Schmerztherapie in der Privatpraxis - Zantomed
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Kl<strong>in</strong>isches Update „Myoarthropathien“ (MAP)<br />
Schmerzhafte Beschwerden <strong>der</strong> Kaumuskulatur und <strong>der</strong> Kiefergelenke<br />
Dr. med. dent. Horst Kares<br />
In den letzten Jahren nimmt das Thema<br />
Myoarthropathien (MAP, <strong>in</strong> Deutschland auch<br />
kraniomandibuläre Dysfunktionen, CMD genannt),<br />
e<strong>in</strong>en immer grösseren Raum <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
zahn ärztlichen Fachliteratur e<strong>in</strong>. Dies entspricht<br />
<strong>der</strong> Realität aus dem praktischen Alltag e<strong>in</strong>es<br />
Zahnarztes, <strong>der</strong> immer häufiger mit Patienten<br />
konfrontiert wird, die über schmerzhafte Beschwerden<br />
<strong>der</strong> Kau- und Kopfmuskulatur sowie<br />
<strong>der</strong> Kiefergelenke klagen. Verwirrend für<br />
den Praktiker ist allerd<strong>in</strong>gs die fehlende Kongruenz<br />
<strong>der</strong> diagnostischen und therapeutischen<br />
Vorschläge <strong>in</strong> Veröffentlichungen und<br />
Kongressen. Diese Übersichtsarbeit versucht<br />
nun e<strong>in</strong>en wissenschaftlich fundierten Überblick<br />
über den <strong>in</strong>ternationalen Konsens auf<br />
diesem Gebiet zu verschaffen. Auf Grundlage<br />
<strong>der</strong> Evidence based Medec<strong>in</strong>e EbM (29), werden<br />
s<strong>in</strong>nvolle Verfahren aus Diagnostik und<br />
Therapie von schmerzhaften CMD geschil<strong>der</strong>t,<br />
aus <strong>der</strong> Praxis und für die Praxis.<br />
Evidence-based Medic<strong>in</strong>e<br />
(nach Gordon Guyatt, McMaster University,<br />
Kanada)<br />
• Interne Evidenz: kl<strong>in</strong>ische Erfahrung des<br />
Behandlers<br />
• Externe Evidenz: aktuell verfügbares<br />
wissenschaftliches Wissen<br />
• Wünsche des Patienten: Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> persönlichen Situation<br />
Während die klassische universitäre Ausbildung<br />
im Wesentlichen auf dem Wissensstand<br />
und <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> jeweiligen Lehrstuhl<strong>in</strong>haber<br />
basiert, ruht die Praxis <strong>der</strong> EbM breit<br />
auf drei Säulen: Der Expertise des Arztes, den<br />
aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Erkennt<br />
nissen und den Wünschen des Patienten.<br />
„Goldstandard“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaft s<strong>in</strong>d<br />
systematische Übersichtsarbeiten, wie u.a. von<br />
<strong>der</strong> Cochrane Collaboration. Für Zahnärzte beson<strong>der</strong>s<br />
<strong>in</strong>teressant ist die „Oral Health Group“<br />
<strong>der</strong> Cochrane Collaboration (9). In vielen Län<strong>der</strong>n<br />
ist die EbM Grundlage für die Studentenausbildung<br />
geworden und <strong>der</strong> praktisch tätige<br />
Zahnarzt wird nicht umh<strong>in</strong> kommen, sich<br />
damit zu befassen. In <strong>der</strong> Praxis sollte e<strong>in</strong><br />
Um denken stattf<strong>in</strong>den von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>gleisigen<br />
Krankheitsbehandlung zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>teraktiven<br />
Ma na gement von kranken Menschen mit all<br />
se<strong>in</strong>en Wünschen und wirtschaftlichen Problemen<br />
(72, 45).<br />
F<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung dieser Faktoren<br />
statt, kann das zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen<br />
führen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Me<strong>in</strong>ung seit langem angeprangert werden<br />
(36, 59).<br />
Was s<strong>in</strong>d MAP?<br />
International spricht man bei Schmerzen <strong>der</strong><br />
Kaumuskulatur und/o<strong>der</strong> Kiefergelenke von<br />
Temporomandibular Disor<strong>der</strong>s TMD (Okeson<br />
2005) und im deutschen Sprachraum werden<br />
die Begriffe kraniomandibuläre Dysfunktion<br />
(CMD) o<strong>der</strong> Myoarthropathie (MAP) verwendet<br />
(81). Nach differenzialdiagnostischer Abklärung<br />
f<strong>in</strong>det die Klassifizierung von schmerzhaften<br />
CMD nach den Kriterien <strong>der</strong> Research<br />
Diagnostic Criteria for Temporomandibular<br />
Disor<strong>der</strong>s RDC/TMD statt (17). Schmerzen <strong>der</strong><br />
Kaumuskulatur werden hier als myofasziale<br />
Schmerzen bezeichnet und Schmerzen <strong>der</strong><br />
Kiefergelenke als Arthralgie o<strong>der</strong> aktivierte<br />
Arthrose.<br />
Epidemiologie<br />
Die „International Association for the Study<br />
of Pa<strong>in</strong> (IASP)“ gibt für Industrielän<strong>der</strong> an,<br />
dass etwa 20% <strong>der</strong> Erwachsenen an chronischen<br />
Schmerzen leiden. Ältere Menschen<br />
und Frauen s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s betroffen, und <strong>der</strong><br />
Kopfbereich liegt mit 15% nach Rücken- und<br />
Knieschmerzen an dritter Stelle. Orofaziale<br />
Schmer zen treten nach Untersuchungen<br />
aus verschiedenen Län<strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Prävalenz<br />
von 14% – 40% bei Erwachsenen auf, wobei<br />
schmerz hafte CMD bei ca. 10 % liegen (83).<br />
Frauen s<strong>in</strong>d 1,5 bis 2 mal häufiger betroffen als<br />
Männer, die Prävalenz erreicht e<strong>in</strong>en Höhepunkt<br />
mit 40 Jahren und s<strong>in</strong>kt danach ab (32).<br />
Aufgrund von hormonellen Faktoren steigt<br />
bei weiblichen Jugendlichen die Häufigkeit<br />
von CMD-Schmerzen mit den Regelblutungen<br />
stark an (50).<br />
Risikofaktoren bei schmerzhafter CMD<br />
Allgeme<strong>in</strong>e Faktoren<br />
• Genetik<br />
• Hormone<br />
• Ernährung<br />
• Haltungsstörungen<br />
• Schlafstörungen<br />
• Reduzierung <strong>der</strong> körpereigenen<br />
Schmerzhemmung<br />
u.a.<br />
Abb. 2 (modifiziert nach Bell/Okeson)<br />
Symptome und Zeichen<br />
E<strong>in</strong>e Vielzahl von Symptomen kann die Diagnose<br />
schwierig machen, weshalb diese Erkrankung<br />
als Chamäleon bezeichnet werden<br />
kann. Häufig schmerzen die Kiefermuskulatur<br />
o<strong>der</strong> die Kiefergelenke beim Kauen und es f<strong>in</strong>den<br />
sich ausstrahlende Schmerzen <strong>in</strong> Mund,<br />
Gesicht, Kopf, Nacken, Schulter o<strong>der</strong> Rücken.<br />
Der Zahnarzt f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>en ganze Reihe von<br />
kl<strong>in</strong>ischen Zeichen wie Schlifffacetten an den<br />
Zähnen, e<strong>in</strong>geschränkte Kieferöffnung/Kopfdrehung,<br />
Knacken o<strong>der</strong> Reiben <strong>der</strong> Kiefergelenke<br />
beim Öffnen o<strong>der</strong> Schliessen <strong>der</strong> Kiefer.<br />
Risikofaktoren<br />
Psychosoziale Faktoren<br />
• Emotionaler Stress<br />
• Hypervigilanz durch<br />
Sympathikusaktivierung<br />
• Frühere Schmerzerfahrungen<br />
• Depression<br />
• Angststörungen<br />
• Posttraumatische Belastungsstörungen<br />
u.a.<br />
Die <strong>in</strong>dividuell unterschiedliche Antwort auf<br />
den gleichen Schmerzreiz lässt sich nur durch<br />
die E<strong>in</strong>beziehung von an<strong>der</strong>en Ätiologiemodellen<br />
erklären. Diesem Zusammenspiel von biologischen,<br />
psychologischen und soziokulturellen<br />
Faktoren bei <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Schmerz -<br />
erfahrung kommt e<strong>in</strong>e immer grössere Be -<br />
deutung zu (54). (Abb.1).<br />
Prädisponierende, auslösende und unterhaltende<br />
Faktoren umfassen biologische, psychische<br />
und soziale Elemente (Okeson 2005).<br />
Anbei s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Risikofaktoren aufgelistet,<br />
wobei sich immer neue Aspekte <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong>ik und<br />
Forschung ergeben werden (Abb.2)<br />
Biopsychosoziale Ebenen des Schmerzes<br />
Abb. 1: Loeser, Perspectives of Pa<strong>in</strong>, 1980<br />
Soziales Umfeld<br />
Verhalten<br />
Emotionen<br />
Kognition<br />
Nozizeption<br />
Zahnärztliche Faktoren<br />
• Bruxismus<br />
• Entwicklungsstörungen <strong>der</strong><br />
Kiefer<br />
• Makrotrauma durch Unfälle<br />
• Mikrotrauma durch Okklu-<br />
sionsstörungen<br />
• Iatrogene zahnärztliche<br />
E<strong>in</strong>griffe u.a.