Im Land der offennen Fernen - HGON
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Mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung Deutschlands<br />
bot sich im Grenzstreifen die<br />
seltene Chance, <strong>der</strong> Natur großräumig<br />
den Vortritt zu lassen. In <strong>der</strong><br />
Rhön ergriff man sogleich die Initiative.<br />
Vor allem die Naturschutzverbände<br />
in Bayern, Hessen und Thüringen<br />
erreichten schon 1991 die<br />
Einrichtung des Biosphärenreservats<br />
Rhön.<br />
Knapp zwanzig Jahre später zieht<br />
Dr. Jochen Tamm eine Bilanz für<br />
den Naturschutz. Er war damals im<br />
Regierungspräsidium Kassel <strong>der</strong><br />
zuständige Fachdezernent für die<br />
Naturschutzgebiete und das Biosphärenreservat<br />
im hessischen Teil<br />
<strong>der</strong> Rhön. Heute ist er im Ruhestand<br />
in <strong>der</strong> Region als stellvertreten<strong>der</strong><br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hessischen<br />
Gesellschaft für Ornithologie<br />
und Naturschutz (<strong>HGON</strong>) aktiv.<br />
Die „Lange Rhön“ ist die letzte feste<br />
Bastion <strong>der</strong> Birkhühner in <strong>der</strong> Rhön.<br />
Dank erheblicher Anstrengungen ist sie<br />
heute für diese Vogelart wie<strong>der</strong> gut<br />
strukturiert. Ein häufiger Bewohner <strong>der</strong><br />
Blumenwiesen ist <strong>der</strong> C-Falter.<br />
Bild unten: Dagegen ist das Grünland außerhalb<br />
<strong>der</strong> Naturschutzgebiete in <strong>der</strong> Rhön intensiv<br />
genutzt und extrem artenarm.<br />
Ein steriles Giftgrün beherrscht hier das<br />
<strong>Land</strong>schaftsbild.<br />
<strong>Im</strong> <strong>Land</strong> <strong>der</strong> offenen<br />
Kurspeilung für das Biosphärenreservat Rhön<br />
28 Nationalpark 2/2010<br />
s
<strong>Fernen</strong><br />
Jochen Tamm<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>HGON</strong> und zur<br />
Wendezeit Motor <strong>der</strong> Naturschutzoffensiven<br />
im hessischen<br />
Teil <strong>der</strong> Rhön war Willy Bauer, ein<br />
Mann, <strong>der</strong> sich durch Charisma und<br />
großes Engagement auszeichnete.<br />
Vor allem ihm verdanken wir die Rettung<br />
des Roten Moores vor <strong>der</strong> Abtorfung,<br />
die Ausweisung vieler Naturschutzgebiete<br />
und den Hauptanstoß<br />
für das Biosphärenreservat Rhön.<br />
Ihm gegenüber fühle ich mich verpflichtet,<br />
wenn ich heute nachschaue,<br />
was aus diesem hoffnungsvollen<br />
Ansatz geworden ist.<br />
Biodiversität:<br />
vom Schutzziel zur Nebensache<br />
Als Biosphärenreservate im Jahre<br />
1971 von <strong>der</strong> Internationalen Naturschutzunion<br />
(IUCN) eingeführt wurden,<br />
waren sie primär ein Instrument des<br />
internationalen Naturschutzes. Wie <strong>der</strong><br />
englische Name „biosphere reserve“<br />
besagt, ging es um die Erhaltung <strong>der</strong><br />
genetischen Reserven, wozu weltweit<br />
ein Netzwerk von Schutzgebieten geschaffen<br />
werden sollte. Biosphärenreservate<br />
konnten auch in Kulturlandschaften<br />
eingerichtet werden, allerdings<br />
mit <strong>der</strong> Auflage, auf mindestens<br />
drei Prozent <strong>der</strong> Fläche die natürlichen<br />
Ökosysteme <strong>der</strong> jeweiligen Region in<br />
sogenannten Kernzonen zu schützen.<br />
Das galt auch noch zur Wendezeit.<br />
Nur deshalb machten sich damals die<br />
Naturschutzverbände für das Biosphärenreservat<br />
Rhön stark. Kaum<br />
war es geschaffen, än<strong>der</strong>te sich jedoch<br />
die Zielrichtung <strong>der</strong> Biosphärenreservate.<br />
Die IUCN strich sie 1994<br />
aus <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> internationalen<br />
Schutzgebietsformen. Seitdem wer-<br />
den sie von <strong>der</strong> UNESCO als Umweltzertifikat<br />
weitergeführt. Das Ziel ist<br />
nun die naturverträgliche Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Kulturlandschaft. Die Biodiversität<br />
geriet vom Hauptziel zum Nebenziel.<br />
Dies muss für die Praxis nicht viel<br />
bedeuten. Wenn man freiwillig am<br />
Ziel <strong>der</strong> Biodiversität festhält, können<br />
Natur und Mensch trotzdem gewinnen.<br />
Schauen wir uns die Lage im<br />
Biosphärenreservat Rhön an. Wir<br />
orientieren uns dabei am Kriterienkatalog<br />
<strong>der</strong> UNESCO von 1996 und<br />
prüfen, inwieweit er erfüllt wird, wobei<br />
<strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> Betrachtung<br />
auf <strong>der</strong> hessischen Seite liegt.<br />
Schnelle Erfolge –<br />
aufkommende Vergesslichkeit<br />
Am Biosphärenreservat Rhön wurde<br />
hart gearbeitet. Ämter und Private<br />
2/2010 Nationalpark 29
Der herrliche Blick vom Gipfel <strong>der</strong> Milseburg ist nicht ganz ungetrübt. <strong>Im</strong> Vor<strong>der</strong>grund die Felsen, <strong>der</strong>en einmalige Flora von den Besuchern<br />
weitgehend zertreten ist. In <strong>der</strong> Tiefe das fette, artenarme Intensiv-Grünland, das für weite Teile <strong>der</strong> Rhön so typisch ist. (Fotos: Kirchner)<br />
haben sich stark engagiert. Zuerst<br />
wurden die Flächen, insgesamt<br />
185.000 Hektar, zusammengestellt<br />
und aufgeglie<strong>der</strong>t in Kern-, Pflegeund<br />
Entwicklungszonen. Bei den<br />
Kernzonen wurde allerdings nur ein<br />
Drittel <strong>der</strong> nötigen drei Prozent <strong>der</strong><br />
Gesamtfläche ausgewiesen. Den<br />
Rest wollte man bald nachmelden. In<br />
den drei Bundeslän<strong>der</strong>n richtete man<br />
Verwaltungsstellen für das Biosphärenreservat<br />
ein. Sie wurden gemäß<br />
<strong>der</strong> UNESCO-Kriterien den jeweiligen<br />
Oberen o<strong>der</strong> Obersten <strong>Land</strong>esbehörden<br />
zugeordnet. Hessen scherte jedoch<br />
später aus und band seine Verwaltungsstelle<br />
kriterienwidrig beim<br />
<strong>Land</strong>kreis Fulda an. Die vorgeschriebenen<br />
Rahmenkonzepte und Entwick -<br />
lungspläne wurden fristgerecht erstellt<br />
und damit die „strukturellen Kriterien“<br />
des Katalogs <strong>der</strong> UNESCO<br />
zum großen Teil erfüllt.<br />
Danach aber leistete man sich<br />
strukturelle Mängel. Von den nötigen<br />
5400 Hektar Kernzonen sind bis heute<br />
erst 2000 Hektar ausgewiesen.<br />
Zwar bemüht man sich jetzt um die<br />
Restausweisung, aber die Verantwortlichen<br />
wollen eher verstreuten<br />
Kleinstflächen den Vorzug vor größeren<br />
Flächen geben, die „die Dynamik<br />
ökosystemarer Prozesse ermöglichen“<br />
(Wortlaut <strong>der</strong> Kriterien). Mängel<br />
sind auch bei <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong><br />
Pflege- und Entwicklungsziele in an<strong>der</strong>e<br />
Fachplanungen zu erkennen. So<br />
30 Nationalpark 2/2010<br />
trifft es sicherlich nicht den Geist <strong>der</strong><br />
Biosphärenreservate, wenn die Verkehrsplanung<br />
eine Neutrassierung<br />
<strong>der</strong> Bundesstraße B 87 quer durch<br />
wertvollste Naturräume <strong>der</strong> Nordrhön<br />
vorsieht. Und das, obwohl weiter<br />
südlich auf vorhandenen Bundesstraßen<br />
aufgebaut werden könnte.<br />
Das Biosphärenreservat:<br />
nur für den Menschen gedacht?<br />
Wie steht es um die Erfüllung <strong>der</strong><br />
„funktionalen Kriterien“ <strong>der</strong> UN-<br />
ESCO? Wirtschaftet man beispielsweise<br />
in <strong>der</strong> Rhön nach dem Grundsatz<br />
<strong>der</strong> Nachhaltigkeit? Handelt hier<br />
die Öffentliche Hand vorbildlich?<br />
Werden die wichtigen Tier- und<br />
Pflanzenarten sowie Lebensraumtypen<br />
erfasst und erhalten? Ich kann<br />
aus <strong>der</strong> Stofffülle nur die wichtigsten<br />
Punkte herausgreifen.<br />
Zweifellos wurde im Biosphärenreservat<br />
Rhön sehr viel für die Menschen<br />
getan. Joachim Salomon berichtete<br />
über die intensiven Bemühungen<br />
auf <strong>der</strong> bayerischen Seite<br />
(NATIONALPARK 2/2007). In Hessen<br />
wurden Direktvermarktungsprojekte<br />
für landwirtschaftliche Produkte etabliert.<br />
Für alte bäuerliche Methoden<br />
wurden Lehrgänge abgehalten. Man<br />
baute Wan<strong>der</strong>- und Radwege, Bohlenpfade,<br />
Aussichtstürme, Loipen,<br />
Pisten, Picknick- und Parkplätze,<br />
Startplätze für Modellflugzeuge,<br />
Gleitschirme und Flugdrachen. Das<br />
Angebot an Segel- und Motorflügen<br />
auf <strong>der</strong> Wasserkuppe wurde erhöht.<br />
Info-Zentren wurden eingerichtet,<br />
Gastronomie entstand. Ständig werden<br />
Vorträge angeboten. Fast rund<br />
ums Jahr finden Führungen statt.<br />
Das Angebot an Faltblättern und Broschüren<br />
ist groß.<br />
Die Anstrengungen für den Menschen<br />
entsprechen dem Geiste eines<br />
Biosphärenreservats. Sie müssen jedoch<br />
naturverträglich bleiben. In <strong>der</strong><br />
Rhön ist aber unübersehbar das<br />
rechte Maß verloren gegangen. Nicht<br />
die Tourismus-Optimierung, son<strong>der</strong>n<br />
die Tourismus-Maximierung steht im<br />
Vor<strong>der</strong>grund, die Vermarktung <strong>der</strong><br />
Natur.<br />
Tourismus um jeden Preis<br />
<strong>Im</strong> Sommer und Winter, an jedem<br />
Wochentag drängen sich in <strong>der</strong> hohen<br />
Rhön die Menschenmassen. Wo<br />
noch vor 20 Jahren wenigstens werktags<br />
und im Winter Stille herrschte,<br />
nutzen heute Hun<strong>der</strong>te von Menschen<br />
täglich das breite Angebot an<br />
Einrichtungen. Direkt neben dem Roten<br />
Moor, wo Hessens letzte Birkhühner<br />
ums Überleben kämpfen, ließ<br />
man einen Berggasthof bauen. Er<br />
lockt ganzjährig Scharen von Menschen<br />
an und wurde zum beliebten<br />
Motorradfahrer-Treff. Der Betrieb will<br />
sich erweitern.
Auf dem Basaltgipfel <strong>der</strong> Milseburg,<br />
<strong>der</strong> wegen seiner Fernsicht<br />
stark besucht wird, wächst eine einmalige<br />
Eiszeitrelikt-Flora. Sie ist bis<br />
auf kleine Reste zertreten. Als die Naturschutzbehörde<br />
vor einigen Jahren<br />
ein Drittel <strong>der</strong> Kuppe mit einer kniehoch<br />
gespannten Trosse absperrte,<br />
musste sie diese sogleich wie<strong>der</strong> beseitigen.<br />
Die Regionalpolitik fand die<br />
freie Entfaltung <strong>der</strong> Besucher auf<br />
ganzer Gipfelfläche wichtiger als den<br />
Minimalbeitrag zur Erhaltung <strong>der</strong> seltenen<br />
Pflanzen.<br />
Die hohe Rhön ist inzwischen<br />
durch ein dichtes Netz von Wegen<br />
und Loipen erschlossen. Für scheue<br />
Tierarten wie das Birkhuhn bleibt da<br />
nicht viel Platz. Von den 3500 Hektar<br />
Hochlagenflächen, die sich für diesen<br />
Vogel heute prinzipiell noch eignen,<br />
besiedelt er nur 500 Hektar regelmäßig.<br />
Das sind genau die letzten Winkel,<br />
die weiter als 200 Meter von den<br />
Wegen entfernt liegen. Doch nicht<br />
einmal dort sind die Birkhühner ungestört.<br />
Etliche Besucher bewegen<br />
sich frei in ihre Rückzugsräume hinein.<br />
Das ist zwar verboten, wird aber<br />
zumindest in Hessen fast nie geahndet.<br />
<strong>Im</strong> Winter ist dieser Regelverstoß<br />
für die Birkhühner lebensgefährlich.<br />
Sie verlieren durch die Fluchten entscheidende<br />
Energie. Das dürfte auch<br />
einer <strong>der</strong> Hauptgründe sein, warum<br />
die Leitart <strong>der</strong> offenen Hochlagen mit<br />
gerade noch sieben Hähnen vor dem<br />
Aussterben steht.<br />
Störungen kommen auch aus <strong>der</strong><br />
Luft. Der Flugbetrieb auf <strong>der</strong> Wasserkuppe<br />
durfte sich in den letzten<br />
Jahren ausbreiten. An schönen<br />
Sommertagen liegt ein Dröhnen<br />
über dem Berg wie über Frankfurt.<br />
Gleitschirmflieger und Drachensegler<br />
gesellen sich dazu. Das Birkhuhn<br />
und auch <strong>der</strong> Schwarzstorch sind<br />
von dort verschwunden. Verbesserungen<br />
waren nicht zu erreichen.<br />
Der <strong>Land</strong>rat des Kreises Fulda,<br />
Bernd Woide, ist auch Präsident <strong>der</strong><br />
„Gesellschaft zur För<strong>der</strong>ung des Segelfluges<br />
auf <strong>der</strong> Wasserkuppe e. V.“<br />
und zudem Chef <strong>der</strong> hessischen<br />
Verwaltungsstelle für das Biosphärenreservat.<br />
Dieser <strong>Land</strong>rat genehmigte auch<br />
ein Deutschland-Treffen <strong>der</strong> Harley-<br />
Davidson-Motorradfahrer, das dann<br />
im Sommer 2009 auf <strong>der</strong> Wasserkuppe<br />
stattfand. Rund 6000 Motorrä<strong>der</strong><br />
verstärkten das „Rhöner Gedröhn“<br />
und leisteten ihren Beitrag zur Klimaerwärmung.<br />
Ihre Fahrer konnten<br />
sich auf Hessens größten Borstgrasrasen<br />
ergehen. Und <strong>der</strong> <strong>Land</strong>rat bemüht<br />
sich um Wie<strong>der</strong>holungen dieser<br />
Veranstaltung! So kann das „vorbild-<br />
liche, umweltgerechte Handeln <strong>der</strong><br />
Öffentlichen Hand“ aussehen.<br />
Großzügig wird auch <strong>der</strong> Modellflugbetrieb<br />
gehandhabt. Wie<strong>der</strong> auf<br />
Kosten des Birkhuhns! Am Bergmassiv<br />
Simmelsberg-Himmeldunk hat<br />
man die beiden Birkhuhn-Lebensräume<br />
für den Modellflugbetrieb freigegeben.<br />
Die Hühner sind dort verschwunden,<br />
wen wun<strong>der</strong>t es! Auch<br />
die bayerische Seite hat es bisher<br />
nicht geschafft, dem Birkhuhn im Naturschutzgebiet<br />
Himmeldunk zu seinem<br />
Recht zu verhelfen.<br />
Das Birkhuhn:<br />
Leitart und Verlierer zugleich<br />
Wohl und Wehe des Birkhuhns zeigen<br />
deutlich wie es um den Naturschutz<br />
im Biosphärenreservat Rhön<br />
steht. Seine Erhaltung war für die<br />
<strong>HGON</strong> ursprünglich Hauptmotiv <strong>der</strong><br />
Naturschutzinitiative und am Schick -<br />
sal des Birkhuhns messen wir daher<br />
den Erfolg.<br />
Das Birkhuhn verkörpert, wie kein<br />
an<strong>der</strong>es Tier, das „<strong>Land</strong> <strong>der</strong> offenen<br />
<strong>Fernen</strong>“. Noch bis in die 1960er Jahre<br />
balzten in <strong>der</strong> Rhön bis zu 300<br />
Hähne. Danach ging es bergab. Mehrere<br />
Faktoren wirkten zusammen. Zu<br />
den Störungen kam die Verschlechterung<br />
des Lebensraums, vor allem<br />
Fichtenaufforstungen in den Hochlagen.<br />
Die übrigen Flächen vergrasten<br />
immer stärker. Sie wurden nicht mehr<br />
kleinflächig, son<strong>der</strong>n großflächig maschinell<br />
gemäht. Außerdem erlitt das<br />
Birkwild Verluste durch Unfälle, beispielsweise<br />
in Drahtzäunen, und<br />
durch Beutegreifer.<br />
Früh wurden die Probleme erkannt.<br />
Schon 1995 lag für den hessischen<br />
Teil ein Notprogramm des Birkhuhn-<br />
Experten Dr. Franz Müller vor. Jahrelang<br />
traf sich eine län<strong>der</strong>übergreifende<br />
Fachgruppe Birkwild. Mehrere Tagungen<br />
fanden statt. Dennoch kam<br />
man ob <strong>der</strong> vielen Wi<strong>der</strong>stände nur<br />
langsam voran. <strong>Im</strong>merhin konnten einige<br />
Bergkuppen vom Fichtenforst<br />
geräumt werden. Auf bayerischer<br />
Seite, wo die letzten regelmäßigen<br />
Vorkommen <strong>der</strong> Hühner liegen, verbesserte<br />
man die Struktur <strong>der</strong> „Langen<br />
Rhön“ erheblich (siehe NATIO-<br />
NALPARK Nr. 2-2007). Auf hessischer<br />
Seite wurden Drahtzäune<br />
durch breite Litzen ersetzt, <strong>der</strong><br />
Fuchsbestand abgesenkt.<br />
Für die Birkhühner könnten diese<br />
Maßnahmen aber zu spät gekommen<br />
sein. Zu Vieles wurde unterlassen. Zu<br />
viele Fichten stehen noch. Tourismus<br />
und Flugbetrieb wachsen weiter. Das<br />
Schwarzwild wird hochgepäppelt.<br />
Über das Sein o<strong>der</strong> Nichtsein des<br />
Birkhuhns in <strong>der</strong> Rhön werden sicherlich<br />
die nächsten drei Jahre entscheiden.<br />
Von einer Erfolgsgeschichte<br />
kann keine Rede sein. Es ist eher<br />
ein Armutszeugnis!<br />
Giftgrünland<br />
Es gibt in <strong>der</strong> Rhön auch gefährdete<br />
Lebensräume. Der wichtigste ist<br />
das Grünland. Dabei ist zu trennen<br />
zwischen den Hochlagen und den<br />
tieferen Lagen. Das Grünland <strong>der</strong><br />
Hochlagen liegt fast vollständig<br />
innerhalb von Naturschutzgebieten.<br />
Es wird seit Jahren nach Naturschutzvorgaben<br />
extensiv bewirtschaftet.<br />
Diese Fluren sind <strong>der</strong> Stolz<br />
<strong>der</strong> Rhön, bunt und artenreich!<br />
Ganz an<strong>der</strong>s steht es um das<br />
Grünland außerhalb <strong>der</strong> Naturschutzgebiete,<br />
vor allem in den tieferen Lagen.<br />
Die <strong>Land</strong>wirtschaftsverwaltung<br />
hat es hier nicht vermocht, im Sinne<br />
<strong>der</strong> Pilotaufgabe eines Biosphärenreservats,<br />
eine naturverträgliche <strong>Land</strong>nutzung<br />
zu etablieren. Der Vertragsnaturschutz,<br />
die ideologisch verordnete<br />
Wun<strong>der</strong>waffe im hessischen Naturschutz,<br />
versagt hier völlig. Denn<br />
<strong>Im</strong> Biosphärenreservat Rhön werden zahlreiche Veranstaltungen zur För<strong>der</strong>ung des Naturverständnisses<br />
angeboten, wie diese Moorexkursion (Foto: Tamm)<br />
2/2010 Nationalpark 31
dieses Grünland wird in <strong>der</strong> Rhön<br />
heute so intensiv genutzt wie in kaum<br />
einem an<strong>der</strong>en deutschen Mittelgebirge.<br />
Die Hauptnutzungsform ist die<br />
Milchviehhaltung mit Güllen und Silage-Schnitten.<br />
Dieses fette Grünland<br />
trägt seinen Namen zu Recht. Es ist<br />
giftgrün und weist selten mehr als<br />
sechs Blütenpflanzenarten pro Quadratmeter<br />
auf. Für ein buntes Tierleben<br />
fehlen alle Voraussetzungen. Die<br />
in den wärmeren Lagen früher beson<strong>der</strong>s<br />
große Artenfülle ist erloschen.<br />
<strong>Im</strong> Grünland außerhalb <strong>der</strong><br />
Naturschutzgebiete erfüllt das Biosphärenreservat<br />
Rhön also we<strong>der</strong><br />
seinen Modellcharakter für nachhaltiges,<br />
naturverträgliches Wirtschaften,<br />
noch erhält es die Biodiversität.<br />
Diese naturschädigende Bewirtschaftung<br />
beeinträchtigt auch die<br />
Mittel- und Unterläufe <strong>der</strong> Bäche. Die<br />
Pestwurzfluren sind Brennnesselsäumen<br />
gewichen. Das Tierleben scheint<br />
zu verarmen. Ich selbst erhielt einen<br />
Hinweis darauf, als ich 2009 in hessischen<br />
Mittelgebirgen Bachlibellen<br />
kartierte. Die Rhön war das einzige<br />
Gebiet, in dem auf vielen Kilometern<br />
geeigneter Bachstrecke keine einzige<br />
Quelljungfer zu finden war. Quelljungfernarten<br />
sind die größten heimischen<br />
Libellen und strikt an saubere, naturnahe<br />
Bäche und Quellen gebunden.<br />
Magere Bilanz für den Naturschutz!<br />
Für die Menschen wurde viel getan<br />
im Biosphärenreservat Rhön,<br />
für die Natur zu wenig! Sie diente<br />
mehr als touristisches Lockmittel.<br />
Von ihr wurde kräftig genommen,<br />
ohne ihr im Gegenzug etwas<br />
zurückzugeben. Die Bemühungen<br />
um das Wohlergehen<br />
<strong>der</strong> Menschen sind<br />
für den Naturschutz<br />
wichtig und für<br />
seine Akzeptanzunverzichtbar.<br />
Legende:<br />
geländeangepasster Störkorridor<br />
durch Straßen = 300 m<br />
geländeangepasster Störkorridor<br />
durch Wan<strong>der</strong>wege = 300 m<br />
32 Nationalpark 2/2010<br />
Aber im Biosphärenreservat Rhön<br />
wurden für die Akzeptanz immer wie<strong>der</strong><br />
Kernanliegen des Naturschutzes<br />
geopfert nach <strong>der</strong> Devise: „Akzeptanz<br />
für den Naturschutz durch Verzicht auf<br />
Naturschutz“. In <strong>der</strong> Rhön zeigen uns<br />
die Birkhühner wie die Talwiesen, wohin<br />
das führt. Der Tourismus ist dabei<br />
zu zerstören, was er sucht.<br />
Schaut man sich die Naturschutz-<br />
Defizite bei <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> UN-<br />
ESCO-Kriterien an, dann kann man<br />
sich nur wun<strong>der</strong>n, dass das deutsche<br />
Nationalkomitee „Man and Biosphere“<br />
bei <strong>der</strong> Überprüfung 2003 dem<br />
Biosphärenreservat Rhön in den Fächern<br />
„Naturschutz“ und „Nachhaltige<br />
<strong>Land</strong>nutzung“ die Höchstnote<br />
gab. Die <strong>HGON</strong> dagegen sieht ihre<br />
Erwartungen nur zum geringen Teil<br />
erfüllt. Für eine Mogelpackung hat sie<br />
sich aber nicht engagiert.<br />
geländeangepasste<br />
Störflächen durch<br />
geschlossene<br />
Waldrän<strong>der</strong> (Kulissen -<br />
effekt) = 200 m<br />
vom Birkhuhn genutzte<br />
Lebensräume<br />
Blick nach vorne<br />
Das laufende „Jahr <strong>der</strong> Biodiversität“<br />
ist ein guter Zeitpunkt für den<br />
Start einer neuen Initiative zu mehr Artenvielfalt<br />
und Naturschutz. Außerdem<br />
erfor<strong>der</strong>t das die Nationale Strategie<br />
zur Biodiversität und die Verpflichtungen<br />
aus dem EU-Countdown 2010.<br />
• Machen wir also endlich Ernst mit<br />
<strong>der</strong> Rettung des Birkwildes! Ergreifen<br />
wir rasch die fälligen Maßnahmen<br />
zur Verbesserung und Entstörung<br />
seiner Lebensräume.<br />
• Machen wir Ernst mit <strong>der</strong> Ausweisung<br />
<strong>der</strong> Kernzonen! Erfüllen wir<br />
die Kriterien und lassen den Trick<br />
mit den Kleinstflächen.<br />
• Machen wir Ernst mit <strong>der</strong> naturverträglichen<br />
Grünlandwirtschaft! Wir<br />
würden damit große Flächen attraktiver<br />
Natur hinzugewinnen und<br />
auch den Besuchern anbieten können.<br />
Der Besucherdruck könnte<br />
sich besser verteilen, die sensiblen<br />
Hochlagen würden entlastet.<br />
• Machen wir Ernst mit <strong>der</strong> Vorbildfunktion<br />
<strong>der</strong> Öffentlichen Hand!<br />
Wählen wir für die Fernstraßenquerung<br />
<strong>der</strong> Rhön die naturschonen<strong>der</strong>e<br />
Trasse im Süden. Ersparen wir<br />
<strong>der</strong> Wasserkuppe weitere Motorrad-Großtreffen.<br />
• Und geben wir doch endlich den<br />
seltenen Pflanzen auf <strong>der</strong> Milseburg<br />
ein paar Quadratmeter Fels<br />
zum Überleben zurück!<br />
Solange diese Hausaufgaben im<br />
Naturschutz nicht erledigt sind,<br />
macht die geplante Erweiterung des<br />
Biosphärenreservats Rhön keinen<br />
Sinn. <strong>Im</strong> Gegenteil. Das Reservat<br />
wäre zurückzunehmen auf die ökologisch<br />
wertvollen Hochlagen. Für<br />
„Giftgrünland“ darf in einem Biosphärenreservat<br />
kein Platz sein.<br />
Ein Löschen des Biosphärenreservats<br />
Rhön wollen auch die Initiatoren<br />
<strong>der</strong> <strong>HGON</strong> vermeiden. Wenn aber <strong>der</strong><br />
Naturschutz dort so nachrangig und<br />
wirkungsschwach bleibt, dann müss -<br />
ten sie das Ende verlangen. Schon<br />
<strong>der</strong> Ehrlichkeit zuliebe. Am liebsten<br />
freilich würden wir Willy Bauer zurufen<br />
können: „Es hat sich gelohnt!“ n<br />
Jochen Tamm<br />
„Die Devise darf<br />
nicht lauten: „Akzeptanz<br />
für den<br />
Naturschutz<br />
durch Verzicht auf<br />
Naturschutz“. In<br />
<strong>der</strong> Rhön zeigen<br />
uns die Birkhühner und die Talwiesen,<br />
wohin das führt. Auch <strong>der</strong> Tourismus<br />
wird so bald zerstören, was er sucht!“