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Edith Bauer: Gesundheitsziele verändern die gynäkologische Praxis

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<strong>Edith</strong> <strong>Bauer</strong><br />

<strong>Gesundheitsziele</strong> <strong>verändern</strong> <strong>die</strong> <strong>gynäkologische</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Zielthemen für alle <strong>Gesundheitsziele</strong>, zu finden bei gesundheitsziele.de sind:<br />

• Stärkung der Selbsthilfe<br />

• Bürger- und Patientenorientierung<br />

• Prävention<br />

• Evidenzbasierung<br />

• Gesundheitliche Chancengleichheit<br />

• Gender Mainstreaming<br />

Übertragen auf das erste der beiden vom AKF geforderten Frauengesundheitsziele bedeutet<br />

das eine Neudefinition der Versorgung in der „Lebensphase Eltern werden“<br />

im Sinne von Entmedikalisierung der Schwangerenvorsorge.<br />

Eine Bewertung der üblichen Untersuchungen im Rahmen der Schwangerenvorsorge nach<br />

den gesetzlichen Mutterschaftsrichtlinien (Mutterpass) könnte stattfinden nach einem Stu-<br />

fenplan, den Friederike Perl, eine AKF- Gynäkologin, in Anlehnung an <strong>die</strong> WHO erstellt hat.<br />

Dabei wird unterschieden zwischen medizinischer Grundversorgung, Screening in der<br />

Schwangerschaft und der Behandlung von Schwangerschaftsproblemen:<br />

• Stufe 1: erwiesener Nutzen<br />

• Stufe 2: wahrscheinlicher Nutzen<br />

• Stufe 3: ebensoviel Nutzen wie Schaden<br />

• Stufe 4: unklarer Nutzen<br />

• Stufe 5: wahrscheinlich nutzlos<br />

• Stufe 6: nutzlos u/o sogar schlecht<br />

Gesundheit Berlin (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2007<br />

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<strong>Edith</strong> <strong>Bauer</strong>: <strong>Gesundheitsziele</strong> <strong>verändern</strong> <strong>die</strong> <strong>gynäkologische</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Grundversorgung<br />

Stufe 1:<br />

• Verbesserung des Fürsorgeverhaltens sozial benachteiligter Frauen<br />

• (Ggf. durch aufsuchende Betreuung (Famlienhebammen), bzw. wohnortnahe<br />

niedrigschwellige Anlaufstellen; Information, Flyer)<br />

• Raucherentwöhnung (BZgA- Broschüre u. Material „rauchfrei in der Schwangerschaft“)<br />

• Folsäure perikonzeptionell<br />

Stufe 2:<br />

• Möglichst kein Alkohol in der gesamten Schwangerschaft<br />

• Betreuung im festen Team – v. a. wichtig in Gemeinschaftspraxen; Schwangerenvorsorge<br />

in Hebammen –Kooperation (eig. <strong>Praxis</strong>erfahrung)<br />

Stufe 3:<br />

• Antigenvermeidung, um Atopie zu vermeiden<br />

Stufe 5:<br />

• sich auf „Expertenmeinungen“ verlassen statt auf Ergebnisse guter Stu<strong>die</strong>n<br />

Stufe 6:<br />

• Brustwarzenstimulation<br />

Screening in der Schwangerschaft<br />

Stufe 1:<br />

• Nonformale (d.h. individuelle) Risikobeurteilung<br />

• Chlamy<strong>die</strong>nabstrich in der 12. SSW<br />

• Fetales biophysikalisches Profil bei Risikoschwangerschaft (sehr aufwändig, ggf. durch FW-<br />

Messung in 4 Quadranten ersetzbar)<br />

• Genetische Beratung (PND) – Diskussionsbedarf – Wer? Wann? Wo?<br />

Stufe 3:<br />

• Hepatitis-C (bei Risikogruppen) HIV (bei allen?), Toxoplasmose – Konsequenz?<br />

Stufe 4:<br />

• CTG (unauffälliges CTG bei Risikogruppen reicht nicht aus zur Beruhigung!!)<br />

allerdings hier gutes Beispiel für Wunsch und Wirklichkeit: CTG wird oft aus<br />

Kostengründen doch geschrieben…)<br />

Stufe 5:<br />

• OGTT (wenn überhaupt dann unbedingt 75-Gramm-Test!!)<br />

Zervixkontrolle, wenn kein Risiko vorliegt<br />

Fetometrie im letzten Trimenon, wenn kein Risiko vorliegt<br />

Gesundheit Berlin (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2007<br />

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Schwangerschaftsprobleme und ihre Behandlung<br />

Stufe 1:<br />

• Antibiotika bei asymptomatischer Bakteriurie<br />

• Antibiotikum unter der Geburt bei pos. Streptokokken<br />

• Anti-D bei rh neg. Frauen in der 28. SSW<br />

• Antihistaminika gegen Nausea und Emesis<br />

• Geburtseinleitung anbieten ab 41+1 SSW – da ab 42. SSW statistisch IUFT- Rate zunimmt<br />

– alternativ ab ET einmal pro Woche bzw. häufiger FW- Messung. (AFI – 1 Quadrant ><br />

2cm, alle 4 Quadranten > 5 cm)<br />

Stufe 2:<br />

• Metronidazol (lokal) bei symptomatischer Trichomonadeninfektion nach der 14.SSW<br />

• Antithrombotische Medikation (ASS 100) zur Prävention der Präeklampsie bei Risiko-<br />

gruppen ab der 16. SSW(Anamnese: nachweislich Plazentainsuffizienz mit Retar<strong>die</strong>rung)<br />

• Anti-D nach Abdominaltrauma und Blutungsepisoden<br />

• Antihypertensive Medikation mit Alpha- Methyl.Dopa bei mäßiger bis schwerer Schwanger-<br />

schaftshypertonie<br />

• 2 g Calcium/<strong>die</strong> gegen Präeklampsie<br />

Stufe 5: Asymptomatische Pilzinfektion behandeln<br />

Im Umgang mit den Erkenntnissen der Evidenz basierten Medizin ist es wichtig, Stu<strong>die</strong>ner-<br />

gebnisse zu kennen, allerdings auch wichtig, eigene Erfahrungen dagegen zu setzen.<br />

Auffallend bei der Aufzählung ist, dass eine große Zahl von routinemäßig bei jeder Schwan-<br />

geren durchgeführten Untersuchungen, <strong>die</strong> ihnen zwecks vermeintlich höherer Sicherheit<br />

angeraten werden, hier nicht in Stufe 1 oder 2 aufgeführt wird – mithin von fragwürdigem<br />

(zumindest nicht erwiesenem) Nutzen, wenn nicht sogar schädlich, offenbar aber überflüssig<br />

ist.<br />

Zum Beispiel: (Gesunde Frauen)<br />

Schwangerschaftstest (Urin und Blut)<br />

Ständige HB- und Gewichtskontrollen<br />

Ersttrimesterscreening<br />

AFP und Triple- Test<br />

Infektionsserologie (Cytomegalie, Listeriose, Hepatitis, Windpocken, Ringelröteln)<br />

Ultraschall-Untersuchungen – insbesondere zusätzliche zu den 3 in den Richtlinien vorgese-<br />

henen<br />

Doppler- bzw. Farbdoppleruntersuchung<br />

Vaginale Untersuchungen<br />

Gesundheit Berlin (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2007<br />

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<strong>Edith</strong> <strong>Bauer</strong>: <strong>Gesundheitsziele</strong> <strong>verändern</strong> <strong>die</strong> <strong>gynäkologische</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Wenn <strong>die</strong> eingangs genannten Zielthemen in nationalen <strong>Gesundheitsziele</strong>n wie<br />

• Stärkung der Selbsthilfe (Information, Hebamme)<br />

• Bürger- und Patientenorientierung (Da abholen, wo Frau steht; Familienhebamme)<br />

• Prävention (Ernährung, Bewegung, Alkohol, Rauchen, Medikamente)<br />

• Evidenzbasierung (auf gute Stu<strong>die</strong>n und Erfahrung)<br />

• Gesundheitliche Chancengleichheit (Wohnort nahe Angebote, keine IGeL)<br />

• Gender Mainstreaming (Berücksichtigung von Bedürfnissen der Väter/Familie)<br />

in unserem <strong>gynäkologische</strong>n <strong>Praxis</strong>alltag umgesetzt werden sollen, wird das eine radikale<br />

Veränderung des technisierten und medikalisierten Umgangs mit Schwangeren bedeuten.<br />

Diese Umstellung wird sowohl den Ärzten/Ärztinnen wie auch den auf (vermeintliche) Si-<br />

cherheit bedachten Frauen zu schaffen machen.<br />

Hierzu möchte ich Frau Prof. Dr. med. Beate Schücking, Leiterin des Forschungsschwerpunk-<br />

tes Maternal Health an der Universität Osnabrück zitieren:<br />

„Für Frauen in Deutschland wurde mehrfach nachgewiesen, dass <strong>die</strong> jetzige, auf dem Risi-<br />

kokonzept basierende Vorsorge gerade <strong>die</strong> wirklich risikoexponierten Frauen nur teilweise<br />

erreicht, während <strong>die</strong> am besten informierten und gesündesten Frauen eher ärztlich überver-<br />

sorgt sind. Insgesamt 42% aller Schwangern erhalten mehr als <strong>die</strong> bereits schon großzügig<br />

zugedachten 11 Vorsorgeuntersuchungen, kritisiert <strong>die</strong> Bundesgeschäftsstelle Qualitätssiche-<br />

rung (2007). Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in mehreren - dar-<br />

unter auch industrialisierten – Ländern ergab vor wenigen Jahren, dass eine Reduzierung auf<br />

weniger Untersuchungen ohne weiteres möglich ist – <strong>die</strong> Schwangeren haben sich jedoch an<br />

<strong>die</strong>se ständigen Kontrollen gewöhnt und sehen sich selbst als Risikofall.<br />

Offensichtlich hat <strong>die</strong> ärztliche Schwangerenvorsorge das Erleben der werdenden Mütter ver-<br />

ändert.<br />

Vielleicht liegt es daran, dass <strong>die</strong> Gestaltung des Mutterpasses ohne Hebammenbeteiligung<br />

erfolgte. Aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive sowie aus dem Blick der WHO hat<br />

ein Land wie Deutschland mindestens 60-80% gesunde Frauen, denen eine normale<br />

Schwangerschaft attestiert werden müsste.<br />

Stattdessen haben wir auf Grund einer nicht evidenzbasierten Risikoeinstufung nur für 25%<br />

der Schwangeren eine bescheinigte Risikofreiheit!<br />

Welchen breiten Raum in der Wahrnehmung der Versorgenden <strong>die</strong>se Untersuchungen aus-<br />

machen, ist aus jedem Mutterpass ersichtlich, dagegen fehlen Fragen zum aktuellen Wohlbe-<br />

finden und zur psychischen Vorbereitung auf das Kind.“<br />

Dem zweiten vom AKF geforderten Gesundheitsziel „Frauenleben ohne häusliche und sexuel-<br />

le Gewalt“ könnten wir in den letzten Jahren - was <strong>die</strong> Arbeit in der <strong>gynäkologische</strong>n <strong>Praxis</strong><br />

(aber auch Klinik!) angeht - eigentlich schon ein Stück näher gekommen sein, zumindest<br />

hinsichtlich des Angebots an Fort- und Weiterbildung für Ärzte und Ärztinnen.<br />

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<strong>Edith</strong> <strong>Bauer</strong>: <strong>Gesundheitsziele</strong> <strong>verändern</strong> <strong>die</strong> <strong>gynäkologische</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Denn über <strong>die</strong> möglichen mittel- und/oder langfristigen Folgen von Gewalterfahrung und<br />

sexueller Traumatisierung müssen Ärzte Bescheid wissen, um Betroffenen eine Hilfe sein zu<br />

können. Sie müssen gleichermaßen informiert sein über körperliche wie auch über psychi-<br />

sche Symptome und Verhaltensauffälligkeiten, um Frauen mit Missbrauchs- und /oder Ge-<br />

walterfahrungen zu erkennen, um ihnen entsprechend einfühlsam zu begegnen und nicht <strong>die</strong><br />

falschen Schlüsse zu ziehen.<br />

Opfer von Vergewaltigung – werden meist von der Polizei gebracht, sind akut traumatisiert,<br />

haben Verletzungen, befinden sich ggf. im Schock – sind also ohne Probleme erkennbar.<br />

Wichtig - Dokumentation!<br />

Betroffene von häuslicher Gewalt – schon schwieriger zu erkennen, schämen sich und finden<br />

immer Erklärungen für Anzeichen von Gewalteinwirkung (gegen Schrank, Badewanne oder<br />

Treppe runter gefallen).<br />

Komplizierter wird es bei Frauen, <strong>die</strong> als Kind oder Jugendliche sexuell missbraucht wurden,<br />

<strong>die</strong> das traumatische wie auch beschämende Ereignis mehr oder minder verdrängt haben.<br />

Sie können dem geschulten und erfahrenen Blick durch eine vielfältige Symptomatik erkenn-<br />

bar werden:<br />

• Auffälliges Verhalten (entweder besonders ängstlich oder besonders burschikos z.B.<br />

unaufgefordert ganz nackt auf dem Untersuchungsstuhl)<br />

• Chronische Unterbauchschmerzen ohne fassbaren Organbefund<br />

• Häufige Bauchspiegelungen und Bauchoperationen<br />

• Depressive Verstimmungen<br />

• Essstörungen<br />

• Beziehungsstörungen<br />

• Promiskes Verhalten<br />

Wenn man im Hinterkopf hat, dass jede vierte Frau Gewalt in irgendeiner Form erlebt hat,<br />

dann sollten gerade Frauenärzte und Frauenärztinnen (betr. auch Hebammen) bei jedem<br />

Kontakt <strong>die</strong> Möglichkeit von Gewalt- oder Missbrauchserfahrung in Betracht ziehen.<br />

Anamneseerhebung: Bei Fragen nach der (Krankheits-) Vorgeschichte sollte Frauenärzte und<br />

Frauenärztinnen ebenso selbstverständlich nach Gewalterfahrungen fragen wie nach Kinder-<br />

krankheiten.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Gesundheit Berlin (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2007<br />

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<strong>Edith</strong> <strong>Bauer</strong>: <strong>Gesundheitsziele</strong> <strong>verändern</strong> <strong>die</strong> <strong>gynäkologische</strong> <strong>Praxis</strong><br />

<strong>Bauer</strong>, <strong>Edith</strong><br />

Teilhabe und Empowerment fördern von Migrantinnen SA 9.00<br />

Strategien der Gesundheitsförderung – <strong>Gesundheitsziele</strong> gegen Armut, FR16.15<br />

geboren 1941<br />

Dr. med.<br />

Mitglied im Vorstand des AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und<br />

Gesellschaft e. V.); Mitglied in der DGPFG (Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische<br />

Frauenheilkunde und Geburtshilfe); Mitglied bei TDF (Terre Des Femmes)<br />

Frauenärztin mit Zusatztitel Psychotherapie<br />

Publikationen:<br />

• nä 11/2006 S.24 - 26, Lebenslange Pein, Hannover, Niedersächsisches Ärzteblatt<br />

Kontakt:<br />

Georg-Kurtze-Str. 16<br />

15344 Strausberg<br />

Tel. 03341 301666<br />

E-Mail: DrE<strong>Bauer</strong>@aol.com<br />

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