Regieren bald neue «Fürsten» das Land? - Wendekreis
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6 <strong>Wendekreis</strong> Oktober 09<br />
Superreiche in der Schweiz<br />
<strong>Regieren</strong> <strong>bald</strong><br />
<strong>neue</strong> <strong>«Fürsten»</strong><br />
<strong>das</strong> <strong>Land</strong>?<br />
Die Kluft zwischen Arm und Reich<br />
wird in der Schweiz immer<br />
grösser. Hans Kissling, Autor des<br />
Buches «Reichtum ohne Leistung –<br />
Die Feudalisierung der Schweiz»,<br />
warnt davor, <strong>das</strong>s hier <strong>bald</strong><br />
Zustände herrschen wie zu Zeiten<br />
des Feudalismus.<br />
WENDEKREIS: Herr Kissling, Sie schreiben in<br />
Ihrem Buch, die Schweiz sei auf dem Weg<br />
zum Feudalstaat. Wie sind Sie darauf gekommen?<br />
Hans Kissling: Der Kanton Zürich hat eine sehr<br />
gute Datenbank von allen 730 000 Steuerpflichtigen;<br />
diese konnte ich auswerten. Dabei kam ich zu<br />
folgenden Schlüssen: Die drei reichsten Personen im<br />
Kanton Zürich besitzen gleich viel wie die weniger<br />
vermögende Hälfte der Bevölkerung. Und die hundert<br />
Reichsten so viel wie drei Viertel. Diese Daten<br />
betreffen Zürich, aber man kann sie gut auf die<br />
Schweiz hochrechnen. Es gibt Kantone, wo der Reichtum<br />
gleichmässiger verteilt ist; in Zug, Nidwalden<br />
und Schwyz ist die Verteilung hingegen extremer.<br />
Wie entwickelt sich diese Situation?<br />
Von 1991 bis 2003 hat die Ungleichheit der Verteilung<br />
extrem zugenommen. Dabei ist nicht nur der<br />
Abstand zwischen Arm und Reich viel grösser geworden,<br />
sondern auch der Abstand zwischen dem<br />
Mittelstand und den sehr Reichen. Zwischen 1991<br />
und 2003 konnten die Allerreichsten ihr Vermögen<br />
verdoppeln. Der Mittelstand legte in dieser Zeit nur<br />
um zwanzig Prozent zu.<br />
Hat die aktuelle Wirtschaftskrise diese Tendenz abgebremst?<br />
Die grössten Vermögen entwickeln sich in etwa parallel<br />
zur Entwicklung an den Börsen. Da ist <strong>das</strong> Niveau<br />
im Vergleich zu 2007 etwas zurückgegangen.<br />
Aber meine Daten basieren auf 2003. Und der SMI ist<br />
jetzt leicht höher als 2003. Die Aussagen in meinem<br />
Buch über die Verteilung sind also noch topaktuell.<br />
An der Tendenz zur Konzentration des Reichtums<br />
hat die Krise gar nichts verändert.<br />
Es geht also so weiter.<br />
Es wird sogar noch extremer. In den nächsten dreissig<br />
Jahren erben jedes Jahr durchschnittlich vier Personen<br />
in der Schweiz mehr als eine Milliarde Franken.<br />
Das heisst, alle drei Monate erhält jemand eine<br />
Milliarde, ohne dafür eine Leistung zu erbringen.<br />
Aber es gibt auch Personen, die mehr erben. Im Kanton<br />
Zürich gibt es eine ältere Person, die ihren beiden<br />
Söhnen in den nächsten Jahren je vier Milliarden vererben<br />
wird. Zur Veranschaulichung: Jeder dieser Söhne<br />
könnte zum Beispiel sämtliche Einfamilienhäuser<br />
und Wohnungen des Kantons Appenzell Innerhoden<br />
kaufen. Das sind riesige Reichtümer, vergleichbar mit<br />
einem kleinen Fürstentum. Da wird die Parallele zum<br />
Begriff Feudalismus sichtbar.<br />
Diesen Begriff kennt man von der Geschichte her.<br />
Was genau bedeutet er?<br />
Er beinhaltet vor allem die Weitergabe von grossen<br />
Reichtümern an die nächste Generation. Der historische<br />
Feudalismus hat aber noch eine andere Komponente:<br />
Da ging es auch um die Vererbung der Macht.<br />
Dies ist in unserer heutigen Demokratie aber wohl<br />
kaum mehr möglich?<br />
Doch, in Ansätzen geht es auch heute um politische<br />
Rüegger Verlag<br />
Macht. Denn Superreiche können da direkt Einfluss<br />
nehmen. Das erste offensichtliche Beispiel geschah<br />
1992, als der Milliardär Christoph Blocher Millionen<br />
in den Abstimmungskampf um den EWR-Beitritt investierte.<br />
Das Resultat fiel dann ganz knapp aus.<br />
Ohne <strong>das</strong> Geld von Blocher wäre die Schweiz heute<br />
ziemlich sicher im EWR. Es gibt auch immer wieder<br />
Beispiele auf lokaler Ebene. Im Kanton Glarus hat ein<br />
Multimillionär aus Kalifornien ein Grundstück gekauft<br />
und wollte dorthin ziehen, aber der Verlauf der<br />
Kantonsstrasse passte ihm nicht. Da setzte er – mit<br />
seinem Geld – politisch durch, <strong>das</strong>s die Kantonsstrasse<br />
verlegt wurde.<br />
Wie zeigt sich dieser <strong>neue</strong> Feudalismus sonst noch?<br />
Grosse Vermögen werfen auf lange Sicht mindestens<br />
fünf Prozent Rendite ab. Personen,<br />
die eine Milliarde erben, haben also<br />
fünfzig Millionen Franken Einkommen<br />
pro Jahr oder mehr, ohne dafür<br />
eine eigene Leistung erbracht zu haben.<br />
Auch im Feudalismus konnten<br />
die Fürsten einfach Gelder eintreiben,<br />
ohne Leistung. Die höchsten<br />
Einkommen gibt es schon heute<br />
nicht mehr bei den Unternehmern,<br />
die sich selbst hochgearbeitet haben,<br />
oder bei den Managern. Die höchsten Einkommen<br />
stammen immer mehr aus vererbtem Reichtum.<br />
Dann sind also nicht die «Abzocker-Manager» <strong>das</strong><br />
Problem?<br />
Bald nicht mehr. Verglichen mit den reichen Erben<br />
sind <strong>das</strong> <strong>bald</strong> nur noch kleine Fische.<br />
Warum stehen dann aber vor allem die hohen Managerlöhne<br />
in der Kritik und nicht die Erbschaften?<br />
Die Manager sind eben bekannte Leute, da kann man<br />
sich auf die Person fokussieren. Das Erben geschieht<br />
meist im Stillen. Vieles wird einfach nicht bekannt.<br />
Sie schreiben in Ihrem Buch, <strong>das</strong>s diese Feudalisierung<br />
in der Schweiz schneller voranschreitet als in<br />
andern Ländern. Warum gerade hier?<br />
Das hat drei Gründe. In der Schweiz können die<br />
grössten Vermögen ohne Erbschaftssteuer von einer<br />
Generation auf die andere weitergegeben werden.<br />
In den wichtigsten andern Ländern ist <strong>das</strong><br />
nicht so. Zweitens bietet sich die Schweiz den reichen<br />
Ausländern als Steuerparadies an. Deshalb<br />
gab es in den letzten Jahren eine grosse Zuwanderung<br />
von sehr reichen Leuten. Der dritte Grund ist<br />
ein historischer: In umliegenden Ländern wurden<br />
in den beiden Weltkriegen riesige Reichtümer vernichtet<br />
– in der Schweiz ist <strong>das</strong> nicht passiert. Aus<br />
diesen Gründen liegt die Schweiz unter vergleichbaren<br />
Ländern an der Spitze bei der Ungleichheit. ›<br />
Oktober 09 <strong>Wendekreis</strong><br />
«Auch im Feudalismus<br />
konnten die Fürsten<br />
einfach Gelder eintreiben,<br />
ohne Leistung.»<br />
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<strong>Regieren</strong> <strong>bald</strong> <strong>neue</strong> <strong>«Fürsten»</strong> <strong>das</strong> <strong>Land</strong>?<br />
«Wenn die Erbschaftssteuer<br />
nicht kommt, haben<br />
wir in zwanzig bis dreissig<br />
Jahren Personen, die<br />
fünfzig Milliarden besitzen –<br />
absurde Dimensionen.»<br />
8 <strong>Wendekreis</strong> Oktober 09<br />
Was kann man dagegen tun?<br />
Ich schlage eine Erbschaftssteuer vor, die bei den<br />
gröss ten Vermögen bis zu einem Steuersatz von etwa<br />
50 Prozent geht. Dabei soll aber ein hoher Freibetrag<br />
von beispielsweise einer Million Franken pro Erbberechtigten<br />
bestehen bleiben. Und es müsste klar eine<br />
nationale Steuer sein, denn bei einer kantonalen Steuer<br />
käme sofort wieder der Steuerwettbewerb zum Zug.<br />
Und was schlagen Sie weiter vor?<br />
Nicht gewinnorientierte Unternehmensformen wie<br />
Stiftungen oder Genossenschaften sollten gefördert<br />
werden. Stiftungen sind als Ergänzung zu einer Erbschaftssteuer<br />
sehr sinnvoll: Wer nicht will, <strong>das</strong>s ein<br />
Teil seines Vermögens durch Steuern an den Staat<br />
fällt, kann es in eine gemeinnützige Stiftung eingeben.<br />
Und Genossenschaften wirken der Vermögenskonzentration<br />
entgegen, weil sie keine Dividenden<br />
an Privatpersonen ausschütten. Die Genossenschaften<br />
Migros und Coop beispielsweise funktionieren<br />
hervorragend, bestehen im Konkurrenzkampf in einer<br />
der härtesten Branchen – und<br />
können nicht aufgekauft werden.<br />
Das sichert Arbeitsplätze. Gehörten<br />
Migros und Coop privaten Investoren,<br />
hätten sie schon lange<br />
Stellen abgebaut.<br />
Zurück zur Erbschaftssteuer. In<br />
den USA scheint sie zu funktionieren.<br />
Ja. Da gibt es Erbschaftssteuern<br />
von bis zu 50 Prozent, und <strong>das</strong> seit<br />
Jahrzehnten. Diese Steuer ist völlig<br />
unbestritten. Viele Superreiche in<br />
Amerika schrien sogar auf, als George W. Bush sie abschaffen<br />
wollte. Sie sagten, <strong>das</strong> sei unfair und machten<br />
eine nationale Kampagne dagegen. Die Amerikaner<br />
haben ein ganz anderes Verhältnis zum Reichtum,<br />
und Fairness ist für sie sehr wichtig. Bill Gates<br />
zum Beispiel hat schon angekündigt, <strong>das</strong>s jedes seiner<br />
Kinder einmal zehn Millionen Dollar erben soll;<br />
der Rest gehe in eine Stiftung.<br />
Wie sollen die Einnahmen einer Erbschaftssteuer in<br />
der Schweiz verwendet werden?<br />
Mit dem Ertrag könnte man zum Beispiel die Steuern<br />
für den Mittelstand senken. Oder man könnte wieder<br />
höhere Stipendien auszahlen. In den letzten zwanzig<br />
Jahren wurden Stipendien immer mehr durch Darlehen<br />
ersetzt. Das führt dazu, <strong>das</strong>s junge Menschen aus<br />
weniger reichem Elternhaus mit Schulden ins Berufsleben<br />
starten müssen. Das finde ich stossend.<br />
Solche Vorschläge werden von rechter Seite schnell<br />
als zu grosse Umverteilung bezeichnet. Was sagen<br />
Sie dazu?<br />
Hans Kissling<br />
Marcel Kaufmann / bmi-bild.ch<br />
Das ist keine Umverteilung. Man nimmt durch eine<br />
Erbschaftssteuer ja niemandem etwas weg. Sie bewirkt<br />
nur, <strong>das</strong>s jemand etwas weniger bekommt, ein<br />
kleineres Geschenk sozusagen. Ich wehre mich in<br />
diesem Zusammenhang gegen den Begriff Umverteilung.<br />
Ich wäre aber gegen eine Umverteilung, die<br />
zum Beispiel hohe Einkommen mit achtzig Prozent<br />
versteuern würde. Man sollte nicht Leistung bestrafen;<br />
da habe ich eine liberale Haltung.<br />
Hätte denn eine nationale Erbschaftssteuer politisch<br />
eine Chance?<br />
Ursula Wyss, Fraktionschefin der SP, hat im letzten<br />
Sommer im Nationalrat einen Vorstoss gemacht. Der<br />
wurde mit Zweidrittelsmehrheit abgelehnt. Die gewählten<br />
Politiker von SVP und FDP sind mehrheitlich<br />
dagegen. Aber es gibt oft Differenzen zwischen<br />
Politikern und dem Volk. 2007 zeigte eine Umfrage<br />
des Beobachters klar auf, <strong>das</strong>s eine überwiegende<br />
Mehrheit der Bevölkerung für eine Erbschaftssteuer<br />
ist, wenn es einen grossen Freibetrag gibt.<br />
Das heisst, es braucht eine Volksinitiative?<br />
Ja, <strong>das</strong> ist nur durch eine Volksinitiative zu verwirklichen.<br />
Ich bin jetzt daran, dafür einen Vorschlag<br />
zu entwickeln. Sie hat sicher eine Chance,<br />
wenn sie grosse Freibeträge vorsieht und die Weitergabe<br />
von kleinen und mittleren Unternehmen an<br />
die nächste Generation nicht behindert. Und es ist<br />
wichtig zu betonen, <strong>das</strong>s es dabei nicht um die Erhöhung<br />
des Steuerniveaus geht – es geht darum, die<br />
Feudalisierung zu bremsen.<br />
Können wir in absehbarer Zeit eine solche Volks -<br />
initiative erwarten?<br />
Ja, <strong>das</strong> können Sie. Aber ich will <strong>das</strong> Pulver nicht jetzt<br />
schon verschiessen. Ich will mir Zeit nehmen und in<br />
Ruhe einen Vorschlag entwickeln.<br />
Wie geht es weiter in der Schweiz?<br />
Wenn die Erbschaftssteuer kommt, dann werden wir<br />
eine sozialere, fairere Marktwirtschaft haben, die die<br />
Leistung belohnt und in der jeder und jede eine Aufstiegschance<br />
hat. Wenn die Erbschaftssteuer nicht<br />
kommt, haben wir in zwanzig bis dreissig Jahren<br />
Personen, die fünfzig Milliarden besitzen – absurde<br />
Dimensionen. Wir werden eine Art feudale Oberschicht<br />
bekommen, feudale Clans. Wenn die Situation<br />
zu extrem wird, könnte es unter Umständen zu<br />
sozialen Unruhen kommen. Es könnten auch extreme<br />
politische Strömungen entstehen. Und <strong>das</strong> kann<br />
letztlich auch nicht im Interesse der Wirtschaft sein.<br />
Interview Rosmarie Kayser<br />
Oktober 09 <strong>Wendekreis</strong><br />
Hans Kissling ist Doktor<br />
der Volkswirtschaft.<br />
Von 1992 bis zu seiner<br />
Pensionierung 2006 arbeitete<br />
er als Chef des<br />
Statistischen Amtes des<br />
Kantons Zürich.<br />
Sein Buch mit dem Titel<br />
«Reichtum ohne Leistung<br />
− Die Feudalisierung der<br />
Schweiz» ist 2008 im Rüegger<br />
Verlag erschienen.<br />
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