Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong von Jiao Guorui

Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong von Jiao Guorui Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong von Jiao Guorui

15.04.2013 Aufrufe

Resumen Summary Zusammenfassung Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005) Originalarbeiten Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong von Jiao Guorui – ausgewählte Formen G. Hildenbrand Qigong ist ein Sammelbegriff für vielfältige Übungsmethoden, die in China entwickelt wurden und sich in unterschiedliche Weise mit der Lebenskraft beschäftigen. Im Rahmen der traditionellen chinesischen Medizin stellt Qigong deren aktiven Teil dar, das Entfalten der eigenen Ressourcen. Körperhaltungen, Bewegungen, Atemübungen und geistige Übungen der Konzentration und Imagination werden in Qigong-Übungen verbunden. Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong, von Jiao Guorui entwickelt, sind eine Methode, die sich auf Grund ihrer unterschiedlichen Übungsweisen gut an unterschiedliche therapeutische Bedürfnisse anpassen lässt und in der Ausführung einfach und schlicht ist. Schlüsselwörter: Qigong, Yangsheng, 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong Qigong is a collective term for a wide variety of exercising methods developed in China that address the theme of vital energy in many different ways. Within the framework of traditional Chinese Medicine, Qigong is the active element, involving the unfolding of one's own resources. Postures, movements, breathing exercises and mental exercises for concentration and imagination come together in the Qigong exercises. The 15 forms of expression of Taiji Qigong, developed by Jiao Guorui, comprise a method including different modes of exercise, rendering the method readily adaptable to different therapeutic needs, and characterized by an elegant simplicity. Key words: Qigong, Yangsheng, 15 Forms of Expression of Taiji Qigong Chigong es el término colectivo para una gran variedad de ejercicios. El método es de origen chino y se dedica al desarollo de la fuerza vital a base de múltiples ejercicios. En el marco de la medicina china tradicional, Chigong representa la parte activa, es decir, el desenvolvimiento de los recursos propios del individuo. Chigong une ejercicios físicos para la compostura, el movimiento y la respiración con ejerciciós mentales para la concentración y la imaginación. Las 15 formas de expresión del Chigong, desarrolladas por Jiao Guorui, representan un método capaz de ser adaptado a diferentes requerimientos terapéuticos ya que esiste una gran variedad de ejercicios fáciles y simplex de aprender. Palabras clave: Chigong, Yangsheng, 15 formas de expresión del Taichi- Chigong 37 Methoden des Qigong (Arbeit, Übung gong mit der Lebenskraft qi), die dem Erhalt der Gesundheit, der Pflege der Lebenskraft und der Therapie von Krankheiten dienen, basieren auf dem Vertrauen in die dem Menschen innewohnenden Kräfte. Es wurden in China von alters her Wege gesucht, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, dem Körper und den geistigen Fähigkeiten, die eigene Lebenskraft zu bewahren, zu nähren und zu kultivieren. So wurden im Lauf der Geschichte ungezählte Methoden entwickelt und geübt. ... wenn man gelassen und frei von Wünschen ist, erhält man sich das Wahre Qi, wenn man die geistigen Kräfte im Inneren bewahrt, wie könnte Krankheit einen da angreifen ... (1) ... die wahren Menschen des Altertums hatten während des Schlafens keine Träume und beim Erwachen keine Angst. Ihre Speise war einfach, ihr Atem tief. Die wahren Menschen holen ihren Atem von ganz unten herauf (atmen durch die Fersen), während die gewöhnlichen Menschen nur mit der Kehle atmen ... (2) ... wer Qi zu führen weiß, nährt im Inneren seinen Körper und wehrt nach außen hin schädliche Einflüsse ab ... (3) In diesen historischen Zitaten finden sich zahlreiche Begriffe der chinesischen Heilkunde und oft werden Qigong-Übungen als Teil dieser Heilkunde bezeichnet. In China hat es je-

Resumen Summary Zusammenfassung<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)<br />

Originalarbeiten<br />

<strong>Die</strong> <strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Taiji</strong>-<strong>Qigong</strong> <strong>von</strong> <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong> –<br />

ausgewählte Formen<br />

G. Hildenbrand<br />

<strong>Qigong</strong> ist ein Sammelbegriff für vielfältige Übungsmethoden, die in China<br />

entwickelt wurden und sich in unterschiedliche Weise mit der Lebenskraft<br />

beschäftigen. Im Rahmen der traditionellen chinesischen Medizin stellt<br />

<strong>Qigong</strong> deren aktiven Teil dar, das Entfalten der eigenen Ressourcen.<br />

Körperhaltungen, Bewegungen, Atemübungen und geistige Übungen der<br />

Konzentration und Imagination werden in <strong>Qigong</strong>-Übungen verbunden.<br />

<strong>Die</strong> <strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong> <strong>Taiji</strong>-<strong>Qigong</strong>, <strong>von</strong> <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong> entwickelt,<br />

sind eine Methode, die sich auf Grund ihrer unterschiedlichen Übungsweisen<br />

gut an unterschiedliche therapeutische Bedürfnisse anpassen<br />

lässt und in der Ausführung einfach und schlicht ist.<br />

Schlüsselwörter: <strong>Qigong</strong>, Yangsheng, <strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong> <strong>Taiji</strong>-<strong>Qigong</strong><br />

<strong>Qigong</strong> is a collective term for a wide variety of exercising methods<br />

developed in China that address the theme of vital energy in many<br />

different ways. Within the framework of traditional Chinese Medicine,<br />

<strong>Qigong</strong> is the active element, involving the unfolding of one's own resources.<br />

Postures, movements, breathing exercises and mental exercises<br />

for concentration and imagination come together in the <strong>Qigong</strong><br />

exercises. The <strong>15</strong> forms of expression of <strong>Taiji</strong> <strong>Qigong</strong>, developed by <strong>Jiao</strong><br />

<strong>Guorui</strong>, comprise a method including different mo<strong>des</strong> of exercise,<br />

rendering the method readily adaptable to different therapeutic needs,<br />

and characterized by an elegant simplicity.<br />

Key words: <strong>Qigong</strong>, Yangsheng, <strong>15</strong> Forms of Expression of <strong>Taiji</strong> <strong>Qigong</strong><br />

Chigong es el término colectivo para una gran variedad de ejercicios. El<br />

método es de origen chino y se dedica al <strong>des</strong>arollo de la fuerza vital a<br />

base de múltiples ejercicios. En el marco de la medicina china tradicional,<br />

Chigong representa la parte activa, es decir, el <strong>des</strong>envolvimiento de los<br />

recursos propios del individuo. Chigong une ejercicios físicos para la<br />

compostura, el movimiento y la respiración con ejerciciós mentales para<br />

la concentración y la imaginación. Las <strong>15</strong> formas de expresión del Chigong,<br />

<strong>des</strong>arrolladas por <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong>, representan un método capaz de<br />

ser adaptado a diferentes requerimientos terapéuticos ya que esiste una<br />

gran variedad de ejercicios fáciles y simplex de aprender.<br />

Palabras clave: Chigong, Yangsheng, <strong>15</strong> formas de expresión del Taichi-<br />

Chigong<br />

37<br />

Methoden <strong>des</strong> <strong>Qigong</strong> (Arbeit, Übung<br />

gong mit der Lebenskraft qi), die dem<br />

Erhalt der Gesundheit, der Pflege der<br />

Lebenskraft und der Therapie <strong>von</strong><br />

Krankheiten dienen, basieren auf dem<br />

Vertrauen in die dem Menschen innewohnenden<br />

Kräfte. Es wurden in<br />

China <strong>von</strong> alters her Wege gesucht,<br />

mit den zur Verfügung stehenden<br />

Mitteln, dem Körper und den geistigen<br />

Fähigkeiten, die eigene Lebenskraft<br />

zu bewahren, zu nähren und zu<br />

kultivieren. So wurden im Lauf der<br />

Geschichte ungezählte Methoden entwickelt<br />

und geübt.<br />

... wenn man gelassen und frei <strong>von</strong><br />

Wünschen ist, erhält man sich das<br />

Wahre Qi, wenn man die geistigen<br />

Kräfte im Inneren bewahrt, wie könnte<br />

Krankheit einen da angreifen ... (1)<br />

... die wahren Menschen <strong>des</strong> Altertums<br />

hatten während <strong>des</strong> Schlafens keine<br />

Träume und beim Erwachen keine<br />

Angst. Ihre Speise war einfach, ihr<br />

Atem tief.<br />

<strong>Die</strong> wahren Menschen holen ihren<br />

Atem <strong>von</strong> ganz unten herauf (atmen<br />

durch die Fersen), während die gewöhnlichen<br />

Menschen nur mit der<br />

Kehle atmen ... (2)<br />

... wer Qi zu führen weiß, nährt im<br />

Inneren seinen Körper und wehrt nach<br />

außen hin schädliche Einflüsse ab ...<br />

(3)<br />

In diesen historischen Zitaten finden<br />

sich zahlreiche Begriffe der chinesischen<br />

Heilkunde und oft werden <strong>Qigong</strong>-Übungen<br />

als Teil dieser Heilkunde<br />

bezeichnet. In China hat es je-


doch Übungen im Rahmen aller philosophischen<br />

und religiösen Strömungen,<br />

in Heilkunde und Kriegskunst<br />

und als Teil der Lebensführung in der<br />

Bevölkerung gegeben (4). Entwickelt<br />

und beschrieben wurden sie <strong>von</strong> Ärzten<br />

und Dichtern, <strong>von</strong> Philosophen<br />

und Kampfkünstlern. <strong>Die</strong> meist poetischen<br />

Namen der Übungen erinnern<br />

an daoistische Unsterbliche, an konfuzianische<br />

Tugenden, an buddhistische<br />

Gebetshaltungen und ebenso an<br />

martialische Künste und die Konzepte<br />

der traditionellen chinesischen Heilkunde.<br />

Wirkungen und<br />

Anwendungsbereiche <strong>von</strong><br />

<strong>Qigong</strong>-Übungen<br />

In der Sprache der chinesischen Medizin<br />

bewirkt das Üben <strong>von</strong> <strong>Qigong</strong><br />

eine Ausgewogenheit <strong>von</strong> Yin und<br />

Yang, macht die Leitbahnen durchgängig,<br />

sorgt für harmonischen Fluss<br />

<strong>von</strong> Qi und Blut und kultiviert das<br />

„Wahre Qi“, was als Gesamtheit physiologischer,<br />

psychischer und geistiger<br />

Funktionen verstanden werden<br />

kann. In westlicher Terminologie können<br />

wir sagen, dass das Üben <strong>von</strong><br />

<strong>Qigong</strong> die Gesamtheit der physiologischen,<br />

psychischen und geistigen<br />

Funktionen reguliert, verbessert und<br />

stärkt. In zahlreichen Untersuchungen<br />

sind die Wirkungen auf die verschiedenen<br />

Funktionsbereiche wie Atmung,<br />

Herz-Kreislauf, Verdauungsfunktion,<br />

Nervensystem und Bewegungsapparat<br />

belegt worden.<br />

In der therapeutischen Anwendung<br />

sind vor allem die Wirkungen bei<br />

Asthma und Migräne in klinischen<br />

Studien belegt worden (5, 6).<br />

<strong>Die</strong> Wirkfaktoren der Übungen<br />

sind vielfältig: physiologisch optimale<br />

Körperhaltungen und Körperbewegungen,<br />

symbolische Gebärden,<br />

Atemregulation, Feinstvibration (z.B.<br />

bei Lautübungen), Imagination, Vorstellungsbilder<br />

aus der Natur, poetische<br />

Kraft <strong>von</strong> Worten, um nur einige<br />

zu nennen.<br />

Originalarbeiten<br />

Daraus lässt sich erkennen, dass<br />

die Übungen sowohl auf der physiologischen<br />

als auch auf der seelischen<br />

und geistigen Ebene wirksam werden<br />

können.<br />

Über die medizinische Anwendung<br />

hinaus können <strong>Qigong</strong>-Übungen einen<br />

sehr interessanten, auch andere Lebensbereiche<br />

inspirierenden Übungsweg<br />

darstellen. <strong>Die</strong> Beziehungen zu<br />

Philosophie und den Künsten, zu<br />

Dichtung und Musik (7), zu Schriftkunst<br />

und Malerei (8) sind eng. <strong>Qigong</strong>-Übungen<br />

vereinen gesundheitsfördernde<br />

Aspekte mit kulturellem<br />

Reichtum.<br />

Und wie steht es mit unerwünschten<br />

Nebenwirkungen? Nebenwirkungen<br />

im Sinne <strong>von</strong> unvermeidbaren<br />

Effekten gibt es beim Üben <strong>von</strong> <strong>Qigong</strong><br />

Yangsheng nicht. Allerdings<br />

muss man die u.g. Prinzipien <strong>des</strong><br />

Übens beherzigen.<br />

Es gibt nur sehr wenige Einschränkungen,<br />

die das Üben <strong>von</strong> <strong>Qigong</strong><br />

grundsätzlich als nicht ratsam<br />

erscheinen lassen. <strong>Die</strong>s sind Geisteszustände,<br />

die es unmöglich machen,<br />

die Übungsanforderungen zu verstehen.<br />

Allerdings sind Anpassungen<br />

an die individuellen körperlichen,<br />

seelischen und geistigen Konditionen<br />

<strong>des</strong> Übenden sehr wichtig. Einige Beispiele:<br />

Bei aktiven Prozessen im<br />

Beckenbereich, z.B. bei Schwangerschaft,<br />

werden keine tiefen und breiten<br />

Schritthaltungen geübt; bei akuten<br />

Erkrankungen <strong>des</strong> Rückenbereichs,<br />

z.B. Bandscheibenvorfall, werden<br />

Beuge- und Drehbewegungen <strong>des</strong><br />

Körpers nur in angedeuteter Form<br />

ausgeführt; bei Beschwerden, die in<br />

der TCM mit Oberer Fülle bezeichnet<br />

werden, wie etwa hoher Blutdruck,<br />

Schwindel und Kopfschmerzen, werden<br />

Hebebewegungen der Arme etwas<br />

weniger hoch ausgeführt, extrem tiefe<br />

Haltungen werden vermieden. Übungen<br />

in Ruhe wie „Sitzen in Stille“<br />

oder „Stehen wie Pfahl“ können bei<br />

gewissen Unruhezuständen weniger<br />

geeignet sein.<br />

38<br />

<strong>Die</strong> <strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Taiji</strong>-<strong>Qigong</strong> <strong>von</strong> <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong><br />

<strong>Die</strong> „<strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong> <strong>Taiji</strong>-<br />

<strong>Qigong</strong>“ sind eine Methode aus dem<br />

<strong>von</strong> JIAO GUORUI entwickelten Lehrsystem<br />

„<strong>Qigong</strong> Yangsheng“ (9). Mit<br />

dieser Bezeichnung betonte JIAO<br />

GUORUI die Schwerpunkte seines Systems<br />

bzw. die Erweiterung, die der<br />

Begriff „<strong>Qigong</strong>“ erfahren sollte. „<strong>Qigong</strong>“,<br />

ein in den 50er-Jahren eingeführter<br />

Sammelbegriff für vielfältige,<br />

in China entwickelte Übungen, die<br />

sich mit der Lebenskraft <strong>des</strong> Menschen<br />

beschäftigen, sollte erweitert<br />

werden um den Begriff Yangsheng,<br />

der zum ersten Mal bei dem Philosophen<br />

ZHUANGZI als Thema seines<br />

dritten Kapitels auftaucht, in dem<br />

ganz grundlegende Gedanken zum<br />

„Yangsheng“, d.h. zur Pflege und<br />

Kultivierung <strong>des</strong> Lebens, formuliert<br />

werden. Wesentlich dabei sind eine<br />

Erkenntnissuche bezüglich der Funktionsprinzipien<br />

<strong>des</strong> Lebens, Respekt<br />

vor und Einordnung in die Ordnung<br />

<strong>von</strong> Himmel und Erde. <strong>Die</strong>se Grundlage<br />

gerät leicht aus dem Blick angesichts<br />

einer schier unübersehbaren<br />

Menge <strong>von</strong> Übungstechniken, die<br />

unter der Bezeichnung <strong>Qigong</strong> angeboten<br />

werden.<br />

Prof. JIAO GUORUI entwickelte<br />

seine „<strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong> <strong>Taiji</strong>-<br />

<strong>Qigong</strong>“ auf der Grundlage der „13<br />

<strong>Taiji</strong>-Pfahl-Übungen“, einer Übungsfolge,<br />

die dem daoistischen Gelehrten<br />

XU XUANPING, der in der Tang-Zeit<br />

(618 bis 907 n. Chr.) lebte, zugeschrieben<br />

wird. XU XUANPING wird<br />

auch als einer der Urväter <strong>des</strong> <strong>Taiji</strong>quan<br />

angesehen. Von ihm stammt der<br />

Ausspruch: „<strong>Die</strong> Übungen der 13<br />

<strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong> <strong>Taiji</strong> sind leicht<br />

und schwer zugleich.“ <strong>Die</strong> Übungen<br />

sind einfach, d.h. die äußere Form,<br />

Körperhaltungen und Bewegungen<br />

der Übungen sind unkompliziert. <strong>Die</strong><br />

Bewegungen sind leicht zu erlernen,<br />

ihre Ausführung verlangt keine besonderen<br />

körperlichen Bedingungen.<br />

<strong>Die</strong> Übungen sind schwierig, d.h. es<br />

fällt oft nicht leicht, den Wert einer so<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)


einfachen Methode zu erkennen und<br />

die ihr zugrunde liegenden Prinzipien<br />

zu verstehen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Taiji</strong>-<strong>Qigong</strong> als Musterkatalog<br />

für <strong>Qigong</strong>-Übungen<br />

JIAO GUORUI formulierte die Eigenschaften,<br />

die diese Methoden auszeichnen,<br />

so:<br />

– Sie beinhalten die Prinzipien <strong>des</strong><br />

<strong>Qigong</strong>;<br />

– sie stellen eine <strong>Taiji</strong>-Übungsmethode<br />

dar und basieren somit<br />

auf der Lehre <strong>von</strong> Yin und Yang;<br />

– sie sind ausgewogen bezüglich<br />

rechts und links, oben und unten,<br />

öffnen und schließen, steigen und<br />

sinken, vorne und hinten;<br />

– sie verbinden Übungen in Ruhe<br />

mit Übungen in Bewegung.<br />

Als Musterkatalog für <strong>Qigong</strong>-Übungen<br />

können die <strong>15</strong> Formen bezeichnet<br />

werden, da sie bezüglich Körperhaltungen,<br />

Schrittstellungen, Bewegungsmustern<br />

und Vorstellungsbildern ein<br />

breites Spektrum bieten und somit<br />

eine gute Grundlage für andere Methoden<br />

sind, die häufig einen Aspekt<br />

besonders betonen, wie z.B. Konzepte<br />

der TCM in den „8 Brokatübungen“<br />

(10) oder Tiernachahmungen im<br />

„Spiel der 5 Tiere“ (12). <strong>Die</strong> äußeren<br />

Formen zeigen in besonders augenfälliger<br />

Weise die Prinzipien, die dem<br />

<strong>Qigong</strong> zugrunde liegen. <strong>Die</strong> elementaren<br />

Bewegungsmuster – Steigen,<br />

Sinken, Entfalten, Verdichten – sind in<br />

den Übungen klar zu erkennen, und<br />

zugleich bekommt der Übende eine<br />

Ahnung <strong>von</strong> der Vielfältigkeit, in der<br />

sich dieses Bewegungsprinzip alles<br />

Lebendigen entfalten kann.<br />

Übungsprinzipien –<br />

<strong>Die</strong> „Schlüssel“ in das Haus<br />

<strong>des</strong> <strong>Qigong</strong><br />

Um gute Wirkungen zu erzielen, ist es<br />

nicht notwendig, viele unterschied-<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)<br />

Originalarbeiten<br />

liche Methoden zu praktizieren. Vielmehr<br />

geht es darum, gewisse Übungsprinzipien<br />

zu erlernen, um in einen<br />

Übungszustand zu kommen, der sich<br />

dadurch auszeichnet, dass die Übungsprinzipien<br />

im eigenen Körper und<br />

Geist vorherrschen.<br />

Ein Merkspruch fasst das zusammen:<br />

„Wenn du eine Übung nicht<br />

richtig beherrschst, kannst du auch<br />

die weiteren hundert nicht meistern;<br />

wenn du eine Übung richtig beherrschst,<br />

kannst du auch alle dreitausendsechshundert<br />

meistern.“<br />

<strong>Die</strong> wesentlichsten Übungsanforderungen<br />

lassen sich in sechs Punkten<br />

zusammenfassen:<br />

Entspannung, Ruhe, Natürlichkeit<br />

Vorstellungskraft und Qi folgen<br />

einander<br />

Bewegung und Ruhe gehören zusammen<br />

Oben „leicht“ – unten „fest“<br />

Das richtige Maß (bezüglich Entspannung,<br />

Kraft, Körperhaltung<br />

und -bewegung, Übungsdauer,<br />

Vorstellungskraft)<br />

Schritt für Schritt üben<br />

In den Übungshandbüchern werden<br />

diese Prinzipien mit vielen praktischen<br />

Beispielen und Hinweisen ausführlich<br />

dargelegt. (13)<br />

1. Übung:<br />

Reguliere den Atem,<br />

beruhige den Geist<br />

Vorbereitung (Abb. 1)<br />

Vorbereitet werden die Übungen<br />

durch besondere Standhaltungen, die<br />

den Körper regulieren und die innere<br />

Ruhe fördern. Hier sei als Vorbereitung<br />

lediglich eine Haltung, die<br />

auch Ausgangshaltung der 1. Form ist,<br />

beschrieben:<br />

Der Stand ist schulterbreit mit<br />

parallel stehenden Füßen. Das Gewicht<br />

ist gleichmäßig verteilt. Rücken,<br />

Lendenbereich, Kreuz und Hüften<br />

sind entspannt, das Becken ist entspannt.<br />

Es entsteht eine Haltung, als<br />

39<br />

wolle man sich setzen; die Knie sind<br />

leicht gebeugt. <strong>Die</strong> Arme bilden einen<br />

Kreis vor dem Körper. <strong>Die</strong> Augen sind<br />

entspannt, die Aufmerksamkeit wird<br />

im Körperzentrum (Dantian) bewahrt.<br />

Bewegungsablauf<br />

Ausgehend <strong>von</strong> dieser balltragenden<br />

Haltung werden die Hände in langsamer,<br />

fließender Bewegung bis<br />

Schulterhöhe gehoben, die Handflächen<br />

zeigen dabei nach oben<br />

(Abb. 2). Man stellt sich vor, einen<br />

leichten Ball aus dem Wasser zu<br />

heben. In Schulterhöhe die Handflächen<br />

in runder Bewegung nach<br />

unten wenden (Abb. 3). <strong>Die</strong> Arme<br />

langsam senken, in der Vorstellung<br />

drücken die Hände einen Ball sanft ins<br />

Wasser (Abb. 4). Vor dem Unterbauch<br />

die Handflächen wieder nach oben<br />

wenden. In Einklang mit dem Heben<br />

und Senken der Hände steigt und sinkt<br />

auch der Körper. Ein Heben und ein<br />

Senken sind eine Übung. Man<br />

wiederholt die Übung 8-mal.<br />

Abb. 1 Abb. 2<br />

Abb. 3 Abb. 4


Zu beachten<br />

– <strong>Die</strong> Bewegungen <strong>von</strong> Körper und<br />

Armen sind gleichmäßig und<br />

fließend. Obwohl der Körper sich<br />

nur einige Zentimeter hebt und<br />

senkt, die Hände aber eine weitaus<br />

größere Strecke zurücklegen, sollte<br />

das Gefühl eines einzigen Steigens<br />

und Sinkens entstehen.<br />

– Beim Heben und Senken der<br />

Hände achte man auf runde Bewegungen<br />

und genügend Abstand<br />

zwischen Armen und Körper, so<br />

dass ein Gefühl <strong>von</strong> Weite und<br />

Leichtigkeit entsteht.<br />

– Man achte auf das richtige Maß an<br />

Vorstellungskraft: <strong>Die</strong> Kraft, mit<br />

der der Ball aus dem Wasser gehoben<br />

bzw. wieder nach unten gedrückt<br />

wird, soll den eigenen Bedingungen<br />

angemessen sein. Ist<br />

die Vorstellungskraft zu stark, kann<br />

es leicht zu Verspannung und<br />

Steifheit kommen, übt man mit zu<br />

wenig Vorstellungskraft oder vergisst<br />

sie gar ganz, lässt sich die<br />

Einheit <strong>von</strong> körperlicher und geistiger<br />

Tätigkeit nicht erreichen.<br />

– Bei Symptomen der „Oberen<br />

Fülle“ (z.B. Bluthochdruck,<br />

Schwindel, schwerer Kopf, unsicherer<br />

Gang) werden die Hände<br />

nur bis Brusthöhe gehoben.<br />

Übungsweisen<br />

Man kann die Bewegungen fließend<br />

ineinander übergehend ausführen oder<br />

in bestimmten Körperhaltungen, im<br />

Folgenden „Ruhehaltungen“ genannt,<br />

etwas verweilen. Das Üben <strong>von</strong> Ruhehaltungen<br />

ist besonders dazu geeignet,<br />

die Übungen mit Inhalt zu füllen und<br />

zu verfeinern. Zu den wichtigsten<br />

Inhalten jeder Übung gehören das<br />

Bewahren der Vorstellungskraft im<br />

Körperzentrum (mittleres Dantian),<br />

das Gefühl einer festen Verwurzelung,<br />

eines festen Fundamentes, und das<br />

Gefühl leichter Beweglichkeit im<br />

oberen Körperbereich. Darüber hinaus<br />

sucht man in jeder Körperhaltung<br />

nach Ausgewogenheit der Kräfte,<br />

nach einem guten Verhältnis <strong>von</strong> Entspannung<br />

und innerer Kraft.<br />

Originalarbeiten<br />

Untere Ruhehaltung: <strong>Die</strong> untere<br />

Ruhehaltung entspricht der Vorbereitungsübung<br />

(Abb. 1).<br />

Obere Ruhehaltung (Abb. 3): Der<br />

Stand ist fest und stabil, die Gesäßkraft<br />

ist nach unten gerichtet. <strong>Die</strong> Aufmerksamkeit<br />

ruht im mittleren Dantian.<br />

<strong>Die</strong> Schultern sind entspannt, die<br />

Ellbogen locker nach unten hängend,<br />

zwischen Armen und Körper wirkt<br />

eine leichte aufspannende Kraft, die<br />

Arme liegen auf einem Ball auf, den<br />

sie mit sanfter Kraft nach unten<br />

drücken.<br />

Haltungen mit tiefer Armstellung<br />

übt man stets etwas längere Zeit als<br />

Haltungen mit hohen Armstellungen,<br />

meist im Verhältnis 2:1. <strong>Die</strong>se Übungsweise<br />

entspricht dem wichtigen<br />

Übungsprinzip, das man mit „oben<br />

leicht – unten fest“ oder „oben 3 –<br />

unten 7“ bezeichnet.<br />

Wirkungsschwerpunkte<br />

<strong>Die</strong>se Übung fördert hauptsächlich<br />

das harmonische Steigen und Sinken<br />

<strong>des</strong> Qi.<br />

Auf diese Weise wird eine ruhige<br />

und tiefe Atmung begünstigt und die<br />

Entwicklung eines ruhigen und klaren<br />

Geisteszustands unterstützt. Blockaden<br />

und Hemmung <strong>von</strong> Qi und Blut<br />

(„Kraft und Saft“) werden so vermieden<br />

bzw. wieder aufgelöst. Beschwerden,<br />

die auf der Hemmung <strong>des</strong><br />

Qi-Flusses in den drei Körperbereichen<br />

Brust, Bauch und Becken sowie<br />

den Extremitäten beruhen, werden<br />

durch diese Übung günstig beeinflusst:<br />

Enge- und Stauungsgefühl im<br />

Brustkorb, Schmerzen und Füllegefühl<br />

im Magenbereich, Schmerzen<br />

und Stauungsanzeichen im Becken,<br />

Bewegungseinschränkungen, Schweregefühl<br />

und Schmerzen in den Gliedmaßen<br />

und <strong>des</strong> Rumpfes.<br />

Symbolik<br />

<strong>Die</strong> einfachen, klaren Bewegungen<br />

<strong>des</strong> Steigens und Sinkens zeichnen die<br />

Stellung <strong>des</strong> Menschen „zwischen<br />

Himmel und Erde“, zwischen Körperlichem<br />

und Geistig-Seelischem nach.<br />

40<br />

3. Übung:<br />

Trage den Ball nach links<br />

und rechts<br />

Bewegungsablauf<br />

<strong>Die</strong> Hände halten einen Ball vor dem<br />

Unterbauch, die rechte Hand ist oben<br />

(Abb. 5). Das Gewicht stabil auf das<br />

rechte Bein verlagern, der Körper<br />

sinkt etwas. Dann den linken Fuß<br />

einen Schritt nach links vorne stellen,<br />

dabei mit der linken Ferse aufsetzen<br />

(Abb. 6). Der Schrittwinkel beträgt<br />

etwa 75 Grad, die Schrittlänge etwa<br />

2 1/ 2 Fußlängen <strong>von</strong> der Grundlinie<br />

aus. Den linken Fuß langsam ganz<br />

aufsetzen und das Hauptgewicht nach<br />

links vorne zum Bogenschritt verlagern.<br />

Gleichzeitig die rechte Hand<br />

auf einer Bogenlinie nach unten neben<br />

die rechte Hüfte und die linke Hand<br />

auf einer Bogenlinie nach links oben<br />

vorne führen. <strong>Die</strong> rechte Hand drückt<br />

einen Ball ins Wasser, die linke Hand<br />

trägt einen Ball. Der linke Arm steht<br />

etwa über der Beinlinie, der Blick geht<br />

entspannt über die linke Hand hinaus<br />

(Abb. 7). In dieser Ruhehaltung kann<br />

man etwas verweilen.<br />

Dann die Hände in runder Bewegung<br />

einander zuwenden (Abb. 8). Das<br />

Gewicht langsam nach rechts hinten<br />

verlagern (Sitz-Bogen-Schritt) und die<br />

Hände zur Ballhaltung vor dem Dantian<br />

zurückführen (Abb. 9). Den linken<br />

Fuß zum rechten zu einem stabilen<br />

Stand zurückstellen.<br />

Das Gewicht langsam nach links<br />

verlagern, einen Schritt nach vorne<br />

rechts machen und die Übung zur<br />

rechten Seite ausführen. Je 4-mal nach<br />

links und rechts.<br />

Zu beachten<br />

– <strong>Die</strong> öffnende Bewegung der<br />

Hände wird mit der Vorstellung,<br />

ein elastisches Band auseinander<br />

zu ziehen, ausgeführt. <strong>Die</strong> Hand,<br />

die nach unten drückt, übt etwas<br />

mehr Kraft aus als die balltragende<br />

Hand (untere Stabilität!).<br />

– <strong>Die</strong> entfaltenden und verdichtenden<br />

Bewegungen werden in Ein-<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)


Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)<br />

Originalarbeiten<br />

Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9<br />

klang mit der Gewichtsverlagerung<br />

ausgeführt.<br />

– <strong>Die</strong> Bewegungen <strong>des</strong> Öffnens und<br />

Schließens gehen vom Körperzentrum<br />

(Dantian) aus und kehren dorthin<br />

zurück, die Aufmerksamkeit<br />

verlässt den Dantianbereich nicht.<br />

Äußerlich tritt zwar die Bewegung<br />

der Arme und Beine in den Vordergrund,<br />

innerlich gilt die Hauptaufmerksamkeit<br />

jedoch dem Bewahren<br />

der Vorstellung in der Mitte.<br />

Wirkungsschwerpunkte<br />

<strong>Die</strong>se Übung fördert und stärkt die<br />

Lebenskraft Qi in ausgewogener Weise<br />

bezüglich der Bewegungsrichtungen<br />

Sinken und Steigen, Öffnen und<br />

Schließen. <strong>Die</strong> Wirkung der Übung<br />

entfaltet sich besonders bei Beschwerden<br />

im Bereich der Körpermitte:<br />

Druck-, Schwellungs-, Enge- und<br />

Völlegefühl im Bereich <strong>des</strong> Rippenbogens;<br />

unwohles Gefühl, Druck und<br />

Schmerzen in der Magengrube; Beschwerden<br />

aufgrund gestörter Funktion<br />

<strong>von</strong> Leber, Galle und Magen;<br />

Verdauungsstörungen. Ein weiterer<br />

Wirkungsschwerpunkt liegt in der<br />

Stärkung der Funktionen <strong>des</strong> Beckenraumes,<br />

<strong>des</strong> Rückens und der Beine.<br />

<strong>Die</strong> daraus resultierende „Untere<br />

Stabilität“ trägt zu einer guten geistigen<br />

Funktion bei, erkennbar an geistiger<br />

Wachheit, Frische und Kreativität<br />

tags und gutem Schlaf <strong>des</strong> nachts.<br />

Symbolik<br />

<strong>Die</strong>se Übung zeigt besonders eindrucksvoll<br />

die Bedeutung der Polarität<br />

<strong>von</strong> Yin und Yang, ihre zahlreichen<br />

Erscheinungsformen: den Wechsel<br />

<strong>von</strong> Fülle und Leere in der Gewichtsverlagerung,<br />

den Wandel <strong>von</strong> Steigen<br />

und Sinken, Öffnen und Schließen in<br />

Körper- und Armbewegungen. <strong>Die</strong><br />

gegenseitige Beschränkung und Kontrolle<br />

<strong>von</strong> Yin und Yang lässt sich<br />

41<br />

deutlich spüren: Das Steigen (tragende<br />

Yang-Hand in hoher Position) wird<br />

begrenzt durch das Sinken (drückende<br />

Yin-Hand in tiefer Position).<br />

4. Übung:<br />

Schiebe den Berg mit beiden<br />

Händen<br />

Bewegungsablauf<br />

<strong>Die</strong> Hände sind vor dem Unterbauch<br />

mit nach unten zeigenden Handflächen<br />

(Abb. 10). Das Gewicht langsam<br />

und stabil nach rechts verlagern,<br />

den Körper etwas nach links wenden<br />

und den linken Fuß nach links vorne<br />

setzen (Abb. 11). Nun das Gewicht<br />

nach vorne zum Bogenschritt verlagern<br />

und gleichzeitig beide Hände<br />

mit schiebender Kraft auf einer<br />

Bogenlinie nach vorne oben bis Brustoder<br />

Schulterhöhe bewegen (Abb. 12).<br />

Der Rumpf ist aufrecht und ganz<br />

Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14


leicht nach vorne gebeugt, die Brust<br />

bleibt entspannt. <strong>Die</strong> Finger sind<br />

leicht gespreizt, zwischen Daumen<br />

und Zeigefinger bildet sich ein Dreieck.<br />

Der Blick geht entspannt in die<br />

Ferne. <strong>Die</strong> ganze Körperhaltung drückt<br />

die Ruhe und Stabilität eines Berges<br />

aus. Abb. 12 zeigt die Ruhehaltung, in<br />

der man etwas verweilen kann.<br />

Dann die Hände in runder Bewegung<br />

wenden, so dass die Handflächen<br />

zum Körper und etwas nach<br />

oben gerichtet sind (Abb. 13). <strong>Die</strong><br />

Hände vor die Körpermitte zurückführen,<br />

gleichzeitig das Gewicht nach<br />

hinten zurückverlagern zum rechten<br />

Sitz-Bogen-Schritt (Abb. 14). Den linken<br />

Fuß zum rechten zurückstellen<br />

und die Handflächen in runder Bewegung<br />

nach unten drehen. Dann das<br />

Gewicht langsam nach links verlagern,<br />

den rechten Fuß nach rechts<br />

vorne stellen und die Übung zur<br />

rechten Seite ausführen. Nach links<br />

und rechts je 4-mal üben.<br />

Zu beachten<br />

– Bei der Übung <strong>des</strong> Bergschiebens<br />

achte man besonders auf eine stabile<br />

Haltung und eine gute „Verwurzelung“.<br />

Das bedeutet, dass<br />

die Kraft zum Schieben <strong>des</strong> Berges<br />

nicht aus den Händen und Armen<br />

kommt, sondern vielmehr aus der<br />

Stabilität der Standhaltung, aus der<br />

Verwurzelung der Beine, aus den<br />

„Sprudelnden Quellen“ (Yongquan-Bereich,<br />

Ni 1, Fußsohlenmitte)<br />

resultiert.<br />

Originalarbeiten<br />

– <strong>Die</strong> kraftvolle Vorstellung „Berg<br />

schieben“ beruht auf Entspannung<br />

und weicher Kraft. Schultern, Ellbogen,<br />

Handgelenke sind entspannt,<br />

die Arme bilden eine<br />

Bogenlinie.<br />

– „Widerstreitende“ Kräfte als Ausdruck<br />

der Polarität kommen zur<br />

Anwendung: <strong>Die</strong> nach vorne<br />

schiebende Kraft wird mit einer<br />

nach hinten unten, zur Erde gerichteten<br />

Kraft verbunden. Auf<br />

diese Weise entfaltet sich das Qi<br />

im ganzen Körper.<br />

– Beim Zurückholen der Hände<br />

(Abb. 13) stellt man sich vor, die<br />

Kraft, Stabilität und Ruhe eines<br />

Berges zur eigenen Mitte (Dantian)<br />

zu führen und dort zu bewahren.<br />

Wirkungsschwerpunkte<br />

<strong>Die</strong>se Übung dient neben der Gesunderhaltung<br />

auch der körperlichen<br />

Kräftigung. Sie stärkt das „Nieren“-<br />

Qi, kräftigt somit den Lenden- und<br />

Kreuzbereich, die Beine und Füße.<br />

Durch die Betonung <strong>von</strong> Entfaltung<br />

und Verdichtung (öffnende und schließende<br />

Bewegungen und Vorstellungen)<br />

werden besonders folgende Beschwerdemuster<br />

günstig beeinflusst:<br />

Druck-, Schwellungs-, Enge- und<br />

Völlegefühl im Bereich <strong>des</strong> Rippenbogens<br />

und in der Magengegend; Qi-<br />

Stauung; Neigung zu Missstimmung<br />

und instabiler Gemütslage; Beschwerden<br />

im Bereich <strong>von</strong> Nacken, Schultern<br />

und Armen; Beschwerden im Bereich<br />

42<br />

<strong>von</strong> Lenden, Kreuz, Hüften und<br />

Beinen; Beschwerden und Schmerzen<br />

im Beckenbereich.<br />

Symbolik<br />

Abgesehen <strong>von</strong> ihrer Eigenschaft,<br />

Stabilität, Ruhe und Dauer auszudrücken,<br />

haben Berge eine reiche<br />

symbolische Bedeutung. „Der Weise<br />

liebt das Wasser, der Gütige liebt die<br />

Berge“ (KONFUZIUS, Lunyu 6.21). Der<br />

Berg ist reich an Schätzen und gibt sie<br />

großzügig an alle, die auf ihm wohnen.<br />

In die Berge gehen die Menschen,<br />

die sich in Zurückgezogenheit<br />

kultivieren wollen.<br />

6. Übung:<br />

Der Kondor breitet seine<br />

Schwingen aus<br />

Bewegungsablauf<br />

<strong>Die</strong> Hände vor die Körpermitte zurückführen<br />

und überkreuzen, dabei<br />

die Handflächen dem Körper zuwenden,<br />

die rechte Hand liegt über der<br />

linken (Abb. <strong>15</strong>). Das Gewicht nach<br />

rechts verlagern und den Körper leicht<br />

nach links ausrichten. Mit dem linken<br />

Fuß einen kleinen Schritt nach links<br />

vorne machen, dabei nur mit dem<br />

Vorderfuß aufsetzen, das Gewicht<br />

bleibt auf dem rechten Bein (Abb. 16).<br />

<strong>Die</strong> Hände trennen (Abb. 17) und<br />

die Arme langsam auf Kreisbogen zu<br />

beiden Seiten <strong>des</strong> Körpers bis etwa<br />

Kopfhöhe heben, die Handflächen<br />

zeigen dabei nach unten (Abb. 18).<br />

Abb. <strong>15</strong> Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)


Den Körper mit der Bewegung der<br />

Arme etwas heben. Am höchsten<br />

Punkt dieser Bewegung angekommen,<br />

senkt man den Körper wieder etwas in<br />

die Sitzhaltung. Kleiner Halt mit ausgebreiteten<br />

Schwingen. <strong>Die</strong> Arme<br />

bilden eine Bogenlinie, Schulter, Ellbogen<br />

und Handgelenke sind gelockert.<br />

Der Blick geht entspannt in<br />

die Weite.<br />

<strong>Die</strong> Arme wieder senken (Abb. 19)<br />

und vor dem Unterbauch überkreuzen,<br />

dabei die linke Hand über die rechte<br />

legen. Der Körper senkt sich im Einklang<br />

mit dem Senken der Arme, das<br />

linke Bein zum rechten zurückholen.<br />

Mit Heben und Senken <strong>des</strong> Körpers<br />

das Gewicht auf das linke Bein verlagern,<br />

der Körper richtet sich dabei<br />

etwas nach rechts. <strong>Die</strong> Übung nach<br />

rechts ausführen. Nach links und<br />

rechts je 2-mal.<br />

Zu beachten<br />

– Oberkörper, Kopf und Nacken sind<br />

während der ganzen Übung aufrecht<br />

und gleichzeitig entspannt.<br />

– Beim Heben der Arme spannt man<br />

in der Vorstellung große Flügel<br />

weit auf; beim Senken der Arme<br />

bewegt man sie in der Vorstellung<br />

langsam durch Wasser.<br />

– In der Haltung mit ausgebreiteten<br />

Schwingen (Abb. 18) kann man<br />

ein wenig innehalten. Dabei bilden<br />

die Arme eine nach oben offene<br />

Bogenlinie. Man achte auf Lockerung<br />

der Schultern und nach unten<br />

„fallende“ Ellbogen. <strong>Die</strong> Brust<br />

wird nicht vorgestreckt, sondern<br />

Arme und Brust bilden eine nach<br />

vorne offene Bogenlinie. In den<br />

Armen stellt man sich eine nach<br />

außen gehende Kraft vor, vergleichbar<br />

mit der „Bewegung der<br />

Schlange“. In den Fingern wird<br />

diese Vorstellung entsprechend<br />

ihrer Größe zur „Seidenraupenpuppenkraft“.<br />

Insgesamt stellt man<br />

sich in der Haltung mit ausgebreiteten<br />

Flügeln die Leichtigkeit<br />

und Feinheit <strong>des</strong> Flügelschlages<br />

als wellenförmige Bewegung vor.<br />

– Zu beachten ist die Entspannung<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)<br />

Originalarbeiten<br />

Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22<br />

<strong>von</strong> Lenden- und Kreuzbereich sowie<br />

der Hüftgelenke. Das Gewicht<br />

ruht hauptsächlich auf dem hinteren<br />

Bein (Sitzschritt). Je nach den<br />

eigenen Bedingungen übt man mit<br />

90, 80, 70 oder 60 Prozent <strong>des</strong> Gewichtes<br />

auf dem hinteren Bein.<br />

Das Gesäß soll nicht nach hinten<br />

gestreckt werden, sondern bildet<br />

43<br />

mit der Ferse <strong>des</strong> Standbeins eine<br />

Linie. Das vordere Bein ist leicht<br />

gebeugt.<br />

– Das Prinzip der Ausgewogenheit<br />

und Ergänzung <strong>von</strong> Yin und Yang<br />

wird deutlich: Das Steigen <strong>des</strong> Qi,<br />

welches durch das Heben <strong>von</strong><br />

Armen und Körper gefördert wird,<br />

erfährt seine Begrenzung durch


die das Qi senkende Wirkung <strong>des</strong><br />

Sitzschrittes. Außerdem tragen die<br />

Lockerung der Schultern und die<br />

nach unten gerichtete Kraft der<br />

Ellbogen („fallende Ellbogen“)<br />

zum Sinken <strong>des</strong> Qi bei.<br />

Wirkungsschwerpunkte<br />

<strong>Die</strong>se Übung ist wirkungsvoll bei Beschwerden<br />

(Schmerzen und Bewegungseinschränkungen)<br />

im Bereich<br />

<strong>von</strong> Nacken, Schultern und Armen.<br />

Atembeschwerden, Husten und Engegefühl<br />

im Bereich <strong>des</strong> Brustkorbes<br />

können gelindert werden. Unwohlgefühle<br />

(Druck, Übelkeit) im Bereich<br />

der Magengrube sowie Verdauungsstörungen<br />

werden günstig beeinflusst.<br />

Bei Zeichen geistiger Ermüdung wie<br />

schlechtem Gedächtnis, Schlaflosigkeit,<br />

instabile Stimmungslage, Missmut<br />

und Neigung zu Ärger und Zorn<br />

leistet diese Übung gute <strong>Die</strong>nste.<br />

Symbolik<br />

Im Original heißt es „der große Vogel<br />

Peng“ breitet die Flügel aus. <strong>Die</strong>ser<br />

Sagenvogel wird im 1. Kapitel <strong>des</strong><br />

Zhuangzi erwähnt und stellt Größe<br />

und geistige Weite dar.<br />

Übungsweisen<br />

<strong>Die</strong> Übungen werden im Allgemeinen<br />

im Stehen ausgeführt, jedoch ist auch<br />

ein Üben im Sitzen möglich, wie es<br />

beispielhaft in Abb. 20 und 21 für die<br />

1. Übung „Reguliere den Atem, beruhige<br />

den Geist“ und in Abb. 22 für die<br />

Originalarbeiten<br />

6. Übung „Der Kondor breitet seine<br />

Schwingen aus“ dargestellt ist. <strong>Die</strong><br />

Übungsweise soll stets den Bedingungen<br />

<strong>des</strong> Übenden angemessen sein.<br />

Bei den Übungen im Sitzen setzt man<br />

sich auf die Kante eines stabil stehenden<br />

Stuhles, stellt die Füße schulterbreit<br />

auseinander fest auf den Boden.<br />

Alle anderen Anforderungen entsprechen<br />

denen in stehender Position. Gewichtsverlagerungen<br />

und Beinbewegungen<br />

werden nur andeutungsweise<br />

geübt. <strong>Die</strong> Übungsweise im Sitzen ist<br />

gut für geschwächte Menschen geeignet,<br />

da die Wirkungen <strong>des</strong> <strong>Qigong</strong><br />

ohne größeren Krafteinsatz erreicht<br />

werden können. Auch wenn die Kräfte<br />

für die stehende Übung ausreichen, ist<br />

ein gelegentliches Üben im Sitzen zu<br />

empfehlen, da die Aufmerksamkeit<br />

vermehrt auf die Feinheiten der<br />

Übungen gerichtet werden kann.<br />

Literatur<br />

1. Unbefangene Fragen <strong>des</strong> Inneren Klassikers<br />

<strong>des</strong> Gelben Fürsten, 3./2. Jh. v. Chr.<br />

2. Zhuangzi, 4.-2. Jh. v. Chr., Kap.6.1; zit. n.<br />

R. Wilhelm<br />

3. Ge Hong: Baopuzi, 4. Jh. n. Chr.<br />

4. Stein, Stephan: Philosophie und Religion in<br />

China. In: <strong>Qigong</strong> und China: G. Hildenbrand,<br />

J. Kahl und S. Stein (Hrsg.). Institut<br />

für Internationale Zusammenarbeit <strong>des</strong><br />

Deutschen Hochschulverban<strong>des</strong> e.V. Bonn<br />

2000<br />

5. Reuther, I.: <strong>Qigong</strong> Yangsheng als komplementäre<br />

Therapie bei Asthma. Frankfurt<br />

a.M. Hänsel-Hohenhausen, 1997<br />

44<br />

6. Friedrichs, E.: <strong>Qigong</strong>-Yangsheng-Übungen<br />

in der Begleitbehandlung bei Migräne<br />

und Spannungskopfschmerz. Zeitschrift für<br />

<strong>Qigong</strong> Yangsheng, 2003: 101-112<br />

7. Dahmer, M.: <strong>Die</strong> Macht der Töne. Selbstkultivierung<br />

durch Musik. Zeitschrift für<br />

<strong>Qigong</strong> Yangsheng, 2004: 101-107<br />

8. Goepper, R.: Aspekte <strong>des</strong> traditionellen chinesischen<br />

Kunstbegriffs. Zeitschrift für<br />

<strong>Qigong</strong> Yangsheng, 2001: 51-65<br />

9. <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong>: <strong>Die</strong> <strong>15</strong> <strong>Ausdrucksformen</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Taiji</strong>-<strong>Qigong</strong>. Medizinisch Literarische<br />

Verlagsgesellschaft Uelzen, 7. erweiterte<br />

Auflage, 2003.<br />

10. <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong>: <strong>Die</strong> 8 Brokatübungen. Medizinisch<br />

Literarische Verlagsgesellschaft<br />

Uelzen, 3. Aufl. 2001.<br />

11. Catherine Despeux: Das Mark <strong>des</strong> Roten<br />

Phönix. Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft<br />

Uelzen, 1995.<br />

12. <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong>: Das Spiel der 5 Tiere. Medizinisch<br />

Literarische Verlagsgesellschaft<br />

Uelzen, 2. Aufl., 2001.<br />

13. <strong>Jiao</strong> <strong>Guorui</strong>: <strong>Qigong</strong> Yangsheng. Medizinisch<br />

Literarische Verlagsgesellschaft<br />

Uelzen, 6. Aufl., 2001.<br />

PD Dr. med. Gisela Hildenbrand<br />

1. Vorsitzende der Medizinischen<br />

Gesellschaft für <strong>Qigong</strong> Yangsheng<br />

Colmantstraße 9<br />

531<strong>15</strong> Bonn<br />

Gisela.Hildenbrand@t-online.de<br />

Hinweis<br />

Samstag, 5. März 2005<br />

Der rote Drache spreizt<br />

seine Klauen<br />

Sonntag, 6. März 2005<br />

<strong>Qigong</strong> für die Lebensfreude<br />

Dr. med. Gisela Hildenbrand<br />

Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 46, 1 (2005)

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