Afghanistan: Aktuelle sicherheitspolitische Lage und Perspektiven
Afghanistan: Aktuelle sicherheitspolitische Lage und Perspektiven
Afghanistan: Aktuelle sicherheitspolitische Lage und Perspektiven
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05/2007<br />
AUGUST 2007<br />
NATO out of the box: Unter<br />
diesem Motto fand im Juli 2007<br />
ein <strong>sicherheitspolitische</strong>r Diskussionsabend<br />
in Zusammenarbeit<br />
mit der Katholischen Deutschen<br />
Studentenverbindung Staufia zu<br />
Bonn statt. Ziel dieser Gesprächsreihe<br />
ist es, den transatlantischen<br />
<strong>und</strong> <strong>sicherheitspolitische</strong>n Gedanken<br />
auch der jüngeren Generation<br />
näher zu bringen <strong>und</strong> Gelegenheiten<br />
für Gespräche zu eröffnen.<br />
Der Abend wurde von vier Experten<br />
gestaltet, die ihre Erfahrungen<br />
in <strong>Afghanistan</strong> im Rahmen<br />
eines kurzen Berichtes wiedergaben:<br />
Oberstleutnant Klaus Betz,<br />
Fü S V (Stabsabteilung Einsatz<br />
B<strong>und</strong>eswehr, B<strong>und</strong>esministerium<br />
der Verteidigung), Oberstleutnant<br />
i.G. Peter Muermans, FüS V, Diplom<br />
Geograph Rainer Glassner<br />
(Institut für Entwicklung <strong>und</strong><br />
Frieden der Universität Duisburg-<br />
Essen, INEF) <strong>und</strong> Florian Broschk<br />
(Islamwissenschaftler, Universität<br />
Bonn).<br />
Moderiert wurde der Abend von<br />
Joachim Westhoff, Chefredakteur<br />
des General-Anzeigers Bonn.<br />
Oberstleutnant Klaus Betz<br />
berichtete über die tägliche Arbeit<br />
der Einsatzplanung in <strong>Afghanistan</strong>.<br />
Als Soldat kann er auf fast<br />
DEUTSCHE ATLANTISCHE GESELLSCHAFT E .V.<br />
Atlantischer Kurier<br />
<strong>Afghanistan</strong> -<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>sicherheitspolitische</strong> <strong>Lage</strong> <strong>und</strong> <strong>Perspektiven</strong><br />
30 Jahre Berufserfahrung zurückblicken,<br />
mit zentralem Einsatzgebiet<br />
auf dem Balkan.<br />
Für den Einsatz der B<strong>und</strong>eswehr<br />
auf strategischer Ebene koordinierte<br />
Betz in der Stabsabteilung<br />
die Auslandsplanung <strong>und</strong> deren<br />
Führung, vor Ort war er für die<br />
Verlagerung des Militärs sowie<br />
den Personalaustausch zuständig.<br />
So erfolgte eine Personalverlagerung<br />
von Kabul nach Marsari Sharif<br />
zum Aufbau einer logistischen<br />
Basis. Insgesamt seien zur Zeit<br />
ca. 3.500 deutsche Soldaten für<br />
ISAF im Einsatz, deren Aufgabe es<br />
sei den Wiederaufbau des Landes<br />
voranzutreiben, eine Infrastruktur<br />
zu errichten <strong>und</strong> dort ein sicheres<br />
Umfeld herzustellen sowie aufrechtzuerhalten.<br />
Der organisierten<br />
Kriminalität sollte der Boden genommen<br />
werden. Eine Ausbildungsinitiative<br />
für das afghanische<br />
Militär habe zum Ziel, Sicherheitskräfte<br />
für den Wiederaufbau<br />
des Landes <strong>und</strong> die Aufrechterhaltung<br />
der Sicherheit zu schulen.<br />
Des Weiteren gelte es, Alternativen<br />
zum Drogenanbau zu entwickeln<br />
sowie einen Verwaltungs-<br />
<strong>und</strong> Justizapparat aufzubauen.<br />
Die Terrorismusbekämpfung falle<br />
nicht in den Zuständigkeitsbereich<br />
der ISAF-Mission.<br />
Jeder Einsatz sei multinational<br />
besetzt, Kooperation unabdingbar.<br />
Die militärischen Projekte<br />
seien langfristig ausgerichtet. So<br />
werde auch der Tornado-Einsatz<br />
eine längerfristige Stationierung<br />
von deutschen Soldaten erfordern.<br />
Ziele <strong>und</strong> Aufgaben müssten<br />
daher genau definiert sein,<br />
um den Einsatz deutscher Soldaten<br />
in <strong>Afghanistan</strong> zu begründen.<br />
Florian Broschk, Islamwissenschaftler<br />
der Universität zu Bonn,<br />
stellte zwei für ihn wesentliche<br />
Aspekte des Umgangs mit <strong>Afghanistan</strong><br />
heraus. Zum einen gelte<br />
es zu berücksichtigen, dass <strong>Afghanistan</strong><br />
ein vom Krieg heimgesuchtes<br />
Land sei, das sich seit<br />
nunmehr fast 30 Jahren, seit der<br />
Invasion sowjetischer Truppen,<br />
im Kriegszustand befinde. Zum<br />
anderen hob er den kulturellen<br />
Aspekt hervor.<br />
Idealtypisch sei es, kulturelle Unterschiede<br />
festzumachen, Gemeinsamkeiten<br />
zu finden <strong>und</strong> das<br />
Wissen um die Andersartigkeit<br />
der kulturellen Strukturen in Lösungsansätze<br />
einzubeziehen.
Broschk führte neben verschiedenen<br />
kulturellen Aspekten die<br />
zentrale Bedeutung des Islam als<br />
identifizierendes Element auf.<br />
<strong>Afghanistan</strong> sei kein Zentralstaat,<br />
das Konzept allgemeiner Wahlen<br />
nicht verankert. Die soziopolitische<br />
Legitimität liege im Islam.<br />
Er betonte, dass vor allem der<br />
Großfamilie ein hoher Stellenwert<br />
zukomme. Dieser basiere auf<br />
Identität, wirtschaftlicher Absicherung<br />
der Familie <strong>und</strong> Gruppenloyalität.<br />
Ferner gelte es, die<br />
Familienehre zu schützen, wenn<br />
nötig auch durch die im Land<br />
stark ausgeprägte Anwendung<br />
von Korruption.<br />
Abschließend hielt Broschk fest,<br />
die für den Einsatz in <strong>Afghanistan</strong><br />
gesetzten Ziele seien nach seiner<br />
Ansicht zu weit gesteckt, sodass<br />
nur wenige erreicht werden<br />
könnten. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sollten<br />
die Ziele mittelfristig enger<br />
gehalten <strong>und</strong> ständig neu evaluiert<br />
werden.<br />
Oberstleutnant i.G. Peter<br />
Muermans war von November<br />
2006 bis März 2007 im Wesentlichen<br />
verantwortlich für Planung<br />
<strong>und</strong> Operationsführung. Er stellte<br />
heraus, dass man ständig Neues<br />
lerne, Urteile revidiere <strong>und</strong> Beurteilungen<br />
zum Teil von Woche zu<br />
Woche geändert werden müssten.<br />
Die Berichterstattung über<br />
<strong>Afghanistan</strong>, die wir in Deutschland<br />
erhielten, sei verzerrt. Das<br />
Kernproblem <strong>Afghanistan</strong>s sieht<br />
Muermans in der Korruption. Ferner<br />
erschwerten die unterschied-<br />
DEUTSCHE ATLANTISCHE GESELLSCHAFT E .V.<br />
Am Burgweiher 12 | 53123 Bonn | Tel.: +49 (0) 228 62 50 31 | Fax: +49 (0) 228 61 66 04<br />
www.DeutscheAtlantischeGesellschaft.de<br />
lichen Konfliktlagen in den verschiedenen<br />
Regionen das Handeln<br />
<strong>und</strong> Planen <strong>und</strong> erforderten<br />
individuell aufgestellte <strong>und</strong> regional<br />
angepasste Konzepte. Eine<br />
Patentlösung gebe es nicht <strong>und</strong><br />
es sei sehr schwer zu beantworten,<br />
wie sich <strong>Afghanistan</strong> in Zukunft<br />
entwickle <strong>und</strong> welche Lösungen<br />
greifen würden. Festzuhalten<br />
gelte, dass entgegen anderer<br />
Behauptungen, die Situation<br />
in Bezug auf Sicherheit unverändert<br />
gefährlich sei. Wer in <strong>Afghanistan</strong><br />
etwas verändern wolle,<br />
so Muermans, müsse die Gefahr<br />
dort akzeptieren, lernen damit<br />
umzugehen <strong>und</strong> einen langen<br />
Atem haben.<br />
Diplom Geograph Rainer<br />
Glassner vom Institut für Entwicklung<br />
<strong>und</strong> Frieden der Universität<br />
Duisburg-Essen (INEF) betonte<br />
die Diversität <strong>Afghanistan</strong>s.<br />
In seinem Erfahrungsbericht ging<br />
er in erster Linie auf die sehr veränderte<br />
Sicherheitslage <strong>und</strong> die<br />
Taliban-Bewegung ein. Die<br />
Selbstmordanschläge der Taliban<br />
haben seit 2005 rapide zugenommen.<br />
Im Jahre 2005 seien 25<br />
Attentate zu verzeichnen gewe-<br />
Ansprechpartner: Johannes Lay | Tel.: +49 (0) 228 62 50 31 | Lay@dtatlges.de<br />
05/2007<br />
sen, 2006 offiziell 139 <strong>und</strong> in der<br />
ersten Hälfte dieses Jahres bereits<br />
70 Anschläge. Die Methoden seien<br />
unter Einsatz von Sprengsätzen<br />
ausgefeilter geworden. Trotz Kollateralschäden<br />
gelten die von den<br />
Taliban ausgeübten Anschläge<br />
weniger der Bevölkerung als vielmehr<br />
den Besatzungstruppen in<br />
<strong>Afghanistan</strong>.<br />
Die Taliban, so Glassner, bildeten<br />
keinen monolithischen Block, sondern<br />
es gebe eine Vielzahl von<br />
Gruppierungen, die von der NATO<br />
in zwei Hauptgruppen unterteilt<br />
würden: zum einen die in den<br />
Madrasas ideologisch geschulten<br />
Taliban, zum anderen die lokal<br />
angeworbenen <strong>und</strong> sich aus finanziellen<br />
Gründen der Bewegung<br />
Anschließenden.<br />
Das Gehalt eines afghanischen<br />
Soldaten liege bei ungefähr 60$<br />
pro Monat, dem gegenüber stehe<br />
eine Zahlung von ungefähr 150-<br />
200$ pro Monat an neu rekrutierte<br />
Taliban-Kämpfer. Glassner<br />
sieht in diesem ökonomischen<br />
Anreiz einen Gr<strong>und</strong> für den Anschluss<br />
an die Bewegung.<br />
Inara Stürckow