlichen Diskurs über pathologisches Computerspielen das Problem teil‐<br />
weise mitkonstruiert (und somit auch als Ursache wirkt), stellen te Wildt und Pfeiffer eher den Schaden<br />
und somit die Folgen von pCS für die Gesellschaft in den Vordergrund der Diskussion.<br />
13
3. Diagnosekriterien pathologischer Computerspielnutzung<br />
Leitfrage: Bei welcher quantitativen und qualitativen Ausprägung kann man von exzessiver Nutzung,<br />
Abhängigkeit und Sucht sprechen?<br />
3.1 Quantitative Kriterien<br />
Die Experten sind sich einig, dass pCS nicht auf Grundlage der quantitativen Nutzung klassifiziert werden<br />
kann. „Die quantitative Ausprägung des Computerspiels ist kein gutes Kriterium für exzessive Nutzung<br />
und Sucht.“ (Zitat S Thomasius) Höchstens exzessives Spielen kann mit quantitativen Kriterien belegt<br />
werden. So definiert Quandt Extremnutzung als eine Spielzeit über 50h in der Woche (entspricht über 7h<br />
täglich). Pfeiffer bezeichnet eine tägliche Spielzeit von mindestens 4,5h als exzessives Spielen.<br />
Exzessive Nutzung ist keine hinreichende Bedingung für Sucht/Abhängigkeit/<br />
pathologische Nutzung<br />
Zitat S Hasebrink: „In der Diskussion um Computerspielsucht bzw. ‐abhängigkeit wird<br />
exzessive Nutzung oft als notwendige, nicht jedoch als hinreichende Bedingung für<br />
das Vorliegen einer Sucht bzw. Abhängigkeit angesehen.“<br />
Definition sollte über negative Folgeerscheinungen generiert werden, die mit inten‐<br />
sivem Computerspielegebrauch verbunden sind.<br />
3.2 Qualitative Kriterien<br />
14<br />
alle<br />
Klimmt, Mathiak<br />
Statt quantitativer Kriterien bieten sich also qualitative Kriterien bzw. zumindest eine Integration beider<br />
Kriterien an. Diese orientieren sich stark an den Kriterien für stoffgebundene Abhängigkeit bzw. des pa‐<br />
thologischen Glücksspiels. Folgende Tabelle listet die verschiedenen Kriterien auf:<br />
Kontrolle über Spielverhalten<br />
Interesseneinschränkung und<br />
massiv reduzierter Hand‐<br />
lungsspielraum<br />
Kann die Spielnutzung kontrolliert werden, d. h. ist eine zeitli‐<br />
che/emotionale/finanzielle Eingrenzung erkennbar?<br />
Inwiefern ist der Spieler auf das Computerspiel fokussiert – d. h. gibt es<br />
noch andere Interessen außerhalb des Computerspiels? Drastische Än‐<br />
derung der Alltagsstrukturen, Okkupation der Vorstellungswelten und<br />
des Alltags.<br />
Toleranzentwicklung Zum Beispiel Erhöhung des Anforderungscharakters der Spiele, Steige‐<br />
rung der Bereitschaft zu finanziellen Ausgaben; Steigerung der zeitli‐<br />
chen Ausdehnung.<br />
Hinnahme negativer Konse‐<br />
quenzen und Verleugnung der<br />
Spielzeiten<br />
Spielen wird fortgesetzt, obwohl eindeutig schädliche Folgen erkennbar<br />
sind, z. B. Vernachlässigung anderer Aktivitäten bis hin zu Hygie‐<br />
ne/Nahrungsaufnahme, psychische und physische Schäden.
Entzugserscheinungen Es zeigen sich psychologische oder vegetative Begleiterscheinungen,<br />
wenn das Medium nicht verfügbar ist, z. B. Nervosität, Unruhe, Schlaf‐<br />
störungen.<br />
Zeitdauer Wie viel Zeit verbringt der Spieler mit dem Medium?<br />
Starkes Verlangen Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Internet – Gedanken an<br />
vorherige Online‐Aktivitäten oder Antizipation zukünftiger Online‐<br />
Aktivitäten.<br />
Erfolgloser Versuch aufzuhö‐<br />
ren<br />
Erfolglose Versuche, den Internetgebrauch zu kontrollieren, einzu‐<br />
schränken oder zu stoppen.<br />
weitere psychische Probleme Zum Beispiel Depression oder Angststörung (vgl. Kapitel 4.5).<br />
Lüge, um das Ausmaß des<br />
Spielens zu verbergen<br />
Belügen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen, um das<br />
Ausmaß und die Verstrickung mit dem Internet zu verbergen.<br />
In der folgenden Tabelle ist dargestellt, welche der aufgeführten Kriterien von welchen Experten genannt<br />
wurden bzw. in den Skalen enthalten sind, die die Experten vorschlagen (Mathiak hatte sich nicht explizit<br />
zu den Diagnosekriterien geäußert):<br />
Bolay Hase‐<br />
brink<br />
Klimmt Pfeiffer Quandt te Wildt Thoma‐<br />
sius<br />
Kontrollverlust x x x x x x x<br />
Toleranzentwicklung x x x x x x x<br />
Entzugserscheinungen x x x x x x x<br />
Interessenseinschrän‐<br />
kung<br />
x x x x x x<br />
Negative Konsequenzen x x x x x optio‐<br />
nal*<br />
Zeitliche Dimension x x x x<br />
Starkes Verlangen x x x<br />
Erfolgloser Versuch auf‐<br />
zuhören<br />
Weitere Psychische Prob‐<br />
leme<br />
Lüge, um das Ausmaß zu<br />
verbergen<br />
15<br />
x<br />
optio‐<br />
nal*<br />
optio‐<br />
nal*<br />
* eine dieser Optionen muss zusätzlich zu den anderen Kriterien erfüllt sein, damit Young und Beard (die<br />
te Wildt zitiert und vorschlägt) das Nutzungsverhalten als pathologisch bezeichnen.<br />
x<br />
x
Diese Kriterien haben einige Experten existierenden Skalen entnommen, die pCS messen und als Diagno‐<br />
seinstrumente fungieren (könnten). Sie sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:<br />
ISS von Hahn & Jerusalem (2001) te Wildt<br />
Diagnostische Kriterien für Medienabhängigkeit in Analogie zu DSM‐IV und ICD‐10:<br />
Young & Beard (USA, 2001) oder Ko et al. (Taiwan, 2005)<br />
Übersetzung und deutsche Normierung der Compulsive Internet Use Scale (CIUS)<br />
nach Meerkerk, Van Den Eijnden, Vermulst & Garretsen, 2009<br />
16<br />
te Wildt<br />
Thomasius<br />
Computerspielabhängigkeitsskala des KFN Pfeiffer, te Wildt<br />
Game addiction scale for adolescents (2009) Lemmens, Valkenburg & Peter Klimmt<br />
Thomasius betont die Wichtigkeit der Entwicklung eines validierten deutschsprachigen Instruments:<br />
„Deshalb steht für mich ganz im Vordergrund, dass eine entsprechende Methode in Deutschland entwi‐<br />
ckelt wird. Das kann Ihr [mit Bezug auf Pfeiffer] Instrument sein. Das kann aber auch das von uns favori‐<br />
sierte CIUS‐Instrument sein.“ (Zitat T Thomasius)<br />
Zur Identifizierung von pathologischen Nutzern müssen für diese Kriterien Schwellenwerte festgelegt<br />
werden, nach denen die einen Nutzer pathologische Muster aufweisen und die anderen nicht. Exzessives<br />
Spielen kann dabei durch relative, stichprobenabhängige oder absolute Werte erfolgen. Beides verlangt<br />
allerdings quantitative Werte wie beispielsweise die Spielzeit (Hasebrink). Hasebrink betont allerdings,<br />
dass die Definition oder Diagnose von pathologischem Spielen dagegen nach einem theoriegeleiteten<br />
Schwellenwert verlangt. Es ist nicht möglich, die obersten 5 Prozent als pathologisch zu bezeichnen. Dies<br />
muss theoretisch begründet werden.<br />
Die Festlegung eines stichprobenabhängigen Schwellenwerts (für exzessives, jedoch nicht süchtiges Spie‐<br />
len) schlägt zum Beispiel Bolay vor (aus S Bolay): „Geben 90 % einer relevanten Altersgruppe an, maximal<br />
4,5 Stunden pro Tag mit Computerspielen zu verbringen, könnten die restlichen 10 %, die länger spielen,<br />
als ‚exzessive‘ Spieler klassifiziert werden.“<br />
Pfeiffer legt in der KFN‐Skala den Schwellenwert theoretisch fest, indem er alle ab einer bestimmten<br />
Punktzahl auf dieser Skala als gefährdete bzw. süchtige Spieler identifiziert. Thomasius kennt Pfeiffers<br />
Instrument nicht und stellt fest, dass diese Skala womöglich ein gut funktionierendes Instrument dar‐<br />
stellt, kritisiert allerdings auch, dass sie (noch) nicht validiert ist.<br />
Zur Frage der „Messung“ von pCS merkt Hasebrink im Übrigen allgemein an, dass es fragwürdig ist, ob<br />
die mit dem exzessiven Umgang mit Computerspielen verbundenen problematischen Verhaltensweisen<br />
tatsächlich ein einheitliches Syndrom darstellen und somit mit einer eindimensionalen Skala gemessen<br />
werden können.<br />
Neben den unterschiedlichen Kriterien, nach denen man pCS identifizieren kann, und den verschiedenen<br />
Skalen, die diese Kriterien abbilden, lässt sich auch zwischen verschiedenen Erhebungsmethoden unter‐<br />
scheiden (nach Quandt):
• Laboruntersuchungen mit oder ohne psychometrische Verfahren<br />
• Fallstudien der klinischen Praxis<br />
• Einzelfallbefragungen/Leitfadeninterviews im Feld<br />
• Bevölkerungsrepräsentative Befragungsstudien und – eher selten – Beobachtungsstudien<br />
Zu beachten ist, dass es in Abhängigkeit zur gewählten Methode auch zu unterschiedlichen Kenngrößen<br />
kommen kann.<br />
3.3 Prävalenz<br />
Zur Prävalenz von Gefährdung und Abhängigkeit berichtet Pfeiffer aus den KFN‐Studien, dass von den<br />
Jungen 3 % als computerspielabhängig und 4,7 % als gefährdet einzustufen sind (Gefährdung definiert er<br />
als eine Vorstufe zur Sucht mit einer Punktezahl auf der KFN‐Skala von mindestens 35; bei mehr als 42<br />
Punkten wird eine Abhängigkeit konstatiert). Bei den Mädchen seien 0,5% gefährdet und 0,3% abhängig.<br />
te Wildt bezieht sich bei seiner Einschätzung der Prävalenz auf die KFN‐Studie und fasst zusammen, dass<br />
5 % der befragten Jugendlichen als computerspielabhängig bzw. als abhängigkeitsgefährdet eingestuft<br />
worden sind. Zudem stellt er fest, dass sich immer mehr medienabhängige Patienten in der Spezialambu‐<br />
lanz der MHH vorstellen.<br />
Quandt gibt dazu zu bedenken, dass es prozentual gesehen nicht mehr pathologische Spieler gibt, son‐<br />
dern vielmehr die Zahl der Spieler insgesamt wächst und damit dann eben auch die Zahl der Extremspie‐<br />
ler.<br />
Klimmt geht von einer niedrigen Prävalenzrate aus. In den Niederlanden wurden in einer repräsentativen<br />
Umfragestudie „ein bis zwei Prozent“ der Spieler als behandlungsbedürftig im Sinne einer Abhängigkeit<br />
betrachtet (zitierte Studie: Lemmens, Valkenburg & Peters, 2009). te Wildt fügt dieser Zahl – die zu‐<br />
nächst niedrig erscheint – hinzu, dass 1 bis 2 % aus psychiatrischer Sicht epidemiologisch doch eine sehr<br />
große Zahl ist, die beispielsweise die der an Schizophrenie Erkrankten übersteigt.<br />
Bolay sieht keine empirischen Belege dafür, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch Computer‐<br />
spiele mehr gefährdet sind oder diese häufiger dysfunktional nutzen als andere – das eigene Erfolgser‐<br />
lebnis steigernde – Freizeitaktivitäten.<br />
Thomasius bezieht sich auf seine Patienten und beziffert die Zahl derer, die bei ihm in den letzten 3 Jah‐<br />
ren ambulant und stationär behandelt wurden auf 250 bis 300 Personen. Er betont jedoch, dass es an<br />
einer repräsentativen Untersuchung in Deutschland fehlt, um genaue Prävalenzzahlen vorzulegen<br />
(Quandt, Thomasius). Zitat T Quandt: „Aber wir wissen tatsächlich nicht, ob es in der Breite wirklich diese<br />
gesellschaftliche Relevanz hat, die immer unterstellt wird, weil wir hören immer über gefährliche Einzel‐<br />
fälle.“ Thomasius hält es für möglich, dass die Studie des KFN diese Forschungslücke nun gefüllt hat.<br />
Zum Thema Prävalenz bleibt der Kommentar von Bolay zu ergänzen, dass eine Definition von Computer‐<br />
spielabhängigkeit nicht von der Prävalenzrate abhängig gemacht werden darf. Eine Abhängigkeit bleibt<br />
eine Abhängigkeit, auch wenn nur wenige davon befallen sind.<br />
17
3.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens<br />
Konsens<br />
Die Experten sind sich einig, dass pCS nicht auf Grundlage der quantitativen Nutzung klassifiziert werden<br />
kann. Klimmt und Mathiak merken an, dass eine Definition über die negativen Folgeerscheinungen gene‐<br />
riert werden sollte, die mit intensiven Computerspielen verbunden ist.<br />
Zur Erforschung bieten sich nach Meinung der Experten qualitative Kriterien oder eine Integration von<br />
quantitativen und qualitativen Kriterien an. Über drei dieser qualitativen Kriterien herrscht Einigkeit:<br />
Kontrollverlust, Toleranzentwicklung und Entzugserscheinungen. Konsens herrscht darüber, dass zur<br />
Identifizierung von pathologischen Nutzern Schwellenwerte festgelegt werden müssen.<br />
Dissens<br />
Die herangezogenen bzw. vorgeschlagenen Skalen zur Messung von pCS unterscheiden sich in einigen<br />
Punkten, wobei sich die Kernkriterien ähneln. Beispielsweise enthalten nicht alle Skalen das Kriterium,<br />
dass weitere psychische Störungen/Erkrankungen vorliegen müssen.<br />
Die Prävalenzraten für exzessives Spielen werden von zwei Experten als unterschiedlich hoch angegeben:<br />
Quandt schätzt aufgrund vorliegender Studien die Zahl auf ca. 3 bis 10 % der Spieler, Pfeiffers Messan‐<br />
satz dagegen führt in der KFN‐Studie zu einer Prävalenzrate von 4,3 Prozent der Mädchen und 15,8 Pro‐<br />
zent der Jungen.<br />
Die Experten bewerten Gefährdung und Abhängigkeit von Nutzern unterschiedlich: Pfeiffer berichtet aus<br />
den KFN‐Studien, dass 3 % der Jungen als computerspielabhängig und 4,7 % als gefährdet einzustufen<br />
sind (Mädchen sind seiner Aussage nach zu 0,5 % gefährdet, und 0,3 % seien abhängig). te Wildt beziffert<br />
die Gesamtgruppe der gefährdeten und abhängigen Nutzer auf 5 %. Klimmt geht von einer niedrigeren<br />
Quote aus und bezieht sich auf eine Studie, die „ein bis zwei Prozent“ der Spieler als behandlungsbedürf‐<br />
tig ausmacht. Bolay macht keine Aussagen zur Zahl gefährdeter und abhängiger Spieler und sieht keinen<br />
empirischen Beleg für die Annahme, dass Computerspiele im Vergleich zu anderen Freizeitaktivitäten<br />
häufiger zu Sucht und Abhängigkeit führen. Thomasius macht nur Angaben zu seinen eigenen Patienten<br />
und beziffert 250 bis 300 Personen, die innerhalb der letzten drei Jahre behandelt wurden.<br />
18
4. Symptome pathologischer Computerspielnutzung und Eigenschaften der Spieler<br />
Leitfrage: Wie äußern sich exzessive Nutzung, Abhängigkeit oder Sucht im Alltagsverhalten der Betrof‐<br />
fenen, und was sind die Parameter, die auf einen problematischen Umgang mit Computerspielen hin‐<br />
weisen?<br />
In diesem Kapitel werden die pathologischen und nicht‐pathologischen Symptome des Computerspielens<br />
sowie die Eigenschaften (pathologischer) Computerspielnutzer beschrieben. Die Frage nach Ursache‐<br />
und Wirkungszusammenhängen wird zunächst zurückgestellt und erst im folgenden Kapitel beantwortet.<br />
Alter<br />
4.1 Eigenschaften der Spieler: Soziodemographie<br />
Allgemein sind 60 bis 70 % der Computerspielnutzer über 18 und die Hauptnutzerschaft zwischen 20 und<br />
35 Jahre alt (Quandt). Extremnutzung tritt bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen<br />
auf (te Wildt, Hasebrink, Quandt, Klimmt). Die Extremnutzung von Online‐Rollenspielen bei Erwachsenen<br />
ist genauso hoch wie bei jüngeren Spielern (Quandt).<br />
Nach te Wildt liegt der Höchst‐ und Scheitelpunkt beim Alter pathologischer Nutzer zwischen 16 und 20<br />
Jahren, mit fallender Tendenz: „Es scheint aber auch so zu sein, dass der Altersgipfel eher sich nach unten<br />
verschiebt. Je früher die Kinder und Jugendlichen mit diesen Medien groß werden, desto größer erscheint<br />
das Abhängigkeitspotential.“ (T te Wildt) Hasebrink ist, zumindest was das Computerspielen im Allge‐<br />
meinen anbelangt, anderer Meinung: „Auch wenn derzeit vor allem Jugendliche besonders häufig und<br />
lang spielen, weitet sich die Computerspielnutzung in den letzten Jahren zunehmend auch auf Erwachse‐<br />
ne aus.“ (Zitat S Hasebrink)<br />
Von einigen Experten wird diskutiert, dass es sich bei einem pathologischen Spielverhalten auch um eine<br />
temporäre Erscheinung der (Jugend‐)Phase handeln kann. Diese könne nach einer gewissen Zeit auch<br />
wieder vorbei sein. Um dies besser verstehen und nachvollziehen zu können, bedürfe es allerdings<br />
Längsschnittstudien (Pfeiffer, Thomasius, Klimmt).<br />
Je früher Kinder mit neuen Medien zu tun haben, desto größer die Gefahr, dass sich auch neurobiolo‐<br />
gisch Entwicklungsverzögerungen ergeben können (Mathiak) und desto größer erscheint das Abhängig‐<br />
keitspotential (te Wildt, Pfeiffer).<br />
Geschlecht<br />
pCS ist ein vorwiegend männliches Phänomen. Jungen und Männer werden in wesentlich höherem Aus‐<br />
maß als „abhängig“ diagnostiziert und sind auch wesentlich häufiger in Behandlung (Bolay, te Wildt, Ma‐<br />
thiak, Quandt). Dennoch gibt es auch weibliche Patientinnen (Quandt), die sich aber eher durch anderen<br />
pathologischen Internetgebrauch wie virtuelle Kontaktpflege auszeichnen (Thomasius).<br />
19
Die Gründe für die differenzielle Computerspielnutzung von Jungen und Mädchen sind noch nicht klar.<br />
Bolay (bzw. sein Mitarbeiter Krick) führt Ergebnisse an, die darauf hinweisen, dass das (positive) Erleben<br />
von Erfolgserlebnissen während der Spiele sich hirnphysiologisch nicht zwischen Jungen und Mädchen<br />
unterscheidet. Dies scheint also nicht der Grund für den unterschiedlichen Umgang mit dem Medium zu<br />
sein.<br />
Bildung/soziales Milieu<br />
Bei te Wildt haben sich vermehrt Betroffene vorgestellt, die mindestens ein durchschnittliches Intelli‐<br />
genzniveau haben. te Wildt geht aber davon aus, dass überwiegend Personen mit höherer Bildung eine<br />
Therapie aufsuchen und es sich deshalb um ein Artefakt handelt. Er glaubt, dass die Problematik der<br />
exzessiven Computerspielnutzung ebenfalls in bildungsfernen Schichten existiert, was auch Klimmt be‐<br />
tont. Klimmt geht davon aus, dass die besondere Betroffenheit von sozial Unterprivilegierten deren hö‐<br />
herem Eskapismusbedürfnis entspringt: „Also jemand, der aus dem stark unterprivilegierten Milieu<br />
stammt, Großstadt, achtspurige Ausfahrtstraße, Scheidungskind, Integrationshintergrund, Bildungsver‐<br />
sagen, dass bei dem auch sozusagen bestimmte psychische Dysfunktionalitäten mit einer gewissen Häu‐<br />
fung erwartbar sind. Ich will nur darauf hinaus, dass unterhaltsamer Mediengebrauch insgesamt etwas<br />
ist, was, Sie alle kennen den Begriff Unterschichtenfernsehen, was sozusagen eindeutig sozial geschichtet<br />
ist hierzulande. Das gilt auch für Computerspiele. Man kann sozusagen aus der Perspektive des mahnen‐<br />
den Bildungsbürgers auch sagen, die armen Leute in den unterprivilegierten Schichten sollten nicht so viel<br />
Geld für Unterhaltungselektronik ausgeben. Aber genau das tun sie, und zwar offensichtlich deswegen,<br />
weil das Eskapismusbedürfnis so groß ist.“ (Zitat T Klimmt)<br />
Pfeiffer ist im Gegensatz dazu der Meinung, dass es sich gerade nicht um ein Unterschichtenphänomen<br />
handelt: „Ein Drittel der 15‐Jährigen, die wir als computerspielabhängig identifizieren mussten, besuchen<br />
Sonderschule und Hauptschule. Zwei Drittel sind unterwegs zum Realschulabschluss oder zum Abitur. Ein<br />
großer Schwerpunkt sitzt im Gymnasium […] Das widerspricht nicht dem, dass sie dann später arbeitslos<br />
sind, wenn sie als 27‐Jährige eine Therapie aufsuchen, weil sie mit dieser Belastung das nicht schaffen.“<br />
Dies bestätigt te Wildt aus seiner Praxis, in der er einige Patienten behandelt, die schon seit 1 bis 2 Jah‐<br />
ren keiner schulischen oder beruflichen Beschäftigung mehr nachgehen und überhaupt keine Berufsaus‐<br />
bildung angefangen haben.<br />
4.2 Eigenschaften der Spieler: Persönlichkeit<br />
Wie bereits in den Diagnosekriterien inkludiert, verspüren pathologische Computerspielnutzer oftmals<br />
einen wiederkehrenden oder anhaltenden aversiven Zustand wie Langeweile, Einsamkeit oder soziale<br />
Isolation, den sie überwinden möchten (Klimmt, Thomasius). Sie möchten vor ihren Problemen auswei‐<br />
chen (te Wildt, Thomasius) oder suchen die Erleichterung von dysphorischen Stimmungen wie Hilflosig‐<br />
keit, Schuld, Angst oder Depression (te Wildt).<br />
In der folgenden Tabelle werden einzelne und als typisch identifizierte Eigenschaften der pathologischen<br />
Spieler im Überblick dargestellt.<br />
20
Einsamkeit/Einzelgänger<br />
• Pathologische CS‐Nutzer sind Einzelgänger<br />
• Suchen trotzdem oder gerade deshalb soziale Kontakte<br />
Zitat T Thomasius: „Soziophobische Züge dergestalt, dass es sich schon um Jun‐<br />
gen handelt, die immer von früh an auch in der ersten Klasse als Einzelgänger<br />
auffielen, die in der sozialen Kontaktaufnahme dann ihre Schwierigkeiten ha‐<br />
ben, und in einer bindungsorientierten Exploration fällt schon auf, dass sehr<br />
starke Selbstwertregulationsstörungen im Hintergrund stehen (…)“<br />
Eskapismusbedürfnis<br />
• Bewusste Hinwendung zum Immersionserleben<br />
Zitat S Klimmt: „Personen mit einem strukturell hohen Bedarf an Ablenkung,<br />
Zerstreuung und Aktivierung“<br />
21<br />
Thomasius<br />
Klimmt, Quandt<br />
Klimmt, Thomasius, te<br />
Wildt<br />
Selbstwertproblematik Thomasius, te Wildt<br />
Identitätsfragen Thomasius<br />
In Opposition gegen Elternhaus, Gesellschaft und Menschen an sich te Wildt<br />
te Wildt fasst die Eigenschaften eines typischen „Computerspielsüchtigen“ folgendermaßen zusammen:<br />
Zitat T te Wildt: „Der typische Computerspielabhängige oder Internetabhängige ist im Moment ein<br />
„World of Warcraft“ spielender junger Mann zwischen 16 und 26, der meistens bei seinen Eltern lebt,<br />
meistens wenig Freude hat, keine Partnerschaft hat, keine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz hat, auf die<br />
elterliche und staatliche Hilfe angewiesen ist und sich ängstlich soziophob und/oder narzisstisch gekränkt<br />
depressiv zurückgezogen hat aus der konkret realen Welt, die er kränkend erlebt, in der er nicht das Ge‐<br />
fühl hat, einen Platz zu haben, […] der diese soziale Umwelt […] irgendwann negiert, um nicht zu sagen<br />
hasst, sogar seine leidliche Anwesenheit in dieser Welt ablehnt.“<br />
Thomasius berichtet zudem von Korrelationen von Internet‐ und Computerspielabhängigkeit mit den<br />
folgenden Eigenschaften: Aggressivität/Feindseligkeit, geringe emotionale Stabilität, Impulsivität, Nei‐<br />
gung zur Lüge, Nervosität und Reizbarkeit. Nach Thomasius gibt es hierzu aber auch Studien, die solche<br />
Korrelationen nicht finden.<br />
4.3 Spielverhalten und Spielmotivation<br />
Das Spiel fungiert als willkommene Abwechslung bzw. Fluchtpunkt. Es kann häufig die aktuellen Bedürf‐<br />
nisse befriedigen und zum Flow‐Erlebnis führen (Thomasius). Solange das Ausgangsproblem andauert,<br />
wird das Spiel immer wieder aufgesucht (Klimmt). Zitat S Thomasius: „Die mediale Illusion ersetzt dabei<br />
das als mangelhaft erlebte reale Leben.“ Erfahrungen und Fertigkeiten des Spielers steigern das Interesse<br />
an den Spielen (Bolay, Quandt).
Ein „Ausstieg“ aus dem intensiven Spielgebrauch ist mit hohen subjektiven Kosten verbunden, weil z. B.<br />
viel Zeit in die Erlangung von Prestige‐Objekten geflossen ist (z. B. virtuelle Items Klimmt, Quandt).<br />
Ungeklärt ist aber, ob sich Exzessivspieler wirklich besonders stark im Spiel engagieren oder ob sie durch<br />
die Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen zum Spielen motivieren Forschung nötig (Klimmt).<br />
Einen weiteren Motivationsgrund könnte die feste soziale Ordnung der Online‐Welten darstellen. Die<br />
‚Online‐Gesellschaft‘ ist klar hierarchisch gegliedert, soziale Orientierung fällt nicht schwer (Quandt).<br />
Klimmt und Thomasius stellen die Suche nach einer kontrollierten Bedingung für Sozialkontakte als mög‐<br />
lichen Motivationsgrund fest.<br />
Die Spieler wenden sich dem Medium sehr stark zu und tauchen in das Spielerlebnis ein (Immersion) und<br />
die Entwicklung einer Telepräsenz (Thomasius). Medienfiguren werden u. U. intensiver wahrgenommen<br />
und idealisiert (Parasoziale Interaktion). Dies kann mit einer einhergehenden Persönlichkeitsstörung<br />
zusammenhängen (Mathiak). Thomasius zitiert außerdem eine Studie von Schuhler (2008), die von einer<br />
„narzisstischen Regulierung“ durch das Spielen spricht: „Narzisstische Regulierung gelingt: Egozentrie‐<br />
rung, Phantasien von Macht, Stärke und Schönheit, Erfüllung vom Traum von der vollkommenen Liebe.“<br />
(Zitat P Thomasius) Die Spieler fühlen sich nur im Spiel frei und heldenhaft. Die Selbstdarstellung erfolgt<br />
selektiv (Thomasius).<br />
Zusammenfassung als Tabelle:<br />
Identifikation mit dem Avatar<br />
Die Spieler identifizieren sich insbesondere bei Rollenspielen mit ihrem Avatar.<br />
Damit verbunden: selektive Selbstdarstellung im Spiel<br />
22<br />
Thomasius<br />
Wichtigkeit der klaren sozialen Ordnung im Spiel Klimmt, Quandt<br />
Starkes immersives Eintauchen in das Spiel, „Präsenzerleben“ Thomasius<br />
Starke parasoziale Beziehungen Mathiak<br />
4.4 Alltagsleben/Lebensführung<br />
Klimmt spricht von einer „Engführung“ von Aktivitäten, die zunächst nur die Freizeitgestaltung betrifft,<br />
dann aber auch andere Lebensbereiche tangieren kann. Computerspielen kann aber auch die gewöhnli‐<br />
chen sozialen Kontakte ersetzen, wenn diese im Spiel gesucht und gefunden werden. (Klimmt:<br />
„Exzessivspieler neigen dazu, sich auf diese Form des Sozialkontaktes zu beschränken, also ihre Bedürfnis‐<br />
se nach Kontakt, Freundschaft und menschlicher Nähe vor allem (oder ausschließlich) mit Hilfe des Spiels<br />
(beispielsweise ‚World of Warcraft‘) zu befriedigen.“). Es findet nach Klimmt ein Bedeutungsverlust der<br />
Realwelt statt, je mehr Relevanz die Mitspieler als soziale Bezugsgruppe erlangen.<br />
Thomasius sieht die individuellen Lebensumstände des Spielers als entscheidend dafür, wie schädlich<br />
letztendlich das Spiel ist. Quandt weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Personen auffälli‐<br />
ger sind, bei denen es keine Sozialkontrolle gibt. So begünstigen hohe zeitliche Ressourcen und wenig<br />
Alltagsstrukturierung exzessives Nutzungsverhalten (z. B. bei Arbeitslosen oder Studenten). te Wildt er‐
wähnt Extremfälle, bei denen ein reales Leben nicht mehr möglich war. Besonders auffällig sei dies ge‐<br />
wesen, sobald das Suchtmittel entzogen wurde.<br />
4.5 Psychische Symptome: Komorbiditäten<br />
Wer sich wegen pCS behandeln lässt, leidet fast immer auch unter anderen psychischen Krankheiten, vor<br />
allem unter Persönlichkeitsstörungen (te Wildt, Quandt, Bolay, Mathiak, Klimmt). Zitat T te Wildt: „Ent‐<br />
scheidend aber ist, dass eben 27 von 30 Patienten auch die Kriterien für eine andere psychische Erkran‐<br />
kung erfüllten.“<br />
Psychische Erkrankungen wurden bereits in der Persönlichkeitsbeschreibung der Spieler erwähnt und<br />
werden hier explizit als pathologisch definierte Störungen systematisiert. Die Komorbiditäten können<br />
über die Globalskalen der Symptomcheckliste (SCL‐90R) identifiziert werden (te Wildt; Anmerkung der<br />
Auswerter: vgl. http://www.scl‐90‐r.de/ ).<br />
Es kommen folgende Krankheitsbilder vor:<br />
Depression<br />
• Depressive Patienten erfüllen zu 20 % die Kriterien der Internetsucht (ISS‐Skala<br />
von Jerusalem; n=25) (te Wildt)<br />
• „Internetsüchtige“ erfüllen zu 80 % die Kriterien der Depressivität (te Wildt)<br />
• Thomasius präsentiert zahlreiche Studien zu Depressivität bei pathologischem<br />
Internetgebrauch<br />
Selbstregulationsstörung: wird nach LaRose und Eastin 2004 durch Depressionen<br />
hervorgerufen<br />
23<br />
te Wildt, Klimmt,<br />
Mathiak,<br />
Thomasius<br />
Klimmt<br />
Angsterkrankungen, insbesondere soziale Phobie te Wildt,<br />
Thomasius, Ma‐<br />
thiak<br />
Aufmerksamkeitsdefizit‐Syndrom, Hyperaktivität<br />
16 % der ADHS‐Patienten erfüllen die Kriterien der Internetsucht (ISS‐Werte; n=25)<br />
(te Wildt)<br />
Eine um 27 % gesteigerte Hyperaktivität bei Kindergartenkindern, die pro Tag 3<br />
Stunden „Bildschirmkonsum“ haben (aus T Pfeiffer)<br />
Ich‐Syntonie<br />
Zitat T Thomasius: „Die Jugendlichen/jungen Erwachsenen mit einer solchen Compu‐<br />
tersucht erleben dieses Computerspiel, das Dranghafte/das Zwanghafte als zu sich<br />
gehörig.“<br />
Keine Substanzabhängigkeit<br />
Substanzabhängige und internetabhängige sind zwei unterschiedliche Populationen<br />
mit unterschiedlichen Komorbiditäten<br />
Thomasius, te<br />
Wildt, Pfeiffer<br />
Thomasius<br />
Thomasius
Dissens herrscht darüber, ob die Komorbiditäten Ursachen der pCS darstellen oder pCS ein eigenständi‐<br />
ges Krankheitsbild ist, das auch ohne weitere psychische Erkrankungen entstehen kann. Während Klimmt<br />
von ersterem ausgeht und pCS als Symptom anderer psychischer Erkrankungen wie beispielsweise einer<br />
Depression sieht, hält te Wildt es für möglich, dass pCS eine alleinstehende Erkrankung sein kann, die<br />
allerdings meist von anderen psychischen Erkrankungen begleitet ist. Pfeiffer nimmt diesbezüglich eine<br />
dritte Position ein und glaubt, dass mit pCS keine weiteren Komorbiditäten einhergehen müssen. Aus‐<br />
gangspunkt sei vielmehr eine ungünstige (z. B. familiäre) Situation, in der ein Kind oder Jugendlicher auf<br />
das Spiel trifft und dann in pathologische Spielmuster abdriftet.<br />
Bei einer eigenen Untersuchung konnte er keine psychischen Defizite exzessiv spielender Jugendlicher<br />
finden: „Nein, unter unseren Abhängigen, die wir identifizieren konnten unter den 15.000, waren ganz<br />
viele, die hatten gerade ihre Pubertätskrise mit knallenden Türen zu Hause und mal auch Misserfolge in<br />
der Schule. Aber aus dem ganzen Datenmaterial erweckt nicht den Eindruck, dass es sich um psychisch<br />
Kranke handelte, sondern um Jungen, die eine alterstypische Krise durchleben und das Pech hatten, in<br />
diesem Augenblick Kontakt zu diesem faszinierenden Spiel zu bekommen und dann nicht mehr aufhören<br />
zu können.“ (Zitat T Pfeiffer).<br />
4.6 Physische Symptome<br />
Durch exzessives, pathologisches Computerspielen kann es zu folgenden körperlichen Schädigungen<br />
kommen, die auch besonders bei Kindern auftreten können (te Wildt):<br />
Vernachlässigung von Hygiene Bolay<br />
Ernährungsprobleme, z. B. Adipositas, Unterernährung Quandt, Mathiak,<br />
Bolay<br />
Störungen des Bewegungsapparates Mathiak<br />
Reduktion der Schlafzeit Pfeiffer, Quandt<br />
Schädigung der körperliche Entwicklung : Hirnentwicklung, Komplexfunktion<br />
und interpersonelle Erfahrungen benötigt die körperliche Natur (reale Welt) –<br />
besonders wichtig bei Kindern/Jugendlichen.<br />
4.7 Symptome des und für das Umfeld<br />
24<br />
te Wildt<br />
Durch die Änderung der Alltagsstruktur (Quandt) und der Habituation des Computerspielens (Bolay,<br />
Quandt, Mathiak) entsteht eine Vernachlässigung des Umfelds (te Wildt, Bolay, Mathiak). Dabei wird die<br />
Gefahr genannt, dass die Vernachlässigung zwischenmenschlicher Beziehungen zu ihrem Bruch führen<br />
kann: „Die Betroffenen setzen nicht selten familiäre, partnerschaftliche und freundschaftliche Beziehun‐<br />
gen aufs Spiel.“ (aus S te Wildt) Andererseits kann es natürlich auch sein, dass die Betroffenen vom Um‐<br />
feld gemieden werden, da sie sich nicht konform verhalten: „[…] u. a. wird der Betroffene aufgrund sei‐<br />
nes auffälligen Verhaltens oftmals von der Umwelt gemieden und teilweise sozial isoliert.“ (aus S Quandt)
In beiden beschrieben Fällen wäre das Spielen und das Verhalten des Spielers die Ursache für die Ver‐<br />
meidung von Kommunikation und Beziehung. Häufig wird allerdings auch genannt, dass die Vernachläs‐<br />
sigung vor allem der Eltern zu einem pathologischen Spielverhalten führen kann (Quandt, Thomasius).<br />
Ein Grund dafür ist fehlende elterliche Kontrolle: „Das Elternhaus war nicht mehr da, das kontrolliert<br />
hatte. Und die haben diese Zeit dann eben genutzt und da gab es offensichtlich kein Umfeld, was sie dann<br />
gestoppt hat in ihrem Handeln.“ (aus T Quandt) Für fehlende elterliche Kontrolle nennt Thomasius als<br />
eine typische Situation die Scheidungsfamilie mit einer alleinerziehenden Mutter, die ihren Funktionen<br />
nicht mehr nachkommen kann. Pfeiffer nennt zusätzlich die Verfügbarkeit eigener Geräte als Gefähr‐<br />
dung.<br />
Auch ein Mangel an Zuwendung kann zu einer Selbstwertproblematik führen, die dann durch das Spielen<br />
aufzufangen versucht wird: „(…), dass gerade in den ersten Lebensjahren – wo es um Selbstwerterlan‐<br />
gung, um Identitätsfragen geht – ein Mangel an mütterlicher/väterlicher Zuwendung vorhanden gewesen<br />
ist. Diesen jungen Menschen fehlt die innere Einstellung von Ich‐bin‐etwas‐Wert! Und Ich‐bin‐gewollt!“<br />
(aus T Thomasius) Zur mangelnden Zuwendung kann häusliche Gewalt kommen (Klimmt, Pfeiffer). All<br />
diese Faktoren des Umfeldes können nach Klimmt ein dauerhaftes Eskapismusbedürfnis generieren.<br />
Auch hinsichtlich des Umfeldes wird somit deutlich, dass die Ursache‐Wirkungsrichtung nicht klar zu<br />
bestimmen ist bzw. in beide Richtungen denkbar ist (vgl. Kapitel 5.1). Festgehalten werden kann, dass<br />
Konflikte in Familie und Partnerschaft bis hin zu zerstörten Familienstrukturen sowie die Auflösung von<br />
Freundschaften eine exzessive, pathologische Computerspielnutzung begleiten (Quandt, Klimmt,<br />
Thomasius).<br />
Ein ähnliches Bild ergibt sich für das schulische oder berufliche Umfeld: Zum einen können zeitliche Frei‐<br />
räume, bedingt beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, die Entstehung pathologischen Nutzungsverhaltens<br />
begünstigen (Quandt). Auch Misserfolge in Schule und Beruf können exzessives Spielen im Sinne eskapis‐<br />
tischer Motive anfeuern (Klimmt). Kinder und Jugendliche mit Misserfolgen im realen Leben, wie z. B.<br />
sitzen bleiben, sind höher gefährdet als erfolgreiche Schüler (Pfeiffer).<br />
Zum anderen vernachlässigen exzessive pathologische Computerspieler ihre Verpflichtungen in der Schu‐<br />
le (Klimmt, Pfeiffer), in der Ausbildung und im Beruf bis hin zu Arbeitslosigkeit und existentieller Verar‐<br />
mung (te Wildt, Bolay, Mathiak, Thomasius). Die Schüler, die länger und häufiger Computerspiele spie‐<br />
len, weisen schlechtere Noten auf und fehlen häufiger im Unterricht (Pfeiffer): „Besonders auffällig ist<br />
das häufige Schulschwänzen und die Tatsache, dass 64 % das Computerspielen als Schwänzmotiv ange‐<br />
ben.“ (aus S Pfeiffer)<br />
Klimmt schlägt vor, solche Symptome aus dem Umfeld des Spielers als Diagnosekriterien zu nutzen: „Ge‐<br />
rade die negativen Folgeerscheinungen – Leistungsabfall in der Schule oder im Berufsleben, Vernachlässi‐<br />
gung von Freundschafen oder Familie – markieren jedoch den Übergang von intensiv ausgelebtem<br />
Involvement mit Computerspielen zu problematischen Nutzungsmustern.“ (Zitat S Klimmt)<br />
25
4.8 Zwischenfazit: Konsens und Dissens<br />
Konsens<br />
Extremnutzung tritt in allen Altersklassen gleichermaßen auf, betroffen sind jedoch vor allem die zwi‐<br />
schen 16‐ und 35‐Jährigen. Die pathologische Nutzung scheint ein eher männliches Problem zu sein. Bei<br />
weiblichen Patienten sei häufiger der pathologische Internetgebrauch der Grund für eine Abhängigkeit.<br />
Es lassen sich bestimmte Eigenschaften der Spieler hinsichtlich ihrer Persönlichkeit festmachen: Klimmt<br />
und Thomasius nennen Langeweile, Einsamkeit oder soziale Isolation. te Wildt und Thomasius gehen<br />
davon aus, dass Spieler vor ihren Problemen ausweichen wollen. Außerdem sieht te Wildt das Motiv,<br />
dass eine Erleichterung von dysphorischen Stimmungen wie Hilflosigkeit, Schuld, Angst oder Depression<br />
gesucht wird. Die Experten stimmen überein, dass Computerspielen die Funktion von Flucht vor dem<br />
und/oder Abwechslung zum Alltag einnehmen kann. Probleme mit sozialen Kontakten können als Ursa‐<br />
che und/oder Folge von pCS gesehen werden. Nach Thomasius ist lediglich die empirische Evidenz zum<br />
Zusammenhang mit der Depression eindeutig belegt.<br />
Depressionen und soziale Angst werden als Komorbiditäten am häufigsten genannt. Pathologische Com‐<br />
puterspieler vernachlässigen ihre Verpflichtungen in der Schule, in der Ausbildung und im Beruf bis hin<br />
zu Arbeitslosigkeit und existenzieller Verarmung.<br />
Dissens<br />
te Wildt stellt fest, dass sich bei ihm vermehrt Personen mit einem mindestens durchschnittlichen Intelli‐<br />
genzniveau vorgestellt haben. Er hält dies jedoch für ein Artefakt, da diese Personen häufiger Therapien<br />
aufsuchen. Klimmt geht davon aus, dass Computerspielsucht gehäuft in bildungsfernen Schichten exis‐<br />
tiert, da in diesen ein höheres Eskapismusbedürfnis herrscht. Pfeiffer widerspricht dieser Einschätzung.<br />
Er sieht in pCS kein Unterschichtenphänomen und stellte Abhängigkeit gerade bei Personen mit höherer<br />
Bildung fest.<br />
Pfeiffer äußert als einziger, dass es eben nicht die psychisch Kranken sind, sondern ganz normale Jugend‐<br />
liche in der Pubertätskrise, die pathologisches Spielverhalten entwickeln. Alle anderen, die sich zum<br />
Thema Komorbiditäten äußern, sehen starke Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und<br />
einem pathologischen Computerspielverhalten.<br />
26
5. Ursachen des pathologischen Computerspielens<br />
Leitfrage: Welche Abhängigkeit oder suchtauslösende Momente sind in Computerspielen identifizier‐<br />
bar, und ist der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit bzw. Sucht und einzelnen Spielen nachweis‐<br />
bar?<br />
5.1 Ursache‐Wirkungsdebatte<br />
Abbildung 1 Multifaktorielles Modell – Pathologischer PC‐/Internetgebrauch (P Thomasius)<br />
Diese Abbildung aus der Präsentation von Thomasius veranschaulicht die Grundproblematik, die im<br />
Grunde auch Konsens unter den Experten ist: Verhaltensstörungen und ‐abhängigkeiten sind nur durch<br />
ein komplexes, multikausales, dynamisches Beziehungsgeflecht erklärbar. Dieses Beziehungsgeflecht<br />
beinhaltet Persönlichkeit und Veranlagungen der Person inklusive schon vorhandener psychischer Stö‐<br />
rungen, ihr soziales Umfeld und die Sozialisation und die besonderen Eigenschaften des Mediums Com‐<br />
puterspiele/Internet sowie die spezifischen Eigenschaften bestimmter Spiele. Pathologisches Computer‐<br />
spielen ist also nicht auf einfache Kausalwirkungen von Computerspielen zurückführbar (Quandt,<br />
Hasebrink, Klimmt, Thomasius, Mathiak).<br />
Ein Zitat von te Wildt veranschaulicht die Problematik: „(…) wird jemand depressiv ängstlich gegenüber<br />
der Welt da draußen, weil er vielleicht viel zu früh, viel zu lange in virtuellen Welten gelebt hat quasi. (…)<br />
Oder ist es so, dass derjenige vorher ängstlich depressiv war, weil im elterlichen Umfeld etwas nicht in<br />
Ordnung war, und er hat sich da schon als Kind geflüchtet in eine virtuelle Welt? Das werden wir nicht<br />
einfach auseinanderdividieren können. Und da helfen hoffentlich longitudinale Studien. Aber das wird<br />
27
sicherlich auch noch eine Weile brauchen, bis wir da genau etwas sagen können. Ich glaube, diese Frage<br />
Henne oder Ei wird uns bisweilen noch ziemlich lange beschäftigen.“ (aus T te Wildt)<br />
Thomasius beispielsweise führte zwei Studien zu der Ursache von Internetsucht durch Depressivität,<br />
Ängstlichkeit und sozialer Phobie an In der einen stellte sich die psychische Störung als Ursache heraus,<br />
in der anderen nicht.<br />
Es gibt persönliche Risiko‐, aber auch Schutzfaktoren, die eine pathologische Nutzung begünstigen bzw.<br />
davor bewahren (Hasebrink). Bei dem Schutzfaktor kann es sich z. B. um eine intakte Selbstregulation<br />
handeln (Klimmt).<br />
Aus neurophysiologischer Forschung ist eine Studie von Bolay erwähnenswert, in der eine kurzfristige<br />
Veränderung des Striatum mit dem Nucleus accumbens nach einer Woche Umgang mit Computerspielen<br />
nachgewiesen werden konnte. Dieser Teil des Mittelhirns spielt eine besondere Rolle bei Suchtproble‐<br />
matiken. Nach Bolay ist es deswegen denkbar, dass ein exzessiver Gebrauch von Computerspielen die<br />
Suchtgefahr durch die neuroplastische Veränderung in diesem Bereich ansteigen lässt. Zitat T Bolay: „Ein<br />
dauerhaft abhängig machender Kreislauf entsteht von der Stimulation des Nucleus accumbens,<br />
Dopaminausschüttung und Wohlgefühl.“<br />
Zu beachten ist auch, dass sich ein Teufelskreis entwickeln kann: Der negative Eigenzustand führt zur<br />
exzessiven Nutzung, wodurch wiederum der negative Eigenzustand in der ‚realen Welt’ verstärkt wird (z.<br />
B. durch Leistungsabfall, Konflikt mit den Eltern).<br />
Zusammenfassend muss man nach Ursachen – oder zumindest begleitenden Phänomenen – bei den<br />
Spielern selbst (Persönlichkeit, Soziodemographie), ihrem Umfeld und den Spielen suchen. Die Eigen‐<br />
schaften und Motive der Spieler sowie das Umfeld wurden im vorausgegangenen Kapitel bereits disku‐<br />
tiert. Es folgt daher die Auswertung der Faktoren, die in den Computerspielen selbst zu finden sind. Dies<br />
beantwortet dann auch die Leitfrage des Kapitels.<br />
5.2 Spielseitige Ursachen: Eigenschaften von Spielen als suchtauslösende Momente<br />
„Der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit/Sucht und einzelnen Spielen ist nicht nachweisbar, da für<br />
das Vorliegen einer pathologischen Spielenutzung eine Kombination von Merkmalen des Spiels, individu‐<br />
ellen Merkmalen des Spielers sowie Merkmalen des sozialen und biographischen Kontextes zusammen<br />
kommen müssen. Anders ausgedrückt: Ein und dasselbe Spiel kann von unterschiedlichen Personen unter‐<br />
schiedlich intensiv genutzt werden, und eine und dieselbe Nutzungsintensität ein und desselben Spiels<br />
kann unterschiedliche Auswirkungen haben, die beispielsweise mit dem verfügbaren Zeitbudget zusam‐<br />
menhängen.“ (aus S Hasebrink)<br />
Diese Meinung wird von den Experten geteilt. Trotzdem werden und wurden von den Experten Faktoren<br />
in den Spielen genannt und identifiziert, die zumindest die Tätigkeit des Computerspielens attraktiv für<br />
‚suchtgefährdete‘ Menschen macht: „Computerspiele befähigen den Spieler, was grundsätzlich andere<br />
Medien und Situationen auch könnten, wenn sie gleich gut und gleich perfekt wären.“ (aus T Bolay)<br />
28
Einige dieser Spieleigenschaften sind inhärent, die meisten allerdings entstehen erst in der Interaktion<br />
mit dem Spieler und während des Spielens. In der folgenden Tabelle sind die Faktoren aufgeführt:<br />
Persistente Spielwelt: Bei Online‐Spielen existiert die Spielwelt weiter, auch<br />
wenn der Spieler gerade nicht spielt. Dadurch hat auch „Nichthandeln“ dau‐<br />
erhafte Folgen; fehlende Pausierbarkeit der Abläufe<br />
Spielkonzept<br />
• Räumliche und zeitliche Grenzenlosigkeit (im Gegensatz zur „realen<br />
Welt“)<br />
• Variationsbreite und Handlungsvielfalt ermöglichen notwendiges Reizni‐<br />
veau, das zum Weiterspielen animiert<br />
• Herausforderungen an sich Erfolge führen zur Erreichung höherer<br />
Level<br />
• Flow: Optimales Verhältnis Herausforderung und Erfolg (Balance ‐> Flow).<br />
29<br />
Quandt, Hasebrink,<br />
Thomasius, Mathiak<br />
Hasebrink<br />
Bolay<br />
Quandt, Thomasius,<br />
Pfeiffer, Klimmt<br />
Klimmt, Quandt,<br />
Thomasius<br />
• Soziale Ordnung mit klaren Hierarchien Quandt, Klimmt<br />
Ökonomische Gründe:<br />
• Kostengünstige Verfügbarkeit<br />
Vermarktungsmodelle; Browserspiele (kostenlos, mit Item‐Verkauf) ge‐<br />
winnen an Bedeutung (Klimmt)<br />
Thomasius, Mathiak,<br />
Quandt, Klimmt<br />
• Spielbindung durch monatlich anfallende Gebühren Thomasius<br />
• Spielbindung durch schon investierte Zeit Quandt, Pfeiffer, te<br />
Wildt, Klimmt<br />
Realitätsnähe Thomasius, te Wildt<br />
Reiz durch Glücksspielkomponenten<br />
Contra: nach Quandt ist jedoch vieles berechenbar, vorhersehbar<br />
Soziale Faktoren: Kommunikation, Interaktion, Teamspeak (entspricht einem<br />
eigenen Chatraum), Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen, Gemein‐<br />
schaften z. B. Gilden, Clans, Allianzen Pflichten entstehen und Verantwor‐<br />
tung wird übernommen; Fokussierung der Sozialkontakte auf die Mitspieler<br />
(Klimmt)<br />
Mathiak, Pfeiffer<br />
Quandt<br />
Hasebrink, Pfeiffer,<br />
Quandt, Thomasius, te<br />
Wildt, Klimmt, Mathiak<br />
Soziale Anerkennung: Prestige‐Attribute und Stufen Quandt, Thomasius,<br />
Klimmt, Pfeiffer, Bolay<br />
Rollenspiel, Identifikation, sich ausprobieren Klimmt, Thomasius<br />
Intermittierende Verstärkung te Wildt, Pfeiffer<br />
Immersionserleben<br />
Eintauchen in eine wendungsreiche Geschichte (Klimmt)<br />
Thomasius, Klimmt,<br />
Bolay, Quandt<br />
Stimmungsregulation Klimmt, Quandt
Wettbewerb mit anderen Spielern Klimmt, Quandt,<br />
Thomasius<br />
Selbstwertsteigerung<br />
Zitat P Thomasius: „Die narzisstische Regulierung gelingt aus psychiatrischer<br />
Sicht, indem Phantasien von Machtstärke, Schönheit, Erfüllung mancher<br />
Träume, die in der Realität nicht umsetzbar sind, in diesen Spielen erlangt<br />
werden können.“<br />
Belohnungsstruktur des Spiels: Erfolgsmeldungen, Selbstwirksamkeitserfah‐<br />
rungen<br />
30<br />
Thomasius, Klimmt,<br />
Quandt, Thomasius,<br />
Pfeiffer, Bolay<br />
Pfeiffer, Quandt,<br />
Thomasius, Klimmt, te<br />
Wildt, Bolay, Mathiak<br />
Klimmt ist der Meinung, dass man gerade nicht einzelne Motivationsquellen in den Spielen festmachen<br />
kann, sondern dass es vielmehr „von allem etwas“ gibt, also zum Beispiel Wettkampf, Unterhaltung und<br />
Ablenkung. Gerade die Kombination macht dann den Reiz aus. Diese Faktoren können dann auch unter‐<br />
schiedlich zusammenwirken und dadurch unterschiedliche Typen problematischen Verhaltens hervorru‐<br />
fen (Hasebrink).<br />
Ein weiterer Aspekt ist der Neuheitswert der Spiele, der eine exzessive Nutzung (kurzfristig) anheizen<br />
kann (Bolay, Hasebrink).<br />
Aus der oben stehenden Tabelle ließe sich ableiten, dass das Belohnungssystem durch erfolgreiche oder<br />
glückliche Ereignisse im Spiel gespeist wird und damit die Abhängigkeit verstärkt. Aus neurophysiologi‐<br />
scher Perspektive gibt es laut Mathiak allerdings bisher keine direkten Befunde für Computerspiele oder<br />
Internetnutzung, die auf eine Aktivierung des Belohnungssystems nach „Glücksereignissen“ zurückzufüh‐<br />
ren sind. Vielmehr entsteht bei Versagen eine Hemmung des Belohnungssystems. Diese Hemmung kann<br />
zu einem Unmutgefühl führen, das durch weiteres Spielen zu bekämpfen versucht wird.<br />
5.3 Spielegenres<br />
Eine Beziehung zwischen Spielegenres und der Abhängigkeit von Spielern konnte nicht nachgewiesen<br />
werden. „Der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit/Sucht und einzelnen Spielen ist nicht nachweisbar“.<br />
(aus S Hasebrink)<br />
Nach Pfeiffer korreliert die Beliebtheit einzelner Spiele nicht mit der Quote der abhängigen Jungen, nach<br />
Quandt korreliert sie jedoch mit der Spielzeit. Deswegen stellt er die Vermutung auf, dass die erhöhte<br />
Zahl an Extremnutzern bei den beliebtesten Spielen aufgrund der hohen Nutzerzahlen so hoch ist.<br />
te Wildt begründet das mit Erfahrungen aus Spezialambulanzen und Beratungsstellen. Besondere Beach‐<br />
tung sollte der Kombination aus Computerspiel und Internet geschenkt werden, die ein besonderes Ab‐<br />
hängigkeitspotential birgt. Bei diesen Online‐Spielen kommt eine soziale Komponente hinzu. Thomasius,<br />
Bolay und Mathiak weisen darauf hin, dass außerdem eine ständige Erweiterung möglich sei.
Auch Quandt sieht den Bedarf einer stärkeren Differenzierung der Spiele. Er sieht zum Beispiel bei First‐<br />
Person‐Shootern weniger Gefahren für eine Abhängigkeit, da sie anders, nämlich kürzer, genutzt wer‐<br />
den. Dem widersprechen te Wildt, Mathiak und Pfeiffer. Sie schreiben zumindest Online‐First‐Person‐<br />
Shootern auch ein inhärentes Abhängigkeitspotential zu.<br />
Quandt verdeutlicht mit folgender Graphik die Nutzung der verschiedenen Genres:<br />
Abbildung 2 Genrespieler (aus P Quandt)<br />
Die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion über Spielegenres bzw. sehr beliebte Spiele soll folgende Ta‐<br />
belle verdeutlichen:<br />
31
Actionspiele • Weitaus weniger beliebt (Quandt)<br />
• Bei Männern jedoch genauso beliebt wie Online‐Rollenspiele (Quandt)<br />
• Aufhören leichter, da meist rundenbasiert und keine persistente Welt<br />
(Quandt)<br />
Shooterspiele • Counter Strike: einfaches Spielprinzip und unendliche Konstellationen bein‐<br />
halten hohes Reizniveau (Bolay)<br />
Rollenspiele • Führend im Online‐Bereich und werden insbesondere im Zusammenhang<br />
mit exzessivem Spielen diskutiert (Hasebrink, Mathiak, te Wildt & Quandt)<br />
• Von ca. 3 bis 10% der Spieler exzessiv genutzt (Quandt)<br />
• Sind suchterzeugend (Pfeiffer)<br />
• Hinweis auf eine Überdramatisierung dieses Spielgenres in den Nachrich‐<br />
tenmedien aus gegenwärtiger Befundslage (Klimmt)<br />
• Keine wissenschaftliche Evidenz, dass alle suchterzeugend sind (Thomasius)<br />
Spezialfall World of Warcraft (Online‐Rollenspiel):<br />
• WoW spielt bei 61 % der 2007 vorgestellten pCS‐Patienten eine Rolle (te<br />
Wildt)<br />
• Erreichte mit Abstand die höchste Sucht‐Quote in Untersuchung (Pfeiffer)<br />
• Spiel, mit dem zurzeit die meisten Jugendlichen und Erwachsenen Sucht‐<br />
probleme entwickelt haben (Thomasius)<br />
• Keine wissenschaftliche Evidenz. Hohe Anzahl problematischer Nutzer könn‐<br />
te auch auf die hohe Abonnentenzahl zurückzuführen sein (Quandt)<br />
• Anreizpotential ist mehrdimensional und komplex (Klimmt, Bolay, Pfeiffer)<br />
und führt zu hohem Reizniveau (Bolay)<br />
• Uneinigkeit, ob World of Warcraft einem Glückspiel ähnelt (Pro: Pfeiffer,<br />
Contra: Quandt)<br />
• Gilt als paradigmatischer Vertreter der Online‐Rollenspiele (Thomasius)<br />
Sportspiele • Gefahr der Etablierung des E‐Sports, da es Förderfaktor Nr. 1 für suchtarti‐<br />
ges Spielen in Südkorea ist (Pfeiffer)<br />
Abgesehen vom inhaltlichen Spielgenre gewinnt auch die technische Plattform an Bedeutung, da sie<br />
Spieleeigenschaften ermöglicht, die ‚suchtfördernd‘ wirken können. Besonders diskutiert werden in dem<br />
Zusammenhang sogenannte Browsergames. Dabei handelt es sich um Spiele, die Web‐Browser als Be‐<br />
nutzerschnittstelle benutzen. Wenn das Spielgeschehen dabei auf den Servern der Spieleanbieter liegt,<br />
können mehrere hundertausend Benutzer gleichzeitig das Spiel spielen. Dadurch entsteht ein sozialer<br />
Raum, der auch mit Beziehungen und sozialen Verpflichtungen einhergehen kann. Massively Multiplayer<br />
Online Role‐Playing Games (MMORPG) sind Browsergames, World of Warcraft fällt auch in diese Katego‐<br />
32
ie. Wenn durch die Interaktion der Spieler ein sozialer Raum mit klaren Rollen und Aufgaben entsteht,<br />
begünstigt dies auch die Entstehung eines Pflichtgefühls gegenüber den Mitspielern. Aus kameradschaft‐<br />
licher Rücksicht wollen die Spieler ihre Aufgaben erfüllen und nicht als Spielverderber gelten, ähnlich wie<br />
beispielsweise im Sportverein (Klimmt, Hasebrink, Pfeiffer, Quandt, Thomasius).<br />
Nach Klimmt gewinnen Browsergames an Bedeutung. Sie werden häufig mit „Computerspielsucht“ in<br />
Verbindung gebracht (Quandt). Nach Pfeiffer wird die Suchtproblematik von Rollenspielen durch die<br />
sozialen Verpflichtungen und Beziehungen in einem Browsergame verschärft (Pfeiffer).<br />
Thomasius weist darauf hin, dass der Begriff „Online‐Rollenspiel“ bislang nicht ausreichend definiert ist,<br />
um juristisch handhabbar zu werden.<br />
5.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens<br />
Konsens<br />
Verhaltensstörungen und ‐abhängigkeiten sind nach Meinung der Experten nur durch ein komplexes,<br />
multikausales und dynamisches Beziehungsgeflecht erklärbar, das Persönlichkeit und Veranlagungen der<br />
Person, ihr soziales Umfeld und die Sozialisation und die besonderen Eigenschaften des Mediums Com‐<br />
puterspiele beinhaltet.<br />
Die Experten teilen die Meinung, dass der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit/Sucht und einzelnen<br />
Spielen nicht ausreichend nachgewiesen werden kann. Jedoch gibt es spielinhärente Faktoren, die ein<br />
Abhängigkeitsverhalten fördern. Insbesondere die persistente Spielwelt und das soziale Miteinander in<br />
online gespielten Spielen bieten diese Faktoren. Die Entstehung eines sozialen Raums in Online‐Spielen<br />
geht mit sozialen Verpflichtungen und Zwängen einher, die wiederum häufiges und langes Spielen be‐<br />
günstigen bzw. erfordern. Dieses Pflichtgefühlt, die anderen „nicht hängen zu lassen“ kann der aus‐<br />
schlaggebende Grund sein, weiterzuspielen. Das Spiel „World of Warcraft“ vereint diese Faktoren und<br />
wird daher von allen Experten als problematisch im Kontext von pathologischem Spielverhalten genannt.<br />
Pfeiffer und Quandt belegen, dass ihre bisherigen Erkenntnisse das Suchtpotential dieses Spiels bestäti‐<br />
gen.<br />
Dissens<br />
Hasebrink weist darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit/Sucht und einzelnen Spielen<br />
nicht nachweisbar ist, jedoch fordert Quandt eine stärkere Differenzierung der Spiele, da seiner Meinung<br />
nach davon auszugehen sei, dass unterschiedliche Spiele auch unterschiedlich genutzt werden und da‐<br />
durch mehr oder weniger Abhängigkeitspotential entfalten können.<br />
Während te Wildt, Mathiak und Pfeiffer ein inhärentes Abhängigkeitspotential bei First‐Person‐Shooters<br />
sehen, sieht Quandt aufgrund kürzerer Nutzungszeiten eine eher nachgeordnete Rolle dieser Spiele.<br />
Hasebrink, Mathiak, te Wildt und Quandt sehen Rollenspiele als führend im Onlinebereich und betrach‐<br />
ten diese besonders in Hinsicht auf exzessives Spielen, während Klimmt darauf hinweist, dass aus der<br />
derzeitigen Befundlage eine Überdramatisierung zu erkennen sei. Anzumerken ist allerdings, dass sich<br />
33
Klimmt damit vor allem auf die Berichterstattung bezieht. Auch er spricht Online‐Spielen, die sehr häufig<br />
Rollenspiele sind, ein höheres Abhängigkeitspotential zu. Thomasius bestätigt, dass keine wissenschaftli‐<br />
che Evidenz vorliegt, dass alle Online‐Rollenspiele als suchterzeugend anzusehen sind.<br />
Für das Spiel „World of Warcraft“ herrscht Uneinigkeit darüber, ob es einem Glücksspiel ähnelt. Wäh‐<br />
rend Pfeiffer diesen Punkt bestätigt, sieht Quandt deutliche (Anreiz‐)Unterschiede der beiden Spielarten<br />
(Glücksfaktor, Spannung vs. Soziale Komponenten).<br />
34
6. Maßnahmen<br />
Leitfrage: Was sollte zukünftig erfolgen, um ggf. exzessiven Gebrauch, Abhängigkeit und Sucht im Kon‐<br />
text der Nutzung von Computerspielen zu verhindern? Was sind aus Ihrer Sicht geeignete rechtliche,<br />
medienpädagogische, politische Instrumente?<br />
Eine klare Sortierung in rechtliche, politische oder medienpädagogische Maßnahmen ist nicht möglich,<br />
da sie häufig in einem Wechselspiel der Institutionen und Unternehmen geleistet werden müssen. Daher<br />
werden die vorgeschlagenen Maßnahmen zunächst getrennt aufgelistet: Zunächst werden die Änderun‐<br />
gen aufgeführt, die man an und in den Spielen selbst durchführen kann. Und anschließend die Maßnah‐<br />
men, die in der „realen Welt“ durchgeführt werden und zur Problembewältigung beitragen sollen. An‐<br />
schließend werden die genannten Zuständigkeiten und Vorschläge zur Implementierung zusammenge‐<br />
fasst dargestellt.<br />
6.1 Maßnahmen bei Spielen<br />
Ermüdende Avatare (gibt es tlw. schon bei „World of Warcraft“ und „Lord<br />
of the Rings Online“)<br />
Nutzungszeitregeln, die technisch nicht überschritten werden können oder<br />
z. B. von Eltern eingerichtet werden können; Zeitkonten<br />
Zitat P te Wildt: „Nutzungsdauer nicht das entscheidende Kriterium für klini‐<br />
sche Medienpsychologie, wichtig aber für Medienpädagogik“<br />
Hinweise auf die bereits länger andauernde Spielnutzung Vorschlag, Pau‐<br />
se zu machen (gibt es bei der Konsole „Nintendo Wii“®)<br />
35<br />
Klimmt, Hasebrink<br />
Klimmt, Bolay, te<br />
Wildt<br />
Klimmt<br />
Jederzeit mögliche Archivierung von Erreichtem im Spiel Klimmt
6.2 Maßnahmen im Umfeld der Spieler<br />
Kommunikation: Information, Aufklärung und Beratung<br />
Aufklärungskampagnen über Gefahren<br />
• auch an Mitspieler gerichtet<br />
Zitat aus S Klimmt: „Im Sinne eines „peer group“‐Ansatzes wäre es aus mei‐<br />
ner Sicht lohnend, Nutzer von Online‐Spielen über die Exzessivitätsproble‐<br />
matik sachlich zu informieren und Faustregeln aufzustellen, woran man in‐<br />
nerhalb der Spielumgebung mögliche Exzessivnutzung bei anderen Spielern<br />
(z. B. Freunden, Bekannten, anderen Clan‐Mitgliedern) erkennen kann.“<br />
• Beratungsangebote für Eltern<br />
Zitat P Klimmt: „Schulen und Familienberatung besser für die Thematik<br />
rüsten – Medienkompetenzkonzepte und Vermittlungskonzepte flächen‐<br />
deckend zur Verfügung stellen“<br />
• Diskurs mit Spielenden suchen<br />
Zitat T Hasebrink: „Trotzdem ist es, glaub ich, sehr wichtig, in dieses Netz‐<br />
werk von Jugendmedienschutz auch die Spielenden mit einzubeziehen. Und<br />
einen Diskurs anzuregen, der auch innerhalb der Szene der Spielenden, der‐<br />
jenigen, die spielen, Bewusstsein dafür zu entwickeln. Dass Kriterien zu ent‐<br />
wickeln, was wir in unserer Kultur für positiv oder für weniger positiv halten,<br />
nicht einfach eine Sache ist, die Erwachsene gegenüber Kindern und Jugend‐<br />
lichen erlassen und ihnen entsprechend das als negativ Erachtete vorenthal‐<br />
ten, sondern dass dies auch schon ein gemeinsamer Diskurs ist.“<br />
• Aufklärung bzgl. der positiven Seiten von Spielen, „Entkriminalisie‐<br />
rung“, Generationenkonflikt begegnen, indem man Eltern spielen lässt<br />
• Elternbildung wie „Elternmedientrainer“ der niedersächsischen Landes‐<br />
stelle Jugendschutz<br />
36<br />
Mathiak<br />
Klimmt, te Wildt,<br />
Thomasius, Klimmt<br />
Hasebrink, Bolay<br />
Bolay, Quandt<br />
• Bundesweite Kampagne „Keine Bildschirme in Kinderzimmer“ Pfeiffer<br />
• In diesem Rahmen: Kooperationen mit Medienpartnern schaffen (z. B.<br />
Süddeutsche Zeitung, jetzt.de etc.)<br />
• Aufklärung und Kommunikation von Seiten des Anbieters<br />
Zitat S Klimmt: „Zugleich wäre es wichtig, dass die Anbieter selbst explizit zu<br />
dieser Problematik Stellung beziehen, denn sie können besonders glaubwür‐<br />
dig kommunizieren, dass ein echter Spiele‐Fan nicht derjenige ist, der sein<br />
ganzes Leben auf das Spiel ausrichtet oder für das Weiterspielen die Schule<br />
schwänzt.“<br />
• Aufklärung für den Anbieter<br />
Zitat S Hasebrink: „Alle Beteiligten, insbesondere die Anbieter, sollten sensi‐<br />
bilisiert sein für die spielimmanenten Merkmale, die dazu angetan sind, dass<br />
Spielverhalten ausufert und außer Kontrolle gerät.“<br />
Klimmt, Thomasius<br />
Quandt<br />
Klimmt<br />
Hasebrink, Quandt,<br />
Klimmt
Pädagogische Angebote:<br />
• Medienkompetenz/Medienbildung in Schule unterrichten/stärken<br />
(zum Beispiel Computerspiele als Vergleichsmedium im Literaturunter‐<br />
richt einsetzen)<br />
Zitat aus S Bolay: „Computerspielen als Kulturfähigkeit verstehen und integ‐<br />
rieren.“<br />
• Pädagogik, Schulen allgemein: Ganztagsschulen, bessere pädagogische<br />
Versorgung der Kinder und Jugendlichen soziale und körperliche Ak‐<br />
tivitäten<br />
37<br />
Klimmt, Thomasius,<br />
te Wildt, Bolay, Ma‐<br />
thiak, Quandt<br />
te Wildt, Pfeiffer<br />
• Alternativangebote für die Freizeit, insbesondere für Jungen Pfeiffer, te Wildt<br />
Weitere Forschung<br />
• Interdisziplinäre Vernetzung der Forschung<br />
• wissenschaftliche und medienpädagogische Begleitung von anbietersei‐<br />
tigen Umsetzungen wie Begrenzung oder Festlegung von Nutzungszeit‐<br />
regeln<br />
Aufbau einer von der Industrie unabhängigen USK, die in der Lage ist, Öf‐<br />
fentlichkeitsarbeit über die Gefahren von Computerspielen zu machen<br />
Altersbeschränkung<br />
• Pro: Abhängigkeitspotential als Kriterium für Altersfreigabe von Com‐<br />
puterspielen<br />
• WOW ab 18<br />
Alle<br />
Pfeiffer<br />
te Wildt, Mathiak,<br />
Pfeiffer<br />
Pfeiffer<br />
• Bildung einer USK‐unabhängigen Einrichtung für die Altersfreigabe Pfeiffer, te Wildt<br />
Contra:<br />
• Altersbeschränkung Online‐Rollenspiele (ab 18). Gründe: Wissensbe‐<br />
stände bisher zu gering, massiver Eingriff in die Freiheit der Bürger, vor<br />
allem derjenigen, die Spiele „einfach genießen“, Werbepotential<br />
Zitat S Thomasius: „Zunächst müsste der Begriff „Online‐Rollenspiele“ sehr<br />
viel genauer als bisher definiert werden, um juristisch handhabbar zu wer‐<br />
den. Weiter stellt sich die Frage, wie hoch denn überhaupt die wissenschaft‐<br />
liche Evidenz dafür ist, alle Spiele dieses Genres für suchterzeugend zu hal‐<br />
ten. Wenn den Softwarehändlern bezüglich bestimmter Spiele oder ganzer<br />
Genres von Spielen die Käufergruppe der unter 18‐Jährigen verschlossen<br />
bleiben soll, hat das erhebliche ökonomische Konsequenzen. Ein derartiger<br />
Eingriff benötigt objektive und evidenzbasierte Kriterien, die am einzelnen<br />
Spiel nachweisbar sind.“<br />
Thomasius, Klimmt,<br />
Quandt
Transparenz: Offenlegung der Spieleigenschaften<br />
• Anbieter sollen Liste erstellen für Jugendschutzprüfung, in der alle ju‐<br />
gendgefährdeten Inhalte dargelegt sind<br />
• Auf der Packung (allerdings nicht mit den Worten „macht süchtig, son‐<br />
dern z. B.: „dieses Spiel erfordert lange Spielzeiten“)<br />
Zitate S Hasebrink: „Sowohl der öffentliche Diskurs als auch gezielte regula‐<br />
torische Maßnahmen sollten diesen Sensibilisierungsprozess unterstützen,<br />
der dahin führen sollte, dass Spielmerkmale, die nach allgemeiner Auffas‐<br />
sung und entsprechenden Forschungsergebnissen besonders geeignet sind,<br />
im Zusammenwirken mit entsprechenden persönlichen Dispositionen und<br />
sozialen Kontextfaktoren zu abhängigem Verhalten zu führen, explizit aus‐<br />
gewiesen werden und durch entsprechende Vorkehrungen relativiert wer‐<br />
den.“<br />
Abraten von einer Kennzeichnungspflicht als „suchtauslösend“<br />
Zitat S Thomasius: „Möglicherweise würde eine suchtbezogene Kennzeich‐<br />
nung dazu führen, dass sich die Softwarefirmen erheblich darum bemühen<br />
würden, dass die für eine derartige Kennzeichnung notwendigen Kriterien<br />
von möglichst vielen Spielen erfüllt würden, da hier ein neues und zugkräfti‐<br />
ges Werbeargument geschaffen würde. Der „Suchtcharakter“, den ein Com‐<br />
puterspiel habe, ist bereits seit Fachzeitschriften Computerspiele bewerten<br />
ein Qualitätsmerkmal und Bestandteil einer nachdrücklichen Kaufempfeh‐<br />
lung.“<br />
38<br />
Pfeiffer<br />
Hasebrink<br />
Thomasius, Klimmt<br />
Entwicklung geeigneter Therapieangebote Thomasius<br />
Besteuerung/Abgabe<br />
Einbezug von Anbietern in Kosten der Nutzungssteuerung/Jugendschutz im<br />
Sinne einer Abgabe<br />
Zitat S Mathiak: „Selbst wenn hier kein direkter Effekt auf das Nutzungsver‐<br />
halten auftreten sollte, so ist zumindest eine Entlastung der Gesellschaft in<br />
fiskalischer Sicht erfolgreich. Jedoch aus Erfahrungen aus anderen Bereichen<br />
ist Taxierung auch erfolgreich zu Verhaltenssteuerung.“<br />
Zitat T Pfeiffer: „Ich würde jedes Computerspiel mit einer Abgabe von zehn<br />
Cent belasten. Das bringt vier Millionen Euro jährlich. Damit würde ich eine<br />
starke von der Industrie unabhängigere USK gerne aufbauen wollen und die<br />
dann in die Lage versetzen, dass sie Öffentlichkeitsarbeit über die Gefahren<br />
der Computerspiele macht.“<br />
Mathiak, Pfeiffer, te<br />
Wildt
6.3 Zuständigkeiten und Möglichkeiten zur Implementierung der Maßnahmen<br />
Aufgaben für das politische System hinsichtlich der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen:<br />
1. Altersbeschränkung: Bildung einer industrieunabhängigen USK, strengere Vorgaben (Mathiak, te<br />
Wildt, Pfeiffer)<br />
2. Finanzierung von Maßnahmen wie Forschung und medienpädagogischen Programme (Konsens)<br />
3. Kultusministerien: Schulkonzepte (Stichwort Ganztagsschulen), pädagogische Konzepte, Lehrpläne<br />
4. (Gesetzliche) Auflagen für Spieleanbieter (Umsetzung der Maßnahmen innerhalb der Spiele…)<br />
5. Besteuerung<br />
6.4 Zwischenfazit: Konsens und Dissens<br />
Konsens:<br />
Alle Experten befürworten medienpädagogische Instrumente sowie die Förderung von Medienkompe‐<br />
tenz. Dabei sollen neben den Spielern auch die Schulen und Eltern eingebunden werden. Insgesamt soll‐<br />
te mehr Aufklärung und Information stattfinden. Konsens ist die Forderung nach mehr Forschung, bei‐<br />
spielsweise Längsschnittstudien.<br />
Niemand spricht sich für ein generelles Verbot von Computerspielen aus.<br />
Die Experten sind sich einig, dass multiple Zielgruppen angesprochen werden sollen: Schulen, Eltern,<br />
Spieler, Spielehersteller, Lehrer etc. Als wichtiger Adressat gelten die Anbieter von Computerspielen: Sie<br />
müssen besser über die Problematik informiert werden und zu präventiven Maßnahmen ermuntert wer‐<br />
den. Darüber hinaus sollen sie in die Pflicht genommen werden, ihren Beitrag zur Prävention von pCS zu<br />
leisten.<br />
Auch die Spieler selbst werden als relevante Adressaten genannt: Sie sollen in den Diskurs einbezogen<br />
werden statt „über sie“ zu sprechen. In diesem Zusammenhang bieten sich auch Mitspieler, also Mitglie‐<br />
der der virtuellen (und/oder realen) Peergroup an.<br />
Dissens:<br />
Dissens herrscht vor allem über die Maßnahme der Altersbeschränkung: Pfeiffer, te Wildt und Mathiak<br />
sprechen sich dafür aus; Klimmt, Thomasius und Quandt dagegen.<br />
Darüber hinaus sind die Experten nicht einer Meinung, wie viel Transparenz über die Eigenschaften der<br />
Spiele konstruktiv ist. Während Hasebrink die Spielinhalte möglichst transparent kommunizieren möch‐<br />
te, sprechen sich Klimmt und Thomasius explizit dagegen aus. Sie befürchten, dass das Attribut<br />
„süchtigmachend“ als Werbeargument dient. Hasebrink stimmt den Bedenken zwar zu, würde aber den‐<br />
noch Dinge wie „erfordert lange Spielzeiten“ kommunizieren.<br />
Bezüglich der Maßnahmen aufseiten der Spielehersteller herrscht Dissens: Während Klimmt und Quandt<br />
eher dafür plädieren, mit ihnen zu kooperieren, um mit ihnen gemeinsam gegen das Problem vorzuge‐<br />
39
hen, schlagen Pfeiffer und Mathiak eine Besteuerung (im Sinne einer Abgabe) der Spiele vor, um die<br />
Maßnahmen zur Bekämpfung des Problems finanzieren zu können.<br />
Wie oben beschrieben, herrscht Konsens darüber, dass viele verschiedene Zielgruppen angesprochen<br />
werden sollten. Der Fokus auf bestimmte Zielgruppen unterscheidet sich allerdings zwischen den Exper‐<br />
ten: Während Klimmt und Hasebrink eher die Spieler selbst ansprechen würden, sehen te Wildt und<br />
Pfeiffer Lehrer, Schulen und Kindergärten als relevante Ansprechpartner.<br />
40
7. Fazit und Empfehlungen<br />
Bezüglich der Experten und ihrer Argumentation lässt sich eine gemeinsame Linie der drei Kommunikati‐<br />
onswissenschaftler Hasebrink, Klimmt und Quandt ausmachen: Alle drei verstehen Computerspiele als<br />
neue Kulturtechnik, die möglicherweise auf anderen Mechanismen, beispielsweise anderen Motivations‐<br />
und Gratifikationsprozessen beruht. Diese Prozesse und Eigenschaften von Computerspielen sollten zu‐<br />
nächst einmal analysiert und verstanden werden, statt sich nur auf die negativen Seiten des neuen Me‐<br />
diums zu konzentrieren. Diese Sichtweise resultiert dann auch folgerichtig im Fokus auf kommunikative<br />
Maßnahmen, in die die Spieler selbst integriert werden. Diese Ansicht teilt Bolay.<br />
Unter den Medizinern Mathiak, te Wildt und Thomasius ist keine so klare gemeinsame Argumentations‐<br />
linie auszumachen. Alle drei diskutieren zwar ausführlich die Frage, inwiefern pCS als eigenständiges<br />
Krankheitsbild gilt und klassifiziert werden sollte, kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen.<br />
Generell zeugen die Aussagen der Experten davon, dass eine eindeutige Einordnung des Phänomens zu<br />
diesem Zeitpunkt nicht möglich ist. Ambivalenzen sind sowohl zwischen den Experten als auch innerhalb<br />
eines Beitrags zu finden. Dieses lässt sich vor allem auf zwei Gründe zurückführen:<br />
1. Die Datenlage ist nicht ausreichend. Beispielsweise lassen bisherige Studien keine gültigen Aus‐<br />
sagen zu Prävalenzen und Komorbiditäten zu. Dies ist Konsens unter den Experten.<br />
2. Zum anderen ähneln Computerspiele anderen Freizeitbeschäftigungen oder Genussmitteln: In<br />
Maßen genossen haben sie oft positive Seiten für den Nutzer, sorgen für Spaß, Unterhaltung, so‐<br />
ziale Beziehungen oder auch positive Lerneffekte. Wird die Nutzung dagegen übertrieben, über‐<br />
wiegen schnell die negativen Konsequenzen.<br />
Deshalb zeigen sich die Experten bezüglich repressiver Maßnahmen sehr zurückhaltend: Ein Verbot wird<br />
von keinem Experten vorgeschlagen, eine Altersbeschränkung für „süchtigmachende“ Spiele von drei der<br />
Experten (Pfeiffer, te Wildt, Mathiak). Andere Experten lehnen eine solche Begrenzung bei derzeitiger<br />
Datenlage ab, nicht zuletzt mit dem Argument, dass ein solch massiver Eingriff in die Freiheit der Bürger<br />
mit mehr empirischer Evidenz untermauert sein müsse (Quandt, Klimmt, Thomasius).<br />
Einige Maßnahmen, über deren Sinnhaftigkeit Konsens herrscht, lassen sich jedoch aus den Diskussionen<br />
der Experten ableiten. Diese können somit als Empfehlungen gelten:<br />
• Kommunikative Maßnahmen:<br />
o Aufklärung<br />
o Information<br />
o „offenen“ Diskurs führen, keine Kriminalisierung<br />
o Austausch und Kooperation mit Spieleherstellern<br />
• Einbezug multipler Zielgruppen:<br />
o Spieler<br />
o Eltern<br />
41
o Lehrer und Schulen<br />
o Spielehersteller<br />
• Finanzierung von mehr Forschung<br />
• Bildungsbereich: Medienpädagogik/alternative Freizeitangebote<br />
Es ist offensichtlich, dass weiche und vor allem kommunikative Maßnahmen repressiven vorgezogen<br />
werden. Dies liegt neben der unzureichenden Datenlage und Widersprüchlichkeit der Ergebnisse auch<br />
daran, dass sie weniger stark in die Freiheit der Bürger eingreifen und mehr Effizienz versprechen.<br />
42
Teil 2: Information zu den Experten und Auswertung ihrer Argumentation<br />
Prof. Dr. Hans Volker Bolay<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. Hans Volker Bolay ist Kinder‐ und Jugendpsychotherapeut, sowie Lehrmusiktherapeut am<br />
DGMT/DBVMT (Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie, Deutscher Verband für manuelle Therapie).<br />
Zugleich ist er Professor für Klinische Musiktherapie und Dekan der Fakultät für Musiktherapie an der<br />
SRH Hochschule Heidelberg (private Fachhochschule).<br />
Prof. Dr. Hans Volker Bolay studierte Psychologie, Pädagogik und Schulmusik in Heidelberg sowie Berlin<br />
und war Gaststudent der Musiktherapie in Salzburg und Amersfoort. 1984 promovierte er an der Univer‐<br />
sität Duisburg im Bereich Musiktherapie und wurde 1985 Professor für Musiktherapie an der privaten<br />
SRH Hochschule Heidelberg.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Die Arbeits‐ und Forschungsschwerpunkte von Prof. Dr. Hans Volker Bolay liegen vor allem im Bereich<br />
Musiktherapie und Psychotherapie. Daneben ist Bolay seit 1999 Mitglied des Forschungsschwerpunktes<br />
Gerontologie der Universität Heidelberg. In letzter Zeit hat er zu Computerspielen geforscht im Rahmen<br />
des Forschungsverbundes „Entwicklung von altersspezifischen Bewertungskategorien zur Wirkung von<br />
Computerspielen“, der von öffentlichen und privaten Drittmittelgebern finanziert wird. In seiner Präsen‐<br />
tation wurden Ergebnisse einer Studie des Projekts referiert.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 13<br />
Theoretische Beiträge 2<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Bolay ist Experte für Musiktherapie. Im Bereich Computerspiele und Computerspielsucht weist er<br />
bislang wenig Forschungserfahrung und Publikationen auf. Seit 2008 leitet er allerdings einen For‐<br />
schungsverbund, der altersspezifische Bewertungskategorien zur Wirkung von Computerspielen entwi‐<br />
ckelt. In diesem Projekt geht es um die Wirkung von Computerspielen auf Stress‐, Aggressions‐ und Kon‐<br />
zentrationsprozesse. Diese werden neurophysiologisch und psychologisch untersucht.<br />
(http://www.dzm.fh‐heidelberg.de/v2/downloads/03_forschung/projekte/Zwischenbericht%20USK.pdf)<br />
43
Prof. Bolay referierte gemeinsam mit zwei Mitarbeitern aus diesem Forschungsverbund: Frau Prof.<br />
Argstatter und Herrn Dr. Krick. Die Präsentation stützte sich vor allem auf neurophysiologische Befunde<br />
zu Veränderungen im Gehirn durch Computerspielen.<br />
Die Argumentation der drei Experten bezieht sich stark auf den gesellschaftlichen Diskurs über Compu‐<br />
terspiele. Sie plädieren dabei für eine Entemotionalisierung und Entkriminalisierung von Spielen und<br />
Spielern. Als Maßnahmen setzen sie auf Dialoge zwischen allen Beteiligten, Aufklärung der Eltern und<br />
allen nicht‐spielenden Erwachsenen.<br />
Die verwendete Literatur ist fast ausschließlich neurophysiologisch verankert. Kommunikationswissen‐<br />
schaftliche Literatur wurde nicht herangezogen. Die präsentierten Ergebnisse einer eigenen Studie be‐<br />
ziehen sich auf neurophysiologische Veränderungen im Zusammenhang mit Computerspielen und be‐<br />
treffen nicht speziell Abhängigkeit/exzessives Spielen.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. rer. med Christoph Krick und Prof. Dr. Heike Argstatter<br />
Dr. Christoph Krick<br />
Dr. Christoph Krick ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Bildgebende Verlaufsunter‐<br />
suchungen an der Klinik für diagnostische und interventionelle Neuroradiologie der Universitätsklinik des<br />
Saarlandes. Er ist Mediziner und führt neurophysiologische Untersuchungen durch.<br />
Prof. Dr. Heike Argstatter<br />
Prof. Dr. Heike Argstatter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Forschungsbereichen psychologische<br />
Verlaufsuntersuchungen und Elektrophysiologie am deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung<br />
(Viktor Dulger Institut) DZM e.V.. Zudem hat sie eine Forschungsprofessur für Musiktherapie an der SRH<br />
Hochschule Heidelberg inne. Sie studierte Psychologie, Musikwissenschaften und Erziehungswissenschaf‐<br />
ten und promovierte an der Fakultät für Medizin der Universität Heidelberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte<br />
sind dabei die Integration von musiktherapeutischen Forschungsansätzen und ‐ergebnissen in die Lehre.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
Argstatter, H., Krick, C., Bolay, H.V. (2008). Musiktherapie bei chronisch‐tonalem Tinnitus ‐ Heidelberger<br />
Modell evidenzbasierter Musiktherapie. HNO, 56, 678‐685<br />
Argstatter, H., Krick, C., Bolay, H.V. (2009). Musiktherapie bei chronisch‐tonalem Tinnitus – das Heidel‐<br />
berger Behandlungsmodell. Psychotherapeut, 54(1), 17‐26.<br />
Argstatter, H. (2007). Musiktherapie bei chronisch‐tonalem Tinnitus ‐ Manualentwicklung und neurowis‐<br />
senschaftlicher Wirkungsnachweis. Inauguraldissertation, Universität Heidelberg.<br />
Bolay, H.V., Hillecke, T., Berbescu, G., Wormit, A. (1999). Musiktherapie – Eine moderne künstlerische<br />
und wissenschaftliche Therapiemethode. In Brock F.‐E. (Hrsg.). Handbuch der Naturheilkundlichen<br />
Medizin. ecomed, Landsberg.<br />
44
Nickel A., Hillecke, T., Bolay, H.V. (2001). SENEX – Pilotstudie zur Entwicklung und Überprüfung eines<br />
musiktherapeutischen Behandlungskonzepts für gerontopsychiatrisch erkrankte Altenpflegeheim‐<br />
bewohner. Musik‐, Tanz‐ und Kunsttherapie 13(1), 1‐6.<br />
Wormit, A.F., Hillecke, T., Geberth, S., Bischoff, K., Müller, A., Schneider, P., Bolay, H.V. (2002). Charakte‐<br />
risierung der psychosozialen Belastung und der Krankheitsbewältigung von Hämodialysepatienten<br />
als Vorbereitung für ein Coachingkonzept zur Verbesserung der Behandlungsqualität. Nieren‐ und<br />
Hochdruckkrankheiten. 31(5), 186‐192.<br />
Verwendete Literatur<br />
Barraclough, D.J., Conroy, M.L. & Lee, D. (2004). Prefrontal cortex and decision making in a mixed‐<br />
strategy game. Nat. Neurosci. 7, 404‐410.<br />
Cardinal, R.N., Parkinson, J.A., Hall, J. & Everitt, B.J. (2002). Emotion and motivation: the role of amygda‐<br />
la, ventral striatum, and prefrontal cortex. Neurosci. Biobehav. Rev. 26, 321‐352.<br />
Draganski, B., Gaser, C., Busch, V., Schuierer, G., Bogdahn, U. & May, A. (2004). Changes in grey matter<br />
induced by training. Nature, 427, 311‐312.<br />
Driemeyer, J., Boyke, J., Gaser, C., Büchel, C. & May, A. (2008). Changes in gray matter induced by learn‐<br />
ing – revisited. PloS ONE 2008.<br />
Furuyashiki, T. & Gallagher, M. (2007). Neural encoding in the orbitofrontal cortex related to goal‐<br />
directed behavior. Ann. N.Y. Acad. Sci, 1121, 193‐215.<br />
Groenewegen, H.J., Wright, C.I. & Beijer A.V. (1996). The nucleus accumbens: gateway for limbic struc‐<br />
tures to reach the motor system? Prog. Brain Res., 107, 485‐511.<br />
Kalivas, P.W. & Nakamura, M. (1999). Neural systems for behavioral activation and reward. Curr. Opin.<br />
Neurobiol., 9, 223‐227.<br />
Kelley, A.E. & Berridge, K.C. (2002). The neuroscience of natural rewards: relevance to addictive drugs. J.<br />
Neurosci., 22, 3306‐3311.<br />
Liu, X., Powell, D.K., Wang, H., Gold, B.T., Corbly, C.R. & Joseph J.E. (2007). Functional dissociation in<br />
frontal and striatal areas for processing of positive and negative reward information. J. Neurosci.,<br />
27, 4587‐4597.<br />
O’Doherty, J.P. (2004). Reward representations and reward‐related learning in the human brain: insights<br />
from neuroimaging. Curr. Opin. Neurobiol., 14, 769‐776.<br />
Reynolds, S.M. & Zahm, D.S. (2005). Specificity in the projections of prefrontal and insular cortex to ven‐<br />
tral striatopallidum and the extended amygdala. J. Neurosci., 25, 11757‐11767.<br />
Robbins, T.W. & Everitt, B.J. (1996). Neurobehavioural mechanisms of reward and motivation. Curr. Opin.<br />
Neurobiol., 6, 226‐236.<br />
Robbins, T.W. & Everitt, B.J. (1999). Drug addiction: bad habits add up. Nature, 398, 567‐570.<br />
Thalemann, R., Wölfling, K. & Grüsser, S. (2007). Specific cue reactivity on computer game‐related cues in<br />
excessive gamers. Behavioral Neuroscience, 121(3), 614‐618.<br />
45
Wu, M. Brudzynski, S.M., & Mogenson, G.J. (1993). Fuctional interaction of dopamine and glutamate in<br />
the nucleus accumbens in the regulation of locomotion. Can. J. Physiol Pharmacol., 71, 407‐413.<br />
46
Prof. Dr. Uwe Hasebrink<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. Uwe Hasebrink ist Professor für „Empirische Kommunikationswissenschaften“ an der Universi‐<br />
tät Hamburg und Direktor des Hans‐Bredow‐Instituts. Sein Studium der Psychologie und deutschen Phi‐<br />
losophie absolvierte er in Hamburg, wo er nach dem Studium als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig<br />
war. Für das Hans‐Bredow‐Institut ist er seit 1986 tätig.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen in den Bereichen Mediennutzung und Medieninhalte sowie<br />
Medienpolitik; in den letzten Jahren waren dies vor allem: Individuelle Nutzungsmuster und Medienre‐<br />
pertoires, Konvergenz der Medien aus Nutzerperspektive, Folgen der Onlinemedien für die klassischen<br />
Medien, Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen, Formen der Zuschauerbeteiligung und der Si‐<br />
cherung von Nutzerinteressen gegenüber den Medien sowie europäische Medien und europäische<br />
Publika. Hasebrink ist Mitglied des International Board der Zeitschrift „Journal of Children and Media“.<br />
Hasebrink forscht im Bereich Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen und fokussiert dabei beson‐<br />
ders Online‐Medien. 2007 hat er gemeinsam mit Kollegen des Hans‐Bredow‐Instituts das Jugendmedien‐<br />
schutzsystem Deutschlands evaluiert (Jugendschutzgesetz und Jugendmedienschutz‐Staatsvertrag). Im<br />
konkreten Bereich der Computerspielsucht hat Hasebrink keine eigene Forschungserfahrung.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 4<br />
Theoretische Beiträge 0<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Hasebrink hat keine empirische Forschung zu exzessiver Computernutzung betrieben, verfügt jedoch<br />
über ausgeprägte Kenntnisse und Forschungserfahrung zu Kinder und Jugendlichen im Zusammenhang<br />
mit Mediennutzung. In seiner schriftlichen Ausarbeitung beruft sich Hasebrink auf aktuelle (For‐<br />
schungs‐)Literatur, ohne allerdings einzelne Studien zu benennen. Da er außerdem keine Präsentation<br />
eingesetzt hat (die weitere Literaturangaben hätte enthalten können), ist die Liste seiner verwendeten<br />
Literatur sehr kurz. Seine Argumentation – vor allem zu Definition und Messung von pCS und zu spielim‐<br />
manenten Faktoren – sprechen für eine beachtliche Expertise auf diesem Gebiet.<br />
Hasebrink setzt besonders auf den Einbezug der Spielenden selbst und einen gemeinsamen Diskurs mit<br />
allen Beteiligten, der auch die positiven Seiten des Spielens inkludiert. Als mögliche regulatorische Maß‐<br />
nahme plädiert er für größtmögliche Transparenz, also eine klare Offenlegung der Spielmerkmale.<br />
47
Ausgewählte Publikationen<br />
Hasebrink, U., Livingstone, S.; Haddon, L. (2008). Comparing Children’s Online Opportunities and Risks<br />
Across Europe: Cross‐National Comparisons for EU Kids Online. London: EU Kids Online (Deliverable<br />
D3.2).<br />
Hasebrink, U., Lampert, C. (2009). Online‐Nutzung von Kindern und Jugendlichen in Europa. Ergebnisse<br />
aus dem europäischen Forschungsverbund EU Kids Online. Diskurs Kindheits‐ und Jugendfor‐<br />
schung, 4(1), 27‐40.<br />
Krotz, F.; Lampert, C.; Hasebrink, U. (2008). Neue Medien. In R. K. Silbereisen, M. Hasselhorn (Hrsg.),<br />
Enzyklopädie für Psychologie, Serie V (Entwicklung), Band 5: Psychologie des Jugend‐ und frühen<br />
Erwachsenenalters. Göttingen, S. 331‐359.<br />
Hasebrink, U. (2008). Zappen, surfen, simsen ‐ Jugendmedienschutz im Mediendschungel. Überlegungen<br />
aus der Perspektive der Mediennutzungsforschung. In Dörken‐Kucharz, T. (Hrsg.), Medienkompe‐<br />
tenz. Zauberwort oder Leerformel des Jugendmedienschutzes. Baden‐Baden, S. 109‐115.<br />
Hasebrink, U. (2007). Computer Use, International. In J. J. Arnett (Ed.), Encyclopedia of Children, Adoles‐<br />
cents and the Media, S. 207‐210. Thousand Oaks.<br />
Hans‐Bredow‐Institut (Hrsg.). (2007). Analyse des Jugendmedienschutzsystems – Jugendschutzgesetz und<br />
Jugendmedienschutz‐Staatsvertrag. Endbericht, Oktober 2007. Hamburg.<br />
Brunn, I.; Dreier, H.; Dreyer, S.; Hasebrink, U.; Held, T.; Lampert, C.; Schulz, W. (2007). Das deutsche Ju‐<br />
gendschutzsystem im Bereich der Video‐ und Computerspiele. Hamburg.<br />
Verwendete Literatur (verwendete eigene Literatur ist unterstrichen)<br />
Hans‐Bredow‐Institut. (2007). Analyse des Jugendmedienschutzsystems – Jugendschutzgesetz und Ju‐<br />
gendmedienschutz‐Staatsvertrag. Endbericht, Oktober 2007.<br />
Smahel, D. Blinka, L. & Ledabyl, O. (2008). Playing MMORPGs: Connections between addiction and identi‐<br />
fying with a character. CyberPsychology & Behaviour, 11(6), 715‐718.<br />
Wan, C.S., & Chiou, W.B. (2006a). Psychological motives and online games addiction: A test of flow<br />
theory and humanistic needs theory for Taiwanese adolescents. CyberPsychology & Behavior, 9(3),<br />
317‐324.<br />
Wan, C.S., & Chiou, W.B. (2006b). Why Are Adolescents Addicted to Online Gaming? An Interview Study<br />
in Taiwan. CyberPsychology & Behavior, 9(6), 762‐766.<br />
48
Prof. Dr. Christoph Klimmt<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. Christoph Klimmt ist Juniorprofessor für Publizistik mit Schwerpunkt Onlinekommunikation am<br />
Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg‐Universität Mainz.<br />
Christoph Klimmt studierte Medienmanagement am Institut für Journalistik und Kommunikationsfor‐<br />
schung der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Bis 2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
und Teamleiter in verschiedenen internationalen Forschungsprojekten des IJK Hannover. Im Mai 2004<br />
absolvierte er seine Promotion zum Dr. phil. mit der Dissertation „Computerspiele als Handlung: Dimen‐<br />
sionen und Determinanten des Erlebens interaktiver Unterhaltungsangebote“.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Prof. Klimmts Arbeits‐ und Forschungsschwerpunkt liegt explizit im Bereich Computerspiele. Dabei un‐<br />
tersucht er Unterhaltungsfaktoren in Spielen (wie Identifikation mit dem Avatar oder Selbstwirksam‐<br />
keitsprozesse), Lernprozesse in Spielen (zum Beispiel realisiert durch sogenannte Serious Games), aber<br />
auch negative Wirkungen wie die Verfestigung von Stereotypen. Mit Computerspielsucht hat er sich im<br />
Rahmen des EU‐Projekts „FUGA – Fun of Gaming“ beschäftigt. Dabei stand die Frage im Vordergrund, ob<br />
und wie bestimmte spaßfördernde Spielmerkmale pathologische Spielnutzung begünstigen können.<br />
Gemeinsam mit dem Experten für Computerspielsucht Dr. Ralf Thalemann hat er eine qualitative Befra‐<br />
gungsstudie mit pathologischen Nutzern durchgeführt, auf die er auch in seinem Vortrag verweist.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 12<br />
Theoretische Beiträge 9<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Klimmt zeigt große Fachkenntnis, sowohl, was das Medium Computerspiele und spielimmanente<br />
Merkmale anbelangt, als auch, was die psychologisch‐psychiatrische Seite stoffungebundener Abhängig‐<br />
keiten betrifft. Er stützt sich auf sehr viele Forschungsarbeiten und theoretische Beiträge zum Thema.<br />
Die von ihm angeführten Publikationen stammen besonders aus den Disziplinen Kommunikationswissen‐<br />
schaft und Medienpsychologie, wobei er auch einige Beiträge aus psychiatrischen und neurowissen‐<br />
schaftlichen Zeitschriften aufführt.<br />
Klimmt banalisiert pathologisches Computerspielen ebenso wenig wie er Computerspiele an sich negativ<br />
bewertet. Er betont die positiven Seiten und Wirkungen von Computerspielen und sieht deshalb in Be‐<br />
49
schränkungen oder Verboten keine adäquate Lösung. Er problematisiert allerdings exzessiven Medien‐<br />
gebrauch – auch wenn es nur wenige Prozent der Spieler betrifft. Er schlägt dazu überaus pragmatische<br />
Maßnahmen vor. Diese beziehen sich einerseits auf die Spiele selbst, wie beispielsweise eine automati‐<br />
sche Ermüdung des Avatars, und plädiert dafür für eine Kooperation mit der Industrie. Um dies zu errei‐<br />
chen, sei eine Aufklärung der Spieleindustrie vor allem auf Grundlage wissenschaftlicher Forschungser‐<br />
gebnisse erforderlich, argumentiert Klimmt.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
Klimmt, C., Hefner, D. & Vorderer, P. (in Druck). The video game experience as ‘true’ identification: A<br />
theory of enjoyable alterations of players' self‐perception. Communication Theory.<br />
Klimmt, C. (2009). Key dimensions of contemporary video game literacy: Towards a normative model of<br />
the competent digital gamer. Eludamos – The Journal of Computer Game Culture, 3 (1) (Special Is‐<br />
sue: Selected Presentations from the “Future and Reality of Gaming” Conference 2008, edited by<br />
Martin Pichlmaier, S. 23‐31). Online: www.eludamos.org.<br />
Klimmt, C., Schmid, H. & Orthmann, J. (2009). Exploring the enjoyment of playing browser games.<br />
CyberPsychology & Behavior, 12(2), 231‐234.<br />
Klimmt, C. (2008). Unterhaltungserleben beim Computerspielen – Theorie, Experimente, (pädagogische)<br />
Anwendungsperspektiven. In K. Mitgutsch & H. Rosenstingl (Hrsg.), Faszination Computerspielen:<br />
Theorie – Kultur – Erleben (S. 7‐17). Wien: Braumüller.<br />
Klimmt, C. & Hartmann, T. (2008). Mediated interpersonal communication in multiplayer video games:<br />
Implications for entertainment and relationship management. E. Konijn, M. Tanis, S. Utz, & S.<br />
Barnes (Hrsg.), Mediated interpersonal communication (S. 309‐330). New York: Routledge.<br />
Klimmt, C. (2007). Positive Wirkungen von Computerspielen. In M. Frölich, M. Grunewald & U. Taplik<br />
(Hrsg.), Computerspiele: Faszination und Irritation (S. 55‐68). Frankfurt/M.: Brandes & Apsel.<br />
Klimmt, C. (2006). Computerspielen als Handlung: Dimensionen und Determinanten des Erlebens interak‐<br />
tiver Unterhaltungsangebote. Köln: Halem.<br />
Verwendete Literatur (verwendete eigene Literatur ist unterstrichen)<br />
Caplan, S. E. (2005). A social skill account of problematic internet use. Journal of Communication, 55(4),<br />
721‐736.<br />
Chan, E. & Vorderer, P. (2006). Massively multiplayer online games. In P. Vorderer & J. Bryant (Hrsg.),<br />
Playing video games: Motives, responses, and consequences (S. 77‐90). Mahwah: Lawrence Erl‐<br />
baum Associates.<br />
Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The psychology of optimal experience. New York: Harper Row.<br />
Groeben, N. (2002). Dimensionen der Medienkompetenz: Deskriptive und normative Aspekte. In N.<br />
Groeben & B. Hurrelmann (Hrsg.), Medienkompetenz. Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen<br />
(S. 160‐197). Weinheim: Juventa.<br />
50
Grüsser, S.M. & Thalemann, R. (2006). Computerspielsüchtig? Rat und Hilfe für Eltern. Bern: Hans Huber<br />
Verlag.<br />
Jansz, J. & Tanis, M. (2007). Appeal of playing online first person shooter games. CyberPsychology &<br />
Behavior, 10(1), 133‐136.<br />
Klimmt, C. (2007). Positive Wirkungen von Computerspielen. In M. Frölich, M. Grunewald & U. Taplik<br />
(Hrsg.), Computerspiele: Faszination und Irritation (S. 55‐68). Frankfurt/M.: Brandes & Apsel.<br />
Klimmt, C. (2008). Unterhaltungserleben beim Computerspielen – Theorie, Experimente, (pädagogische)<br />
Anwendungsperspektiven. In K. Mitgutsch & H. Rosenstingl (Hrsg.), Faszination Computerspielen:<br />
Theorie – Kultur – Erleben (S. 7‐17). Wien: Braumüller.<br />
Klimmt, C. (2009). Key dimensions of contemporary video game literacy: Towards a normative model of<br />
the competent digital gamer. Eludamos – The Journal of Computer Game Culture, 3(1) (Special Is‐<br />
sue: Selected Presentations from the “Future and Reality of Gaming” Conference 2008, edited by<br />
Martin Pichlmaier, S. 23‐31).<br />
LaRose, R. & Eastin, M. S. (2004). A social cognitive theory of internet uses and gratifications: Toward a<br />
new model of media attendance. Journal of Broadcasting and Electronic Media, 48(3), 358‐377.<br />
Lemmens, J. S., Valkenburg, P. M., & Peter, J. (2009). Development and validation of a game addiction<br />
scale for adolescents. Media Psychology, 12(1), 77‐95.<br />
McKenna, K. Y. A. & Bargh, J. A. (1999). Causes and consequences of social interaction on the Internet: A<br />
conceptual framework. Media Psychology, 1, 249‐269.<br />
Pena, J. & Hancock, J. T. (2006). An analysis of socioemotional and task communication in online multip‐<br />
layer video games. Communication Research, 33(1), 92‐109.<br />
Stritzke, W. G. K., Nguyen, A. & Durkin, K. (2004) Shyness and computer‐mediated communication: A<br />
self‐presentational theory perspective. Media Psychology, 6, 1‐22.<br />
Steinkuehler, C., and Williams, D. (2006). Where everybody knows your (screen) name: Online games as<br />
"third places." Journal of Computer‐Mediated Communication, 11(4), article<br />
http://jcmc.indiana.edu/vol11/issue4/steinkuehler.html<br />
Thalemann, R., Wölfling, K. & Grüsser, S. (2007). Specific cue reactivity on computer game‐related cues in<br />
excessive gamers. Behavioral Neuroscience, 121(3), 614‐618.<br />
Vallerand, R.J. Blanchard, C. Mageau, G.A. Koestner, R. Ratelle, Leonard, M. Gagne, M. & Marsolais, J.<br />
(2003). Les Passions de l’Aˆ me: On Obsessive and Harmonious Passion. Journal of Personality and<br />
Social Psychology, 85(4), 756‐767.<br />
Vorderer, P., Hartmann, T. & Klimmt, C. (2006). Explaining the enjoyment of playing video games: The<br />
role of competition. In D. Marinelli (Hrsg.), ICEC conference proceedings 2003: Essays on the future<br />
of interactive entertainment (S. 107‐120). Pittsburgh: Carnegie Mellon University Press.<br />
Wood, R. T. (2008). Problems with the concept of video game “addiction”: Some case study examples.<br />
International Journal on Mental Health and Addiction, 6, 169‐178.<br />
Yee, N. (2006a). Motivations for play in online games. CyberPsychology & Behavior, 9(6), 772‐774.<br />
51
Yee, N. (2006b). The Demographics, Motivations and Derived Experiences of Users of Massively‐<br />
Multiuser Online Graphical Environments. Teleoperators and Virtual Environments, 15, S. 309‐329.<br />
52
Prof. Dr. Dr. Klaus Mathiak<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. Dr. Klaus Mathiak ist Leiter des Lehr‐ und Forschungsgebietes experimentelle Verhaltenspsycho‐<br />
logie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen.<br />
Er studierte Techno‐Mathematik an der Technischen Universität Berlin und Humanmedizin an der Freien<br />
Universität Berlin und dann an der Humboldt‐Universität zu Berlin und promovierte 1997 im Fach Medi‐<br />
zin. Im Jahr 2003 habilitierte er sich im Bereich Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen mit<br />
dem Thema: „Neuroimaging of Cortical Processing of Complex Auditory Stimuli: Speech, Time, and Spa‐<br />
ce“. Im Anschluss absolvierte er eine weitere Promotion in den Naturwissenschaften (Dr. rer.‐nat.) an<br />
der Universität Tübingen mit der Dissertation: „Neuronal Correlates of Time Estimation at the Cerebel‐<br />
lum: Improving Functional Magnetic Resonance Imaging of Basal Brain Structures“.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Zu Prof. Mathiaks Fachgebieten gehören (psychotische) Persönlichkeitsstörungen wie Autismus und<br />
Schizophrenie und Essstörungen. Er ist Experte für funktionelle Bildgebung des auditorischen Systems,<br />
multisensorischer Stimuli und virtueller Realität und entwickelt Methoden der funktionellen Bildgebung.<br />
Mit Computerspielen beschäftigt er sich im Zusammenhang mit Gewaltbereitschaft in neurobiologischen<br />
Studien. 2003 leitete er das Projekt „Violent Computer Games: The Impact of different Perceptions and<br />
Modes on Brain Activity”.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 7<br />
Theoretische Beiträge 0<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Mathiak ist Naturwissenschaftler und Mediziner, der sich seit seiner Promotion vor allem mit neu‐<br />
robiologischen Methoden und Verfahren beschäftigt hat. Diese setzt er ein, um die neurobiologischen<br />
Korrelate verschiedener Störungen und Verhaltensweisen zu untersuchen; eine davon ist gewalthaltiges<br />
Computerspielen.<br />
Mathiak zitiert einige neurobiologische Forschungsarbeiten sowie eine psychologische (Young, 2007) und<br />
eine kommunikationswissenschaftliche Arbeit (Weber et al., 2009). Seine Aussagen orientieren sich sehr<br />
stark an der Evidenzlage und sind nicht spekulativ.<br />
53
Als Neurobiologe bezieht sich der Beitrag von Mathiak vor allem auf die Analyse von neurowissenschaft‐<br />
lichen Befunden bei der Nutzung moderner Medien im Vergleich zu substanzgebundenen Abhängigkei‐<br />
ten und Süchten oder dem pathologischen Glücksspielen. Im Vergleich zu substanzbezogenen Süchten<br />
kommt er zu dem Schluss, dass exzessives Computerspielen auf anderen Mechanismen zu beruhen<br />
scheint. Er plädiert dafür, pCS nicht als Verhaltenssucht zu klassifizieren, da aus neurobiologischer Sicht<br />
bislang nicht genügend Ergebnisse vorliegen, die eine eindeutige Kategorisierung zulassen. Selbst neuro‐<br />
biologisch begründete Analogieschlüsse zu substanzbezogenen Süchten reichten nicht aus, um die Exis‐<br />
tenz einer Spielsucht zu beweisen. Wie beim Alkoholismus müsste der Suchtcharakter durch langjährige<br />
soziale Diskussionsprozesse entschieden werden.<br />
Als Maßnahme plädiert Mathiak für eine Besteuerung von Spielen ähnlich derer anderer Suchtmittel, um<br />
das Problem wenigstens fiskalisch aufzufangen, und fordert weitere Forschung.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
Mathiak, K. Weber, R. (2006). Towards brain correlates of natural behavior: fMRI during Violent Video<br />
Games. Hum Brain Mapp 2006, 27, 948‐956.<br />
Chen, Y.H., Dammers, J., Boers, F., Leiberg, S., Edgar, J.C., Roberts, T.P., Mathiak, K. (2009). The temporal<br />
dynamics of insula activity to disgust and happy facial expressions: A magnetoencephalography<br />
study. Neuroimage, 47(4), 1921-8.<br />
Zvyagintsev, M., Nikolaev, A.R., Thönnessen, H., Sachs, O., Dammers, J., Mathiak, K. (2009). Spatially con‐<br />
gruent visual motion modulates activity of the primary auditory cortex. Exp Brain Res.<br />
Hertrich, I., Mathiak, K., Lutzenberger, W., Ackermann, H. (2009). Time course of early audiovisual inter‐<br />
actions during speech and nonspeech central auditory processing: a magnetoencephalography<br />
study. J Cogn Neurosci, 21, 259‐274.<br />
Verwendete Literatur (verwendete eigene Literatur ist unterstrichen)<br />
Grüsser, S.M., Wrase, J., Klein, S., Diener, C., Hermann, D., Flor, H., Mann, K., Braus, D.F. & Heinz, A.<br />
(2002). Development of alcohol‐associated cues and cue‐induced brain activation in alcoholics.<br />
European Psychiatry, 17(5), 287‐291.<br />
Mathiak, K. & Weber, R. (2006). Towards brain correlates of natural behavior: fMRI during Violent Video<br />
Games. Hum Brain Mapp 2006, 27, 948‐956.<br />
Thalemann, R., Wölfling, K. & Grüsser, S. (2007). Specific cue reactivity on computer game‐related cues in<br />
excessive gamers. Behavioral Neuroscience, 121(3), 614‐618.<br />
Piazza et al. (2006) zitiert, aber nicht gefunden.<br />
Pietrini P, Guazzelli M, Basso G, Jaffe K, Grafman J. (2000). Neural correlates of imaginal aggressive be‐<br />
havior assessed by positron emission tomography in healthy subjects. Am J Psychiatry, 157, 1772–<br />
81.<br />
54
Weber, R., Behr, K.‐M., Tamborini, R., Ritterfeld, U. & Mathiak, K. (2009). What Do We Really Know<br />
About First‐Person‐Shooter Games? An Event‐Related, High‐Resolution Content Analysis. Journal<br />
of Computer‐Mediated Communication, 14(4), 1016‐1037.<br />
Young, K.S. (2007). Cognitive Behavior Therapy with Internet Addicts: Treatment Outcomes and Implica‐<br />
tions. CyberPsychology & Behavior, 10(5), 671‐679.<br />
55
Prof. Dr. Christian Pfeiffer<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. Christian Pfeiffer ist Kriminologe und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Nieder‐<br />
sachsen (KFN). Er studierte Rechtswissenschaften und Sozialpsychologie an der LMU München, sowie an<br />
der London School of Economics and Political Science. 1984 promovierte er über das Thema „Kriminal‐<br />
prävention im Jugendgerichtsverfahren“. Ab 1985 war er stellvertretender Direktor, ab 1988 Direktor des<br />
KFN. Im Jahre 1985 wurde er zudem auf eine Professur für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvoll‐<br />
zug an die Universität Hannover berufen. Von 2000 bis 2003 war Pfeiffer Justizminister des Landes Nie‐<br />
dersachsen.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Die Forschungsschwerpunkte von Prof. Pfeiffer liegen bei Viktimierungserfahrungen, sozialen Kontroll‐<br />
theorien und Medienverwahrlosung.<br />
Das KFN führt regelmäßig groß angelegte Befragungsstudien von Kindern und Jugendlichen durch, die<br />
sich mit den Themen Mediennutzung – insbesondere Computerspiele – und Entwicklung, Gewalt, Schul‐<br />
versagen beschäftigen. Aktuell legte das KFN einen Forschungsbericht vor, in dem die Ergebnisse einer in<br />
den Jahren 2007 und 2008 durchgeführten Befragungsstudie veröffentlicht wurden. Diese Studie stützt<br />
sich auf die Befragung von 15.000 NeunklässlerInnen nach ihren Internet‐ und Computerspielnutzungs‐<br />
gewohnheiten. In seiner Präsentation stützt Pfeiffer sich auf diese Ergebnisse. Autoren des Forschungs‐<br />
berichts sind die Mitarbeiter des KFN Florian Rehbein, Matthias Kleimann und Thomas Mößle, gefördert<br />
wurde das Projekt vom Bundesinnenministerium (http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb108.pdf)<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 1<br />
Theoretische Beiträge 0<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Pfeiffers Arbeitsschwerpunkt sind Jugendgewalt, Gewalt an Schulen, Schulversagen und die Zu‐<br />
sammenhänge dieser Probleme mit exzessivem Medienkonsum. Mit dieser speziellen Expertise ist er<br />
häufig gefragter Fachmann in und für die Medien. Dort tritt Pfeiffer meist mahnend auf und plädiert für<br />
eine Beschränkung des Medienkonsums bei Jugendlichen.<br />
Pfeiffers Ausführungen basieren weitgehend auf der oben genannten Studie des KFN zum Thema Com‐<br />
puterspielsucht. Andere Studien und Literatur zu dem Thema werden nicht einbezogen.<br />
56
Prof. Pfeiffer problematisiert exzessive und pathologische Spielnutzung sehr stark und plädiert für eher<br />
repressive Maßnahmen. So ist er für eine Altersbeschränkung „süchtigmachender“ Spiele ab 18 Jahre<br />
und würde das Spiel „World of Warcraft“ in diese Kategorie sortieren. Etwas seltener als die anderen<br />
Experten nennt er medienpädagogische Maßnahmen. Dafür setzt er auf allgemeinpädagogische Maß‐<br />
nahmen wie die Schaffung alternativer Freizeitangebote. Prof. Pfeiffer schlägt eine Abgabe für<br />
Spielehersteller vor, mit der Aufklärungskampagnen finanziert werden sollen. Er betont, dass – im Ge‐<br />
gensatz zu anderen problematischen Phänomenen – von der Computerspielsucht vor allem höher gebil‐<br />
dete Kinder und Jugendliche betroffen seien.<br />
Pfeiffer und te Wildt ähneln sich in ihrer Argumentation, da sie wissenschaftlich auf dem Gebiet exzessi‐<br />
ven Mediengebrauchs kooperieren.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
Mößle, T., Kleimann, M., Rehbein, F. & Pfeiffer, C. (2008). Mediennutzung, Schulerfolg und die Krise der<br />
Jungen. In Dessecker, A. & Egg, R. (Hrsg.). Gewalt im privaten Raum: aktuelle Formen und Hand‐<br />
lungsmöglichkeiten (S. 201‐232). Wiesbaden: KrimZ.<br />
Pfeiffer, C., Mößle, T., Kleimann, M. & Rehbein, M. (2007). Die PISA‐Verlierer – Opfer des Medienkonsum:<br />
Analyse auf Basis verschiedener empirischer Untersuchungen. KFN‐Bericht 2007.<br />
Mößle, T., Kleimann, M., Rehbein, F. & Pfeiffer, C. (2006). Mediennutzung, Schulerfolg, Jugengewalt und<br />
die Krise der Jungen. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 3.<br />
Pfeiffer, Ch., Delzer, I., Enzmann, D. & Wetzels, P. (1998). Ausgrenzung, Gewalt und Kriminalität im Leben<br />
junger Menschen. Kinder und Jugendliche als Täter und Opfer. Sonderdruck zum 24. Deutschen Ju‐<br />
gendgerichtstag vom 18. bis 22.9.1998.<br />
Verwendete Literatur (verwendete eigene Forschung/Literatur ist unterstrichen)<br />
Rehbein, F., Kleimann, M. & Mössle, T. (2009). Computerspielabhängigkeit im Kindes‐ und Jugendalter:<br />
Empirische Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer Berücksichti‐<br />
gung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale. KFN – Forschungsbericht 2009 (108).<br />
57
Prof. Dr. Thorsten Quandt<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. habil. Thorsten Quandt ist Professor und Lehrstuhlinhaber für Kommunikationswissenschaften<br />
(insbesondere interaktive Medien‐ und Online‐Kommunikation) an der Universität Hohenheim.<br />
Prof. Dr. habil. Thorsten Quandt studierte Publizistik‐ und Kommunikationswissenschaften, Filmwissen‐<br />
schaften und Psychologie an der Ruhr Universität Bochum. Im Anschluss daran trat er eine Tätigkeit als<br />
Hörfunkjournalist an, bevor er 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien und Kommu‐<br />
nikationswissenschaften der TU Ilmenau wurde. 2004 folgte seine Promotion zum Dr. phil. mit der Arbeit<br />
„Journalisten im Netz“. 2008 habilitierte er sich an der LMU München mit einer Arbeit zum Thema „Me‐<br />
dieninnovation und Konvergenz“.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Prof. Quandts Arbeitsschwerpunkte sind Online‐Kommunikation, Medieninnovationen, Computerspiele<br />
und Online‐Journalismus.<br />
Zum aktuellen Thema weist Quandt insbesondere Forschungsarbeiten über Computerspiele und ihre<br />
Spieler vor. Ein Fokus liegt dabei auf Online‐Rollenspielen (sogenannten MMORPGs – Massively Multi‐<br />
player Online Role‐Playing Games – wie World of Warcraft), auch unter sozialen Aspekten wie der Orga‐<br />
nisation von Spielern in Clans und Gilden.<br />
Speziell zum Thema pathologische Computerspielnutzung hat Prof. Quandt bisher keine Studie publiziert,<br />
eine Forschungsarbeit zu Extremnutzern (u. a. biographische Interviews mit Extremnutzern) ist in Vorbe‐<br />
reitung.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 5<br />
Theoretische Beiträge 0<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Quandt ist Experte für (Online‐)Computerspiele und das Spielerleben ihrer Nutzer. Als Kommunika‐<br />
tionswissenschaftler bezieht er sich vornehmlich auf die Besonderheiten von (süchtigmachenden) Spie‐<br />
len und auf die Spielmotivation. Dabei fokussiert er besonders den sozialen Aspekt bei MMORPGs: Er<br />
verweist darauf, dass gerade das soziale Miteinander einen großen Reiz dieser Spiele ausmacht und des‐<br />
halb pathologisches Computerspielen auch nicht mit pathologischer Glücksspielsucht zu vergleichen ist.<br />
58
Zur psychiatrischen und psychologischen Sicht äußert sich Quandt nicht. Er zitiert überwiegend aus eige‐<br />
nen Studien.<br />
Quandt resümiert wie sein Fachkollege Klimmt, es wäre falsch, Computerspiele per se negativ zu brand‐<br />
marken, und betont die positiven Seiten des Spielens (wie beispielsweise Entspannung, Spaß und Kon‐<br />
takt zu anderen Spielern). Er thematisiert wie Bolay die Frage, wie sehr das Konstrukt einer Computer‐<br />
spielabhängigkeit gesellschaftlich (mit‐)konstruiert ist, und zieht zum Vergleich die (hohen) Zahlen der<br />
Fernsehnutzung heran.<br />
Quandt stützt sich auf medienpädagogische Maßnahmen und plädiert für Selbstverpflichtung und<br />
Selbstkontrolle der Spielehersteller. Die wissenschaftlichen Ergebnisse rechtfertigen aus seiner Sicht<br />
noch keinen Eingriff in die Freiheit der Bürger. Er fordert repräsentative Bevölkerungsstudien zum The‐<br />
ma, initiiert von politischer Seite.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
Quandt, T. (2009). Real Life in Virtual Games. Computerspiele und Jugendkultur. In Hugger, K.‐U. (Hrsg.):<br />
Digitale Jugendkultur. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften (im Druck).<br />
Quandt, T., Grüninger, H. & Wimmer, J. (2009). The grey haired gaming generation: Findings from an<br />
explorative interview study on older computer gamers. Games and Culture, 4(1), 27‐46.<br />
Quandt, T. & Wimmer, J. (2009). The social impact of online games. In Pantelli, N. (ed.): Virtual social<br />
networks. Mediated, massive and multiplayer sites (in print).<br />
Quandt, T., Wimmer, J. & Wolling, J. (Hrsg). (2009). Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von<br />
Computergames (2. Auflage). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.<br />
Quandt, T. & Wimmer, J. (2008). Online‐Spieler in Deutschland 2007: Befunde einer repräsentativen Be‐<br />
fragungsstudie. In T. Quandt, J. Wimmer & J. Wolling (Hrsg.), Die Computerspieler. Studien zur Nut‐<br />
zung von Computergames. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 169‐192.<br />
Wolling, J., Quandt, T. & Wimmer, J. (2008). Warum Computerspieler mit dem Computer spielen. Vor‐<br />
schlag eines Analyserahmens für die Nutzungsforschung. In T. Quandt, J. Wimmer & J. Wolling<br />
(Hrsg.), Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von Computergames. Wiesbaden: Verlag für So‐<br />
zialwissenschaften, 13‐21.<br />
Verwendete Literatur (verwendete eigene Literatur ist unterstrichen)<br />
Quandt, T. & Wimmer, J. (2008). Online‐Spieler in Deutschland 2007: Befunde einer repräsentativen Be‐<br />
fragungsstudie. In T. Quandt, J. Wimmer & J. Wolling (Hrsg.), Die Computerspieler. Studien zur Nut‐<br />
zung von Computergames. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 169‐192.<br />
Quandt, T. & Wimmer, J. (2009). The social impact of online games. In Pantelli, N. (Hrsg.), Virtual social<br />
networks. Mediated, massive and multiplayer sites (im Druck).<br />
Quandt, T., Wimmer, J. & Wolling, J. (Hrsg). (2009). Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von<br />
Computergames (2. Auflage). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.<br />
59
Gesellschaft für Konsumforschung, GfK/AGF (2007): Fernsehforschung 2007.<br />
Schweiger, W. (2006). Transmedialer Nutzungsstil und Rezipientenpersönlichkeit: Theoretische Überle‐<br />
gungen und empirische Hinweise. Publizistik, 51(3), 290‐312.<br />
60
Dr. Bert Theodor te Wildt<br />
Position und Werdegang<br />
Dr. med. Bert Theodor te Wildt ist Facharzt für Psychiatrie und oberärztlicher Leiter der Poliklinik der<br />
Medizinischen Hochschule Hannover in der Abteilung für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychothera‐<br />
pie. Er ist Leiter des Arbeitsbereiches „Medien und Glücksspielabhängigkeit“ und stellvertretender Leiter<br />
des Center for Addiction Research (CARe) an der MHH.<br />
Sein Studium absolvierte er in Witten/Herdecke im Fach Medizin. Nach seinem Studium beschäftigte er<br />
sich besonders mit den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Medien. Seit 2004 leitet er eine<br />
Sprechstunde für medienassoziierte Störungen, im Rahmen derer er diverse Forschungsvorhaben durch‐<br />
führt. Seine Dissertation trägt den Titel „Magisches Denken bei Menschen mit Multipler Sklerose“.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Arbeits‐ und Forschungsschwerpunkt von Dr. te Wildt sind psychologische Wirkungen „neuer“ Medien<br />
(vor allem Internet und Computerspiele). Er leitet aktuell wissenschaftliche Projekte, die klinische Impli‐<br />
kationen von Medienabhängigkeit und die Wirkung von Gewaltdarstellungen auf die Empathiefähigkeit<br />
des Menschen untersuchen.<br />
In seiner Präsentation bezieht sich te Wildt sowohl auf Ergebnisse aus eigenen als auch aus anderen Stu‐<br />
dien.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 7<br />
Theoretische Beiträge 3<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Dr. te Wildts Expertise ist im Zentrum des relevanten Forschungsbereichs. Wie Thomasius zitiert er als<br />
Facharzt für Psychiatrie vor allem Literatur aus psychiatrischen Zeitschriften. Auf kommunikationswis‐<br />
senschaftliche Literatur stützt er sich nicht.<br />
te Wildt hat Erfahrung mit pathologischen Computerspielnutzern als Forscher und als Therapeut. Er ist<br />
vertraut mit dem Alltagsverhalten der Spieler und der Charakterisierung pathologischer Spieler. Auf‐<br />
grund der täglichen therapeutischen Praxis sieht er pCS als höchst problematisch an – für die Spieler und<br />
aus volkswirtschaftlicher Sicht.<br />
61
te Wildt setzt seinen Schwerpunkt auf die Definition von Sucht. Er spricht sich dezidiert für eine (neue)<br />
Klassifizierung als Verhaltenssucht aus. Er plädiert für strikte Maßnahmen wie eine Altersbeschränkung<br />
ab 18 für „süchtigmachende“ Spiele. Er fordert die Schaffung alternativer Freizeitangebote für Jungen,<br />
vorzugsweise im Rahmen von Ganztagsschulen: Kinder und Jugendliche müssten die reale physische<br />
Welt erleben, um ihre Entwicklungsaufgaben zu erfüllen.<br />
Dr. te Wildt und Prof. Dr. Pfeiffer planen gemeinsame Forschungsprojekte zum Thema Computerspiel‐<br />
sucht.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
te Wildt, B.T., J.E. Schlimme (2008). Suizidforen im Internet als Entscheidungshilfe. Suizidprophylaxe<br />
2008, 35, 137‐144.<br />
te Wildt, B.T., Putzig, I., Zedler, M. & Ohlmeier, M.D. (2007). Internetabhängigkeit als ein Symptom de‐<br />
pressiver Störungen. Psychiatrische Praxis, 34, 318‐322.<br />
te Wildt, B.T. & Emmrich, H.M. (2007). Computerspiele und Amoklauf: Die Verzweiflung hinter der Wut.<br />
Deutsches Ärzteblatt, 104(10), 632‐634.<br />
te Wildt, B.T. (2004). Psychische Wirkungen der neuen digitalen Medien. Fortschr Neurol Psychiat, 72,<br />
574‐585.<br />
te Wildt, B.T. & Schlimme, J. E. (2006). Identität und Interpersonalität im Cyberspace. Handlung Kultur<br />
Interpretation 2006, 15(2), 376‐397.<br />
te Wildt, B.T., Ohlmeier, M., Post, M. & Putzig, I. (2006). Untersuchung zur psychopathologischen und<br />
klinischen Bedeutung des Phänomens der Internet‐ und Computerspielabhängigkeit. Nervenarzt<br />
2006, 11(2).<br />
Verwendete Literatur (verwendete eigene Literatur ist unterstrichen)<br />
Beard, K.W. & Wolf, E.M. (2001). Modification in the Proposed Diagnostic Criteria for Internet Addiction.<br />
Cyber Psychology & Behavior, 4(3), 377‐383.<br />
Hahn, A. & Jerusalem, M. (2001). Internetsucht: Validierung eines Instruments und explorative Hinweise<br />
auf personale Bedingungen. In Theobald, A., Dreyer, M. & Starsetzki, T. (Hrsg.). Handbuch zur Onli‐<br />
ne‐Marktforschung. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Wiesbaden: Gabler.<br />
Ko, C., Yen, J., Chen, C., Chen, S. & Yen, C. (2005). Proposed Diagnostic Criteria of Internet Addiction for<br />
Adolescents. The Journal of Nervous and Mental Disease, 193(11), 728‐733.<br />
Kratzer, S. (2006). Pathologische Internetnutzung – eine Pilotstudie zum Störungsbild. Lengerich: Pabst<br />
Verlag.<br />
Lehrl, S., Merz, J., Burkhard, G. & Fischer, S. (1991). Mehrfach‐Wortschatz‐ Intelligenztest. Göttingen:<br />
Hogrefe.<br />
Ratey, John. & Hagermann, E. (2009). Superfaktor Bewegung. Kirchzarten: VAK Verlag.<br />
62
Rehbein, F., Kleimann, M. & Mössle, T. (2009). Computerspielabhängigkeit im Kindes‐ und Jugendalter:<br />
Empirische Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer Berücksichti‐<br />
gung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale. KFN – Forschungsbericht 108.<br />
te Wildt, B.T., Putzig, I., Zedler, M. & Ohlmeier, M.D. (2007). Internetabhängigkeit als ein Symptom de‐<br />
pressiver Störungen. Psychiatrische Praxis, 34, 318‐322.<br />
te Wildt, B.T. (2004). Psychische Wirkungen der neuen digitalen Medien. Fortschr Neurol Psychiat, 72,<br />
574‐585.<br />
Young, K.S. (1999). Internet Addiction: Symptoms, Evaluation, and Treatment. Innovations in Clinical<br />
Practice, 17.<br />
63
Prof. Dr. med. Rainer Thomasius<br />
Position und Werdegang<br />
Prof. Dr. med. Rainer Thomasius ist ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes‐<br />
und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg‐Eppendorf. Zusätzlich leitet er den Bereich<br />
Suchtstörung, Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes‐ und Jugendalters und sowie die Drogenambu‐<br />
lanz für Jugendliche und junge Erwachsene und die Jugendsuchtstation am Universitätsklinikum Ham‐<br />
burg‐Eppendorf.<br />
Rainer Thomasius absolvierte sein Studium der Medizin in Hamburg. 1994 habilitierte er zum Thema<br />
Familiendiagnostik bei drogenabhängigen Adoleszenten.<br />
Arbeitsschwerpunkte und Hinweise auf eigene Forschung<br />
Zu seinen fachlichen Schwerpunkten zählen der Substanzmissbrauch im Kindes‐, Jugend‐ und jungen<br />
Erwachsenenalter, nicht stoffgebundene Suchtformen im Kindes‐, Jugend und jungen Erwachsenenalter<br />
und Komorbiditätsforschung. In seinen Publikationen spiegelt sich vor allem Prof. Thomasius‘ Expertise<br />
im Bereich der stoffgebundenen Süchte bei Jugendlichen und Therapieansätze wider.<br />
Sein Forschungsfeld hat er in jüngerer Zeit um Internet‐ und Computersucht erweitert. Drei der 31 For‐<br />
schungsvorhaben, die momentan am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes‐ und Jugendalters<br />
durchgeführt werden, beschäftigten sich mit dem Thema „Computersucht – pathologischer Internetge‐<br />
brauch“.<br />
Anzahl genannter Studien und Literaturhinweise<br />
Studien 19<br />
Theoretische Beiträge 2<br />
Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Thomasius ist ausgewiesener Experte für substanzgebundene Süchte im Kindes‐ und Jugendalter.<br />
Mit dieser Thematik beschäftigt er sich seit Jahren, sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht als auch in der<br />
täglichen therapeutischen Praxis. Sein Fachgebiet erweitert er seit einigen Jahren auf nicht‐<br />
substanzgebundene Süchte, hier liegt seine Expertise im Bereich der exzessiv‐pathologischen Internet‐<br />
nutzung. Dazu leitet er mit einem Kollegen das Projekt „Beratungs‐ und Behandlungsangebote zum pa‐<br />
thologischen Internetgebrauch in Deutschland“, das von 2008 bis 2010 im Auftrag des Bundesministeri‐<br />
ums für Gesundheit läuft. Gemeinsam mit vier weiteren Kollegen hat er in diesem Rahmen eine Über‐<br />
sicht zum Forschungsstand zum pathologischen Internetgebrauch verfasst.<br />
64
Im speziellen Bereich Computerspielsucht hat Prof. Thomasius bislang keine eigene Forschungserfah‐<br />
rung. Er präsentiert sich jedoch als interdisziplinär arbeitender Experte mit einem sehr guten Einblick in<br />
das Thema.<br />
Als Facharzt für Psychiatrie zitiert er insbesondere Literatur aus psychiatrischen Zeitschriften. Seine Lite‐<br />
raturliste enthält jedoch auch Arbeiten aus kommunikationswissenschaftlichen Journals. Zudem beweist<br />
seine Präsentation, dass er sich mit dem Medium Computerspiele und seinen Spezifika eingehend be‐<br />
schäftigt hat. Viele seiner Aussagen betreffen die Problematik der Definition pathologischen Computer‐<br />
spielverhaltens, zu Komorbiditäten und Symptomen. Ergänzend dazu äußert er sich allerdings auch um‐<br />
fassend zu den Spielen an sich.<br />
Prof. Thomasius problematisiert suchtartigen Mediengebrauch und geht dabei differenziert vor. Gegen‐<br />
über repressiven Maßnahmen ist er skeptisch, eine Altersgrenze beispielsweise hält er für einen zu gro‐<br />
ßen Eingriff bei zu unklarer Datenlage. Prof. Thomasius setzt eher auf „weiche“ Maßnahmen wie Aufklä‐<br />
rung (verschiedener Gruppen) und medienpädagogische Begleitung.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
Thomasius, R., Schulte‐Markwort, M., Küstner, U. J. & Riedesser, P. (Hrsg.) (2009). Suchtstörungen im<br />
Kindes‐ und Jugendalter. Das Handbuch: Grundlagen und Praxis. Stuttgart: Schattauer.<br />
Thomasius, R. & Petersen, K. U. (2008). Aktuelle Ergebnisse der Cannabisforschung: Verbreitung des<br />
Konsums ‐ Wirkstoffgehalte ‐ Gesundheitsrisiken. Konturen: Fachzeitschrift zu Sucht und sozialen<br />
Fragen, 29(3), 32‐35.<br />
Thomasius, R. & Stolle, M. (2008). Der Konsum von psychoaktiven Substanzen bei Kindern und Jugendli‐<br />
chen. Die spezifischen Behandlungsanforderungen. Konturen, 3, 18‐22.<br />
Thomasius, R. & Petersen, K. U. (2006). Cannabismissbrauch neuropsychiatrisch beleuchtet. Alleingelas‐<br />
sen in früher Jugend. NeuroTransmitter, 7‐8, 46‐60.<br />
Thomasius, R., Gouzoukis‐Mayfrank, E. & Scherbaum, N. (2006). Drogenabhängigkeit (ICD‐10 F1). In<br />
Voderholzer, U., Hohagen, F. (Hrsg.), Therapie psychischer Erkrankungen. State of the Art (S. 35‐<br />
47). München: Elsevier.<br />
Thomasius, R., Zapletalova, P., Petersen, K., Buchert, R., Andresen, B., Wartberg, L., Nebeling, B. &<br />
Schmoldt, A. (2006). Mood, cognition and serotonin transporter availability in current and former<br />
ecstasy (MDMA) users: the longitudinal perspective. Journal of Psychopharmacology, 20(2), 211‐<br />
225.<br />
Thomasius, R. (2005). Störungen durch psychotrope Substanzen. In Schlottke, P. F., Silbereisen, R. K.,<br />
Schneider, S. & Lauth, G. (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie, Serie II: Klinische Psychologie, Bd.<br />
5: Störungen im Kindes‐ und Jugendalter (S. 945‐1010). Göttingen: Hogrefe.<br />
Thomasius, R. & Küstner, U. J. (Hrsg.) (2005). Familie und Sucht. Grundlagen ‐ Therapiepraxis ‐ Präventi‐<br />
on. Stuttgart: Schattauer.<br />
65
Verwendete Literatur (verwendete eigene Literatur ist unterstrichen)<br />
Campbell, A. et al. (2006). Internet use by the socially fearful: addiction or therapy? CyberPsychology &<br />
Behavior, 9(1), 69‐81.<br />
Cao et al. (2007). The relationship between impulsivity and Internet addiction in a sample of Chinese<br />
adolescents. European Psychiatry, 22(7), 466‐471.<br />
Cao, F. Su, L. (2007). Internet addiction among Chinese adolescents: prevalence and psychological fea‐<br />
tures. Child: Care, Health & Development, 33(3), 275‐281.<br />
Caplan, S. E. (2005). A social skill account of problematic internet use. Journal of Communication, 55(4),<br />
721‐736.<br />
Chan, P.A. & Rabinowitz, T. (2006). A cross‐sectional analysis of video games and attention deficit hyper‐<br />
activity disorder symptoms in adolescents. Annals of General Psychiatry, 5 (16).<br />
Ha, J.H., Kim, S.Y., Bae, S.C.,, Bae, S., Kim, H., Sim, M. et al. (2007). Depression and Internet addiction in<br />
adolescents. Psychopathology, 40(6), 424‐430.<br />
Kim, K. et al. (2006). Internet addiction in Korean adolescents and its relation to depression and suicidal<br />
ideation: A questionnaire survey. International Journal of Nursing Studies, 43(2), 185‐192.<br />
Ko, C.H., Yen, J.Y., Chen, C.S., Chen, C.C., Yen, C.F. (2008). Psychiatric comorbidity of internet addiction in<br />
college students: an interview study. CNS Spectrums, 13(2), 147‐153.<br />
Ko, C. Yen, J. Chen, C. Chen, S. Wu, K. Yen, C. (2006). Tridimensional Personality of Adolescents With In‐<br />
ternet Addiction and Substance Use Experience. Can J Psychiatry, 51(14), 887,893.<br />
Petersen, K.U. Weymann, N. Schelb, Y. Thiel, R. & Thomasius, R. (2009). Pathologischer Internetgebrauch<br />
– Epidemiologie, Diagnostik, komorbide Störungen und Behandlungsansätze. Fortschr Neurol<br />
Psychiat, 77, 263‐271.<br />
Petersen, K. U., Weymann, N., Schelb, Y., Thiel, R. & Thomasius, R. (2009). Computersucht – pathologi‐<br />
scher Internetgebrauch. Zwischenbericht an das Bundesministerium für Gesundheit zum Projekt<br />
„Beratungs‐ und Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch in Deutschland“.<br />
Zugriff am 22.07.2009 unter http://www.sucht‐waldshut.de/PDF‐<br />
Dateien/Zwischenbericht%20Onlinesucht%202009.pdf<br />
Kratzer, S. & Hegerl, U. (2007). Ist „Internetsucht“ eine eigenständige Erkrankung? Eine Untersuchung<br />
von Menschen mit exzessiver Internetnutzung. Psychiatrische Praxis, 34, 1‐5.<br />
Morahan‐Martin, J. Schumacher, P. (2000). Incidence and correlates of pathological Internet use among<br />
college students. Computers in Human Behaviour, 16(1), 13‐29.<br />
Schuhler, P. (2008). Pathologischer PC/Internetgebrauch: Krankheitsmodell, diagnostische und therapeu‐<br />
tische Ansätze. Psychotherapeut, 54(3), 187‐192.<br />
Shapira, N.A., Goldsmith, T.D., Keck, Jr. P.E., Khosla, U.M. & McElroy, S.L. (2000). Psychiatric features of<br />
individuals with problematic internet use. Journal of Affective Disorders, 57(1‐3), 267‐272.<br />
66
Thomasius, R. (2009). Whang, L.S.M., Lee, S. & Chang, G. (2003). Internet over‐users' psychological pro‐<br />
files: A behavior sampling analysis on internet addiction. CyberPsychology & Behavior, 6(2), 143‐<br />
150.<br />
Wölfling, K. Grüsser, S.M. (2008). Computerspielsucht: Leben lernen ohne Joystick. MMW – Fortschritte<br />
der Medizin, 150(11), 35‐36.<br />
Yang, C. Choe, B. Baity, M. Lee, J. Cho, J. (2005). SCL‐90‐R and 16PF Profiles of Senior High School Stu‐<br />
dents With Excessive Internet Use. Can. J. Psychiatry, 50, 407‐414.<br />
Yen, J.Y., Yen, C.F., Che, C.C., Chen, S.H. & Ko, C.H. (2007). Family factors of internet addiction and sub‐<br />
stance use experience in Taiwanese adolescents. CyberPsychology & Behavior, 10(3), 323‐329.<br />
Yoo, H.J., Cho, S.C., Ha, J., Yune, S.K., Kim, S.J., Hwang, J. et al. (2004). Attention deficit hyper‐activity<br />
symptoms and Internet addiction. Psychiatry and Clinical Neurosciences, 58(5), 487‐494.<br />
Young, K.S. & Rogers, R.C. (1998). The relationship between depression and Internet addiction.<br />
CyberPsychology & Behavior, 1(1), 25‐28.<br />
67
Teil 3: Kurzfassung<br />
Definition Sucht/Computerspielsucht: Konsens und Dissens<br />
Leitfrage: Was ist Sucht/Abhängigkeit, insbesondere im Bereich der Medien?<br />
Konsens<br />
Die Experten stimmen darin überein, dass die Begrifflichkeiten Computerspielsucht, ‐abhängigkeit und<br />
pathologisches oder extremes Spielen noch nicht eindeutig festgelegt sind und somit in der Diskussion<br />
für Unschärfe sorgen. Einzig „exzessives Spielen“ beziehen alle auf die rein zeitliche Nutzungsdauer.<br />
Dissens<br />
Die Experten kommen nicht zu einem einheitlichen Urteil darüber, ob und inwiefern pCS als eigenständi‐<br />
ges Krankheitsbild als „Verhaltenssucht“ in die internationalen Diagnostikhandbücher ICD und DMS auf‐<br />
genommen werden sollte. te Wildt und Pfeiffer bezeichnen es als vergleichbar zum Substanzmissbrauch<br />
und somit echtes Suchtphänomen. Sie erhoffen sich von einer Klassifizierung darüber hinaus eine besse‐<br />
re Finanzierung von Forschung und Therapieangeboten.<br />
Alle anderen Experten beziehen dazu nicht eindeutig Stellung, sondern greifen nur Teilaspekte auf (zum<br />
Beispiel bezeichnet Klimmt die Folgen von pCS als weit weniger übergreifend als beispielsweise Alkohol‐<br />
missbrauch). Thomasius und Mathiak sind einer Klassifizierung gegenüber eher negativ eingestellt, sehen<br />
aber auch Parallelen zu substanzbezogenen Süchten.<br />
Weiterhin wird die Rolle der Gesellschaft unterschiedlich definiert: Während Quandt und Bolay darauf<br />
hinweisen, dass der gesellschaftlichen Diskurs über pathologisches Computerspielen das Problem teil‐<br />
weise mitkonstruiert (und somit auch als Ursache wirkt), stellen te Wildt und Pfeiffer eher den Schaden<br />
und somit die Folgen von pCS für die Gesellschaft in den Vordergrund der Diskussion.<br />
Diagnosekriterien pathologischer Computerspielnutzung: Konsens und Dissens<br />
Leitfrage: Bei welcher quantitativen und qualitativen Ausprägung kann man von exzessiver Nutzung,<br />
Abhängigkeit und Sucht sprechen?<br />
Konsens<br />
Die Experten sind sich einig, dass pCS nicht auf Grundlage der quantitativen Nutzung klassifiziert werden<br />
kann. Klimmt und Mathiak merken an, dass eine Definition über die negativen Folgeerscheinungen gene‐<br />
riert werden sollte, die mit intensiven Computerspielen verbunden ist.<br />
Zur Erforschung bieten sich nach Meinung der Experten qualitative Kriterien oder eine Integration von<br />
quantitativen und qualitativen Kriterien an. Über drei dieser qualitativen Kriterien herrscht Einigkeit:<br />
68
Kontrollverlust, Toleranzentwicklung und Entzugserscheinungen. Konsens herrscht darüber, dass zur<br />
Identifizierung von pathologischen Nutzern Schwellenwerte festgelegt werden müssen.<br />
Dissens<br />
Die herangezogenen bzw. vorgeschlagenen Skalen zur Messung von pCS unterscheiden sich in einigen<br />
Punkten, wobei sich die Kernkriterien ähneln. Beispielsweise enthalten nicht alle Skalen das Kriterium,<br />
dass weitere psychische Störungen/Erkrankungen vorliegen müssen.<br />
Die Prävalenzraten für exzessives Spielen werden von zwei Experten als unterschiedlich hoch angegeben:<br />
Quandt schätzt aufgrund vorliegender Studien die Zahl auf ca. 3 bis 10 % der Spieler, Pfeiffers Messan‐<br />
satz dagegen führt in der KFN‐Studie zu einer Prävalenzrate von 4,3 Prozent der Mädchen und 15,8 Pro‐<br />
zent der Jungen.<br />
Die Experten bewerten Gefährdung und Abhängigkeit von Nutzern unterschiedlich: Pfeiffer berichtet aus<br />
den KFN‐Studien, dass 3 % der Jungen als computerspielabhängig und 4,7 % als gefährdet einzustufen<br />
sind (Mädchen sind seiner Aussage nach zu 0,5 % gefährdet, und 0,3 % seien abhängig). te Wildt beziffert<br />
die Gesamtgruppe der gefährdeten und abhängigen Nutzer auf 5 %. Klimmt geht von einer niedrigeren<br />
Quote aus und bezieht sich auf eine Studie, die „ein bis zwei Prozent“ der Spieler als behandlungsbedürf‐<br />
tig ausmacht. Bolay macht keine Aussagen zur Zahl gefährdeter und abhängiger Spieler und sieht keinen<br />
empirischen Beleg für die Annahme, dass Computerspiele im Vergleich zu anderen Freizeitaktivitäten<br />
häufiger zu Sucht und Abhängigkeit führen. Thomasius macht nur Angaben zu seinen eigenen Patienten<br />
und beziffert 250 bis 300 Personen, die innerhalb der letzten drei Jahre behandelt wurden.<br />
Symptome pathologischer Computerspielnutzung und Eigenschaften der Spieler: Konsens und<br />
Dissens<br />
Leitfrage: Wie äußern sich exzessive Nutzung, Abhängigkeit oder Sucht im Alltagsverhalten der Betrof‐<br />
fenen, und was sind die Parameter, die auf einen problematischen Umgang mit Computerspielen hin‐<br />
weisen?<br />
Konsens<br />
Extremnutzung tritt in allen Altersklassen gleichermaßen auf, betroffen sind jedoch vor allem die zwi‐<br />
schen 16‐ und 35‐Jährigen. Die pathologische Nutzung scheint ein eher männliches Problem zu sein. Bei<br />
weiblichen Patienten sei häufiger der pathologische Internetgebrauch der Grund für eine Abhängigkeit.<br />
Es lassen sich bestimmte Eigenschaften der Spieler hinsichtlich ihrer Persönlichkeit festmachen: Klimmt<br />
und Thomasius nennen Langeweile, Einsamkeit oder soziale Isolation. te Wildt und Thomasius gehen<br />
davon aus, dass Spieler vor ihren Problemen ausweichen wollen. Außerdem sieht te Wildt das Motiv,<br />
dass eine Erleichterung von dysphorischen Stimmungen wie Hilflosigkeit, Schuld, Angst oder Depression<br />
gesucht wird. Die Experten stimmen überein, dass Computerspielen die Funktion von Flucht vor dem<br />
und/oder Abwechslung zum Alltag einnehmen kann. Probleme mit sozialen Kontakten können als Ursa‐<br />
69
che und/oder Folge von pCS gesehen werden. Nach Thomasius ist lediglich die empirische Evidenz zum<br />
Zusammenhang mit der Depression eindeutig belegt.<br />
Depressionen und soziale Angst werden als Komorbiditäten am häufigsten genannt. Pathologische Com‐<br />
puterspieler vernachlässigen ihre Verpflichtungen in der Schule, in der Ausbildung und im Beruf bis hin<br />
zu Arbeitslosigkeit und existenzieller Verarmung.<br />
Dissens<br />
te Wildt stellt fest, dass sich bei ihm vermehrt Personen mit einem mindestens durchschnittlichen Intelli‐<br />
genzniveau vorgestellt haben. Er hält dies jedoch für ein Artefakt, da diese Personen häufiger Therapien<br />
aufsuchen. Klimmt geht davon aus, dass Computerspielsucht gehäuft in bildungsfernen Schichten exis‐<br />
tiert, da in diesen ein höheres Eskapismusbedürfnis herrscht. Pfeiffer widerspricht dieser Einschätzung.<br />
Er sieht in pCS kein Unterschichtenphänomen und stellte Abhängigkeit gerade bei Personen mit höherer<br />
Bildung fest.<br />
Pfeiffer äußert als einziger, dass es eben nicht die psychisch Kranken sind, sondern ganz normale Jugend‐<br />
liche in der Pubertätskrise, die pathologisches Spielverhalten entwickeln. Alle anderen, die sich zum<br />
Thema Komorbiditäten äußern, sehen starke Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und<br />
einem pathologischen Computerspielverhalten.<br />
Ursachen des pathologischen Computerspielens: Konsens und Dissens<br />
Leitfrage: Welche Abhängigkeit oder suchtauslösende Momente sind in Computerspielen identifizier‐<br />
bar, und ist der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit bzw. Sucht und einzelnen Spielen nachweis‐<br />
bar?<br />
Konsens<br />
Verhaltensstörungen und ‐abhängigkeiten sind nach Meinung der Experten nur durch ein komplexes,<br />
multikausales und dynamisches Beziehungsgeflecht erklärbar, das Persönlichkeit und Veranlagungen der<br />
Person, ihr soziales Umfeld und die Sozialisation und die besonderen Eigenschaften des Mediums Com‐<br />
puterspiele beinhaltet.<br />
Die Experten teilen die Meinung, dass der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit/Sucht und einzelnen<br />
Spielen nicht ausreichend nachgewiesen werden kann. Jedoch gibt es spielinhärente Faktoren, die ein<br />
Abhängigkeitsverhalten fördern. Insbesondere die persistente Spielwelt und das soziale Miteinander in<br />
online gespielten Spielen bieten diese Faktoren. Die Entstehung eines sozialen Raums in Online‐Spielen<br />
geht mit sozialen Verpflichtungen und Zwängen einher, die wiederum häufiges und langes Spielen be‐<br />
günstigen bzw. erfordern. Dieses Pflichtgefühlt, die anderen „nicht hängen zu lassen“ kann der aus‐<br />
schlaggebende Grund sein, weiterzuspielen. Das Spiel „World of Warcraft“ vereint diese Faktoren und<br />
wird daher von allen Experten als problematisch im Kontext von pathologischem Spielverhalten genannt.<br />
Pfeiffer und Quandt belegen, dass ihre bisherigen Erkenntnisse das Suchtpotential dieses Spiels bestäti‐<br />
gen.<br />
70
Dissens<br />
Hasebrink weist darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Abhängigkeit/Sucht und einzelnen Spielen<br />
nicht nachweisbar ist, jedoch fordert Quandt eine stärkere Differenzierung der Spiele, da seiner Meinung<br />
nach davon auszugehen sei, dass unterschiedliche Spiele auch unterschiedlich genutzt werden und da‐<br />
durch mehr oder weniger Abhängigkeitspotential entfalten können.<br />
Während te Wildt, Mathiak und Pfeiffer ein inhärentes Abhängigkeitspotential bei First‐Person‐Shooters<br />
sehen, sieht Quandt aufgrund kürzerer Nutzungszeiten eine eher nachgeordnete Rolle dieser Spiele.<br />
Hasebrink, Mathiak, te Wildt und Quandt sehen Rollenspiele als führend im Onlinebereich und betrach‐<br />
ten diese besonders in Hinsicht auf exzessives Spielen, während Klimmt darauf hinweist, dass aus der<br />
derzeitigen Befundlage eine Überdramatisierung zu erkennen sei. Anzumerken ist allerdings, dass sich<br />
Klimmt damit vor allem auf die Berichterstattung bezieht. Auch er spricht Online‐Spielen, die sehr häufig<br />
Rollenspiele sind, ein höheres Abhängigkeitspotential zu. Thomasius bestätigt, dass keine wissenschaftli‐<br />
che Evidenz vorliegt, dass alle Online‐Rollenspiele als suchterzeugend anzusehen sind.<br />
Für das Spiel „World of Warcraft“ herrscht Uneinigkeit darüber, ob es einem Glücksspiel ähnelt. Wäh‐<br />
rend Pfeiffer diesen Punkt bestätigt, sieht Quandt deutliche (Anreiz‐)Unterschiede der beiden Spielarten<br />
(Glücksfaktor, Spannung vs. Soziale Komponenten).<br />
Maßnahmen: Konsens und Dissens<br />
Leitfrage: Was sollte zukünftig erfolgen, um ggf. exzessiven Gebrauch, Abhängigkeit und Sucht im Kon‐<br />
text der Nutzung von Computerspielen zu verhindern? Was sind aus Ihrer Sicht geeignete rechtliche,<br />
medienpädagogische, politische Instrumente?<br />
Konsens:<br />
Alle Experten befürworten medienpädagogische Instrumente sowie die Förderung von Medienkompe‐<br />
tenz. Dabei sollen neben den Spielern auch die Schulen und Eltern eingebunden werden. Insgesamt soll‐<br />
te mehr Aufklärung und Information stattfinden. Konsens ist die Forderung nach mehr Forschung, bei‐<br />
spielsweise Längsschnittstudien.<br />
Niemand spricht sich für ein generelles Verbot von Computerspielen aus.<br />
Die Experten sind sich einig, dass multiple Zielgruppen angesprochen werden sollen: Schulen, Eltern,<br />
Spieler, Spielehersteller, Lehrer etc. Als wichtiger Adressat gelten die Anbieter von Computerspielen: Sie<br />
müssen besser über die Problematik informiert werden und zu präventiven Maßnahmen ermuntert wer‐<br />
den. Darüber hinaus sollen sie in die Pflicht genommen werden, ihren Beitrag zur Prävention von pCS zu<br />
leisten.<br />
Auch die Spieler selbst werden als relevante Adressaten genannt: Sie sollen in den Diskurs einbezogen<br />
werden statt „über sie“ zu sprechen. In diesem Zusammenhang bieten sich auch Mitspieler, also Mitglie‐<br />
der der virtuellen (und/oder realen) Peergroup an.<br />
71
Dissens:<br />
Dissens herrscht vor allem über die Maßnahme der Altersbeschränkung: Pfeiffer, te Wildt und Mathiak<br />
sprechen sich dafür aus; Klimmt, Thomasius und Quandt dagegen.<br />
Darüber hinaus sind die Experten nicht einer Meinung, wie viel Transparenz über die Eigenschaften der<br />
Spiele konstruktiv ist. Während Hasebrink die Spielinhalte möglichst transparent kommunizieren möch‐<br />
te, sprechen sich Klimmt und Thomasius explizit dagegen aus. Sie befürchten, dass das Attribut<br />
„süchtigmachend“ als Werbeargument dient. Hasebrink stimmt den Bedenken zwar zu, würde aber den‐<br />
noch Dinge wie „erfordert lange Spielzeiten“ kommunizieren.<br />
Bezüglich der Maßnahmen aufseiten der Spielehersteller herrscht Dissens: Während Klimmt und Quandt<br />
eher dafür plädieren, mit ihnen zu kooperieren, um mit ihnen gemeinsam gegen das Problem vorzuge‐<br />
hen, schlagen Pfeiffer und Mathiak eine Besteuerung (im Sinne einer Abgabe) der Spiele vor, um die<br />
Maßnahmen zur Bekämpfung des Problems finanzieren zu können.<br />
Wie oben beschrieben, herrscht Konsens darüber, dass viele verschiedene Zielgruppen angesprochen<br />
werden sollten. Der Fokus auf bestimmte Zielgruppen unterscheidet sich allerdings zwischen den Exper‐<br />
ten: Während Klimmt und Hasebrink eher die Spieler selbst ansprechen würden, sehen te Wildt und<br />
Pfeiffer Lehrer, Schulen und Kindergärten als relevante Ansprechpartner.<br />
Fazit und Empfehlungen<br />
Bezüglich der Experten und ihrer Argumentation lässt sich eine gemeinsame Linie der drei Kommunikati‐<br />
onswissenschaftler Hasebrink, Klimmt und Quandt ausmachen: Alle drei verstehen Computerspiele als<br />
neue Kulturtechnik, die möglicherweise auf anderen Mechanismen, beispielsweise anderen Motivations‐<br />
und Gratifikationsprozessen beruht. Diese Prozesse und Eigenschaften von Computerspielen sollten zu‐<br />
nächst einmal analysiert und verstanden werden, statt sich nur auf die negativen Seiten des neuen Me‐<br />
diums zu konzentrieren. Diese Sichtweise resultiert dann auch folgerichtig im Fokus auf kommunikative<br />
Maßnahmen, in die die Spieler selbst integriert werden. Diese Ansicht teilt Bolay.<br />
Unter den Medizinern Mathiak, te Wildt und Thomasius ist keine so klare gemeinsame Argumentations‐<br />
linie auszumachen. Alle drei diskutieren zwar ausführlich die Frage, inwiefern pCS als eigenständiges<br />
Krankheitsbild gilt und klassifiziert werden sollte, kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen.<br />
Generell zeugen die Aussagen der Experten davon, dass eine eindeutige Einordnung des Phänomens zu<br />
diesem Zeitpunkt nicht möglich ist. Ambivalenzen sind sowohl zwischen den Experten als auch innerhalb<br />
eines Beitrags zu finden. Dieses lässt sich vor allem auf zwei Gründe zurückführen:<br />
3. Die Datenlage ist nicht ausreichend. Beispielsweise lassen bisherige Studien keine gültigen Aus‐<br />
sagen zu Prävalenzen und Komorbiditäten zu. Dies ist Konsens unter den Experten.<br />
4. Zum anderen ähneln Computerspiele anderen Freizeitbeschäftigungen oder Genussmitteln: In<br />
Maßen genossen haben sie oft positive Seiten für den Nutzer, sorgen für Spaß, Unterhaltung, so‐<br />
72
ziale Beziehungen oder auch positive Lerneffekte. Wird die Nutzung dagegen übertrieben, über‐<br />
wiegen schnell die negativen Konsequenzen.<br />
Deshalb zeigen sich die Experten bezüglich repressiver Maßnahmen sehr zurückhaltend: Ein Verbot wird<br />
von keinem Experten vorgeschlagen, eine Altersbeschränkung für „süchtigmachende“ Spiele von drei der<br />
Experten (Pfeiffer, te Wildt, Mathiak). Andere Experten lehnen eine solche Begrenzung bei derzeitiger<br />
Datenlage ab, nicht zuletzt mit dem Argument, dass ein solch massiver Eingriff in die Freiheit der Bürger<br />
mit mehr empirischer Evidenz untermauert sein müsse (Quandt, Klimmt, Thomasius).<br />
Einige Maßnahmen, über deren Sinnhaftigkeit Konsens herrscht, lassen sich jedoch aus den Diskussionen<br />
der Experten ableiten. Diese können somit als Empfehlungen gelten:<br />
• Kommunikative Maßnahmen:<br />
o Aufklärung<br />
o Information<br />
o „offenen“ Diskurs führen, keine Kriminalisierung<br />
o Austausch und Kooperation mit Spieleherstellern<br />
• Einbezug multipler Zielgruppen:<br />
o Spieler<br />
o Eltern<br />
o Lehrer und Schulen<br />
o Spielehersteller<br />
• Finanzierung von mehr Forschung<br />
• Bildungsbereich: Medienpädagogik/alternative Freizeitangebote<br />
Es ist offensichtlich, dass weiche und vor allem kommunikative Maßnahmen repressiven vorgezogen<br />
werden. Dies liegt neben der unzureichenden Datenlage und Widersprüchlichkeit der Ergebnisse auch<br />
daran, dass sie weniger stark in die Freiheit der Bürger eingreifen und mehr Effizienz versprechen.<br />
73
Prof. Bolay: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Bolay ist Experte für Musiktherapie. Im Bereich Computerspiele und Computerspielsucht weist er<br />
bislang wenig Forschungserfahrung und Publikationen auf. Seit 2008 leitet er allerdings einen For‐<br />
schungsverbund, der altersspezifische Bewertungskategorien zur Wirkung von Computerspielen entwi‐<br />
ckelt. In diesem Projekt geht es um die Wirkung von Computerspielen auf Stress‐, Aggressions‐ und Kon‐<br />
zentrationsprozesse. Diese werden neurophysiologisch und psychologisch untersucht.<br />
(http://www.dzm.fh‐heidelberg.de/v2/downloads/03_forschung/projekte/Zwischenbericht%20USK.pdf)<br />
Prof. Bolay referierte gemeinsam mit zwei Mitarbeitern aus diesem Forschungsverbund: Frau Prof.<br />
Argstatter und Herrn Dr. Krick. Die Präsentation stützte sich vor allem auf neurophysiologische Befunde<br />
zu Veränderungen im Gehirn durch Computerspielen.<br />
Die Argumentation der drei Experten bezieht sich stark auf den gesellschaftlichen Diskurs über Compu‐<br />
terspiele. Sie plädieren dabei für eine Entemotionalisierung und Entkriminalisierung von Spielen und<br />
Spielern. Als Maßnahmen setzen sie auf Dialoge zwischen allen Beteiligten, Aufklärung der Eltern und<br />
allen nicht‐spielenden Erwachsenen.<br />
Die verwendete Literatur ist fast ausschließlich neurophysiologisch verankert. Kommunikationswissen‐<br />
schaftliche Literatur wurde nicht herangezogen. Die präsentierten Ergebnisse einer eigenen Studie be‐<br />
ziehen sich auf neurophysiologische Veränderungen im Zusammenhang mit Computerspielen und be‐<br />
treffen nicht speziell Abhängigkeit/exzessives Spielen.<br />
Prof. Hasebrink: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Hasebrink hat keine empirische Forschung zu exzessiver Computernutzung betrieben, verfügt jedoch<br />
über ausgeprägte Kenntnisse und Forschungserfahrung zu Kinder und Jugendlichen im Zusammenhang<br />
mit Mediennutzung. In seiner schriftlichen Ausarbeitung beruft sich Hasebrink auf aktuelle (For‐<br />
schungs‐)Literatur, ohne allerdings einzelne Studien zu benennen. Da er außerdem keine Präsentation<br />
eingesetzt hat (die weitere Literaturangaben hätte enthalten können), ist die Liste seiner verwendeten<br />
Literatur sehr kurz. Seine Argumentation – vor allem zu Definition und Messung von pCS und zu spielim‐<br />
manenten Faktoren – sprechen für eine beachtliche Expertise auf diesem Gebiet.<br />
Hasebrink setzt besonders auf den Einbezug der Spielenden selbst und einen gemeinsamen Diskurs mit<br />
allen Beteiligten, der auch die positiven Seiten des Spielens inkludiert. Als mögliche regulatorische Maß‐<br />
nahme plädiert er für größtmögliche Transparenz, also eine klare Offenlegung der Spielmerkmale.<br />
Prof. Klimmt: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Klimmt zeigt große Fachkenntnis, sowohl, was das Medium Computerspiele und spielimmanente<br />
Merkmale anbelangt, als auch, was die psychologisch‐psychiatrische Seite stoffungebundener Abhängig‐<br />
keiten betrifft. Er stützt sich auf sehr viele Forschungsarbeiten und theoretische Beiträge zum Thema.<br />
Die von ihm angeführten Publikationen stammen besonders aus den Disziplinen Kommunikationswissen‐<br />
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schaft und Medienpsychologie, wobei er auch einige Beiträge aus psychiatrischen und neurowissen‐<br />
schaftlichen Zeitschriften aufführt.<br />
Klimmt banalisiert pathologisches Computerspielen ebenso wenig wie er Computerspiele an sich negativ<br />
bewertet. Er betont die positiven Seiten und Wirkungen von Computerspielen und sieht deshalb in Be‐<br />
schränkungen oder Verboten keine adäquate Lösung. Er problematisiert allerdings exzessiven Medien‐<br />
gebrauch – auch wenn es nur wenige Prozent der Spieler betrifft. Er schlägt dazu überaus pragmatische<br />
Maßnahmen vor. Diese beziehen sich einerseits auf die Spiele selbst, wie beispielsweise eine automati‐<br />
sche Ermüdung des Avatars, und plädiert dafür für eine Kooperation mit der Industrie. Um dies zu errei‐<br />
chen, sei eine Aufklärung der Spieleindustrie vor allem auf Grundlage wissenschaftlicher Forschungser‐<br />
gebnisse erforderlich, argumentiert Klimmt.<br />
Prof. Mathiak: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Mathiak ist Naturwissenschaftler und Mediziner, der sich seit seiner Promotion vor allem mit neu‐<br />
robiologischen Methoden und Verfahren beschäftigt hat. Diese setzt er ein, um die neurobiologischen<br />
Korrelate verschiedener Störungen und Verhaltensweisen zu untersuchen; eine davon ist gewalthaltiges<br />
Computerspielen.<br />
Mathiak zitiert einige neurobiologische Forschungsarbeiten sowie eine psychologische (Young, 2007) und<br />
eine kommunikationswissenschaftliche Arbeit (Weber et al., 2009). Seine Aussagen orientieren sich sehr<br />
stark an der Evidenzlage und sind nicht spekulativ.<br />
Als Neurobiologe bezieht sich der Beitrag von Mathiak vor allem auf die Analyse von neurowissenschaft‐<br />
lichen Befunden bei der Nutzung moderner Medien im Vergleich zu substanzgebundenen Abhängigkei‐<br />
ten und Süchten oder dem pathologischen Glücksspielen. Im Vergleich zu substanzbezogenen Süchten<br />
kommt er zu dem Schluss, dass exzessives Computerspielen auf anderen Mechanismen zu beruhen<br />
scheint. Er plädiert dafür, pCS nicht als Verhaltenssucht zu klassifizieren, da aus neurobiologischer Sicht<br />
bislang nicht genügend Ergebnisse vorliegen, die eine eindeutige Kategorisierung zulassen. Selbst neuro‐<br />
biologisch begründete Analogieschlüsse zu substanzbezogenen Süchten reichten nicht aus, um die Exis‐<br />
tenz einer Spielsucht zu beweisen. Wie beim Alkoholismus müsste der Suchtcharakter durch langjährige<br />
soziale Diskussionsprozesse entschieden werden.<br />
Als Maßnahme plädiert Mathiak für eine Besteuerung von Spielen ähnlich derer anderer Suchtmittel, um<br />
das Problem wenigstens fiskalisch aufzufangen, und fordert weitere Forschung.<br />
Prof. Pfeiffer: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Pfeiffers Arbeitsschwerpunkt sind Jugendgewalt, Gewalt an Schulen, Schulversagen und die Zu‐<br />
sammenhänge dieser Probleme mit exzessivem Medienkonsum. Mit dieser speziellen Expertise ist er<br />
häufig gefragter Fachmann in und für die Medien. Dort tritt Pfeiffer meist mahnend auf und plädiert für<br />
eine Beschränkung des Medienkonsums bei Jugendlichen.<br />
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Pfeiffers Ausführungen basieren weitgehend auf der oben genannten Studie des KFN zum Thema Com‐<br />
puterspielsucht. Andere Studien und Literatur zu dem Thema werden nicht einbezogen.<br />
Prof. Pfeiffer problematisiert exzessive und pathologische Spielnutzung sehr stark und plädiert für eher<br />
repressive Maßnahmen. So ist er für eine Altersbeschränkung „süchtigmachender“ Spiele ab 18 Jahre<br />
und würde das Spiel „World of Warcraft“ in diese Kategorie sortieren. Etwas seltener als die anderen<br />
Experten nennt er medienpädagogische Maßnahmen. Dafür setzt er auf allgemeinpädagogische Maß‐<br />
nahmen wie die Schaffung alternativer Freizeitangebote. Prof. Pfeiffer schlägt eine Abgabe für<br />
Spielehersteller vor, mit der Aufklärungskampagnen finanziert werden sollen. Er betont, dass – im Ge‐<br />
gensatz zu anderen problematischen Phänomenen – von der Computerspielsucht vor allem höher gebil‐<br />
dete Kinder und Jugendliche betroffen seien.<br />
Pfeiffer und te Wildt ähneln sich in ihrer Argumentation, da sie wissenschaftlich auf dem Gebiet exzessi‐<br />
ven Mediengebrauchs kooperieren.<br />
Prof. Quandt: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Quandt ist Experte für (Online‐)Computerspiele und das Spielerleben ihrer Nutzer. Als Kommunika‐<br />
tionswissenschaftler bezieht er sich vornehmlich auf die Besonderheiten von (süchtigmachenden) Spie‐<br />
len und auf die Spielmotivation. Dabei fokussiert er besonders den sozialen Aspekt bei MMORPGs: Er<br />
verweist darauf, dass gerade das soziale Miteinander einen großen Reiz dieser Spiele ausmacht und des‐<br />
halb pathologisches Computerspielen auch nicht mit pathologischer Glücksspielsucht zu vergleichen ist.<br />
Zur psychiatrischen und psychologischen Sicht äußert sich Quandt nicht. Er zitiert überwiegend aus eige‐<br />
nen Studien.<br />
Quandt resümiert wie sein Fachkollege Klimmt, es wäre falsch, Computerspiele per se negativ zu brand‐<br />
marken, und betont die positiven Seiten des Spielens (wie beispielsweise Entspannung, Spaß und Kon‐<br />
takt zu anderen Spielern). Er thematisiert wie Bolay die Frage, wie sehr das Konstrukt einer Computer‐<br />
spielabhängigkeit gesellschaftlich (mit‐)konstruiert ist, und zieht zum Vergleich die (hohen) Zahlen der<br />
Fernsehnutzung heran.<br />
Quandt stützt sich auf medienpädagogische Maßnahmen und plädiert für Selbstverpflichtung und<br />
Selbstkontrolle der Spielehersteller. Die wissenschaftlichen Ergebnisse rechtfertigen aus seiner Sicht<br />
noch keinen Eingriff in die Freiheit der Bürger. Er fordert repräsentative Bevölkerungsstudien zum The‐<br />
ma, initiiert von politischer Seite.<br />
Dr. te Wildt: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Dr. te Wildts Expertise ist im Zentrum des relevanten Forschungsbereichs. Wie Thomasius zitiert er als<br />
Facharzt für Psychiatrie vor allem Literatur aus psychiatrischen Zeitschriften. Auf kommunikationswis‐<br />
senschaftliche Literatur stützt er sich nicht.<br />
te Wildt hat Erfahrung mit pathologischen Computerspielnutzern als Forscher und als Therapeut. Er ist<br />
vertraut mit dem Alltagsverhalten der Spieler und der Charakterisierung pathologischer Spieler. Auf‐<br />
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grund der täglichen therapeutischen Praxis sieht er pCS als höchst problematisch an – für die Spieler und<br />
aus volkswirtschaftlicher Sicht.<br />
te Wildt setzt seinen Schwerpunkt auf die Definition von Sucht. Er spricht sich dezidiert für eine (neue)<br />
Klassifizierung als Verhaltenssucht aus. Er plädiert für strikte Maßnahmen wie eine Altersbeschränkung<br />
ab 18 für „süchtigmachende“ Spiele. Er fordert die Schaffung alternativer Freizeitangebote für Jungen,<br />
vorzugsweise im Rahmen von Ganztagsschulen: Kinder und Jugendliche müssten die reale physische<br />
Welt erleben, um ihre Entwicklungsaufgaben zu erfüllen.<br />
Dr. te Wildt und Prof. Dr. Pfeiffer planen gemeinsame Forschungsprojekte zum Thema Computerspiel‐<br />
sucht.<br />
Prof. Thomasius: Bewertung der Expertise und Argumentation<br />
Prof. Thomasius ist ausgewiesener Experte für substanzgebundene Süchte im Kindes‐ und Jugendalter.<br />
Mit dieser Thematik beschäftigt er sich seit Jahren, sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht als auch in der<br />
täglichen therapeutischen Praxis. Sein Fachgebiet erweitert er seit einigen Jahren auf nicht‐<br />
substanzgebundene Süchte, hier liegt seine Expertise im Bereich der exzessiv‐pathologischen Internet‐<br />
nutzung. Dazu leitet er mit einem Kollegen das Projekt „Beratungs‐ und Behandlungsangebote zum pa‐<br />
thologischen Internetgebrauch in Deutschland“, das von 2008 bis 2010 im Auftrag des Bundesministeri‐<br />
ums für Gesundheit läuft. Gemeinsam mit vier weiteren Kollegen hat er in diesem Rahmen eine Über‐<br />
sicht zum Forschungsstand zum pathologischen Internetgebrauch verfasst.<br />
Im speziellen Bereich Computerspielsucht hat Prof. Thomasius bislang keine eigene Forschungserfah‐<br />
rung. Er präsentiert sich jedoch als interdisziplinär arbeitender Experte mit einem sehr guten Einblick in<br />
das Thema.<br />
Als Facharzt für Psychiatrie zitiert er insbesondere Literatur aus psychiatrischen Zeitschriften. Seine Lite‐<br />
raturliste enthält jedoch auch Arbeiten aus kommunikationswissenschaftlichen Journals. Zudem beweist<br />
seine Präsentation, dass er sich mit dem Medium Computerspiele und seinen Spezifika eingehend be‐<br />
schäftigt hat. Viele seiner Aussagen betreffen die Problematik der Definition pathologischen Computer‐<br />
spielverhaltens, zu Komorbiditäten und Symptomen. Ergänzend dazu äußert er sich allerdings auch um‐<br />
fassend zu den Spielen an sich.<br />
Prof. Thomasius problematisiert suchtartigen Mediengebrauch und geht dabei differenziert vor. Gegen‐<br />
über repressiven Maßnahmen ist er skeptisch, eine Altersgrenze beispielsweise hält er für einen zu gro‐<br />
ßen Eingriff bei zu unklarer Datenlage. Prof. Thomasius setzt eher auf „weiche“ Maßnahmen wie Aufklä‐<br />
rung (verschiedener Gruppen) und medienpädagogische Begleitung.<br />
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