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Blick zurück in Liebe<br />

Rechtzeitig zu den Wagner-Wochen kehrt Peter Konwitschnys Interpretation der<br />

»Meis tersinger von Nürnberg« zurück. Dramaturg Werner Hintze wirft einen Blick auf<br />

Wagners einzige komische Oper, die nicht nur deshalb eine Sonderstellung im Œuvre<br />

des Bayreuther Meisters einnimmt.<br />

Kaum ein Künstler des 19. Jahrhunderts hat<br />

sich so intensiv mit dem Konflikt von Tradition<br />

und Erneuerung auseinandergesetzt<br />

wie Richard Wagner. Und kein<br />

Opernkomponist hat dieses Problem so<br />

häufig in seinen Werken reflektiert wie er, bei dem sich<br />

nahezu alle Werke aus dem Blickwinkel dieser Frage<br />

lesen lassen. Der Grund liegt auf der Hand: Da ist einer,<br />

der sein Leben lang überzeugt ist, dass diese Welt radikal<br />

erneuert werden muss. Da er aber aus dieser Überzeugung<br />

heraus Werke schafft, denen er Dauerhaftigkeit<br />

wünscht, muss er sich zwangsläufig fragen, was denn aus<br />

dem wertvollen Alten werden soll, wenn das Neue erreicht<br />

ist.<br />

Das stärkste Bild für die radikale Erneuerung findet<br />

sich im »Siegfried«: Die Bruchstücke des Schwertes werden<br />

nicht als zwar nutzlose aber höchst verehrungswürdige<br />

Zeugen einer toten Vergangenheit (sozusagen<br />

»werktreu«) aufbewahrt, sondern rücksichtslos für die<br />

Gegenwart brauchbar gemacht: zu Spänen zerfeilt und<br />

in ein neues Schwert umgegossen. Im »Tannhäuser«<br />

lässt Wagner den genialen Künstler auf eine in lebloser<br />

Traditionspflege erstarrte Umwelt prallen und tragisch<br />

scheitern. Freilich zeigt er unmissverständlich, auf welcher<br />

Seite er steht, indem er die Natur selbst für den jugendlichen<br />

Umstürzler Partei ergreifen lässt: Das tro -<br />

ckene Holz in der Hand des Priesters schlägt wieder aus.<br />

Die differenzierteste und tiefsinnigste Reflexion der<br />

Frage nach der Tradition aber ist Gegenstand von Wagners<br />

kühnstem Unternehmen: »Die Meistersinger von<br />

Nürnberg« sind nicht nur die einzige komische Oper<br />

des reifen Wagner, sondern auch gleichzeitig sein komplexestes<br />

und virtuosestes Werk. Ursprünglich als kleines<br />

ironisch-parodistisches Nachspiel zum »Tannhäuser«<br />

konzipiert, entwickelte sich das Werk unter der<br />

Hand zu einer profunden, komödiantisch aufgelockerten<br />

Kunstdiskussion. Wagner konfrontiert auch hier den<br />

jungen Mann, der dichtet und singt, wie ihm der Schnabel<br />

gewachsen ist, mit einem Männer-Zirkel, der Wesen<br />

und Sinn der Kunst darin sieht, neue Werke nach den<br />

Schnittmustern der großen und verehrten alten zu fertigen.<br />

Aber in der Komödie muss der Konflikt zu einem<br />

harmonischen Ausgleich geführt werden. Diesen Ausgleich<br />

erreicht Hans Sachs, der dem jungen Mann den<br />

Wert des Überkommenen und die Möglichkeit einer behutsamen,<br />

nicht zerstörerischen Erneuerung aufzuzei-<br />

gen vermag und ihn auf diese Weise zu dem Lied befähigt,<br />

mit dem er den Sieg davonträgt.<br />

Eine Komödie über ein kunsttheoretisches Problem<br />

kommt der Quadratur des Kreises gleich. Wagner löst<br />

das Problem, indem er den Streit um alte und neue<br />

Kunstregeln auf höchst virtuose Weise mit einer Liebesgeschichte<br />

verknüpft: Eva, die durch Gewohnheit und<br />

Zuneigung mit dem alternden Mann verbunden ist,<br />

steht metaphorisch für die Kunst, Sachs für die Tradition<br />

und Stolzing für das Neue. Es ist für jeden nachvollziehbar,<br />

dass sich die junge Frau dem jungen Mann zuwendet.<br />

Und dass der Dreieckskonflikt nicht tragisch<br />

endet, liegt daran, dass Sachs die Rolle spielt, die Wagner<br />

der richtig verstandenen Tradition zuweist: Er verhilft<br />

dem jungen Heißsporn zum Sieg, indem er seine kreativen<br />

Potenzen durch die neu gedeuteten alten Regeln<br />

strukturiert und gleichzeitig entfesselt. Aber diese Verknüpfung<br />

der beiden Ebenen ist nicht nur ein Kunstgriff,<br />

der aus der trockenen ästhetischen Diskussion eine<br />

bühnenwirksame Komödie macht. Die Liebesgeschichte<br />

ist integraler Bestandteil der Konzeption des Stückes.<br />

Denn nur als Liebender ist Stolzing in der Lage sein Lied<br />

zu schaffen, nur als Liebender ist Sachs in der Lage, ihn<br />

dazu zu bringen, nur durch Liebe und eben nicht durch<br />

geisttötende Anbetung kann das Alte in die Gegenwart<br />

gebracht werden und dort weiterleben.<br />

Der dieses Stück komponierte, hätte der Auffassung<br />

jenes gefeierten Dirigenten wohl heftig widersprochen,<br />

der meinte, nachdem die großen Meister von ihren So -<br />

ckeln gestoßen sind, sei es Zeit, sie wieder auf selbige zurückzustellen.<br />

Wagner empfiehlt uns nicht Anbetung<br />

der alten Meister, auch des Bayreuther nicht, sondern<br />

Aneignung. Mit Respekt – sicherlich, vor allem aber mit<br />

Liebe, die den geliebten Gegenstand ins Leben bringen<br />

und im Leben halten möchte.<br />

WERNER HINTZE lebt als freischaffender Theaterwissenschaftler<br />

und Dramaturg in Berlin. Unter der<br />

Intendanz von Andreas Homoki war er Chefdramaturg<br />

der Komischen Oper Berlin. Eine langjährige Zusammenarbeit<br />

verband ihn mit Peter Konwitschny.<br />

Zu den Konwitschny-Produktionen, die er an der<br />

<strong>Hamburg</strong>ischen Staatsoper betreute, gehörten auch<br />

die »Meistersinger von Nürnberg«.<br />

OPER Wiederaufnahme<br />

Debüts internationaler<br />

Stars bei der<br />

»Meistersinger«-<br />

Wiederaufnahme:<br />

James Rutherford<br />

Bo Skovhus<br />

Meagan Miller<br />

Burkhard Fritz<br />

Peter Rose<br />

4.2012/13 JOURNAL 19

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