62. Ein Hanserezess über das Kontor zu Brügge - Hildesheim
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<strong>Ein</strong> <strong>Hanserezess</strong> <strong>über</strong> <strong>das</strong> <strong>Kontor</strong> <strong>zu</strong> <strong>Brügge</strong><br />
Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv (Folge 62) / von Michael Schütz<br />
Vor kurzem gelang es dem Stadtarchiv <strong>Hildesheim</strong>, bei einer Auktion den Zuschlag für eine<br />
Pergamenturkunde aus dem Jahre 1542 <strong>zu</strong> erhalten. Bei dem sehr gut erhaltenen<br />
großformatigen Stück (37,2 x 59,8 cm) handelt es sich um einen in Mittelniederdeutsch<br />
abgefassten sogenannten Rezess (Vergleich), den die Hansestädte am 2. März 1542 in Lübeck<br />
schlossen. Der Rezess ist mit dem an einem Pergamentstreifen hängenden, im Vergleich <strong>zu</strong>r<br />
Urkundengröße zierlichen Sekretsiegel (Durchmesser 5,2 cm) der Reichs- und Hansestadt<br />
Lübeck gesiegelt. Es trägt die Umschrift SECRETUM BURGENSIUM DE LUBEKE<br />
(Sekretsiegel der Bürger von Lübeck) und zeigt als Siegelbild den thronenden Kaiser. Das<br />
Siegel wurde vom Rat der Hansestadt im Zeitraum 1352 bis 1598 verwendet. Für wen die<br />
Urkunde ursprünglich ausgestellt wurde und wer der oder die Vorbesitzer waren, ließ sich<br />
bisher nicht ermitteln. Auf der Rückseite befindet sich lediglich eine kurze zeitgenössische<br />
Inhaltsangabe ohne jeglichen Besitzvermerk und ohne eine Registratur- oder Archivsignatur.<br />
Die Urkunde ist jetzt unter der Signatur Bestand 1 Nr. 5163 in <strong>das</strong> Stadtarchiv <strong>über</strong>nommen<br />
worden und stellt eine vorzügliche Ergän<strong>zu</strong>ng der bereits vorhandenen Akten dar, die die<br />
Vorgeschichte und den Verlauf der Verhandlungen dokumentieren. Auf der hansischen<br />
Tagfahrt, die vom 28. Februar bis 2. März 1542 in Lübeck stattfand, sollten Streitigkeiten<br />
geschlichtet werden, die zwischen der von Lübeck geführten wendischen Städtegruppe und<br />
der von Braunschweig geführten sächsischen Städtegruppe wegen des Hansekontors <strong>zu</strong><br />
<strong>Brügge</strong> entstanden waren. Versammelt hatten sich laut Rezess Ratssendeboten aus den<br />
wendischen Städten Lübeck, Hamburg, Rostock, Wismar und Lüneburg und den sächsischen<br />
Städten Braunschweig, <strong>Hildesheim</strong> und Hannover. <strong>Hildesheim</strong> war durch seinen<br />
Bürgermeister Hermann Sprenger vertreten. Die wendische Städtegruppe wollte <strong>das</strong> seit<br />
spätestens 1539 praktisch nicht mehr existierende <strong>Kontor</strong> <strong>zu</strong> <strong>Brügge</strong> reformieren und wieder<br />
in sein Regiment einsetzen. Das <strong>Kontor</strong> hatte bis <strong>zu</strong>r Mitte des 15. Jahrhunderts als mächtiger<br />
Arm der Hanse und einziger Stapelplatz in den Niederlanden (Flandern, Holland und Brabant)<br />
den gesamten dortigen Handel der Hansekaufleute kontrolliert und organisiert, dafür<br />
allerdings auch einen Schoss (Abgabe) erhoben. Dieser Schoss sollte jetzt von den Städten<br />
und Kaufleuten wieder eingefordert werden. Auf einer vorausgegangenen hansischen<br />
Tagfahrt war ein entsprechender Beschluss gefasst und die Höhe der Abgaben festgelegt<br />
worden. Die sächsischen Städte lehnten im Interesse ihrer Händler den <strong>zu</strong>nehmend unattraktiv<br />
werdenden Handelsplatz <strong>Brügge</strong> ab – sie zogen Antwerpen vor – und wollten sich auch dem<br />
<strong>Kontor</strong> nicht mehr unterordnen, da ihre Kaufleute erfolgreich eigene Handelsbeziehungen<br />
geknüpft hatten. Bei den dreitägigen Verhandlungen einigten sich die Ratssendeboten auf<br />
einen aus vier Artikeln bestehenden Kompromiss, dem allerdings nach ihrer Rückkehr noch<br />
ihre Städte <strong>zu</strong>stimmen mussten. Aus diesem Grund befindet sich an dem Rezess auch nur <strong>das</strong><br />
Siegel Lübecks und nicht auch die Siegel der anderen Hansestädte. Der Lübecker Rat<br />
beglaubigt (beurkundet) lediglich den Wortlaut des Vergleichs. Hätten die anderen<br />
Hansestädte mitgesiegelt, wären die Vereinbarungen bindend gewesen. So sagten die<br />
sächsischen Ratssendeboten lediglich <strong>zu</strong>, ihren Städten von dem Ergebnis der Verhandlungen<br />
<strong>zu</strong> berichten und sie an<strong>zu</strong>halten, dem Rezess bis Ostern (9. April 1542) <strong>zu</strong><strong>zu</strong>stimmen, den<br />
sogenannten schotbrev (Schossbrief) mit den auf einer vorausgegangenen hansischen Tagfahrt<br />
festgelegten Abgaben <strong>zu</strong> besiegeln und ihn gleich anderen Städten gebührend ein<strong>zu</strong>halten.<br />
Dies zeigt sehr gut die Schwerfälligkeit des hansischen Städtebundes bei der<br />
Beschlussfassung und lässt die geringe Verbindlichkeit solcher Rezesse erahnen. Der<br />
Kompromiss sah vor, <strong>das</strong>s neben Lübeck, Köln und Hamburg auch die sächsischen Städte<br />
eine hansische Delegation nach <strong>Brügge</strong> personell und finanziell unterstützen sollten. Im<br />
Gegen<strong>zu</strong>g durften sie bis <strong>zu</strong>r nächsten hansischen Tagfahrt mit den Waren victrill, kopperrock<br />
© Stadtarchiv <strong>Hildesheim</strong> – Am Steine 7, 31134 <strong>Hildesheim</strong><br />
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unnd wulle (Vitriol, Kupferrauch und Wolle) in Antwerpen und anderen Städten Brabants<br />
selbständig handeln. Die Bedeutung der Ware Wolle dürfte auch für heutige Leser<br />
einschätzbar sein. Vitriol (Kupfer-, Zink- oder Eisenvitriol) und Kupferrauch, ein Rauch/Ruß,<br />
der aus dem schmelzenden Kupfer aufsteigt und aus dem Kupfervitriol destilliert wird,<br />
dienten unter anderem <strong>zu</strong>r Ledereinfärbung, als Scheidewasser, <strong>zu</strong>r Farbenherstellung, als<br />
Ausgangsstoff für Schwefelsäure, <strong>zu</strong>r Tintenherstellung und <strong>zu</strong>r Grundierung beim<br />
Vergolden. <strong>Ein</strong>e bedeutende Produktion von Vitriol ist bereits 1352 für Goslar belegt. Als<br />
dritter Punkt wurde den sächsischen Städten eine Frist von einem Jahr eingeräumt, um ihre<br />
ohne Beteiligung der Hanse geknüpften sogenannten butenhensischen Handelsbeziehungen<br />
ein<strong>zu</strong>stellen. Zuletzt wurde vereinbart, <strong>das</strong>s sich die Kaufleute der sächsischen Städtegruppe<br />
nach Wiedererrichtung des <strong>Kontor</strong>s in <strong>Brügge</strong> wieder mit Älterleuten an dessen Verwaltung<br />
beteiligen und ihre Handelsgeschäfte in den Niederlanden ausschließlich <strong>über</strong> <strong>das</strong> <strong>Kontor</strong><br />
abwickeln sollten. Bleibt nur noch <strong>zu</strong> erwähnen, <strong>das</strong>s es nicht mehr <strong>zu</strong> einer Wiederbelebung<br />
des <strong>Brügge</strong>r Hansekontors gekommen ist. Warenströme und Handelszentren lassen sich nun<br />
mal nicht erzwingen. 1563 wurde die Residenz der Hansekaufleute offiziell nach Antwerpen<br />
verlegt. Doch auch dort konnte man den Alleinvertretungsanspruch unter den copluden<br />
(Kaufleuten) ... der erbarenn gemeinen stede dutscher henze nicht mehr durchsetzen.<br />
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