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Der Schulkrieg ist nicht zu Ende

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<strong>Der</strong>Westen - 20.06.2008<br />

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/detail.html<br />

<strong>Der</strong> <strong>Schulkrieg</strong> <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong> <strong>Ende</strong><br />

Moers, 20.06.2008<br />

INTERVIEW. Mit Dr. Burkhard Mielke verlässt ihr Gründer und Wegbereiter die<br />

Geschw<strong>ist</strong>er-Scholl-Gesamtschule in Moers.<br />

Dr. Burkhard Mielke gründete als Schulleiter<br />

die Geschw<strong>ist</strong>er-Scholl-Gesamtschule und<br />

blieb bis <strong>zu</strong>r Pensionierung ihr "Direx". Seine<br />

letzte Amtshandlung <strong>ist</strong> die Abiturrede 2008 -<br />

einen Tag nach der Verabschiedung im<br />

Kollegium. (Foto: Olaf Fuhrmann) DER<br />

MENSCH<br />

MOERS. <strong>Der</strong> 20. Juni <strong>ist</strong> für Dr. Burkhard Mielke und<br />

die Geschw<strong>ist</strong>er-Scholl-Gesamtschule ein<br />

einschneidendes Datum. An diesem Tag wird mit ihm<br />

ihr erster und bislang einziger "Direx" in den<br />

Ruhestand gehen. Die Redaktion sprach mit Dr.<br />

Burkhard Mielke über seine Arbeit, seine<br />

Berufssauffassung und über die Zukunft der Schulen.<br />

Hat Ihnen der Job 1984 eigentlich mehr Spaß gemacht<br />

als heute?<br />

Burkhard Mielke: Er hat mir <strong>zu</strong> jeder Zeit Spaß<br />

gemacht, und ich gehe <strong>nicht</strong> gerne. Aber 1984 waren<br />

die Bedingungen ganz andere. Ich habe die erste<br />

Gesamtschule am linken Niederrhein aufgebaut - wir<br />

waren Pilotschule und haben mit einem Flur, 180<br />

Schülern, 14 Lehrern und einem Schulleiter<br />

angefangen.<br />

Wo stehen sie jetzt?<br />

Burkhard Mielke: Wir haben heute etwa 1250 Schüler,<br />

über 90 Lehrer - und einen Schulleiter. Die Aufgaben<br />

haben sich im Laufe der Jahre allerdings gewandelt.<br />

Damals ging es darum, ein Konzept <strong>zu</strong> entwickeln, wir waren immerhin auch die erste<br />

Ganztagsschule. Da war man als Schulleiter auf einmal auch Gestalter. Wir sind stolz darauf,<br />

dass die Mensa anders aussieht als das Schulgebäude. 1984 war der Ganztag noch<br />

umstritten, heute <strong>ist</strong> der Bedarf aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung unbestritten groß.<br />

Und wie sehen ihre Aufgaben heute aus?<br />

Burkhard Mielke: Wir müssen bei <strong>zu</strong>nehmender Konkurrenz das Niveau halten, uns dem<br />

Vergleich stellen. Bei Pisa, den Überprüfungen und dem Zentralabitur haben wir uns ganz gut<br />

geschlagen. Außerdem <strong>ist</strong> die Notwendigkeit der Ganztagsschule heute virulent, ein Drittel der<br />

Schüler <strong>ist</strong> darauf angewiesen. Aber der Ganztag darf <strong>nicht</strong> nur Verwahrung, sondern muss<br />

immer auch gleichzeitig individuelle Förderung sein.<br />

Reichen denn die Ressourcen dafür aus?<br />

Burkhard Mielke: Nein, sie reichen <strong>nicht</strong> aus. Ohne die Mitarbeit der Eltern wäre das <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong><br />

schaffen - aber das war schon immer so. Sie haben sogar einen Freiarbeitsverein gegründet,<br />

der es den Schülern erlaubt, sich selbstständig mit Themen <strong>zu</strong> beschäftigen. Das <strong>ist</strong> Unterricht<br />

in anderer Form. Wir machen es seit einigen Jahren sehr erfolgreich. Bilingualer Unterricht und<br />

Freiarbeit sind zwei Säulen der Schule.<br />

Lässt sich der Erfolg ihrer Schule messen?<br />

Burkhard Mielke: Wir haben es geschafft, dass alle Schüler, leider bis auf einen, unsere Schule<br />

2007 mit einem Abschluss verlassen haben. Wir haben ein Konzept entwickelt, in dem alle bis<br />

<strong>zu</strong>m <strong>Ende</strong> der 8. Klasse gemeinsam lernen, das bringt bessere Lernergebnisse. Dann machen<br />

wir einen Schnitt. Denn ab Klasse 9 steht fest, ob der Weg in den Beruf oder in die Oberstufe<br />

geht.<br />

Wie bereiten Sie ihre Schüler auf die Berufswelt vor?<br />

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Burkhard Mielke: Zum Beispiel mit je zwei Praktika in den Klassen 9 und 10. Wir fragen uns:<br />

Was braucht der Abnehmer? Und der Abnehmer <strong>ist</strong> die Wirtschaft. Denen <strong>ist</strong> es wichtiger, dass<br />

Aus<strong>zu</strong>bildende rechnen und schreiben können als Geschichtsdaten herunter<strong>zu</strong>beten. Wichtig<br />

<strong>ist</strong>, dass Abnehmer und Schule <strong>zu</strong>sammenarbeiten.<br />

Fühlen Sie sich von der Schulpolitik unterstützt?<br />

Burkhard Mielke: Die Reaktionen auf Pisa sind desolat. Man hätte eine ruhige Analyse<br />

gebraucht, statt dessen jagt eine Reform die andere. Ich sage immer: Eine Sau wird <strong>nicht</strong><br />

dadurch schwerer, dass man sie drei Mal wiegt. Das, was wir an der Schule vermitteln sollen,<br />

<strong>ist</strong> doch überschaubar.<br />

Aber der Unterricht hat sich doch gewandelt?<br />

Burkhard Mielke: Wir heben auf das selbstständige Lernen ab, damit sich jeder Schüler in<br />

unterschiedlichem Tempo entwickeln kann, die Unterrichtsmethodik <strong>ist</strong> ganz anders als früher.<br />

Die Zukunft der Schulen liegt in der Frage: Wie wird Unterricht gemacht?<br />

Und wie wird er in der Zukunft gemacht?<br />

Burkhard Mielke: Das hat mit der Internet-Entwicklung <strong>zu</strong> tun. Es <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> nur eine Utopie, dass<br />

Schüler auch außerhalb der Schule mit dem Lehrer kommunizieren, gewissermaßen mit dem<br />

Lehrer chatten. Wir sind im IT-Bereich weit vorne und müssen den Schülern beibringen, was<br />

sie im Arbeitsalltag erwartet. Aber sie müssen auch Wertschät<strong>zu</strong>ng für das Handwerk erlernen.<br />

Also mehr Geld für die IT-Ausstattung der Schulen?<br />

Burkhard Mielke: Zuerst müssen wir am Anfang viel mehr investieren - im Kindergarten und in<br />

der Grundschule! Wenn wir wissen, dass Kinder mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten<br />

haben, dann müssen wir in die Spracherziehung Geld stecken. In anderen Ländern wird erst<br />

mal die Sprache gelehrt, ich muss die Kinder in die normalen 5. und 6. Klassen stecken. Das<br />

<strong>ist</strong> der Hauptmangel. Ich habe Kinder hier, die sind hochbegabt und sprechen sechs Sprachen,<br />

aber schlecht deutsch.<br />

Eine Frage der Integration. Ist denn Schule an sich in die Gesellschaft integriert?<br />

Burkhard Mielke: Die Zukunft liegt in horizontaler Erziehung. Alle müssen <strong>zu</strong>sammenarbeiten:<br />

Schule, Eltern, Jugendamt, Polizei, Bibliothek, Theater. Kinder müssen sich in einem sicheren<br />

Umfeld entwickeln und ohne Angst aufwachsen können. In der Schule, auf der Straße und <strong>zu</strong><br />

Hause. Die wenigen, die die Sicherheit kaputtmachen, müssen härter angefasst werden. Mich<br />

erschrecken die Zahlen über depressive Kinder und Kinderarmut.<br />

Was hat sich <strong>nicht</strong> geändert in den letzten 24 Jahren?<br />

Burkhard Mielke: Als ich 1984 anfing, galt die Gesamtschule bei Konservativen als<br />

Teufelswerk. Heute haben wir immer noch den <strong>Schulkrieg</strong> der zwei Systeme, und es wird offen<br />

gegen Gesamtschule agitiert. Wir müssen Schule entpolitisieren.<br />

Dr. Burkhard Mielke <strong>ist</strong> 65 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Töchter. Als seine Hobbys nennt<br />

er: Reisen, Lesen, Tennis und Fotografieren. Letzteres stellte er sofort unter Beweis, als er<br />

sich mit dem Fotografen spontan in eine Fachdiskussion über Speicherchips stürzte. Seinen<br />

Beruf übt er seit 1971 aus. Seit ihrer Gründung im Jahre 1984 leitet er die die Geschw<strong>ist</strong>er-<br />

Scholl-Gesamtschule und <strong>ist</strong> somit ihr erster und bislang einziger "Direx". Mielke <strong>ist</strong><br />

Vorsitzender der Schulleitervereinigung NRW und war bis <strong>Ende</strong> letzten Jahres Präsident der<br />

Europäischen Schulleitervereinigung. Was seinen Urgroßvater gewiss mit Stolz erfüllen würde,<br />

denn auch dieser war dereinst - Schulleiter.<br />

Von einem US-amerikanischen Kollegen stammt das imposante Messingschild auf seinem<br />

Schreibtisch: "Dr. Burkhard Mielke". Seine Fachkenntnisse über Schulsysteme stammen aus<br />

dem jahrzehntelangen Erfahrungsaustausch mit Fachkollegen; diesbezügliche Reisen führten<br />

ihn bis nach Kanada. Seine absolut letzte Amtshandlung wird Schulleiter Mielke einen Tag<br />

nach seiner offiziellen Verabschiedung am Freitag vornehmen: Er hält bei der Abiturfeier die<br />

Rede. (hr)<br />

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