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Internalisierende Problemverarbeitung - UniFr Web Access

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MSc in Erziehungswissenschaft HS 2007<br />

Universität Fribourg-CH<br />

Aufwachsen in der Risikogesellschaft<br />

<strong>Internalisierende</strong> <strong>Problemverarbeitung</strong>:<br />

Essprobleme<br />

29.10. & 05.11. 2007<br />

Prof. Dr. Margrit Stamm<br />

„Twiggy“<br />

Lawson<br />

1947 -<br />

Einleitung<br />

Ana Carolina<br />

Reston<br />

1985-<br />

15.11.2006<br />

Generelle Essprobleme (gestörtes Essverhalten inkl.<br />

Adipositas, Gewichtsregulation) entwickeln sich häufig in der<br />

Adoleszenz bei Mädchen. Genaue Erklärungen für die<br />

Geschlechtsspezifik liegen nicht vor. Möglicherweise wirkt<br />

sich eine Kumulation von Stressoren besonders kritisch aus.<br />

Diagnostische Unterscheidung zwischen Anorexia Nervosa<br />

(Magersucht) und Bulimie (Ess-Brech-Sucht).<br />

Mildere Formen: ständige Beschäftigung mit Essen/Gewicht,<br />

strenges Fasten und strenge Diäten etc.<br />

Diäthalten ist angesichts der Tatsache, dass dies 2/3 der<br />

Mädchen tun, normativ geworden.


Anorexia Nervosa (AN)<br />

Geschichte<br />

Das Vorkommen von AN ist seit dem Mittelalter dokumentiert.<br />

Beispiel: Die Erkrankung der 1245 geborenen Prinzessin Margaret<br />

von Ungarn. Sie wurde von ihrem Vater aufgrund eines Gelübdes<br />

Nonnen zur Erziehung übergeben, später änderte er seine<br />

Absichten und wollte sie mit einem geeigneten Thronnachfolger<br />

verheiraten. Margaret bemühte sich dann, sich so unattraktiv wie<br />

möglich zu machen. Sie begann zu fasten und arbeitete bis zur<br />

Erschöpfung. Im Refektorium bediente sie die anderen, und fastete<br />

selbst, während ihre Mitschwestern assen. Ihr Körper wurde als<br />

armselig beschrieben, sie starb schliesslich im Alter von 26 Jahren.<br />

Aus den erhaltenen Unterlagen geht ihr Fasten, ihre Weigerung,<br />

das Körpergewicht im Normalbereich zu halten sowie die<br />

Kombination von Überaktivität mit extremer Magerkeit als<br />

eindrucksvolle historische Dokumentation der diagnostischen<br />

Kriterien der AN hervor.<br />

Prävalenz & Prognose<br />

AN ist häufig, die Prävalenzrate wird bei Frauen zwischen<br />

14 und 18 Jahren mit 1:800 bis 1:100 angegeben.<br />

95% aller AN-Patienten sind Frauen.<br />

Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 12. und 18.<br />

Lebensjahr.<br />

Schlechte Prognose bei Spontanverläufen.<br />

Chronifizierung bei etwa 40%, bei 20-30%<br />

"Spontanheilung" bezogen auf den Gewichtsverlust.<br />

Definition<br />

Als Anorexia nervosa (AN) bezeichnet man eine schwere<br />

Krankheit, gekennzeichnet durch eine Verweigerung<br />

ausreichender Nahrungsaufnahme. Dies führt zu einem<br />

bedrohlichen Zustand von Unterernährung. AN ist<br />

gekennzeichnet durch einen absichtlich selbst herbeigeführten<br />

und/oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust. Die Patienten<br />

weigern sich, das Körpergewicht über einem minimalen, auf<br />

Alter und Körpergrösse bezogenem Gewicht zu halten.<br />

Intensive Furcht vor dem Dickwerden, ausgeprägte<br />

Körperwahrnehmungsstörung, bei Mädchen die (meist<br />

sekundäre) Amenorrhoe.<br />

Diagnostische Unterscheidung zwischen Anorexia Nervosa<br />

(Magersucht) und Bulimie (Ess-Brech-Sucht).<br />

Phänomenologie<br />

1. Das Körpergewicht wird absichtlich unter dem der<br />

Körpergrösse und dem Alter entsprechenden Minimum<br />

gehalten (Gewichtsverlust von 15% oder mehr).<br />

2. Starke Angst vor Gewichtszunahme oder vor dem<br />

Dickwerden, obgleich Untergewicht besteht.<br />

3. Störung der eigenen Körperwahrnehmung hinsichtlich<br />

Gewicht, Grösse oder Form.<br />

4. Bei Frauen aussetzen von mindestens drei<br />

aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen.<br />

5. Radikale Verhaltensweisen (sehr strenge Diäten,<br />

Abführmittel, Appetitzügler, Erbrechen, Ignorieren des<br />

Hungergefühls.<br />

6. Aktive sportliche Betätigung.


Psychische Konstellation<br />

Perfektionistische Musterkinder<br />

Familiäre Spannungen, Verlusterlebnisse oder Hänseleien<br />

wegen des Körperbaus häufig als Auslöser<br />

Gefährdung des Gleichgewicht des Familiensystems durch<br />

Wunsch nach Verselbständigung: Abwehr durch Erkrankung.<br />

Rollenunsicherheit bezüglich der sexuellen Identität<br />

Störung der positiven Identifikation mit der Mutter<br />

Identifikation mit der Rolle des Vaters bei<br />

leistungsorientierten Mädchen<br />

Übertrieben zwanghaft-kontrollierendes Figurbewusstsein<br />

und ritualisiertes Essverhalten bringen Gefühle der Macht und<br />

Stärke, die im Familienverband nicht erreicht werden<br />

Soziale Isolation, Kompensation durch Ehrgeiz.<br />

Therapie<br />

Schwierige klinische Behandlung, da sich die Patientinnen<br />

subjektiv gesund fühlen und ihre Abmagerung als die gute<br />

Lösung ihrer Probleme darstellen (Ernst der Krankheit muss<br />

verstehbar gemacht und Hilfsmöglichkeiten aufgezeigt<br />

werden).<br />

Häufig schriftlicher Behandlungsvertrag.<br />

Trennung der unterschiedlichen Aufgaben in der Betreuung<br />

(Ärztliche Betreuung und Gewichtsmanagement;<br />

einzeltherapeutische Betreuung; Familientherapie).<br />

Familienbild<br />

In der Familie existiert häufig die Regel, dass über negative<br />

Gefühle (Spannungen, Wut, Angst, Machtlosigkeit,<br />

Überforderung) nicht gesprochen wird. Diese Gefühle werden<br />

durch dauernde Beschäftigung mit Esskontrolle nicht<br />

wahrgenommen. Auch positive Gefühle (Freude,<br />

Geborgenheit, usf.) können oft nicht mehr wahrgenommen<br />

werden.<br />

Im Vordergrund steht der Kampf um Autonomie, der Kampf<br />

des Geistes gegen den Trieb: Mit dem Krankheitsgewinn<br />

entsteht das subjektive Gefühl der eigenen Vollkommenheit,<br />

die auf reiferer Ebene nicht erreichbar erscheint.<br />

Bulimia Nervosa (BN)<br />

Anlehnung des Begriffs an das griechische "bulimos"<br />

(„Ochsenhunger“)<br />

Berichte aus der Antike, doch erst seit der Veröffentlichung<br />

von Russel (1979) als "Bulimia nervosa" in ihren<br />

Eigenschaften wissenschaftlich beschrieben.


Definition<br />

Als Bulimia nervosa (BN) bezeichnet man<br />

Heisshungerattacken, gefolgt von selbstausgelöstem<br />

Erbrechen sowie Missbrauch von Medikamenten, um eine<br />

Gewichtszunahme zu verhindern. Damit verbunden sind<br />

grosser, psychologischer Schmerz als Reue und schlechtes<br />

Gewissen.<br />

Für das soziale Umfeld ist diese Form der Anorexie schlecht<br />

zu entdecken.<br />

Phänomenologie<br />

1. Starke Angst vor Gewichtszunahme und schwieriges<br />

Verhältnis zum Körper.<br />

3. Periodische Heisshungerattacken (1x/W. bis<br />

mehrmals/Tg.), gefolgt von unangemessenem<br />

Kompensationsverhalten (Erbrechen, Laxativa, Diuretika,<br />

Klistiere etc.).<br />

4. Verlust der Selbstkontrolle während der Attacken;<br />

Selbstekel, Scham, Enttäuschung über sich selbst.<br />

5. Übertriebene Verhaltensweisen (strenge Diäten,<br />

Abführmittel).<br />

6. Aktive sportliche Betätigung.<br />

Prävalenz & Prognose<br />

BN ist noch häufiger als AN, aber hohe Dunkelziffer.<br />

Prävalenzrate: 2% bis 4% in der Risikogruppe der 18 bis<br />

35-jährigen Frauen. 95% aller Erkrankten sind weiblich.<br />

Höheres Alter als bei AN.<br />

BN auch als Folge von AN<br />

Gute Prognose (50% bis 70% Heilungschancen), aber<br />

anhaltende, veränderte Symptomatik auch in späteren<br />

Lebensjahren.<br />

Psychische Konstellation<br />

Häufig hohe Selbstkontrolle<br />

Erfolgreiche Berufslaufbahn<br />

Oft negative Sexualerfahrungen<br />

Niedriges Selbstwertgefühl<br />

Starke Beeinflussung der Gefühlswelt<br />

Emotionale Einsamkeit trotz sozialer Integration<br />

"Mit-sich-selbst-ausmachen-müssen" führt zu seelischen<br />

Turbulenzen und depressiven Verstimmung<br />

Auslösung durch belastende Beziehungen, aber auch<br />

Belastung der Beziehungen.


Risikofaktoren für AN und BN<br />

Multikausale Erklärungsmuster!<br />

Soziokulturelle Faktoren (Schönheitsideale)<br />

Familiäre Faktoren (Harmoniebestreben, Verstrickungen etc.)<br />

Persönlichkeitsmerkmale (Perfektionismus)<br />

Genetische/physiologische Faktoren (Risiko bei biol.<br />

Verwandten höher)<br />

Kritische Lebensereignisse (Sexueller Missbrauch,<br />

Trennungen)<br />

-> Prädispositionaler Charakter der Risikofaktoren; voll<br />

entwickelte Essstörungen entstehen aber erst durch deren<br />

Interaktion.<br />

Prävalenz & Prognose<br />

Ess-, Gewichts- und Bewegungsprobleme bei Jugendlichen<br />

massiv im Steigen begriffen; z.T. gravierende psychische,<br />

volkswirtschaftliche und medizinische Auswirkungen.<br />

Nur begrenzte Vergleichbarkeit a.g. unterschiedlicher<br />

Definitionen und Messmethoden<br />

ca. 0.5% morbide Adipositas; ca. 10% Adipositas; 10%<br />

Übergewicht<br />

Prävention erfolgreich, konservative Behandlung nicht<br />

sehr erfolgreich.<br />

Normative Essprobleme: Adipositas<br />

Adipositas als Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit, auch<br />

Übergewicht mit psychischen Störungen;<br />

Definition: übermässige Vermehrung des Fettgewebes, das<br />

mit einem gesundheitlichen Risiko einhergeht.<br />

WHO (1998) BMI-Klassifikation (für Erw., auch für Ju)<br />

Phänomenologie<br />

Keine einheitlichen Persönlichkeitszüge<br />

viele Alltagstheorien (Panzer anessen; sexueller<br />

Missbrauch etc.)<br />

Eingeschränktes Bewegungsverhalten<br />

Kognitiv übersteuerte natürliche Hunger- und<br />

Sättigungsgrenzen<br />

nicht beherrschbarer Drang nach übermässigem Essen<br />

fliessende Übergänge zwischen Essstörungen und<br />

Adipositas


Diäthalten<br />

Schönheitsideal: Grenze zwischen Norm und Störung<br />

Diätverhalten heute in einer grauen Zone<br />

Prävalenz<br />

Bei Mädchen seit Jahrzehnten zwischen 30% und 40%;<br />

Lebenszeitprävalenzen höher (60% in achter Kl.)<br />

Geschlechtsspezifik, aber bei Jungen auch relativ hohe<br />

Raten<br />

Fend: Diäthalten als normativ in westlichen Kulturen<br />

aus: Smash-Report, 2002<br />

Flammer & Alsacker (2001, S. 269)<br />

(Diäthalten von Jungen und Mädchen in der Schweiz und in<br />

Norwegen)


Phänomenologie/Prädiktoren<br />

Mädchen: Nicht das Gewicht, sondern die Wahrnehmung des<br />

relativen Gewichts und die Gedanken über Essen und<br />

Gewicht als zentrale Faktoren<br />

Jungen: Absolutes Gewicht zentraler Faktor<br />

-> Werbung<br />

-> Einstellung näherer Bezugspersonen<br />

Diäthalten ist ein starker Prädiktor für Essstörungen.<br />

Intervention/Therapie<br />

Prävention<br />

Problematisierung des vorherrschenden anorektischen<br />

Schönheitsideals.<br />

Protektive Faktoren: Verringerung der gestörten Einstellungen<br />

gegenüber Gewicht und Körper (Stärkung des<br />

Selbstbewusstseins, Selbstvertrauens und der<br />

Selbstwirksamkeit, Konflikt- und Problemlösefähigkeit.<br />

Hohe Bedeutung des Einbezugs der Eltern zur Aufklärung<br />

über Risikofaktoren (zu hohe Kontrolle des kindlichen<br />

Essverhaltens, Trösten durch Lieblingsessen, Auslassen von<br />

Mahlzeiten, negative Kommentare über die eigene und die<br />

Figur des Kindes).<br />

Aufklärung der Eltern über salutogene Faktoren.<br />

Günstiges Ess- und Bewegungsverhalten.<br />

Fazit: den eigenen Körper gestalten?<br />

Jugendzeit als Zeit harter Körperarbeit: Veränderung des<br />

Erscheinungsbildes durch Kleidung und aktive<br />

Selbstgestaltung<br />

Zunahme der Intensität der Körperpflege:<br />

Entwicklungsspezifische Kosmetik (Haut- und Haarpflege);<br />

Korrektur der Stellung der Zähne<br />

Zunahme an Körperfetten in der Pubertät bei Mädchen ca.<br />

11kg (Gewichtsprobleme in dieser Hinsicht als Anstemmen<br />

gegen natürliche Entwicklungsprozesse); Gewichtsprobleme<br />

in USA als ‚nationale Obsession‘<br />

Therapie und Beratung<br />

Für Menschen mit potentiellen Suchtanteilen,<br />

Essstörungskomorbidität bzw. Essstörungsgefährdung<br />

müssen Interventionen vorgesehen werden, die in gängigen<br />

Adipositasprogrammen nicht hinreichend berücksichtigt<br />

sind.<br />

Bei Kindern und Jugendlichen ist die Einbeziehung und<br />

Schulung der Eltern sehr wichtig.<br />

Extreme sind insbesondere im Gruppenkontext (Schulen)<br />

zu vermeiden, da sportliche Betätigung einen der stärksten<br />

Prädiktoren des Rückfalls von AnorektikerInnen darstellt.

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