nah dran - Ausgabe 2008 - Kinderschutz eV
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Heilpädagogische Tagesstätte<br />
Verhaltensauffällige Kinder<br />
erfahren ihre Stärken und<br />
Grenzen<br />
Die Heilpädagogische Tagesstätte (HPT) in Dachau besteht aus einem heilpädagogischen<br />
Kindergarten für Vorschulkinder ab drei Jahre sowie aus zwei Gruppen für<br />
Grund- und Hauptschüler bis 14 Jahre. Hier erhalten verhaltensauffällige und in<br />
ihrer Entwicklung verzögerte Kinder tagsüber intensive pädagogische und therapeutische<br />
Betreuung. Gleichzeitig wird ihnen ermöglicht, weiter in ihrer Familie und<br />
in ihrem sozialen Umfeld zu leben.<br />
Grund für die Auf<strong>nah</strong>me in die HPT sind<br />
meist Auffälligkeiten im Sozialverhalten<br />
der Kinder. Sie reagieren oft unangemessen<br />
auf harmlos scheinende Situationen,<br />
sind aggressiv, verschlossen oder verweigern<br />
sich total. Infolgedessen haben sie<br />
nicht selten auch erhebliche Schulprobleme.<br />
Die Ursachen für diese Verhaltensauffälligkeiten<br />
sind vielfältig und liegen oft im<br />
familiären Umfeld.<br />
Raus aus dem Teufelskreis<br />
Viele Kinder haben schon mehrfach Enttäuschungen<br />
und Zurückweisungen erlebt,<br />
kämpfen mit Selbstzweifeln und können<br />
die ersehnte Zuwendung nicht zulassen.<br />
In den meisten Fällen sind die Eltern mit<br />
dieser Situation überfordert. Sie haben das<br />
Gefühl, versagt zu haben und können ihre<br />
Kinder selbst nicht mehr unterstützen.<br />
Als Oliver beispielsweise vor einem Jahr in<br />
die HPT kam, wirkte er verzweifelt und<br />
vereinsamt. Seine Grundschulzeugnisse<br />
waren schlecht, doch seine alleinstehende<br />
Mutter hatte weder die Zeit noch die Kraft,<br />
ihn ausreichend zu fördern. Oliver spielte<br />
kaum mit anderen Kindern, aus Angst vor<br />
Zurückweisung und Hänseleien. Durch die<br />
immer wiederkehrenden Misserfolge geriet<br />
er in einen Teufelskreis aus Misserfolgen,<br />
negativem Selbstwertgefühl und weiteren<br />
Rückschlägen.<br />
Das Ziel der HPT-Betreuung ist es zum einen,<br />
dem Kind bei der Überwindung seiner<br />
Schwierigkeiten zu helfen. Gleichzeitig<br />
wird die Familie durch intensive Elternarbeit<br />
stabilisiert mit dem Ziel, dass sie ihre<br />
Erziehungsaufgaben zukünftig eigenstän-<br />
<strong>nah</strong> <strong>dran</strong><br />
dig bewältigen können. In neun von zehn<br />
Fällen gelingt es, dass durch die Arbeit der<br />
HPT auf eine stationäre Unterbringung z.B.<br />
in einem Heim verzichtet werden kann<br />
und das Kind im familiären Umfeld wieder<br />
guten Anschluss findet.<br />
Klare Strukturen schaffen<br />
Sicherheit und Erfolge<br />
In der HPT erleben Kinder einen strukturierten<br />
Tag. Regelmäßige „Programmpunkte“<br />
wie das gemeinsame Mittagessen,<br />
Hausaufgabenzeiten oder eine wöchentliche<br />
Kinderkonferenz geben ihnen einen<br />
sicheren Rahmen. Es gibt Regeln, die sie<br />
beachten müssen und Anreize, sie einzuhalten.<br />
Montags versammeln sich z.B. die<br />
Kinder der Gruppe 2 zur Taschengeldverteilung.<br />
Für „gutes Verhalten“ gibt es bis<br />
zu zwei Euro in die Spardose. Worauf gespart<br />
wird, schreiben die Kinder vorher auf.<br />
Der Reihe nach beurteilen sie selbst ihr<br />
Verhalten in der vergangenen Woche, die<br />
beiden Betreuer ergänzen oder korrigieren<br />
aus ihrer Sicht: Wie war der Umgang mit<br />
Erwachsenen und den anderen Kindern?<br />
Wurden die Hausaufgaben immer gemacht?<br />
Hat jeder sein „Amt“ erfüllt – z.B.<br />
den Küchendienst erledigt oder die Fenster<br />
abends geschlossen? Hat jeder mit<br />
mindestens drei anderen Kindern verschiedene<br />
Spiele gespielt? Hatte jeder eine<br />
Uhr dabei? Oder hat jemand sogar etwas<br />
besonderes für die Gruppe geleistet? Für<br />
jede erfüllte Aufgabe oder eingehaltene<br />
Regel gibt es 25 Cent in die Spardose, 50<br />
Cent können sich alle „verdienen“, die sich<br />
„keinen großen Schmarrn“ geleistet haben<br />
– z.B. Nachsitzen oder einen Schulverweis.<br />
Oliver hat in einem Jahr viel gelernt. Er<br />
hat erkannt, dass er Dinge beherrscht, auf<br />
die er stolz sein kann. Seine Erfolgserlebnisse<br />
haben ihn ermutigt, auch die nicht<br />
so einfachen Aufgaben anzupacken. Auch<br />
wenn es hin und wieder mal Rückschläge<br />
gibt, eine fünf in Deutsch oder Tränen<br />
wenn jemand ihn einen Feigling schimpft,<br />
Oliver hat gelernt, nicht aufzugeben und<br />
sich Fehler ein- und zuzugestehen. Er weiß<br />
jetzt, dass er trotzdem geliebt und respektiert<br />
wird.