nah dran - Ausgabe 2008 - Kinderschutz eV

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27.04.2013 Aufrufe

26 Stationäre Erziehungsangebote und betreute Wohnformen Kurt-Seelmann-Wohngruppen Tür an Tür mit Alex – junge Menschen lernen Selbständigkeit im Miteinander Eine ruhige Straße, ein Gartentor, ein kleines Rasenstück – von außen strahlt das Häuschen im Karlsfelder Wohngebiet normale Familienidylle aus. Innen eigentlich auch – nur dass die „Kinder“ keine Geschwister sind und sozialpädagogische Fachkräfte die Betreuung übernehmen. Dieses und ein weiteres Haus in Karlsfeld nahe Dachau sind sozusagen heilpädagogische „Mini- Heime“. Ruhig, glücklich und friedlich geht es hier – wie in jeder Familie – nicht immer zu. Massive soziale und emotionale Belastungen prägten die Kindheit und Jugend der Bewohnerinnen und Bewohner. In der Wohngruppe finden sie nun einen Ort, an dem sie Geborgenheit, Zuverlässigkeit und klare Strukturen erfahren. Hier werden sie gefördert und gefordert. Für die Vermittlung der Jugendlichen in die Wohngruppe ist das Jugendamt zuständig. Gründe für die Aufnahme der Jungen und Mädchen sind meist seelische Verletzungen und Verwahrlosungstendenzen. Die Entwicklungs- und Sozialisations - defizite der jungen Menschen äußern sich unterschiedlich. Manche können ihre Aggressionen nicht kontrollieren und nah dran zerstören zum Beispiel sinnlos Gegenstände. Andere haben Schwierigkeiten im gesellschaftlichen Umgang, leben total isoliert und ziehen sich bis zur völligen Vereinsamung zurück. Die meisten haben massive Schulprobleme und sehen einer unsicheren Zukunft entgegen. Stabilität durch einen strukturierten Tag In zwei heilpädagogischen Wohngruppen leben jeweils acht Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis achtzehn Jahren. Sie werden von einem Team aus sozialpädagogischen und psychologischen Fachkräften rund um die Uhr betreut. Ein geregelter Tagesablauf mit beispielsweise gemeinsamen Mahlzeiten, Freizeitaktivitäten, Zeiten der Hausaufgabenbetreuung sowie individuellen Lernzeiten bietet den stabilisierenden Rahmen, den die jungen Menschen brauchen, um sich weiter entwickeln zu können. Gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Spielangebote, Ausflüge oder Ferienfreizeiten stärken den Zusammenhalt der jungen Menschen und sind Übungsfelder, in denen sie sich im sozialen Miteinander erproben können. Die Kurt-Seelmann- Wohngruppen bieten den Kindern und Jugendlichen in erster Linie einen geschützten, strukturierten Rahmen, in dem sie sich ihrem Alter entsprechend entwickeln können. Hier können sie lernen, ein selbständiges und selbstbewusstes Leben zu führen. In Einzelfällen kann es Ziel der stationären Unterbringung sein, durch Entzerrung der familiären Situation die Verhältnisse zu entspannen und den Jugendlichen nach intensiver Arbeit mit den Eltern wieder in die Familie einzugliedern. 2007 war für die Kurt-Seelmann-Wohngruppen ein sehr erfolgreiches Jahr. Alle Jugendlichen haben ihr Klassenziel erreicht bzw. ihre Schule erfolgreich abgeschlossen, wobei auch Realschüler und Gymnasiasten ihren schulischen Anforderungen gewachsen waren. Vier Jugendliche konnten in Berufsfördermaßnahmen vermittelt werden, ebenso viele begannen im September eine Lehre, unter anderem zur Erzieherin und zum Kfz- Mechatroniker. Für sieben Jugendliche hieß es letztes Jahr Abschied nehmen. Sie konnten in eigene Wohnungen umziehen und werden von sozialpädagogischen Fachkräften der Kurt-Seelmann-Wohngruppen nur noch wenige Stunden wöchentlich betreut. Zahlen und Standort 19 Fachkräfte sind in Voll- und Teilzeit in diesem Bereich tätig. 20 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 8 und 18 Jahren wurden 2007 in den Wohngruppen betreut. Kurt-Seelmann-Wohngruppen Burgfriedenstraße 34a 85221 Dachau Tel. (089) 23 17 16 -8110 wohngruppen@kinderschutz.de

Sozialpädagogisch Betreutes Wohnen für Mutter/Vater und Kind (MVK) Wenn die Kraft für zwei (noch) nicht reicht 6.163 Mütter waren laut statistischem Bundesamt im Jahr 2006 noch minderjährig, als sie ihr Kind zur Welt brachten. Zwar sank die jährliche Anzahl der Teenagerschwangerschaften in den vergangenen Jahren stetig um einige Hundert, dennoch: von etwa 100 Neugeborenen hat eines eine Mutter unter 18 – und auch der Vater des Kindes ist oftmals noch minderjährig. Nicht immer kommen die selbst noch heranwachsenden Mütter und Väter so unerwartet früh mit dem „Elternsein“ zurecht. Wenn die Partnerschaft intakt ist, sind viele junge Eltern ihrer neuen Aufgabe mit etwas Hilfe häufig gewachsen. Oft werden sie auch von helfenden Händen aus der Familie unterstützt. Was aber, wenn die minderjährigen Mamas und Papas ohne Partner oder Partnerin dastehen und ihr eigenes Leben noch nicht im Griff haben? Der Kinderschutz e.V. unterstützt und hilft alleinerziehenden Müttern und Vätern ab 16 Jahren und deren Kind(ern) im Rahmen des sozialpädagogisch betreuten Wohnens für Mut-ter/Vater und Kind (MVK). Die betreuten kleinen Familien leben möglichst selbständig in vom Kinderschutz e.V. angemieteten Wohnungen und werden jeweils durch ein oder auch zwei Betreuerinnen bedarfsorientiert unterstützt. Reif für Familie? Die betreuten Alleinerziehenden benötigen aufgrund ihres Alters und/oder schwierigen Lebenslagen sozialpädagogische Hilfe, Orientierung und Rat, um ihr Kleinkind adäquat versorgen zu können. Doch nicht nur um die Kindererziehung zu bewältigen, sondern auch um ihr eigenes Leben zu meistern, ihre Schul- oder Ausbildungssituation zu klären oder ggf. eine weiterführende Hilfe wie z.B. eine Therapie zu finden, erhalten diese Eltern Unterstützung. Da die Beziehung zum Vater bzw. zur Mutter des Kindes oft in Scherben liegt, erhalten die jungen Männer und Frauen auch in der Überwindung dieser Gräben Beistand, so dass das Kind möglichst zu beiden Elternteilen eine Beziehung aufbauen kann. Auch der oder die neue Partner/in wird einbezogen. Perspektiven entwickeln Der Kinderschutz e.V. betreut im MVK zahlreiche junge Mütter mit Migrationshintergrund. Sie leiden neben sprachlichen Problemen und Isolation oftmals unter unverarbeiteten Traumata – wie die 19jährige Aishe. Sie ist aus ihrer Heimat Äthiopien geflohen und wurde bereits während der Schwangerschaft betreut. Ihre Tochter ist jetzt 18 Monate alt. Die junge Frau leidet seit sie in Deutschland ist unter Alpträumen. Über ihre Fluchtgeschichte kann und will sie nicht sprechen. Nachdem Aishe anfänglich extrem misstrauisch war und sich niemandem öffnete, hat sie inzwischen Vertrauen zu ihrer Betreuerin gefasst. Um ihre Vergangenheit zu bewältigen und sich für ein selbständiges Leben mit ihrer Tochter zu stärken, hat sie mittlerweile einer Therapie zugestimmt. Zwei Termine hat sie bereits wahrgenommen. Auch beruflich hat sich Aishe inzwischen Ziele gesteckt. Sie besucht nun einen Deutschkurs und ihre Tochter konnte mit Unterstützung der Betreuerin halbtags in einer Kinderkrippe untergebracht werden. Höhepunkt der Woche ist für Aishe die Nähgruppe im Haus des MVK. Hier hat sie ihr Talent für Handarbeit entdeckt. Sie ist stolz auf ihre Fähigkeiten, entwirft und näht Kleidung für sich und ihre Tochter und gibt den anderen Frauen in der Gruppe Ratschläge. Sie hofft, mit ein bisschen Übung so gut zu werden, dass es für einen Job, z.B. eine Ausbildung in einer Änderungsschneiderei, reicht. In der Nähgruppe hat Aishe auch erstmals seit sie in Deutschland ist eine Freundin gefunden, mit der sie sich treffen, über Kinderkrankheiten und Mode aber auch über die Freuden und Schwierigkeiten des Alltags austauschen kann. Zahlen und Standort 11 Fachkräfte sind in Voll- und Teilzeit in diesem Bereich tätig. 20 Mütter und Väter wurden mit ihren Kindern 2007 betreut und begleitet. Sozialpädagogisch Betreutes Wohnen für Mutter/Vater und Kind Olga-Heerdegen-Haus Heimperthstraße 13 80935 München Tel. (089) 23 17 16 -9010 mvk@kinderschutz.de nah dran 27

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Stationäre Erziehungsangebote und betreute Wohnformen<br />

Kurt-Seelmann-Wohngruppen<br />

Tür an Tür mit Alex –<br />

junge Menschen lernen<br />

Selbständigkeit im Miteinander<br />

Eine ruhige Straße, ein Gartentor, ein kleines<br />

Rasenstück – von außen strahlt das Häuschen<br />

im Karlsfelder Wohngebiet normale<br />

Familienidylle aus. Innen eigentlich auch –<br />

nur dass die „Kinder“ keine Geschwister<br />

sind und sozialpädagogische Fachkräfte<br />

die Betreuung übernehmen. Dieses und ein<br />

weiteres Haus in Karlsfeld <strong>nah</strong>e Dachau<br />

sind sozusagen heilpädagogische „Mini-<br />

Heime“. Ruhig, glücklich und friedlich geht<br />

es hier – wie in jeder Familie – nicht immer<br />

zu. Massive soziale und emotionale Belastungen<br />

prägten die Kindheit und Jugend<br />

der Bewohnerinnen und Bewohner. In der<br />

Wohngruppe finden sie nun einen Ort, an<br />

dem sie Geborgenheit, Zuverlässigkeit und<br />

klare Strukturen erfahren. Hier werden sie<br />

gefördert und gefordert.<br />

Für die Vermittlung der Jugendlichen in<br />

die Wohngruppe ist das Jugendamt zuständig.<br />

Gründe für die Auf<strong>nah</strong>me der<br />

Jungen und Mädchen sind meist seelische<br />

Verletzungen und Verwahrlosungstendenzen.<br />

Die Entwicklungs- und Sozialisations -<br />

defizite der jungen Menschen äußern sich<br />

unterschiedlich. Manche können ihre<br />

Aggressionen nicht kontrollieren und<br />

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zerstören zum Beispiel sinnlos Gegenstände.<br />

Andere haben Schwierigkeiten im<br />

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isoliert und ziehen sich bis zur völligen<br />

Vereinsamung zurück. Die meisten haben<br />

massive Schulprobleme und sehen einer<br />

unsicheren Zukunft entgegen.<br />

Stabilität durch einen<br />

strukturierten Tag<br />

In zwei heilpädagogischen Wohngruppen<br />

leben jeweils acht Kinder und Jugendliche<br />

im Alter von acht bis achtzehn Jahren. Sie<br />

werden von einem Team aus sozialpädagogischen<br />

und psychologischen Fachkräften<br />

rund um die Uhr betreut. Ein geregelter<br />

Tagesablauf mit beispielsweise gemeinsamen<br />

Mahlzeiten, Freizeitaktivitäten, Zeiten<br />

der Hausaufgabenbetreuung sowie individuellen<br />

Lernzeiten bietet den stabilisierenden<br />

Rahmen, den die jungen Menschen<br />

brauchen, um sich weiter entwickeln zu<br />

können.<br />

Gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Spielangebote,<br />

Ausflüge oder Ferienfreizeiten<br />

stärken den Zusammenhalt der jungen<br />

Menschen und sind Übungsfelder, in denen<br />

sie sich im sozialen<br />

Miteinander erproben<br />

können.<br />

Die Kurt-Seelmann-<br />

Wohngruppen bieten<br />

den Kindern<br />

und Jugendlichen<br />

in erster Linie einen<br />

geschützten, strukturierten<br />

Rahmen,<br />

in dem sie sich ihrem<br />

Alter entsprechend<br />

entwickeln<br />

können. Hier können<br />

sie lernen, ein<br />

selbständiges und<br />

selbstbewusstes<br />

Leben zu führen. In<br />

Einzelfällen kann es Ziel der stationären<br />

Unterbringung sein, durch Entzerrung der<br />

familiären Situation die Verhältnisse zu<br />

entspannen und den Jugendlichen nach<br />

intensiver Arbeit mit den Eltern wieder in<br />

die Familie einzugliedern.<br />

2007 war für die Kurt-Seelmann-Wohngruppen<br />

ein sehr erfolgreiches Jahr. Alle<br />

Jugendlichen haben ihr Klassenziel<br />

erreicht bzw. ihre Schule erfolgreich<br />

abgeschlossen, wobei auch Realschüler<br />

und Gymnasiasten ihren schulischen<br />

Anforderungen gewachsen waren. Vier<br />

Jugendliche konnten in Berufsfördermaß<strong>nah</strong>men<br />

vermittelt werden, ebenso viele<br />

begannen im September eine Lehre, unter<br />

anderem zur Erzieherin und zum Kfz-<br />

Mechatroniker. Für sieben Jugendliche<br />

hieß es letztes Jahr Abschied nehmen. Sie<br />

konnten in eigene Wohnungen umziehen<br />

und werden von sozialpädagogischen<br />

Fachkräften der Kurt-Seelmann-Wohngruppen<br />

nur noch wenige Stunden<br />

wöchentlich betreut.<br />

Zahlen und Standort<br />

19 Fachkräfte sind in Voll- und Teilzeit in diesem<br />

Bereich tätig.<br />

20 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene<br />

zwischen 8 und 18 Jahren wurden 2007 in den<br />

Wohngruppen betreut.<br />

Kurt-Seelmann-Wohngruppen<br />

Burgfriedenstraße 34a<br />

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