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48 BEGRIFFLICHE WUCHERUNG 4 Die oben behandelte erseheinung hat uns in die geheimnissvolle werkstätte der spräche geführt, wo der sprachliche Stoff und der begriffbildende geist durch einen aet, der jeder Scheidung des beiderseitigen antheils spottet, worte und begriffliche formen erzeugen. Niemand vermag hier zu bestimmen, ob mehr die in der sprachlichen materie waltende analogie oder eine norm der Vorstellung das formgebende, schöpferische prineip war. Der begriffsbildung selbst ti-eten wir einen sehritt näher, wenn \\ir die erseheinung beobachten, die wir als begriffliche Wucherung der Wortbildung oder als Variation des begriffs bezeichnen dürfen. Wichtigere begriffe werden leicht in der weise fortgebildet, dass sie durch Zusammensetzung mit einem anderen \\'ortstamm eine besondere Wendung oder färbung erbalten ohne dadurch den maassgebenden einfluss auf die bedeutung einzubüssen; das hinzutretende wort scheint in solchen fällen vielmehr die stelle eines determinierenden Clements zu versehn, als die des entscheidenden begriffs. So berührt sich diese erseheinung sehr nahe mit dem rein sprachlichen Vorgang der suffixwucherung. Die grenzen zwischen suffix und compositionselement verlaufen zuweilen fast unmerklich in einander. In einem worte wie d\XÖK0X0(; oder veÖKOxo? (Aisch. Pers. 256 Sieben 804) haben die Attiker sicher nicht eine Zusammensetzung sondern eine ableitung von dXXoq und veog empfunden. Die dichterische spräche hat das bedürfniss und die neigung, abgegriffene und ausgeweitete begriffe umzuprägen und zu erneuen. Den griechischen dicbtern bietet dazu die Variation nicht nur der form sondern auch des begriffs ein bequemes mittel. Besonders der höhere stil der lyrik und der tragödie bildet massenhaft Zusammensetzungen zu dem zweck, einem alltäglichen worte durch den begrifflichen Zuwachs nur gleichsam eine neue seite abzugewinnen. Indem das hinzugenommene compositionselement sich enge an den maassgebenden begriff' des satzes anschliesst, wird dem hörer der genuss einer dem bedürfniss des augenbbeks entsprungenen neubildung gewährt und zugleich dem grundbegrifl' seine volle bedeutung

BEGRIPPLICIIB WUCHERUNG 49 gewahrt. So wird das einfache vioq ersetzt durch veoxjLiöq und veÖKOxog, worte die noch als ableitungen erseheinen mussten, aber je nach dem zusammenbange, in den der begriff 'neu, jung' eintritt, auch durch veoTOvo? veoYv6

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BEGRIFFLICHE WUCHERUNG<br />

4 Die oben behandelte erseheinung hat uns in die geheimnissvolle<br />

werkstätte der spräche geführt, wo der sprachliche<br />

Stoff und der begriffbildende geist durch einen aet, der<br />

jeder Scheidung des beiderseitigen antheils spottet, worte und<br />

begriffliche formen erzeugen. Niemand vermag hier zu bestimmen,<br />

ob mehr die in der sprachlichen materie waltende<br />

analogie oder eine norm der Vorstellung das formgebende,<br />

schöpferische prineip war. Der begriffsbildung selbst ti-eten<br />

wir einen sehritt näher, wenn \\ir die erseheinung beobachten,<br />

die wir als begriffliche Wucherung der Wortbildung oder als<br />

Variation des begriffs bezeichnen dürfen. Wichtigere begriffe<br />

werden leicht in der weise fortgebildet, dass sie durch Zusammensetzung<br />

mit einem anderen \\'ortstamm eine besondere Wendung<br />

oder färbung erbalten ohne dadurch den maassgebenden<br />

einfluss auf die bedeutung einzubüssen; das hinzutretende wort<br />

scheint in solchen fällen vielmehr die stelle eines determinierenden<br />

Clements zu versehn, als die des entscheidenden begriffs.<br />

So berührt sich diese erseheinung sehr nahe mit dem<br />

rein sprachlichen Vorgang der suffixwucherung. Die grenzen<br />

zwischen suffix und compositionselement verlaufen zuweilen<br />

fast unmerklich in einander. In einem worte wie d\XÖK0X0(;<br />

oder veÖKOxo? (Aisch. Pers. 256 Sieben 804) haben die Attiker<br />

sicher nicht eine Zusammensetzung sondern eine ableitung von<br />

dXXoq und veog empfunden.<br />

Die dichterische spräche hat das bedürfniss und die neigung,<br />

abgegriffene und ausgeweitete begriffe umzuprägen und<br />

zu erneuen. Den griechischen dicbtern bietet dazu die Variation<br />

nicht nur der form sondern auch des begriffs ein bequemes<br />

mittel. Besonders der höhere stil der lyrik und der tragödie<br />

bildet massenhaft Zusammensetzungen zu dem zweck, einem<br />

alltäglichen worte durch den begrifflichen Zuwachs nur gleichsam<br />

eine neue seite abzugewinnen. Indem das hinzugenommene<br />

compositionselement sich enge an den maassgebenden<br />

begriff' des satzes anschliesst, wird dem hörer der genuss einer<br />

dem bedürfniss des augenbbeks entsprungenen neubildung gewährt<br />

und zugleich dem grundbegrifl' seine volle bedeutung

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