Download - Hamburg Ballett
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Im Strudel der Entsagung<br />
John Neumeiers <strong>Ballett</strong> »Tod in Venedig«<br />
Die Lagunenstadt mit ihren schmalen Kanälen, alten Palästen und<br />
dunklen Mauern – gebaut am mythenreichen Tor ins Leben spendende<br />
Reich des Wassers steht Venedig wie kaum eine andere Stadt<br />
an der Nahtstelle von Geburt und Vergänglichkeit, Ewigkeit und Untergang.<br />
Heiter und erhaben umschmeichelt sie den Ankommenden<br />
mit ihren Verlockungen, aus denen der Reisende anders herauskommt<br />
als er hineingeht – begleitet von ebenso mythischen Figuren<br />
als Boten des Wandels und Austauschs.<br />
In seiner Novelle »Der Tod in Venedig« hat Thomas Mann 1911<br />
den folgenreichen Prozess einer Auflösung beschrieben. Tod und<br />
Leben zerfließen, werden eins in der Phantasmagorie des alternden<br />
Schriftstellers Gustav von Aschenbach, dessen Name bereits die<br />
Kluft zwischen dem Adel eines hochgestiegenen Geistes und der<br />
Brüchigkeit seiner ästhetischen Reinheit anzeigt. In den Winkeln der<br />
Grenzstadt zum Totenreich widerfährt dem Schriftsteller eine<br />
Lloyd Riggins<br />
Edvin Revazov<br />
schleichende Entgrenzung, die Sigmund Freud das ozeanische Gefühl<br />
nennt. Das Aufgeben der Bewahrung der Fassung lässt ihn in<br />
einen inneren Dialog treten, dessen Ich das Du wirkmächtig trans -<br />
zendiert: Aschenbach blickt im Angesicht des jungen, verführerischen<br />
Tadzio in den eigenen, ästhetisch überhöhten Narzissmus und<br />
gibt sich als Leistungsethiker mit bürgerlichen Idealen auf, ohne jemals<br />
an die sicheren Strände seiner gefestigten Existenz zurückzukehren.<br />
Diese im Rauschhaften stattfindende Daseinsvernichtung hat<br />
John Neumeier 2003 zu einem Totentanz inspiriert, der in dialektischer<br />
Verschlingung eigentlich eine Liebeserklärung an das Leben<br />
meint. In Neumeiers <strong>Ballett</strong> ist Aschenbach ein weithin anerkannter,<br />
renommierter Choreograf, der um Haltung und Würde ringt, in der<br />
Erstarrung des »Durchhaltens« allerdings eine umwälzende schöpferische<br />
Stockung erlebt, die ihm alles abfordert, am Ende sogar sein<br />
Leben. Indes hat der Exotismus einer selbst im Untergang befindlichen<br />
Stadt maßgeblichen Anteil an Aschenbachs Hindämmern am<br />
Lido. Die ständige Bewegung, hier im Bild des Wassers und tückischen<br />
Sciroccos, gebiert Leben, doch eigentlich steht sie für Verwandlung<br />
– Verwandlung nicht nur einer gestandenen Künstlerseele,<br />
sondern eines sich selbst entsagenden Lebensgefühls.<br />
/ André Podschun<br />
Aufführungen 26., 28. März<br />
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