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Methodologie politikwissenschaftlicher Forschung Text 1: Planung ...

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Methodologie</strong> <strong>politikwissenschaftlicher</strong> <strong>Forschung</strong><br />

<strong>Text</strong> 1: <strong>Planung</strong> und Ablauf von <strong>Forschung</strong> (v. Alemann)<br />

1 <strong>Planung</strong> und Ablauf von <strong>Forschung</strong><br />

es gibt zahlreiche unterschiedliche Anlässe und Anstöße für politikwissenschaftliche <strong>Forschung</strong> und<br />

ebenso viele unterschiedliche <strong>Methodologie</strong>n<br />

es gibt Versuche, feste Ablaufschemata für diese <strong>Forschung</strong>sprozesse zu entwickeln, die Wirklichkeit<br />

entspricht aber selten diesem Schema.<br />

Aber es gibt wichtige Hauptstufen und Grundregeln des <strong>Forschung</strong>sprozesses.<br />

Basis für jedes wissenschaftliche Vorhaben ist ein Plan, ein Arbeitsprogramm.<br />

(siehe S. 73 – Aufbau eine <strong>Forschung</strong>santrags)<br />

Aufteilung des <strong>Forschung</strong>sprozesses in 3 Hauptstufen:<br />

1. Das Problem<br />

2. Das Material<br />

3. Die Lösung<br />

Die drei Hauptstufen lassen sich in Einzelstufen zerlegen. Die Reihenfolge ist allerdings nicht<br />

unumstößlich.<br />

1.1 Erste Hauptstufe: Das Problem<br />

1. Der <strong>Forschung</strong>sanstoß<br />

2. Der <strong>Forschung</strong>sstand<br />

3. Die Fragestellung<br />

4. Die Analyseebenen<br />

5. Das Projektdesign<br />

1.1.1 Der <strong>Forschung</strong>sanstoß<br />

Am Anfang steht immer ein konkreter Anstoß, eine Frage, eine Idee, ein Problem, ein Vorschlag von<br />

außen, ein Auftrag<br />

Problemsuche kann sehr schwierig sein.<br />

Gibt viele mögliche Quellen (aktuelles Problem; faszinierendes Problem; Problem, auf das man bei<br />

Lektüre gestoßen ist; Hinterfragen einer Selbstverständlichkeit; ...)<br />

Hilfsfragen zu Themensuche (siehe S. 76)<br />

Häufige Probleme: Thema zu eng, zu weit oder es fehlt politikwissenschaftliche Perspektive.<br />

Wenn Thema von außen vorgegeben: hält man sich selbst für kompetent, das Thema für interessant<br />

und relevant genug?<br />

Problemstellung muss machbar, bearbeitbar, methodisch und materialmäßig realisierbar sein.<br />

Klare Arbeitsplanung ist notwendig.<br />

1.1.2 Der <strong>Forschung</strong>sstand<br />

Erfassung des <strong>Forschung</strong>sstandes ist wichtig, um sich mit dem Thema bekannt zu machen, sich<br />

einzuarbeiten.<br />

3 Fragen sind zu klären:<br />

- ist das <strong>Forschung</strong>sprojekt bereits früher wissenschaftlich untersucht worden?<br />

- 1 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

- Lässt sich das Problem überhaupt in einen wissenschaftlichen Bezugsrahmen<br />

setzen?<br />

- Kann die <strong>Forschung</strong>sfrage mit dem vorhandenen methodologischen Instrumentarium<br />

(und seiner möglichen erweiterung) beantwortet werden?<br />

<strong>Forschung</strong>sstand bearbeiten = Literaturanalyse betreiben<br />

Vorsicht vor übermäßigem Fotokopieren! Alibiwirkung!<br />

Der Umfang der Literaturanalyse ist dem geplanten Projektvolumen anzupassen.<br />

1.1.3 Die Formulierung von Fragestellungen<br />

Präzisierung und Konkretisierung der Fragestellung.<br />

„Konzeptionalisierung“ = Festlegen grundlegender Konzepte und Begriffe und Anstellen von<br />

Vermutungen über deren Zusammenhang.<br />

Konzentration auf das Wesentliche und Erforschbare<br />

Ab- und Eingrenzung des Themas.<br />

Muss früh und rechtzeitig geschehen.<br />

Wissenschaftliche <strong>Forschung</strong> muss zielgerichtet und theoriegeleitet sein.<br />

Wir gehen immer mit Vorurteilen und eigenen Erkenntnissinteressen an die Wirklichkeit heran. Daher<br />

brauchen wir Ziel und Plan damit Wissenschaft nicht beliebig und unverbindlich wird.<br />

1.1.4 Die Auswahl der Analyseebene<br />

Analyseebenen = spezifische wissenschaftliche Herangehensweisen an den <strong>Forschung</strong>sgegenstand,<br />

um unterschiedliche Dimensionen zu erfassen<br />

7 Analyseebenen:<br />

1. Ebene der Originalität<br />

- Primärerhebung<br />

- Sekundärerhebung<br />

2. Ebene der Reichweite<br />

- Vergleichende Analyse<br />

- Fallstudie<br />

3. Zeitebene<br />

- Diachrone Analyse<br />

- Synchrone Analyse<br />

4. Auswahlebene<br />

- Vollerhebung<br />

- Auswahl<br />

5. Aggregationsebene<br />

- Individualdaten<br />

- Aggregatdaten<br />

6. Akteur/System-Ebene<br />

- Akteur<br />

- System<br />

7. Realitätsebene<br />

- Feldstudie<br />

- Esperimentelle Studie<br />

1 Zur Ebene der Originalität<br />

Primärerhebung vs. Sekundäranalyse<br />

Primärerhebung:<br />

Primärdaten = selbst erstellte Daten<br />

Der Forscher begibt sich persönlich ins Feld.<br />

Vorteil: eigener Einblick; nicht auf Daten anderer angewiesen.<br />

- 2 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Nachteil: Risiko, sich durch persönliche Perspektiven, Sympathie oder Antipathie ablenken zu lassen.<br />

Größere Erhebungen nur arbeitsteilig möglich, zeitaufwendig und teuer.<br />

Sekundäranalyse:<br />

Sekundärdaten können Daten sein, die von „dritten“ für <strong>Forschung</strong>szwecke erhoben worden sind. Es<br />

können auch Prozessdaten sein, die vom Staat für politische, wirtschaftliche oder <strong>Planung</strong>szwecke<br />

erhoben worden sind.<br />

Vorteile: einfacherer und preiswerterer Zugang; Rückgriff auf lange Zeitreihen möglich;<br />

Nachteile: gezwungen, alte Grundhypothesen zu übernehmen; alte Fehler vervielfältigen sich, da<br />

Datenerhebung nicht mehr kontrollierbar; begrenzte Vergleichbarkeit von Daten aus unterschiedlichen<br />

Quellen;<br />

2 Zur Ebene der Reichweite<br />

Vergleichende Analyse vs. Fallstudie<br />

Vergleichende Analyse:<br />

Vergleich = Spezifikum der Politikwissenschaften ( Vergleich politischer Systeme)<br />

Vergleich einer möglichst begründeten Auswahl von Fällen<br />

Zweck = Generalisierung; Überprüfung von Hypothesen;<br />

- <strong>Forschung</strong>smaterial so ordnen, dass der vergleichende Charakter der untersuchten sozialen<br />

Gegenstände erkennbar bleibt<br />

Fallstudie:<br />

Fallstudie = Untersuchung eines Objekts in einem bestimmten Zusammenhang<br />

<strong>Forschung</strong>smaterial so ordnen, dass jede soziale Einheit als ein Ganzes gesehen wird.<br />

Oft werden mehrere Methoden eingesetzt, um möglichst viele Aspekte zu erfassen.<br />

Fallstudien spielen bedeutende Rollen in Powi.<br />

Vergleich und Fallstudie schließen sich nicht gegenseitig aus. Vergleich kann Fallstudien einschließen<br />

und in eine Fallstudie können Vergleiche einbezogen werden.<br />

3 Zur Zeitebene<br />

Diachronische Analyse vs. Synchrone Analyse<br />

Diachronische Analyse (Längsschnittuntersuchung):<br />

Es werden zu verschiedenen Zeitpunkten Beobachtungen an denselben oder verschiedenen<br />

Untersuchungsobjekten vorgenommen.<br />

Kann Fallstudie, Vergleich, Primärerhebung oder Sekundäranalyse sein. Sekundäranalyse allerdings<br />

häufiger als Primärerhebung.<br />

Synchrone Analyse (Querschnittanalyse):<br />

Es werden die untersuchten Einheiten nur zu einem Zeitpunkt beobachtet.<br />

Kann auch Fallstudie, vergleich, Primärerhebung oder Sekundäranalyse sein.<br />

4 Zur Auswahlebene<br />

Vollerhebung vs. Auswahlanalysen<br />

Vollerhebung:<br />

Die Summe aller Analyseeinheiten entspricht der Grundgesamtheit.<br />

Bei einer kleinen Grundgesamtheit ist eine Auswahl problematisch und kann nie repräsentative und<br />

verallgemeinerbare Ergebnisse bringen.<br />

Vollerhebung wird empfohlen, wenn<br />

- auf die Sicherheit der Aussagen sehr viel Wert gelegt wird<br />

- Daten zur Verfügung stehen sollen, mit denen andere Stichproben verglichen und<br />

geeicht werden können<br />

- Eine tief gegliederte Tabellenanalyse durchgeführt werden soll<br />

- Die Grundgesamtheit nicht sehr groß ist.<br />

Auswahlanalysen:<br />

- 3 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Repräsentative Stichproben auf der Basis der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie<br />

(Stochastik).<br />

Sinnvolle Reduktion der Datenmenge.<br />

- einfache Zufallsstichprobe: jede Einheit der Grundgesamtheit hat gleiche Chance, in<br />

die Stichprobe zu gelangen. selten<br />

- Wahrscheinlichkeitsstichproben: Wahrscheinlichkeit, mit der Einheit in Stichprobe<br />

gelangt, kann angegeben werden.<br />

- Quotenauswahl: ein einzelnen Bereichen werden getrennte Stichproben gezogen.<br />

- Expertenbefragung: selektiv, willkürlich<br />

5 Zur Aggregationsebene:<br />

Individualdaten vs. Aggregatdaten<br />

Individualdaten:<br />

Beruhen auf individuellen Objekten, Personen und Ereignissen<br />

Aggregatdaten:<br />

Zusammenfassung von Individualdaten über Merkmale von individuellen Objekten, Personen oder<br />

Ereignissen<br />

Nachteil: Forscher muss Daten akzeptieren, die er vorfindet.<br />

Vorteil: sind in viel größerem Umfang und viel einfacher und billiger erhältlich; Problem der Interaktion<br />

zwischen Forscher und Objekt wird weitgehend ausgeschaltet.<br />

Vorsicht ist geboten beim Rückschluss von Aggregatdaten auf individuelles Verhalten („ökologischer<br />

Fehlschluss“). Und umgekehrt, beim Schluss von Individualdaten auf Aggregatebene.<br />

Sowi-Untersuchung sollte nach Möglichkeit mehrere Ebenen berücksichtigen.<br />

6 Zur Akteur/Systemebene:<br />

Unterscheidung wichtig in der Internationalen Politik<br />

Akteurperspektive:<br />

Akteure können Einzelpersonen sein, aber auch kollektive Akteure wie Regierungen, Beratergremien,<br />

supranationale Organisationen oder multinationale Konzerne.<br />

Systemische Perspektive:<br />

Die Struktur des internationalen Systems determiniert das außenpolitische Handeln der Staaten und<br />

nicht die einzelnen Akteure.<br />

In Innenpolitik und Vergleichender Politik hat Politikwissenschaften Hang zur Konzentration auf<br />

Systeme, Strukturen und Prozesse oder höchstens auf kollektive Akteure.<br />

7 Zur Realitätsebene:<br />

Feldforschung vs. Experiment<br />

Feldforschung:<br />

Der Wissenschaftler begibt sich in die politisch-gesellscahftliche Realität und studiert sie vor Ort.<br />

Möglichkeiten: Umfragebögen, Expertenbefragung, ...<br />

Der Wissenschaftler versucht nicht, die Situation zu kontrollieren oder simulieren<br />

Experiment:<br />

Nicht prüfungsrelevant!!!!!!!!!!<br />

1.1.5 Das Projektdesign<br />

Übersichtliche Formulierung und Niederschrift des Projekts für die Kritik der Beurteiler.<br />

(siehe S. 94 – Aufbau von Projektanträgen und S. 95 – Exposé einer wissenschaftlichen Arbeit)<br />

1.2 Zweite Hauptstufe: Das Material<br />

- 4 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

= eigentliche Durchführung der <strong>Forschung</strong>; „Feldphase“;<br />

4 Einzelstufen:<br />

- Die Methodenauswahl<br />

- Die Operationalisierung<br />

- Die Datenerhebung<br />

- Die Datenauswertung<br />

1.2.1 Die Methodenauswahl<br />

Fixierung der konkreten Methoden der Datenerhebung und <strong>Planung</strong> der praktischen Durchführung im<br />

einzelnen.<br />

1.2.2 Die Begriffe klären und operationalisieren<br />

Zweck von Operationalisierung:<br />

- Auswahl von Indikatoren für den theoretischen Begriff<br />

- Auswahl wird veröffentlicht und damit kritisierbar<br />

- Indikatoren werden quantifiziert, d.h. messbar<br />

Um durch Quantifizierung zu objektivierbaren Daten zu gelangen, müssen klare Indikatoren und<br />

operationalisierbare Definitionen festgelegt werden.<br />

Operationalisieren = messbar, objektivierbar machen<br />

Der operationalisierte Begriff kann nie voll mit der Realität übereinstimmen. Deshalb müssen die<br />

Schritte der Operationalisierung immer offengelegt werden, damit sie kritisch diskutiert werden<br />

können.<br />

Auch bei einer großen Zahl von Indikatoren erhält man keine Objektivität. Mann sollte sich der<br />

subjektiven Entscheidung immer bewusst bleiben und diese der wissenschaftlichen Kritik zugänglich<br />

machen.<br />

1.2.3 Die Datenerhebung<br />

eigentlicher Kern empirischer <strong>Forschung</strong>.<br />

Später näher erläutert.<br />

1.2.4 Die Datenauswertung<br />

- hermeneutische Methode<br />

- historische Methode<br />

- juristische Methode<br />

- statistische Methode<br />

statistische Analyseverfahren erhalten am meisten Geld, Ressourcen und öffentliches Interesse.<br />

Trend zur Quantifizierung wird daher immer weiter verstärkt.<br />

1.3 Dritte Hauptstufe: Die Lösung<br />

- Formulierung des Berichts<br />

- Publikation<br />

- Rezeption<br />

1.3.1 Die Formulierung des Berichts<br />

Bericht muss die Wissenschaft und/oder Praxis überzeugen von der Relevanz und Stichhaltigkeit der<br />

<strong>Forschung</strong>.<br />

Gefahr: sie durch immer neue „Vorarbeiten“ von der Formulierung des Berichts drücken und zu wenig<br />

Zeit für die Formulierung einzuplanen.<br />

- 5 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

„Don’t fake!“<br />

Zitieren von wörtlichen und sinngemäßen Wiedergaben anderer Erkenntnisse; Nachprüfbarkeit<br />

gewährleisten, geistiges Eigentum anderer respektieren und schützen.<br />

In das Allgemeingut aufgenommene Erkenntnisse brauchen nicht mehr zitiert zu werden.<br />

„Du sollst nicht langweilen!“<br />

Lesbarkeit von Berichten muss gewährleistet bleiben. Fachausdrücke nur verwenden wenn sinnvoll<br />

und notwendig.<br />

Nützlich, von vornherein 3 – 4 Versionen seines <strong>Text</strong>es einzuplanen.<br />

Rohversion, verbesserte Rohversion, Endversion<br />

Tips:<br />

- beseitige Wiederholungen von Gedanken, Informationen und Ausdrücken!<br />

- Sorge für größtmögliche Klarheit<br />

- Teile lange Sätze in kurze Sätze auf<br />

- Gliedere die Sätze<br />

- Nutze Strichaufzählungen für die Übersichtlichkeit<br />

- Bemühe dich um eine gut klingende, treffende, mit Lust zu lesende Sprache<br />

Grundaufbau:<br />

- Einleitung: Problemanstoß, Vorgehen<br />

- Schluss: bringt Ergebnisse auf den Punkt<br />

- Anhang: Literaturverzeichnis, Anmerkungen<br />

- Hauptteil: variabel<br />

Bericht muss mehrfach Korrektur gelesen werden.<br />

1.3.2 Die Publikation<br />

die wichtigsten wissenschaftlichen Publikationsarten:<br />

- wissenschaftlicher Vortrag auf einem Fachkongress: sehr aktuell<br />

- wissenschaftliche Fachzeitschrift: strenges Ausleseprinzip<br />

- wissenschaftliche Monographie: bei Dissertationen und Habilitationen vorgeschrieben.<br />

Graue Literatur:<br />

Im Selbstverlag von einzelnen Instituten und Institutionen.<br />

Publikation, d.h. Offenlegung, Veröffentlichung, Diskussion, Debatte und Diskurs.<br />

Wissenschaft muss für Kritik offen sein.<br />

Missbrauch:<br />

Missbrauch privater, personenbezogener Daten; Verletzung der Intimsphäre der Beforschten;<br />

Anonymisierung der Daten.<br />

Publikation wird grundsätzliche Fragen der <strong>Forschung</strong>sethik auf. (siehe S. 106)<br />

1.3.3 Die Rezeption<br />

Publikation wird Teil des <strong>Forschung</strong>sstandes. Das Werk wird rezensiert, kritisiert, zitiert.<br />

<strong>Forschung</strong>sergebnisse wirken auch auf die breite Öffentlichkeit. Wissenschaft sollte sich daher einem<br />

emanzipatorischen Erkenntnisinteresse verpflichtet fühlen. Sich bewusst sein, dass der Einfluss eines<br />

Werkes missbraucht werden kann.<br />

- 6 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 2: Theorie und Methode in der PW (Bürklin/Welzel)<br />

Methoden und Arbeitsweisen<br />

Theoretische und methodische Grundlagen der Politikwissenschaft<br />

1. Einleitung<br />

5 zentrale Elemente der Grundlagen der Politikwissenschaft:<br />

- Metatheorien<br />

- Theorieansätze<br />

- Methodenorientierungen<br />

- Untersuchungsanordnungen<br />

- <strong>Forschung</strong>stechniken<br />

2. Theorie und Methode in der Politikwissenschaft<br />

Powi hat sich erst spät von Nachbardisziplinen emanzipiert und ist daher immer noch in deren Kontext<br />

eingebettet.<br />

Zielsetzung: Erkenntnisse über gesellschaftliche Wirklichkeit gewinnen.<br />

Wissenschaftliche Erkenntnis: basier auf objektivierbaren Informationen<br />

Methoden: Instrument, um empirische Informationen zu gewinnen.<br />

Theorien: verallgemeinernde Aussageform, in der wissenschaftliche Erkenntnisse ausgedrückt<br />

werden.<br />

Erfahrungsbezogene Theorien vs. Wissenschaftstheorien<br />

Wissenschaftstheorien = Metatheorien = Fundament der Wissenschaft. Begründen<br />

Erkenntnisprämissen und Leitbilder.<br />

3. Metatheoretische Grundpositionen<br />

Metatheorien liegen als Grundannahmen dem <strong>Forschung</strong>sprozess zugrunde.<br />

Zweiteilung – geistes- und naturwissenschaftliche Tradition<br />

Widerspruch zwischen Verstehen und Erklären<br />

3 zentrale Unterschiede zwischen verstehender und erklärender Position:<br />

- theoretisches Erkenntnisinteresse<br />

- Werturteilsproblem (Auffassung über den wissenschaftlichen Stellenwert von<br />

Sollaussagen)<br />

- Erkenntnisanspruch (Verständnis von wissenschaftlicher Wahrheit)<br />

Drei-Schulen-Gliederung:<br />

- Freiburger-Schule (normativ-ontologisch) verstehen<br />

- Frankfurter-Schule (historisch-dialektisch) verstehen<br />

- Mannheimer-Schule (empirisch-analytisch) erklären<br />

Unterscheidung nicht trennscharf, da Attribute keine ausschließliche Zuordnung erlauben.<br />

3.1 „Verstehende“ Positionen<br />

3.1.1 Theoretische Erkenntnisinteressen<br />

Zweck – gesellschaftliche Abläufe und Zustände interpretieren; den inneren Sinngehalt eines<br />

gesellschaftlichen Phänomens verstehen; Abstraktion<br />

Beispiele: Leitbegriffe powi-Denkens: Herrschaft, Legitimität, Demokratie<br />

- 7 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Varianten:<br />

Beispiel S. 311 – 313<br />

- ontologisch (überzeitliche ethische Grundlagen gesellschaftlichen Seins)<br />

- dialektisch (materialistische Entwicklungsprinzipien gesellschaftlichen Seins)<br />

3.1.2 Werturteilsproblematik<br />

Praktisches Erkenntnisinteresse: Werte formulieren, die für die Gestaltung eines in seiner Gesamtheit<br />

idealen Gemeinwesens handlungsleitend sind.<br />

Powi = lebenspraktische Gestaltungswissenschaft, entzieht sich der Verantwortung für die politische<br />

Verwendung ihres Gestaltungswissens nicht.<br />

Ablehnung der Trennung zwischen Werturteilen und Tatsachenaussagen. Begründung: Gefahr des<br />

politischen Missbrauchs; Sollen und Sein untrennbar verwoben; wissenschaftliche Hauptaufgabe ist<br />

Aufzeigen gesellschaftlicher Werte;<br />

Normativ-ontologische Denkströmung:<br />

Geht davon aus, dass Mensch ein auf gemeinschaftliche Ordnung ausgerichtetes Wesen ist. Frage<br />

ist, welchen Werten eine Herrschaftsordnung gerecht werden muss, um das gemeinsame Wohl der<br />

Bürger zu sichern. Gemeinwohlverständnis, dass an der Sicherung bürgerlicher Freiheiten orientiert<br />

ist.<br />

Dialektische Denkströmung:<br />

Grundverständnis basiert auf dem Begriff der Entfremdung.<br />

Herrschaftsverhältnisse werden als gesellschaftlicher Widerspruch angesehen, die die<br />

Selbstentfaltung des Menschen blockieren.<br />

umfassende Gesellschaftskritik<br />

dialektisches Prinzip folgt immer wiederkehrendem Dreischritt:<br />

- Ausgangspunkt ist ein stabiler gesellschaftlicher Zustand, in dem vorhandene<br />

Widersprüche sich noch nicht artikuliert haben (These)<br />

- Diese Widersprüche lassen sich nicht unter Kontrolle halten und führen zur Bildung<br />

von gesellschaftlichen Gegenkräften (Antithese)<br />

- Diese führen durch soziale Umbrüche zu einem neuen stabilen Zustand (Synthese).<br />

3.1.3 Wissenschaftliche Wahrheitsverständnis<br />

Verstehende Positionen teilen eine gemeinsame Auffassung über das Verhältnis zwischen Wirklichkeit<br />

und Erkenntnis.<br />

Die Art unseres Wissens über die Wirklichkeit hängt von der Beschaffenheit der Wirklichkeit ab.<br />

Gesellschaftliche Phänomene sind das Produkt willensgeleiteter menschlicher Handlungen und<br />

enthalten daher Sinn- und Zwecksetzungen.<br />

Gesellschaftliche Phänomene wie der Staat werden durch einen übergeordneten inneren Sinn<br />

gebildet.<br />

Es handelt sich um eine andere Art von Wissen, und daher muss dieses Wissen auf anderem Wege<br />

erschlossen werden.<br />

Angemessene Erkenntnismethode ist die Hermeneutik. Hermeneutik ist ein Verfahren.<br />

Im hermeneutischen Verstehensprozess spielt Deutungskompetenz des Wissenschaftlers große<br />

Rolle. Wissenschaftler muss sich in die Rolle der von ihm untersuchten Akteure hineinversetzen. Das<br />

eigene Vorverständnis fließt aber immer in die Interpretation ein, gleichzeitig führt die Interpretation<br />

aber auch zu einer Verbesserung des Vorverständnisses. Das subjektive Verständnis passt sich so<br />

immer besser dem Sinngehalt der untersuchten sozialen Situation an.<br />

3.2 „Erklärende“ Positionen<br />

3.2.1 Theoretische Erkenntnisinteressen<br />

Ziel: Verallgemeinerung gesellschaftlicher Abläufe und Zustände anhand ihrer außerlich erkennbaren<br />

Merkmale zu Gesetzes- oder Regelaussagen.<br />

- 8 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Generalisierung beobachtbarer Merkmalskombinationen<br />

Erkenntnisinteresse: Prognosen, praktische Problemlösung; wünschbaren Sollzuständen<br />

näherkommen<br />

3.2.2 Werturteilsproblematik<br />

Trennung zwischen Werturteilen und Tatsachenaussagen. Begründung: Befinden sich auf<br />

verschiedenen Aussageebenen. Ist unzulässig, Werturteile mit dem Anspruch auf wissenschaftliche<br />

Objektivität zu vertreten. Aber Handlungsempfehlungen sind möglich. Werte dürfen nicht als Ergebnis<br />

wissenschaftlicher Analyse ausgewiesen werden.<br />

3.2.3 Wissenschaftliches Wahrheitsverständnis<br />

Heuristischer Standpunkt:<br />

Alles, was wir über die Wirklichkeit wissen, ist von unseren subjektiven<br />

Wahrnehmungsvoraussetzungen und nicht von den Objekten unserer Erkenntnis abhängig. Kein<br />

Wissen besteht unabhängig vom Standpunkt des Betrachters.<br />

Wissenschaftlich wahrheitsfähig sind nur die beobachtbaren und messbaren Merkmale sozialer<br />

Realität. Zur Feststellung der Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen ist allein die Prüfung anhand<br />

allgemein nachvollziehbarer Verfahren maßgeblich (Inter-Subjektivitäts-Bedinung)<br />

Erklärende Position fragt danach, durch welche Merkmale eine Sache hinreichend beschrieben<br />

werden kann. Leitkriterien: logische Schlüssigkeit, empirische Prüfbarkeit.<br />

Zusammenfassend:<br />

Verstehende Position:<br />

Geht davon aus, dass die Beschaffenheit gesellschaftlicher Phänomene durch spezifische<br />

Sinngehalte charakterisiert ist, die nur durch Interpretation zu verstehen sind. Methoden der<br />

Erkenntnisgewinnung müssen sich der Eigenart der Erkenntnisgegenstände anpassen.<br />

Resultat sind normative Positionen. Lehnen Trennung von reiner Erkenntnis und<br />

gesellschaftspolitischer Verwertungsmöglichkeit ab.<br />

Philosophisch-normative Fragen sind untrennbarer Bestandteil.<br />

Konflikte innerhalb verstehender Position sind gesellschaftstheoretisch-philosophisch bestimmt.<br />

Erklärende Position:<br />

Trennt strikt zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und deren gesellschaftspolitischen<br />

Verwertungsmöglichkeiten. Gesellschaftswissenschaft soll sich nicht in den Dienst der Alltagspolitik<br />

stellen.<br />

Forderung nach Inter-Subjektivität und Prüfverfahren.<br />

Methode muss unabhängig von der Eigenart ihrer variierender Objekte sein.<br />

Philosophische Fragestellungen werden ausgegrenzt.<br />

Konflikte innerhalb der erklärenden Position sind erkenntnistheoretisch-methodologisch bestimmt.<br />

- 9 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 3: Politikwissenschaftliche <strong>Forschung</strong>sansätze (Bürklin/Welzel)<br />

4. Politikwissenschaftliche Theorieansätze<br />

Theorieansatz = die auf den Untersuchungsgegenstand bezogene Betrachtungsperspektive, durch die<br />

Methodik und Theoriebildung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.<br />

Betrachtungsperspektiven sind durch Auswahlentscheidungen thematischer Art bestimmt.<br />

Theorieansätze liegen vermittelnd zwischen den ihnen vorgeordneten Metatheorien und den ihnen<br />

nachgeordneten Methoden.<br />

4.1 Historisch-genetische Ansätze<br />

Einer der traditionellen Zugänge der ersten Nachkriegsjahrzehnte.<br />

Den „verstehenden“ Positionen zugerechnet.<br />

Prämisse: gegenwärtige politische Phänomene sind erst aus ihrer Entstehung und Entwicklung zu<br />

verstehen. geeignet, geschichtliche Grundlagen aktueller Politik herauszuarbeiten.<br />

Klare Grenzziehung bzw. Gegenüberstellung Geschichte und Politik schwer möglich.<br />

Nützlich ist Ansatz, wenn er die Wirkung historischer Entwicklungen in der politischen Gegenwart<br />

aufzeigt.<br />

- sozialgeschichtliche Studien: politische Veränderungen in den Kontext grundlegender<br />

gesellschaftlicher Entwicklungslinien stellen.<br />

- Ideengeschichte: ideelle Wurzeln heutiger Parteiideologien oder andere<br />

Ausprägungen politischer Kultur aufzeigen.<br />

- Zeitgeschichtliche Arbeiten: Beitrag zum Verständnis der Entstehungsgründe heutiger<br />

politischer Ordnungen.<br />

Geschichte als Reservoir von Vergleichsfällen für die Powi.<br />

Vertreter: St. Rokkan, S. M. Lipset,<br />

4.2 Institutionelle Ansätze<br />

„verstehend“- ontologische Strömung<br />

oft Überschneidungen mit staatsrechtlichen Fragestellungen<br />

aber politische Untersuchungen konzentrieren sich auf Gegenüberstellung von gesetzlichen<br />

Entscheidungsregeln und tatsächlichem Institutionenhandeln.<br />

Prämisse: öffentliche Entscheidungsprozesse erfolgen im modernen Staat grundsätzlich im Rahmen<br />

institutioneller Regelungen. Die Bedeutung von Institutionen wird dabei vor allem in der<br />

verhaltensstabilisierenden Wirkung ihrer Handlungsregeln gesehen.<br />

Frühere Studien: Regierungsformenlehre<br />

Später: Verfassungssystematiken, die unterschiedliche politische Ordnungsformen nach ihrer<br />

institutionellen Mechanik klassifizieren.<br />

Betrachtungsweise ist von gesellschaftlichen Konfliktlagen isoliert Kritik von seiten des<br />

Behavioralismus.<br />

Erweiterung: Rolle politischer Institutionen bei der Vermittlung zwischen gesellschaftlichen<br />

Konfliktlagen und staatlichen Handlungen untersuchen (Politikfeldforschung und<br />

Korporatismusforschung)<br />

Neoinstitutionalsmus – Institutionen als vermittelndes Element zwischen gesellschaftlichen<br />

Bedingungen und politischen Handlungen.<br />

Vertreter: Karl Loewenstein, Carl Joachim Friedrich, Samuel E. Finer<br />

4.3 Behavioralistische Ansätze<br />

- 10 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Abkehr vom institutionellen Ansatz<br />

„erklärende“ Strömung (sehr kompromisslos)<br />

wichtig nach dem 2. Weltkrieg in den USA<br />

heute Bedeutung bei Wählerverhaltens- und politischer Kulturforschung<br />

Kernbegriff = politisches Verhalten:<br />

- politisches Verhalten nur als Summer individueller Verhaltensweisen fassbar<br />

- Individualverhalten durch psychologische Merkmale bestimmt, die man messen kann.<br />

Wenn wir alles über die Gesellschaft wissen wollen, müssen wir alles über die Individuen wissen.<br />

(methodologischer Individualismus)<br />

Untersuchung der sozialpsychologischen Voraussetzungen der Politik.<br />

Gesellschaftliche Verteilung individueller Wert- und Einstellungsmerkmale alsFunktionsgrundlagen<br />

politische Systeme.<br />

Erklärung politischer Prozesse durch Heranziehen individueller Einstellungsmerkmale von<br />

Machteliten.<br />

Datengewinnung durch Einsatz standardisierter Befragungstechniken.<br />

Vertreter: D. Truman, H.D. Lasswell, P. Converse, B. Berelson<br />

4.4 Ökonomische Theorie der Politik<br />

Einsicht, dass ökonomische Prozesse angesichts der Verflechtung zwischen privaten<br />

Wirtschaftsunternehmen, gesellschaftlichen Interessensorganisationen und staatlichen Institutionen<br />

nicht mehr ohne Berücksichtigung politischer Entscheidungen erklärt werden können.<br />

Übertragung von Handlungsmodellen, die aus der Analyse nutzenorientierten Handelns gewonnen<br />

wurden, auf die Politik.<br />

Rekonstruktion der Logik politischen Handelns mittels ökonomischer Verhaltensmodelle.<br />

„erklärende“ Strömung – hochstandardisierte Methoden.<br />

Zentral ist das Prinzip der rationalen Auswahl zwischen Handlungsalternativen. (rational choice<br />

Ansätze)<br />

d.h. Individuen folgen in ihren Handlungen einer interessensbedingten Präferenzordnung von<br />

Sollzuständen.<br />

Handlungsziele werden durch Anreize (Gratifikationen) und Kosten (Restriktionen) beeinflusst.<br />

Entscheidung für jene Alternative, die das günstigste Verhältnis aus zu erwartenden Kosten und<br />

Nutzen bietet.<br />

Modelle: Spieltheorie<br />

Vertreter: A. Downs, J.M. Buchanan, M. Olson<br />

4.5 Struktur-funktionale Ansätze<br />

“erklärend”-analytische Denkströmung, z.T. auch „verstehend“-dialektische Denkströmung<br />

steht im Widerspruch zum methodologischen Individualismus<br />

Prämissen: gesellschaftliche Phänomene tragen angesichts ihrer organisierten Komplexität<br />

grundsätzlich Systemcharakter.<br />

Systemcharakter heißt, dass sich gesellschaftliche Einheiten,<br />

- aus interdependenten Teilsystemen zusammensetzen, die<br />

- von ihrer Umwelt abgegrenzt sind, mit ihr aber<br />

- dennoch in Wechselwirkung stehen<br />

- 11 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Systeme zwingen individuelles Handeln durch Rollenzuweisungen in eine systemeigene<br />

Funktionslogik.<br />

Strukturen gelten in diesem Verständnis als normierte Handlungsmuster, deren Funktion in der<br />

Stabilisierung des Systems insgesamt oder in spezifischen Prozessleistungen besteht.<br />

methodologischer Funktionalismus<br />

Prsons AGIL-Schema:<br />

A (adaption) – Funktion der Anpassung der Systemstruktur an die Anforderungen der Umwelt<br />

G (goal attainment) – Behauptung der Systemziele gegenüber der Umwelt<br />

I (integration) – Aufrechterhaltung des Zusammenhangs der Systemelemente<br />

L (latent pattern maintenance) – Bewahrung der internen Strukturmuster des Systems<br />

Funktion des politischen Systems bestehe darin, die zu gesellschaftlichen Steuerung erforderlichen<br />

Wertorientierungen und Entscheidungen zu erzeugen. Politisches System als Regelkreis, in welchem<br />

gesellschaftliche Inputs in Form von Unterstützungen und Forderungen in das politische System<br />

einfließen, um dort in staatliche Outputs an die Gesellschaft umgewandelt zu werden.<br />

Durch staatliche Leistungen gesellschaftlichen Forderungen gerecht werden = Stabilisierungsleistung<br />

Weiterführung des Modells durch G.A. Almond:<br />

Gesellschaftliche Inputseite: Interessensartikulierung, Interessensaggregierung, Kommunikation<br />

Staatliche Outputseite: Regelfindung, Regeldurchsetzung, Regelkontrolle<br />

Ausbalancierung der verschiedenen Systemfunktionen = Stabilisierungsleistung<br />

Ansatz = Orientierungsrahmen für politische Systemvergleiche; Verbesserung des Verständnis für<br />

Mechanismen, die politische Systeme zusammenhalten.<br />

Autopoietische Systemtheorie von N. Luhmann:<br />

Einzelne Teilsysteme wie Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Wissenschaft differenzieren sich<br />

innerhalb einer Gesellschaft aus und entwickeln eigene Sinnordnungen. Selbststeuerungsfähigkeit<br />

(autopoiesis) der Teilsysteme nimmt dadurch zu. Zentrale staatliche regelungsstruktur muss sich<br />

daran anpassen.<br />

These, dass gesellschaftliche Teilsysteme nicht mehr durch rational handelnde Akteure zu steuern<br />

seien, ist umstritten.<br />

Vertreter: D. Easton, G.A. Almond, Parson, N. Luhmann<br />

4.6 Neuere Ansätze<br />

Mehr-Ebenen-Modelle: Integration der über Jahre getrennt entwickelten Traditionen von<br />

individualistischer und struktureller Theorie.<br />

Lösung des Mikro-Makro-Problems ist Ziel.<br />

Mikro-makro-Problem: Zusammenhänge, die zwischen Individuen (Mikroebene) festgestellt werden,<br />

finden sich nicht immer zwischen den Kontexteinheiten (Makroebene) wieder.<br />

Fehlschlüsse:<br />

- individualistische Fehlschlüsse bei Verallgemeinerungen von der Mikro- auf die<br />

Makroebene<br />

- ökologische Fehlschlüsse bei Verallgemeinerungen von der Makro- auf die<br />

Mikroebene<br />

neue statistische Verfahren zur Lösung entwickelt.<br />

Argument: Kontextmerkmale können deshalb keine Summe von Individualmerkmalen bilden, weil<br />

Kontextstrukturen n ur bestimmte Verknüpfungen von Individualmerkmalen zulassen.<br />

5. Methodologische Grundlagen<br />

5.1 Methodenorientierungen<br />

„verstehende“ Positionen qualitative Methoden (aufgrund der Beschaffenheit sozialer<br />

Seiensbereiche)<br />

„erklärende“ Positionen quantitative Methoden (präziserer Informationsgehalt)<br />

quantitative Verfahren arbeiten mit statistische Messmodellen<br />

alles andere sind qualitative Verfahren<br />

- 12 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Neigung der Forscher = Methodenorientierung<br />

Methodenorientierung kann auf zugrundeliegende Begriffstypen und Aussageformen zurückgeführt<br />

werden.<br />

Qualitative Begriffstypen:<br />

Nominal<br />

Die begriffe geben Ausprägungen eines empirischen Merkmals an, die sich wechselseitig<br />

ausschließen und dabei nicht mehr als die Existenz von Gleichheit oder Ungleichheit ausdrücken.<br />

Aussageform: Klassifikationsaussagen<br />

Ordinal<br />

Die Begriffe bilden Merkmalsausprägungen ab, deren Beziehung eine Rangordnung darstellt.<br />

Aussageform: Rangordungsaussage<br />

Quantitative Begriffstypen:<br />

Metrisch<br />

Die Begriffe bringen empirische Quantitäten zum Ausdruck. Skalenwerte sind inhaltlich interpretierbar.<br />

Aussageform: Differenzaussagen<br />

Statistischer Informationsgehalt nicht von nominalen über ordinale zu metrischen Begriffen zu. Oft<br />

kann die Beschaffenheit politischer Phänomene nur durch Sinnqualitäten bestimmt werden, nicht<br />

durch Quantitäten. Lassen sich nicht in metrischen Begriffen ausdrücken.<br />

Qualitativ orientierte Politikwissenschaftler untersuchen vorwiegend nicht-metrisch strukturierte<br />

Wirklichkeitsmerkmale.<br />

Empirisches Informationsmaterial: <strong>Text</strong>dokumente<br />

Entwickelte Theorien basieren auf inhaltsanalytischen Interpretationsverfahren<br />

Quantitativ orientierte Politikwissenschaftler untersuchen metrisch abbildbare Wirklichkeitsmerkmale.<br />

Empirisches Informationsmaterial: maschinenlesbare Datensätze<br />

Entwickelte Theorien basieren aus standardisierten statistischen Rechenverfahren.<br />

Qualitative und quantitative Verfahren schließen sich nicht wechselseitig aus, sondern sind<br />

ergänzende Zugänge. Beleuchten unterschiedliche Aspekte. Bieten unterschiedliche methodologische<br />

Vorzüge:<br />

Qualitative Verfahren: weniger standardisiert; größere Flexibilität;<br />

Quantitative Verfahren: Standardisierung, befähigt zu strengen Prüfung präziser Hypothesen.<br />

kombinierte Verfahren: Ethnomethodologie; hermeneutisch-klssifikatorische Inhaltsanalyse.<br />

5.2 Induktion und Deduktion<br />

Induktion: einzelne Beobachtungen zu theoretische Hypothesen oder Theorien verallgemeinern<br />

Deduktion: aus Theorien oder theoretischen Hypothesen konkrete Sachverhalte oder Aussagen<br />

anleiten<br />

Induktives design explorativer (suchender) Zugang; gelangt durch Beantwortung von<br />

<strong>Forschung</strong>sfragen zur Theoriebildung<br />

Deduktives Design konfirmatorischen (prüfenden) Zugang, trägt durch Test alternativer Hypothesen<br />

zur Theoriefortbildung bei.<br />

<strong>Forschung</strong>sablauf (siehe S. 335)<br />

Wenn keine geeignete Theorien vorliegen induktive Untersuchungsanordnung<br />

Wenn Theorien vorhanden sind deduktive Untersuchungsanordnung<br />

Induktion und Deduktion schließen sich nicht gegenseitig aus.<br />

5.3 <strong>Forschung</strong>stechniken<br />

Methoden gliedern sich in 2 Arbeitsschritte:<br />

Erhebung und Analyse von empirischen Informationen.<br />

Schritte unterliegen Regeln, den <strong>Forschung</strong>stechniken<br />

Alle <strong>Forschung</strong>stechniken können qualitativ oder quantitativ sein.<br />

- 13 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Erhebungstechniken<br />

Gewinn empirischer Informationen durch Auswertung von <strong>Text</strong>dokumenten, Statistiken, durch<br />

Befragung, Beobachtung, Experiment.<br />

Bei Befragung, Beobachtung und Experiment können genau die infos erhoben werden, die<br />

erforderlich sind. Bei Dokumenten und Statistiken ist man auf bereits aufgezeichnetes Material<br />

angewiesen.<br />

Anforderungen an Erhebungstechniken:<br />

- Reliabilität (Verlässlichkeit): durch Wiederholung der gleichen Erhebungsprozedur<br />

werden die gleichen Informationen erzeugt.<br />

- Validität (Gültigkeit): es werden die Merkmale erfasst, die zur Beantwortung der<br />

<strong>Forschung</strong>sfragen erforderlich sind.<br />

Befragung<br />

Wichtigste Erhebungstechnik zur Gewinnung von Individualdaten<br />

Expertenbefragung: Befragung einer kleinen Zahl von Sachverständigen, z.B. Elitenbefragung<br />

Bevölkerungsumfrage: Befragung einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung; Schluss auf die<br />

Grundgesamtheit (Repräsentationsschluss)<br />

Beobachtung<br />

Forscher verfolgt ein zu untersuchendes Geschehen direkt mit.<br />

Konstruktion eines Beobachtungsleitfadens.<br />

Geeignet zur Erhebung von Info über institutionelle Entscheidungsprozesse.<br />

Es gibt offen und verdeckte, teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtung<br />

Experiment<br />

Infogewinn aus Versuchen, in denen der Forscher die Randbedingungen der Versuchsanordnung<br />

kontrolliert<br />

In der powi von untergeordneter Bedeutung<br />

2 weitere Arbeitsschritte der Erhebung von Info:<br />

Kategoriebildung<br />

die interessierenden Merkmale des Untersuchungsgegenstandes nach inhaltlich sinnvollen<br />

Ausprägungen aufschlüsseln und mit verbalen und/oder numerischen Kategorien versehen.<br />

Operationalisierung<br />

Den interessierenden Merkmalen des Untersuchungsgegenstand empirische Indikatoren zuweisen,<br />

anhand derer die Merkmalsausprägungen identifiziert werden können.<br />

Wichtig, dass alle denkbaren Ausprägungen vollständig erfasst werden, sich gegenseitig<br />

ausschließen und aus demselben Unterscheidungskriterium gebildet werdn.<br />

Analysetechniken<br />

Inhaltsanalytische Interpretationsverfahren (qualitativ)<br />

Richten sich auf empirische Infos, die in überlieferten <strong>Text</strong>quellen dokumentiert sind.<br />

Durch hermeneutische Interpretationsverfahren wird versucht, den Sinn des <strong>Text</strong>inhalts in bezug zur<br />

historisch-politische Situation zu entschlüsseln.<br />

Statistische Rechenverfahren (quantitativ)<br />

Setzt numerisch kodierte Info voraus. Es lässt sich die Stärke von Merkmalszusammenhängen<br />

berechnen.<br />

Beispiele: Regressions-, Varianz- und Faktorenanalyse<br />

Ziel einer Untersuchungsmethode<br />

- Beschreiben von Zusammenhängen zwischen den interessierenden Merkmalen in<br />

Protokollsätzen<br />

- Ziehen von theoretisch verallgemeinernden Schlussfolgerungen aus den<br />

Zusammenhängen<br />

- 14 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

5.4 Der Vergleich als allgemeine Methode<br />

5.4.1 Der methodische Status von Vergleichen<br />

Vergleich = Quasi-Experiment, da kontrolliertes Experiment in powi kaum durchführbar.<br />

5.4.2 Die Logik von Vergleichen<br />

Möglichst viele Fälle werden unter möglichst ähnlichen Randbedingungen verglichen (ähnliche Logik<br />

wie bei Experiment)<br />

Im allgemeinen werden ausgesuchte Fälle auf Merkmale untersucht, deren Bedingtheit im Rahmen<br />

eines <strong>Forschung</strong>sproblems interessiert. Merkmale = abhängige Variablen.<br />

Die vermuteten Bestimmungsgrößen auf die abhängigen Variablen = unabhängige Variablen<br />

Auswahl von Fällen, bei denen die Ausprägung der unabhängigen Variablen voneinander abweichen<br />

um Einfluss der unabhängigen Variablen prüfen zu können. Kann Zusammenhang festgestellt werden,<br />

muss Prüfung auf Konstanz der Rahmenbedingungen durchgeführt werden.<br />

Die nachgewiesenen allgemeinen Zusammenhänge gilt es zu interpretieren.<br />

5.4.3 Prüfung von Alternativhypothesen<br />

Siehe S. 340 - 341<br />

Formulierung von zwei alternativen Hypothesen:<br />

- Nullhypothese: kein Zusammenhang<br />

- Zusammenhangshypothese: positiver oder negativer Zusammenhang<br />

Vor der Hypothesenüberprüfung, müssen Variablen durch Indikatoren operationalisiert werden.<br />

5.4.4 Drittvariablenkontrolle<br />

Die Zusammenhangsvermutung kann erst bestätigt werden, wenn gesichert ist, dass man die Wirkung<br />

der unabhängigen Variablen isoliert von den Einflüssen dritter Variablen erfasst hat.<br />

Verfahren der Drittvariablenkontrolle<br />

siehe S. 341 – 342<br />

kann intervenierende Variablen geben<br />

5.4.5 Theoriebildung und Handlungsempfehlungen<br />

Siehe s. 342<br />

6. Schlussfolgerungen<br />

Es bestehen Verbindungen von einzelnen Metatheorien zu jeweils bestimmten Theorieansätzen,<br />

Methodenorientierungen und <strong>Forschung</strong>stechniken. (siehe S. 343, 344)<br />

Verstehende Positionen<br />

historisch.genetische und institutionelle Ansätze<br />

ontologische Denkströmung – ideengeschichtliche und institutionenrechtliche Aspekte<br />

dialektische Denkströmung – sozialgeschichtliche und ideologiekritische Aspekte<br />

qualitative Methodenorientierung<br />

erklärende Positionen<br />

Ansätze des methodologischen Individualismus<br />

Polit-ökonomische und behavioralistische Ansätze<br />

Quantitative Ausrichtung, statistische Rechenverfahren<br />

Keine starren Abgrenzungen<br />

- 15 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 5: Methoden der Datenerhebung – Überblick (Patzelt)<br />

Die Methoden der Politikwissenschaft<br />

1. Theorien, <strong>Forschung</strong>sansätze und Methoden<br />

Theorien:<br />

Gefüge von Aussagen, die eine bestimmte Perspektive festlegen, in der ein Gegenstandsbereich<br />

betrachtet wird. Stellen Begriffe zur Beschreibung bereit.<br />

Benutzung einer bestimmten Theorie prägt die Erforschung eines Gegenstandsbereichs nachhaltig.<br />

<strong>Forschung</strong>sansätze<br />

= Verbindungen von Theorien und Methoden<br />

die benutzte Theorie lenkt das Untersuchungsinteresse auf bestimmte Bereiche des Gegenstands und<br />

erzwingt damit die Nutzung bestimmter Theorien.<br />

Die Theorie legt fest, was im einzelnen untersucht werden muss, und die dergestalt ausgewählten<br />

Untersuchungsgegenstände bestimmen dann ihrerseits die konkret anzuwendenden Methoden.<br />

Methoden<br />

= die konkreten Verfahren der Informationsgewinnung (Datenerhebung) durch Dokumentanalyse,<br />

Befragung, Beobachtung, Experiment und Simulation, oder der Informationsauswertung<br />

(Datenanalyse) durch die Nutzung der hermeneutischen Methode, der historischen Methode, der<br />

juristischen Methode oder der statistischen Methode.<br />

Arbeits- bzw. <strong>Forschung</strong>stechniken<br />

z.B. konkrete Vorgehensweise, um die bei Interviews erhaltenen Antworten aufzuzeichnen.<br />

Arbeitsinstrumente<br />

z.B. Fragebogen, Datenbankprogramme, PC<br />

2. Die Methoden der Datenerhebung<br />

a. Daten und Methoden<br />

Methoden der Datenerhebung<br />

- Dokumentanalyse<br />

- Befragung<br />

- Beobachtung<br />

- Experiment<br />

- Simulation<br />

Daten werden erzeugt, indem die getätigten Beobachtungen aufgezeichnet werden. Daten sind somit<br />

nichts „gegebenes“, sondern etwas „Erzeugte“.<br />

<strong>Forschung</strong>sleitende Theorie: legt fest, welche Sachverhalte beobachtet und aufgezeichnet werden<br />

müssen<br />

Beobachtungstheorie: gibt an, ob man wirklich die interessierenden Sachverhalte beobachtet und sie<br />

korrekt aufzeichnet.<br />

Niemals sprechen Beobachtungen und Zahlen für sich: die in ihnen geborgenen Infos können nur<br />

anhand von Beobachtungstheorien entschlüsselt und mittels der forschungsleitenden Theorie(n)<br />

interpretiert werden.<br />

Individualdaten: Info über Beschaffenheit einzelner „Untersuchungseinheiten“<br />

Aggregatdaten: Info über Beschaffenheit von Gruppen von Untersuchungseinheiten<br />

Von Aggregatmerkmalen kann nicht auf Individualmerkmale geschlossen werden („ökologischer<br />

Fehlschluss“)<br />

Konkrete Auswahl der jeweils anzuwendenden Methoden hängt von der <strong>Forschung</strong>sfrage ab.<br />

<strong>Forschung</strong>sfrage Auswahl untersuchungsleitende Theorien <strong>Forschung</strong>sgegenstände <br />

Methoden der Datenerhebung<br />

= eine Einheit<br />

- 16 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

b. Dokumenten- und Inhaltsanalyse<br />

Dokumente = Dinge, die Infos bergen, welche für die Beantwortung der <strong>Forschung</strong>sfrage oder für die<br />

Lösung eines gestellten Problems nützlich sein können.<br />

Dokumente<br />

- <strong>Text</strong>e aller Art<br />

- Bild- bzw. Tondokumente<br />

- Gegenstände<br />

- Sachverhalte, Zustände<br />

<strong>Text</strong>auswertung Bibliographieren<br />

Auswertung von Bild-, Film- oder Tondokumenten Archivrecherchen, Gespräche mit Fachleuten<br />

Auswertung von Gegenständen entweder reichen Beschreibungen und Fotos aus, oder<br />

Gegenstand selbst muss besorgt werden<br />

Auswertung von Sachverhalten oder Zuständen über sie informierende Dokumentationen oder<br />

Beschreibungen<br />

Anzahl Dokumente sehr gering alle untersuchen<br />

Anzahl Dokumente groß entweder schrittweise Anzahl Dokumente erhöhen, bis keine<br />

überraschenden Infos mehr („Theoriegesteuertes Auswahlverfahren“), oder von vornherein ein<br />

Auswahlverfahren anwenden, das zutreffende Schlüsse von der untersuchten Stichprobe auf die<br />

interessierende Grundgesamtheit zulässt.<br />

Inhaltsanalyse<br />

Arbeitsinstrumente<br />

- Analyseleitfaden<br />

- Inhaltsanalytisches Kategorienschema<br />

Analyseleitfaden<br />

Liste von Fragen, mit welchen an die zu analysierenden <strong>Text</strong>e herangetreten wird.<br />

Inhaltsanalytisches Kategorienschema<br />

Enthält eine Reihe von Begriffen („Kategorien“), denen <strong>Text</strong>passagen zugeordnet<br />

werden Codierung<br />

Kategorien = Codes<br />

Wege zur Erarbeitung eines Kategorienschemas:<br />

- induktives Vorgehen: wenig Vorwissen; Entwicklung von Kategorien in einem ersten<br />

Arbeitsdurchgang<br />

- deduktives Vorgehen: Kategorien werden von Anfang an festgelegt<br />

bedarf einer Beobachtungstheorie: Annahmen darüber, welche <strong>Text</strong>passagen welchen Kategorien<br />

zugeordnet werden.<br />

Intra-Reliabilität: ein Codierer ordnet immer wieder die gleichen <strong>Text</strong>passagen den gleichen Codes zu.<br />

Inter-Reliabilität: verschiedene Codierer ordnen unabhängig voneinander gleichen <strong>Text</strong>passagen den<br />

gleichen Code zu.<br />

= Maß für Verlässlichkeit der Codierung<br />

siehe S. 201<br />

Sekundäranalyse: systematische Entnahme von Info aus Literatur, oft anhand eines<br />

Kategorienschemas<br />

Ergebnisse der Inhaltsanalyse werden entweder in Form von frei formulierten Antworten auf die<br />

Fragen des Analyseleitfadens oder als Eintragung auf ein Formblatt festgehalten, welches das<br />

Kategorienschema wiedergibt.<br />

c. Befragung<br />

- 17 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Infogewinn durch Befragung von Personen<br />

Instrumente: Fragebogen, Interviewleitfaden<br />

Tatsächlich gestellte Fragen sind nur Mittel zum Zweck, dass die Befragten die Info preisgeben, di<br />

man erlangen will, um <strong>Forschung</strong>sfrage zu beantworten. Man käme nicht sehr weit, würde man auf die<br />

Benutzung detaillierter Fragen als „Mittel zum Zweck“ verzichten und statt dessen die zu<br />

untersuchenden Personen direkt die <strong>Forschung</strong>sfrage fragen. (Was für eine politische Einstellung<br />

haben Sie eigentlich?)<br />

Ausarbeitung eines Interviewleitfadens oder Fragebogens ist daher ein anspruchsvoller,<br />

korrekturbedürftiger und folgenreicher Prozess. Neben der Formulierung muss auch die Reihenfolge<br />

der Fragen bedacht werden: jede Frage stiftet einen Verständnishorizont für die folgende Frage.<br />

2 Grundformen der Befragungsmethoden:<br />

- Expertenbefragung: Befragung von Menschen, die über Gegenstandsbereich<br />

besonders gut Bescheid wissen<br />

- Umfrage: gesuchte Info sind persönliche Meinungen, Wertungen, Wissensbestände<br />

oder Erinnerungen.<br />

Befragungstechniken:<br />

- Vollstrukturiertes Interview: Fragebogen legt Fragen und ihre Reihenfolge wörtlich fest<br />

(Interviewer kann Antworten auf Fragebogen schnell festhalten)<br />

- Halbstrukturiertes Interview: Leitfadengeführtes Interview; Interviewer kann flexibel<br />

auf Befragten eingehen.<br />

(Aufzeichnung auf Band)<br />

- Realkontaktbefragung: Interviewer schlüpft in die Rolle, in der dem Befragten<br />

üblicherweise solche Personen begegnen, die von ihm Auskunft wünschen.<br />

Durchführung verdeckter Interviews.<br />

(Gespräch anschließend aus dem Gedächtnis festhalten)<br />

- Gruppeninterview: Antworten der Befragten nehmen wechselseitig auf sich Bezug.<br />

Infos über strukturelle Zusammenhänge zwischen Wissensbeständen, Meinungen,<br />

Wertvorstellungen, Wünschen, Gefühlen, Denkweisen und Sinndeutungen lassen sich<br />

besser als in Einzelinterviews erlangen<br />

(Band- oder Videoaufzeichnung; Gedächtnisprotokoll)<br />

- Gruppendiskussion: Gruppe von Personen wird zu einer thematisch gelenkten<br />

Diskussion gebracht. Gelingt es, die Diskussion anzuheizen, so lassen sich<br />

Schranken der Selbstkontrolle durchbrechen und ansonsten ungeäußerte Ansichten<br />

erfahren. Vgl. Experiment<br />

(Band- oder Videoaufzeichnung; Gedächtnisprotokoll)<br />

- Schriftliche Befragung: meist mit Begleitschreiben des Forschers, der den Befragten<br />

zur Ausfüllung und Rücksendung des Fragebogens motivieren will. Wesentlicher<br />

Bestandteil dieser Methode.<br />

(Befragte hält seine Angaben selbst fest)<br />

d. Beobachtung<br />

wird angewandt, wenn die zu erlangenden Infos in beobachtbaren Verhaltensweisen bestehen und<br />

man es nicht mit durch Befragungsmethoden zu erlangenden Berichten über solches Verhalten<br />

bewenden lassen will.<br />

Arbeitsinstrumente:<br />

- Beobachtungsleitfaden: lenkt durch konkrete Anweisungen die Aufmerksamkeit des<br />

Beobachters auf Sachverhalte, auf die sich die zu beantwortende <strong>Forschung</strong>sfrage<br />

bezieht.<br />

- Beobachtungsschema: zusätzlich kann getätigte Beobachtung durch Ankreuzen<br />

vorgegebener Kategorien sofort festgehalten werden. Erarbeitung kann induktiv oder<br />

deduktiv erfolgen.<br />

Formen der Beobachtungsmethoden:<br />

- offene vs. Verdeckte Beobachtung: offen – Beobachtete wissen, dass sie beobachtet<br />

werden; führt zu Veränderungen ihres Verhaltens; verdeckt – Beobachter nimmt Rolle<br />

ein, in der niemand bemerkt, dass er die anderen beobachtet.<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Kombinationen möglich.<br />

e. Experiment<br />

- Teilnehmende vs. Nicht-teilnehmende Beobachtung: teilnehmend – Forscher beteiligt<br />

sich an den Handlungen der Beobachtetet; intensiverer Kontakt; Veränderung;<br />

nicht-teilnehmend – Forscher mischt sich nicht ein; kann zu Irritationen bei<br />

Beobachteten führen, wenn es keine nicht-teilnehmende Rolle im Geschehen gibt;<br />

nicht prüfungsrelevant???<br />

- 19 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 6: Befragung I (Atteslander)<br />

Befragung<br />

1.1 Allgemeines<br />

Antworten beziehen sich auf erlebte und erinnerte soziale Ereignisse, stellen Meinungen und<br />

Bewertungen dar.<br />

Die Befragung erfasst nicht soziales Verhalten insgesamt, sondern lediglich verbales Verhalten.<br />

Repräsentative Umfragen sind das rationellste Mittel, um an einigermaßen verlässliche Infos zu<br />

gelangen.<br />

Oft werden Umfrageergebnisse überschätzt. Es kommt zu Fehldeutungen durch unkritische oder<br />

verkürzte Wiedergabe von Umfragedaten.<br />

Durchführung wird immer schwieriger, stößt auf Ablehnung.<br />

Klassische Befragung wird immer seltener und durch Telefonbefragung ersetzt.<br />

1.2 Alltägliche Befragung – wissenschaftliche Befragung<br />

1.2.1 Alltagsgespräche als Austausch von Infos<br />

Die meisten Gespräche im Alltag sind ein Austausch von gegenseitigen Mitteilungen. Nichtverbale<br />

Äußerungen, wie Erscheinung oder Mimik des Gesprächspartners, beeinflussen das Verhalten der<br />

Menschen.<br />

Alltägliche Befragung: Person X tritt an Person Y heran, um sich die nötigen Infos zu verschaffen.<br />

Dient bewusst oder unbewusst individueller Problemlösung.<br />

- alltägliche Befragung ist ein sozialer Vorgang<br />

- Alle Befragungen sind zielgerichtet.<br />

- Zur Situation Befragung zählen wir verwendete Mittel (Sprache) und die unmittelbare<br />

Umwelt (z.B. Räumlichkeit, Zeitdruck, andere anwesende Personen, ...)<br />

1.2.2 Kriterien der Wissenschaftlichkeit<br />

- systematische Vorbereitung (auch bei alltäglichen Befragungen)<br />

- Zielgerichtetheit (auch bei alltäglichen Befragungen)<br />

- Theoriegeleitete Kontrolle der gesamten Befragung<br />

Aufgaben der Kontrolle:<br />

- Einsatz der Befragung als wissenschaftliche Methode gewährleisten<br />

- Feststellen , inwieweit die Ergebnisse von den Bedingungen, unter denen die<br />

Befragung stattgefunden hat, beeinflusst worden sind.<br />

1.3 Interview als soziale Situation<br />

Jede Befragung stellt eine soziale Situation dar. Gegenseitige Erwartungen, Wahrnehmungen aller Art<br />

beeinflussen Verhalten und verbale Reaktion.<br />

Eine Totalkontrolle der sozialen Situation Interview ist nicht möglich. Umso wichtiger zu wissen, was<br />

als wesentlich anzusehen ist, was unbedingt so gut wie möglich kontrolliert werden müsste.<br />

Interviewer kann bewusst oder unbewusst Antworten beeinflussen und verzerren.<br />

1.3.1 Stimulus-Reaktions-Modelle<br />

S R-Modell<br />

Annahme, dass ein direkter, ausschließlicher Zusammenhang zwischen Stimulus und einer<br />

bestimmten Reaktion besteht. Höchstmögliche Kontrolle des Stimulus Frage oder Fragebogen, um die<br />

Verlässlichkeit der Reaktion zu gewährleisten. Die Beeinflussung durch die soziale Situation Interview<br />

wird als Störfaktor angesehen, des es zumindest als konstant zu halten gilt.<br />

- 20 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

S P R-Modell<br />

P = Person<br />

Annahme, dass zwingende und unmittelbare Beziehung zwischen Stimulus und Reaktion im<br />

Allgemeinen nicht bestehen. Stimulus wirkt immer in einer Umgebung, auf die das Individuum bewusst<br />

oder unbewusst als Ganzes reagiert. Empfindungen, Ängste, Erwartungen beziehen sich nicht nur auf<br />

die Frage selbst, sondern auf die gesamte Befragungssituation.<br />

Die Reaktion des Befragten kann nicht nur durch Vergangenes, sondern auch durch Überlegungen,<br />

die die Zukunft betreffen beeinflusst werden: “Was erwartet der Befrager von mir, und wie wirkt meine<br />

Antwort auf ihn?“<br />

Modell erfasst die Interviewsituation als Reaktionssystem (siehe S. 119)<br />

Ein Befragter deutet den Reiz, bewertet ihn und überlegt eine Antwort.<br />

Jeder dieser Schritte ist insgesamt von Vorstellung und Erwartungen, mithin von internalisierten<br />

sozialen Normen beeinflusst.<br />

Diese Einflüsse werden nicht mehr als Störfaktoren, sondern als Bedingungen der<br />

Reaktionsermittlung überhaupt angesehen. die gesamte Situation des Interviews ist einer<br />

systematischen Kontrolle zu unterziehen.<br />

Was im Befragten tatsächlich vor sich geht, kann nur hypothetisch und analytisch dargestellt werden.<br />

Verstehen, Bewerten und Urteilen sind stark untereinander verbunden, beeinflussen sich gegenseitig.<br />

Weitgehend unterforscht blieb bisher die Funktion der Sprache im Interview.<br />

Vor Befragungen muss der Sprachgebrauch der Untersuchenden geklärt werden. Für ein und<br />

denselben objektiven Befund ergeben sich vielfach höchst unterschiedliche Worte und<br />

Beschreibungen. Sie sind durch Herkunft, soziale Lage, Erfahrung, Bildungsstand geprägt.<br />

Eine Antwort, wie immer sie zustande gekommen ist, kann also nur innerhalb eines fundierten und<br />

nachvollziehbaren Bezugsrahmens interpretiert werden.<br />

S. 122ff – Beispiel<br />

Normensyndrome<br />

- gesamtgesellschaftliche Normen<br />

- gruppenspezifische Normen<br />

- interviewspezifische normen<br />

S.124, S. 125 - Grafik<br />

Bei Verwendung eines S R-Modell steigt die Gefahr, dass Antwortungen Bedeutungen<br />

zugemessen werden, die ihnen nicht zukommen.<br />

1.3.2 Verbindliche und unverbindliche Meinungen<br />

Gibt Antworten unterschiedlicher Verbindlichkeit<br />

s. 125f – Beispiel<br />

Vom erlebten Verhalten kann nicht ohne weiteres auf die Meinungsstruktur geschlossen werden.<br />

Allgemeine Fragen in Befragungen werden oft als völlig unverbindlich erlebt. (S. 126 –127)<br />

Je allgemeiner die Fragen, desto unverbindlicher die Antworten und desto weniger Betroffenheit ist die<br />

Folge.<br />

Latente Überzeugungen bedürfen eines Anlasses, um explizit, d.h. beobachtbar oder befragbar zu<br />

werden. Frage nach dem Grad der Zentralität<br />

Unter Zentralität ist zu verstehen einerseits der Grad der Betroffenheit, andererseits der Bezug zu<br />

wesentlichen existentiellen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen. Je höher der Grad der<br />

Zentralität, desto wahrscheinlicher auch die Übereinstimmung zwischen geäußerter Meinung und<br />

effektivem Verhalten.<br />

Bei der <strong>Planung</strong> der Befragung ist zu klären, welche Zentralität der zu erhebenden Meinungen<br />

angestrebt wird. Bei der Analyse der Antworten ist zu prüfen, welcher Grad an Zentralität ihnen<br />

zugerechnet werden kann. (S. 128)<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

1.3.3 Meinungen als Artefakte<br />

Ziel jeder Befragung ist die Erhebung tatsächlicher Meinungen und nicht deren Herstellung.<br />

Artefakt = die durch das Instrument eingeschränkte oder provozierte Meinungsäußerung<br />

Artefakte liegen immer dann vor, wenn<br />

- Begriffe Verwendung finden, die vom Befragten nicht verstanden werden<br />

- Sich der Antwortende bedroht fühlt (aus Unsicherheit, Unwissenheit)<br />

- Durch die Frage eine willkürliche Eingrenzung erfolgt<br />

- Hypothetisches erfragt wird.<br />

Es ist das Ziel von Befragungen, Menschen zum Antworten zu beeinflussen. Daher weisen alle<br />

Befragungen einen mehr oder minder hohen Grad an Künstlichkeit auf. Fragen haben auch die<br />

Aufgabe, aus latenten Einstellungen Meinungen ins Bewusstsein zu bringen.<br />

Es geht vor allem um das Feststellen des Ausmaßes an Künstlichkeit, also um die systematische<br />

Kontrolle der Abläufe.<br />

Beispiele S. 129 – 134<br />

In der Praxis werden sehr oft ausgewertete Antworten präsentiert, die einen Rückschluss auf ihr<br />

Entstehen nicht erlauben, die auch zu politisch scherwiegenden Fehleinschätzung und<br />

Fehlentscheidungen führen können.<br />

Es ist eine Norm entstanden, als müsste man zu den befragten Themen stets eine Meinung äußern.<br />

Aber: außer bei Befragungen äußern viele Menschen zu vielen Themen kaum eine Meinung, weil sie<br />

dies nicht können oder nicht wollen.<br />

Zusammenfassend:<br />

In der Praxis wird eher nach dem traditionellen, eingeschränkten S R-Modell gearbeitet, während<br />

die <strong>Forschung</strong> nach Prinzipien von S P R-Modellen erst am Beginn steht. Aber die Einsicht, die<br />

soziale Situation als Ganzes unter wissenschaftliche Kontrolle zu bringen, wächst.<br />

Motivation ist asymmetrisch verteilt: Der Interviewer ist stärker interessiert, Antworten zu erhalten, als<br />

der Befragte, solche zu geben. Je größer das Ungleichgewicht, desto größer die Möglichkeit<br />

einseitiger Beeinflussung.<br />

Ziel einer Befragung muss sein, eine möglichst hohe Gemeinsamkeit in der Kommunikation zu<br />

erreichen. Eine solche ist Indiz dafür, dass das Ungleichgewicht die Motivation verringert und die<br />

Gültigkeit einer Meinungsäußerung höher wird.<br />

Je geringer der Grad der Gemeinsamkeit der Kommunikation, desto selektiver die Reaktionen.<br />

Je höher der Grad der Gemeinsamkeit der Kommunikation, ein umso größerer Reaktionsspielraum<br />

ergibt sich. Je mehr eigene Erfahrungswelt in die Antwort einfließen kann, desto höher der<br />

Reaktionsspielraum.<br />

Je geringer der Grad der Gemeinsamkeit ist, desto asymmetrischer ist die Motivation der Beteiligten.<br />

(S. 137)<br />

Strukturmerkmale beziehen sich immer auf die gesamte soziale Situation Interview. Die mehr oder<br />

weniger starke Strukturiertheit des Instrumentes Fragebogen ist nur ein Teil der Strukturiertheit des<br />

gesamten Interviews. Daraus folgt, dass einmal mehr von der Strukturiertheit des gesamten<br />

Interviews. Daraus folgt, dass einmal mehr von der Strukturiertheit des Instrumentes und dessen<br />

Kontrolle im <strong>Forschung</strong>sverlauf noch nicht auf die Strukturiertheit der sozialen Situation Befragung<br />

geschlossen werden darf.<br />

1.4 Formen der Befragung<br />

Instrumentalisten vs. Interaktionisten<br />

Instrumentalisten<br />

Auffassung entspricht einem S R-Modell.<br />

Wesentlich ist die Perfektionierung des Instrumentes Fragebogen<br />

- 22 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Interaktionisten<br />

Auffassung entspricht S P R-Modell<br />

Annahme, dass Sinn von Gesprächen und auch die Reaktionen auf Fragen nur im je einzelnen<br />

Kontext einer ganz bestimmten Situation verstehbar.<br />

Im Interview ergibt sich eine verbale Vieldeutigkeit, die der Tatsache entspricht, dass die soziale<br />

Realität nur in seltensten Fällen verbal eindeutig erfasst und wiedergegeben werden kann.<br />

Es sind einzelne Antworten nie als isolierte Daten zu werten, sondern vornehmlich als Hinweise auf<br />

Zusammenhänge.<br />

Interview strukturiert sich nicht selbst, braucht Strukturierung<br />

Weder Befrager noch Befragter sind ohne Interesse an der Situation.<br />

1.4.1 Vom wenig strukturierten zum stark strukturierten Interview<br />

Siehe S. 139 – Grafik „Typen der Befragung“<br />

Unterscheidung: wenig strukturiert – teilstrukturiert – stark strukturiert<br />

Gibt keine soziale Situation ohne Struktur<br />

Wenig strukturiertes Interview<br />

Kontrolle wird Interviewer übertragen. Kein Fragebogen hoher Freiheitsspielraum, flexible<br />

Gesprächsführung<br />

Ziel ist, Erfahrungsbereich des Befragten zu erkunden Interviewer hört vor allem zu. Die jeweils<br />

nächste Frage ergibt sich aus den Aussagen des Befragten.<br />

Sorgfältige Schulung des Forschers ist Voraussetzung. Er hat die Aufgabe, den Infofluss, das<br />

Gespräch, in Gang zu halten.<br />

Stark strukturiertes Interview<br />

Konstruktion eines Fragebogens.<br />

Fragebogen schränkt Freiheitsspielraum des Interviewers und des Befragten stark ein.<br />

Fragebogen legt Inhalt, Anzahl und Reihenfolge der Fragen fest.<br />

Dauer eines Interviews sind, durch die nachlassende Aufnahmefähigkeit des Befragten sowie dessen<br />

nachlassende Antwortbereitschaft, natürliche Grenzen gesetzt.30 – 60 Minuten sind in der Regel<br />

zumutbar.<br />

Teilstrukturiertes Interview<br />

Gespräche, die aufgrund vorbereiteter und vorformulierter Fragen stattfinden, wobei die Abfolge der<br />

Fragen offen ist.<br />

Benutzung eines Gesprächleitfadens.<br />

Stark strukturierte Befragungen sind ohne vorherige wenig- oder teilstrukturierte Befragungen<br />

undenkbar.<br />

Es gibt viele Situationen, in denen es weder sinnvoll noch möglich wäre, mit stark strukturierten<br />

Befragungen zu operieren.<br />

1.4.2 Kommunikationsart: mündlich – schriftlich<br />

Oft ist nur mündliche Befragung möglich, etwa bei qualitativen Erhebungen in der persönliche Kontakt<br />

unverzichtbar.<br />

Aus Kostengründen wird oft schriftlich befragt.<br />

Interviewer stellt bei der persönlichen Befragung sowohl einen Verzerrungsfaktor (er nimmt Einfluss<br />

auf Gesprächsverlauf) dar, übernimmt aber auch Regel- und Kontrollfunktionen.<br />

Es sind auch Kombinationen aus mündlicher und schriftlicher Befragung möglich. Etwa wenn<br />

schriftliche Vorlagen sind von Befragten mündlich zu beantworten.<br />

1.4.2.1 Interviewerverhalten: weich, hart, neutral<br />

Weiches Interview<br />

(non-directive method)<br />

- 23 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Interviewer muss Gedankengang des Befragten folgen; darf nicht versuchen, Gegenstand zu<br />

wechseln; darf Gespräch nicht unterbrechen; muss aufmerksam zuhören; Befragter bestimmt Gang<br />

des Gesprächs; Interviewer ist zurückhaltend, redet nicht viel;<br />

Reaktionsmöglichkeiten des Befragten sind sehr hoch; höchstmögliche Übereinstimmung der<br />

Kommunikationsbereiche;<br />

Hartes Interview<br />

Fragen so schnell stellen, wie sie der Proband irgendwie auffassen und beantworten kann. Zwang zu<br />

spontanen Antworten ohne viel Überlegungen. Wirksames Mittel, um Schwindeleien aufzudecken.<br />

Es ist leicht, „nein“ zu sagen, wenn man nur fragt, ob eine bestimmte Betätigung jemals ausgeübt<br />

wurde. Frage, wann diese Betätigung zuerst angefangen wurde. Weniger Grund es abzuleugnen.<br />

= „Verhörtechnik“<br />

Situation wird sehr stark strukturiert.<br />

Neutrales Interview<br />

Gefühle in der Beziehung zwischen Interviewer und Befragtem sollen möglichst ausgeschaltet werden.<br />

= Versuch, die Vergleichbarkeit der Infos zu erhöhen.<br />

Aber: es gibt in menschlichen Beziehungen grundsätzlich keine Neutralität. Interviewer kann nicht<br />

verhindern, dass sich Befragter Vorstellung von ihm macht.<br />

Gelockerte Form des neutralen Interviews:<br />

Interviewer soll seriösen Eindruck machen, den Befragten ernst nehmen. Soll keinen zu steifen<br />

Eindruck machen, sondern echtes Interesse zeigen.<br />

Interviewer darf kein Befremden oder Missbilligung und auch keine enthusiastische Zustimmung<br />

zeigen.<br />

1.4.2.2 Schriftliche Befragung<br />

Vorteile:<br />

• kostengünstiger,<br />

• weniger Zeitaufwand,<br />

• weniger Personalaufwand,<br />

• gleichzeitig größere Zahl von Befragten,<br />

• Interviewer fällt als Fehlerquelle, aber auch als Kontrollinstanz weg.<br />

Nachteile:<br />

• Befragungssituation ist kaum kontrollierbar;<br />

• andere Personen können Antworten beeinflussen;<br />

• jede Frage muss zweifelsfrei verständlich sein;<br />

• komplizierte Fragestellungen von vornherein ausgeschlossen;<br />

• großes Risiko unvollständiger Antworten;<br />

• Zahl der Ausfälle meist groß<br />

Schriftlicher Fragebogen eignet sich nicht für schreib- und denkungewandte Personen. Erfassung<br />

spontaner Antworten nicht möglich.<br />

Begleit- und Einführungsbrief ist nötig.<br />

Fragebogen muss leicht ausfüllbar sein.<br />

Hinweis auf Anonymität darf nicht fehlen.<br />

Rücksendung des Fragebogens muss leicht möglich sein (Beilage eines adressierten und frankierten<br />

Briefumschlags)<br />

1.4.2.3 Telefoninterviews<br />

Kostensparendes, zeitlich effizientes Verfahren.<br />

Vorteile:<br />

• Erhöhte Erreichbarkeit<br />

• Rasche Verarbeitungsmöglichkeit der erhaltenen Daten<br />

• Relativ rascher Ersatz für Ausfälle<br />

- 24 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Nachteile:<br />

• Erschwerte Kontrolle der Situation Interview (Wer antwortet wirklcih?)<br />

• Erinnerungsstützen etwa durch Vorlage von Tabellen entfallen<br />

• Begrenzung auf relativ einfache Fragegegenstände<br />

• Fast gänzliche Ausrichtung auf stark strukturierte Stimuli<br />

Bedingungen für Gestaltung des Fragebogens:<br />

• Muss Bereitschaft zur Teilnahme wecken<br />

• Muss Aufmerksamkeit des Befragten für die Gesamtdauer des Interviews aufrechterhalten<br />

können<br />

• Muss leicht handhabbar sein<br />

• Muss es dem Befragten leicht machen, dem gesamten Interview zu folgen<br />

Blitzumfragen bergen Gefahr der Beeinflussung von Meinungsstrukturen.<br />

1.4.3 Anwendungsbereiche einzelner Befragungstypen<br />

1.4.3.1 Offene Konzepte – wenig strukturierte Befragung<br />

Verwendung zur Klärung von Zusammenhängen. Explorative Ziele werden im informellen Gespräch,<br />

bei Experteninterviews und Gruppendiskussionen verfolgt. Wichtiges Instrument bei qualitativ<br />

ausgerichteter <strong>Forschung</strong><br />

Sieben Punkte, die zu beachten sind:<br />

1. Abgrenzung des Problems: genauere Abgrenzung des Problems vor der Durchführung der<br />

eigentlichen Erhebung.<br />

2. Abfolge der Fragen: Einige Fragen als Anlaufphase. Entscheidende Fragen sollten nicht<br />

gleich zu Anfang gestellt werden, sondern eingeleitet werden.<br />

3. Relevante Antwortkategorien: Überprüfung der Vollständigkeit und Klarheit der angenommen<br />

Antwortkategorien durch wenig strukturierte Interviews.<br />

4. Reichweite der Antwortkategorien: bezieht sich auf den qualitativen Aspekt der<br />

Antwortkategorien.<br />

5. Auffinden der richtigen Informanten:<br />

6. Sprachliche Besonderheiten: soziale Gruppen entwickeln sprachliche Besonderheiten, die es<br />

Außenstehenden oft schwer machen, mit solchen Gruppen ins Gespräch zu kommen.<br />

7. Hemmschwellen der Kommunikation: oft werden Fragen nicht oder bewusst falsch<br />

beantwortet, weil bei den Befragten individuelle oder soziale Hemmschwellen bestehen.<br />

Bei Experteninterviews sprechen wir mit Menschen, die entweder im Umgang mit unseren Probanden<br />

Erfahrungen haben oder die über unseren <strong>Forschung</strong>sgegenstand besondere und umfassende<br />

Erfahrungen haben.<br />

1.4.3.2 Befragung in Gruppen<br />

Gruppenbefragung: z.B. ein Fragebogen wird in Gruppensituation unter Anwesenheit eines Forschers<br />

beantwortet.<br />

Gruppeninterview: der Interviewer lässt nach einem offenen Konzept Fragen in einer Gruppensituation<br />

beantworten.<br />

Gruppendiskussion: vom Forscher beobachtete, von ihm höchstens ausnahmsweise durch Fragen<br />

beeinflusste freie Interaktion der Gruppenmitglieder zu einem gestellten Thema.<br />

Mit Hilfe von Gruppendiskussionen können bewusst bestimmte Hemmschwellen abgebaut werden.<br />

Gruppendiskussionen können spontan entstehen oder durch den Froscher angeregt werden.<br />

Gruppendiskussionen unterscheiden sich von Gruppenbefragungen u.a. dadurch, dass die<br />

Teilnehmer nicht nur Fragen des Forschers beantworten, sondern solche selber stellen. Interaktion<br />

führt zu Manifestierung von Auffassungen und Normen, die nicht als Reaktion auf Stimuli von außen<br />

entstehen.<br />

1.4.3.3 Leitfaden-Befragung<br />

- 25 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Einzelpersonen werden mündlich anhand von Leitfaden befragt.<br />

Intensivinterview: Voraussetzung ist eine besonders hohe Bereitschaft des Befragten. Wird dort<br />

angewendet, wo besondere individuelle Erfahrungen zu eruieren sind.<br />

Leitfadengespräche dienen zur Hypothesenentwicklung.<br />

Wesentlich ist die Fähigkeit des Forschers, zentrale Fragen im geeigneten Moment zur Diskussion zu<br />

stellen. Wichtig, in allen Gesprächen eine Reihe von Schlüsselfragen oder Eventualfragen zu stellen.<br />

Wiedergabe: Notizen des Interviewers während der Befragung; Anfertigung von<br />

Gedächtnisprotokollen nach der Befragung; Tonbandaufzeichnungen.<br />

Nachteile:<br />

• Höhere Anforderungen an den Interviewer#<br />

• Stärkere Interviewereinflüsse<br />

• Höhere Anforderungen an die Bereitschaft des Befragten<br />

• Höherer Zeitaufwand<br />

• Geringe Vergleichbarkeit der Ergebnisse<br />

Expertenbefragung<br />

Delphi-Methode: es werden in der je folgenden Fragerunde Ergebnisse, Schätzungen und<br />

Widersprüche aus der vorhergehenden Fragerunde zur Beurteilung gestellt. Jeder muss seine<br />

eigenen Aussagen mit denen anderer vergleichen. Individuelle Mutmaßungen über zukünftige<br />

Entwicklungen sind zu korrigieren, das Entstehen einer fachmännischen Gruppennorm stellt das<br />

Ergebnis dar.<br />

1.4.3.4 Narratives Interview<br />

Es wird weder Fragebogen noch Leitfaden verwendet. Ziel ist das Verstehen, das Aufdecken von<br />

Sichtweisen und Handlungen von Personen sowie deren Erklärung aus eigenen sozialen<br />

Bedingungen.<br />

Der Stimulus des Forschers besteht lediglich darin, eine „Erzählung eigenerlebter Geschichten“ in<br />

Gang zu bringen.<br />

Aufnahme auf Video oder Tonband, inhaltsanalytische Verarbeitung.<br />

1.4.3.5 Befragung mit Fragebogen<br />

Mündliche Führung eines Interviews anhand eines stark strukturierten Fragebogen.<br />

Panel-Befragung<br />

Längsschnitt-Analyse. Eine repräsentativ ausgewählte Gruppe wird wiederholt zum gleichen Thema<br />

befragt. Eignet sich für das Erfassen von Veränderungen der Einstellungen und wird vor allem im<br />

Bereich der Markt- und Meinungsforschung verwendet<br />

Trenduntersuchungen<br />

Wiederholte Anwendung derselben Fragen, beziehen sich jedoch nicht auf den identischen<br />

Befragtenkreis<br />

Zusammenfassung<br />

Je geringer die Strukturiertheit, desto eher dienen sie dem Erfassen qualitativer Aspekte.<br />

Je stärker die Strukturiertheit, desto eher dienen sie dem Erfassen quantitativer Aspekte.<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 7: Befragung II (Schumann)<br />

1 Fragenformulierung und Fragebogenkonstruktion<br />

Fragen zur Messung von Merkmalen und ihre Einteilung<br />

1. nominales, ordinales, Intervall- oder Ratioskalenniveau<br />

2. Manifeste vs. Latente Merkmale<br />

Manifest : direkt oder indirekt beobachtbar (Geschlecht, Gewicht) Formulierung von Fragen<br />

zur direkten Messung des betreffenden Merkmals<br />

Latent: weder direkt noch indirekt beobachtbar („Sparsamkeit“, „Konservatismus“) <br />

Formulierung von Fragen mit denen manifeste Merkmale gemessen werden können, aus<br />

denen auf die Ausprägung des zu messenden latenten Merkmals geschlossen werden kann.<br />

3. Messung von Eigenschaften, Überzeugungen, Verhalten, Einstellungen, Meinungen<br />

Eigenschaften: schwer veränderbar; z.B. Alter, Schulbildung, Familienstand<br />

Überzeugungen: was hält die Person für wahr bzw. für falsch.<br />

Verhalten: erfasst wird der Bericht einer befragten Person über ihr Verhalten. Muss nicht<br />

unbedingt dem tatsächlich an den Tag gelegten Verhalten entsprechen.<br />

Einstellungen und Meinungen: was hält Befragter für gut und/oder wünschenswert, was für<br />

schlecht und/oder nicht wünschenswert.<br />

Drei besondere Typen von Fragen zur Erfassung von Merkmalen<br />

1. Rückerinnerungsfragen<br />

(Recallfragen)<br />

Gefahr von „Erinnerungsverzerrungen“.<br />

„Bandwagon-Effekt“ bei Wahlforschung: Befragte tendieren offenbar nach der Wahl dazu,<br />

anzugeben, diejenige Partei gewählt zu haben, die sie (nach dem Ergebnis der Wahl) als den<br />

Sieger ansehen.<br />

2. hypothetische Frage<br />

Antworten schwer interpretierbar: direkter Schluss auf ein entsprechendes Verhalten in einer<br />

Situation, wie sie in der hypothetischen Frage angesprochen wird, ist problematisch.<br />

Wahlsonntagsfrage = hypothetische Frage<br />

3. „Frage nach dem Grund“<br />

Frage ist sinnvoll, falls man daran interessiert ist, welchen Grund ein Befragter selbst für seine<br />

Entscheidung sieht.<br />

Filterfragen<br />

Aufgabe besteht darin, je nach der Antwort auf die betreffende Frage, das Interview an einer ganz<br />

bestimmten Stelle fortzusetzen.<br />

Fragen aus „taktischen“ Gründen<br />

Fragen, an deren Beantwortung man inhaltlich gar nicht interessiert ist.<br />

Ziel kann sein, Befragten auf einen neuen Fragekomplex einzustimmen oder um „Peinlichkeiten“ zu<br />

vermeiden.<br />

Kontrollfragen für „willkürliches Ankreuzen“<br />

Erkennen von willkürlich beantworteten Fragebögen ist wichtig, da es sinnvoll ist, solche aus dem<br />

Datensatz zu entfernen.<br />

Möglichkeiten:<br />

1. unsinnige Fragen<br />

Fragen, die nur mit „nein oder äquivalenten Formulierungen bzw. mit „weiß nicht“ beantwortet<br />

werden können. Z.B. unsinniges Sprichwort<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

2. Fragen, die in einer ganz bestimmten Weise zu beantworten sind<br />

3. Antwortkombinationen<br />

Bilden von „Kontrollpaaren“.<br />

4. ein und dieselbe Frage doppelt stellen<br />

an zwei unterschiedlichen, möglichst weit auseinanderliegenden Stellen im Fragebogen.<br />

Gefahr, den Befragten durch das wiederholte Stellen der Frage zu verärgern.<br />

Kontrollfragen für „Zustimmungstendenz“<br />

Antwortkombinationen, die aus Gründen der Logik aus einer zustimmenden und einer ablehnenden<br />

Antwort bestehen müssten, können dazu verwendet werden, abzuschätzen, ob und inwieweit ein<br />

Befragter Zustimmungstendenz zeigt.<br />

Geht auch mit einzelnen Fragen. Fragen, die in aller Regel (oder sogar immer) mit „nein“ beantwortet<br />

werden müssten.<br />

Zustimmungstendenz kann als Persönlichkeitsmerkmal von Befragten mit geringer Ich-Stärke oder als<br />

erlerntes verhalten angesehen werden.<br />

Kontrollfragen für „sozial erwünschte“ Antworten<br />

Antworten, von denen der Befragte glaubt, sie würden von ihm ganz allgemein bei „normgerechtem“<br />

Verhalten erwartet oder auch in der speziellen Situation der Befragung. (kultureele und situationale<br />

soziale Erwünschtheit)<br />

Das geben sozial erwünschter Antworten kann Ausdruck eines Persönlichkeitsmerkmals sein (Streben<br />

nach sozialer Anerkennung), oder eine Strategie, die Interviewsituation zu beeinflussen.<br />

Kontrollfragen:<br />

• Statements, die sozial erwünschtes Verhalten beinhalten aber so formuliert sind, dass sie bei<br />

ehrlichem Antworte in aller Regel nicht so beantwortet werden können<br />

• Statements, die sozial unterwünschtes Verhalten beinhalten, die aber so formuliert sind, dass<br />

sie bei ehrlichem Antworten in aller Regel nicht so beantwortet werden können.<br />

Zur Trennung der Effekte<br />

Schwierig, diese Effekte zu trennen. Oft führen unterschiedliche Antworttendenzen zu ein und<br />

demselben Effekt.<br />

Die „auffälligen“ Antworten bei Kontrollfragen für willkürliches/unwahres Antworten treten nur mit ein<br />

gewissen Wahrscheinlichkeit auf.<br />

Siehe S. 58 – Tabelle „Geeignete Kontrollfragen für unterschiedliche Antworttendenzen.<br />

Frageformulierung: Offene versus geschlossene Fragen<br />

Offene Fragen: der Befragte formuliert seine Antwort selbst<br />

Geschlossene Frage: dem Befragten sind Antwortalternativen zur Auswahl vorgegeben.<br />

Geschlossene Fragen setzen voraus, dass die möglichen Antworten bekannst sind. Ist dies nicht der<br />

Fall bietet sich an, die Frage offen zu formulieren.<br />

Um die Antworten auf offene Fragen statistisch auswerten zu können, muss ein Kategorienschema<br />

entwickelt werden, um die offen formulierten Antworten zu verkoden. Damit kann die Frage bei der<br />

späteren Auswertung formal wie eine geschlossene Frage behandelt werden.<br />

Vor- und Nachteile geschlossener Fragen:<br />

Möglicherweise werden dem Befragten Antworten vorgegeben, auf die er selbst bei offener<br />

Beantwortung gar nicht gekommen wäre, die ihm aber plausibel erscheinen und die er deshalb auch<br />

- 28 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

auswählt. Es kann auch sein, dass er gar keine Meinung zu der gestellten Frage hat, dass ihm auch<br />

keine der vorgegebenen Antwortalternativen plausibel erscheint und dass er dennoch auch<br />

Verlegenheit eine Antwort auswählt.<br />

Nachteile offener Fragen:<br />

Entwicklung eines Kategorienschemas ist sehr aufwendig. Die Arbeitsgänge erfordern gut geschultes<br />

Personal, viel Zeit und verursachen hohe Kosten.<br />

Offene Fragen mit Feldverschlüsselung:<br />

Im Rahmen eines Interviews wird der betreffenden Person eine offene Frage gestellt, die Antwort<br />

jedoch sofort vom Interviewer einer Antwortkategorie zugeordnet. Relativ grobes Kategorienschema.<br />

Offene Fragen bieten sich auch an, wenn die möglichen Antworten zwar prinzipiell bekannt sind,<br />

jedoch extrem zahlreich.<br />

Halboffene Fragen:<br />

Geschlossen Fragen, bei denen nur bei ganz bestimmten Antworten eine offene „Nachfrage“<br />

angehängt ist.<br />

Frageformulierung: eindimensional!<br />

Fragen zur Messung von ordinal oder metrisch skalierten Merkmalen sind eindimensional zu<br />

formulieren. Bei zweidimensionalen Fragen ist nicht mehr ersichtlich, auf welche Frage sich die<br />

Antwort bezieht. Die Antwort kann somit auch nicht mehr sinnvoll interpretiert und ausgewertet<br />

werden.<br />

Eine besondere Art der Mehrdimensionalität entsteht, wenn in Fragen Worte wie „immer“, „niemals“,<br />

„alle“, „niemand“, „keine“ oder ähnliche verwendet werden.<br />

.... s. 61, 62<br />

Frageformulierung: keine mehrdeutigen Formulierungen!<br />

Fragen werden auch mehrdimensional, wenn mehrdeutige Formulierungen oder hochgradig abstrakte<br />

Ausdrücke verwendet werden. Die Antworten auf solche Fragen können nicht mehr sinnvoll<br />

interpretiert werden, da nicht klar ist, wie die Frage verstanden worden ist.<br />

Frageformulierung: einfach!<br />

Fragen sollten so wenig Anforderungen wie möglich an den Befragten stellen.<br />

Es ist z.B. ratsam statt nach dem Alter nach dem Geburtsjahr der Personen zu fragen.<br />

Vier wichtige Fälle des Gebots einfacher Frageformulierung:<br />

1. keine möglicherweise unbekannten Ausdrücke!<br />

Insbesondere keine Fachausdrücke<br />

2. keine doppelten Negationen!<br />

3. kurze Fragen stellen!<br />

Lange Fragen überfordern leicht. Mit der Länge der Frage steigt auch die Mehrdimensionalität.<br />

Eine Möglichkeit, extrem kurze Fragen zu stellen, sind Schlagworte.<br />

Je kürzer eine Frage ist, desto billiger ist es, sie im Rahmen einer repräsentativen Umfrage zu<br />

stellen.<br />

4. Möglichst konkrete Frageformulierungen verwenden!<br />

Insbesondere Verhaltensfragen sollten möglichst konkret formuliert werden.<br />

Frageformulierung: „Härte“ der Frage berücksichtigen!<br />

Erfahrungsgemäß wird „hart“ formulierten Fragen (oder Antwortalternativen) in aller Regel seltener<br />

zugestimmt als „weicher“ formulierten. Aber: welche Frageform ist denn nun die „richtige“?<br />

- 29 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Frageformulierung: (normalerweise) keine suggestiven Formulierungen!<br />

Bei suggestiven Formulierungen wird dem Befragten eine bestimmte Antwort in den Mund gelegt,<br />

worunter die Qualität der Frage leidet.<br />

In manchen Ausnahmefällen werden solche Formulierungen bewusst und gezielt eingesetzt,<br />

insbesondere um bei „heiklen Fragen“ Antworthemmungen abzubauen.<br />

Frageformulierung: stereotype Formulierungen vermeiden!<br />

Ausdrücke, die derart stark positiv oder negativ wertbesetzt sind, dass allein durch sie eine Antwort in<br />

der entsprechenden Richtung gegeben wird.<br />

(Diktator, Ausbeuter, Terrorismus – Demokratie, Menschenrechte, Freiheit)<br />

Frageformulierung: heikle Fragen<br />

- Sachverhalt entschärfen oder verharmlosen<br />

- Mitläufereffekt<br />

- Als etwas selbstverständliches darstellen<br />

- Überrumpeln (Denkaufgabe)<br />

- Möglichst allgemein gehaltene Antworten vorgeben (Einkommenskategorien)<br />

Randomized-Response-Technik: kompliziert, nicht erklärt<br />

Antwortvorgaben: möglichst keine „offenen“ oder „ungleich breite“ Klassen vorgeben!<br />

Klassen sollten eine einheitliche Breite aufweisen und es sollten möglichst keine nach oben oder nach<br />

unten hin offenen Klassen verwendet werden. Das führt nur zu Schwierigkeiten bei der Auswertung.<br />

Antwortvorgaben: einseitig oder zweiseitig?<br />

Einseitig: einem Statement kann zugestimmt, oder es kann abgelehnt werden<br />

Zweiseitig: Entscheidung zwischen zwei inhaltlichen Alternativen (positiv, negativ)<br />

(S. 68 – Beispiel)<br />

Antwortvorgaben: „weiß nicht“, „keine Meinung“ und Ähnliches<br />

Bei Vorgabe: Risiko, dass wenig entscheidungsfreudige Befragte mit „weiß nicht“ antworten, obwohl<br />

sie „im Grunde“ doch eine der inhaltlichen Antwortvorgaben präferieren.<br />

Bei Nicht-Vorgabe: Risiko, dass Befragte, die zu dem betreffenden Thema keine Meinung haben, sich<br />

eine der vorgegebenen inhaltlichen Antworten „aussuchen“, da die eigentlich zutreffende Antwort<br />

„weiß nicht“ nicht zur Auswahl steht.<br />

Welches der beiden Risiken eher in Kauf genommen werden kann, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.<br />

„weiß nicht“ in Form einer Vorfilterfrage. Nachteil, dass sich die Anzahl der zu stellenden Fragen<br />

deutlich erhöht.<br />

Es ist auf jeden Fall unzulässig, „weiß nicht“ als mittlere Antwortalternative zu verwenden. Antwort<br />

wird dann nicht mehr eindeutig interpretierbar. „weiß nicht“ als „weiß nicht“-Antwort und als mittlere<br />

Antwort.<br />

(Beispiel S. 70)<br />

Antwortvorgaben: Mittelkategorie vorgeben?<br />

Argument für Vorgabe: wenn die Meinung einer Person exakt einer Mittelposition zwischen den<br />

übrigen Antworten entspricht, dann sollte sie auch die Möglichkeit haben, dies zu äußern.<br />

Argument gegen die Vorgabe: Die Meinung wird in der Regel nicht so exakt der Mittelposition<br />

entsprechen, dass nicht ein ganz kleiner Ausschlag zugunsten der einen oder anderen inhaltlichen<br />

Richtung zu verzeichnen wäre. Und es gibt zudem Befragte, die aus verschiedenen Gründen,<br />

unabhängig vom Inhalt der Frage dazu neigen, die Mittelkategorie anzukreuzen.<br />

Entscheidung über Vorgabe abhängig vom Inhalt der Frage und von den Zielen der Untersuchung.<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

(Beispiel S. 71)<br />

Symmetrie der Antwortvorgaben<br />

Anzahl der Kategorien sollte diesseits und jenseits der (inhaltlichen) Mitte gleich groß sein.<br />

Ansonsten entsteht suggestive Wirkung.<br />

Antwortvorgaben werden von den Befragten „interpretiert“<br />

Antwortvorgaben werden in ihrer Gesamtheit von den befragten Personen interpretiert.<br />

Wichtig, sich dieses Effektes bewusst zu sein.<br />

(Beispiel S. 71)<br />

Antwortvorgaben: Ranking oder Rating?<br />

Rating: jedes einzelne „Ding“ wird anhand einer sogenannten Ratingskala eingeschätzt. Die<br />

verschiedenen „Dinge“ können so anhand eines gemeinsamen Maßstabs eingeordnet werden.<br />

Ranking: Die einzelnen „Dinge“ werden in eine Rangordnung gebracht. Rangplätze dürfen nicht<br />

mehrfach vergeben werden eindeutige Rangreihe.<br />

Beide Verfahren führen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Welches Verfahren vorzuziehen ist,<br />

hängt wieder vom Ziel der Untersuchung ab.<br />

(Beispiel S. 73)<br />

Antwortvorgaben: Mehrfachantworten zulassen?<br />

Wenn den Befragten eine Reihe von unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden, gibt<br />

es zwei Möglichkeiten: es können eine oder mehrere Antworten als zutreffend angekreuzt werden.<br />

Der erste Fall ist ein Spezialfall des Rankings, in dem nur nach dem Spitzenplatz gefragt wird. Der<br />

zweite Fall ist ein Spezialfall des Ratings.<br />

Anzahl der Antwortvorgaben<br />

Die Anzahl sollte ganz allgemein die Fähigkeiten eines „durchschnittlichen Befragten“ nicht<br />

überfordern. Bei mündlichen ( oder telefonischen) Befragungen, in denen keine zusätzlichen<br />

Hilfsmittel eingesetzt werden, gelten z.B. als Faustregel maximal sieben Antwortalternativen als<br />

Obergrenze.<br />

Antwortvorgaben: Primacy- und Recencyeffekte vermeiden<br />

Insbesondere wenn sich die Befragten unter sehr vielen inhaltlich unterschiedlichen<br />

Antwortmöglichkeiten zu entscheiden haben, treten oft Primacy- und/oder Regencyeffekte auf, d.h. die<br />

ersten und die letzten Antwortmöglichkeiten werden – unabhängig von ihrem Inhalt- vermehrt<br />

ausgewählt.<br />

Einige Regeln für die Fragebogenkonstruktion:<br />

Beginn: Einleitungsfragen („Eisbrecherfragen“); Ein Abbruch des Interviews geschieht, wenn<br />

überhaupt, in den meisten Fällen ganz zu Beginn des Interviews, also nach den ersten Fragen.<br />

Gesprächssituation herstellen: Fragen in Themenbereiche zusammenfassen, überleitende Fragen<br />

oder Bemerkungen zwischen den einzelnen Themenbereichen einbauen.<br />

„Trichterung“: bei einem bestimmten Thema von allgemeineren Fragen zu immer spezielleren<br />

kommen<br />

„umgekehrte Trichterung“: von speziellen Fragen auf allgemeinere kommen<br />

Trennung von schwierigen Phasen von „Erholungsphasen“.<br />

Verwendung möglichst einheitlicher Frage- und Antwortformate<br />

Möglichst kurze Beantwortungszeit<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Demographische Angaben am Ende. Manchmal werden Einstellungsfragen in diesen<br />

„unverfänglichen“ Teil „hineingeschmuggelt“.<br />

Abschlussfragen - Info über die Befragungssituation<br />

Gestaltung des Fragebogens muss sich danach richten, ob eine Befragung in mündlicher, schriftlicher<br />

oder telefonischer Form vorgenommen wird.<br />

Bei schriftlicher Befragungen sind eine einfache Filterführung und ein gutes Lay-Out wesentlich.<br />

Pretest: eine kleine Anzahl von „Probebefragten“ wird gebeten, den vorläufigen fertigen Fragebogen<br />

auszufüllen und ihre Erfahrungen bei der Beantwortung in irgendeiner Weise zu dokumentieren.<br />

Mögliche Methode: „laut denken“<br />

So können missverständliche Formulierungen und ähnliche, nicht intendierte Effekte vor dem<br />

eigentlichen Einsatz des Fragebogens aufgedeckt und behoben werden.<br />

Führt ein Pretest zu gravierenden Veränderungen des Fragebogens, dann sollte mit der<br />

überarbeiteten Version erneut ein Pretest durchgeführt werden.<br />

Zur Fragebogenkonstruktion: Halo-Effekte<br />

Fragen können auf die jeweils hinter ihnen platzierten Fragen „ausstrahlen“.<br />

Halo-Effekte werden manchmal bewusst eingesetzt, um auf bestimmte Fragestellungen hinzuführen<br />

oder um bestimmte Fragen ganz bewusst zu färben. In der Regel möchte man sie jedoch vermeiden.<br />

Fragen die aufeinander ausstrahlen, sollte man räumlich voneinander trennen.<br />

Zur Fragebogenkonstruktion: Zusatzfragen für Wiederholungsbefragungen<br />

- Einverständniserklärung für spätere nochmalige Befragung und Speicherung Name<br />

und Adresse<br />

- Erfragung Name und Adresse<br />

Zur Fragebogenkonstruktion: Anonymitätszusicherung<br />

Sinn:<br />

- Vertrauen gewinnen<br />

- Befragte sollen sich frei fühlen, auch bei heiklen Fragen ehrlich zu antworten<br />

- Größere Bereitschaft überhaupt zu antworten<br />

Zur Fragebogenkonstruktion: Gemeindekennziffer für Mehrebenenanalyse<br />

Bei Umfragen werden Individualdaten erhoben und analysiert.<br />

Zusätzlich können Aggregatdaten in die Analyse einbezogen werden.<br />

Lesen S. 78,79<br />

- 32 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 8: <strong>Forschung</strong>sartefakte (Kriz)<br />

- 33 -


Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 11: Inhalts- und Dokumentenanalyse (Atteslander)<br />

1 Inhaltsanalyse<br />

1.1 Gegenstand sozialwissenschaftlicher inhaltsanalytischer Verfahren<br />

Mittels Inhaltsanalysen lassen sich Kommunikationsinhalte wie <strong>Text</strong>e, Bilder und Filme untersuchen,<br />

wobei der Schwerpunkt auf der Analyse von <strong>Text</strong>en liegt.<br />

Inhaltsanalyse = empirisches Datenerhebungsverfahren<br />

(S. 201 – Grafik – Überblick textanalytischer Ansätze)<br />

Sprache: Untersuchung von Phänomenen, die sich auf die Verwendung von Sprache beziehen, nicht<br />

auf deren Inhalt. Unterscheidung von Datenbankanwendungen und linguistischen Analyseverfahren.<br />

- Datenbankanwendungen: Suchen und Finden von <strong>Text</strong>en<br />

- Linguistische Ansätze: z.B. Lexikographie, Lemmatisieren.<br />

Inhalt: Kommunikationsinhalte. Unterscheidung zwischen empirisch und hermeneutisch bzw.<br />

quantitativ und qualitativ. Mit empirischen Ansätzen werden Hypothesen verifiziert oder falsifiziert, mit<br />

hermeneutischen nicht.<br />

Quantitative Inhaltsanalyse: Gegenstand sind alle Kommunikationsinhalte, die in irgendeiner Form<br />

festgehalten wurden (<strong>Text</strong>e, Bilder, Videos, Schmuck, Kleidung, Bauten, ...)<br />

Für nicht-verbale Kommunikationsinhalte existieren kaum geeignete Analyseverfahren und nicht<br />

ihrem wachsenden Einfluss entsprechend betrachtet.<br />

Kommunikation findet in einer spezifischen sozialen Umwelt, in einer sozialen Situation statt.<br />

Das einfache Modell der sozialen Kommunikation kann beschrieben werden als Zeichenverkehr<br />

zwischen Sender und Empfänger, in dem ein bestimmter Inhalt übermittelt wird, dessen Erzeugung<br />

und Entschlüsselung von einer Vielzahl von Bedingungen (soziale Situation) bestimmt wird.<br />

Ein Ziel der Inhaltsanalyse neben der Beschreibung und Auswertung des eigentlichen <strong>Text</strong>inhaltes ist<br />

also, aus den manifesten Merkmalen eines <strong>Text</strong>es auf Zusammenhänge seiner Entstehung und<br />

Verwendung zu stoßen.<br />

(S. 203 – Grafik – Einfaches Kommunikationsmodell<br />

S. 203 – mögliche Problembereiche)<br />

Inhaltsanalysen ermitteln und messen <strong>Text</strong>zusammenhänge, um soziale Sachverhalte aufdecken zu<br />

können.<br />

Drei Funktionen der Inhaltsanalyse:<br />

1. diagnostische Funktion: Die Bedingungen, aus denen <strong>Text</strong>e hervorgegangen sind.<br />

Zielt auf den Sender und auf die Situation, in der ein Inhalt produziert wurde<br />

2. prognostische Funktion: Das zukünftige Verhalten der <strong>Text</strong>quelle<br />

...<br />

3. kommunikationstheoretische Funktion: Der Wirkungszusammenhang zwischen Sender und<br />

Empfänger von Inhalten<br />

will Zusammenhänge im Kommunikationsprozess aufdecken. Analyse von der Wirkungsweise<br />

bestimmter Inhalte.<br />

Hermeneutische inhaltsanalytische Verfahren = qualitative Inhaltsanalyse = qualitative „data analysis“<br />

Je nach Erkenntnisinteresse muss das adäquate Analyseverfahren angewendet werden.<br />

Ziel = Erschließung des gesamten Bedeutungsinhalts, um z. B. Hypothesen zu finden, die später<br />

getestet werden können.<br />

Vorwurf an quantitative Verfahren: exakt, aber inhaltsleer<br />

Vorwurf an qualitative Verfahren: mangelnde Objektivität, Repräsentativität; Beliebigkeit<br />

1.2 Zur Geschichte der Methode<br />

Das Interesse an einem Problem mündet in der Regel in Überlegungen, wie man es empirisch<br />

bearbeiten kann. enge Verknüpfung inhaltlicher und methodischer Entwicklung<br />

5 Phasen der Entwicklung der Inhaltsanalyse:<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

1. Die Phase der Intuition (bis 1900)<br />

2. die quantitativ-deskriptive Phase (7.Jh. – 1926)<br />

3. die Phase der Reifung zum eigenständigen Erhebungsinstrument sozialer Wirklichkeit (1926 –<br />

1941)<br />

4. die Phase der interdisziplinären Erweiterung (1941 – 1967)<br />

5. die Phase der theoretisch-methodischen Fundierung (seit 1967)<br />

(1) intuitiver Schluss von manifesten Inhalten auf latente Zusammenhänge.<br />

Beispiele: Bauernkalender; einzelner Mensch im Alltagsleben;<br />

(2) siehe S. 206 –207<br />

(3) Auftreten neuer Medien (Radio, Film); Ausdehnung des Interesses von inhaltsinternen<br />

auf inhaltsexterne Merkmale; Analyse von Wirkungen bestimmter <strong>Text</strong>e.<br />

Die meisten Arbeiten zu der Zeit sind politisch motiviert. Einführung der qualitativen<br />

Dimension „Bewertung eines Symbols“ anhand einer einfachen Ordinalskala (negativneutral-positiv)<br />

(später Symbolanalyse) (siehe S. 208)<br />

(4) 1941: Konferenz über Massenmedien – erstmals wird Inhaltsanalyse systematisch<br />

und von verschiedenen Ansätzen her diskutiert.<br />

1955: Allerton House Conference – Diskussion über Fragen der Inferenz von <strong>Text</strong> und<br />

Kontext<br />

(5) drei Problemfelder:<br />

- Inferenz-Problem<br />

- Verfeinerung der Notationssysteme<br />

- Entwicklung von Software für computerunterstützte <strong>Text</strong>analyseverfahren<br />

Die Mehrzahl inhaltsanalytischer Arbeiten untersuchen entweder ein bestimmtes<br />

Medium wie Tageszeitung, Illustrierte, Film, Fernsehen, Comic oder analysieren die<br />

Darstellung eines bestimmten gesellschaftlichen Problems in einem oder mehreren<br />

Medien.<br />

Auseinandersetzung zwischen Anhängern der quantitativen und der qualitativen<br />

Inhaltsanalyse.<br />

- qualitative Verfahren seien selektiv, berücksichtigten bestimmte Aspekte nicht<br />

- qualitative verfahren seien schwer nachvollziehbar, subjektiv und willkürlich.<br />

Wahl eines Verfahrens richtet sich nach Erkenntnisinteresse, somit Ergänzen sich die<br />

beiden Ansätze<br />

1.3 Gegenstandsbereiche der Inhaltsanalyse<br />

Inhaltsanalyse entwickelte sich aus Vorgehensweise des Alltags.<br />

Neben der Deutung manifester Inhalte schließt die alltagsweltliche Inhaltsanalyse immer auch eine<br />

interpretative Vorgehensweise ein, um latente Infos über den Hintergrund eines <strong>Text</strong>es oder Filmes zu<br />

erhalten. Die Entschlüsselung von Inhalten und Zeichen im Alltag ist meistens unsystematisch und<br />

intuitiv.<br />

Je nach methodologischer Grundposition sind unterschiedliche Ziele und Definitionen entwickelt<br />

worden.<br />

„Inhaltsanalyse ist eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines<br />

manifesten <strong>Text</strong>es auf Merkmale eines nicht manifesten Kontextes geschlossen wird.“<br />

Inhaltsanalyse ist eine Methode der Datenerhebung zur Aufdeckung sozialer Sachverhalte, bei der<br />

durch die Analyse eines vorgegebenen Inhalts (Z.B. <strong>Text</strong>, Bild, Film) Aussagen über den<br />

Zusammenhang seiner Entstehung, über die Absicht seines Senders, über die Wirkung auf den<br />

Empfänger und/oder auf die soziale Situation gemacht werden.<br />

1.4 Kategorienbildung und ihre Probleme<br />

Kategoriensystem = Gesamtheit der Kategorien<br />

Forderungen an Kategorien: müssen vom Erkenntnisinteresse geleitet und in Hypothesen fixiert sein.<br />

(S.212,213 – Kategorien, die ein Kategoriensystem erfüllen muss + Erläuterungen)<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

Verschlüsselung, Codierung: Überführung von Merkmalen des Kommunikationsinhaltes in numerische<br />

Daten.<br />

Bei der Vercodung der Zähleinheiten werden meistens mehrere Codierer eingesetzt. Um<br />

Verzerrungen beim Codieren auszuschließen, müssen die Vercoder besonders geschult werden und<br />

die Kategorien präzise definiert sein.<br />

Inhaltsanalysen müssen valide und reliabel sein.<br />

Validität: wird mit den Kategorien tatsächlich das gemessen, was gemessen werden soll.<br />

Reliabilität: Verlässlichkeit der Messung. Bei gleichem Analysematerial und gleichem<br />

Kategoriensystem müssen die Ergebnisse gleich sein.<br />

Intercoderreliabilität: Unterschiede zwischen mindestens zwei verschiedenen Codierern. Abhängig von<br />

Anzahl der Ausprägungen eines Merkmals, Codiererschulung, Sorgfalt der Codierung, Güte des<br />

Kategoriensystems<br />

Intracoderreliabilität: Unterschiede zwischen derselben codierenden Person. Abhängig von selben<br />

Gründen wie Intercoderreliabilität, Lerneffekte, eventuelle Änderungen des Kategoriensystems.<br />

1.5 Typologie inhaltsanalytischer Verfahren nach Zielen und Mitteln<br />

Mittel (semiotische Ebene):<br />

- Syntaktik: beschäftigt sich mit Zeichen als solches, nicht mit der Bedeutung oder<br />

Wirkung<br />

- Semantik: Beziehung zwischen Zeichen und dem, was sie bezeichnen<br />

- Pragmatik: Relation der Zeichen zu ihren Benutzern<br />

Ziele:<br />

- Kommunikator: Verfasser des Kommunikationsinhaltes<br />

- Rezipient: Empfänger des Kommunikationsinhaltes<br />

- Situation: die Situation und deren Einflüsse<br />

(S. 216, 217 – Matrix und Beispiele)<br />

1.6 <strong>Forschung</strong>sablauf<br />

- Auflistung der zentralen <strong>Forschung</strong>sfragen, um entscheiden zu können, welche<br />

Methode die geeigneten Instrumente bietet.<br />

- Entscheidung für Datenerhebungsinstrument hängt ab vom speziellen Interessen, den<br />

entwickelten Detailfragen der geplanten Untersuchung, den vorhandenen personellen<br />

und finanziellen Arbeitsmöglichkeiten und von den schon vorhandenen empirischen<br />

Untersuchungen.<br />

- Entdeckungszusammenhang: umfasst Motive und Interessen. Festlegung des<br />

Untersuchungsziels. Entscheidung für deduktives oder induktives Vorgehen.<br />

- Begründungszusammenhang: mit welchem spezifischen methodischen Verfahren, mit<br />

welchen <strong>Text</strong>unterlagen ist das Problem zu bearbeiten.<br />

- Verwertungszusammenhang: Präsentation und Wirkung der Ergebnisse in der<br />

Öffentlichkeit<br />

In der Phase des Begründungszusammenhanges werden alle zentralen methodenspezifischen<br />

Entscheidungen getroffen.<br />

1. Wichtig bei der Festlegung des Analysematerials ist, dass..<br />

- die <strong>Text</strong>e relevant für den Zweck der Untersuchung sind<br />

- die <strong>Text</strong>e existieren<br />

- die <strong>Text</strong>e zugänglich sind<br />

2. Abgrenzung der Zähleinheiten, d.h. festlegen, welche Merkmalsträger für die zu erhebenden<br />

Merkmale vorliegen.<br />

3. Vornahme einer Stichprobe aus der Klasse aller festgelegten <strong>Text</strong>e, vor allem bei<br />

quantitativen Analysen<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

4. Festlegung der Zähleinheiten in den texten. Das können je nach Untersuchungsziel bestimmte<br />

listenmäßig vorgegebene Wörter, Wortarten, Wortgruppen, Sätze oder Satzteile,<br />

Schlagzeilen, Artikel sein.<br />

5. Aufstellen eines Kategoriensystems, d.h. Formulierung der Hypothesen und die<br />

Operationalisierung der daraus abgeleiteten Variablen. Kategorien gewinnt man entweder<br />

durch die Auflistung beispielhafter Wörter oder durch alle Wörter, die zu einer Kategorie<br />

gehören.<br />

6. Codierung: Bei einem quantitativen Design gehen ein oder mehrere Codierende das<br />

Analysematerial Untersuchungseinheit für Untersuchungseinheit durch und übertragen die<br />

Ergebnisse der Kategorisierung auf Codierblätter. Bei der Codierung werden <strong>Text</strong>daten in<br />

numerische Daten überführt. Mithilfe einer Statistiksoftware werden die Zahlen auf den<br />

Codierblättern in den Computer eingegeben.<br />

Noch mal der Ablauf:<br />

- Aufstellen der Hypothesen<br />

- Grundgesamtheit und Stichprobe festlegen<br />

- Untersuchungsmaterial beschaffen<br />

- Untersuchungseinheit festlegen<br />

- Kategoriensystem entwickeln und testen (Pretest)<br />

- Codierung durchführen<br />

- Statistische Auswertung anhand der Hypothesen<br />

- Publikation der Ergebnisse<br />

1.6.1 Grundlagen qualitativer Verfahren<br />

Qualitative Verfahren haben keine Theorie und kein Paradigma.<br />

Qualitative und quantitative Verfahren bedingen andere inhaltsanalytische Vorgehensweisen bei der<br />

Datenauswertung. Bei beiden muss aber die <strong>Forschung</strong>sfragestellung eindeutig beschrieben werden.<br />

Allgemeine Merkmale zur prinzipiellen Vorgehensweise<br />

- Offenheit: sowohl bezogen auf das theoretische Konzept als auch auf das Verhalten<br />

gegenüber den Probanden und die Erhebungssituation<br />

- Kommunikativität: entweder durch direkten Kontakt zwischen den Forschenden und<br />

Beforschten oder durch geeignete Aufzeichnungsmittel wie Protokolle, Tonband- oder<br />

Videoaufzeichnungen<br />

- Naturalistizität: Prinzip der Natürlichkeit in der Erhebungssituation einhalten.<br />

- Interpretativität: Gewinnung von Hypothesen auf Basis des Materials auf dem Wege<br />

der Interpretation<br />

Verfahren von Mayring – S. 222,223<br />

1.6.2 Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Ansätzen<br />

Matrix S. 224<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

<strong>Text</strong> 12: Hermeneutik und interpretative Verfahren (Karlhofer)<br />

Hermeneutische Analyse – an einem Beispiel demonstriert<br />

1. In jeder Fragestellung drückt sich ein bestimmtes Vorverständnis des zu untersuchenden<br />

Zusammenhanges aus. Der Interpret würde unreflektiert verfahren, würde er sich dieses (sein<br />

eigenes) Vorverständnis nicht bewusst machen. Vor allem ist dieses ‚Vorverständnis nicht ein<br />

bedauerlicher Störfaktor für das Interpretationsverfahren, so als wäre das voraussetzungslose<br />

Herangehen an einen <strong>Text</strong> (eine <strong>Forschung</strong>sfrage) das anzustrebende Ideal; vielmehr ist die<br />

Fragestellung und das darin eingeschlossene Vorverständnis die Voraussetzung dafür, dass<br />

überhaupt interpretiert werden kann. Entscheidend ist freilich, sich sein eigenes Vorwissen<br />

(seine eigenen Vorurteile) bewusst zu machen.<br />

2. Die ursprüngliche Fragestellung und das darin sich ausdrückende Vorverständnis müssen am<br />

<strong>Text</strong> (und am Kontext) immer wieder überprüft werden. Wir dringen in den <strong>Text</strong> sukzessive<br />

ein, wir lernen ihn immer besser verstehen.<br />

3. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Analyse (nicht nur) historischer <strong>Text</strong>e ist die<br />

<strong>Text</strong>- und Quellenkritik. Wichtig ist also, sich sog. Kritische <strong>Text</strong>ausgaben zu besorgen, die<br />

verschiedene Versionen und deren Entstehungsgeschichte gegenüberstellen.<br />

4. Notwendige Momente der interpretativen Erschließung sind die semantische Analyse<br />

einzelner Begriffe oder <strong>Text</strong>passagen und die Berücksichtigung etymologischer (Etymologie<br />

= Wortgeschichte) Aspekte.<br />

5. Politische (auch politikwissenschaftliche) <strong>Text</strong>e entstehen häufig als Stellungnahmen im<br />

Zusammenhang mit Kontroversen, sie ergreifen Partei, sind Ausdruck praktischen<br />

Engagements, nicht allein theoretischen Erkenntnisstrebens. Sie sind also nicht nur<br />

textimmanen (=der <strong>Text</strong> für sich allein stehend) zu interpretieren, sondern stets auch in einem<br />

breiteren Kontext zu sehen.<br />

6. Zur Interpretation eines gegebenen <strong>Text</strong>es ist es notwendig, über den immanenten<br />

Zusammenhang hinauszugehen und weitere Quellen heranzuziehen. Da umgekehrt aber<br />

auch die textimmanenten Informationen zur Klärung textübergreifender Zusammenhänge<br />

beitragen können, kann man prinzipiell vom einem Verhältnis wechselseitiger Erklärungen<br />

textimmanenter und textübergreifender Zusammenhänge sprechen.<br />

7. Syntax<br />

Für die Ermittlung eines Argumentationszusammenhanges eines <strong>Text</strong>es haben die<br />

syntaktischen Mittel, die Sätze oder Satzteile miteinander verbinden, große Bedeutung.<br />

Wissenschaftliche Interpretation muss folglich diesem Aspekt der Syntax eines <strong>Text</strong>es<br />

besondere Aufmerksamkeit schenken.<br />

8. Gliederung eines <strong>Text</strong>es<br />

Was die Ermittlung der syntaktischen Beziehungen zwischen Sätzen und Satzgliedern im<br />

kleinen zu leisten vermag, muss vom Interpreten auch für den gesamten <strong>Text</strong> systematisch<br />

geleistet werden. Die gedankliche Gliederung muss übersichtlich herausgearbeitet werden:<br />

Hauptthesen, Begründungen, Erläuterungen, Beispiel, Nebengedanken, Exkurse usf. sind<br />

durch Interpretation voneinander abzuheben und nach Möglichkeit in einem differenzierten<br />

Gliederungsschema zusammenzufassen. Diese Aufgabe ist dann besonders dringlich, wenn<br />

ein Autor seinen <strong>Text</strong> nicht ausdrücklich und detailliert gegliedert hat und insofern er seine<br />

Gliederung nicht selbst kommentiert.<br />

9. Innere Logik eines <strong>Text</strong>es<br />

Soweit es sich bei zu interpretierenden <strong>Text</strong>en um Argumentationszusammenhänge handelt,<br />

ist der Gesichtspunkt der inneren Widerspruchsfreiheit der logischen Stringenz ein<br />

entscheidender Auslegungsaspekt. Der Interpret muss die Begründungen, Folgerungen,<br />

Herleitungen des Autors nicht nur mitvollziehen, sondern kritisch überprüfen. Er muss<br />

prinzipiell unterstellen, dass dem Autor logische Fehler unterlaufen sein können (oder von ihm<br />

sogar bewusst hingenommen wurden).<br />

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Zusammenfassung Skript Methoden September 2005<br />

10. Hermeneutischer Zirkel als Instrument des Zusammenhangsverstehens<br />

Interpretation bewegt sich ständig im hermeneutischen Zirkel: Die einzelne Aussage und ihre<br />

sprachlichen Elemente werden im Gang der Interpretation immer wieder im Zusammenhang<br />

größerer Aussagenzusammenhänge ausgelegt; das einzelne Wort wird erst im Kontext<br />

größerer Satzzusammenhänge verständlich usf.; später in einem <strong>Text</strong> auftretende Aussagen<br />

wirken ergänzend und verändernd auf das Verständnis des früher Gesagten zurück. Zugleich<br />

gilt aber auch: der jeweils unfassendere Zusammenhang kann nicht ohne seine einzelnen<br />

Elemente verstanden werden.<br />

11. Es ist grundsätzlich immer möglich, dass die Auffassungen, Zielsetzungen, Thesen,<br />

Argumentationen, die in einem <strong>Text</strong> bzw. in einigen <strong>Text</strong>en von einem Autor geäußert werden,<br />

entscheidend durch die gesellschaftliche Position, in der sich dieser Autor befindet, bestimmt<br />

sind, mit anderen Worten: durch seine gesellschaftlichen Interessen, ohne dass sich der Autor<br />

dieser Zusammenhänge überhaupt oder in vollem Umfang bewusst ist. Daher muss eine<br />

konsequente <strong>Text</strong>interpretation immer auch die ideologiekritische Frage stellen, d.h. die Frage<br />

nach dem Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Lage und Bewusstsein. – Dieser erste<br />

Aspekt der ideologiekritischen Frage muss durch einen zweiten ergänzt werden, sobald nach<br />

der Wirkung eines <strong>Text</strong>es – seiner Aufnahme, Umdeutung oder Ablehnung durch bestimmte<br />

Rezipienten – gefragt wird, oder auch dem Auftreten von Nachfolge- oder Gegenschriften.<br />

Positive oder negative Reaktionen auf einen <strong>Text</strong> können selbst wiederum ideologisch, d.h.<br />

durch undurchschaubare gesellschaftliche Interessen von Menschen oder Menschengruppen,<br />

die Stellung nehmen, bestimmt sein.<br />

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