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Hochleistungspolyurethane für dynamische Anwendungen

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Berger/Kiefer (Hrsg.)<br />

DICHTUNGS<br />

TECHNIK<br />

JAHRBUCH 2011


148 Dynamische Dichtungen<br />

Dipl.-Ing. Joachim Moeschel<br />

<strong>Hochleistungspolyurethane</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>dynamische</strong> <strong>Anwendungen</strong><br />

ALLE BRANCHEN – Innerhalb der Dichtungsindustrie haben sich die<br />

Polyurethane zu einer zentralen Werkstoffgruppe entwickelt. Sie<br />

stellen sich erfolgreich weiteren Herausforderungen. Selbst die Anfälligkeit<br />

gegen hydrolytischen Abbau konnte bei Polyurethanen der<br />

neuesten Generation weitgehend gelöst werden, womit weitere <strong>Anwendungen</strong>,<br />

wie z.B. im Lebensmittelbereich erschlossen werden<br />

können.<br />

Als Polyurethan wird eine Klasse von Kunststoffen bezeichnet, die durch Polyaddition<br />

von mehrfunktionellen Isozyanaten mit mindestens zwei Hydroxylgruppen<br />

tragenden Verbindungen (Polyalkoholen) gebildet werden >>1.<br />

Diese Art von Polyaddition wurde 1937 von Otto Bayer und seinem Team<br />

entdeckt. Es sollte ein Gegenprodukt zu Nylon 6,6 geschaffen werden und<br />

zustande kam zunächst eine schaumige, spröde Masse, von der zu diesem<br />

Zeitpunkt niemand ahnte, welch bombastische Entwicklung diese Stoffklasse<br />

einmal nach sich ziehen würde.<br />

Von Hochleistungselastomeren ist immer häufiger im Zusammenhang mit<br />

der Lösung von Verschleißproblemen die Rede. Auch hier<strong>für</strong> wurden bereits<br />

von O. Bayer die Grundlagen gelegt, als es darum ging, verschleißfeste Werkstoffe<br />

<strong>für</strong> Räder, Rollen, Manschetten und Ummantelungen zu finden. Diese<br />

Produktlösungen wurden zunächst nach dem Heißgießverfahren aus zwei<br />

>>1: Chemische Synthese von Polyurethanen durch Polyaddition


Komponenten hergestellt und ermöglichten<br />

damit die Initialzündung<br />

<strong>für</strong> eine Werkstoffgruppe namens<br />

„Vulkollan“, die in mehreren technologischen<br />

Bereichen bahnbrechende<br />

Errungenschaften ermöglichte.<br />

Aufwändige Prozesstechnik<br />

<strong>Hochleistungspolyurethane</strong> <strong>für</strong> <strong>dynamische</strong> <strong>Anwendungen</strong><br />

Als nachteilig empfand man den relativ<br />

aufwändigen, fehlerintoleranten<br />

Gießprozess, der sich zudem sehr kostenaufwändig<br />

darstellte. GPU (Guss-<br />

Polyurethane) können nicht unzersetzt<br />

aufgeschmolzen werden. In >>2: Segmentierter blockcopolymerer<br />

Konsequenz daraus investierten die Aufbau von Polyurethanelastomeren<br />

Rohstoffhersteller große Mühen, um<br />

geeignete, blockcopolymer aufgebaute thermoplastische Polyurethane<br />

(TPU) zu entwickeln >>2. Bei diesen Werkstoffen konnte dann die Aufschmelzbarkeit<br />

der Thermoplaste mit der Elastizität von Gummiwerkstoffen<br />

verbunden werden.<br />

Die landläufig bekannten, im Handel zu beziehenden TPU-Marken besitzen<br />

in mancherlei Hinsicht Defizite. Sie sind nicht mit den auf dichtungstechnologische<br />

Performance hin entwickelten TPU vergleichbar. Von den großen<br />

Dichtungsherstellern wurden und werden die thermoplastischen Polyurethane<br />

gezielt auf Dichtungsanwendungen <strong>für</strong> Hydraulik- und Pneumatikzylinder<br />

weiterentwickelt. Sie konnten damit sowohl traditionelle Gummidichtungen<br />

(auch Gummi-Gewebe-Verbund-Materialien) als auch PTFE-Dichtungslösungen<br />

zu einem erheblichen Anteil verdrängen. Letztere sind – im<br />

Gegensatz zu Gummi und Polyurethan – nur durch ein elastisches Vorspannelement<br />

dichtfähig, daher mit dem Nachteil des zweiteiligen Aufbaus und<br />

entsprechenden Folgen im Bereich der Kosten behaftet. NBR-Dichtungen<br />

besitzen im Vergleich zu Polyurethan (TPU/GPU) ein deutlich ungünstigeres<br />

Verschleißverhalten (ca. fünf- bis achtfache Verschleißrate), womit PUR-Varianten<br />

in der Marktentwicklung deutlich begünstigt waren und immer noch<br />

sind.<br />

149


150 Dynamische Dichtungen<br />

>>3: CNC-gesteuertes Spanen von Dichtungen aus Hochleistungspolyurethan<br />

Kaum eine andere Industrie profitierte so sehr von den Errungenschaften im<br />

Grundrohstoffbereich wie die Dichtungsindustrie mit all ihren anwendungstechnischen<br />

Facetten. Moderne Polyurethan-Dichtungswerkstoffe, wie sie<br />

heute <strong>für</strong> Einsätze in Pneumatik, Hydraulik und automobilen <strong>Anwendungen</strong><br />

gefragt sind, können generell auf unterschiedliche Arten zu Dichtungen verarbeitet<br />

werden:<br />

<br />

und drucklos vergossen. GPU können nach Verfestigung nicht mehr aufgeschmolzen<br />

werden.<br />

schmelzen<br />

und anschließender Abkühlung im Werkzeug mit nachfolgender<br />

Verfestigung, wie es im Spritzgussverfahren praktiziert wird. „Prozessabfälle“<br />

können aufgrund ihrer Wiederaufschmelzbarkeit bedingt wiederverwendet<br />

werden. Im Vergleich zu vernetzten Elastomeren wird dadurch eine deutliche<br />

Abfallverringerung und damit ein wichtiger Schritt zur nachhaltigen<br />

Rohstoffverwertung geleistet.<br />

zeug<br />

aktiviert man ein Vernetzungssystem, welches infolge zum dreidimensional<br />

vernetzten Material führt.<br />

All diese Verarbeitungsprozesse haben ihre Existenzberechtigung, d.h. sie<br />

stellen jeweils <strong>für</strong> spezielle Gebiete das Verfahren der Wahl dar. Im Bereich


der niedrigen Losgrößen (Reparaturbedarfe, Prototypen oder Kleinserien)<br />

existiert zumeist keine Amortisationsgrundlage <strong>für</strong> die Anfertigung eines<br />

Spritzgusswerkzeuges. Daher werden diese i.d.R. aus Rohlingen der geeigneten<br />

Qualität mittels CNC-gesteuerten Drehmaschinen spanend hergestellt<br />

>>3. Die dazu verwendeten Halbzeuge werden entweder im Heißgießverfahren<br />

(GPU) oder über einen geeigneten Thermoplastprozess (TPU) gefertigt.<br />

Die überwiegende Anzahl von Lippen-, Abstreif- und Sonderdichtungen werden<br />

jedoch direkt im Thermoplastprozess aus Granulaten hergestellt. Hier<strong>für</strong><br />

benötigt der Dichtungshersteller hohe Kompetenzen im Bereich der Werkzeugkonstruktion<br />

sowie des Werkzeugbaus als auch in der Maßschneiderung<br />

des Werkstoffes und der Thermoplastprozesstechnik selbst. Wie an anderer<br />

Stelle schon angemerkt, sind PUR-Verarbeitungsprozesse sehr empfindlich<br />

<strong>für</strong> Fehlereinflüsse.<br />

Die Anforderungen steigen beständig<br />

<strong>Hochleistungspolyurethane</strong> <strong>für</strong> <strong>dynamische</strong> <strong>Anwendungen</strong><br />

Der hohe Anspruch an Dichtsysteme und dichtungsnahe Produkte leitet sich<br />

mitunter von den gegenwärtigen Makrotrends im globalen Umfeld ab. Demgemäß<br />

muss eine Dichtung sich immer häufiger folgenden Ansprüchen stellen:verhaltens),<br />

<br />

mit biologisch leicht abbaubaren Druckflüssigkeiten in der Hydraulik),<br />

<br />

(Standzeiterweiterung),<br />

nehmende<br />

Dominanz von mechatronischen Lösungen (d.h. die Lastenkollektive<br />

der Dichtung werden komplexer),<br />

kunft<br />

(erdölbasierende Grundstoffe werden zur Neige gehen und vorerst<br />

aber deutlich teuerer).<br />

Aus diesen Makrotrends lässt sich ableiten, dass diese Zusammenhänge von<br />

Rohstoffen/Werkstoffen und Dichtungsgeometrien einerseits und der geforderten<br />

Performance an der Endkomponente andererseits vom Dichtungs-<br />

151


152 Dynamische Dichtungen<br />

hersteller gut verstanden werden müssen. Für den Start einer Werkstoffentwicklung<br />

empfiehlt sich also die Erstellung eines ausführlichen Anforderungsprofils,<br />

mithilfe dessen eine geeignete Lösungsstrategie abgeleitet<br />

wird.<br />

Hohe Leistungsfähigkeit<br />

Unter der Voraussetzung, dass TPU und GPU auf die Anforderungsprofile der<br />

Dichtungsindustrie zurechtgeschnitten werden, handelt es sich um Werkstoffe<br />

mit einer einzigartigen Kombination von Eigenschaften – sie:<br />

stischen<br />

Materialien die höchsten Werte <strong>für</strong> Verschleiß- und Weiterreißfestigkeit.<br />

repräsentieren gute bis sehr gute Extrusionsbeständigkeiten (die Eigenschaft<br />

des Werkstoffes der Spalteinwanderung unter Druck zu widerstehen).<br />

<br />

<br />

<br />

+120 °C verwendbar.<br />

<br />

<br />

Luftsauerstoff.<br />

<br />

<br />

<br />

dichtungstechnologischen Problemstellungen.<br />

Die Lebensdauer einer Dichtung, die wesentlich durch den Materialaufbau<br />

vorgegeben ist, wird durch ihr mechanisches, physikalisches und chemisches<br />

Umfeld während der Anwendung geprägt. Das sind Gesichtspunkte, denen<br />

sich ein Dichtungshersteller im Vorfeld (Stadium der Kundenanfrage) stellen<br />

muss. Dabei kommt der Materialprüfung eine wichtige Rolle zu. Im Allgemeinen<br />

werden zunächst Standardeigenschaftsprofile ermittelt, um gewisse<br />

Grundeigenschaften abzusichern. Dazu gehören Härte in Shore A/D, Zugfestigkeit,<br />

Reißdehnung und der Druckverformungsrest bei 70 °C u.w. Dies<br />

zeigt z.B. ein TPU der neuesten Generation (SMART-HPU). Nach Absicherung<br />

der Wiederholbarkeit und hinreichender Prozesskontrolle sollten mit diesen<br />

Kennwerten Spezifikationen erstellt werden:


Zur weiteren Werkstoffbeschreibung können DSC- und DMA-Messungen sowie<br />

Quellungen in diversen Mineralölen und Einlagerungstests in bestimmten<br />

anwendungsrelevanten Kontaktmedien durchgeführt werden. Bei<br />

der DSC (Differential Scanning Calorimetry) handelt es sich um eine Analysemethode<br />

mithilfe derer kleinste Wärmeströme gemessen werden. Bei Kunststoffen<br />

ist sie die Methode der Wahl zur Ermittlung von Glasübergängen sowie<br />

von Kristallisationsenthalpien. Die DMA (Dynamisch Mechanische Analyse)<br />

wird zur Analyse der viskoelastischen Eigenschaften verwendet und sie<br />

kann ebenfalls zur Ermittlung von Glasübergängen herangezogen werden.<br />

Schwäche: Hydrolytischer Abbau<br />

<strong>Hochleistungspolyurethane</strong> <strong>für</strong> <strong>dynamische</strong> <strong>Anwendungen</strong><br />

Eine der großen Schwächen von Polyurethanelastomeren ist die Anfälligkeit<br />

im Zusammenhang mit dem hydrolytischen Abbau. Dieser Einfluss, der zur<br />

kompletten Dichtungsunfähigkeit des Werkstoffs führt, tritt keinesfalls nur in<br />

wässriger Umgebung auf. Der hydrolytische Abbau der Polymerketten ist<br />

hinsichtlich seiner Einflüsse und seines Auftretens vielfältig.<br />

Bei Einsatz in Hydraulikdichtungen müssen beim Austausch von mineralölbasierenden<br />

durch biologisch leicht abbaubare Hydraulikflüssigkeiten (HEES,<br />

HETG) die üblichen TPU/GPU-Aufbauformen in Frage gestellt werden, weil<br />

sie sich in der Anwendung aufgrund ihres hydrolytischen Abbaus nicht stabil<br />

verhalten. Während der Anwendung – vor allem bei höheren Temperaturen<br />

– können im Falle der biologisch verträglichen Flüssigkeiten Fettsäuren freigesetzt<br />

werden, die im Gemisch mit Wasser und den ebenfalls gebildeten Alkoholen<br />

zur Aufsäurung führen, was eine sehr hohe Abbaurate nach sich<br />

zieht. Nach neueren Erkenntnissen können Hydrolyse oder auch alkalische<br />

Verseifung ebenfalls durch viele Additive, Zersetzungsprodukte und Inhaltsstoffe<br />

– wie sie in Hydraulikflüssigkeiten, Pneumatikfetten, Automobilmedien<br />

und vielen weiteren Prozessflüssigkeiten enthalten sind – ausgelöst und beschleunigt<br />

werden.<br />

153


154 Dynamische Dichtungen<br />

Zur Aufklärung des Sachverhaltes, wie hydrolysestabil ein TPU einzuschätzen<br />

ist, empfehlen sich Langzeittests in heißem Wasser. Als empfindlichster Indikator<br />

bietet sich die Messung der Zugfestigkeit (wenigstens jeweils vor und<br />

nach Einlagerung) an, deren Größenordnung mit dem mittleren Molekulargewicht<br />

des TPU in Beziehung gebracht wird. Die prozentuale Verringerung<br />

an Zugfestigkeit ist demzufolge ein Maß <strong>für</strong> die hydrolytische Zersetzung.<br />

Die mit HPU bezeichnete TPU-Qualität repräsentiert mit -16% einen marginalen<br />

Abbau, wogegen das TPU der ersten Generation mit -94% nahezu zerstört<br />

ist >>4.<br />

Neue Entwicklungen<br />

>>4: Beständigkeit<br />

gegen hydrolytischen<br />

Abbau<br />

(1.000 h bei 80 °C)<br />

(Bilder: seal-mart group)<br />

Die nachhaltige Lösung dieses werkstofftechnischen Problems eröffnet Zugang<br />

zu zukunftsträchtigen Weiterentwicklungen in der Fluidtechnik und<br />

bei weiterer marktanalytischer Betrachtung können auch <strong>Anwendungen</strong> erschlossen<br />

werden, die bisher mit TPU/GPU nicht in Verbindung gebracht<br />

werden konnten. So können mit SMART-HPU-Qualität erfolgreich <strong>Anwendungen</strong><br />

im Bereich der Nahrungsmittel-Prozesstechnik realisiert werden. Dies<br />

HPU erfüllt die Kriterien der FDA oder auch der EU-Richtlinie 2002/77/EG.<br />

Es ist stabil gegen den Einfluss von CIP-Medien (Bezeichnung <strong>für</strong> Medien, mit<br />

denen in den Stoffkreisläufen von Nahrungsmittel-Anlagen sowohl Reinigung<br />

als auch Sterilisierung abgesichert werden, z.B. 5%ige Natronlauge, 5%<br />

Phosphorsäure oder 5% Salpetersäure) und in Verbindung mit seiner hohen<br />

Abriebbeständigkeit ein idealer Werkstoff <strong>für</strong> Dichtungen, Abstreifer und Ver-


Hoher Stellenwert: Wälzlagerdichtungen <strong>für</strong> Landmaschinen<br />

schleißteile unterschiedlicher Art, wie sie in der Nahrungsmittel-Prozesstechnik<br />

benötigt werden.<br />

Ein Beispiel sind Kolbendichtungen in der Hochdruckpumpe eines Industriepumpenherstellers,<br />

die trotz des Höchstdrucks von 4.000 bar alle Standzeit-<br />

und Extremtests bestanden haben. In fleischverarbeitenden Maschinen werden<br />

Kombielemente mit Dicht- und Führungsfunktion aus HPU bestritten.<br />

Die Lebensmittelfreigabe war hierzu eine notwendige Voraussetzung. Sowohl<br />

im Hinblick auf die chemische Stabilität als auch Abriebbeständigkeit<br />

ließen die angewendeten Dichtelemente keine Wünsche offen.<br />

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