Der Paläo-Zoo, Teil 3: Die Seweckenberge - Zoo Schwerin
Der Paläo-Zoo, Teil 3: Die Seweckenberge - Zoo Schwerin
Der Paläo-Zoo, Teil 3: Die Seweckenberge - Zoo Schwerin
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Ursus, Mitteilungsblatt des <strong>Zoo</strong>vereins und des <strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 17. Jahrgang (Juli 2011), Heft 1, BRAUCKMANN C. & E. GRÖNING: <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 3: <strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> bei Quedlinburg – Typ-Lokalität für ein fossiles Fabelwesen: 63-67, 6 Abb., <strong>Schwerin</strong>.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 3: <strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> bei Quedlinburg –<br />
Typ-Lokalität für ein fossiles Fabelwesen*)<br />
*) <strong>Teil</strong> 1: GRÖNING & BRAUCKMANN (2010);<br />
<strong>Teil</strong> 2: GRÖNING & BRAUCKMANN (2011, dieses Heft)<br />
Kurzfassung<br />
Einer der frühesten Versuche, ein fossiles Säugetier<br />
durch passgenaues Zusammensetzen der Knochen<br />
zu rekonstruieren, wurde vom damaligen<br />
Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke<br />
(1602-1686) unternommen. Hierauf basiert unter<br />
anderem die berühmte Einhorn-Abbildung von<br />
Gottfried Wilhelm Frhr. von Leibniz (1646-1716)<br />
in dessen postum erschienenen „Protogaea“ (1749).<br />
Zumindest das fossile Knochen-Material hierzu<br />
stammt aus einer Gips-Schlotte in den<br />
<strong>Seweckenberge</strong>n OSO von Quedlinburg im<br />
nördlichen Harz-Vorland. Insgesamt sind an diesem<br />
Rekonstruktions-Versuch fossile und rezente<br />
Knochen unterschiedlichster Tierarten beteiligt:<br />
Narwal (rezent, natürlich nicht aus dem Harz-<br />
Vorland), Huftiere (wohl auch Woll-Nashorn) und<br />
Wollhaar-Mammut (beide fossil). Wollte man eine<br />
Typ-Region für v. Guerickes fossiles Fabelwesen<br />
eingrenzen, so wären das somit die <strong>Seweckenberge</strong>.<br />
Gäbe es tatsächlich fossile Einhörner, so kämen als<br />
wissenschaftlicher Name die auch schon früher in<br />
der Literatur verwendeten Begriffe Unicornu fossile<br />
oder Monoceros fossilis in Frage.<br />
Einleitung<br />
Bei den Vorbereitungen zu einer reich bebilderten<br />
Darstellung von heute lebenden und ausgestorbenen<br />
Pferde-Arten sowie Pferde-Verwandten und<br />
pferdeähnlichen Lebewesen (GRÖNING et al., in<br />
Vorb.) stießen wir – wieder einmal – auf Einhörner<br />
und damit auch auf die berühmte, aus Knochen<br />
unterschiedlichster rezenter und fossiler Tiere<br />
zusammengesetzte Rekonstruktion eines Einhorns<br />
durch Otto von Guericke (1602-1686). <strong>Die</strong> dabei<br />
von v. Guericke verwendeten fossilen Knochen<br />
wurden 1663 im Wesentlichen in einer Gips-<br />
Schlotte in den <strong>Seweckenberge</strong>n OSO Quedlinburg<br />
und damit im nördlichen Harz-Vorland geborgen.<br />
Gäbe es tatsächlich fossile Einhörner, so käme als<br />
wissenschaftlicher Name die auch schon früher in<br />
der Literatur verwendeten Begriffe Unicornu fossile<br />
(z. B. bei VALENTINI 1714) oder Monoceros fossilis<br />
in Frage. In diesem Falle müsste man, wie in der<br />
Biologie und <strong>Paläo</strong>ntologie für neu aufgestellte<br />
Arten durch Nomenklatur-Regeln (vgl. IKZN 2000)<br />
vorgeschrieben, eine Typ-Lokalität (oder -Region)<br />
für v. Guerickes Einhorn eingrenzen. Das wären<br />
dann die <strong>Seweckenberge</strong>.<br />
Als Typ-Lokalität (= locus typicus) bezeichnet man<br />
in der Biologie und <strong>Paläo</strong>ntologie die Fundstelle,<br />
von der das Urstück (= Holotypus, Lectotypus oder<br />
CARSTEN BRAUCKMANN & ELKE GRÖNING<br />
63<br />
Neotypus; neutral: Typus) stammt, also das<br />
Exemplar, durch das die neue Art geeicht und<br />
definiert ist. Für fossile Arten ist zudem die<br />
möglichst genaue Angabe der Fund-Schicht (=<br />
stratum typicum) nötig; für die hier gemeinten<br />
fossilen Knochen von den <strong>Seweckenberge</strong>n ist dies<br />
das Eiszeitalter (= Pleistozän). Bei späteren<br />
Revisionen einer Art ist die genaue Kenntnis dieses<br />
Urstücks von besonderer Bedeutung.<br />
Abb. 1: <strong>Teil</strong> der <strong>Seweckenberge</strong> OSO Quedlinburg,<br />
Umgebung der Typ-Lokalität für das Guericke-<br />
Einhorn, Ansicht von Süden (Foto: Carsten<br />
Brauckmann, 08.08.2010).<br />
Fossilien spielen von alters her eine Rolle im<br />
Volksglauben, worüber in jüngerer Zeit vor allem<br />
THENIUS & VÁVRA (1996) zusammenfassend<br />
berichtet haben. Zu solchen Funden zählen unter<br />
anderem auch Knochen pleistozäner Säugetiere wie<br />
Mammut, Woll-Nashorn und Riesenhirsch, welche<br />
die Menschen damals noch nicht kannten und<br />
deshalb nicht richtig deuten konnten. Fehlendes<br />
Wissen wurde durch die Phantasie ersetzt und so<br />
verknüpfte man die Rätsel-Knochen flugs mit<br />
Fabelwesen wie zum Beispiel dem Einhorn. <strong>Die</strong>ses<br />
Thema ist in den letzten Jahren auch gelegentlich in<br />
Sonderausstellungen einiger Museen aufgegriffen<br />
und in begleitenden Schriften behandelt worden (u.<br />
a. OEKENTORP 1994). <strong>Die</strong> Einhorn-Saga ist<br />
wahrscheinlich indischen und südostasiatischen<br />
Ursprungs und wurde von Erzählungen und<br />
Gerüchten Reisender über große, mächtige Tiere<br />
mit einem Horn auf der Nase genährt. Mammut-<br />
Stoßzahn-Funde ließen sich trefflich mit<br />
Einhörnern verbinden und waren begehrt, da von<br />
mythischen Tieren Wunder-Heilkräfte erwartet und<br />
deren Überreste somit in Apotheken gehandelt<br />
wurden.
Ursus, Mitteilungsblatt des <strong>Zoo</strong>vereins und des <strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 17. Jahrgang (Juli 2011), Heft 1, BRAUCKMANN C. & E. GRÖNING: <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 3: <strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> bei Quedlinburg – Typ-Lokalität für ein fossiles Fabelwesen: 63-67, 6 Abb., <strong>Schwerin</strong>.<br />
Abb. 2: Vereinfachtes geologisches Blockbild der <strong>Seweckenberge</strong> OSO Quedlinburg (verändert und neu<br />
gezeichnet nach WAGENBRETH & STEINER 1990: 63).<br />
Mammut-Stoßzähne fungierten dabei als „Unicornu<br />
verum“, als „echtes Einhorn“ und wurden<br />
glücklicherweise den Narwal-Stoßzähnen =<br />
„Unicornu falsum“, dem „falschen Einhorn“<br />
vorgezogen, was manchem Narwal vielleicht das<br />
Leben bewahrt hat. Vor allem die Männchen dieser<br />
Waltiere haben (meist) den linken oberen<br />
Schneidezahn extrem verlängert (2 bis 3 m Länge)<br />
und spiralig verdreht. <strong>Die</strong> wirklich „echten“<br />
Einhörner, nämlich die des Indischen<br />
Panzernashorns, sind früher wohl nur selten nach<br />
Europa gelangt. Weitere Stoff-Lieferanten für<br />
dieses Fabelwesen waren das Wollhaar-Nashorn,<br />
neben dem Mammut noch eine weitere tertiärzeitliche<br />
Elefanten-Gattung: Gomphotherium, der<br />
Höhlenbär, der Auerochse sowie die Sulaiman-<br />
Schraubenziege. <strong>Die</strong> letzteren beiden Paarhufer<br />
haben ihre gespaltenen Hufe oder Klauen wohl in<br />
viele altertümliche Einhorn-Darstellungen<br />
eingebracht. Das Einhorn-Pferd ist dagegen eine<br />
recht junge Neudeutung.<br />
Zur Topographie und Geologie der<br />
<strong>Seweckenberge</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> [früher auch: Zeunickenberg<br />
(THENIUS & VÁVRA 1996: 32; NIELBOCK 2004: 24)<br />
oder Zivikenberg (OEKENTORP 1994: 62)] sind ein<br />
markanter, rund 5 km langer und bis zu etwa 2 km<br />
breiter Höhenrücken OSO von Quedlinburg<br />
(zwischen den Ortschaften Quedlinburg und<br />
Badeborn) im östlichen (sachsen-anhaltinischen)<br />
Anteil des nördlichen Harz-Vorlandes (Abb. 1).<br />
Ihre genaue Lage ist jedem guten Straßen-Atlas<br />
leicht zu entnehmen. <strong>Die</strong> höchste Erhebung mit<br />
64<br />
214,8 m über NN liegt beim östlichen Drittel des<br />
Rückens gut 100 m OSO der Seweckenwarte. Auf<br />
diesem flachen, abgerundet rechteckigen Hügel lag<br />
nach STOLBERG (1983: 343-344) die<br />
Seweckenburg, von der heute nur noch die<br />
freigelegten Fundamente eines kleinen Turms und<br />
das ihn umgebende System aus zwei Gräben mit<br />
Zwischenwall erkennbar sind. <strong>Der</strong> nördliche Anteil<br />
der Burganlage ist durch den unmittelbar<br />
angrenzenden Gips-Bruch zerstört. <strong>Die</strong><br />
Seweckenwarte selbst ist die Ruine eines<br />
Rundturms, der vermutlich im 14. Jahrhundert als<br />
Warte angelegt wurde. Um 750 m SSO der<br />
Seweckenwarte liegt die kleine Siedlung Gersdorfer<br />
Burg. Sie gruppiert sich um ein Gut, das sich<br />
wiederum an eine mittelalterliche Burg anschließt.<br />
<strong>Die</strong>se geht möglicherweise auf eine schon im Jahre<br />
961 urkundlich erwähnte Anlage zurück<br />
(STOLBERG 1983: 108). Heute dominiert auf dem<br />
etwa 40 x 40 m 2 großen Burgplatz vor allem der<br />
achteckige Bergfried.<br />
<strong>Die</strong> sehr komplizierten geologischen Verhältnisse<br />
der <strong>Seweckenberge</strong> sind im Detail auf der<br />
Geologischen Karte 1:25 000 Blatt 4233<br />
Ballenstedt und in den zugehörigen Erläuterungen<br />
(WEISSERMEL 1926) sowie in der modernen<br />
„Geologischen Karte Harz 1 : 100 000“ dargestellt.<br />
Eine aktuelle Übersicht im Zusammenhang mit dem<br />
gesamten nördlichen Harz-Vorland in Sachsen-<br />
Anhalt liefern KNAPPE & TRÖGER (1988) sowie<br />
PATZELT (2003). WAGENBRETH & STEINER (1990)<br />
veranschaulichen den geologischen Bau in einem<br />
sehr eindrucksvollen Block-Diagramm (hier neu<br />
gezeichnet in Abb. 2).
Ursus, Mitteilungsblatt des <strong>Zoo</strong>vereins und des <strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 17. Jahrgang (Juli 2011), Heft 1, BRAUCKMANN C. & E. GRÖNING: <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 3: <strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> bei Quedlinburg – Typ-Lokalität für ein fossiles Fabelwesen: 63-67, 6 Abb., <strong>Schwerin</strong>.<br />
Abb. 3: Otto von Guerickes Einhorn in der<br />
Wiedergabe in VALENTINI (1714) (hier<br />
Neuzeichnung durch Elke Gröning, nach<br />
OEKENTORP 1994). Im Original mit dem<br />
beigefügten „Artnamen“: Unicornu fossile.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> sind <strong>Teil</strong> des östlichen<br />
Abschnitts vom Quedlinburger Sattel innerhalb der<br />
Subherzyn-Kreide-Mulde. Gebildet werden sie<br />
durch die harten, nur schwer verwitternden<br />
Muschelkalk-Schichten im Kern eines sehr steilen,<br />
symmetrisch angelegten Sattels. <strong>Die</strong> Muschelkalk-<br />
Schichten der nördlichen und südlichen Sattel-<br />
Flanken fallen dabei an der Erd-Oberfläche<br />
zunächst fast senkrecht ein (Abb. 2). Eingelagert<br />
sind die Gips-Vorkommen in die Schichtfolge des<br />
Mittleren Muschelkalks. <strong>Die</strong>se besteht im<br />
Wesentlichen aus dolomitischem Mergel, Zellen-<br />
Kalkstein und Gips, also einer Salinar-Abfolge, die<br />
durch Eindampfung von salzhaltigen Meeres-<br />
Wässern abgelagert wurde. Da die Gips-<br />
Vorkommen nahezu senkrecht einfallen, können sie<br />
sich trotz ihrer relativ geringen Mächtigkeiten<br />
stellenweise tief in den Untergrund fortsetzen. Bei<br />
der Auslaugung der oberflächennahen Salzgesteine<br />
haben sich dadurch recht tiefe, fallenähnliche<br />
Erdfälle, Schlotten und Dolinen gebildet, in welche<br />
die pleistozänen Wirbeltiere hineingelangt sind.<br />
Auch der Abbau der Gips-Vorkommen durch die<br />
Menschen wurde dadurch ergiebig.<br />
In den Gips-Schlotten und -Brüchen der<br />
<strong>Seweckenberge</strong> fanden Steinbruch-Arbeiter<br />
entsprechend immer wieder einmal Zähne und<br />
Knochen von pleistozänen Säugetieren, darunter<br />
65<br />
eben auch diejenigen, die Otto von Guericke (1672)<br />
als Einhorn deutete und zusammensetzte. Eine<br />
umfangreichere Übersicht lieferte zum Beispiel der<br />
bekannte <strong>Zoo</strong>loge und Spezialist für pleistozäne<br />
Wirbeltiere Alfred NEHRING (1845-1904), der kurz<br />
vor seinem Tode (1904) aus einer einzelnen<br />
Schlotte Reste von einer Frosch-Art sowie von 5<br />
Vogel- und 20 Säugetier-Arten beschrieben hat.<br />
Unter den Großsäugern befinden sich unter<br />
anderem Bär (artlich nicht bestimmt), Riesenhirsch,<br />
Ren, Wildpferd und Woll-Nashorn („Rhinoceros<br />
tichorhinus“ = Coelodonta antiquitatis).<br />
<strong>Die</strong> Knochen von den <strong>Seweckenberge</strong>n<br />
[historische Zitate nach PUHLE (2002) bzw.<br />
PELLMANN sowie ROST in PUHLE (2002)]<br />
Otto von Guericke erwähnt die 1663 gefundenen<br />
und von ihm zu einem Einhorn-Skelett<br />
zusammengestellten Knochen von den<br />
<strong>Seweckenberge</strong>n erstmals 1672. Abgebildet hat die<br />
Rekonstruktion zuerst VALENTINI (1714; siehe u.a.<br />
in OEKENTORP 1994: Abb. 6; hier Abb. 3). <strong>Die</strong><br />
bekannteste Wiedergabe stammt von LEIBNIZ<br />
(1749) (Abb. 4).<br />
Abb. 4: Otto von Guerickes Einhorn nach der<br />
Wiedergabe in LEIBNIZ (1749) (hier Neuzeichnung<br />
durch Elke Gröning).<br />
<strong>Die</strong>se interessante geschichtliche Darstellung ist in<br />
der Literatur weit verbreitet, und daher ist es nicht<br />
verwunderlich, dass inzwischen auch viele schöne<br />
dreidimensionale Nachbauten die Museen<br />
verschönern und vor allem Eingangs-Bereiche<br />
zieren (Abb. 5).
Ursus, Mitteilungsblatt des <strong>Zoo</strong>vereins und des <strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 17. Jahrgang (Juli 2011), Heft 1, BRAUCKMANN C. & E. GRÖNING: <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 3: <strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> bei Quedlinburg – Typ-Lokalität für ein fossiles Fabelwesen: 63-67, 6 Abb., <strong>Schwerin</strong>.<br />
Hierbei sind dann oft eindeutig bestimmbare<br />
Knochen-Abgüsse zum Einsatz gekommen.<br />
Das Guericke-Einhorn zeigt erwartungsgemäß, dass<br />
damals noch keine Kenntnisse über<br />
Knochenanatomie vorhanden waren.<br />
Abb. 5: Otto von Guerickes Einhorn in einer<br />
Modell-Rekonstruktion durch Urs Oberli (St.<br />
Gallen, Schweiz), Kunststoff mit tragender<br />
Stahlrohr-Konstruktion, im Besitz der<br />
Stadtsparkasse Magdeburg, als Dauerleihgabe<br />
aufgestellt im Museum für Naturkunde Magdeburg<br />
(Foto: Carsten Brauckmann)<br />
<strong>Die</strong> Zeichnung ist aber auch so grob und vage<br />
gehalten, dass die Art-Zugehörigkeit der beteiligten<br />
Elemente kaum entschieden werden kann.<br />
Schulterblätter und Extremitäten sollen vom<br />
Wollhaar-Mammut = Mammuthus primigenius<br />
stammen. Wenn ja, dann besteht wohl der „Ober“-<br />
wie auch der „Unterarm“ aus Femora, also<br />
Oberschenkel-Knochen. <strong>Der</strong> nachfolgende Skelett-<br />
Anteil, hauptsächlich Wirbel und Rippen, ist<br />
komplett unspezifisch gehalten. <strong>Der</strong> Schädel soll<br />
der eines Woll-Nashorns sein. Wenn ja, ist dies<br />
nicht zu erkennen.<br />
66<br />
Das betrifft Schädelform, Proportionen und<br />
Bezahnung:<br />
Coelodonta antiquitatis = Woll-Nashorn:<br />
Vordergebiss komplett reduziert, oben sieben und<br />
unten 6 Backenzähne (Prämolaren und Molaren);<br />
Schädelform – oben eher konkav, unten konvex;<br />
charakteristisch für die Art ist eine verknöcherte,<br />
auffällige Nasenscheidewand, die zusammen mit<br />
dem Nasenbein einen kräftigen T-Träger für das<br />
lange Horn bildet.<br />
Einhorn-Schädel: Je zwei Schneidezähne oben und<br />
unten, es folgt eine Lücke = Diastema zu den recht<br />
kräftig dargestellten Backenzähnen, je 3 oben und<br />
unten; Schädel oben konvex; der Nasenbereich war<br />
vielleicht abgebrochen und ist daher nicht<br />
dargestellt. Insgesamt würde ein Wildpferd- oder<br />
Riesenhirsch-Schädel besser zur Einhorn-Skizze<br />
passen, deren Vorkommen für die <strong>Seweckenberge</strong><br />
ja auch belegt ist. Genau wird man dies nie<br />
erfahren, denn die Reste des originalen Guericke-<br />
Einhorns sollen nach einem vehementem<br />
Rechtsstreit an die Äbtissin des Klosters<br />
Quedlinburg übergeben und später verschenkt<br />
worden sein, so dass sich dieses interessante<br />
Exponat früher Säugetierforschung jeder weiteren<br />
Betrachtung und Erforschung entzogen hat und wie<br />
die sagenhaften Einhörner seinen Wohnsitz nur<br />
noch in dem für die Phantasie zuständigen<br />
menschlichen Kopf-Abschnitt besitzt (Abb. 6).<br />
Abb. 6: „Moderne Einhorn-Gesamtrekonstruktion“,<br />
bei der vor allem nashornartige Merkmale<br />
Berücksichtigung fanden; das Horn ähnelt hier<br />
oberjurassischen marinen Schnecken der Gattung<br />
Nerinea. Originalgröße 56 x 76 cm, Pastell-Kreide,<br />
von Dr. Elke Gröning, Clausthal<br />
(siehe auch Titelseite dieser Zeitschrift)<br />
Dank<br />
Frau Dr. CHRISTIANE HEINEMANN (Museum für<br />
Naturkunde Magdeburg) und Herrn Prof. Dr.<br />
KLEMENS OEKENTORP (Universität Münster)<br />
verdanken wir wichtige Literatur-Hinweise, Herrn<br />
Dr. HANS PELLMANN (ebenfalls Museum für<br />
Naturkunde Magdeburg) sowie der Stadtsparkasse<br />
Magdeburg die Erlaubnis, hier ein Foto des im<br />
Museum für Naturkunde Magdeburg aufgestellten<br />
Einhorn-Modells verwenden zu dürfen.
Ursus, Mitteilungsblatt des <strong>Zoo</strong>vereins und des <strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 17. Jahrgang (Juli 2011), Heft 1, BRAUCKMANN C. & E. GRÖNING: <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 3: <strong>Die</strong> <strong>Seweckenberge</strong> bei Quedlinburg – Typ-Lokalität für ein fossiles Fabelwesen: 63-67, 6 Abb., <strong>Schwerin</strong>.<br />
Literatur<br />
Geologisches Landesamt Sachsen-Anhalt in<br />
Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen<br />
Landesamt für Bodenforschung (Hrsg.) (1998):<br />
Geologische Karte Harz 1: 100.000. Mit<br />
Erläuterungen auf der Rückseite. – Halle.<br />
GRÖNING, E. & C. BRAUCKMANN (2010): <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 1: Mammut und Woll-Nashorn. –<br />
Ursus. Mitteilungsblatt des <strong>Zoo</strong>vereins und des<br />
<strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 16 (1): 54-56, Titelbild, Abb. 2,<br />
Tab. 1; <strong>Schwerin</strong>.<br />
GRÖNING, E. & C. BRAUCKMANN (2011): <strong>Der</strong><br />
<strong>Paläo</strong>-<strong>Zoo</strong>, <strong>Teil</strong> 2: Südamerikaner – selten und<br />
seltsam (Macrauchenia, Toxodon, Megatherium,<br />
Glyptodon). – Ursus. Mitteilungsblatt des<br />
<strong>Zoo</strong>vereins und des <strong>Zoo</strong>s <strong>Schwerin</strong>, 17 (1): 57-62;<br />
<strong>Schwerin</strong>.<br />
GRÖNING, E., BRAUCKMANN, C. & B.<br />
BRAUCKMANN (in Vorb.): Merk-würdige Pferde-<br />
Verwandtschaft.<br />
GUERICKE, O. v. (1672): Ottonis de Guericke<br />
Experimenta Nova (ut vocandur) Magdeburgica de<br />
vacuo spatio (5. Buch, 3. Kapitel); Amsterdam<br />
(Johann Jansson van Waesberge). [Zitiert nach<br />
PELLMANN in PUHLE (2002).]<br />
IKZN = Internationale Kommission für<br />
<strong>Zoo</strong>logische Nomenklatur (2000): Internationale<br />
Regeln für die <strong>Zoo</strong>logische Nomenklatur. 4.<br />
Auflage. Angenommen von (der) International<br />
Union of Biological Sciences. Offizieller deutscher<br />
Text, ausgearbeitet von Otto KRAUS. –<br />
Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen<br />
Vereins in Hamburg, Neue Folge, 34: 1-232;<br />
Keltern-Weiler (Goecke & Evers).<br />
KNAPPE, H. & K.-A. TRÖGER (1988): <strong>Die</strong><br />
Geschichte von den neun Meeren. Ursprung des<br />
nördlichen Harzvorlandes. – Harzmuseum<br />
Wernigerode, 19/20: 105 S., 91 Abb., 1 geol. Karte;<br />
Wernigerode.<br />
LEIBNIZ, G. W. (1749): Protogaea. – Deutsche<br />
Fassung, aus dem Nachlaß herausgegeben von<br />
SCHEID, Chr. L.; Göttingen (Johann Wilhelm<br />
Schmid). [Zitiert nach PUHLE (2002).]<br />
NEHRING, A. (1904): Diluviale Wirbeltier-Reste<br />
aus einer Schlote (sic!) des Seveckenberges bei<br />
Quedlinburg. – Zeitschrift der Deutschen<br />
Geologischen Gesellschaft, 56: 290-303, Taf. 22;<br />
Berlin.<br />
NIELBOCK, R. (2004): Wie das Einhorn „erfunden“<br />
wurde. – Unser Harz, 52 (2): 23-24, Abb. 1-2;<br />
Clausthal-Zellerfeld.<br />
OEKENTORP, K. (1994): Fossilien in Mythos und<br />
Volksglauben: Einhorn und Mammut. – Natur- und<br />
Landschaftskunde, 30: 60-66, Abb. 1-8;<br />
Münster/Westfalen.<br />
PATZELT, G. (2003): Nördliches Harzvorland<br />
(Subherzyn), östlicher <strong>Teil</strong>. – Sammlung<br />
Geologischer Führer, 96: VII + 182 S., 50 Abb., 1<br />
Tab.; Berlin, Stuttgart (Gebr. Borntraeger).<br />
PELLMANN, H. (2002): Katalog-Nr. 286.<br />
Skelettrekonstruktion des Einhorns von<br />
Quedlinburg. – In: PUHLE, M. (Hrsg.): <strong>Die</strong> Welt im<br />
67<br />
leeren Raum. Otto von Guericke (1602-1686): 375-<br />
376, 1 Abb.; München, Berlin (Deutscher<br />
Kunstverlag).<br />
PUHLE, M. [Hrsg.] (2002): <strong>Die</strong> Welt im leeren<br />
Raum. Otto von Guericke (1602-1686): 480 S.;<br />
München, Berlin (Deutscher Kunstverlag).<br />
ROST, A. (2002): Das fabelhafte Einhorn. <strong>Die</strong><br />
Rekonstruktion eines fossilen Wirbeltieres durch<br />
Otto von Guericke. – In: PUHLE, M. (Hrsg.): <strong>Die</strong><br />
Welt im leeren Raum. Otto von Guericke (1602-<br />
1686): 120-132, Abb. 1-8; München, Berlin<br />
(Deutscher Kunstverlag).<br />
STOLBERG, F. (1983): Befestigungsanlagen im und<br />
am Harz von der Frühgeschichte bis zur Neuzeit.<br />
Ein Handbuch. 2. unveränderte Auflage. – 484 S.,<br />
zahlreiche Grundriß-Darstellungen, 2<br />
Übersichtskarte; Hildesheim (August Lax<br />
Verlagsbuchhandlung).<br />
THENIUS, E. & N. VÁVRA (1996): Fossilien im<br />
Volksglauben und im Alltag. Bedeutung und<br />
Verwendung vorzeitlicher Tier- und Pflanzenreste<br />
von der Steinzeit bis heute. – Senckenberg-Buch,<br />
71: 179 S., 197 Abb.; Frankfurt am Main.<br />
VALENTINI, M. B. (1714): Museum Museorum,<br />
Schaubühne oder Natur- und Materialienkammer. –<br />
Frankfurt am Main. [Zitiert nach PUHLE (2002).]<br />
WAGENBRETH, O. & W. STEINER (1990):<br />
Geologische Streifzüge. Landschaft und<br />
Erdgeschichte zwischen Kap Arkona und<br />
Fichtelberg. – 4. unveränderte Auflage: 204 S., 70<br />
Farbfotos, 12 Schwarzweißfotos, 117 geologische<br />
Blockbilder; Leipzig (Deutscher Verlag für<br />
Grundstoffindustrie).<br />
WEISSERMEL, W. (1926): Blatt Ballenstedt<br />
[heutige Blatt-Nummer: 4233]. – Erläuterungen zur<br />
Geologischen Karte von Preußen und benachbarten<br />
deutschen Ländern, Lieferung 217, Blatt 18: 80 S.;<br />
Berlin (Preußische Geologische Landesanstalt).<br />
Anschrift der Verfasser:<br />
Prof. Dr. Carsten Brauckmann & Dr. Elke Gröning,<br />
Institut für Geologie und <strong>Paläo</strong>ntologie, Technische<br />
Universität Clausthal, Leibnizstraße 10, D-38678<br />
Clausthal-Zellerfeld;<br />
Carsten.Brauckmann@tu-clausthal.de und<br />
Elke.Groening@tu-clausthal.de