Zur Vorbemerkung - Das Goethezeitportal

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23.04.2013 Aufrufe

Vorbemerkung Durch die Edition von Goethes Eintragungen in seinen Handexemplaren von Kants Kritik der reinen Vernunft und Kritik der Urtheilskraft hat Géza von Molnár 1 der verbreiteten Ansicht den Boden entzogen, daß Goethe sich nicht ernsthaft, vor allem nicht durch eigenes Studium mit der Philosophie Kants auseinandergesetzt habe. Goethes Eintragungen bezeugen die intensive Lektüre dieser Werke Kants in den Jahren 1789 und 1790. Als Goethe sich 1805 daran erinnerte, »daß kein Gelehrter ungestraft jene große philosophische Bewegung, die durch Kant begonnen, von sich abgewiesen, sich ihr widersetzt, sie verachtet habe« 2, dürfte er auch die Erschütterung im Sinn gehabt haben, die sein Realismus damals nicht zuletzt durch die Lektüre der Schriften Kants erfuhr. Es war wiederum Géza von Molnár, der darauf aufmerksam machte 3, daß Goethes Eintragungen in seinem Handexemplar von Fichtes Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre von 1794 ein aufmerksames Studium auch dieser philosophischen Schrift belegen und damit bezeugen, daß Goethe an der Bewegung Anteil nahm, in der Philosophen der frühromantischen Epoche versuchten, Kants großes Werk in idealistischen Systemen fortzuführen. Da Goethes Interesse wie an Kant so auch an Fichte nicht eigentlich das des Philosophen im engeren Sinn, sondern das des Naturforschers war, konnte auch die Bekanntschaft mit der von Fichte beabsichtigten Neubegründung der Philosophie nicht ohne Einfluß auf Goethes Naturansichten nach 1794 bleiben. 4 An Hand einer Faksimile-Wiedergabe des Handexemplars von Fichtes Schrift soll Goethe in seiner Lektüre dieses Werks begleitet werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob sich ein Einfluß dieser ersten Konzeption von Fichtes Wissenschaftslehre auf Goethes Naturansicht nach 1794 nachweisen läßt. Ich widme diese Arbeit dem Andenken an Géza von Molnár, der am 26. Juni 2001 in Evanston, Illinois, USA, verstarb. Tübingen, im Juli 2004 Wolf von Engelhardt 1 Molnár (1994). 2 Goethe, Winckelmann (1805), WA I 46, S. 55. 3 Molnár (1997). Serenella Iovino (2000) hat Goethes Eintragungen in Fichtes Programmschrift vornehmlich im Hinblick auf Beziehungen zu Spinoza untersucht. 4 Engelhardt (2003), S. 217–219.

Zur Entstehung von Fichtes Schrift »Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre« An der Universität Jena hatte seit 1787 Karl Leonhard Reinhold als außerordentlicher Professor mit großem Erfolg Vorlesungen über die Philosophie Kants und seine eigene »Elementarphilosophie« gehalten, mit welcher er auf kantischer Basis versuchte, die drei Kritiken Kants in eine systematische Einheit zu fügen. Reinhold galt bald als eine maßgebliche Autorität in Sachen der Transzendentalphilosophie, versammelte um sich einen großen Kreis bedeutender Schüler und begründete durch sein Wirken das Ansehen der zuvor unbedeutenden Universität Jena als Metropole der neuen Philosophie. Als Reinhold, der trotz seines Erfolges in Jena eine nur schlecht bezahlte Stelle innehatte, im Sommer 1793 den Ruf auf eine besser besoldete Professur an der Universität Kiel erhielt und die Absicht kundtat, diesem Ruf Folge zu leisten, erhob sich für die vier fürstlichen »Nutritoren« der Universität, die Herzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Coburg-Saalfeld die Frage einer Nachfolge. Namens der Weimarer Herrschaft, der Jena zugehörte, ergriffen schon im Juni 1793 der Staatsminister Christian Gottlob Voigt und Goethe die Initiative. Am 17. Juni 1793 schrieb Voigt an Goethe, der sich mit Herzog Carl August bei der Belagerung von Mainz aufhielt: Ich werde den Reinhold über seinen Ruf nach Kiel, wovon ich Serenissimo geschrieben, ausfragen; wahrscheinlich ist die Sache schon gemacht, und keinem Rükschritt unterworfen. Schmidt und der Adjunct Niethammer, ingl. Magister Forberg, können schon das Kantische Evangelium fortsetzen. Ausserdem ist der Verfasser der Kritik der Offenbahrung (die man anfänglich allgemein Kanten selbst zuschrieb,) der Magister Fichte, der itzt nach der Schweiz auf Reisen ist, wohl um ein mäßiges Zuschuß Quantum als Professor extraordinarius zu haben. 5 5 Goethes Amtliche Schriften, Bd. 2 1 , Weimar 1968, S. 327.

<strong>Vorbemerkung</strong><br />

Durch die Edition von Goethes Eintragungen in seinen Handexemplaren<br />

von Kants Kritik der reinen Vernunft und Kritik der Urtheilskraft hat Géza<br />

von Molnár 1 der verbreiteten Ansicht den Boden entzogen, daß Goethe sich<br />

nicht ernsthaft, vor allem nicht durch eigenes Studium mit der Philosophie<br />

Kants auseinandergesetzt habe. Goethes Eintragungen bezeugen die intensive<br />

Lektüre dieser Werke Kants in den Jahren 1789 und 1790. Als Goethe<br />

sich 1805 daran erinnerte, »daß kein Gelehrter ungestraft jene große philosophische<br />

Bewegung, die durch Kant begonnen, von sich abgewiesen, sich<br />

ihr widersetzt, sie verachtet habe« 2, dürfte er auch die Erschütterung im<br />

Sinn gehabt haben, die sein Realismus damals nicht zuletzt durch die Lektüre<br />

der Schriften Kants erfuhr.<br />

Es war wiederum Géza von Molnár, der darauf aufmerksam machte 3,<br />

daß Goethes Eintragungen in seinem Handexemplar von Fichtes Schrift<br />

Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre von 1794 ein aufmerksames Studium<br />

auch dieser philosophischen Schrift belegen und damit bezeugen, daß<br />

Goethe an der Bewegung Anteil nahm, in der Philosophen der frühromantischen<br />

Epoche versuchten, Kants großes Werk in idealistischen Systemen<br />

fortzuführen. Da Goethes Interesse wie an Kant so auch an Fichte nicht<br />

eigentlich das des Philosophen im engeren Sinn, sondern das des Naturforschers<br />

war, konnte auch die Bekanntschaft mit der von Fichte beabsichtigten<br />

Neubegründung der Philosophie nicht ohne Einfluß auf Goethes Naturansichten<br />

nach 1794 bleiben. 4 An Hand einer Faksimile-Wiedergabe des<br />

Handexemplars von Fichtes Schrift soll Goethe in seiner Lektüre dieses<br />

Werks begleitet werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob sich ein<br />

Einfluß dieser ersten Konzeption von Fichtes Wissenschaftslehre auf Goethes<br />

Naturansicht nach 1794 nachweisen läßt.<br />

Ich widme diese Arbeit dem Andenken an Géza von Molnár, der am<br />

26. Juni 2001 in Evanston, Illinois, USA, verstarb.<br />

Tübingen, im Juli 2004 Wolf von Engelhardt<br />

1 Molnár (1994).<br />

2 Goethe, Winckelmann (1805), WA I 46, S. 55.<br />

3 Molnár (1997). Serenella Iovino (2000) hat Goethes Eintragungen in Fichtes<br />

Programmschrift vornehmlich im Hinblick auf Beziehungen zu Spinoza untersucht.<br />

4 Engelhardt (2003), S. 217–219.

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