„Das Schreiben ist mein Sauerstoff“
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<strong>„Das</strong> <strong>Schreiben</strong> <strong>ist</strong> <strong>mein</strong> <strong>Sauerstoff“</strong><br />
Interview: „Ketala“ so heißt das aktuelle Buch der senegalischen Schriftstellerin Fatou Di-<br />
ome. Als gast der Französischen Bibliothek Speyer liest die in Straßbourg lebende Autorin<br />
am 3. März im h<strong>ist</strong>orischen Ratssaal Auszüge daraus in französischer Sprache. Unser Mitar-<br />
beiterin Anne Kirchberg hat im Vorfeld mit der 1968 geborene Literaturwissenschaftlerin<br />
und Fernsehmoderatorin unterhalten – Rheinpfalz vom 24. Februar 2010.<br />
Seit wann hatten Sie den Wünsch<br />
Schriftstellerin zu werden, und wa-<br />
rum?<br />
Ich schreibe seit ich 13 Jahre alt bin,<br />
aber ich dachte nie daran, dass ich<br />
einmal Schriftstellerin werde. Auch als<br />
ich älter würde, <strong>ist</strong> mir ein solcher<br />
Traum nie in den Sinn gekommen. Ich<br />
wollte Journal<strong>ist</strong>in oder Französisch-<br />
lehrerin werden und habe deshalb<br />
Literatur studiert. Ich schreib einfach<br />
weil ich ein inneres Bedürfnis habe,<br />
besonders nachdem ich zum Studium in<br />
die Stadt, also weit weg von Zuhause,<br />
gezogen war. Das <strong>Schreiben</strong> war <strong>mein</strong>e<br />
Zuflucht und zugleich <strong>mein</strong> Sauerstoff –<br />
und das <strong>ist</strong> heute noch so. Ein Freund<br />
sagte mir eines Tages in Frankreich:<br />
„Du musst deine Texte zeigen“. Also<br />
habe 2001- erstmals in <strong>mein</strong>em Leben-<br />
um ein Treffen mit einer Herausgebe-<br />
rin gebeten, und das Buch wurde sofort<br />
angenommen. Das hat mich selbst sehr<br />
überrascht.<br />
Was hat sich seit dem Erfolg Ihres<br />
Autobiographischen Debütromans<br />
„Der Bauch des Ozeans“ für Sie<br />
verändert?<br />
Ich denke, das geht alle Schriftsteller<br />
so: der Erfolgt erlaubt es, die Arbeit<br />
des <strong>Schreiben</strong>s unter besten Bedingun-<br />
gen fortzusetzen. Abgesehen davon hat<br />
der Erfolg an den lebensnotwendigen<br />
Fragen und an den grundsätzlichen<br />
Motiven <strong>mein</strong>es <strong>Schreiben</strong>s nichts<br />
verändert.<br />
Wovon handelt Ihr neuester Roman<br />
„Ketala“?<br />
In „Ketala“ <strong>ist</strong> die junge Memoria<br />
gestorben, ihre Sachen und ihre Möbel<br />
wissen, dass Sie Bald an die verschie-<br />
denen Familienmitglieder verteilt<br />
werden. Um die Erinnerung an ihre<br />
Besitzerin zu bewahren, beschließen<br />
sie, sich zusammenzutun, um sich<br />
gegenseitig das ganze Leben von Me-<br />
moria zu erzählen, auch ihre Liebesge-<br />
schichte und ihre Reisen zwischen<br />
Afrika und Europa. So <strong>ist</strong> ein Buch<br />
entstanden, das auch von gleichge-<br />
schlechtlicher Liebe und von den Le-<br />
bensbedingungen der Frauen in Afrika<br />
handelt. Doch die zentrale Frage des<br />
Buchs <strong>ist</strong>: was bleibt uns von den Men-<br />
schen, die für uns wertvoll sind? Ich<br />
glaube, das Wichtigste, was uns von<br />
einem Menschen bleibt, <strong>ist</strong> nicht Mate-<br />
rielles, sondern die Erinnerung an ihn<br />
und das Gefühl, das man im Herzen<br />
trägt. Denn nur wahrhafte Begegnun-<br />
gen ändern das Leben.<br />
Was genau <strong>ist</strong> „Kétala“?<br />
„Kétala“ <strong>ist</strong> ein Wort aus <strong>mein</strong>er Mut-<br />
tersprache Serer. Ich habe den Titel<br />
dieser Sprache entnommen, um <strong>mein</strong>er<br />
Großmutter eine Freunde zu machen.<br />
Im Senegal macht man in der Region,<br />
wo ich herkomme, eine Woche nach<br />
dem Tod eines Menschen eine „Kéta-<br />
la“. Das <strong>ist</strong> die Zeremonie, bei der das<br />
Erbe unter den verschiedenen Famili-<br />
enmitglieder aufgeteilt wird. Kétala
edeutet aber auch „Treffen“ oder<br />
„Versammlung“.<br />
Woher kam die Idee, dass Gegenstände,<br />
die einen Menschen umgeben,<br />
die Geschichte der verstorbenen<br />
Frau erzählen?<br />
In der anim<strong>ist</strong>ischen Tradition haben<br />
alle Gegenstände eine Seele. Ich hatte<br />
mir also überlegt, dass unsere alltäglichen<br />
Sachen, unsere Möbel, sehr viel<br />
an unserem Leben teilhaben, und ich<br />
fand es reizvoll, ihnen die Rolle von<br />
Erzählern zu geben. Ich stellte mir vor,<br />
dass man die Spuren eines menschlichen<br />
Lebens durch seine Gegenstände<br />
und Möbel nachzeichnen kann. Zudem<br />
wollte ich den Romanstoff durch Dialoge<br />
und direkte Rede zu gestalten. Das<br />
war für mich eine Möglichkeit, das<br />
Theater in den Roman einzuladen. Ich<br />
liebe die Idee, die Grenzen der literarischen<br />
Gattungen zu verschieben. Das<br />
<strong>ist</strong> für mich ein wahres Vergnügen beim<br />
<strong>Schreiben</strong> selbst.<br />
Inwiefern unterscheiden sich die Erzählungen<br />
der Gegenstände über Memoria?<br />
Jeder Gegenstand – je nach seiner<br />
Funktion – erzählt einen anderen Teil<br />
der Person, der nur ihn betrifft. Ein<br />
Abendkleid erzählt etwas anderes als<br />
ein Sofa oder ein Teller, aber alle<br />
können uns über das Leben der gleichen<br />
Frau Auskunft geben. Jeder Gegenstand<br />
sagt etwas über die Persönlichkeit<br />
seines Besitzers aus.<br />
Hat auch dieser Roman autobiografischen<br />
Inhalte?<br />
Nein, der Roman <strong>ist</strong> ganz und gar nicht<br />
autobiografisch, er <strong>ist</strong> eine reine Fiktion.<br />
Ich wollte mich einfach mit dem<br />
Erinnern auseinander setzen. Abwesenheit<br />
kann sehr viel stärker sein als<br />
das tatsächlich Anwesende. Auf eine<br />
gewisse Weise lebt jeder von uns mit<br />
seinen Erinnerungen und sucht ihre<br />
Spuren, wo er kann.<br />
Gibt es Gegenstände in Ihrer Heimat<br />
Senegal, die Sie persönlich vermissen?<br />
Nein, denn ich habe sehr wenige Sachen,<br />
und die Gegenstände, an denen<br />
ich wirklich hänge, sind oft sehr kleine<br />
Dinge oder Gefühle, Erinnerungen, die<br />
ich überall hin mitnehmen kann. Ich<br />
liebe den Gedanken, mit Leichtigkeit<br />
weggehen zu könne, wann immer ich<br />
will, und deshalb sammle ich nicht zu<br />
viele Dinge um mich.<br />
Wie werden Sie Ihre Lesung in Speyer<br />
gestalten?<br />
Mit großen Lächeln, denn ich freue<br />
mich sehr auf das Kommen. Es wird<br />
eine Lesung in französisch und in<br />
Deutsch geben, und danach werde ich<br />
das Vergnügen haben, mit den Leuten,<br />
die kommen möchten, zu sprechen.<br />
ZUR SACHE<br />
Fatou Diome liest am Mittwoch, 3.<br />
März 2010 19h30 im h<strong>ist</strong>orischen Ratssaal<br />
Speyer in französischer Sprache<br />
aus ihrem Roman „Kétala“; Übersetzung<br />
und Moderation Agnès Wittner,<br />
Französische Bibliothek. Der Eintritt <strong>ist</strong><br />
frei. Diomes Romane „Der Bauch des<br />
Ozeans“(2004) und « Kétala » (2007)<br />
sind im Diogenes Verlag, Zürich erschienen.<br />
(akk)