Jahresbericht 2006 - Kinderrechte Afrika eV
Jahresbericht 2006 - Kinderrechte Afrika eV
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BICE Deutschland e.V<br />
internationale Kinderrechtsorganisation<br />
Für die Würde und Rechte von Kindern<br />
<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2006</strong>
3<br />
4<br />
7<br />
15<br />
25<br />
30<br />
33<br />
34<br />
35<br />
Inhalt<br />
Einblicke – Ausblicke<br />
Unser Engagement<br />
D. R. Kongo<br />
Stärkung der Zusammenarbeit und die Bildung<br />
von Synergien zwischen den staatlichen<br />
Behörden, der Zivilgesellschaft, den Medien<br />
und den Gemeinden<br />
Elfenbeinküste<br />
• Förderung und Durchsetzung elementarer<br />
Rechte von Kindern im Gefängnis oder in<br />
Polizeigewahrsam<br />
• Straßenkinder, Opfer von familiären und<br />
bewaffneten Konflikten<br />
• Durchsetzung der Rechte von Kindern mit<br />
Behinderungen<br />
• Junge Haushaltshilfen<br />
Togo<br />
Durchsetzung und Förderung elementarer<br />
Rechte von Kindern, die Opfer von Missbrauch<br />
geworden sind oder in extremer Armut leben<br />
Mali<br />
Förderung und Durchsetzung elementarer<br />
Rechte von Kindern in Gefängnissen und auf<br />
Polizeistationen sowie von jungen Müttern in<br />
besonderen Notsituationen<br />
Unser Dank – Beispiele der Hilfe<br />
Einnahmen – Aufwendungen für Projekte<br />
Impressum
Einblicke – Ausblicke<br />
Das »Recht auf Gesundheit« gilt als wichtiger Bestandteil der 1989 von fast allen Nationen unterzeichneten<br />
UN-Kinderrechtskonvention. Das Recht auf Gesundheit ist das Recht jedes Kindes auf notwendige<br />
vorbeugende Gesundheitsmaßnahmen sowie auf angemessene Versorgung im Krankheitsfall.<br />
Die Realität sieht in Entwicklungsländern jedoch oft anders aus. Besonders in <strong>Afrika</strong> befinden sich die<br />
Kinder und Jugendlichen in Bezug auf Gesundheitsvorsorge und Fürsorge in einer Notsituation<br />
42% der afrikanischen Bevölkerung sind heute Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. 7 von 10<br />
– das sind etwa 200 Millionen afrikanische Kinder und Jugendliche – haben bis heute keinen Zugang<br />
zu modernen medizinischen Errungenschaften, die bei uns jedem selbstverständlich zur Verfügung stehen.<br />
<strong>Afrika</strong> gilt heute als die Weltregion mit der höchsten Krankheitslast, welche die weltweit höchste<br />
Sterblichkeit bei Kindern und Jugendlichen zur Folge hat. 60% dieser frühen Todesfälle sind direkte<br />
Auswirkungen einer generellen Armut wie z. B. das Fehlen von Trinkwasser, ausreichender Nahrung, Hygiene<br />
und Aufklärung. Immer noch leiden und sterben Kinder und Jugendliche an meist verhütbaren,<br />
behandelbaren Krankheiten wie Malaria, Wurminfektionen, respiratorischen Infekten, AIDS, Tuberkulose<br />
und Komplikationen bei Frühschwangerschaften. Die Lebenserwartung in <strong>Afrika</strong> ist heute 30 Jahre<br />
niedriger als in Deutschland.<br />
Da die von BICE Deutschland e. V. betreuten Kinder zu den ärmsten und den am meisten vernachlässigten<br />
gehören, sind diese durch ihre besonders widrigen Lebensumstände verstärkt Gesundheitsrisiken<br />
ausgesetzt und für Krankheiten, meist Infektionskrankheiten, besonders anfällig.<br />
Kürzlich analysierte der Harvard Professor Jeffrey Sachs – zusammen mit weiteren 18 hochrangigen<br />
Wissenschaftlern – im Auftrage der Weltgesundheitsorganisation den Stellenwert der Gesundheit für<br />
die Entwicklung in den heute armen Ländern. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die große<br />
Krankheitslast und der frühe Tod bei der jungen Generation <strong>Afrika</strong>s ganz erheblich zu wirtschaftlicher<br />
Unterentwicklung und stagnierender Armut beitragen. Insbesondere die häufig wiederkehrenden Infektionskrankheiten<br />
wie Malaria, körperzehrende Durchfälle und Hautkrankheiten mindern erheblich die<br />
Lernfähigkeit, führen zu vorzeitigem Schulabbruch und verursachen permanente Fehlzeiten im Beruf.<br />
Somit ist die schlechte Gesundheit in <strong>Afrika</strong> nicht nur Folge von Armut sondern eine ihrer wesentlichen<br />
Ursachen.<br />
Alle von BICE Deutschland e. V. geförderten Projekte haben eine wichtige gesundheitliche Komponente,<br />
beispielsweise Hygienemaßnahmen in den Elendsbehausungen und im Arbeitsumfeld von Lastenträgerinnen,<br />
Impfkampagnen, Grundversorgung, Behandlung von Haut- und Durchfallerkrankungen,<br />
Malaria bei Straßenkindern, Kindern in Gefängnissen oder Kindersoldaten bis hin zur AIDS-Prävention<br />
und Aufklärung über infektiöse und sexuell übertragbare Krankheiten und die Verhütung ungewollter<br />
Schwangerschaften von jungen Mädchen.<br />
Gesundheit ist ein hohes Gut, das auch ganz besonders von Kindern auf der Schattenseite in <strong>Afrika</strong> geschätzt<br />
wird. Vor allem ihre Mütter unternehmen oft gewaltige Anstrengungen im Falle von Krankheit<br />
und Behinderung, setzen ihre geringen Ersparnisse ein und ruinieren sich häufig dabei. Wir versuchen,<br />
sie bei diesen Anstrengungen zu unterstützen. Sie haben ein Recht auf diese Hilfe!<br />
In dankbarer Verbundenheit.<br />
Prof. Dr. med. Peter Stingl<br />
1. Vorsitzender<br />
Horst Buchmann<br />
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied<br />
<strong>Afrika</strong>beauftragter von BICE
Unser Engagement<br />
<strong>2006</strong><br />
Mali:<br />
• Kinder in Gefängnissen oder in<br />
Polizeigewahrsam<br />
• Mütter mit ihren Kleinkindern<br />
im Gefängnis<br />
Elfenbeinküste:<br />
• Kinder in Gefängnissen oder in<br />
Polizeigewahrsam<br />
• Kinder als Opfer von Ausbeutung<br />
und Missbrauch<br />
• Mütter mit behinderten Kindern<br />
im Elendsviertel von Doukouré<br />
Togo:<br />
• Lastenträgerinnen in Lomé,<br />
in den Regionen Lacs und Vo<br />
• Mädchen als Opfer von sexueller<br />
Ausbeutung<br />
Demokratische Republik Kongo:<br />
• Rehabilitierung und Wiedereingliederung<br />
ehemaliger Kindersoldaten und von<br />
Kindern als Opfer bewaffneter Konflikte<br />
• Als Hexen verfemte Kinder und<br />
»shégués« – Straßenkinder<br />
• Kinder in Gefängnissen oder in<br />
Polizeigewahrsam<br />
• Kinder als Opfer von Ausbeutung<br />
und Missbrauch<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
BICE Deutschland e.V.<br />
Vorstand:<br />
Prof. Dr.med. Peter Stingl, 1. Vorsitzender<br />
Klaus Sänger, 2. Vorsitzender<br />
Horst Buchmann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied<br />
Hubert Henninger, Schatzmeister<br />
Ordentliche Mitglieder:<br />
Irene Berger<br />
Dr. med. Michael Brünger<br />
Dr. med. Albrecht Eberth-Heldrich<br />
Lothar Hainz<br />
Gudrun Hemker<br />
Claus Hemker<br />
Peter Klein<br />
Dr. Erhard Kropp<br />
Dr. med. Ariane Küster<br />
Yves Marie-Lanoë<br />
Nicole Pierlot-Boschaert<br />
Maria Stingl<br />
4<br />
2<br />
1<br />
1<br />
23 3<br />
4<br />
4
Aus der UN-Konvention über die Rechte des<br />
Kindes<br />
Die Vertragsstaaten garantieren jedem Kind das Recht auf:<br />
Leben, Überleben und Entwicklung. (Artikel 6)<br />
Schutz vor grausamer oder erniedrigender Behandlung,<br />
Todesstrafe und lebenslanger Haft. (Artikel 37)<br />
Rechtsbeistand, faires Verfahren sowie Trennung von<br />
erwachsenen Häftlingen. (Artikel 37, 40)<br />
Freie Meinungsäußerung und das Recht, angehört zu<br />
werden. (Artikel 12)<br />
Schutz vor Gewalt, Ausbeutung, sexuellem Mißbrauch und<br />
Drogen. (Artikel 19, 33, 34)<br />
Befriedigung der Grundbedürfnisse:<br />
• angemessener Lebensstandard<br />
• Ernährung, Kleidung, Wohnung<br />
• Bildung auf der Grundlage der Chancengleichheit<br />
• medizinische Versorgung<br />
• Sport, Spiel und Freizeit<br />
(Artikel 20, 24, 25, 27, 28, 31)<br />
Familie und familiäre Kontakte. (Artikel 9)<br />
Maßnahmen zur physischen und psychischen Genesung<br />
nach Misshandlung, Vernachlässigung oder den Folgen<br />
bewaffneter Konflikte sowie Hilfe zur familiären, sozialen<br />
und beruflichen Wiedereingliederung. (Artikel 39, 40)<br />
Die afrikanischen Staaten, in denen wir uns engagieren,<br />
haben alle die UN-Konvention über die Rechte des Kindes<br />
unterzeichnet.<br />
5
Malen als Kunsttherapie und Element der psychosozialen Betreuung von Kindern,<br />
die Opfer von Krieg, Vertreibung und Gewalt wurden.<br />
6
Demokratische Republik Kongo<br />
Stadt und Provinz Kinshasa<br />
Kasaï-Provinzen<br />
Wirtschaftliche und politische Situation<br />
Die Arbeit von BICE für dieses Projekt wurde erschwert durch die unsichere politische<br />
und wirtschaftliche Lage im Kongo: werden die Präsidentschaftswahlen stattfinden?<br />
Werden sie korrekt und friedlich verlaufen? Wird es Unruhen aufgrund des Wahlboykotts<br />
einiger oppositioneller Gruppierungen geben? Wie werden sich in diesem Fall<br />
die Polizei und das Militär verhalten? Neben all diesen beunruhigenden Fragen wurde<br />
bekannt, dass es im Osten des Landes zu Massakern an der einheimischen Bevölkerung<br />
gekommen war, und dass Teile der kongolesischen Armee rebelliert hatten.<br />
An drei Tagen im August standen sich in Kinshasa die schwer bewaffnete Präsidentengarde und<br />
die Milizen des Gegenkandidaten Bema gegenüber. Die Bevölkerung geriet in Panik über den<br />
drohenden Ausbruch erneuter kriegerischer Auseinandersetzungen. Im ganzen Land wurde beunruhigt<br />
die Entwicklung in Kinshasa verfolgt. Besondere Sicherheitsmaßnahmen waren vonnöten<br />
für den zweiten Wahlgang im Oktober, aus dem Joseph Kabila als Sieger hervorging.<br />
Die politische Unsicherheit trug zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation<br />
des Landes bei. Inflation und enorme Preisanstiege waren die Folge. Grundnahrungsmittel, Transportmöglichkeiten<br />
– auch in der Vergangenheit schon schwierig – wurden völlig unerschwinglich<br />
für die immer weiter verarmende Bevölkerung.<br />
Streiks der Lehrer, Staatsbeamten, Richter, Mediziner und Krankenschwestern legten Schulen, Behörden,<br />
Gerichte und Krankenhäuser lahm. Die Streikenden forderten bessere Arbeitsbedingungen<br />
und höhere Gehälter. Die Richter beanspruchten mehr Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit vom<br />
politischen Einfluss. Durch politische und wirtschaftliche Misswirtschaft, die sich im täglichen Leben<br />
in Form von hoher Arbeitslosigkeit, nicht ausreichenden und oft unregelmäßig oder gar nicht<br />
gezahlten Gehältern auswirkte, verarmten breite Bevölkerungsschichten zunehmend.<br />
Aufgrund des Krieges im Hinterland hat sich durch die Landflucht der Bevölkerung die Einwohnerzahl<br />
Kinshasas auf rund 8 Mio. erhöht. Eine adäquate Versorgung so vieler Menschen ist nicht möglich, eine<br />
Logistik nur rudimentär vorhanden. Der Anteil der extrem notleidenden Bevölkerung nahm alarmierend<br />
zu, ebenso wie das Elend von Straßenkindern sowie das wirtschaftlich und sexuell ausgebeuteter Mädchen,<br />
die im Bereich der Häfen und ärmlichen Wohnviertel hausen.<br />
7
In Zeiten allgemeiner Verunsicherung kommen weitere Phänomene hinzu<br />
• Immer selbstbewusster auftretende Erweckerkirchen, die vom Aberglauben der Menschen profitieren<br />
und ihn noch fördern, Familien zerstören und dazu beitragen, dass Kinder als sogenannte<br />
»Hexenkinder« verstoßen werden.<br />
• Die Sicherheitslage – vor allem in Mbuji-Mayi – wird immer prekärer; junge Diamantenschürfer<br />
werden oft bei ihrem täglichen Kampf ums Überleben in den Minen misshandelt und verjagt.<br />
• Immer häufiger werden Frauen und minderjährige Mädchen in Kananga Opfer von Vergewaltigungen<br />
und sexuellen Übergriffen. Die Eltern schweigen oft aus Angst und lassen die Täter<br />
ungeschoren davonkommen.<br />
• Die extreme Armut der Haushalte in Verbindung mit dem Verlust ethischer Werte zwingt viele<br />
Eltern dazu, ihre Töchter als Prostituierte arbeiten zu lassen.<br />
• AIDS-Erkrankungen nehmen beängstigend zu.<br />
• Der Zerfall der oft noch aus der Kolonialzeit stammenden Schulen, Krankenhäuser und Straßen<br />
schreitet unaufhaltsam voran ebenso wie die Qualität von Erziehung und sozialen Dienstleistungen.<br />
Kinderrechtsverletzungen, die BICE zum Handeln<br />
auffordern<br />
Auszug aus den Empfehlungen des UN-Kinderrechtskomitees an die D.R. Kongo im Jahre 2001 (unautorisierte<br />
deutsche Übersetzung), die in direktem Bezug zu den Tätigkeitsbereichen und Zielgruppen von BICE<br />
stehen:<br />
32. Das Komitee ist sehr beunruhigt darüber, dass Kinder regelmäßig Opfer von grausamen, unmenschlichen<br />
oder erniedrigenden Handlungen sind, … , seitens der Polizei, des Militärs, der Lehrer und in der<br />
Familie selbst und bekräftigt, dass diese Handlungen eine Verletzung der <strong>Kinderrechte</strong> darstellen.<br />
36. Das Komitee stellt mit großer Sorge fest, dass der Staat sich mehr und mehr seinen Aufgaben und<br />
Verantwortungen entzieht und diese auf Eltern oder auf Personen, die de facto oder rechtlich für<br />
die Erziehung eines Kindes verantwortlich sind, überträgt …<br />
64. Das Komitee ist äußerst beunruhigt über die direkten und indirekten Folgen bewaffneter Konflikte auf<br />
praktisch alle im Staatsgebiet lebenden Kinder. … Das Komitee ist beunruhigt, ..., dass der Staat sowie<br />
andere Konfliktparteien Kinder, auch unter 15 Jahren, rekrutieren, um sie als Soldaten einzusetzen.<br />
70. Das Komitee ist sehr beunruhigt über die hohe Anzahl an Kindern, die auf der Straße leben und/oder<br />
arbeiten sowie über ihre prekäre Situation. Das Komitee ist beunruhigt, …, über die Tatsache, dass<br />
diese Kinder nicht genügend Nahrung bekommen und keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung<br />
und Bildung haben; dass sie Gefahren unterschiedlichster Art ausgesetzt sind, insbesondere<br />
im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch, Gewalt, Geschlechtskrankheiten sowie dem HIV-Virus. Das<br />
Komitee bedauert unter anderem die Tendenz im System der Strafjustiz, diese Kinder wie Straftäter zu<br />
behandeln.<br />
In den BICE Kinderschutzzentren erlernen Kinder und Jugendliche lebensnahe<br />
Fertigkeiten, die ihnen die familiäre und soziale Wiedereingliederung erleichtern.<br />
So können sie künftig auch zum Lebensunterhalt ihrer oft in großer<br />
Armut lebenden Familien beitragen.<br />
8<br />
Im Rahmen des pädagogischen Konzeptes von BICE entwickeln Kinder und<br />
Jugendliche in Gruppen- oder Einzelunterricht ihre kognitiven und kreativen<br />
Fähigkeiten. Bei Sport und Spiel erlernen sie Spielregeln für ihr Sozialverhalten,<br />
die ihnen den Rückweg in ihre Familien ebnen.
Olive – Opfer von bewaffneten Konflikten – erzählt<br />
»Ich heiße Olive, mein Vater ist kurz nach meiner Geburt gestorben. Zwei Jahre nach seinem Tod hat<br />
meine Mutter wieder geheiratet. Sie hat mich und meinen Bruder meiner Großmutter anvertraut.<br />
Bei Ausbruch des Krieges war es für uns schwierig, etwas zu essen zu finden, deshalb gingen wir zu<br />
den Soldaten und baten sie um etwas Essbares. Das blieb nicht ohne Folgen. Ich wurde schwanger.<br />
Mit 15 war mir erst gar nicht bewusst, dass ich schwanger war. Meine Großmutter merkte mir jedoch<br />
meinen Zustand an und stellte mir viele Fragen, so dass ich ihr schließlich alles erzählte. Ich konnte<br />
allerdings nicht genau sagen, wer der Vater des Kindes war.<br />
Nach einiger Zeit sind die Soldaten weitergezogen. Eine andere Rebellenarmee folgte und besetzte<br />
Kabinda. In der Nacht verließen wir die Stadt und gingen in Gruppen in die Nachbardörfer, um etwas<br />
Essbares zu finden. In der Zeit war ich noch schwanger. Eines Nachts entdeckten uns die Rebellen, sie<br />
vergewaltigten uns und zwangen uns, sie von Frontabschnitt zu Frontabschnitt zu begleiten und ihre<br />
Ausrüstung zu tragen. Das war sehr anstrengend, oft wurden wir brutal behandelt, aber wir haben<br />
durchgehalten und überlebt.<br />
Ein weiteres Unglück kam hinzu: beim Verkauf einiger Waren in Mbuji-Mayi geriet unsere Großmutter<br />
in einen Hinterhalt. Die Soldaten plünderten sie aus und schossen ihr eine Kugel in den Kopf. Sie<br />
überlebte nur durch die sofortige Operation im Krankenhaus. Aber seitdem kann sie nicht mehr arbeiten,<br />
und unser Elend wurde immer größer.<br />
Bei der Geburt meines Kindes haben sich meine Großeltern um mich gekümmert. Meine Tochter ist<br />
jetzt drei Jahre alt. Bei Ausbruch des Krieges musste ich die Schule verlassen. Heute überlebe ich mit<br />
einem kleinen Gemüse- und Obsthandel. Ich kaufe die Produkte in den Dörfern und verkaufe sie in<br />
Kabinda. So verdiene ich für mich und mein Kind den Lebensunterhalt.«<br />
Olive wurde von BICE im Rahmen seines Hilfsprogramms zur familiären und wirtschaftlichen Integration<br />
unterstützt.<br />
Alain, 12 Jahre alt, im Gefängnis<br />
»Nach dem Tod meines Vaters haben meine Großeltern und Onkel väterlicherseits meine Mutter aus<br />
dem Haus gejagt. Wir zogen dann zu meinem Großvater mütterlicherseits. Das Leben war sehr hart,<br />
wir wurden ganz elend und krank; auch die Onkel mütterlicherseits wollten uns Kinder nicht bei sich<br />
haben und jagten uns davon. Meine Mutter konnte nichts für uns tun, sie weinte nur. Da wir nicht<br />
wussten, wo wir hinsollten, sind wir auf dem Markt geblieben und haben für etwas Essbares gebettelt.<br />
Manchmal haben wir schwere Lasten getragen, um etwas Geld zu verdienen. Während der Nacht<br />
schliefen wir in Kirchenzelten oder in öffentlichen Gebäuden. Eines Tages hatte ein Mann sein Geld<br />
auf dem Markt verloren. Für ihn war klar, dass mein Bruder und ich das Geld gestohlen hatten; er ließ<br />
uns verhaften. Zuerst brachte man uns auf die Polizeistation, später ins Gefängnis. Ich wünsche mir<br />
nichts so sehr als wieder in Freiheit leben und zurück zu meinem Großvater zu können.«<br />
Eine BICE-Erzieherin betreute Alain im separaten Gefängnisgebäude für Minderjährige. Der BICE<br />
Rechtsanwalt kümmerte sich um seine Akte. Nach einem Monat revidierte der zuständige Richter<br />
sein Urteil. Alain wurde dem BICE Kinderschutzzentrum anvertraut. Dort blieb er 4 Monate. In<br />
der Zwischenzeit fanden BICE Mitarbeiter seine Mutter und arbeiteten mit der Familie mit Hilfe<br />
von Mediation die Ereignisse, die zu Alains Verhaftung führten, auf. Heute lebt Alain wieder bei<br />
seiner Mutter.<br />
9
BICEs Beitrag für eine bessere Durchsetzung<br />
elementarer <strong>Kinderrechte</strong><br />
Im Kongo entwickelt BICE ein Projekt, das »die Stärkung der Zusammenarbeit und die Bildung von<br />
Synergien zwischen den staatlichen Behörden, der Zivilgesellschaft, den Medien und den Gemeinden«<br />
zum Ziel hat, um zur Entwicklung eines <strong>Kinderrechte</strong> fördernden und schützenden Umfeldes<br />
beizutragen. Eine große Herausforderung stellt dabei die Einbeziehung all dieser Institutionen<br />
in die Projektarbeit von BICE dar. Zunächst sollten sich die Partner die verschiedenen, von BICE<br />
entwickelten Vorgehensweisen aneignen, um eine wirksame und nachhaltige Durchsetzung der<br />
Rechte von missbrauchten und vernachlässigten Kindern zu erreichen.<br />
Die Verwirklichung dieser Ziele erfordert auch eine größere Beteiligung des Staates, der Zivilgesellschaft<br />
und der Gemeinde, die sich in Form eines gewandelten Verhaltens und eines größeren<br />
Verantwortungsbewusstseins zeigt. Deshalb ist es wichtig, dass BICE vorhandene Kompetenzen<br />
bei den Partnern weiter entwickelt, sie begleitet, um dann gemeinsam das angestrebte Ziel zu<br />
erreichen.<br />
Darüber hinaus hat BICE ein Projekt für die wirtschaftliche Integration von ehemaligen Kindersoldaten<br />
und Jugendlichen – Opfer des Bürgerkrieges im Kongo – initiiert. Mädchen gilt dabei die<br />
besondere Unterstützung.<br />
Die wichtigsten Ergebnisse des BICE-Engagements »Soziale und wirtschaftliche Reintegration von<br />
ehemaligen Kindersoldaten und von Kindern als Opfer bewaffneter Konflikte«:<br />
• Beitrag zur Reform des Jugendstrafrechts; der Staat hat mittlerweile das Volljährigkeitsalter von<br />
16 auf 18 Jahre angehoben.<br />
• Weiterbildung von 24 Sozialarbeitern, 53 Staatsbeamten und 92 Gemeinderäten zum Thema<br />
Rechtsbeistand und <strong>Kinderrechte</strong><br />
• 342 Partner erhielten die von BICE erarbeitete Gesetzessammlung zu ehemaligen Kindersoldaten<br />
und Kindern als Opfer von bewaffneten Konflikten<br />
• 787 Kinder wurden psychosozial betreut und erhielten Rechtsbeistand in Polizeigewahrsam, vor<br />
Gericht und im Gefängnis<br />
• 224 sogenannte Hexenkinder und 138 Mädchen, Opfer von sexueller/m Ausbeutung und Missbrauch,<br />
sowie 157 Kinderarbeiter wurden psychosozial betreut<br />
• 140 Kinder wurden durchschnittlich 5 bis 6 Monate in den BICE Kinderschutzzentren betreut und<br />
anschließend wieder in ihre Familien integriert.<br />
Ende des Demobilisierungsprozesses in den beiden Kasaï-Provinzen Im September <strong>2006</strong> wurden die<br />
letzten aus der Armee entlassenen ehemaligen Kindersoldaten, die in den von BICE errichteten<br />
Dörfern des Friedens betreut wurden, in ihre Familien zurückgeführt. Die verschiedenen auf dem<br />
Gebiet der Demokratischen Republik Kongo operierenden bewaffneten Milizen wurden zusammengeführt.<br />
Die Aktionen zur Demobilisierung fanden damit ein Ende. Kinderschutzorganisationen,<br />
allen voran BICE, beklagen allerdings das Verhalten einiger Militärs, die im Widerspruch zum<br />
erklärten politischen Willen weiterhin Kinder in ihren Einheiten verstecken und als Soldaten missbrauchen.<br />
In der Zwischenzeit sind aus den Kindern oft Erwachsene geworden. Das Entwaffnungs-,<br />
Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm erreicht sie daher nicht mehr. Vielleicht profitieren<br />
sie von den Verfügungen, die für Erwachsene vorgesehen sind; jedoch sehen diese weder<br />
eine psychosoziale Betreuung noch Grund- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen vor, die ihnen eine<br />
Verarbeitung ihrer traumatischen Kriegserlebnisse ermöglichen und eine Rückkehr in die zivile<br />
Gesellschaft erleichtern.<br />
10
Die wirtschaftliche Wiedereingliederung von ehemaligen Kindersoldaten und von Kindern als Opfer von<br />
bewaffneten Konflikten: eine große Herausforderung für die Zukunft. Nach 3 Monaten im Dorf des<br />
Friedens von BICE, in dem sie lernten, Konflikte friedlich zu lösen und auf ihr ziviles Leben vorbereitet<br />
wurden, erwarteten die Jugendlichen, dass die Erwachsenen, die sie betreuten, ihre Versprechen einhalten<br />
würden. Das heißt: sie erwarteten eine solide berufliche Ausbildung und eine Unterstützung für<br />
den Start eines Kleingewerbes. BICE hat 210 Jugendlichen (Jungen und Mädchen) eine berufliche Ausbildung<br />
ermöglicht. Sie konnten die Berufsrichtung wählen: Landwirtschaft, Fischfang, Jagd, Bäcker-,<br />
Schneider-, Friseurhandwerk, Herstellung von Seife, Mechanik, Schreinerhandwerk – je nach Interesse<br />
und den Ausbildungsgegebenheiten vor Ort. Die Betreuung der Kinder und Jugendlichen, durch die<br />
Kriegsereignisse in den beiden Kasaï-Provinzen verstreut, war besonders schwierig. Die bereits früher<br />
nur rudimentär vorhandene Infrastruktur – nun durch den Krieg völlig zerstört und verwüstet<br />
– erschwerte die Aufgabe ganz erheblich. Insbesondere die tägliche Grundversorgung während ihrer<br />
Ausbildung war eine logistische Herausforderung. Aufgrund der Transportprobleme konnten auch die<br />
Lieferungen durch den Projektpartner PAM (Welternährungsprogramm) nicht durchgeführt werden.<br />
Die allgemeine Verarmung und Verelendung der Zivilgesellschaft ist für die wirtschaftliche und soziale<br />
Wiedereingliederung der Jugendlichen besonders nachteilig, einige von ihnen sind frustriert und enttäuscht;<br />
sie träumten von einem besseren Leben!<br />
Der Staat übernimmt von BICE Verantwortung bei neuen Aktionen zugunsten von Kindern in Gefängnissen<br />
und Polizeigewahrsam. In Kinshasa wie auch in Kananga wurden Beamte der Justizabteilung<br />
berufen, um die Polizeikommissariate regelmäßig zu besuchen und darauf zu achten, dass die<br />
Behandlung der einer Straftat verdächtigten Kinder und Jugendlichen mit dem Gesetz und den<br />
internationalen Normen, die der Staat ratifiziert hat, im Einklang steht. <strong>2006</strong> begannen BICE<br />
Mitarbeiter mit den Beamten in der Hoffnung zusammenzuarbeiten, dass sie ihnen – sobald sie<br />
gut ausgebildet und eingearbeitet sind – diese Aufgabe überlassen können. Dies gilt auch für den<br />
Jugendtrakt des Gefängnisses von Mbuji-Mayi, in dem ein Beamter der Justizabteilung nun ständig<br />
anwesend ist, um die gesetzmäßige Betreuung der minderjährigen Häftlinge zu gewährleisten.<br />
BICE schult und begleitet ihn für diese Aufgabe insbesondere im Hinblick auf: aktives Zuhören,<br />
alternative Grunderziehung, Vorbereitung der familiären und sozialen Reintegration der Kinder.<br />
Eine Schwierigkeit besteht allerdings: der Material- und Finanzmangel dieser Behörden sowie die<br />
unzureichende Bezahlung der Beamten. BICE hat sich dazu entschlossen, sie zu motivieren und<br />
unterstützt sie mit Fahrrädern für den Transport zu und von den Kommissariaten sowie mit einer<br />
kleinen Geldprämie zur Aufstockung des kargen Lohnes.<br />
Nicht allein das Alter ist wichtig: die Junior-Kinderrechtskomitees machen den Erwachsenen etwas<br />
vor! In Mbuji-Mayi gibt es 50 bis 60 Jugendliche (Jungen und Mädchen), die aktiv im von BICE<br />
In den BICE Kinderschutzzentren oder bei der offenen Sozialarbeit auf der<br />
Straße fassen Kinder und Jugendliche wieder zu sich und anderen Vertrauen.<br />
Sie werden psychosozial betreut, erhalten regelmäßige und ausreichende<br />
Mahlzeiten, nehmen an kulturellen und sportlichen Aktivitäten teil. Mädchen<br />
11<br />
werden von BICE beruflich gefördert und spielen Fußball. Ihr Selbstbewusstsein<br />
und ihr Selbstwertgefühl werden gestärkt. Nach und nach sehen sie für<br />
sich Chancen auf eine bessere Zukunft.
initiierten örtlichen Kinderrechtskomitee mitarbeiten, 90 sind es während der Ferien. Sie sind in<br />
10 Schulen gegangen und haben dort ihre Schulkameraden über die Internationale Kinderrechtskonvention<br />
informiert. Während des Wahlkampfes haben sie die zuständigen Behörden sensibilisiert,<br />
um zu vermeiden, dass Kinder von Kandidaten für ihre politischen Zwecke missbraucht und<br />
manipuliert werden. Sie haben zahlreiche Konferenzen und Radiosendungen zum Thema <strong>Kinderrechte</strong><br />
sowie zur Bedeutung der Ausbildung von Mädchen organisiert und deren Gleichberechtigung<br />
gefordert. Sie haben Theatersketche zu diesen Themen aufgeführt, um ein möglichst breites<br />
Publikum zu erreichen und um zu verhindern, dass von Erwachsenen manipulierte Kinder wie in<br />
2004 Opfer brutaler Gewalt werden. Sie haben sich als Gruppen organisiert und die Aufgaben unter<br />
sich aufgeteilt.<br />
3 junge Mitglieder des Junior-Kinderrechtskomitees berichten. Patrick, Dorkas und Tirmel besuchen<br />
das Gymnasium und sind seit mehr als einem Jahr Mitglied des Kinderschutzkomittees in Mbuji-<br />
Mayi.<br />
»BICE-Mitarbeiter haben uns über für uns wichtige Themen aufgeklärt. Sie haben uns auch den Vorschlag<br />
gemacht, ein Junior-Kinderrechtskomittee zu gründen. Das hat uns gefallen. Wir freuen uns<br />
darüber, wenn man über unsere Rechte spricht, aber wir kennen auch unsere Pflichten. Die Aufklärungskampagnen<br />
haben uns bereichert: wir kommen besser im Leben zurecht. Wir können mit unseren<br />
Emotionen umgehen, wägen pro und contra ab, bevor wir eine Entscheidung treffen, und trauen<br />
uns, gegen eine falsche Entscheidung eines Erwachsenen vorzugehen. Ein Beispiel: früher bestrafte<br />
der Rektor des Gymnasiums zu spät zum Unterricht erscheinende Schüler damit, dass sie stundenlang<br />
draußen in der prallen Sonne stehen mussten, mittlerweile fragt er erst nach den Gründen für die<br />
Verspätung und trifft dann eine gerechtere Entscheidung. In unseren Kinderschutzkomitees fördern<br />
wir die Kameradschaft zwischen Jungen und Mädchen; die Mädchen tendieren dazu, sich aus traditionellen<br />
Gründen minderwertig zu fühlen. 2007 setzen wir uns besonders gegen die sexuelle Gewalt<br />
gegenüber Mädchen und für eine systematische Registrierung aller Kinder im Geburtsregister ein.«<br />
Ein Journalistennetzwerk »Freunde der Kinder« in Kinshasa, Kananga und Mbuji-Mayi Die Unterstützung<br />
der Medien bei der Förderung und Durchsetzung elementarer <strong>Kinderrechte</strong>, der Sensibilisierung<br />
der breiten Öffentlichkeit, der Abschaffung von einigen verhängnisvollen traditionnellen<br />
Riten und Praktiken ist für die BICE-Teams normaler Alltag geworden. <strong>2006</strong> ging BICE jedoch noch<br />
einen Schritt weiter, um die Journalisten selbst für die Sache der Kinder zu gewinnen. Zu diesem<br />
Zweck wurden Journalisten der größten Fernseh- und Radiosender sowie der Presse zu einem<br />
Weiterbildungsseminar eingeladen. Seither engagieren sich viele Journalisten noch mehr für die<br />
Rechte der Kinder. Alle Radiosender haben nun regelmäßige Sendungen mit BICE Mitarbeitern,<br />
den Mitgliedern der Kinderrechtskomitees, den Eltern und Kindern. Die Sendungen mit einer Live-<br />
Telefonschaltung sind besonders beliebt bei den Zuhörern.<br />
Eine erfolgreiche berufliche Ausbildung, schulische sowie soziale Wiedereingliederung ehemaliger<br />
Kindersoldaten oder Kinder als Opfer bewaffneter Konflikte sind wichtige Eckpfeiler für den Frieden<br />
und die Zukunft des Landes.<br />
12
Herausforderungen für die Zukunft<br />
Mädchen und Frauen als Opfer sexueller Gewalt in den beiden Kasaï-Provinzen Durch den Krieg und<br />
die Präsenz von Soldaten und Kämpfern in diesen beiden Provinzen ist die Rate sexueller Gewalt<br />
an Mädchen und Frauen stark angestiegen. Auch nach Ende des Krieges wurde dieses Problem<br />
– anders als erwartet – nicht geringer. Die verbreitete faktische Straffreiheit der Täter ist wahrscheinlich<br />
einer der Gründe. Angesichts der Tragweite des Problems hat der kongolesische Staat<br />
strengere Gesetze in diesem Bereich erlassen. BICE hat sich ebenfalls für den Kampf gegen diese<br />
Geißel engagiert: Aufklärung der Öffentlichkeit über Radio, Hilfe für die Opfer und bei der Strafverfolgung.<br />
2007 wird BICE seine Arbeit intensivieren und Polizeibeamte und Richter, die bisher<br />
recht lässig mit den Tätern umgingen, weiterbilden und auf systematische und strikte Strafverfolgung<br />
drängen.<br />
Verbreitung des neuen Gesetzes für den Schutz von Kindern Nach Verabschiedung der neuen Kinder-<br />
und Jugendschutzgesetze wird BICE für die Bekanntmachung bei Polizei- und Justizbehörden<br />
sorgen und eine Weiterbildung zur konsequenten Anwendung der neuen Verfügungen anbieten.<br />
Die soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung der ehemaligen Kindersoldaten und Kinder als<br />
Opfer von bewaffneten Konflikten bleibt ebenfalls eine der Prioritäten von BICE.<br />
Das von BICE initiierte und erbaute Dorf des Friedens Bupolé diente in den<br />
vergangenen Jahren der sozialen und familiären Wiedereingliederung ehemaliger<br />
Kindersoldaten. Heute gibt es Kindern, die als Hexenkinder von ihren<br />
13<br />
Familien verstoßen und auf der Straße gestrandet sind, Schutz und Obdach.<br />
Die Kinder sind stolz darauf, im Dorf des Friedens in Sicherheit leben zu können<br />
und bringen sich im Unterricht und bei anfallenden Aufgaben gerne ein.
Singen, Tanzen, Spielen. In der familienähnlichen Gemeinschaft der BICE Kinderschutzzentren<br />
erleben Kinder wieder ein Stück Zuhause und Geborgenheit,<br />
überwinden Ängste und erfahren Hilfe, um die Schwierigkeiten der Zukunft zu<br />
meistern.<br />
14
Elfenbeinküste<br />
Wirtschaftliche und politische Situation<br />
Der fehlgeschlagene Putschversuch im September 2002, die anschließende Rebellion der Armee<br />
und die Besetzung von mehr als 60 % des Landes haben eine noch nie dagewesene wirtschaftliche<br />
und humanitäre Krise in der Elfenbeinküste heraufbeschworen. Mehr als eine Million Flüchtlinge<br />
aus den besetzten Regionen retteten sich in die von den Regierungstruppen kontrollierten Gebiete.<br />
Mehr als 600 000 Ausländer verließen das Land. Aufgrund von »Säuberungsaktionen« in<br />
der Hauptstadt Abidjan wurden mehr als 200 000 Menschen aus ihren Wohnvierteln vertrieben.<br />
Die Ereignisse hatten einen völligen Zusammenbruch der Wirtschaft, des Schulsystems, des Gesundheitswesens<br />
und der Verwaltung zur Folge. Die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung<br />
verschlechterte sich immer mehr, betroffen waren vor allem Kinder und Frauen aus den Kriegsgebieten.<br />
Seither hat sich die Situation ständig verschlimmert. Es herrscht ein Zustand des »weder Krieg<br />
noch Frieden« und der allgemeinen Verunsicherung. Gewalt und Übergriffe sind an der Tagesordnung.<br />
Opfer ist die Zivilbevölkerung - vor allem Kinder. Die wirtschaftliche Situation bleibt<br />
prekär. Soziale Errungenschaften sind auf der Strecke geblieben, die Verelendung greift um sich.<br />
In Zeiten sich auflösender Strukturen erstarkt der Aberglaube: Kinder werden als »Hexenkinder«<br />
gebrandmarkt und von der Familie verstoßen. Sie landen auf der Straße, wo sie beim täglichen<br />
Überlebenskampf aufgrund der Sicherheitslage großen Gefahren ausgesetzt sind.<br />
Mit den für <strong>2006</strong> vorgesehenen Präsidentschaftswahlen hoffte die Bevölkerung der Elfenbeinküste<br />
auf eine Beilegung der Krise. Die Fronten blieben jedoch verhärtet, wobei besonders die Entwaffnung<br />
und die Erfassung der Wahlberechtigten jeden Vermittlungsversuch blockierten und für 2007<br />
wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage ließen. Wie in den Jahren zuvor lieferten sich<br />
die gegnerischen Gruppierungen gewalttätige Straßenkämpfe. Die Umweltkatastrophe im August,<br />
durch giftige Müllablagerungen hervorgerufen, hat Tote und Verletzte gefordert und bei der Bevölkerung<br />
Abidjans tiefe Spuren, Wut und Ängste hinterlassen.<br />
15
Kinderrechtsverletzungen, die BICE zum Handeln auffordern<br />
Auszüge aus den Empfehlungen des UN-Kinderrechtskomitees an die Elfenbeinküste im Jahre 2001 (unautorisierte<br />
deutsche Übersetzung), die in direktem Bezug zu den Tätigkeitsbereichen und Zielgruppen von<br />
BICE stehen:<br />
46. ... das Komitee ist beunruhigt über die Situation von Kindern mit körperlichen und geistigen<br />
Behinderungen, insbesondere über ihren begrenzten Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Bildung und<br />
Arbeit. Das Komitee stellt zudem mit Beunruhigung fest, dass die schlechten sanitären Bedingungen<br />
sowie die Armut zu einer steigenden Anzahl von Kindern mit Behinderungen führen.<br />
53. Das Komitee stellt mit Sorge fest, dass Kinderarbeit in der Elfenbeinküste eine übliche Praktik darstellt,<br />
und Kinder zu langen Arbeitstagen gezwungen sein können, was nachteilig für ihre Entwicklung<br />
und Schulausbildung ist.<br />
57. Das Komitee begrüßt die Erstellung eines nationalen Programms zur Eingliederung und Resozialisierung<br />
von Straßenkindern, bleibt aufgrund der zunehmenden Anzahl von Kindern, die auf der Straße<br />
leben, jedoch weiterhin beunruhigt.<br />
61. ....das Komitee bleibt beunruhigt aufgrund der geringen Fortschritte, die beim Aufbau eines funktionsfähigen<br />
Systems zur Jugendgerichtsbarkeit im Land erzielt wurden. Es ist beunruhigt über<br />
die geringe Anzahl an Jugendgerichten, Jugendrichtern und Sozialarbeitern, ... die schlechten<br />
Haftbedingungen, ..., das exzessive Zurückgreifen auf die Untersuchungshaft, das sehr niedrig angesetzte<br />
Mindestalter für die Straffähigkeit (10 Jahre), die langen Wartezeiten vor Prozessbeginn<br />
und die fehlende Wiedereingliederungshilfe für Minderjährige nach einem Gerichtsverfahren.<br />
Ismaël wird im BICE Kinderschutzzentrum CREA (Centre de Réhabiliation Erb Aloïs) als Alternative zur<br />
Haft betreut<br />
»Ich heiße Ismaël und bin 16 Jahre alt. Als meine Eltern starben, bin ich zu meiner Großmutter<br />
gegangen und habe eine Ausbildung als Mechaniker begonnen. Nach einigen Monaten habe ich diese<br />
abgebrochen, weil sie mir zu schwierig war. Ich bin zur Schwester meines Vaters gezogen. Aufgrund<br />
einiger Schwierigkeiten habe ich ihr Geld gestohlen. Anschließend bin ich bei meinem Freund untergekommen<br />
und suchte Arbeit. Ich konnte in einem kleinen Imbiss anfangen. Der Imbissbesitzer versprach<br />
mir für meine Arbeit FCFA 30.000 (EUR 46) im Monat. Ich habe drei Monate gearbeitet, Geld<br />
habe ich allerdings keins bekommen. Um mich zu rächen, stahl ich 10 Kisten mit Fisch. Als mein Arbeitgeber<br />
dies erfuhr, rief er die Polizei. Ich wurde auf die Polizeistation, vor Gericht und schließlich<br />
ins Gefängnis gebracht. Ich war über das, was mir alles passierte, sehr verbittert. Dank des Einsatzes<br />
der BICE Mitarbeiter wurde ich aus dem Gefängnis entlassen und im BICE Kinderschutzzentrum CREA<br />
(als Alternative zur Haft) aufgenommen. Ich will mich ändern und ein Handwerk erlernen.«<br />
Ismaël hat sich gut im Rehabilitationszentrum eingelebt. Er lernte einige Handwerksberufe kennen<br />
und entschied sich für eine Schneiderlehre. Ismaël hat wieder Kontakt zu seiner Familie aufgenommen,<br />
verbringt die Wochenenden bei seiner Tante oder wird von ihr im Zentrum besucht.<br />
Die Zeremonie zur Einweihung der Beratungsräume für Minderjährige und ihre<br />
Familien bei der Sonderabteilung für Jugendliche bei der Polizei in Abidjan<br />
wurde genutzt, um für eine Verbesserung in der Betreuung von minderjähreigen<br />
Straftätern sowie Opfern von Straftätern bei der Polizei zu werben.<br />
Durch die Erneuerung der Räumlichkeiten im staatlichen Zentrum für strafverdächtige<br />
Jugendliche in Abidjan wurden saubere und hellere Schlafgelegenheiten<br />
geschaffen. Die im Zentrum untergebrachten Minderjährigen müssen<br />
nun nicht mehr, wie vorher oft der Fall, auf dem nackten Boden schlafen.<br />
16
BICEs Beitrag zur besseren Durchsetzung elementarer<br />
<strong>Kinderrechte</strong><br />
Förderung und Durchsetzung elementarer Rechte von Kindern im Gefängnis oder in Polizeigewahrsam<br />
Die wichtigsten Ergebnisse des BICE Engagements:<br />
• Mehr als 500 Kinder in Gefängnissen wurden psychosozial betreut, erhielten regelmäßig ausreichende<br />
Mahlzeiten und Zugang zu Hygiene und Gesundheitsfürsorge.<br />
• Mehr als 350 mit dem Gesetz in Konflikt geratene Kinder sowie 70 Mädchen und junge Mütter<br />
erhielten von BICE Rechtsbeistand und –beratung.<br />
• Bei 93 Fällen von strafverdächtigen Kindern und Jugendlichen konnten 73 auf gütliche Weise in<br />
Form eines Täter-Opfer-Ausgleichs geregelt werden.<br />
• Renovierung und Umwandlung eines Gefängnisgebäudes in Agboville in einen Kinder- und Jugendtrakt.<br />
Durchsetzung und Schutz von <strong>Kinderrechte</strong>n bei der Sonderabteilung für Kinder und Jugendliche der<br />
Polizei BICEs Engagement beim Sicherheitsministerium und dem Polizeipräsidium führte dazu,<br />
Empfangs- und Beratungsräume für Minderjährige und ihre Familien bei der Sonderabteilung für<br />
Jugendliche bei der Polizei in Abidjan zu errichten. Dank der neuen Räumlichkeiten verfügen die<br />
Sozialarbeiter nun nicht nur über einen angemessenen Arbeitsplatz, sie können auch eine bessere<br />
Betreuung von minderjährigen Straftätern sowie Opfern von Straftaten und deren Angehörige bei<br />
der Polizei gewährleisten.<br />
Verbesserung der Haftbedingungen für minderjährige Häftlinge Die gute Zusammenarbeit zwischen<br />
den Justizbehörden von Agboville und BICE ermöglichte die Renovierung und Umwandlung eines<br />
Nebengebäudes des Gefängnisses in einen Trakt für Kinder und Jugendliche. So konnten endlich<br />
minderjährige von erwachsenen Häftlingen getrennt untergebracht werden, was den nationalen<br />
und internationalen Normen und Verfügungen zum Jugendstrafrecht entspricht. Es entstanden<br />
helle und saubere Räume mit neuen Schlafstellen und sanitären Einrichtungen. Sexuelle Übergriffe,<br />
Missbrauch und Schikanen von erwachsenen Sträflingen können so verhindert werden.<br />
Giftige Müllablagerungen erforderten von BICE schnelles Handeln Bei der Entdeckung des direkt hinter<br />
dem Zentralgefängnis (MACA) von Abidjan abgelagerten Giftmülls setzte sich BICE sofort für den<br />
Schutz von inhaftierten Kindern, schwangeren Frauen und Müttern mit ihren Kleinkindern ein.<br />
BICE drängte auf eine sofortige Evakuierung und half mit logistischer Unterstützung: Transport<br />
von 60 minderjährigen Häftlingen in andere Gefängnisse, Aufnahme von 28 strafverdächtigen<br />
Kindern ins BICE Kinderschutzzentrum CREA, Versorgung von 14 schwangeren Frauen und Müttern<br />
mit Kleinkindern mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Schutzutensilien, Transportmöglichkeiten<br />
für Jugendrichter, um zu den verlegten minderjährigen Häftlingen zu gelangen. Alle diese<br />
Maßnahmen wurden durch den schnellen und entschlossenen Einsatz von BICE Mitarbeitern vor<br />
Ort ermöglicht.<br />
Mitglieder von Jugendvereinigungen informieren sich über <strong>Kinderrechte</strong> Zur besseren Einbindung von<br />
Kindern und Jugendlichen in die Arbeit für den Schutz und die Förderung von <strong>Kinderrechte</strong>n hat<br />
BICE die Zusammenarbeit mit aktiven Jugendverbänden gesucht. Im April <strong>2006</strong> entstand daraus<br />
eine Weiterbildung zum Thema <strong>Kinderrechte</strong>, an der Jugendvertreter teilnahmen. Während des<br />
Seminars wurden von den Teilnehmern Möglichkeiten erörtert, inwieweit ihre Vereinigungen stärker<br />
in den Prozess einer <strong>Kinderrechte</strong> schützenden und fördernden Umwelt in der Elfenbeinküste<br />
integriert werden können. Sie begrüßten mögliche gemeinsame Aktionen zur Sensibilisierung der<br />
Öffentlichkeit und schlugen die Bildung eines Komitees vor, das die Entwicklung dieses Prozesses<br />
beobachtet. In der Folge gründeten zwei Vereinigungen im Rahmen ihrer Tätigkeiten ein Kinderschutzkomitee.<br />
17
Einführung eines neuen Pädagogikkonzeptes im BICE Kinderschutzzentrum CREA <strong>2006</strong> wurde ein neues,<br />
auf den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen basierendes pädagogisches Konzept zur<br />
Betreuung der Kinder im Kinderschutzzentrum CREA erarbeitet. Alle im Zentrum durchgeführten<br />
Maßnahmen wurden inhaltlich und zeitlich neu organisiert, alle Kinder, Erzieher und Berufsausbilder<br />
spielen eine aktive Rolle bei der Umsetzung der verschiedenen Aktivitäten.<br />
Die Ergebnisse des Jahres <strong>2006</strong> zeigen einen positiven Einfluss des neuen Erziehungskonzeptes:<br />
die Ausreißerquote hat sich deutlich verringert, in den Werkstätten zeigen die Kinder eine höhere<br />
Ausdauer und erscheinen pünktlich zur Arbeit; auch die Gewaltbereitschaft ist stark zurückgegangen.<br />
Publikation »Kinder der Elfenbeinküste« Zur Information der Öffentlichkeit über <strong>Kinderrechte</strong> und<br />
die Situation von Kindern in der Elfenbeinküste sowie zum Austausch von Erfahrungen unter den<br />
<strong>Kinderrechte</strong> fördernden Institutionen hat BICE eine Publikation »Kinder der Elfenbeinküste«<br />
herausgegeben. Diese Publikation ist gratis und kommt in der praktischen Arbeit zum Einsatz. Sie<br />
wird alle drei Monate in 500 Exemplaren veröffentlicht. Die drei ersten Nummern beschäftigten<br />
sich mit der Unterstützung von strafverdächtigen Kindern und Jugendlichen, dem Schutz von<br />
misshandelten und der Betreuung von drogenabhängigen Kindern. Das Interesse an dieser Publikation<br />
war sehr groß und die Reaktionen durchweg positiv.<br />
Grüne Hotline »SOS Kinder in Notsituationen« Seit 2004 hat BICE eine Rufnummer »SOS Kinder in<br />
Notsituationen« in Zusammenarbeit mit der Telecom Elfenbeinküste eingerichtet. Diese Rufnummer<br />
ist an allen Tagen erreichbar – 24 Stunden lang. Der Anruf ist gratis und wird von BICE<br />
Mitarbeitern im Kinderschutzzentrum CREA beantwortet. Sie betreuen Kinder und Jugendliche in<br />
Notsituationen, z.B. in Fällen von Vergewaltigung, Misshandlungen, Entführungen, wirtschaftlicher<br />
und sexueller Ausbeutung. Vom 1. Januar bis 31. Dezember <strong>2006</strong> suchten und fanden über<br />
tausend Kinder in Not Hilfe über diese Hotline.<br />
Zukünftige Herausforderungen<br />
• Weiterbildung von 60 Polizeibeamten in Abidjan und anderen Regionen der Elfenbeinküste zum<br />
Thema »Förderung und Schutz der Rechte von Kindern, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten<br />
sind«.<br />
• Einrichtung eines geschlossenen Kinder- und Jugendschutzzentrums beim Polizeipräsidium in<br />
Abidjan<br />
• Durchführung einer Tagung für Juristen (Richter, Staatsanwälte) zur Erörterung aktueller Probleme<br />
in der Jugendgerichtsbarkeit und zum Erfahrungsaustausch mit dem Ziel, die Zusammenarbeit<br />
zwischen den verschiedenen Akteuren der Jugendgerichtsbarkeit zu verbessern und somit einen<br />
besseren Schutz der Minderjährigen zu gewährleisten.<br />
Die Grüne Hotline »SOS Kinder in Not«: BICE richtete zum besseren Schutz<br />
der Rechte von Kindern eine Hotline ein, an die sich Kinder in Not und<br />
Erwachsene, die Fälle von Missbrauch und Gewalt an Kindern melden wollen,<br />
wenden können.<br />
Die im BICE Kinderschutzzentrum betreuten Haushaltshilfen erinnern mit<br />
einem Aufdruck auf ihren T-Shirts die Erwachsenen daran, dass auch junge<br />
Haushaltshilfen das Recht auf Kindheit haben. Sie haben das Recht auf Wohlbefinden<br />
und Glück, auf Ausbildung, auf Spiel und Sport.<br />
18
Straßenkinder, Opfer von familiären und bewaffneten<br />
Konflikten<br />
Aissia, Opfer einer Zwangsheirat, erzählt<br />
»Ich heiße Assia und bin 14 Jahre alt. Ich bin bei meinen muslimischen Eltern aufgewachsen. Mein<br />
Vater starb 2001 nach einer langen Krankheit. Er hatte viele muslimische Freunde, einer davon war<br />
Moussa, Muezzin der Moschee unseres Viertels. Er war zu meiner Mutter und mir immer sehr freundlich<br />
und gab uns etwas Geld. Er bezahlte auch mein Schulgeld sowie Hefte und Bücher.<br />
Eines Tages fragte er mich, ob ich ihn heiraten würde. Ich lehnte ab. Meine Mutter aber hielt den<br />
Kontakt zu ihm aufrecht. Er kam jeden Tag ins Haus und gab ihr weiter Geld. Am 31. August <strong>2006</strong><br />
brachte mich meine Mutter zu einer alten Frau in unserem Viertel. Sie wusch mich, kleidete mich<br />
neu ein und brachte mich um 21 Uhr zu Moussa. Als wir dort ankamen, war er noch nicht zu Hause.<br />
Die alte Frau sperrte mich in seinem Haus ein und verschwand. Ich schlief, als Moussa zurückkam.<br />
Meine Freunde, die wussten, dass ich nicht heiraten wollte, erfuhren davon und benachrichtigten<br />
Sozialarbeiter von BICE. Die kamen auch sofort und brachten mich zur Polizei und anschließend ins<br />
BICE Kinderschutzzentrum.«<br />
BICE setzte sich für die Rechte dieses jungen Mädchens ein und nach einer Mediation zwischen<br />
den Parteien wurde die Heirat annulliert. Assia blieb einige Zeit im Zentrum und wurde zur Bewältigung<br />
ihres erlittenen Traumas psychosozial betreut.<br />
Die wichtigsten Ergebnisse des BICE Engagements<br />
• 193 Kinder (111 Jungen – 82 Mädchen) unter 15 Jahren wurden im BICE Kinderschutzzentrum<br />
betreut, wobei die Rate der zu betreuenden Mädchen ansteigt.<br />
• Für 100 von 193 Kindern sind Misshandlungen der Grund für ihr Leben auf der Straße.<br />
• 681 Kinder (565 Jungen – 116 Mädchen) wurden im BICE Kinderschutzzentrum von Adjamé<br />
betreut.<br />
• 115 Kinder (75 Jungen – 40 Mädchen) haben an Alphabetisierungskursen teilgenommen.<br />
• Insgesamt 125 Kinder wurden in ihre Familien in Abidjan, in der Provinz und in den angrenzenden<br />
Ländern zurückgeführt.<br />
BICEs Kampf gegen Gewalt an Kindern in der Elfenbeinküste BICE setzt sich in vorderster Front sowohl<br />
gegen häusliche Gewalt als auch gegen Gewalt an Kindern auf den Straßen ein. Diese Formen der<br />
Gewalt nehmen immer mehr zu, allerdings liegen keine genauen Zahlen vor. Die Möglichkeiten<br />
des Staates – insbesondere der Polizei – gegen diese Gewalt vorzugehen, sind eingeschränkt. Er<br />
ist auf die Unterstützung der Institutionen der Vereinten Nationen, anderer internationaler Vereinigungen<br />
und Nichtregierungsorganisationen angewiesen.<br />
Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit 12 Radio- und Fernsehsendungen wurden zu folgenden<br />
Themen ausgestrahlt: die Situation junger Haushaltshilfen, das Phänomen der Straßenkinder,<br />
Gewalt an Kindern, Vernachlässigung, Fragen der Erziehung und die Aktionen von BICE in der<br />
Elfenbeinküste. Diese Sendungen hatten großen Erfolg wie zahlreiche Telefonanrufe in den Sendern<br />
bewiesen. Die Aufklärungskampagnen haben dazu beigetragen, dass sich das Verhalten der<br />
Gesellschaft hinsichtlich der Rechte der Kinder, insbesondere der junger Haushaltshilfen, langsam<br />
verändert. Inzwischen kommt es häufig vor, dass Kinderrechtsverletzungen BICE angezeigt werden.<br />
Beteiligung der Kinderschutzkomitees, der Sonderabteilung für Kinder und Jugendliche bei der Polizei<br />
und der Sozialzentren an diesem Kampf In 6 Stadtvierteln Abidjans sind Komitees zur Förderung<br />
und Durchsetzung von <strong>Kinderrechte</strong>n aktiv tätig. Sie setzen sich für eine familiäre Wiedereingliederung<br />
und Mediation sowie für Hygiene- und Gesundheitsfürsorge ein. <strong>2006</strong> sorgten sie dafür,<br />
dass 93 Kinder in besonderen Notsituationen in BICE Sozialzentren aufgenommen und betreut<br />
wurden. In diesen Kinderschutzkomitees sind ehrenamtliche Mitarbeiter, aber auch staatliche Sozialarbeiter<br />
tätig. BICE arbeitet seit Jahren gut mit der Sonderabteilung der Polizei für Kinder und<br />
Jugendliche zusammen. Der wachhabende Beamte wendet sich in Fällen von Gewalt an Kindern<br />
oder Kinderhandel regelmäßig an BICE (77 von 193 betreuten Kindern im BICE Kinderschutzzentrum<br />
kamen über diese Sonderabteilung).<br />
19
Ein Netzwerk zum Schutz von Straßenkindern<br />
Auf Initiative von BICE schlossen sich im April <strong>2006</strong> verschiedene Institutionen zu einem Netzwerk<br />
zum Schutz von Straßenkindern zusammen: 4 Sozialzentren, das Rote Kreuz, das Sozialzentrum<br />
von Adjamé, die muslimische Vereinigung AMSCI, Vereinigungen der Stadtviertel, Anführer<br />
der ethnischen Gruppen, 2 Schulen, die Gemeinde von Adjamé, katholische Pfadfinder und BICE.<br />
Rund um den 16. Juni <strong>2006</strong> (Tag des afrikanischen Kindes) organisierte dieses Netzwerk:<br />
• Eine Demonstration der Kinder für ihre Rechte in den Straßen von Adjamé.<br />
• Eine Kampagne zur Sensibilisierung und stärkeren Einbindung der staatlichen Stellen in den<br />
Schutz für Kinder.<br />
• Die Überreichung der <strong>Afrika</strong>nischen Charta zu Rechten und zum Wohlergehen von Kindern sowie<br />
von gemalten Kinderbildern an Vertreter staatlicher Institutionen.<br />
• Ein Fußballspiel und Informationsstände.<br />
Diese Veranstaltung fand bei Presse und Fernsehen großes Interesse und wurde landesweit übertragen.<br />
Zukünftige Herausforderungen<br />
Bei der Betreuung der Familien, die ihre Kinder wieder aufgenommen haben, zeigt es sich, dass<br />
die soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung der Kinder nur zögernd vorankommt. Einer der<br />
Gründe ist sicherlich die wirtschaftliche Not der Eltern, aber auch ein fehlendes soziales Netzwerk.<br />
Daher stellt sich für BICE die Aufgabe, sowohl die Kinder als auch deren Eltern zu unterstützen.<br />
Ausserdem haben einige Kinder ihrer Familie und Sozialeinrichtungen endgültig den Rücken gekehrt.<br />
Für sie ist die Straße der beste Platz, dort fühlen sie sich wohl. Alle Maßnahmen, die darauf<br />
abzielen, sie wieder in feste Strukturen zu integrieren, erscheinen illusorisch und haben geringe<br />
Chancen auf ein gutes Gelingen.<br />
Für BICE stellen sich damit folgende zukünftige Aufgaben:<br />
• Erhöhung der Anzahl der Mädchenschlafplätze im BICE Kinderschutzzentrum Sauvetage. Immer<br />
mehr Mädchen suchen dort Zuflucht.<br />
• Einschulung bzw. Wiedereinschulung von Kindern, die im zunehmenden Maße ihre Schulausbildung<br />
aufgrund der erlittenen Traumata gar nicht erst beginnen konnten oder abbrechen mussten.<br />
• Gewährung einer finanziellen oder materiellen Unterstützung an Familien zur dauerhaften familiären<br />
Wiedereingliederung ehemaliger Straßenkinder.<br />
• Spezielle Betreuung von Kindern, die dem Leben auf der Straße den Vorzug geben.<br />
Für viele arme Familien ist der offizielle Schulbesuch ihrer Kinder oft nicht<br />
bezahlbar. Sie haben aber alternative Möglichkeiten gefunden, ihre Kinder<br />
unterrichten zu lassen. Ein Weg in die richtige Richtung, um das Phänomen<br />
„Straßenkinder“ in Zukunft einzudämmen.<br />
20<br />
Spielerisch und fröhlich lernen die Kinder im BICE Schutzzentrum. Oft haben<br />
sie die Spielzeuge selbst hergestellt, worauf sie mit Recht stolz sind.
Durchsetzung der Rechte von Kindern mit Behinderungen,<br />
Abidjan<br />
Véroniques Behinderungen konnten durch die Rehabilitationsmaßnahmen von BICE gelindert werden<br />
Véronique wurde am 9. März 2005 im Gesundheitszentrum »Toit Rouge« (Rotes Dach) mit einem<br />
verdrehten Fuß geboren. Die Missbildung wurde bei der Geburt nicht gleich erkannt. Véronique<br />
wird seit <strong>2006</strong> physiotherapeutisch behandelt in der Behinderteneinrichtung CESEH (Centre<br />
d’Eveil et de Stimulation des Enfants Handicapés) von BICE. Ihr Fuß nimmt langsam seine normale<br />
Stellung ein. Véronique’s Mutter erzählt:<br />
»Ich bin Véros Mutter. Ich habe 5 Kinder, Vero ist das jüngste. Meine vier ersten Kinder sind gesund.<br />
Die Schwangerschaft mit Véro ist gut verlaufen. Ich bin regelmäßig zu den Untersuchungen gegangen,<br />
es gab keine Auffälligkeiten. Auch die Geburt war einfach. Aber nach zwei Monaten stellte ich<br />
beim Baden des Kindes fest, dass der linke Fuß missgebildet war. Ich informierte meinen Mann, und<br />
wir gingen zu einer Heilerin, die unser Kind zwei Monate lang behandelte, ohne Erfolg. Ich suchte<br />
verzweifelt jemanden, der meinem Kind helfen konnte. Eine Nachbarin empfahl mir das Gesundheitszentrum<br />
Don Orione. Mein Kind wurde dort untersucht. Die Ärzte empfahlen uns eine Operation. Aber<br />
die war für uns viel zu teuer, und unser Kind noch zu klein. Eine Freundin in unserem Stadtviertel<br />
erzählte mir von der Behinderteneinrichtung von BICE. Der Physiotherapeut und der Sozialarbeiter<br />
von BICE haben mich sehr freundlich empfangen. Alain, der Physiotherapeut, hat sich gleich um mein<br />
Kind gekümmert. Nach kurzer Zeit stellte ich große Fortschritte fest. Der linke Fuß nimmt langsam<br />
seine normale Stellung ein. Man hätte vielleicht durch eine schnelle Reaktion bei der Geburt diese<br />
Missbildung verhindern können. Aber ich habe Hoffnung, dass alles gut wird.«<br />
Die wichtigsten Ergebnisse<br />
• 108 Eltern (78 Mütter/30 Väter) wurden betreut; immer mehr Väter beteiligen sich gemeinsam mit<br />
den Müttern an der Verantwortung für ihre behinderten Kinder.<br />
• Frühförderung und -erkennung: regelmäßige Aufklärungs- und Kontrollbesuche der Sozial- und Gesundheitszentren<br />
in der Umgebung durch BICE Mitarbeiter, 105 Ausbilder in 25 Einrichtungen wurden<br />
über untrügliche Anzeichen im frühen Stadium von Behinderungen geschult.<br />
• 69 Kinder (35 Jungen/34 Mädchen) wurden physiotherapeutisch behandelt (Hauptbefunde: Klumpfüße,<br />
halbseitige Lähmungen).<br />
• 22 Kinder nahmen an den sportlichen Wettkämpen der Paraolympics teil.<br />
• 48 Kinder erfuhren in vier Gruppen, die ihren unterschiedlichen Behinderungen gerecht wurden,<br />
Frühförderung und/oder eine sonderpädagogische Betreuung.<br />
Bei der Betreuung in Kleingruppen entwickeln Kinder mit Behinderungen<br />
ihre Fähigkeiten und Talente und erreichen in kleinen Schritten immer mehr<br />
Selbständigkeit.<br />
21
Der Erfolg von Früherkennung und -förderung Das große Medieninteresse und die Aufklärungskampagnen<br />
zur Früherkennung von Behinderungen haben zu einem großen Ansturm auf die Behinderteneinrichtung<br />
von BICE geführt. Sie wurde vollständig renoviert und neue Reha-Hilfen angeschafft.<br />
Die Eltern schöpfen angesichts der Fortschritte ihrer Kinder wieder Mut und Hoffnung.<br />
Gründung einer Interessenvertretung für Eltern mit behinderten Kindern Nach anfänglichen Schwierigkeiten<br />
hat die Elternvereinigung mit Unterstützung des BICE Psychologen ihre regelmäßige Arbeit<br />
mit einer monatlichen Zusammenkunft aufgenommen. Auf ihr können sich Eltern aussprechen,<br />
ihre Erfahrungen austauschen, sich kennenlernen und gegenseitig unterstützen. Durch die Arbeit<br />
in dieser Gruppe können viele Eltern ihre Vorurteile abbauen und lernen, ihre Kinder mit Behinderungen<br />
zu akzeptieren.<br />
Erste Schritte zu einem Netzwerk für die Förderung von Rechten behinderter Kinder Nach etlichen Diskussionen<br />
und Treffen konnte unter der Führung von BICE Ende <strong>2006</strong> ein Netzwerk für Kinder mit<br />
Behinderungen eingerichtet werden. Alle Beteiligten stimmten hoch motiviert für diese Chance<br />
zur Entwicklung von Synergien. Ein solches Netzwerk fördert konzertierte Aktionen, gemeinsame<br />
Lobbyarbeit für mehr und bessere Hilfe bei staatlichen Behörden und für Verständnis in der Gesellschaft<br />
für Kinder mit Behinderungen zu betreiben.<br />
Zukünftige Herausforderungen Die Eröffnung einer zweiten Behinderteneinrichtung in einem anderen<br />
Stadtteil der Millionenmetropole Abidjan wird notwendig, um einer ständig steigenden Nachfrage<br />
gerecht zu werden, und um auch weiter entfernt wohnenden Kindern mit Behinderungen und deren<br />
Eltern den Zugang zu Reha-Maßnahmen und psychosozialer Betreuung zu ermöglichen.<br />
Dank der Sensibilisierungsarbeit von BICE im Hinblick auf eine Früherkennung<br />
von Behinderungen werden die angebotenen Reha-Maßnahmen immer mehr<br />
genutzt. Viele Kinder machen große Fortschritte. Ihre Eltern sind dankbar für<br />
die Möglichkeit, Erfahrungen untereinander auszutauschen.<br />
22
Junge Haushaltshilfen<br />
Nach drei Jahren Unterbrechung hat sich BICE zu einer Weiterführung seiner Aktionen zur Förderung<br />
und Durchsetzung von Rechten junger Haushaltshilfen entschlossen. Im Laufe der vorangegangenen<br />
Projektarbeit konnte die Situation junger Haushaltshilfen ganz entscheidend verbessert<br />
werden. Aber die anhaltende Krise der Elfenbeinküste hat diese Entwicklung vorerst abgebremst.<br />
Der Flüchtlingsstrom aus dem Norden brachte auch viele junge Mädchen nach Abidjan. Sie sind<br />
bereit, jede Arbeit egal zu welchem Hungerlohn anzunehmen. Die wirtschaftliche Not vieler Haushalte<br />
in Abidjan sowie massive Reduzierungen der Leistungen vieler staatlicher Behörden haben<br />
zu einem starken Abbau sozialer Errungenschaften geführt: Löhne junger Haushaltshilfen sanken,<br />
Arbeitsagenturen wurden geschlossen, Arbeitszeiten wurden nicht eingehalten, wöchentliche Ruhetage<br />
nicht gewährt, viele Mädchen wirtschaftlich und sexuell ausgebeutet. Für BICE Anlass, die<br />
Arbeit für dieses Projekt wieder aufzunehmen.<br />
Einiges hat trotz Krise Bestand Arbeitsagenturen, die auf eine BICE Initiative hin gegründet wurden,<br />
hatten sich auf eine Wohlverhaltensklausel geeinigt, die sie gemeinsam erarbeitet und unterzeichnet<br />
haben. In ihr wurde festgelegt, dass keine Mädchen unter 15 Jahren engagiert werden.<br />
Viele junge Mädchen, die in den Agenturen nach Arbeit fragen, sind über 16 Jahre alt. Aber<br />
diese Vereinbarung bedeutet nicht, dass nicht doch Mädchen unter 15 Jahren in den Haushalten<br />
angestellt werden. Über undurchsichtige Kanäle werden sie eingeschleust und weiterhin beschäftigt.<br />
BICE engagiert sich dafür, sie zu finden und gegen ihre Ausbeutung zu kämpfen. In diesem<br />
Zusammenhang hat BICE auch die Schulungen für das Personal der Arbeitsagenturen wieder aufgenommen.<br />
Einrichtung von »Informationskiosken« als Anlaufstelle für Rechtsschutz und Hilfe vor allem für junge<br />
Haushaltshilfen In Zusammenarbeit mit der Juristinnenvereinigung der Elfenbeinküste unterhält<br />
BICE zwei »Gesprächsecken« in der Nähe der Arbeitsagenturen und arbeitsuchenden Mädchen, die<br />
zu bestimmten Zeiten regelmäßig besetzt sind. Als Anlaufstellen bieten sie den Mädchen psychosoziale<br />
Betreuung und juristischen Beistand. Diese Informationskioske finden großen Zulauf, da<br />
die Medien regelmäßig über diese Möglichkeit der Hilfestellung berichten. Junge Haushaltshilfen<br />
werden über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt, erhalten bei Bedarf Schutz und/oder Rechtsbeistand.<br />
Arbeitgeber sowie das Personal der Arbeitsagenturen erhalten Auskünfte sowie wichtige<br />
Informationen zum Arbeitsrecht.<br />
Zukünftige Herausforderungen<br />
• Gewährleistung eines verbesserten Schutzes von Mädchen unter 15 Jahren.<br />
• Schulung von jungen Haushaltshilfen in Gesundheitsfürsorge, Gesundheitserziehung und Bürgerkunde<br />
sowie über die Pflichten und Rechte als Arbeitnehmerinnen.<br />
• Angebot von Umschulungsmöglichkeiten für diejenigen, die es wünschen.<br />
• Schulung von Arbeitsinspektoren über die Rechte von jungen Haushaltshilfen.<br />
• Schulung sowie Professionalisierung von Arbeitsagenturen.<br />
23
Eine berufliche Ausbildung und die Vermittlung eines Arbeitsplatzes eröffnen<br />
Mädchen im ländlichen Milieu neue Perspektiven für die Zukunft.<br />
24
Republik Togo<br />
Lomé, Region der Seen und Vo<br />
Das Jahr <strong>2006</strong> war für Togo ein Jahr der Hoffnung. Anlass für diese Zuversicht war die nationale<br />
Aussöhnung. Anfang <strong>2006</strong> begann der innertogoische Dialog zwischen den verfeindeten Gruppierungen,<br />
der im August <strong>2006</strong> zu einem „accord politique global“ (eine politische Vereinbarung<br />
zur weiteren Demokratisierung des Landes) führte. Schlüsselelemente dieser Vereinbarung sind<br />
die Schaffung einer Einheitsregierung unter Einbeziehung der oppositionellen Parteien und die<br />
Vorbereitungen für die ersten demokratischen Wahlen, die für 2007 vorgesehen sind.<br />
Jedoch hat sich die soziale und politische Situation des Landes noch nicht entscheidend verbessert;<br />
die Preise steigen weiter, vor allem für Öl und Benzin. Dies hat zur Folge, dass sich auch<br />
die Preise für Transport- und Grundnahrungsmittel stetig erhöhen. Der Lebensstandard breiter<br />
Bevölkerungsschichten sinkt ständig. Daraus resultiert eine allgemeine Verunsicherung, Familienstrukturen<br />
lösen sich auf – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Eine der am meisten<br />
betroffenen Regionen, in der sich BICE intensiv engagiert, ist das Gebiet im Süden Togos mit der<br />
Hauptstadt Lomé und den Dörfern der Region der Seen und Vo.<br />
Kinderrechtsverletzungen, die BICE zum Handeln auffordern<br />
Auszüge aus den Empfehlungen des UN-Kinderrechtskomitees an Togo im Jahre 2005 (unautorisierte deutsche<br />
Übersetzung), die in direktem Bezug zu den Tätigkeitsbereichen und Zielgruppen von BICE stehen:<br />
46. Das Komitee ist beunruhigt über die hohe Anzahl von Kindern, die Opfer von Gewalt, Misshandlungen<br />
und Vernachlässigung, einschließlich sexuellen Missbrauchs, in Schulen, Haftanstalten,<br />
öffentlichen Einrichtungen sowie innerhalb der Familie werden.<br />
63. ... Es (das Komitee) bleibt beunruhigt über die große Anzahl von Kindern, die im informellen<br />
Sektor, in Industrieanlagen, als Hausmädchen oder auf der Straße arbeiten.<br />
70. ... das Komitee ist beunruhigt über:<br />
c) die Tatsache, dass Kinder, die Opfer sexueller Ausbeutung geworden sind, häufig keinen angemessenen<br />
Schutz oder Unterstützung bei der Rehabilitierung erhalten.<br />
74. Das Komitee ist beunruhigt über das Fehlen eines Systems zur Jugendgerichtsbarkeit, das den<br />
Bestimmungen und Prinzipien der (Kinderrechts-)Konvention entspricht, …<br />
25
Amélé – Opfer sexueller Ausbeutung – erzählt<br />
»Ich heiße Amélé und bin 18 Jahre alt. Ich wurde 8 Monate lang im BICE Sozialzentrum in Avoutokpa<br />
betreut. Jetzt lebe ich wieder bei meinen Eltern. Vor kurzem habe ich eine Lehrstelle als Friseurin<br />
angenommen.<br />
Meine Eltern freuen sich sehr über mein verändertes Verhalten. Ich respektiere sie, bin fleißig und<br />
sauber. Meine Mutter zählt auf meine Hilfe, damit wir aus unserem Elend herauskommen. Meine<br />
Schwestern haben ohne irgendeine Ausbildung geheiratet und können nicht zum Lebensunterhalt<br />
beitragen. Meine Mutter denkt, dass ich als Friseurin meine Familie unterstützen kann. Was ich im<br />
BICE Sozialzentrum über soziales Verhalten und Familienplanung gelernt habe, hilft mir, im Leben<br />
besser zurechtzukommen und nicht ungewollt schwanger zu werden.<br />
Ich bin sehr froh über meine Zeit im BICE Sozialzentrum. Die dort erlernten Fertigkeiten kann ich im<br />
täglichen Leben gut gebrauchen: Schneidern, Kochen, Haushaltsführung, Batikarbeiten. Ich danke<br />
BICE für die Unterstützung und die Starthilfe für meine Wiedereingliederung.«<br />
GABA, eine junge Lastenträgerin, erzählt:<br />
»Ich bin 16 Jahre alt. Mein Vater verstarb sehr früh. Traditionsgemäß heiratete meine Mutter dann<br />
den Bruder meines Vaters. Aber sie trennten sich nach einem heftigen Streit. Ich wurde bei meinem<br />
Onkel mütterlicherseits untergebracht. Nach dem Tod meines Onkels und seiner Frau nahm mich meine<br />
Großmutter bei sich auf. Nach einiger Zeit holte mich meine Mutter wieder zu sich. Eines Tages<br />
verprügelte sie mich dermaßen, dass mir der Arm brach – ich hatte die Tür der Hütte abgeschlossen<br />
und meinen kleinen Bruder alleine in der Hütte gelassen. Nach einem Besuch in unserem Heimatdorf<br />
anlässlich eines Festes nutzte ich die Gelegenheit, um bei meinem Onkel zu bleiben. Ich entschloss<br />
mich dann aber bald, nach Lomé zu gehen. Ich wurde Lastenträgerin und wohnte in Tidjanikpamé.<br />
Nachts ging ich aus. Ich rauchte Zigaretten, nahm Drogen und hatte viele Sexualpartner.<br />
Eines Tages traf ich die Mitarbeiter von BICE in meinem Dorf. Sie hörten mir zu und unterstützten<br />
mich. Ich gebe zu, dass mir der Gedanke, Lomé zu verlassen und ins BICE Sozialzentrum nach Avoutokpa<br />
zu gehen, gar nicht gefiel. Ich liebte das Leben in Lomé, ich wollte nicht mehr unterdrückt<br />
werden, ich wollte frei sein. Heute weiß ich, dass sich jeder ändern kann. Während meiner Zeit in<br />
Avoutokpa habe ich mich zum Erstaunen meiner Mutter und ihres Mannes völlig verändert. Ich laufe<br />
nicht mehr weg, ich prostituiere mich nicht mehr. Manchmal bin ich immer noch unhöflich, aber ich<br />
bin sicher, auch das wird sich noch bessern. Ich habe einen Ausbildungsplatz in einem Friseurbetrieb<br />
bekommen.«<br />
BICEs Beitrag für eine bessere Durchsetzung elementarer<br />
<strong>Kinderrechte</strong><br />
Im Süden Togos setzt sich BICE für die »Durchsetzung und Förderung elementarer Rechte von<br />
Kindern, die Opfer von Missbrauch geworden sind oder in extremer Armut leben«, ein.<br />
Die Verelendung ganzer Landstriche führt zum Leben als Lastenträgerin in Lomé Das BICE Engagement<br />
konzentriert sich hauptsächlich auf wirtschaftlich und sexuell ausgebeutete Kinder und Lastenträgerinnen<br />
sowohl in Lomé als auch in deren Herkunftsregionen im Südosten des Landes. Mit Hilfe<br />
von BICE haben die Kinder und Jugendlichen Zugang zu Grundversorgung und erhalten Schutz gegen<br />
Ausbeutung und Misshandlung. Hauptsächlich betroffen sind Mädchen aus armen ländlichen<br />
Familien. Oft wurden sie von ihren Eltern gezwungen, zum Lebensunterhalt beizutragen, sind vor<br />
dem Elend in ihren Dörfern oder vor einer Zwangsheirat geflüchtet. Sie glauben, in den großen<br />
Städten ihr Glück machen zu können. Häufig werden sie jedoch als Haushaltshilfen ausgebeutet,<br />
arbeiten als fliegende Händler oder Lastenträgerinnen auf den Märkten.<br />
26
Die wichtigsten Ergebnisse des BICE Engagements<br />
in Lomé:<br />
• Lastenträgerinnen erhielten Schutz und Rechtsbeistand in Fällen von Gewalt, die sich gegen sie<br />
oder ihre Kinder richtete.<br />
• 20 Lastenträgerinnen aus 10 Unterkünften nahmen an 4 Tagen an Schulungen zu Hygiene und<br />
Gesundheitsvorsorge teil und geben als Multiplikatoren die erhaltenen Informationen an andere Lastenträgerinnen<br />
weiter.<br />
• 70 Kinder von Lastenträgerinnen erhielten eine frühkindliche Erziehung und Förderung.<br />
• 524 Mädchen und Frauen nahmen an 75 Schulungs- und Aufklärungskursen in Hygiene und Gesundheitsfürsorge<br />
teil.<br />
• 76 Kinder wurden von BICE medizinisch versorgt.<br />
Im ländlichen Herkunftsmilieu:<br />
• 14 Mädchen, Opfer sexueller Ausbeutung, wurden <strong>2006</strong> im BICE Sozialzentrum psychosozial betreut.<br />
Sie erhielten eine Ausbildung in Batik- und Handarbeiten, erlernten das Friseur- oder Schneiderhandwerk.<br />
• 33 Mädchen, die Opfer sexueller Ausbeutung wurden oder Gefahr liefen, ausgebeutet zu werden,<br />
konnten erfolgreich in ihre Familien eingegliedert werden. Sie besuchten weiterführende Kurse in<br />
ihrem erlernten Handwerk und wurden psychosozial betreut.<br />
• 26 Mädchen schlossen ihre Ausbildung erfolgreich ab und erhielten eine materielle Hilfe für die Eröffnung<br />
ihres Kleingewerbes (Arbeitsgeräte, Grundmobiliar) als Schneiderin, Friseurin oder Weberin.<br />
Im BICE Kinderschutzzentrum erhalten Kinder junger Lastenträgerinnen<br />
frühkindliche Erziehung und Förderung, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu<br />
einer späteren Einschulung.<br />
27
• Die Unterstützung von BICE bei der schulischen Wiedereingliederung – insbesondere von Mädchen<br />
– und ihr Verbleib auf der Schule bis zum Alter von 15 Jahren schützte sie vor Kinderhandel,<br />
Zwangsheiraten und der Flucht in die Städte: 736 Kinder wurden im Schuljahr 2005-<strong>2006</strong> betreut,<br />
davon 483 Mädchen und 253 Jungen.<br />
• 72 Kinder besuchten regelmäßig das BICE Frühförderzentrum in Avoutokpa.<br />
• Familien und traditionelle Institutionen wurden mit Hilfe von Radiosendungen und Theateraufführungen<br />
in den Herkunftsdörfern über die Gefahren und Risiken für ihre Kinder (Kinderhandel!)<br />
aufgeklärt. Dabei lag das besondere Augenmerk als vorbeugendes Element auf der schulischen<br />
Ausbildung – vor allem bei Mädchen.<br />
Fortschritte auf dem Weg zu einer besseren Gesundheitsfürsorge für Lastenträgerinnen 20 Mädchen<br />
und Frauen aus 10 Unterkünften von Lastenträgerinnen arbeiten ehrenamtlich bei der Aufklärung<br />
und Schulung zu Hygiene und Gesundheitsfürsorge mit. Sie wurden zu diesem Zweck von BICE<br />
Mitarbeitern geschult und haben an der Erarbeitung von 9 Bildtafeln zur Gesundheitserziehung<br />
mitgewirkt (AIDS-Prävention, Malariaprophylaxe, Lebensmittelhygiene). Ihre Mitarbeit trägt zu<br />
einer erheblichen Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen der Lastenträgerinnen bei,<br />
wie z. B. die Müll- und Abwasserentsorgung, eines der zentralen Probleme in den ärmlichen Wohnvierteln<br />
der Großstadt Lomé.<br />
Von der Arbeit als Lastenträgerin bis zur sexuellen Ausbeutung ist es oft nur ein kleiner Schritt Die<br />
von BICE betreuten Kinder, insbesondere Mädchen, laufen häufig Gefahr, als Lastenträgerin ausgebeutet<br />
zu werden. Sie sind jedoch auch nicht selten sexuellem Missbrauch ausgesetzt oder prostituieren<br />
sich in ihren Wohnvierteln. Allerdings ist ihre Prostitution, die sie auf den ersten Blick<br />
freiwillig leisten, oft nichts anderes als sexuelle und wirtschaftliche Ausbeutung der Mädchen,<br />
die aufgrund ihrer geringen oder fehlenden schulischen- und beruflichen Ausbildung oft keinen<br />
anderen Ausweg aus ihrer Misere sehen. Ihr Verdienst reicht kaum zum Überleben. Die Jüngsten<br />
unter ihnen sind unter 15 Jahre alt. In ihrem täglichen Überlebenskampf leisten sie harte Arbeit<br />
und gehen in ihrem Alter viele gesundheitliche Risiken (Unfälle, Verschleiß der Gelenke, Verlust<br />
ihres familiären Umfeldes, sexuelle Ausbeutung) ein. Die Folgen sind häufig katastrophal: erlittene<br />
Gewalt und Traumata hinterlassen tiefe Spuren, oft haben sie mehrere Kinder, für die sie allein<br />
aufkommen müssen. Viele sind mit durch Sexualkontakt übertragene Krankheiten (z.B. Aids) zusätzlich<br />
belastet und ihrer Zukunft beraubt. Professioneller Kinderhandel über die Grenzen hinweg<br />
stellt ein weiteres Risiko für sie dar.<br />
BICE führte Ende <strong>2006</strong> einen Workshop zum Jugendstrafrecht für Richter,<br />
Polizeibeamte und Sozialarbeiter durch.<br />
28
Die Zivilgesellschaft engagiert sich für einen besseren Schutz von <strong>Kinderrechte</strong>n <strong>2006</strong> hat BICE seine<br />
Anstrengungen zur Sensibilisierung, Aufklärung und Begleitung von Institutionen der Zivilgesellschaft<br />
zur Durchsetzung von <strong>Kinderrechte</strong>n verstärkt und sie zum Engagement für eine <strong>Kinderrechte</strong><br />
fördernde und schützende Umwelt mobilisiert. Im Herkunftsmilieu der Lastenträgerinnen<br />
engagieren sich 18 Kinderschutzkomitees in Fällen von Gewalt an Kindern und Zwangsverheiratungen<br />
junger Mädchen. Sie werden von 53 Dorfältesten unterstützt, die Kinder bei ihrer familiären<br />
Wiedereingliederung begleiten. In Lomé setzen sich 11 Stadtentwicklungskomitees für den Schutz<br />
und die Förderung von <strong>Kinderrechte</strong>n ein und engagieren sich für den Schutz vor Gewalt an und<br />
Missbrauch von Kindern. 398 ehrenamtliche MitarbeiterInnen klären auf den verschiedenen Märkten<br />
der Stadt Eltern über ihre Pflichten und ihre Verantwortung gegenüber ihren Kindern auf.<br />
Weiterbildung von Richtern und Polizeibeamten führt zu einer besseren Zusammenarbeit<br />
BICE führte Ende <strong>2006</strong> einen Workshop zum Jugendstrafrecht für Richter, Polizeibeamte und<br />
Sozialarbeiter durch. Die zahlreichen Teilnehmer hatten Gelegenheit, geltende Gesetze und Verfügungen<br />
und internationale Rechtsnormen zur Jugendgerichtsbarkeit kennenzulernen, sich über<br />
deren Anwendung in der täglichen Arbeit auszutauschen und gemeinsam zukünftige bestmögliche<br />
Vorgehensweisen auszuarbeiten. Besonderer Wert wurde auf ihre Rolle als Garant von <strong>Kinderrechte</strong>n<br />
und deren Umsetzung in der täglichen Arbeit gelegt. Gerade das Zusammentreffen der<br />
verschiedenen Berufsrichtungen der Seminarteilnehmer aus dem Bereich Justiz und Sozialwesen<br />
stellte ein besonders bereicherndes Element für die Diskussion und den Erfahrungsaustausch aller<br />
Beteiligten dar.<br />
Herausforderungen für die zukünftige Arbeit von BICE<br />
Veränderte Verhaltensmuster verbessern den Status von Mädchen BICE wird sich zukünftig in Togo<br />
einerseits für die verstärkte Aufklärung und Sensibilisierung der Zivilgesellschaft – insbesondere<br />
in ländlichen Gemeinden - hinsichtlich der Wahrnehmung, des Schutzes und der Förderung von<br />
<strong>Kinderrechte</strong>n einsetzen. Ein anderer wichtiger Bereich wird die Sensibilisierung der Eltern und<br />
der Dorfgemeinschaft hinsichtlich der Gefahren und Risiken für ihre Kinder durch sexuelle und<br />
wirtschaftliche Ausbeutung, Missbrauch und soziale Ausgrenzung sein.<br />
Neue Dynamik in der Zusammenarbeit mit den BICE Partnern BICE initiiert deshalb künftige Aktionen<br />
zusammen mit den Gemeinden, den traditionellen Autoritäten, den Schulen, den Elternvereinigungen,<br />
den Kinderschutzkomitees und den Stadtentwicklungskomitees zum Schutz vor Gewalt,<br />
Missbrauch und Ausbeutung von Kindern. Die häufig immer noch stattfindende Diskriminierung<br />
gerade von Mädchen erfordert ein solches Vorgehen. Die Verbesserung ihrer Lage ist ein elementares<br />
Grundrecht und ein zentrales Anliegen von BICE – aber auch eine soziale und wirtschaftliche<br />
Notwendigkeit. Mädchen wollen sich von bestehenden Vorurteilen und vom Joch der Unterdrükkung<br />
befreien. Zahlreiche Aufklärungskampagnen und die gleichberechtigte schulische Ausbildung<br />
von Mädchen und Jungen werden zu den notwendigen langfristigen Veränderungen in der<br />
Gesellschaft beitragen.<br />
29
Republik Mali<br />
Bamako und die Regionen von Ségou und San<br />
Wirtschaftliche und politische Situation<br />
Mali gilt als gelungenes Beispiel einer Demokratisierung in <strong>Afrika</strong>, ist aber immer noch eines der<br />
ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt. In den Gebieten der Flüsse Niger und<br />
Senegal ist Ackerbau möglich, rund 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung ist in der Landwirtschaft<br />
oder im Fischfang tätig. Aufgrund der geringen Niederschlagsmengen ist die Ernte jedoch nicht<br />
immer sicher: nur durch die gute Ernte Ende <strong>2006</strong> konnte eine drohende Hungersnot verhindert<br />
werden.<br />
Die anderen Länder Westafrikas schätzen den sozialen und politischen Frieden seit Abschluss des Versöhnungspaktes<br />
1992 sehr und beneiden Mali darum. Die Anti-Armut-Kampagne, die von der malischen<br />
Regierung 2002 initiiert wurde, bildet die Grundlage für ihr Engagement. Zudem hat sie immer<br />
wieder ihren politischen Willen bekundet, eine <strong>Kinderrechte</strong> fördernde und schützende Umwelt zu<br />
schaffen. Um dies zu erreichen, wurden viele Aktionen erfolgreich durchgeführt, aber immer noch<br />
bleibt viel zu tun.<br />
Vor der Rückkehr in die Familie führen BICE Mitarbeiter oft zusammen mit<br />
dem Dorfältesten intensive Gespräche mit den Eltern und ermöglichen so<br />
eine erfolgreiche familiäre und soziale Wiedereingliederung der Mädchen mit<br />
ihren Kleinkindern.<br />
30
Kinderrechtsverletzungen, die BICE zum Handeln auffordern<br />
Einige Auszüge aus den Empfehlungen des UN-Kinderrechtskomitees an den Staat Mali im Jahre 2007<br />
(unautorisierte deutsche Übersetzung), die in direktem Bezug zu den Tätigkeitsbereichen und Zielgruppen<br />
von BICE stehen:<br />
31. ... das Komitee ist beunruhigt darüber, dass Mädchen und bestimmte Gruppen von Kindern, insbesondere<br />
Kinder mit Behinderungen, nichteheliche Kinder, Kinder aus sozial schwachen Familien<br />
und Straßenkinder, im Alltag nach wie vor diskriminiert werden.<br />
37. ...das Komitee ist beunruhigt darüber, dass die Anzeige einer Geburt ein kompliziertes Verfahren<br />
darstellt und dass eine große Anzahl von Kindern weder bei ihrer Geburt noch zu einem späteren<br />
Zeitpunkt registriert wird.<br />
54. ...das Komitee ist auch beunruhigt über die hohe Rate von Schwangerschaften bei Jugendlichen<br />
und das Fehlen angemessener und zugänglicher Gesundheitsdienste im Bereich der Sexual- und<br />
Schwangerschaftsberatung.<br />
70. ...das Komitee bleibt beunruhigt aufgrund der begrenzten Fortschritte, die beim Aufbau eines landesweiten<br />
funktionsfähigen Systems der Jugendgerichtsbarkeit erzielt wurden. Das Komitee ist insbesondere<br />
beunruhigt über das Fehlen der systematischen Anwendung von alternativen Maßnahmen<br />
(Täter-Opfer-Ausgleich), die Unterbringung von Jugendlichen in Hafteinrichtungen zusammen mit Erwachsenen,<br />
das Fehlen von Jugendgerichten in den meisten Regionen Malis, die begrenzte Anzahl von<br />
spezialisierten und geschulten Jugendrichtern und den Mangel an Einrichtungen und Programmen für<br />
die physische und psychische Genesung sowie die soziale Wiedereingliederung von Kindern.<br />
Rokia – des Diebstahls bezichtigt – erzählt<br />
„Ich heiße Rokia. Ich bin 14 Jahre alt. Meine Eltern sind geschieden. Meine Mutter hat wieder einen<br />
Mann, und ich lebe bei ihr. Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt mehr. Seine neue Frau konnte<br />
mich nicht leiden. Ich bin dann auch nicht mehr zur Schule gegangen. Ich habe einen Kleinhandel<br />
am Busbahnhof von Bamako, auf der linken Flussseite. Man hat mich verdächtigt, Kleider und Schuhe<br />
gestohlen zu haben, aber das stimmt nicht, ich habe nichts gestohlen. Ich habe mich mit einer<br />
Verkäuferin am Busbahnhof angefreundet. Eines Tages kam sie mit einem Ballen Stoff. Als ich sie<br />
nach der Herkunft fragte, sagte sie mir, dass er ihr gehöre und dass sie ihn bei ihrem Bruder in einem<br />
anderen Stadtviertel gelagert hätte. Etwas später ist sie dann mit ihren Sachen verschwunden.<br />
Am nächsten Tag ist sie nicht zum Busbahnhof gekommen - auch nicht am übernächsten. Ich dachte,<br />
dass sie vielleicht krank geworden sei und fragte eine ihrer Freundinnen, die als Haushaltshilfe<br />
arbeitete, ob sie etwas gehört habe. Dort erfuhr ich dann von dem Diebstahl und wurde von der<br />
Arbeitgeberin meiner Bekannten gleich zur Polizei gebracht. Ich erklärte den Zweck meines Besuches,<br />
aber sie wollte nichts davon wissen. Bei der Polizei wurde ich vernommen, dann zum Gericht und<br />
anschließend ins Gefängnis gebracht. Ich schwöre, dass ich nichts gestohlen habe, und ich weiß auch<br />
nicht, wo sich das Mädchen, das sicher nicht mehr meine Freundin ist, aufhält.“<br />
Da Rokia erst 14 Jahre alt und zudem schwanger ist, konnte BICE ihre Freilassung und Unterbringung<br />
im BICE Sozialzentrum für junge Mütter erreichen. Dort bekommt Rokia eine Ausbildung und<br />
kann ihr Kind in einer geschützten Umgebung zur Welt bringen.<br />
BICEs Engagement für die Durchsetzung von elementaren<br />
<strong>Kinderrechte</strong>n<br />
In Mali setzt sich BICE ein für die Förderung und Durchsetzung elementarer Rechte von Kindern in<br />
Gefängnissen und auf Polizeistationen sowie von jungen Müttern in besonderen Notsituationen.<br />
31
Die wichtigsten Ergebnisse<br />
• BICE ist ein wichtiger Partner des Staates in dessen Engagement zur besseren Durchsetzung und<br />
Förderung der UN-Kinderrechtskonvention in Mali.<br />
• Besonders bei den Projekten »Kinder in Gefängnissen und auf Polizeistationen« sowie »Junge<br />
Mütter mit ihren Kleinkindern in besonderen Notsituationen« waren die Kompetenz und langjährige<br />
Erfahrung von BICE in der alltäglichen Kinderrechtsarbeit gefragt und geschätzt.<br />
• BICE setzte sich bei den Präsidenten und Staatsanwälten der 6 Gerichte in Bamako für eine<br />
Erleichterung der nachträglichen Ausstellung einer Geburtsurkunde ein. Hunderte von Kindern<br />
kamen dadurch zu ihrem Recht auf eine Identität.<br />
• Der zweimal wöchentlich stattfindende BICE-Besuch von 13 Polizeistationen bewirkte eine verbesserte<br />
Fristeinhaltung beim Polizeigewahrsam und bei der Entkriminalisierung von Minderjährigen.<br />
• Von den 155 Kindern und Jugendlichen in Polizeigewahrsam oder bei der Sonderabteilung für<br />
Jugendliche der Polizei konnten 80 % ihrer Familien gefunden werden, 96 Eltern oder Verwandte<br />
haben ihre Kinder dann tatsächlich besucht. Alle Kinder wurden psychosozial betreut.<br />
• Durch das Engagement von BICE vertrauen die meisten Kommissariate schutzbedürftige oder<br />
auffällige Kinder und Jugendliche der Sonderabteilung für Jugendliche der Polizei an, wo ihre<br />
Rechte besser geachtet werden.<br />
• Aufnahme von 123 jungen Müttern oder schwangeren Mädchen im BICE-Sozialzentrum „Obdach<br />
und Leben“. Intensive psychosoziale Betreuung und Weiterbildungsmaßnahmen helfen ihnen bei<br />
ihrer sozialen und familiären Wiedereingliederung.<br />
• 98 Kinder erhielten eine Geburtsurkunde und damit eine Identität.<br />
• Am 16. Juni <strong>2006</strong> – Tag des afrikanischen Kindes – organisierte BICE eine große Veranstaltung<br />
für die Rechte von Kindern unter der Beteiligung von Künstlern.<br />
Die Durchsetzung elementarer <strong>Kinderrechte</strong> – vor allem der von Mädchen – bleibt für BICE ein<br />
vorrangiges Anliegen. Es ist immer noch so, dass Mädchen in einer traditionsbewussten Gesellschaft<br />
benachteiligt werden und selten die gleichen Rechte wie Jungen haben. Auch für Kinder in<br />
Gefängnissen und auf Polizeistationen wird sich BICE weiterhin verstärkt engagieren; Gesetzestexte<br />
und internationale Normen, die auch von Mali ratifiziert wurden, werden nicht immer befolgt<br />
und eingehalten. Kinder, aufgrund von Armutsdelikten verhaftet, werden oft zusammen mit<br />
erwachsenen Häftlingen in einer Zelle untergebracht. Andere Kinder wiederum werden Opfer von<br />
wirtschaftlicher oder sexueller Ausbeutung, von Kinderhandel oder anderer Formen der Gewalt.<br />
Das Projekt trägt zur Schaffung einer Umwelt bei, die <strong>Kinderrechte</strong> fördert und schützt, als Basis<br />
für ein Leben in Würde und Anstand. Zum einen betreffen die Maßnahmen Institutionen, die<br />
für den Schutz von <strong>Kinderrechte</strong>n zuständig sind: örtliche Behörden, die Zivilgesellschaft sowie<br />
Gemeinden und zum anderen die Kinder selbst. Besonderer Wert wird auf die Entwicklung des<br />
Friedensgedankens, der Versöhnung und der Toleranz gelegt, um so eine Ausgrenzung der sozial<br />
Schwachen und Benachteiligten aus der Gesellschaft – besonders in wirtschaftlich schwierigen<br />
Zeiten – zu verhindern.<br />
Zukünftige Herausforderungen<br />
BICE hat sein erneutes dreijähriges Engagement in Mali Ende <strong>2006</strong> abgeschlossen. Beim neuen<br />
Projekt, das Mitte 2007 beginnt, wird BICE insbesondere die Aktionen in den Herkunftsregionen<br />
der jungen Haushaltshilfen verstärken. Hierzu bedarf es der Unterstützung durch die Gemeinden<br />
sowie der traditionellen religiösen und weltlichen Anführer, der Schulen, der Elternvereinigungen<br />
sowie der Kinderschutzkomitees. Die Sensibilisierung, Aufklärung und Mobilisierung der malischen<br />
Gesellschaft zum Schutz und zur Förderung von <strong>Kinderrechte</strong>n haben dabei Vorrang.<br />
32
Unser Dank – Beispiele der Hilfe<br />
Kinder mit starken Partnern sind Kinder mit Zukunft. Wir danken für partnerschaftliche Hilfe, für kreatives<br />
Engagement, für ideelle und finanzielle Unterstützung:<br />
• der Europäischen Kommission, Brüssel<br />
• dem Außenministerium und Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit, Belgien<br />
• dem Kindermissionswerk, Aachen<br />
• CORDAID, Niederlande<br />
• der Zentralstelle für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung der schwedischen Regierung (SIDA)<br />
• der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg<br />
• Caritas International, Freiburg<br />
• Missio, Aachen<br />
• dem Weltgebetstag der Frauen, Stein/Nürnberg<br />
• der Oak Foundation, Schweiz<br />
• der Alois-Erb-Stiftung, Schweiz<br />
• Sternstunden e. V., München<br />
• Bild hilft e.V., Hamburg<br />
• dem <strong>Afrika</strong>-Fonds, Maria und Prof.Dr.med.habil. Peter Stingl, Steingaden<br />
• dem Hungermarsch Schwetzingen<br />
• dem Deutschen Fußballbund und seinen angeschlossenen Mitgliedervereinen<br />
• der Pfarrgemeinde St. Pankratius/Eine-Welt-Gruppe, Schwetzingen<br />
• der Kath. Kirchengemeinde/Eine Welt-Gruppe, Neuenburg<br />
• dem Arbeitskreis Eine Welt, Ettenheim<br />
• dem Welt-Laden-Montafon, Schruns, Österreich<br />
• den KFD Lindlar und Brühl<br />
• der Ältererengemeinschaft St. Marien, Lindlar<br />
• der Aktion »Geburtstag« Sabine Mohr, Schwetzingen<br />
• der Aktion »Zusammengetragenes« Peter Klein, Stühlingen<br />
• den Aktionen »Radtour« und »Geburtstag« Walter Fichtner, Bruchsal<br />
• dem Lions Förderverein Kinzigtal e.V.<br />
• dem Verein Solidaires pour agir ensemble, Straßburg, Frankreich<br />
• dem Deutschen Ärzteblatt und dem Deutsche Ärzte-Verlag<br />
• der »Neue Juristische Zeitung«<br />
• der Badischen Zeitung<br />
• den Richtern und Staatsanwälten von Amts- und Landgerichten für die Zuweisung von Geldauflagen<br />
sowie unseren Fördermitgliedern, Privatspendern, Kongregationen, Firmen und allen ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitern.<br />
33
Einnahmen <strong>2006</strong><br />
Euro 1.542.725<br />
Aufwendungen für Projektländer <strong>2006</strong><br />
Euro 1.161.711,43<br />
34<br />
Spenden und Beiträge (6,6%)<br />
Öffentliche Finanzgeber (43,7%)<br />
Private Finanzgeber (49,5%)<br />
Sonstige (0,2%)<br />
Kinder in Gefängnissen, Elfenbeinküste (13%)<br />
Behinderte Kinder, Elfenbeinküste (5%)<br />
Straßenkinder, Elfenbeinküste (4%)<br />
Haushaltshilfen, Elfenbeinküste (2%)<br />
Lastenträgerinnen, Togo (11%)<br />
Kinder in Gefängnissen und<br />
Mädchen in Notsituationen, Mali (13%)<br />
Gesamtprojekt DR Kongo (Kinder in Gefängnissen,<br />
Kinder als Opfer von bewaffneten Konfl ikten,<br />
sogenannte Hexenkinder, misshandelte Kinder (52%)
Zum Verhältnis von BICE Deutschland e.V. und BICE<br />
BICE Deutschland e.V. und BICE (die internationale Organisation französischen Rechts mit Sitz<br />
in Paris) sind zwei eigenständige Vereine, die ihren jeweiligen Mitgliederversammlungen rechenschaftspflichtig<br />
sind.<br />
Der Vorsitzende von BICE Deutschland e.V. hat kraft Amtes Stimmrecht im Verwaltungsrat von BICE,<br />
während umgekehrt die Generalsekretärin und der Präsident von BICE Sitz und Stimme in der Mitgliederversammlung<br />
von BICE Deutschland e.V. haben. Durch diese personelle Vertretung wirken die<br />
Vorstände beider Vereine an der Vereinspolitik des jeweiligen Partners aktiv mit.<br />
Seit 1997 beherbergt BICE Deutschland e.V. auch die <strong>Afrika</strong>-Delegation von BICE, die aus dem<br />
Generalsekretariat räumlich ausgegliedert ist. Ein Teil des Personals von BICE Deutschland e.V. ist<br />
gleichzeitig mit Aufgaben innerhalb der <strong>Afrika</strong>-Delegation im Rahmen der Projektbegleitung und<br />
Administration betraut. Die Kosten hierfür werden von der <strong>Afrika</strong>-Delegation anteilig übernommen.<br />
Herausgeber<br />
BICE Deutschland e.V.<br />
Schillerstraße 16<br />
D-77933 Lahr<br />
Telefon 0049 7821 388 55<br />
Fax 0049 7821 985 755<br />
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76004044 Sparkasse Offenburg/Ortenau<br />
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Redaktion<br />
Horst Buchmann, Elisabeth Munsch, Susanne Souaré-Michel, Katja Zug<br />
Christa Maria Holte, Natacha Neulen<br />
Fotos<br />
Fotoarchiv von BICE Deutschland e.V.,<br />
Elisabeth Munsch, Horst Buchmann<br />
Grafische Gestaltung<br />
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Titelfoto<br />
BICE Deutschland e.V<br />
Druck<br />
Druckerei Kössinger, Schierling<br />
Wir danken dem Büro für Grafik und Design Erasmi + Stein für die grafische Gestaltung,<br />
die uns kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank hierfür.<br />
35
BICE Deutschland e.V.<br />
Internationale Kinderrechtsorganisation<br />
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ISBN 2-914862-56-3<br />
EAN 9782914862561