Zur Vorbemerkung - Das Goethezeitportal

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23.04.2013 Aufrufe

Zur Entstehung von Fichtes Schrift »Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre« Goethe antwortete aus Mainz am 27. Juli 1793: »Sollte Reinhold nicht bleiben so wird sich Rath finden. Auf Magister Fichte haben Sie ja ein Auge.« 6 Voigt und Goethe war daran gelegen, einen Nachfolger Reinholds zu gewinnen, der weiterhin Kants Philosophie vertreten würde, welcher die Universität Jena ihre neue Anziehungskraft verdankte. Da kam ihnen der zur Zeit stellungslose Kandidat Fichte gerade recht. In seiner anonym erschienenen Schrift Versuch einer Critik aller Offenbarung (Königsberg 1792) hatte sich Fichte so entschieden im Sinn der Philosophie Kants geäußert, daß man diese Schrift allgemein, insbesondere in Jena, für ein Werk Kants hielt. 7 Zwar hatte Kant am 22. August 1792 im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung erklärt, daß Fichte, den er einen »geschickten Mann« nannte, der Verfasser der Offenbarungsschrift sei; doch galt der damals 30-jährige Johann Gottlieb Fichte seit dieser Schrift als ausgewiesener Kantianer. Fichte erhielt in den ersten Tagen des Jahres 1794 den Ruf auf den freigewordenen Lehrstuhl Reinholds, und am 17. Februar 1794 teilte ihm Christian Gottlob Voigt im Auftrag des Herzogs Carl August mit, daß er »als Professor ordinarius supernumerarius« an die Universität berufen sei. Am 18. Mai 1794 trat Fichte seine Stelle an und stellte sich an der Universität vor mit der eilig verfaßten, am 11. Mai im Verlag des Industrie- Comptoirs in Weimar erschienenen Programmschrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft. Auch Goethe erhielt diese Schrift. Daß er sie sogleich las, kann man den Worten entnehmen, mit denen er ein Exemplar derselben schon am 23. Mai an Friedrich Jacobi sandte: »Nur einen herzlichen Gruß mit beykommender Schrift. Möchtest du liebes Nicht ich gelegentlich meinem I c h etwas von deinen Gedancken darüber mittheilen. Lebe wohl und grüße alle die guten und artigen Nicht ichs um dich her.« 8 Fichte kündigte für das Sommersemester 1794 eine Vorlesung Über die Pflichten des Gelehrten und eine zweite über Theoretische und praktische Philosophie an. In der philosophischen Vorlesung verteilte Fichte an seine Hörer vom 14. Juni bis Anfang August 1794 einzelne Bogen, welche dann unter dem Titel Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, als Handschrift für seine Zuhörer in zwei Lieferungen, 1794 und 1795, im Verlag von Christian Ernst Gabler, Leipzig, erschienen. 6 WA IV 10, S. 99. 7 Im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung hatte Gottfried Hufeland die anonyme Schrift am 30. Juni 1792 auf das Höchste als ein Werk Kants gepriesen. 8 WA IV 10, S. 162. 4

Zur Entstehung von Fichtes Schrift »Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre« Den ersten Bogen dieser Schrift sandte Fichte am 21. Juni 1794 mit folgenden Worten an Goethe: Ich suchte Sie bald nach Ihrer Abreise [von Jena], um Ihnen den eben erst fertig gewordnen ersten Bogen zu übergeben. Ich fand Sie nicht; und überschicke, was ich lieber übergeben hätte. So lange hat die Philosophie ihr Ziel noch nicht erreicht, als die Resultate der reflektirenden Abstraktion sich noch nicht an die reinste Geistigkeit des Gefühls anschmiegen. Ich betrachte S i e, und habe Sie immer betrachtet als den Repräsentanten der leztern auf der gegenwärtig errungnen Stuffe der Humanität. An S i e wendet mit Recht sich die Philosophie: I h r Gefühl ist derselben Probierstein. Für die Richtigkeit meines Systems bürgt unter andern die innige Verkettung Alles mit Einem, und Eines, mit Allem, die nicht Ich hervorgebracht habe, sondern die sich schon vorfindet; sowie die ungemeine, und alle Erwartung übertreffende Fruchtbarkeit, die ich eben so wenig selbst hineingelegt habe; so daß sie mich sehr oft zum Staunen hingerißen hat, und hinreißt. Beides entdekt sich nicht im Anfange der Wißenschaft, sondern nur allmählich, so wie man in ihr weiter fortschreitet. […] Ich hoffte, – vielleicht weil ich es sehnlich wünschte – mich mit Ihnen in Einem Werke vereinigt zu sehen. 9 Goethe dankte Fichte am 24. Juni mit folgenden Worten: Für die übersendeten ersten Bogen der Wissenschaftslehre danke ich zum besten; ich sehe darin schon die Hoffnung erfüllt, welche mich die Einleitung [d. h. die Programmschrift, W. v. E.] fassen ließ. Das Übersendete enthält nichts, das ich nicht verstände oder wenigstens zu verstehen glaubte, nichts, das sich nicht an meine gewohnte Denkweise willig anschlösse. Nach meiner Überzeugung werden Sie durch die wissenschaftliche Begründung dessen, worüber die Natur mit sich selbst in der Stille schon lange einig zu sein scheint, dem menschlichen Geschlechte eine unschätzbare Wohlthat erweisen und werden sich um jeden Denkenden und Fühlenden verdient machen. Was mich betrifft, werde ich Ihnen den größten Dank schuldig sein, wenn Sie mich endlich mit den Philosophen versöhnen, die ich nie entbehren und mit denen ich mich niemals vereinigen konnte. Ich erwarte mit Verlangen die weitere Fortsetzung Ihrer Arbeit, um manches bei mir zu berichtigen und zu befestigen, und hoffe, wenn Sie erst freier von dringender Arbeit sind, mit Ihnen über verschiedene Gegenstände zu sprechen, deren Bearbeitung ich aufschiebe, bis ich deutlich einsehe, wie sich dasjenige, was ich zu leisten mir noch zutraue, an dasjenige anschließt, was wir von Ihnen zu hoffen haben. 10 9 Goethes Amtliche Schriften, Bd. 2 1 , Weimar 1968, S. 403 f. 10 WA IV 10, S. 166 f. 5

<strong>Zur</strong> Entstehung von Fichtes Schrift »Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre«<br />

Goethe antwortete aus Mainz am 27. Juli 1793: »Sollte Reinhold nicht bleiben<br />

so wird sich Rath finden. Auf Magister Fichte haben Sie ja ein Auge.« 6<br />

Voigt und Goethe war daran gelegen, einen Nachfolger Reinholds zu gewinnen,<br />

der weiterhin Kants Philosophie vertreten würde, welcher die Universität<br />

Jena ihre neue Anziehungskraft verdankte. Da kam ihnen der zur<br />

Zeit stellungslose Kandidat Fichte gerade recht. In seiner anonym erschienenen<br />

Schrift Versuch einer Critik aller Offenbarung (Königsberg 1792)<br />

hatte sich Fichte so entschieden im Sinn der Philosophie Kants geäußert,<br />

daß man diese Schrift allgemein, insbesondere in Jena, für ein Werk Kants<br />

hielt. 7 Zwar hatte Kant am 22. August 1792 im Intelligenzblatt der Allgemeinen<br />

Literaturzeitung erklärt, daß Fichte, den er einen »geschickten<br />

Mann« nannte, der Verfasser der Offenbarungsschrift sei; doch galt der damals<br />

30-jährige Johann Gottlieb Fichte seit dieser Schrift als ausgewiesener<br />

Kantianer.<br />

Fichte erhielt in den ersten Tagen des Jahres 1794 den Ruf auf den freigewordenen<br />

Lehrstuhl Reinholds, und am 17. Februar 1794 teilte ihm<br />

Christian Gottlob Voigt im Auftrag des Herzogs Carl August mit, daß er<br />

»als Professor ordinarius supernumerarius« an die Universität berufen sei.<br />

Am 18. Mai 1794 trat Fichte seine Stelle an und stellte sich an der Universität<br />

vor mit der eilig verfaßten, am 11. Mai im Verlag des Industrie-<br />

Comptoirs in Weimar erschienenen Programmschrift: Ueber den Begriff der<br />

Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift<br />

zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft.<br />

Auch Goethe erhielt diese Schrift. Daß er sie sogleich las, kann man den<br />

Worten entnehmen, mit denen er ein Exemplar derselben schon am 23. Mai<br />

an Friedrich Jacobi sandte: »Nur einen herzlichen Gruß mit beykommender<br />

Schrift. Möchtest du liebes Nicht ich gelegentlich meinem I c h etwas<br />

von deinen Gedancken darüber mittheilen. Lebe wohl und grüße alle die<br />

guten und artigen Nicht ichs um dich her.« 8<br />

Fichte kündigte für das Sommersemester 1794 eine Vorlesung Über die<br />

Pflichten des Gelehrten und eine zweite über Theoretische und praktische<br />

Philosophie an. In der philosophischen Vorlesung verteilte Fichte an seine<br />

Hörer vom 14. Juni bis Anfang August 1794 einzelne Bogen, welche dann<br />

unter dem Titel Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, als Handschrift<br />

für seine Zuhörer in zwei Lieferungen, 1794 und 1795, im Verlag<br />

von Christian Ernst Gabler, Leipzig, erschienen.<br />

6 WA IV 10, S. 99.<br />

7 Im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung hatte Gottfried Hufeland die anonyme<br />

Schrift am 30. Juni 1792 auf das Höchste als ein Werk Kants gepriesen.<br />

8 WA IV 10, S. 162.<br />

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