600 Jahre Zigeuner im deutschen Reich. Die ... - Hildesheim

600 Jahre Zigeuner im deutschen Reich. Die ... - Hildesheim 600 Jahre Zigeuner im deutschen Reich. Die ... - Hildesheim

25.04.2013 Aufrufe

Über Hildesheim hinaus von großer Bedeutung ist folgender Eintrag in den Weinamtsrechnungen: In vigi[li]a Mathei den tat[er]en up der scriverie, dome ore breve horen wolde, ½ st[oveken]. Übersetzung: Am Abend vor dem Tag des Evangelisten Matthäus [= 20. September] den Tartaren in der Ratsschreiberei ausgeschenkt, als man ihre Geleitbriefe lesen hören wollte, ½ Stübchen. Dieser Eintrag stellt das früheste schriftliche Zeugnis über einen Aufenthalt von Zigeunern im deutschen Reich dar, die anfangs auch mit dem Namen „Tartaren“ bezeichnet wurden. Aus welchen Gründen ihnen im Hildesheimer Rathaus Wein ausgeschenkt wurde, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Das Vorzeigen von Schutz- und Geleitbriefen konnte durch die Stadt eigentlich gefordert werden. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Zigeuner (Sinti), die ursprünglich wohl im Nordwesten Indiens beheimatet waren, sich 1407 in Hildesheim trotz ihrer Fremdartigkeit einer gewissen Wertschätzung erfreuten und möglicherweise auch über bedeutende (königliche?) Geleitbriefe verfügten. Michael Schütz Quellen und Literatur: • StadtA Hildesheim: Best. 50 Nr. 2678. • Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, hg. v. Richard Doebner, Bd. 5, Hildesheim 1893, S. 315-327. • Lukrezia Jochimsen, Zigeuner heute. Untersuchung einer Außenseitergruppe in einer deutschen Mittelstadt (Soziologische Gegenwartsfragen, NF), Stuttgart 1963, S. 3 f. • R. Jütte, Zigeuner, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 9, Stuttgart-Weimar 1999, Sp. 610 ff. • Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, hg. v. Richard Doebner, Bd. 6, Hildesheim 1896, Einleitung, S. LIII f. © Stadtarchiv Hildesheim 2007 600 Jahre Zigeuner im deutschen Reich Die Rechnung der Hildesheimer Weinherren von 1407 Eine Präsentation im Stadtarchiv Hildesheim zum 20. September 2007

Über Hildeshe<strong>im</strong> hinaus von großer Bedeutung ist folgender<br />

Eintrag in den Weinamtsrechnungen: In vigi[li]a Mathei<br />

den tat[er]en up der scriverie, dome ore breve horen wolde,<br />

½ st[oveken]. Übersetzung: Am Abend vor dem Tag des<br />

Evangelisten Matthäus [= 20. September] den Tartaren in der<br />

Ratsschreiberei ausgeschenkt, als man ihre Geleitbriefe lesen<br />

hören wollte, ½ Stübchen. <strong>Die</strong>ser Eintrag stellt das früheste<br />

schriftliche Zeugnis über einen Aufenthalt von <strong>Zigeuner</strong>n <strong>im</strong><br />

<strong>deutschen</strong> <strong>Reich</strong> dar, die anfangs auch mit dem Namen<br />

„Tartaren“ bezeichnet wurden. Aus welchen Gründen ihnen<br />

<strong>im</strong> Hildeshe<strong>im</strong>er Rathaus Wein ausgeschenkt wurde, ist nicht<br />

zweifelsfrei zu klären. Das Vorzeigen von Schutz- und Geleitbriefen<br />

konnte durch die Stadt eigentlich gefordert werden.<br />

Es liegt die Vermutung nahe, dass die <strong>Zigeuner</strong> (Sinti), die<br />

ursprünglich wohl <strong>im</strong> Nordwesten Indiens behe<strong>im</strong>atet waren,<br />

sich 1407 in Hildeshe<strong>im</strong> trotz ihrer Fremdartigkeit einer gewissen<br />

Wertschätzung erfreuten und möglicherweise auch<br />

über bedeutende (königliche?) Geleitbriefe verfügten.<br />

Michael Schütz<br />

Quellen und Literatur:<br />

• StadtA Hildeshe<strong>im</strong>: Best. 50 Nr. 2678.<br />

• Urkundenbuch der Stadt Hildeshe<strong>im</strong>, hg. v. Richard Doebner,<br />

Bd. 5, Hildeshe<strong>im</strong> 1893, S. 315-327.<br />

• Lukrezia Joch<strong>im</strong>sen, <strong>Zigeuner</strong> heute. Untersuchung einer<br />

Außenseitergruppe in einer <strong>deutschen</strong> Mittelstadt (Soziologische<br />

Gegenwartsfragen, NF), Stuttgart 1963, S. 3 f.<br />

• R. Jütte, <strong>Zigeuner</strong>, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 9,<br />

Stuttgart-We<strong>im</strong>ar 1999, Sp. 610 ff.<br />

• Urkundenbuch der Stadt Hildeshe<strong>im</strong>, hg. v. Richard Doebner,<br />

Bd. 6, Hildeshe<strong>im</strong> 1896, Einleitung, S. LIII f.<br />

© Stadtarchiv Hildeshe<strong>im</strong> 2007<br />

<strong>600</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Zigeuner</strong> <strong>im</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Reich</strong><br />

<strong>Die</strong> Rechnung der Hildeshe<strong>im</strong>er Weinherren von 1407<br />

Eine Präsentation <strong>im</strong> Stadtarchiv Hildeshe<strong>im</strong><br />

zum 20. September 2007


E<br />

iner der größten Schätze des Stadtarchivs ist die umfangreiche<br />

Anzahl von städtischen Amtsbüchern, die<br />

bis ins Mittelalter zurückreichen. Als Amts- oder<br />

Stadtbücher werden die in Buchform geordneten Aufzeichnungen<br />

der städtischen Behörden bezeichnet. <strong>Die</strong> bedeutendste<br />

Amtsbuchserie bilden die Kämmereirechnungen, die<br />

sich – von geringen Lücken abgesehen – seit 1379 erhalten<br />

haben und zurzeit 1.185 Bände umfassen. Von den Kämmereirechnungen<br />

existieren nicht nur zwei Serien der Hauptregister,<br />

die alle Einnahmen und Ausgaben der Stadtverwaltung<br />

auflisteten, sondern auch mehrere Spezialregister und Manuale<br />

(Konzepte, Kladden).<br />

Neben den Kämmereirechnungen haben sich weitere<br />

Amtsbuchserien der städtischen Finanzverwaltung erhalten,<br />

die separat geführt wurden und deren Beträge nur summarisch<br />

in die Kämmereirechnungen Eingang fanden. Dazu zählen<br />

etwa die erzielten Vermögenssteuereinnahmen aus dem<br />

Schoßregister und die Einnahmen und Ausgaben des Weinamts,<br />

auf die hier näher eingegangen werden soll.<br />

In Hildeshe<strong>im</strong> – wie auch in anderen Städten – besaß <strong>im</strong><br />

Mittelalter der Rat das Monopol des Weinausschanks. Seit<br />

den Stadtstatuten von ca. 1300 sollte der Wein ausschließlich<br />

<strong>im</strong> Rathaus ausgeschenkt werden. Dazu wurde ein sogenanntes<br />

Weinamt eingerichtet, das aus drei sich vierteljährlich<br />

ablösenden Ratsherren als Weinherren bestand, während ein<br />

Weinmann und sein Bote den Ausschank besorgen sollten.<br />

Der tatsächliche Betrieb eines Ratsweinausschanks ist jedoch<br />

erst ab 1434 greifbar. Zuvor scheinen die Weinherren lediglich<br />

die in der Stadt betriebenen privaten Weinkeller überwacht<br />

und die auf den ausgeschenkten Wein erhobene Akzise<br />

(Verbrauchssteuer) kassiert zu haben. <strong>Die</strong> Einnahmen aus der<br />

Weinakzise wurden in den Rechnungen des Weinamts auf-<br />

gelistet. Den Einnahmen standen Ausgaben für den Wein gegenüber,<br />

der <strong>im</strong> Rathaus getrunken oder vom Rat an best<strong>im</strong>mte<br />

Personen verschenkt wurde.<br />

<strong>Die</strong> älteste Weinamtsrechnung stammt aus dem Jahr 1407<br />

und wird unter der Signatur Bestand 50 Nr. 2678 <strong>im</strong> Stadtarchiv<br />

verwahrt. Sie ist Liber vini dominorum consulum (Buch<br />

der Ratsweinherren) betitelt. Auf den ersten Seiten erfahren<br />

wir zunächst, in welchen Hildeshe<strong>im</strong>er Kellern der Wein gelagert<br />

wurde und wer ihn ausschenkte: so etwa <strong>im</strong> Sternekelre<br />

(Sternenkeller) Hermann Cramer, <strong>im</strong> hus Sassen (Sachsenhaus)<br />

Hans Punt, under der Apoteken Heinrich Solleken und<br />

<strong>im</strong> Guldenbocke (Goldenen Bock) Herr Vlughe.<br />

Es folgen die Einträge über den aus den Weinkellern bezogenen<br />

Wein mit genauer Angabe der Empfänger. So wissen<br />

wir zum Beispiel, dass der Rat am 26. Januar 1407 drei stoveken<br />

Wein (ein Stübchen = ca. 3,5 l) orderte, als er sich mit<br />

dem Vogt des Bischofs und einigen Braunschweiger Ratsherren<br />

in der Hildeshe<strong>im</strong>er Ratsschreiberei traf. Auch die Ratsherren<br />

aus Hannover, Goslar und Einbeck wurden mit Wein<br />

auf dem Rathaus begrüßt.<br />

Mehrfach findet sich der Eintrag ... unsem hern van Hildensem<br />

uppe dat moshus, 4 st[oveken]. Aus dem Mittelnieder<strong>deutschen</strong><br />

sinngemäß übersetzt heißt dies: ... unserem<br />

Herrn, dem Bischof von Hildeshe<strong>im</strong>, in sein Speisehaus (mos<br />

= Mus, breiartige Speise) gesandt, 4 Stübchen Wein. Heutzutage<br />

erklärungsbedürftig ist ein Eintrag, der unter dem 14.<br />

März verzeichnet ist: ... getrunken <strong>im</strong> Keller als winkop des<br />

Pferdes, das Herrn Ludolf Sankenstede abgekauft wurde, ½<br />

Stübchen. Mit winkop (Weinkauf) wurde <strong>im</strong> Mittelalter der<br />

Wein bezeichnet, mit dessen Trunk man einen Vertrag, ein<br />

Kaufgeschäft oder ein <strong>Die</strong>nstverhältnis bekräftigte.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!