Journal 4_Journal 3 - Hamburgische Staatsoper
Journal 4_Journal 3 - Hamburgische Staatsoper
Journal 4_Journal 3 - Hamburgische Staatsoper
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
OPER PREMIERE<br />
›FAUST‹<br />
Charles Gounod<br />
Opernwerkstatt<br />
»Faust«<br />
28. Januar, 18.00-21.00 Uhr,<br />
und 29. Januar,<br />
11.00-17.00 Uhr<br />
(mit entsprechenden Pausen)<br />
Opera stabile<br />
Mit Diplomregisseur<br />
Volker Wacker<br />
4 | <strong>Journal</strong> 4<br />
Eine Nachdichtung, von der selbst Goethe angetan war: »Im<br />
Deutschen mag ich den Faust nicht mehr lesen, aber in dieser<br />
französischen Übersetzung wirkt alles wieder durchaus frisch,<br />
neu und geistreich.«<br />
Die Geschichte kommt bei Gounod »an«. Charles Gounod<br />
war noch ein junger Mann, als er das Drama 1838 kennen lernte.<br />
Er hatte den Rompreis des Pariser Conservatoire gewonnen<br />
und lebte in der römischen Villa Medici. In seinen Er -<br />
innerungen hielt er fest: »Mit der Zeit wich meine Schwer mut<br />
und machte einer ganz entgegengesetzten Stimmung Platz. Ich<br />
wurde mit Rom vertraut, und das Leichen tuch, in das ich mich<br />
bisher gehüllt hatte, war abgewor fen. Indessen war ich nicht<br />
müßig gegangen. Meine Lieb lingszerstreuung war die Lektüre<br />
von Goethes Faust in der fran zösischen Übersetzung natürlich,<br />
da ich ja kein Wort Deutsch konnte.« Seiner Mutter teilte er in<br />
einem Brief mit, dass er von Margarethe träume, sich mit ihr<br />
identifiziere und dass ihr Bild unablässig sein Herz anrühre.<br />
Eine intensivere Beschäftigung mit dem Stoff verdankte der<br />
Komponist schließlich Fanny Hen sel, die sich mit ihrem Mann<br />
1840 in der Künstlerkolonie in Rom aufhielt und zeitweise<br />
Stücke deutscher Komponisten spielte. Durch sie wurde<br />
Gounod mit der Musik Bachs vertraut, und durch die Gesprä -<br />
che mit ihr fand er einen tieferen Zugang zu Goethes »Faust«.<br />
Er reiste sogar in das »Heimatland Mar garethes« nach Berlin<br />
und Leipzig, wo er Felix Mendelssohn Bartholdy traf und von<br />
ihm viel über den Bach’schen Kirchen stil und über Orches -<br />
trierung erfuhr. Die Kirchenmusik nahm, besonders am An -<br />
fang und am Ende seiner Kompo nisten laufbahn, einen breiteren<br />
Raum in seinem Œuvre ein als das Opernschaffen. Müßig<br />
zu erwähnen, dass das »Ave Maria« von Bach/Gounod eines<br />
der bekanntesten Stücke der klassischen Musik ist. Obwohl<br />
Felix Mendelssohn Charles Gounod von seinem Vorhaben, den<br />
»Faust« zu vertonen abriet, begann dieser, seinen Plan einige<br />
Jahre später zu realisieren, und beauftragte die Librettisten<br />
Jules Barbier und Michel Carré damit, eine Fassung aus dem<br />
Goethe-Drama herzustellen.<br />
Die Geschichte passt sich der Gattung Oper an. Wie fast<br />
jede Literatur-Vertonung stellte auch dieses Werk eine Um -<br />
deutung der Vorlage dar. Goethes Text wurde zwangsläufig nur<br />
als Gerüst benutzt. Die Handlung der Oper stützt sich ausschließlich<br />
auf Faust I. Das eigentliche Thema der Tragödie,<br />
nämlich Faustens Allmachtsphantasien und sein Streben nach<br />
Erkenntnis, erfuhr kaum Berücksichtigung, da sich der Kom -<br />
ponist in erster Linie durch die Gestalt der Margarethe inspirieren<br />
ließ. Aus diesem Grund hat sich im deutschen Sprach -<br />
raum für die Oper die Bezeichnung »Margarethe« durch gesetzt<br />
und dies wohl auch, um den Unterschied zu Goethes »Faust«<br />
zu unterstreichen. Geschildert wird im Zen trum der Handlung<br />
die Liebe zwischen Faust und Margarethe und deren tragisches<br />
Ende. Margarethes Entwicklung vom jungen Mädchen zur liebenden<br />
Frau bis zur leidgeprüften Kreatur sind in der Oper<br />
konsequent herausgearbeitet. Schuldlosigkeit, Verderben und<br />
Verklärung: die dramatische Verwandlung einer reinen und<br />
verwundbaren Seele steht im Mittelpunkt der Oper. Die be -<br />
wusst etwas in den Hintergrund gedrängte Titelfigur wird als<br />
eher zwiespältige Persönlichkeit gezeichnet. Zwar verabscheut<br />
Faust die Machenschaften Mephistos, nimmt sie in seinem<br />
Liebesdrängen jedoch gleichzeitig willenlos in Kauf. Durch den<br />
Teufelspakt wird er zum Auslöser des tragischen Geschehens<br />
mit Margarethes Unter gang und Valentins Tod. Dabei gesteht<br />
der Komponist dem Titelhelden durchaus ehrliche Gefühle zu,<br />
wie beispielsweise in seiner Kavatine oder in dem Duett mit<br />
Margarethe. Eine Neigung zur Karikatur zeigt Gounod hingegen<br />
in der Charakterisierung des Mephisto. Vor allem das<br />
berühmte »Ron do vom goldenen Kalb« wirkt absichtlich nicht<br />
besonders dämonisch. Der Teufel kommt hier eher ganz<br />
modern wie ein gerissener Hochstapler daher.<br />
Die Geschichte spiegelt Zeitgeist und Gesellschafts hal -<br />
tung wider. Das Werk konzentriert sich auf das Thema des<br />
allgemeinen Werteverlustes. Die an sich gefühlvolle Liebe zwischen<br />
Margarethe und Faust entsteht durch die Einwirkung<br />
einer dämonischen Macht und wird dadurch von vornherein<br />
be schädigt. Der an Mephistos Macht geknüpfte Reichtum<br />
spielt eine zentrale Rolle, ebenso die darin enthaltene Bot -<br />
schaft, dass die Welt grundsätzlich verdorben sei, was durchaus<br />
den Er fahrungen der Bürger in der Ära Napoleon III. entsprach:<br />
»Was hat nun dieses Zeitalter – ich will nicht sagen für<br />
die An nehmlichkeiten, sondern für das ›Glück‹ des Menschen<br />
getan? Napoleon I., Napoleon III., Wilhelm von Preußen,<br />
Waterloo, die Maschinengewehre, die Krupp’schen Kanonen!«,<br />
notierte Charles Gounod an Heiligabend 1870. Es geht um<br />
Erlösung und Schuldbefreiung durch Liebe. Das moderne<br />
Musiktheater jener Zeit verlangte die Wider spie gelung moralischen<br />
Seins, resümiert Ulrich Schreiber: »Nun steht die Ret -<br />
tung der Seele Gretchens im Vordergrund, und diese Mar -<br />
garethe wäscht sogar Faust selbst von jeder Schuld rein, weil<br />
er von Mephisto irregeleitet sei. Der Orgelprunk, mit dem ihre<br />
Seele am Schluss gen Himmel auffährt, signalisiert mit der<br />
Rettung einer Seele die Exkulpation einer ganzen Ge sellschaft.<br />
Da wird die Oper zum Rührstück, und die religiöse Bei mi -<br />
schung der Finalmusik ist wenn nicht Opium, so doch zumindest<br />
Pudding für das Volk. Jedenfalls ist das bürgerliche Trauer -<br />
spiel auf dem Musik theater noch nicht reif für die späteren<br />
Seelenqualen im späteren Drama lyrique.« Nach Meyer beers<br />
Betonung des Politi schen und Allgemeinen in der Gro ßen<br />
Oper rückte Gounod die einzelne Figur mit ihren Emo tionen<br />
ins Zentrum der Musik und der Bühne. Die Instru mentierung<br />
zeigt sich in vielem anspruchsvoller, als es in der oft in pompösem<br />
Stil gehaltenen französischen Oper der Zeit üblich war.<br />
Unter dem Strich be deutete Gounods lyrischer Stil eine Er -<br />
neuerung der französischen Oper, und seine meisterliche Satz -<br />
kunst, die glänzenden Chortableaus und die Inner lichkeit in<br />
den lyrischen Szenen wurden von vielen Opern fachleuten<br />
geschätzt.<br />
Die Geschichte wird ein außergewöhnlicher Erfolg für den<br />
Stoff: Nach anfänglichen Startschwierigkeiten – die Oper wur -<br />
de am 19. März 1859 im Pariser Théâtre Lyrique mit nur mäßigem<br />
Erfolg uraufgeführt – kam es in der Folgezeit am selben<br />
Ort zu über 300 erfolgreichen Vorstellungen. 1869 gelangte<br />
eine vom Komponisten veränderte und erweiterte Fassung an<br />
die Grand Opéra. Die gesprochenen Dialoge waren durch<br />
Rezitative ersetzt, und die Walpurgisnachtszene um die obligate<br />
Balletteinlage erweitert worden. Auch in dieser Form war<br />
»Faust« bzw. »Margarethe« erfolgreich und wurde von einer<br />
stattlichen Anzahl europäischer Opernhäuser ins Repertoire<br />
genommen. Von den vielen Komponisten, die das Drama von<br />
Goethe in Musik gesetzt haben, gehört Charles Gounod zu<br />
den wenigen, denen ein dauerhafter Erfolg beschieden war. Am<br />
Hamburger Stadttheater fand am 25. Januar 1862 die erste<br />
Aufführung der Oper unter dem Titel »Faust und Margarethe«<br />
statt. Wenig später reiste Maestro Gounod persönlich in die<br />
Hansestadt, um zwei Vorstellungen seiner Oper zu dirigieren.<br />
Ein Franzose kommt nach Deutschland, um diesen vermeintlich<br />
urtypischen deutschen Stoff in neuem Licht vorzustellen<br />
– eine Übertragung und Spiegelung, die bis heute nichts von<br />
ihrer eigentümlichen Faszination eingebüßt hat.<br />
ANNEDORE CORDES