Schindlers Akte - Vor 25 Jahren verstarb Oskar ... - Hildesheim

Schindlers Akte - Vor 25 Jahren verstarb Oskar ... - Hildesheim Schindlers Akte - Vor 25 Jahren verstarb Oskar ... - Hildesheim

25.04.2013 Aufrufe

Schindlers Akte - Vor 25 Jahren verstarb Oskar Schindler in Hildesheim Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv (Folge 35) / Von Martin Hartmann In modernen Verwaltungen entstehen in unserer Zeit auch nach der Einführung elektronischer Medien große Mengen an Schriftgut, das - soweit es wegen seiner rechtlichen oder historischen Bedeutung dauernd aufbewahrenswert ist - nach der Aussonderung aus dem aktuellen Geschäftsgang der Verwaltung in die Archive gelangt. Eine Besonderheit unter diesem Schriftgut stellen die so genannten Massenakten dar, d. h. Akten, die in großer Zahl mit gleichförmigem Inhalt entstehen. Beispiele in einer Kommunalverwaltung sind die Sozialhilfeakten des Sozialamts, die sich zwar nach der persönlichen Situation des Hilfeempfängers unterscheiden, die aber immer den gleichen Verwaltungsvorgang vom Antrag auf Sozialhilfe über den Bewilligungsbescheid bis zur Zahlungskontrolle dokumentieren. Aus solchen Massenakten können Archive nur einen kleinen, möglichst repräsentativen Querschnitt übernehmen, da die Lagerkapazitäten sonst schnell erschöpft wären. Unter den im Stadtarchiv Hildesheim aufbewahrten Sozialhilfeakten befindet sich eine äußerlich und inhaltlich völlig unauffällige Akte über Oskar Schindler, der durch Steven Spielbergs Film ”Schindlers Liste” weltweit bekannt wurde. Schindler starb am 9. Oktober 1974 im Bernwardkrankenhaus in Hildesheim. In der Akte beantragt das Krankenhaus beim Sozialamt der Stadt die Kostenübernahme für die stationäre Behandlung Schindlers, der am 12. September 1974 völlig mittellos wegen Herzbeschwerden eingeliefert worden war. Er hielt sich bereits seit etwa 2 Jahren in Hildesheim auf, wo ihn Freunde, die er 1970 in Israel kennen gelernt hatte, aufgenommen hatten. Die Stadt Hildesheim beantragt ihrerseits die Übernahme der Kosten bei der Stadt Frankfurt, wo Schindler seinen Wohnsitz hatte. Die Stadt Frankfurt erstattet schließlich, nach einigen buchungstechnischen Problemen die Krankenhauskosten von 3.245,20 DM. Oskar Schindler wurde am 28. April 1908 in Svitavy / Tschechien geboren. Sein Leben verlief zunächst durchaus nicht ungewöhnlich, was in den Dreißiger Jahren eine Mitgliedschaft in der NSDAP einschloss. Nach der Eroberung Polens errichtete Schindler im Spätherbst 1939 im besetzten Krakau eine Emaillefabrik, für die Juden und Polen als billige Arbeitskräfte angeworben wurden. In dieser Fabrik begann ein Lebensabschnitt, der sich deutlich von einer deutschen Durchschnittsbiografie während des Zweiten Weltkriegs unterscheidet, als der von Zeitzeugen als Glücksspieler, Trinker, Frauenheld und Kriegsgewinnler charakterisierte Schindler unter Einsatz seines ganzen Vermögens für Unterbringung, Kleidung und Ernährung der Zwangsarbeiter seiner Fabrik sorgte. Auch Bestechungen von Gestapo-Beamten und anderen einflussreichen Nazigrößen im besetzten Polen gehörten zu seinem Repertoire. Er fälschte Rechnungen und Lieferbelege an Dienststellen in Orten, von denen er wusste, das sie in wenigen Tagen von den Russen erobert werden, um Waren seiner Fabrik auf dem Schwarzmarkt für Lebensmittel verkaufen zu können, ja Schindler schreckte auch nicht davor zurück, mit dem berüchtigten Kommandanten des KZ Plaszow bei Krakau Amon Göth zu trinken und zu spielen, wenn es um die Sicherheit seiner ”Kinder” geht, wie er die ihm zugewiesenen Zwangsarbeiter nannte. Bei der Auflösung des Gettos in Krakau konnte Schindler die Genehmigung erwirken, auf seinem Fabrikgelände ein eigenes Lager für seine Arbeiter einzurichten. 1944 schließlich konnte er seine Fabrik mit rund 1.200 Zwangsarbeitern vor den anrückenden Russen nach Brünnlitz im Sudetenland evakuieren, wo sie schließlich bei Kriegsende befreit wurden. Keiner der in Schindlers Fabrik arbeitenden Juden ist eines gewaltsamen Todes gestorben. © Stadtarchiv Hildesheim – Am Steine 7, 31134 Hildesheim Tel. 05121-1681-0 Fax 05121-1681-24 E-Mail info@stadtarchiv-hildesheim.de

<strong>Schindlers</strong> <strong>Akte</strong> - <strong>Vor</strong> <strong>25</strong> <strong>Jahren</strong> <strong>verstarb</strong> <strong>Oskar</strong> Schindler in <strong>Hildesheim</strong><br />

Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv (Folge 35) / Von Martin Hartmann<br />

In modernen Verwaltungen entstehen in unserer Zeit auch nach der Einführung elektronischer<br />

Medien große Mengen an Schriftgut, das - soweit es wegen seiner rechtlichen oder<br />

historischen Bedeutung dauernd aufbewahrenswert ist - nach der Aussonderung aus dem<br />

aktuellen Geschäftsgang der Verwaltung in die Archive gelangt. Eine Besonderheit unter<br />

diesem Schriftgut stellen die so genannten Massenakten dar, d. h. <strong>Akte</strong>n, die in großer Zahl<br />

mit gleichförmigem Inhalt entstehen. Beispiele in einer Kommunalverwaltung sind die<br />

Sozialhilfeakten des Sozialamts, die sich zwar nach der persönlichen Situation des<br />

Hilfeempfängers unterscheiden, die aber immer den gleichen Verwaltungsvorgang vom<br />

Antrag auf Sozialhilfe über den Bewilligungsbescheid bis zur Zahlungskontrolle<br />

dokumentieren. Aus solchen Massenakten können Archive nur einen kleinen, möglichst<br />

repräsentativen Querschnitt übernehmen, da die Lagerkapazitäten sonst schnell erschöpft<br />

wären.<br />

Unter den im Stadtarchiv <strong>Hildesheim</strong> aufbewahrten Sozialhilfeakten befindet sich eine<br />

äußerlich und inhaltlich völlig unauffällige <strong>Akte</strong> über <strong>Oskar</strong> Schindler, der durch Steven<br />

Spielbergs Film ”<strong>Schindlers</strong> Liste” weltweit bekannt wurde. Schindler starb am 9. Oktober<br />

1974 im Bernwardkrankenhaus in <strong>Hildesheim</strong>. In der <strong>Akte</strong> beantragt das Krankenhaus beim<br />

Sozialamt der Stadt die Kostenübernahme für die stationäre Behandlung <strong>Schindlers</strong>, der am<br />

12. September 1974 völlig mittellos wegen Herzbeschwerden eingeliefert worden war. Er<br />

hielt sich bereits seit etwa 2 <strong>Jahren</strong> in <strong>Hildesheim</strong> auf, wo ihn Freunde, die er 1970 in Israel<br />

kennen gelernt hatte, aufgenommen hatten. Die Stadt <strong>Hildesheim</strong> beantragt ihrerseits die<br />

Übernahme der Kosten bei der Stadt Frankfurt, wo Schindler seinen Wohnsitz hatte. Die Stadt<br />

Frankfurt erstattet schließlich, nach einigen buchungstechnischen Problemen die<br />

Krankenhauskosten von 3.245,20 DM.<br />

<strong>Oskar</strong> Schindler wurde am 28. April 1908 in Svitavy / Tschechien geboren. Sein Leben<br />

verlief zunächst durchaus nicht ungewöhnlich, was in den Dreißiger <strong>Jahren</strong> eine<br />

Mitgliedschaft in der NSDAP einschloss. Nach der Eroberung Polens errichtete Schindler im<br />

Spätherbst 1939 im besetzten Krakau eine Emaillefabrik, für die Juden und Polen als billige<br />

Arbeitskräfte angeworben wurden. In dieser Fabrik begann ein Lebensabschnitt, der sich<br />

deutlich von einer deutschen Durchschnittsbiografie während des Zweiten Weltkriegs<br />

unterscheidet, als der von Zeitzeugen als Glücksspieler, Trinker, Frauenheld und<br />

Kriegsgewinnler charakterisierte Schindler unter Einsatz seines ganzen Vermögens für<br />

Unterbringung, Kleidung und Ernährung der Zwangsarbeiter seiner Fabrik sorgte. Auch<br />

Bestechungen von Gestapo-Beamten und anderen einflussreichen Nazigrößen im besetzten<br />

Polen gehörten zu seinem Repertoire. Er fälschte Rechnungen und Lieferbelege an<br />

Dienststellen in Orten, von denen er wusste, das sie in wenigen Tagen von den Russen erobert<br />

werden, um Waren seiner Fabrik auf dem Schwarzmarkt für Lebensmittel verkaufen zu<br />

können, ja Schindler schreckte auch nicht davor zurück, mit dem berüchtigten<br />

Kommandanten des KZ Plaszow bei Krakau Amon Göth zu trinken und zu spielen, wenn es<br />

um die Sicherheit seiner ”Kinder” geht, wie er die ihm zugewiesenen Zwangsarbeiter nannte.<br />

Bei der Auflösung des Gettos in Krakau konnte Schindler die Genehmigung erwirken, auf<br />

seinem Fabrikgelände ein eigenes Lager für seine Arbeiter einzurichten. 1944 schließlich<br />

konnte er seine Fabrik mit rund 1.200 Zwangsarbeitern vor den anrückenden Russen nach<br />

Brünnlitz im Sudetenland evakuieren, wo sie schließlich bei Kriegsende befreit wurden.<br />

Keiner der in <strong>Schindlers</strong> Fabrik arbeitenden Juden ist eines gewaltsamen Todes gestorben.<br />

© Stadtarchiv <strong>Hildesheim</strong> – Am Steine 7, 31134 <strong>Hildesheim</strong><br />

Tel. 05121-1681-0 Fax 05121-1681-24 E-Mail info@stadtarchiv-hildesheim.de


Nach dem Ende des Krieges war <strong>Oskar</strong> Schindler 1949 mit seiner Frau Emilie nach<br />

Argentinien ausgewandert, erlitt hier aber mit einer Tierzucht Schiffbruch. 1958 kehrte er<br />

allein nach Deutschland zurück. Aber auch hier blieben seine geschäftlichen Unternehmungen<br />

erfolglos, so dass er schließlich auf die Unterstützung von Freunden angewiesen und am Ende<br />

seines Lebens völlig mittellos war. Schindler war für seine Verdienste um die Rettung von<br />

mehr als 1.200 Juden vor der Vernichtung zwar in den 60er-<strong>Jahren</strong> mit dem<br />

Bundesverdienstkreuz und dem Päpstlichen Sylvesterorden ausgezeichnet worden, einer<br />

breiteren Öffentlichkeit in Deutschland und der Welt wurde er aber erst durch Steven<br />

Spielbergs 1994 mit 7 ”<strong>Oskar</strong>s” ausgezeichneten Film ”<strong>Schindlers</strong> Liste” bekannt, der auf<br />

dem 1982 erschienenen, gleichnamigen Buch des Australiers Steven Keneally basiert.<br />

Nach seinem Tod wurde Schindler nach einer großen Trauerfeier in Frankfurt auf seinen<br />

Wunsch auf dem katholischen Friedhof auf dem Zionsberg in Jerusalem beigesetzt. So<br />

widersprüchlich die Charakterzüge dieses Mannes gewesen sein mögen, ein Charakterzug<br />

hebt ihn hervor: Er hatte Mitleid in einer mitleidlosen Zeit.<br />

© Stadtarchiv <strong>Hildesheim</strong> – Am Steine 7, 31134 <strong>Hildesheim</strong><br />

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