Jabal Khandama, Makkah Al-Mukaramah - Bauwelt
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18 Thema Mekka <strong>Bauwelt</strong> 11 | 2007<br />
<strong>Bauwelt</strong> 11 | 2007 19<br />
1819 1947 1998<br />
Die Entwicklung der Stadt<br />
und der Moschee rund um das<br />
Heiligtum der Kaaba.<br />
Rechts: Blick vom <strong>Khandama</strong>-<br />
Wettbewerbsgebiet auf die<br />
Moschee und die in Bau befind<br />
lichen „King Abdul Aziz<br />
<strong>Al</strong>-Waqf I“-Türme. Der mitt -<br />
lere Turm wird eine Höhe von<br />
485 Metern erreichen.<br />
<strong>Jabal</strong> <strong>Khandama</strong>,<br />
<strong>Makkah</strong> <strong>Al</strong>-<strong>Mukaramah</strong><br />
Zur Geschichte der Stadt Mekka und des städtebaulichen Wettbewerbs<br />
Text: Brigitte Schultz<br />
<strong>Makkah</strong> <strong>Al</strong>-<strong>Mukaramah</strong> kennt man im Westen unter dem<br />
Namen Mekka. Aber was weiß man ansonsten über die Stadt?<br />
Sicher, dass sie für circa ein Fünftel der Erdbevölkerung einen<br />
heiligen Ort darstellt, in dessen Richtung die Gäubigen ihre<br />
Gebete orientieren und zu dem zumindest einmal im Leben<br />
zu pilgern ihnen ihre Religion gebietet. Man kennt das Foto<br />
des schwarzen Würfels der Kaaba im Hof der Moschee <strong>Al</strong><br />
Haram al-Sharif, umkreist von Scharen weiß gekleideter Pilger.<br />
Dieses Bild allerdings scheint losgelöst von der Stadt im<br />
luftleeren Raum zu existieren. Sollten Vermutungen über das<br />
umgebende Stadtgebiet angestellt werden, so wird man wohl<br />
am ehesten einen „heiligen Bezirk“ oder eine verwinkelte <strong>Al</strong>tstadt<br />
mit kleinen Gässchen, belebten Plätzen und Märkten erwarten.<br />
Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Gründung Mekkas, die<br />
der Überlieferung nach im 19. Jahrhundert v. Chr. durch den<br />
Propheten Abraham erfolgte, ist die Stadt zwischen Küstenebene<br />
und arabischem Hochland auf 1,4 Millionen ständige<br />
Einwohner angewachsen. In den zentralen Wochen der Pilgerschaft,<br />
des Hadsch, erhöht sich diese Zahl jedes Jahr um wei-<br />
tere zwei Millionen. Über ein Drittel der Bevölkerung konzentriert<br />
sich dabei innerhalb der in etwa sechs Quadratkilometer<br />
großen Innenstadt, in deren Zentrum die Moschee<br />
sowie die sie umgebenden Gebetsplattformen liegen. Die extrem<br />
hohe Dichte erklärt sich nur teilweise aus der topografischen<br />
Lage der Stadt im Talkessel, die jede weitere flächenmäßige<br />
Ausdehnung zu einer logistischen und finanziellen<br />
Herausforderung macht. Weit größere Auswirkungen hat die<br />
enorme religiöse Anziehungskraft der Moschee. Da selbst der<br />
Blick auf die Kaaba als Akt der Anbetung gilt, ist die gesamte<br />
Innenstadt, vergleichbar einem gigantischen urbanen Stadion,<br />
um diesen Fokus herum organisiert. Jedes Grundstück wird im<br />
Hinblick auf eine optimale Ausnutzung dieser Sichtbeziehung<br />
bebaut, wobei von den verschiedenen Projektentwicklern<br />
im Normalfall keine Rücksicht auf benachbarte Grundstücke<br />
genommen wird oder werden muss, da sie in dem monar chischen<br />
System nicht an baurechtliche Vorschriften, sondern an<br />
individuelle Absprachen mit dem Herrscher gebunden sind.<br />
Die Stadt lebt, auch wirtschaftlich gesehen, von der Pilgerschaft,<br />
die jährlich zunimmt. Deutlich sichtbare Zeichen<br />
hierfür sind die kontinuierliche Erweiterung der Gebetsplattformen,<br />
der die jeweils der Moschee am nächsten stehenden<br />
Gebäude weichen müssen, und die Häufung von Hotelhochhäusern,<br />
die das Bild auch der unmittelbaren Umgebung der<br />
<strong>Al</strong> Haram bestimmen.<br />
Das größte Kapital der Stadt ist zugleich auch ihr größtes<br />
Problem. Die Verkehrsströme, die fünfmal täglich zum Gebet<br />
in Richtung <strong>Al</strong> Haram, aber auch zu den heiligen Stätten Mina<br />
und Arafat außerhalb Mekkas pendeln, stellen äußerst komplexe<br />
Anforderungen an die Infrastruktur, die in ihrer jetzigen<br />
Form – ohne ein umfassendes öffentliches Verkehrssystem –<br />
diese Erfordernisse kaum erfüllt. Gleichzeitig müssen bei der<br />
Versorgung der Pilger immer mehr Menschen auf im mer geringerer<br />
Fläche untergebracht werden. Die Versuche der Stadtverwaltung,<br />
die auch durch den Ölboom beförderte rasante<br />
Entwicklung Mekkas in geordnete Bahnen zu lenken, führten<br />
bisher zu drei Masterplänen. Der erste Plan aus dem Jahr 1973<br />
zielte vor allem auf eine Dezentralisierung der Stadt zur Entlastung<br />
der Innenstadt; der zweite von 1986 betonte erstmals<br />
auch die Relevanz der älteren Bezirke in der Innenstadt sowie<br />
der sie umgebenden, damals noch weitgehend unbebauten<br />
Hügelketten für die Identität der Stadt.<br />
Der aktuelle Masterplan ist für die kommenden 50 Jahre<br />
ausgelegt und hat, wie seine zwei Vorgänger, eher den Charakter<br />
einer Empfehlung. Er schlägt u.a. die Festlegung zu entwickelnder<br />
Gebiete sowohl in der bereits bebauten Innenstadt<br />
als auch in der Peripherie vor. Eine Verbesserung der Verkehrssituation<br />
soll durch die Fertigstellung des fünfteiligen Ringstraßensystems,<br />
die Trennung von Fußgänger- und Fahrverkehr<br />
sowie die Einrichtung eines öffentlichen Nahverkehrs<br />
erreicht werden. Obwohl das Dokument in Bezug auf internationale<br />
Beispiele auch die Erhaltung der gewachsenen Struktur<br />
der Innenstadt nahelegt, scheint diese offizielle Absichtserklärung<br />
kaum Auswirkungen auf die tatsächliche Entwicklung<br />
zu haben. Vielmehr befindet sich momentan fast die gesamte<br />
Innenstadt in einem enormen Umbauprozess, dessen verschiedenste,<br />
voneinander unabhängige Bauarbeiten ganze Viertel<br />
zeitweilig in riesige Brachflächen verwandeln.
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<strong>Bauwelt</strong> 11 | 2007 21<br />
Oben: städtebauliche Situation<br />
Ende der neunziger Jahre.<br />
Rechts: geplante Neubaugebiete<br />
mit Hochhäusern. Zum<br />
Teil sind die Areale bereits<br />
freigeräumt worden.<br />
Pläne im Maßstab 1:20.000<br />
1 <strong>Jabal</strong> <strong>Khandama</strong> Projekt<br />
2 King Abdul Aziz <strong>Al</strong>-Waqf II<br />
Projekt<br />
3 Ajyad Hospital Projekt<br />
4 Ajyad Area Projekt<br />
5 King Abdul Aziz <strong>Al</strong>-Waqf I<br />
Projekt (in Bau)<br />
6 Darb <strong>Al</strong> Khalil Projekt<br />
7 „The Parallel Way“ Projekt<br />
8 <strong>Jabal</strong> Omar Projekt<br />
9 <strong>Jabal</strong> <strong>Al</strong>-Kaaba Projekt<br />
10 <strong>Al</strong> Shamiyah Projekt<br />
11 <strong>Al</strong> Mudaie Projekt<br />
12 Königliche Paläste<br />
13 Hilton Hotel<br />
7<br />
9<br />
8<br />
6<br />
10<br />
13<br />
5<br />
3<br />
11<br />
12<br />
4<br />
2<br />
1
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Oben: das Projekt „The Parallel<br />
Way“, eine neue Achse<br />
durch die <strong>Al</strong>tstadt östlich der<br />
Moschee, und die King Abdul<br />
Aziz <strong>Al</strong>-Waqf I-Türme neben<br />
dem Hilton Hotel, die momentan<br />
von der Saudi Bin Ladin<br />
Group (SBG) gebaut werden.<br />
Rechte Seite oben: Modell des<br />
100 Hektar großen <strong>Al</strong> Shamiyah<br />
Projekts nördlich der<br />
Moschee.<br />
Ein Blick auf einige dieser Projekte verdeutlicht die Dimensionen<br />
dieser Umwälzungen. Das derzeit größte Projekt „<strong>Al</strong><br />
Shamiyah“ umfasst eine Fläche von 100 Hektar direkt nördlich<br />
der Moschee, die über 200.000 Pilger und nochmals doppelt so<br />
viele Betende aufnehmen soll. Sechzehn Hektar der Fläche<br />
sind dabei für eine weitere Vergrößerung der Gebetsplattformen<br />
vorgesehen. Westlich von <strong>Al</strong> Shamiyah schließt der Berg<br />
„<strong>Al</strong>-Ka´bah“ an, auf dem ein kleineres Projekt mit neun 25-geschossigen<br />
Hotelhochhäusern geplant ist. Ebenfalls in der<br />
westlichen Innenstadt liegt „<strong>Jabal</strong> Omar“, das auf 23 Hektar<br />
eine Million Quadratmeter Bruttogeschossfläche in bis zu 50<br />
Geschosse hohen Gebäuden sowie öffentliche Plätze für 45.000<br />
Betende bereitstellen will.<br />
Langfristige Planungen sehen zudem eine 40 Meter breite<br />
Verkehrsachse vor, die eine Schneise in den Westteil der vorhandenen<br />
Stadt schlagen würde. Der sogenannte Parallele Weg<br />
soll direkt auf die Moschee zuführen und wird von einem 320<br />
Hektar großen Gebiet gesäumt, das neu bebaut werden soll.<br />
Auf halber Strecke der fünf Kilometer langen Straße steht ein<br />
55.000 Quadratmeter großer Kuppelbau als Versammlungsstätte<br />
mit direkter Sichtverbindung zum <strong>Al</strong> Haram.<br />
Bereits weit fortgeschritten sind die Arbeiten an den von<br />
der Saudi Bin Ladin Group (SBG) gebauten „Abraj <strong>Al</strong>-Bayt“-<br />
Türmen am südlichen Rand der Moschee. Dieser aus sieben<br />
Türmen zusammengesetzte Gebäudekomplex wird mit einer<br />
Höhe bis zu 485 Metern eines der höchsten Gebäude der Welt<br />
sein und soll über 40.000 Pilger aufnehmen. Direkt an die Königspaläste<br />
östlich der Moschee soll zukünftig eine weitere<br />
Großstruktur aus fünfzehn Gebäuden mit bis zu 28 Geschossen<br />
anschließen, die durch ein einheitliches Sockelgeschoss<br />
verbunden werden.<br />
Einen weiteren Baustein dieser Entwicklung bildet die<br />
„<strong>Khandama</strong>“-Bergkette, die einen Großteil der östlichen In-<br />
nenstadt umfasst. Trotz ihrer unmittelbaren Nähe zur Moschee<br />
wurde sie aufgrund ihrer bewegten Topografie bisher<br />
nicht im großen Stil entwickelt und ist darum nur in den Talbereichen<br />
bebaut. Für dieses 60 Hektar große Gebiet wurde<br />
von der „Fakieh Group“ Mitte letzten Jahres ein zweistufiger<br />
internationaler Wettbewerb ausgelobt, von dessen zehn eingeladenen<br />
Teilnehmern (u.a. aus Spanien, Deutschland, Frankreich,<br />
Großbritannien und Kanada) man sich neue Impulse für<br />
die Stadtentwicklung versprach. Besonderer Wert wurde dabei<br />
darauf gelegt, die neue Entwicklung in die bestehende und im<br />
Werden begriffene Stadtstruktur einzubinden, um dem Gebiet<br />
im Gegensatz zu anderen großen Entwicklungsgebieten der<br />
Stadt keinen Inselcharakter zu verleihen. Das Projekt hat mit<br />
geplanten 2,6 Millionen Quadratmetern Bruttogeschossfläche<br />
ähnliche Dichtevorgaben zu erfüllen wie andere Projekte der<br />
Innenstadt. Trotzdem wurde versucht, ihm einen für die Nutzer<br />
„fassbaren“ Maßstab zu geben: durch die Begrenzung der<br />
Gebäudehöhe auf im Normalfall 20 Geschosse, die Vorgabe<br />
von Abstandsflächen und die Forderung nach nutzbaren öffentlichen<br />
Räumen.<br />
Welche Risiken allerdings dabei auftreten können, wenn<br />
ein Großteil der Teilnehmer den Ort des Wettbewerbs als<br />
Nicht-Muslime nicht persönlich betreten darf, zeigt sich in manchen<br />
der Einreichungen mit nahezu stadtfeindlichen Entwürfen.<br />
Die Gründe hierfür sind schwer zu benennen. Lag es vielleicht<br />
an der mangelnden Identifikation mit dem Ort oder an<br />
der Lust, einen gewagten Entwurf zu präsentieren, dessen Realisierung<br />
man sich in der boomenden Metropole erhoffte? So<br />
finden sich zum Beispiel Vorschläge wie die Pressung des Stadtgrundrisses<br />
in ein islamisches Dekormuster oder die fast vollständige<br />
Überbauung des Geländes mit einer künstlichen Topografie<br />
aus Terrassen, über denen auf 100 Meter Höhe aufgestelzte<br />
Wohnriegel schweben sollen. Man kann wohl von<br />
Glück reden, dass weder die Mehrzahl der Teilnehmer noch<br />
das Preisgericht mit so viel futuristischer Ignoranz gesegnet<br />
waren.<br />
Lässt man die Grundskepsis gegenüber solch hohen Dichtemodellen<br />
und einem derartig bedenkenlosen Flächenabriss<br />
der gewachsenen Stadt einmal beiseite und konzentriert sich<br />
auf die Umsetzung des geforderten Programms, so stellt der<br />
siegreiche Entwurf von Yves Lion, Paris, und seinen zwei Partnerbüros<br />
aus Beirut eine intelligente Möglichkeit dar, mit den<br />
extremen Anforderungen dieser Stadt umzugehen. Das Konzept<br />
versucht, mit durchweg moderaten Gebäudehöhen von<br />
vier bis sechs Geschossen eine Art <strong>Al</strong>tstadtstruktur und Straßenräume<br />
zu schaffen, in der vertraute Dimensionen erhalten<br />
bleiben, während die erforderlichen Wohntürme sich außerhalb<br />
des Blickfelds des Fußgängers in der Blockmitte befinden.<br />
Es behandelt die hohe Dichte als das, was sie ist: ein aufgesetztes,<br />
funktional erforderliches Element, dem aber nicht zu viel<br />
Beachtung gezollt werden soll. Ein fundierter formaler Ansatz,<br />
der sich nun in der Praxis wird beweisen müssen.<br />
Unten: Blick vom zentralen<br />
Turm des King Abdul Aziz <strong>Al</strong>-<br />
Waqf I-Projekts auf ein Teilgebiet<br />
des <strong>Khandama</strong>-Wettbewerbs.<br />
Fotos: Visthetic Rasch GmbH,<br />
Stuttgart; Abbildungen oben:<br />
Fakieh Group, Mekka