13.04.2013 Aufrufe

Impulse für die Wissenschaft 2010 - VolkswagenStiftung

Impulse für die Wissenschaft 2010 - VolkswagenStiftung

Impulse für die Wissenschaft 2010 - VolkswagenStiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> <strong>2010</strong><br />

Aus der Arbeit der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

10


4 Vorwort<br />

6 Die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

11 Neues aus der Forschungsförderung<br />

12 Von der <strong>Wissenschaft</strong>, das Internet zu befragen<br />

Im Gespräch: Lichtenberg-Professorin Iryna Gurevych von der Universität Darmstadt<br />

über automatische Textanalyse im Internetzeitalter<br />

18 Ohne Worte – über <strong>die</strong> Sprache der Hände<br />

Gehorchen Gesten einer eigenen Grammatik? Mit <strong>die</strong>ser Frage beschäftigen sich<br />

vier Forscherinnen aus Frankfurt/Oder, Berlin und Köln.<br />

24 Hirnforschung: mehr Einblick mit Weitblick<br />

Die bildgebende Diagnostik ermöglicht heute bessere Einblicke ins Gehirn und<br />

neue Therapien. Doch Hirnforscher beschäftigen auch ethische Fragen.<br />

30 Neue Heimat Deutschland<br />

Schumpeter-Fellow Naika Foroutan geht an der Humboldt-Universität Berlin<br />

der Frage nach, wann Menschen Deutschland als ihre Heimat empfinden.<br />

36 Afrikanische Kulturen im Wandel<br />

Die Gesellschaften im sub-saharischen Afrika wandeln sich mit rasanter<br />

Geschwindigkeit. Das interessiert auch Forscher aus aller Welt.<br />

44 Die vergessene Krankheit<br />

Hilfe <strong>für</strong> Afrika: ein internationales Forscherteam auf dem Weg, eine der<br />

schlimmsten Krankheiten auf dem afrikanischen Kontinent einzudämmen<br />

52 Alles im Fluss?!<br />

Forscher aus Hannover, Taschkent und Duschanbe wollen das Lebenselixier<br />

der zentralasia tischen Region retten: das Wasser des Serafschan-Stroms.<br />

58 Die Kulturen des Krieges<br />

Auf den düsteren Spuren von Tod und Terror: Dilthey-Fellow Dietmar Süß<br />

beschäftigt sich an der Universität Jena mit dem Krieg im 20. Jahrhundert.<br />

64 Die Rückkehr der Folter<br />

Ist <strong>die</strong> Würde des Menschen noch unantastbar? Forscher in Konstanz und<br />

Münster, Düsseldorf und Gießen auf den Spuren von Wahrheit und Gewalt<br />

72 Ein Jahr im Forscherpara<strong>die</strong>s<br />

Die „Harvard-Fellowships“ ermöglichen exzellenten Geisteswissenschaftlern<br />

einen unvergesslichen Aufenthalt an der US-Elite-Universität.<br />

78 Kleben ohne Klebstoff<br />

In Laborgemeinschaft mit Geckos: Forscher aus Saarbrücken, Freiburg und<br />

Ludwigshafen auf der Suche nach klebstofffreien Haftsystemen<br />

83 Die Organisation der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

84 Vermögensanlage<br />

88 Finanzen und Verwaltung<br />

91 Die Ansprechpartner in der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Übersicht: Hintere Umschlagseiten<br />

96 Das Kuratorium<br />

Förderinitiativen


Förderangebot *)<br />

● • • • • • • • • ● • • • •<br />

Struktur- und personenbezogene Förderung<br />

Thematische <strong>Impulse</strong><br />

Lichtenberg-Professuren<br />

Schumpeter-Fellowships <strong>für</strong> den Hochschullehrer-<br />

und Führungsnachwuchs in den Wirtschafts-,<br />

Sozial- und Rechtswissenschaften<br />

Pro Geisteswissenschaften<br />

– Dilthey-Fellowships<br />

– Opus magnum<br />

Fellowships <strong>für</strong> Postdoktoranden und -doktorandinnen<br />

aus den Geisteswissenschaften am<br />

Humanities Center der Harvard University<br />

Hochschule der Zukunft<br />

– Bologna – Zukunft der Lehre<br />

Symposien und Sommerschulen<br />

• ● • • • • •<br />

Auslandsorientierte Initiativen<br />

Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative<br />

Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika<br />

Zwischen Europa und Orient – Mittelasien /<br />

Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong><br />

Dokumentation bedrohter Sprachen<br />

Integration molekularer Komponenten in<br />

funktionale makroskopische Systeme<br />

Neue konzeptionelle Ansätze zur Modellierung<br />

und Simulation komplexer Systeme<br />

Evolutionsbiologie<br />

• • • ● • • •<br />

Gesellschaftliche und kulturelle<br />

Herausforderungen<br />

• • • • ● • •<br />

Zukunftsfragen der Gesellschaft –<br />

Analyse, Beratung und Kommunikation<br />

zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und Praxis<br />

– Individuelle und gesellschaftliche Perspektiven<br />

des Alterns<br />

– Europe and Global Challenges<br />

Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften –<br />

Programm zur Förderung fachübergreifender<br />

und internationaler Zusammenarbeit<br />

Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong> ist mehrsprachig<br />

Forschung in Museen<br />

Offen – <strong>für</strong> Außergewöhnliches<br />

Außergewöhnliches<br />

<strong>Wissenschaft</strong> – Öffentlichkeit – Gesellschaft<br />

European Platform for Life Sciences,<br />

Mind Sciences, and the Humanities<br />

Stand: Dezember 2009<br />

*) Die Ansprechpartner zu den einzelnen Förderinitiativen<br />

siehe hintere Umschlagseite.


Impressum<br />

Herausgeber<br />

© <strong>VolkswagenStiftung</strong>,<br />

Hannover, Dezember 2009<br />

Redaktion (verantwortlich)<br />

Dr. Christian Jung (cj)<br />

Korrektorat<br />

Cornelia Groterjahn,<br />

Hannover<br />

Gesamtherstellung<br />

Sponholtz Druckerei GmbH ,<br />

Hemmingen<br />

Bildnachweis<br />

Die Fotos und Abbildungen<br />

wurden – soweit unten<br />

nicht anders angegeben –<br />

dankenswerterweise von den<br />

jeweiligen Instituten bzw.<br />

Hochschul-Pressestellen zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

Das Umschlagfoto zeigt Dr. Florian<br />

Carl vom Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik<br />

in Hildesheim, Dr. Isaac R. Amuah,<br />

Kooperationspartner in Ghana,<br />

Projektleiter Professor Dr. Raimund<br />

Vogels von der Hochschule <strong>für</strong><br />

Musik und Theater Hannover, Pro -<br />

fessor Dr. William Anku, Projekt -<br />

partner in Ghana, Projektleiter Dr.<br />

Wolfgang Bender vom Zentrum<br />

<strong>für</strong> Weltmusik sowie Christopher<br />

Mtaku, Partner aus Nigeria, bei<br />

einem Treffen in Hildesheim.<br />

Umschlag und Seiten 36, 38, 39:<br />

Frank Wilde, Hannover<br />

Seiten 4, 30, 32, 34, 35: Frank<br />

Nürnberger, Berlin<br />

Seite 7: Rainer Dröse, Langenhagen<br />

Seiten 12, 14, 16, 24, 25, 26, 27, 78, 80,<br />

81: Jens Steingässer, Darmstadt<br />

Seite 15: Mathias Daum, Mainz<br />

Seite 23: Katie Slocombe, York, UK<br />

Seite 20, 21, 22: Klaus Siebahn,<br />

Güstrow<br />

Seite 29: Johann Saba, Bonn<br />

Seiten 52, 57, 92 (Stanitzke,<br />

Robrecht, Saß, Ebeling, Jung),<br />

94 (Brunotte, Wessler), 95 (Otto),<br />

96: Dennis Börsch, Hannover<br />

Seiten 58, 60, 62: Thomas Wolf,<br />

Gotha<br />

Seiten 64, 66, 67: Uwe<br />

Lewandowski, Osnabrück<br />

Seite 68: David Klammer, Köln;<br />

auf dem Bild zu sehen sind<br />

Skulpturen von Jean Fautrier<br />

(Figur vorne links: "TETE", 1937;<br />

Figur hinten: "GRAND TETE<br />

TRAGIQUE", 1942; Figur vorne<br />

rechts: "TETE STRIEE", 1940;<br />

Stiftung Insel Hombroich)<br />

Seiten 69 oben, 75 unten, 79: dpa<br />

Picture-Alliance, Frankfurt/Main<br />

Seite 70: Ina Bigalke<br />

Seite 71: David Klammer, Köln<br />

Seite 75 oben: “The Butler's in Love"<br />

1991, Mark Stock,<br />

www.theworldofmarkstock.com<br />

Seite 84: Chris Kistner,<br />

Frankfurt/Main<br />

Seiten 92 (Krull), 93 (Bischler, Fließ,<br />

Hanne, Hartmann, Nöllenburg),<br />

94 (Horstmann, Szöllösi-Brenig),<br />

95 (Fallnacker, Maaß, Lehmann,<br />

Bensch, Pörschke): Franz Fender,<br />

Hannover<br />

Seiten 93 (Willms-Hoff, Detten -<br />

wanger), 94 (Hof, Levermann,<br />

Schmidt), 95 (Mitscherling,<br />

Bodemer): Volker Uphoff,<br />

Hannover<br />

Quellennachweis<br />

Seiten 46, 47, 49: aus: Thomas<br />

Junghanss et al.: Phase Change<br />

Material for Thermotherapy<br />

of Buruli Ulcer: A Prospective<br />

Observational Single Centre<br />

Proof-of-Principle Trial. In: PLoS<br />

Neglected Tropical Diseases,<br />

Februar 2009


Wir stiften Wissen


4<br />

Vorwort<br />

Durch <strong>die</strong> Finanzmarktkrise!<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

<strong>die</strong> Entwicklungen auf den Finanzmärkten stellen<br />

auch Stiftungen vor immense Herausforderungen.<br />

Auswirkungen auf das Vermögen, <strong>die</strong> Erträge<br />

daraus und auf Spendeneinnahmen haben sich<br />

bereits in vielen Fällen konkretisiert und sind auch<br />

weiterhin zu erwarten – sei es aufgrund sinkender<br />

Renditen aus der Anlage des Vermögens oder<br />

wegen geringerer Spenden aus der Wirtschaft<br />

und von Privatpersonen. Doch wie immer kann<br />

eine Krise auch Neuem den Weg bahnen.<br />

Im Chinesischen setzt sich der Begriff der Krise<br />

bekanntlich aus zwei Schriftzeichen zusammen:<br />

„Risiko/Gefahr“ und „Gelegenheit/Chance“. Eine<br />

Krise ist demgemäß ein Wendepunkt; sie kann<br />

immer auch als Chance begriffen werden – wenn<br />

<strong>die</strong> Betroffenen sie zugleich zum Anlass nehmen,<br />

ihr Handeln und Wirken kritisch zu überdenken<br />

und sich weiterzuentwickeln.<br />

Sich weiterzuentwickeln ist gerade <strong>für</strong> Stiftungen<br />

ein sine qua non. Es muss im Selbstverständnis<br />

von Stiftungen liegen, unaufhörlich bereit zu<br />

sein, Neuland zu betreten. Dazu kommt, dass <strong>die</strong><br />

nachhaltige Bewältigung der aktuellen Krise und<br />

ihrer Folgen von Voraussetzungen abhängt, <strong>die</strong><br />

nicht allein vom Staat geschaffen werden können.<br />

Gerade Stiftungen sind hier in der Verantwortung,<br />

zur Stabilität, Leistungs- und auch Wandlungs -<br />

fähigkeit einer demokratischen Gesellschaft beizutragen,<br />

der sie letztlich ihre heutigen Aktionsmöglichkeiten<br />

und vielfach ihre Existenz verdanken.<br />

Die Krisen und <strong>die</strong> seit einiger Zeit zu beobach -<br />

tenden Veränderungsprozesse stellen momentan<br />

und wohl auch in den kommenden Jahren <strong>die</strong><br />

Gesellschaft und deren Institutionen vor zusätz -<br />

Generalsekretär Dr. Wilhelm Krull<br />

liche Herausforderungen – und denen sollten sich<br />

Stiftungen mit Verve annehmen. So greift auch<br />

<strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> über ihr Förderportfolio<br />

aktuell einige der großen „Problemfelder“ auf:<br />

Beispielsweise fordert sie <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>ler dazu auf, sich mit Fragen der<br />

Globalisierungskonsequenzen, von Migration und<br />

Integration oder mit den Auswirkungen der demografischen<br />

Entwicklung auseinanderzusetzen –<br />

oder sie ermöglicht <strong>die</strong> modellhafte Betrachtung<br />

von Extremereignissen, <strong>die</strong> in Natur, Wirtschaft<br />

und anderswo immer häufiger zu beobachten<br />

sind. Dies skizziert nur einige Aktionsfelder.<br />

Festzuhalten bleibt, dass sich aus der aktuellen<br />

Situation ein Verantwortungszuwachs <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stiftungen<br />

ergibt. Dieser erfolgt nun allerdings just in<br />

einem Moment, da sie den gleichen, besonderen<br />

Belastungen ausgesetzt sind wie Politik und Wirtschaft.<br />

Doch auch hier weist <strong>die</strong> Krise den Weg.<br />

Und der führt – in <strong>die</strong> Kooperation; in Partnerschaften,<br />

Allianzen und Netzwerke. Der Einzelne<br />

wird stark durch <strong>die</strong> Kraft vieler.


Der Ansatz ist dabei eigentlich kein neuer: Wo man<br />

auch hinschaut, vieles in unserer Gesellschaft ist<br />

durch <strong>die</strong> Zusammenarbeit vieler geprägt. Unser<br />

Leben wird komplexer, und damit werden es auch<br />

<strong>die</strong> gesellschaftlichen Zusammenhänge. Entsprechend<br />

bedarf es ausdifferenzierter Handlungs -<br />

strategien. Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

– <strong>die</strong> oben schon genannten Themenfelder<br />

lassen sich schnell erweitern – machen<br />

gemeinsames Handeln zur umfassenden gesamtgesellschaftlichen<br />

Aufgabe. Die anhaltende und<br />

jüngst wieder intensivere Diskussion über ein<br />

neues Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft, Bürgern<br />

und Drittem Sektor zeigt dabei, dass es dem<br />

einzelnen Akteur immer weniger zugetraut wird,<br />

Aufgaben isoliert zu bewältigen. Die aktuelle<br />

Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise macht uns<br />

viele Grenzen bewusst. Fast zwingend, so lässt<br />

sich daher sagen, wird <strong>die</strong> Krise den Trend zur<br />

Zusammenarbeit verschiedener Akteure beflügeln.<br />

Eine Entwicklung, <strong>die</strong> ebenso überfällig ist<br />

wie nachdrücklich zu begrüßen.<br />

Das funktioniert zugunsten vieler Themenfelder<br />

und gleichermaßen auf internationaler, nationaler<br />

wie auf lokaler Ebene. In der <strong>Wissenschaft</strong>sförderung<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> – in <strong>die</strong>sem Heft finden<br />

Sie wieder ein Dutzend exzellenter laufender<br />

Forschungsvorhaben vorgestellt – zeigen <strong>die</strong>s <strong>die</strong><br />

vielfältigen Stiftungskooperationen. Für <strong>die</strong>sen<br />

Ansatz steht aber auch ein Beispiel aus der Ver mö -<br />

gensanlage. So wird <strong>die</strong> Stiftung über den Bau eines<br />

wissenschaftlichen Tagungszentrums im Gewand<br />

des da<strong>für</strong> wieder aufzubauenden Schlosses in<br />

Herrenhausen der Stadt Hannover und einer ihrer<br />

touristischen Attraktionen, den Herrenhäuser Gärten,<br />

ein Stück neuen Glanz verleihen. Auch hier<br />

wird mutig in Zeiten der Krise etwas realisiert, auch<br />

hier arbeiten mehrere Partner zusammen mit dem<br />

Ziel, am Ende etwas Großes entstehen zu lassen.<br />

So wird das Tagungszentrum gemeinsam von<br />

Stadt und Land durch ein Museum ergänzt, das <strong>die</strong><br />

– unter anderem mit dem Namen Gottfried Wilhelm<br />

Leibniz verknüpfte – besondere kultur- und<br />

geistesgeschichtliche Bedeutung des Ortes dokumentieren<br />

soll. Die Symbiose <strong>die</strong>ser beiden Nut-<br />

zungen aus modernem Tagungszentrum und<br />

kulturhistorisch ausgerichtetem Museum wird<br />

den <strong>Wissenschaft</strong>s- und Wirtschaftsstandort<br />

Hannover und dessen bedeutende Tradition<br />

weiter stärken und das Zusammenspiel zwischen<br />

Geschichte, Gegenwart und Zukunft verdeutlichen.<br />

Die Beispiele machen klar: Stiftungen – und hier<br />

sieht sich <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> als wichtiger<br />

Impulsgeber – spielen auch und gerade in der Krise<br />

eine große Rolle als Innovatoren und als Motor <strong>für</strong><br />

Veränderungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass<br />

sie jedem modischen Trend nachlaufen sollten.<br />

Vielmehr kommt es darauf an, in kritischer Distanz<br />

zu aktuellen gesellschaftlichen und kulturellen<br />

Entwicklungen eigene Wertentscheidungen<br />

zu treffen. Dabei kann es durchaus sinnvoll sein,<br />

über einen bestimmten Zeitraum stets nur einige,<br />

da<strong>für</strong> (finanziell) umso deutlichere Akzente zu<br />

setzen – indem man beispielsweise angesichts<br />

des Zustands vieler Museumssammlungen den<br />

Schwerpunkt ganz stark auf das Erhalten, Erschließen<br />

und insbesondere Erforschen der Bestände<br />

legt, wie es <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit ihrer<br />

jüngsten Förderinitiative „Forschung in Museen“<br />

tut. Wer also auf verantwortungsvolle Weise <strong>die</strong><br />

Zukunft gestalten will, findet gerade in der Krise<br />

überall Gelegenheiten und seine Chance, mit<br />

vorausschauendem Denken und Handeln präsent<br />

zu sein.<br />

Ihr<br />

Wilhelm Krull<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 5


6<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Wir stiften Wissen<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> ist keine Unternehmensstiftung,<br />

sondern eine eigenständige, gemeinnützige<br />

Stiftung privaten Rechts mit Sitz in Hannover.<br />

Mit einem Fördervolumen von rund 100 Millionen<br />

Euro pro Jahr ist sie <strong>die</strong> größte deutsche wissenschaftsfördernde<br />

Stiftung überhaupt und eine der<br />

größten Stiftungen hierzulande und in Europa. Die<br />

Fördermittel werden aus dem Kapital der Stiftung<br />

erwirtschaftet, das derzeit etwa 2,1 Milliarden Euro<br />

beträgt – eine starke Basis, um Wissen zu stiften!<br />

Gemäß ihrem Slogan „Wir stiften Wissen“ ent -<br />

wickelt <strong>die</strong> Stiftung mit Blick auf junge, zukunftsweisende<br />

oder auch gerade erst im Ansatz zu<br />

identifizierende Forschungsgebiete eigene, spe -<br />

zifische Förderinitiativen; sie ist darüber hinaus<br />

jedoch immer auch offen <strong>für</strong> Außergewöhnliches.<br />

In ihrer Gesamtheit bilden <strong>die</strong> Initiativen den<br />

Kern des Förderangebots. Mit <strong>die</strong>ser Konzentra -<br />

tion auf derzeit zwanzig solcher „Arbeits felder“<br />

sorgt <strong>die</strong> Stiftung da<strong>für</strong>, dass ihre Mittel effektiv<br />

eingesetzt werden. Wenn eine Initiative nach<br />

einigen Jahren beendet wird, um Raum <strong>für</strong> Neues<br />

zu schaffen, ist das Thema oft fest in der <strong>Wissenschaft</strong>slandschaft<br />

verankert.<br />

Ihre Finanzkraft ermöglicht es der Stiftung, auf<br />

ungewöhnlich umfangreiche und vielfältige Weise<br />

<strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en zu unterstützen und neue<br />

Entwicklungen voranzutreiben. Besondere Aufmerksamkeit<br />

widmet sie dabei dem wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs und der Zusammenarbeit von<br />

Forschern über wissenschaftliche, kulturelle und<br />

staatliche Grenzen hinweg. Zwei weitere große<br />

Anliegen: <strong>die</strong> Ausbildungs- und <strong>die</strong> Forschungsstrukturen<br />

in Deutschland verbessern helfen.<br />

Inzwischen hat <strong>die</strong> Stiftung in den nunmehr 48<br />

Jahren ihres Bestehens rund 29.500 Projekte mit<br />

insgesamt mehr als 3,6 Milliarden Euro gefördert<br />

– auch das ein Superlativ.<br />

<strong>Impulse</strong> geben: das Förderangebot<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> gibt der <strong>Wissenschaft</strong> mit<br />

ihren Fördermitteln gezielte <strong>Impulse</strong>: Sie stimuliert<br />

solche Ansätze und Entwicklungen, <strong>die</strong> sich<br />

einigen der großen Herausforderungen unserer<br />

Zeit stellen. Die Stiftung fördert entsprechende<br />

Forschungsvorhaben aus allen <strong>Wissenschaft</strong>sbereichen<br />

und hilft wissenschaftlichen Institutionen<br />

bei der Verbesserung der strukturellen Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> ihre Arbeit.<br />

In ihrem Zusammenwirken und ihrer wechselseitigen<br />

Ergänzung verleihen <strong>die</strong> sich immer wieder<br />

zu einem neuen Gesamtpaket zusammensetzenden<br />

Förderinitiativen dem Förderprofil der Stiftung<br />

dessen unverwechselbare Struktur. Auf <strong>die</strong>se<br />

Weise füllt <strong>die</strong> Stiftung ihren Satzungszweck, „<strong>die</strong><br />

Förderung von <strong>Wissenschaft</strong> und Technik in Forschung<br />

und Lehre“, beständig mit neuem Leben.<br />

Deutlich wird dabei: Gezielte Fokussierung ist<br />

übergreifendes Strukturprinzip der Forschungsförderung<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong>. Dies sichert<br />

auch eine nachhaltige Wirkung der zur Verfügung<br />

stehenden Mittel.<br />

Derzeit steht vor allem eine explizit personenbezogene<br />

Förderung im Zentrum des Engagements:<br />

Die Stiftung richtet „Lichtenberg-Professuren“<br />

an deutschen Universitäten ein oder hält mit den<br />

Schumpeter-, Dilthey- und Harvard-Fellowships<br />

spezielle Angebote <strong>für</strong> Geistes- und Sozialwissen-


Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Wiederaufbau von Schloss<br />

Herrenhausen: Am 3. Juli 2009 unterschrieben Hannovers Oberbürgermeister<br />

Stephan Weil (rechts) und der Generalsekretär<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> Wilhelm Krull <strong>die</strong> Verträge. Im Innern<br />

des Schlosses entstehen ein Tagungszentrum und ein Museum,<br />

das in den Seitenflügeln untergebracht sein wird.<br />

schaftler bereit. Ebenso gilt ihr Interesse solch<br />

unterschiedlichen Gebieten wie den Fertigungsprozessen<br />

multifunktionaler Oberflächen, der<br />

Erforschung bedrohter Sprachen oder verschiedenen<br />

Facetten des Themas Evolutionsbiologie. Die<br />

Stiftung beschäftigt sich und <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />

mit den Zukunftsfragen der Gesellschaft – oder<br />

fördert eben mit Nachdruck wissenschaftliche<br />

Kooperationen mit dem Ausland. Ihr Augenmerk<br />

richtet sie dabei auf fachübergreifende Forschungsansätze<br />

und <strong>die</strong> junge <strong>Wissenschaft</strong>lergeneration.<br />

Gerade den international renommierten Forscherinnen<br />

und Forschern sowie den Nachwuchswissenschaftlern<br />

macht sie immer wieder speziell<br />

zugeschnittene Angebote.<br />

• Struktur- und personenbezogene Förderung<br />

Wichtiges Ziel der <strong>VolkswagenStiftung</strong> ist es,<br />

gezielte Anstöße zu geben zur Verbesserung der<br />

strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />

von Forschung und Lehre sowie der<br />

wissenschaftlichen Kommunikation. Diesem<br />

Zweck <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> struktur- und personenbezogene<br />

Förderung. Hier geht es um <strong>die</strong> besten Köpfe;<br />

darum, Exzellenz zu fördern, <strong>die</strong> Hochschulen<br />

international wettbewerbsfähig zu machen und<br />

gezielt an <strong>die</strong> Spitze zu bringen. Es geht vor allem<br />

auch darum, <strong>die</strong> Chancen <strong>für</strong> den wissenschaft -<br />

lichen Nachwuchs zu verbessern und neue Formen<br />

fächer- wie institutionenübergreifender<br />

Zusammenarbeit zu fördern.<br />

Zurzeit umfasst <strong>die</strong>ses Förderangebot sechs aufeinander<br />

abgestimmte Initiativen. Dabei verbinden<br />

sich wie etwa bei den Lichtenberg-Professuren<br />

und den Schumpeter-Fellowships personenbezogene<br />

<strong>Impulse</strong> mit strukturellen wie thematischen<br />

Akzentsetzungen. Die Initiative „Pro Geisteswis-<br />

senschaften“ wiederum mit ihrer Ausrichtung auf<br />

<strong>die</strong> ebenso klassischen wie un verändert erfolgreichen<br />

Formen „individueller“ Forschung erfüllt eine<br />

von <strong>Wissenschaft</strong>lern <strong>die</strong>ser Fachrichtungen immer<br />

wieder mit Nachdruck erhobene Forderung nach<br />

adressatenspezifischer Unterstützung.<br />

• Auslandsorientierte Initiativen<br />

Die auslandsbezogenen Förderinitiativen – gegenwärtig<br />

sind es drei – <strong>die</strong>nen der internationalen<br />

wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der<br />

gezielten Unterstützung von Institutionen und<br />

Vorhaben im Ausland: wie derzeit <strong>für</strong> <strong>die</strong> Region<br />

Mittelasien/Kaukasus und das sub-saharische<br />

Afrika. Dabei entwickelt <strong>die</strong> Stiftung jeweils spezifische<br />

Förderinstrumente, <strong>die</strong> den Gegebenheiten<br />

in den einzelnen Ländern und Regionen Rechnung<br />

tragen. Zum einen geht es darum, dass <strong>die</strong> wissenschaftlichen<br />

Einrichtungen im Ausland von dem<br />

Vorhaben profitieren und <strong>die</strong> – insbesondere jüngeren<br />

– <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

in der Region Möglichkeiten zur Qualifizierung<br />

erhalten. Ebenso soll aber auch durch Unterstützung<br />

von Auslandsprojekten und -aufenthalten<br />

der deutschen Forschung zu stär kerer internationaler<br />

Orientierung verholfen werden. Anträge von<br />

wissenschaftlichen Einrichtungen im Ausland<br />

nimmt <strong>die</strong> Stiftung übrigens in den meisten ihrer<br />

Förderinitiativen entgegen – allerdings nur, wenn<br />

eine substanzielle Koopera tion mit <strong>Wissenschaft</strong>lern<br />

in Deutschland vorgesehen ist.<br />

• Thematische <strong>Impulse</strong><br />

Hier setzt <strong>die</strong> Stiftung explizit Anreize im Hinblick<br />

auf <strong>die</strong> Förderung themen- und problemorientierter<br />

Grundlagenforschung. Sie verfolgt damit fachliche<br />

Ziele inhaltlicher und methodischer Art, will<br />

also ihrerseits auf neue Forschungsgebiete, -inhalte<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 7


8<br />

und -methoden aufmerksam machen. Die Stiftung<br />

gibt mit <strong>die</strong>sem Angebot Anregungen und Hilfestellungen<br />

da<strong>für</strong>, neue Ansätze und Fragestellungen<br />

aufzugreifen, Theorien, Arbeitsrichtungen,<br />

Methoden und auch neue Fächerverbindungen<br />

zu entwickeln und zu erproben – vor allem auch<br />

unter Einbindung des wissenschaftlichen Nachwuchses<br />

in <strong>die</strong> Projekte. Derzeit bietet <strong>die</strong> Stiftung<br />

in <strong>die</strong>sem Segment drei Förderinitiativen an.<br />

• Gesellschaftliche Herausforderungen<br />

Je komplexer und unübersichtlicher <strong>die</strong> Strukturen<br />

und Prozesse in der modernen, von <strong>Wissenschaft</strong><br />

ebenso geprägten wie abhängigen Welt werden,<br />

desto mehr muss sich <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> den damit<br />

verbundenen Herausforderungen stellen. Von<br />

daher sieht sich <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> als wissenschaftsfördernde<br />

Einrichtung auch dort in der<br />

Pflicht, wo Politik und Verwaltung, Wirtschaft und<br />

Gesellschaft von der <strong>Wissenschaft</strong> im engen Austausch<br />

mit der Praxis Orientierung und Unterstützung<br />

erwarten. Derzeit konzentriert <strong>die</strong> Stiftung<br />

ihre Förderung <strong>die</strong>sbezüglich auf vier breit angelegte<br />

Initiativen. Beispielhaft da<strong>für</strong> sind <strong>die</strong> „Schlüs -<br />

selthemen der Geisteswissenschaften“ oder <strong>die</strong><br />

„Zukunftsfragen der Gesellschaft“ mit ihren<br />

wechselnden Ausschreibungen zu – momentan<br />

zwei – verschiedenen Themenfeldern. Die jüngste<br />

datiert aus dem Be ginn des Jahres 2009: „Europe<br />

and Global Challenges“.<br />

• Offen – <strong>für</strong> Außergewöhnliches<br />

Wer eine herausragende wissenschaftliche Projekt -<br />

idee hat, einen innovativen, außergewöhnlichen<br />

Forschungsansatz verfolgt, sein Gebiet schon<br />

spürbar vorangebracht hat, quer zu Disziplinen<br />

und Mainstream denkt, aber unter den aktuellen<br />

Förderinitiativen der <strong>VolkswagenStiftung</strong> keine<br />

findet, der sich das geplante Vorhaben zuordnen<br />

lässt – der könnte dennoch bei der Volkswagen-<br />

Stiftung an der richtigen Adresse sein. Die Stiftung<br />

ist sehr daran interessiert, auch Vorhaben zu<br />

fördern, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es bei ihr derzeit kein entsprechendes<br />

Rahmenangebot gibt. Auf <strong>die</strong>se Weise möchte<br />

sie ein Forum bieten <strong>für</strong> Ideen und Konzepte, <strong>die</strong><br />

zukunftsweisenden Fragestellungen gelten und<br />

durch Zusammenführung unterschiedlicher Fachrichtungen<br />

und methodischer Ansätze neue Perspektiven<br />

eröffnen – in der Forschung, in der Lehre<br />

und nicht zuletzt im Zusammenspiel von <strong>Wissenschaft</strong>,<br />

Praxis und Öffentlichkeit. Dieses Angebot<br />

zielt allerdings nicht auf den Regelfall, sondern<br />

auf <strong>die</strong> Ausnahme. Wer hier zum Zuge kommen<br />

will, muss daher mit seinem Vorhaben nicht nur<br />

höchsten wissenschaftlichen Maßstäben genügen,<br />

sondern auch plausibel machen können, dass sich<br />

da<strong>für</strong> im Rahmen der Förderangebote anderer<br />

Institutionen keine Un terstützung finden lässt<br />

und somit gerade <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> gefordert<br />

ist.<br />

Unabhängiger <strong>Wissenschaft</strong>sförderer<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> sieht ihre Aufgaben und<br />

Gestaltungsspielräume innerhalb der <strong>Wissenschaft</strong>sförderung<br />

zum einen in den Bedürfnissen<br />

der scientific community selbst, andererseits auch<br />

in Problembereichen, in denen Politik, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft von der <strong>Wissenschaft</strong> Unterstützung<br />

erwarten können. Auch wo andere Mittel -<br />

geber nicht oder nicht hinreichend zur Verfügung<br />

stehen, sieht sich <strong>die</strong> Stiftung immer wieder in<br />

der Pflicht. Da sie nur aus den Erträgen ihres eigenen<br />

Vermögens schöpft, ist sie autark. Und da sie<br />

rechtsfähig ist, ist sie auch autonom. Das bietet<br />

eine starke Basis <strong>für</strong> eine unabhängige <strong>Wissenschaft</strong>sförderung.<br />

Zweckbindung der Mittel<br />

Für <strong>die</strong> Ausführung der Fördertätigkeit enthält <strong>die</strong><br />

Satzung der Stiftung nur wenige Bestimmungen.<br />

So werden Mittel an wissenschaftliche Ins titu tio -<br />

nen, nicht an Personen vergeben. Die Stiftung hat<br />

sicherzustellen, dass ihre Fördermittel zusätzlich<br />

verwendet werden; <strong>die</strong> Mittel dürfen also nicht<br />

<strong>die</strong> Unterhaltsträger der geförderten Einrichtungen<br />

– in der Regel den Staat – entlasten. Sie dürfen<br />

auch nicht zum Ausgleich von Etatlücken verwendet<br />

werden oder Anlass da<strong>für</strong> geben, dass der Etat


aufgrund der Zuwendungen gekürzt wird. Die<br />

Satzung fordert weiter, dass <strong>die</strong> Fördermittel als<br />

zweckgebundene Zuwendungen zu vergeben sind.<br />

Eine pauschale Gewährung allgemeiner, nicht spe -<br />

zifizierter Zuschüsse ist ausgeschlossen. Schließlich<br />

darf ein einzelnes Vorhaben in der Regel nicht<br />

länger als fünf Jahre gefördert werden. Im Übrigen<br />

bestimmt <strong>die</strong> Stiftung ihre Verfahren selbst.<br />

Sorgfältige Begutachtung<br />

Qualität zu finden, macht sich <strong>die</strong> Stiftung nicht<br />

leicht. Im Jahr 2009 beispielsweise haben 868<br />

Gutachter, darunter 294 aus dem Ausland, <strong>die</strong> Vorbereitung<br />

ihrer Entscheidungen unterstützt: einzeln<br />

oder in Gutachterkreisen. Die Stiftung achtet<br />

auch hier strikt auf Unabhängigkeit. Grund sätzlich<br />

nicht als Gutachter befragt werden insbesondere<br />

Kollegen des Antragstellers aus derselben Forschungsgruppe,<br />

wissenschaft lichen Einrichtung,<br />

Fakultät, Hochschule; ferner <strong>Wissenschaft</strong> lerinnen<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>ler, von denen ein Antrag bei der<br />

Stiftung vorliegt oder deren Antrag kürzlich abgelehnt<br />

wurde – und natürlich <strong>die</strong>jenigen, bei denen<br />

es Hinweise auf positive oder negative Voreingenommenheit<br />

gibt. So versucht <strong>die</strong> Stiftung schon<br />

bei der Begutachtung den selbst gesetzten hohen<br />

Standards zu entsprechen, <strong>die</strong> ihre Fördertätigkeit<br />

insgesamt bestimmen.<br />

Das Schloss Herrenhausen, ursprünglich ein barocker, in mehreren<br />

Abschnitten entstandener Bau, wurde von Georg Ludwig Laves<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts im Stil des Klassizismus umgestaltet<br />

(siehe Bild). Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bau zerstört; damit<br />

verlor das Gesamtensemble des Großen Gartens einen wichtigen<br />

Bezugspunkt. Mit dem Wiederaufbau des einst von den Welfen<br />

als Sommerresidenz genutzten Schlosses stärken Stadt und<br />

Stiftung <strong>die</strong> Attraktivität des <strong>Wissenschaft</strong>s- und Wirtschaftsstandortes<br />

Hannover.<br />

Geschichte der Stiftung<br />

Zum Schluss ein paar Worte zur „Geschichte“ der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong>, <strong>die</strong> – anders als ihr Name<br />

vermuten lässt – keine Unternehmensstiftung ist.<br />

Sie verdankt ihren Namen wie auch ihre Gründung<br />

einem Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und dem Land Niedersachsen vom<br />

November 1959, mit dem <strong>die</strong> Auseinandersetzungen<br />

um <strong>die</strong> unklaren Eigentumsverhältnisse am<br />

Volkswagenwerk beendet wurden.<br />

Nach dem Krieg gab es keinen identifizierbaren<br />

Eigentümer mehr. Man beschloss, <strong>die</strong> damalige<br />

Volkswagenwerk GmbH in eine Aktiengesellschaft<br />

umzuwandeln. 60 Prozent des Aktienka -<br />

pitals wurden durch <strong>die</strong> Ausgabe sogenannter<br />

Volksaktien in Privateigentum überführt, je 20<br />

Prozent behielten der Bund und das Land Niedersachsen.<br />

Der Erlös aus der Privatisierung und <strong>die</strong><br />

Gewinnansprüche auf <strong>die</strong> dem Bund und dem<br />

Land verbliebenen Anteile wurden als Vermögen<br />

der neu gegründeten Stiftung Volkswagenwerk,<br />

wie sie bis 1989 hieß, übertragen. Ihr Kapital legt<br />

<strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> so ertragreich und nachhaltig<br />

wie möglich an; sie hat das Stiftungskapital<br />

dabei über <strong>die</strong> Jahre in seinem Wert erhalten.<br />

Dessen Erträge ermöglichen eben seit nunmehr<br />

nahezu fünf Jahrzehnten jene Forschung, <strong>die</strong> auf<br />

den folgenden Seiten vorgestellt wird.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 9


Neues aus der Forschungsförderung<br />

<strong>Wissenschaft</strong> ist in besonderem Maße globalisiert – das kommt nicht zuletzt in dem<br />

Slogan von der weltweiten Konkurrenz um <strong>die</strong> besten Köpfe zum Ausdruck. Betrachtet<br />

man das Ziel der Internationalisierung explizit von der <strong>Wissenschaft</strong> her, werden allerdings<br />

viele Barrieren erkennbar. Sie haben teils nur mittelbar etwas mit Geld oder Politik<br />

zu tun, mit disziplinären Methoden, technologischen Voraussetzungen oder institutionellen<br />

Strukturen. Oftmals mehr begrenzend wirken Sprache und gegenseitiges (Miss-)<br />

Verstehen, ist gerade wissenschaftliches Wirken doch ebenso sprachabhängig wie kulturell<br />

bedingt. Wenn es also um neue Ideen auf der Basis internationaler Zusammenarbeit<br />

geht, ist <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>Wissenschaft</strong> sich in kulturellen Kontexten entwickelt, von<br />

weitreichender Bedeutung.<br />

Hier ebenso „entgrenzend“ wie über <strong>die</strong> Grenzen – gleich welcher Art – zusammenführend<br />

zu wirken, ist immer schon Ziel der <strong>VolkswagenStiftung</strong> gewesen. Beispiele in <strong>die</strong>sem<br />

Heft zeigen <strong>die</strong>s. Allein vier Projekte aus drei Themenfeldern und zwei Weltregionen<br />

machen deutlich, wie erfolgreich <strong>die</strong> Stiftung agiert mit ihrem Verständnis von einer<br />

angemessenen auslandsorientierten Förderung, <strong>die</strong> partnerschaftliches Zusammen -<br />

arbeiten in den Mittelpunkt stellt. So hat ein deutsch-afrikanisches Forscherteam eine<br />

neue Methode entwickelt, einer der ge<strong>für</strong>chtetsten Krankheiten der Tropen Einhalt zu<br />

gebieten. Ebenfalls im sub-saharischen Afrika „unterwegs“ ist ein junger ghanaischer<br />

Biologe mit dem Ziel, einer weiteren sogenannten Armutskrankheit besser entgegenzutreten.<br />

Wieder ein anderes deutsch-afrikanisches Forscherteam beschäftigt sich mit den<br />

Veränderungsdynamiken und den „Aushandlungsprozessen“ von Kultur in afrikanischen<br />

Gesellschaften – und zwar am Beispiel von Musik und elektronischen Me<strong>die</strong>n. Und in<br />

Zentralasien suchen <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler aus Deutschland und<br />

der Region nach Wegen, ein dringendes Umweltproblem in den Griff zu bekommen.<br />

Unterdessen geht eine <strong>Wissenschaft</strong>lerin mit iranischen Wurzeln in Deutschland der Frage<br />

nach, wann Menschen das Land, in dem sie leben, als Heimat empfinden. Naika Foroutan<br />

ist dabei nur eine von vier „besten Köpfen“, <strong>die</strong> in Interviews Einblicke geben in ihre Arbeit<br />

und ihr Leben als <strong>Wissenschaft</strong>lerin oder <strong>Wissenschaft</strong>ler. Neugierig geworden? Dann<br />

wünschen wir viel Spaß bei der Lektüre unserer „<strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>“!


Von der <strong>Wissenschaft</strong>, das Internet zu befragen<br />

Im Gespräch: Lichtenberg-Professorin Iryna<br />

Gurevych von der Universität Darmstadt über<br />

automatische Textanalyse im Internetzeitalter<br />

Sie stehen noch am Beginn ihrer Karriere und haben doch längst ein neues<br />

Forschungsfeld <strong>für</strong> sich abgesteckt – <strong>die</strong> erfolgreichen Bewerberinnen und<br />

Bewerber um eine Lichtenberg-Professur der <strong>VolkswagenStiftung</strong>. Dieses<br />

Förderinstrument gibt ausgewählten exzellenten Forschern <strong>die</strong> nötige Freiheit<br />

und <strong>die</strong> Ausstattung, ihre hochinnovativen Ideen verfolgen zu können.<br />

Und an den Universitäten, <strong>die</strong> in den Genuss einer Lichtenberg-Professur<br />

kommen, lassen sich auf <strong>die</strong>sem Weg neue Forschungsgebiete etablieren.<br />

Wer mit Iryna Gurevych ein Interview führt, muss sich in Acht nehmen: Die<br />

W1-Lichtenberg-Professorin ist Expertin <strong>für</strong> missverständliche Fragen und<br />

klare Antworten. An der Technischen Universität (TU) Darmstadt erforscht<br />

<strong>die</strong> 33-Jährige, wie Menschen aus der Informationsflut des Internets intelligente<br />

Antworten fischen können – und dabei <strong>die</strong> Frage nicht anders formulieren<br />

müssen, als sprächen sie mit ihrem Nachbarn. Iryna Gurevych versteht<br />

<strong>die</strong> Sprache von Mensch und Maschine. Sie hat Sprachwissenschaften stu<strong>die</strong>rt<br />

und forscht heute mit ihrer Lichtenberg-Professur – ausgestattet mit knapp<br />

900.000 Euro – an einer Informatik-Fakultät. Mit ihr sprach <strong>Wissenschaft</strong>sjournalist<br />

Frank van Bebber.<br />

Frau Professorin Gurevych, schauen Sie öfter ins Internet als in <strong>die</strong> Uni-Bibliothek?<br />

Ich muss gestehen, ich war nur ein Mal in der Uni-Bibliothek – weil ich den<br />

Leiter der Bibliothek besucht habe, um mit ihm ein Entwicklungsprojekt zu<br />

virtuellen Forschungsumgebungen zu konzipieren. Ansonsten setze ich stark<br />

auf elektronische Wissensquellen und elektronische Bibliotheken. In der Informatik<br />

ändert sich das Wissen so schnell, dass wir kaum einschlägige Bücher<br />

haben; wir müssen uns auf das stützen, was wir in elektronischer Form im<br />

Internet finden.<br />

Im Vergleich zur Uni-Bibliothek ist das Internet riesig. Ist es auch <strong>für</strong> Sie schwer,<br />

auf eine Frage eine Antwort zu bekommen?<br />

Das Internet selbst gibt meist keine Antworten auf konkrete Fragen. Es gibt<br />

aber andere Wissensquellen im Web 2.0, zum Beispiel soziale Frage-Antwort-<br />

Sie bringt dem Computer bei, ähnlich zu<br />

denken wie ein Mensch. Die Lichtenberg-<br />

Professorin Dr. Iryna Gurevych entwickelt<br />

an der Technischen Universität Darmstadt<br />

das so genannte „Question Answering“, eine<br />

Technologie, mit der Computer Sinnzusammenhänge<br />

der menschlichen Sprache erfassen<br />

und natürlich-sprachliche Fragen „ver -<br />

stehen“ und richtig beantworten können.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 13


14<br />

Gibt man bei Google den Befehl „Kuchen -<br />

(minus) Obst“ ein, weil man auf der Suche<br />

nach Backrezepten OHNE Obst ist, antwortet<br />

<strong>die</strong> Suchmaschine mit Unmengen von Rezepten<br />

<strong>für</strong> Apfelkuchen und Kirschtorten. Diplominformatiker<br />

Torsten Zesch, hier kurz vor dem<br />

Verzehr eines Kuchenstücks, weiß warum:<br />

Google versteht den Sinnzusammenhang<br />

zwischen einzelnen Fruchtsorten und dem<br />

Oberbegriff „Obst“ nicht und sucht lediglich<br />

nach Seiten, auf denen der Begriff „Kuchen“<br />

ohne das Wort „Obst“ auftaucht.<br />

Plattformen. Bei <strong>die</strong>sen bekommt man zumeist sehr schnell Antworten von<br />

anderen Menschen, <strong>die</strong> auf dem einschlägigen Gebiet ausgewiesene Experten<br />

sind. Dieses Phänomen hat <strong>die</strong> Bezeichnung Wisdom of Crowds, auf Deutsch:<br />

<strong>die</strong> Weisheit der Vielen. Wir erforschen zum Beispiel Algorithmen: Wie etwa<br />

lassen sich Hunderte von Antworten auf eine Frage automatisch zusammenfassen?<br />

Das Motto unserer Arbeit könnte lauten: „Wenn Sie Fragen haben,<br />

kommen Sie nach Darmstadt!”<br />

An welchen Fragetechniken <strong>für</strong> das Internet arbeiten Sie? Geben Sie bitte mal ein<br />

Beispiel!<br />

Wir arbeiten an einer Technologie, <strong>die</strong> man unter der Bezeichnung Question<br />

Answering kennt: <strong>die</strong> Beantwortung natürlich-sprachlicher Fragen. Wir wollen<br />

intelligente Fragen stellen können und darauf intelligente Antworten<br />

erhalten. Das heißt: Wie finde ich in einem Dokument genau jene Stellen, <strong>die</strong><br />

meine Frage beantworten – und nicht nur jene, in denen <strong>die</strong> Wörter der Frage<br />

vorkommen. Ein Beispiel: Sie wollen wissen, welche Professoren an der Technischen<br />

Universität Darmstadt tätig sind. Da würden Sie heute keine Antwort<br />

bekommen, sondern nur eine Liste mit Treffern, wo <strong>die</strong> Worte Professor und<br />

TU Darmstadt gleichzeitig auf einer Webseite auftauchen. Oder Sie interessiert,<br />

welche Vorteile Darmstadt als Informatik-Standort hat. Unsere Methoden<br />

ermöglichen es, Meinungen in Internetforen zu analysieren und zusammenzufassen.<br />

Und das ist eine Aufgabe <strong>für</strong> eine Sprachwissenschaftlerin?<br />

Ich habe tatsächlich mein Diplom in englischer und deutscher Linguistik<br />

gemacht. Mein akademischer Werdegang hat mich aber immer weiter weg<br />

von der Linguistik in Richtung Informatik geführt. Ich habe in Computerlingu -<br />

istik promoviert – über Mensch-Maschine-Schnittstellen, <strong>die</strong> auf gesprochener<br />

Sprache beruhen. Anders gesagt: Das sind Informationssysteme, mit denen<br />

Sie reden können. Ich war dann fünf Jahre an einem Forschungsinstitut <strong>für</strong><br />

angewandte Informatik tätig, bevor ich in den Fachbereich Informatik der<br />

TU Darmstadt gewechselt bin. Die Forschung auf dem Gebiet automatischer<br />

Textanalyse erfordert aber auch viele Kenntnisse über <strong>die</strong> Sprache. Es ist sehr<br />

komplex, dem Computer beizubringen, Zusammenhänge abzuleiten, <strong>die</strong> dem<br />

menschlichen Denken ähnlich sind. Der Computer muss den Sinn erschließen.<br />

Und wir möchten nun mit dem „Lichtenberg-Team“ Methoden entwickeln,<br />

<strong>die</strong> allgegenwärtig, benutzerfreundlich und flexibel sind – so wie Sie Google<br />

<strong>für</strong> Suchen aller Art benutzen können.<br />

Nun gibt es im Internet auch viele Gerüchte und falsche Informationen.<br />

Wie soll ein Computer das erkennen?


Die Frage stellt sich gerade in Web 2.0-Kontexten, weil es hier keine Kontrolle<br />

zum Beispiel durch Verlage gibt. Ich habe kürzlich einen Doktoranden eingestellt,<br />

der sich mit automatischer Qualitätsbewertung von Webtexten befasst.<br />

Das ist schwer zu operationalisieren. Was ist <strong>die</strong> Qualität eines Textes?<br />

Manchmal kann eine Antwort willkommen sein, auch wenn sie voller Rechtschreibfehler<br />

ist. Doch viele Fehler sind manchmal auch Zeichen <strong>für</strong> Schlampigkeit.<br />

Eine Vielzahl an automatisch bestimmbaren Qualitätsmerkmalen eines<br />

Textes erlaubt intelligentes Filtern. Es gibt im Internet aber auch Gemeinschaften,<br />

<strong>die</strong> Qualität sicherstellen: Wikipedia ist dadurch in vielen Bereichen <strong>die</strong><br />

Informationsquelle Nummer eins.<br />

Werden Computer einmal bessere Antworten im Internet aufstöbern können als<br />

Menschen?<br />

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das heute schon der Fall ist. In<br />

vielen Bereichen gibt es derart viele Texte, dass niemand <strong>die</strong> mehr alle lesen<br />

kann. In begrenzten Bereichen ist natürlich der menschliche Experte weiterhin<br />

<strong>die</strong> Lösung Nummer eins.<br />

Wie arbeitet Ihr Team an den neuen Methoden, Informationen aus dem Internet<br />

zu heben?<br />

In meinem Team sind 17 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

beschäftigt. Wir arbeiten in vier Gruppen mit zentral jeweils einem Post-Doktoranden<br />

zu einer Leitfrage, <strong>die</strong> bisher nicht erforscht ist. Zum Beispiel ent -<br />

Das 17-köpfige Forscherteam um Lichtenberg-<br />

Professorin Dr. Iryna Gurevych (vordere Reihe,<br />

Zweite von links) auf dem Campus der TU<br />

Darmstadt. Dank fünfjähriger Lichtenberg-<br />

Professur konnte Iryna Gurevych ein völlig<br />

neues Forschungsgebiet definieren und aufbauen.<br />

Und auch langfristig bieten sich <strong>für</strong><br />

das Team gute Perspektiven an der Univer -<br />

sität, da sich das außerordentliche Potenzial<br />

des Forschungsfeldes bereits bestätigt hat.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 15


16<br />

Brainstorming im Demonstrations- und Teambesprechungsraum<br />

an der TU Darmstadt.<br />

Torsten Zesch, Cigdem Toprak, Dr. Delphine<br />

Bernhard, Professorin Iryna Gurevych und<br />

Christof Müller (Bild oben, von links) disku -<br />

tieren über <strong>die</strong> Internetsuche der nächsten<br />

Generation. Das von den Forschern entwickelte<br />

„Question Answering“ könnte Google<br />

und Co. revolutionieren, indem es <strong>die</strong> Flexi -<br />

bilität und Effektivität von Suchmaschinen<br />

deutlich erhöht.<br />

wickeln wir Algorithmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ähnlichkeit zwischen zwei Texten automatisch<br />

bestimmen. Dazu müssen wir erst einmal herausfinden: Was macht Texte zu<br />

ähn lichen Texten? Eine Ähnlichkeit im Sinne des Themas? Oder sind es identische<br />

Wörter? Dann überlegen wir uns, wie wir <strong>die</strong>s in einen Algorithmus<br />

verwandeln. Am Ende prüfen wir <strong>die</strong> Ergebnisse der Software anhand einer<br />

von Menschen erstellten Musterlösung. Wir arbeiten mit Unternehmen zu sam -<br />

men; vieles aber ist Grundlagenforschung, <strong>die</strong> ja Gegenstand der Lichtenberg-<br />

Professur ist. Beides in Kombination macht <strong>die</strong>s von der Stiftung geförderte<br />

Vorhaben so spannend.<br />

Wie hat Ihnen <strong>die</strong> Lichtenberg-Professur geholfen, mit Geld?<br />

Es ist sicher nicht das Geld. Ich habe viele andere Drittmittel-Forschungsprojekte.<br />

An der Lichtenberg-Professur hat mich fasziniert, dass ich ein originäres<br />

Forschungsgebiet definieren und international aufbauen kann. Das ist ein<br />

Risiko, aber auch ein Reiz, weil man der Erste ist und <strong>die</strong> Chance hat, ein Forschungsgebiet<br />

mit seinem Namen zu verbinden. Und ich habe eine langfristige<br />

Perspektive an der Universität, weil bei Lichtenberg-Professuren gleich<br />

eine Zielvereinbarung über ein Tenure-track-Verfahren geschlossen wird. Man<br />

weiß: Nach fünf Jahren ist es nicht vorbei, wenn sich das Potenzial bestätigt.<br />

Eine weitere Motivation <strong>für</strong> mich war, dass Lichtenberg-Professuren interdisziplinär<br />

angelegt sind. Ich bin ja durch verschiedene wissenschaftliche Diszi -<br />

plinen geprägt, und <strong>die</strong> Professur macht es möglich, <strong>die</strong>se in einem Forschungsgebiet<br />

zu verbinden. Das Potenzial meiner Forschung hat sich bereits bestätigt<br />

– mit Rufen auf gleich zwei W3-Professuren.<br />

Als Sie <strong>die</strong> Professur antraten, sind Sie gerade 32 Jahre alt geworden. Weckt da der<br />

Anspruch, ein neues Forschungsfeld eröffnen zu wollen, nicht Zweifel bei sich und<br />

anderen?<br />

Ich versuche, mit meiner Arbeit zu überzeugen. Mir ist der Einstieg aus zwei<br />

Gründen leichter gefallen: Zum einen habe ich einen Schritt nach dem anderen<br />

gemacht. An <strong>die</strong> Technische Universität Darmstadt kam ich Ende 2005<br />

zunächst als leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt<br />

E-Learning und als Leiterin eines von mir eingeworbenen Projekts bei<br />

der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nach anderthalb Jahren kam eine<br />

Emmy-Noether-Gruppe der DFG hinzu, dann <strong>die</strong> Lichtenberg-Professur. Der<br />

andere Punkt ist, dass ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen wunderbar<br />

zusammenarbeiten kann; ich habe eine exzellente Arbeitsgruppe aufgebaut,<br />

<strong>die</strong> mir viel bedeutet. Gemeinsam ist es uns inzwischen gelungen, den Stand -<br />

ort TU Darmstadt auf dem Gebiet der automatischen Textanalyse weltweit<br />

bekannt zu machen. Wir haben manches entwickelt, was auch in Stanford<br />

oder Berkeley eingesetzt wird. Mehr kann man in so kurzer Zeit wohl kaum<br />

erreichen.


Warum sind Sie Ihren Entwicklungen nicht in <strong>die</strong> USA gefolgt?<br />

Weil ich gern in Deutschland bin. Deutschland ist <strong>für</strong> mich ja schon Ausland.<br />

Ich komme aus der Ukraine, dort habe ich stu<strong>die</strong>rt. Ich war Stipendiatin des<br />

Deutschen Akademischen Austausch<strong>die</strong>nstes und habe hier promoviert. Ich<br />

lebe sehr gern in Deutschland, hier ist meine achtjährige Tochter geboren<br />

und wächst glücklich auf. Es stimmt: In den USA wird viel mehr im Bereich<br />

automatischer Textanalyse gearbeitet. Das ist zweifellos attraktiv, aber mit<br />

der Lichtenberg-Professur wurde mir ein traumhaftes Angebot unterbreitet<br />

– ganz einfach ein tolles Förderpaket geschnürt. Von den Kollegen in den USA<br />

werde ich mittlerweile oft als Gastsprecherin und Partner <strong>für</strong> Forschungs -<br />

projekte eingeladen.<br />

Und wer das von Ihnen und Ihrem Team produzierte Wissen sucht, sollte im<br />

Internet schauen, nicht in der Bibliothek?<br />

Ja. Sobald ein Aufsatz <strong>für</strong> eine Veröffentlichung angenommen wurde, stellen<br />

wir ihn auf unsere Webseite – ebenso wie Informationen über unsere Forschungsprojekte.<br />

Unsere Community pflegt <strong>die</strong> Open-Access-Kultur. Die Leute<br />

finden <strong>die</strong> Informationen von und über uns entweder mit Google oder sie<br />

schauen gezielt auf unserer Webseite danach.<br />

Frau Gurevych, vielen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />

Die Lichtenberg-Professuren<br />

Exzellente Forscherinnen und Forscher benötigen<br />

zweierlei: <strong>die</strong> Freiheit, eigene Ideen zu verfolgen,<br />

und eine Ausstattung, mit der <strong>die</strong> Realisierung<br />

<strong>die</strong>ser Ideen möglich wird. Beides erhält, wer sich<br />

bei der <strong>VolkswagenStiftung</strong> erfolgreich um eine<br />

Lichtenberg-Professur bemüht. Zugleich können<br />

Universitäten mithilfe einer solchen Professur auf<br />

besonders substanzielle und nachhaltige Weise<br />

Strukturplanung betreiben; das macht <strong>die</strong>ses Förderinstrument<br />

<strong>für</strong> mehr und mehr Hochschulen<br />

attraktiv. Fünf bis acht Jahre lang unterstützt <strong>die</strong><br />

Stiftung <strong>die</strong> herausragenden <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>ler dabei, ihr Forschungs-<br />

feld an einer Universität ihrer Wahl fest zu verankern.<br />

25 solcher Professuren – benannt nach dem<br />

Mathematiker, Physiker und Philosophen Georg<br />

Christoph Lichtenberg – hat <strong>die</strong> Stiftung zwischen<br />

2003 und 2009 an 17 deutschen Hochschulen eingerichtet<br />

(im Sommer 2009 sind vier weitere hinzugekommen,<br />

<strong>die</strong> ihre Arbeit allerdings noch nicht<br />

aufgenommen haben). All <strong>die</strong>se <strong>Wissenschaft</strong>lerpersönlichkeiten<br />

eint, dass sie frische Strategien<br />

in das traditionelle Hochschulsystem einspeisen.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise gelingt es, bestehende Strukturen<br />

aufzubrechen und Neuem nachhaltig den Weg zu<br />

bahnen. cj<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 17


Ohne Worte – über <strong>die</strong> Sprache der Hände<br />

Gehorchen Gesten einer eigenen Grammatik? Mit<br />

<strong>die</strong>ser Frage beschäftigen sich vier Forscherinnen<br />

aus Frankfurt/Oder, Berlin und Köln.<br />

Wo fängt eine Geste an? Wo hört sie auf? Welche Formen gibt es? Wie lassen<br />

sich Gesten kombinieren, und welche Bedeutungen haben sie? Und wie<br />

hängen Gesten und Lautsprache zusammen? Was sind <strong>die</strong> neurologischen<br />

Grundlagen von Gesten, und welche Vorläufer haben sie in der Evolution? In<br />

einem einzigartigen Projekt suchen vier Forscherinnen aus Linguistik, Se mio -<br />

tik, Neurologie und Vergleichender Primatologie nach einer „Grammatik der<br />

Gesten“ – und stellen dabei das traditionelle Konzept von Sprache infrage.<br />

Wenn <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen <strong>die</strong> gleichen Fragen umtreiben, warum dann nicht<br />

gemeinsam nach Lösungen suchen? Das sagten sich vor vier Jahren auch <strong>die</strong><br />

Linguistin Cornelia Müller, <strong>die</strong> Neurologin Hedda Lausberg, <strong>die</strong> Linguistin und<br />

Semiotik-Expertin Ellen Fricke und <strong>die</strong> Primatologin Katja Liebal. Bis zum Start<br />

ihres Forschungsprojekts „Towards a grammar of gesture: evolution, brain, and<br />

linguistic structures“ im Jahr 2006 hatte jede von ihnen einen Weg gesucht,<br />

Gesten systematisch zu erforschen. Dann fanden sie zusammen. Es sollte sich<br />

auszahlen.<br />

Eine aus dem Quartett ist Katja Liebal. Die Biologin, <strong>die</strong> heute als Juniorprofessorin<br />

<strong>für</strong> Evolutionäre Psychologie an der Freien Universität Berlin arbeitet und<br />

zuletzt in Leipzig und Portsmouth tätig war, promovierte 2005 zur gestischen<br />

Kommunikation von Menschenaffen. Ihr Ziel war es, Gemeinsamkeiten wie<br />

Unterschiede gegenüber der menschlichen Kommunikation aufzudecken und<br />

Hinweise auf <strong>die</strong> Evolution von Sprache zu finden. „Es wird bisher strittig diskutiert,<br />

ob Gesten Vorläufer der Lautsprache sind oder ob sie sich unabhängig<br />

davon entwickelt haben“, sagt <strong>die</strong> 33-Jährige. Klarheit hätte eine exakte Analyse<br />

der Gesten unserer nächsten Verwandten bringen können. Doch hier<strong>für</strong><br />

fehlte Liebal <strong>die</strong> Methode. „Das ist ungefähr so, als wenn Sie eine Ihnen unbekannte<br />

Sprache analysieren müssen, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es noch gar keine Beschreibungskategorien<br />

gibt.“<br />

Das Zusammentreffen mit der Linguistin und Gestenforscherin Cornelia Müller<br />

war <strong>für</strong> sie ein Glücksfall. Müller, inzwischen Professorin <strong>für</strong> Angewandte<br />

Sprachwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder<br />

und seinerzeit noch an der Freien Universität Berlin tätig, war schon lange<br />

überzeugt davon, dass <strong>die</strong> Handbewegungen, <strong>die</strong> wir beim Sprechen benutzen,<br />

kein Zufall sind. „Wenn wir reden, kommunizieren wir relevante Inhalte<br />

Sind Gesten <strong>die</strong> Vorläufer der Lautsprache?<br />

Oder hat sich <strong>die</strong> Kommunikation mit den<br />

Händen unabhängig zum gesprochenen Wort<br />

entwickelt? Vier Forscherinnen suchen nach<br />

einer „Grammatik der Gesten“ und konzentrieren<br />

sich dabei auf <strong>die</strong> Handbewegungen<br />

während des Sprechens. Vergleichend werfen<br />

sie einen Blick auf unsere nächsten Ver wand -<br />

ten – etwa <strong>die</strong> Orang-Utans, <strong>die</strong> zum Beispiel<br />

Gesten einsetzen, um Futter zu erbetteln.<br />

Beobachtet wurden Orang-Utan Saddam<br />

(links) und Patrizia (oben, hier mit Betreuerin<br />

Ms Tuti), <strong>die</strong> im Orang-Utan Care Center im<br />

Tanjun Putin Nationalpark im indo ne sischen<br />

Teil der Insel Borneo leben.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 19


20<br />

Sie bilden das Forscherinnenquartett: Dr.<br />

Ellen Fricke (links) von der Europa-Universität<br />

Viadrina in Frankfurt/Oder ist im Team <strong>die</strong><br />

Expertin <strong>für</strong> Semiotik, <strong>die</strong> „Lehre der Zeichen“.<br />

Juniorprofessorin Dr. Katja Liebal (rechts)<br />

arbeitet zurzeit an der Freien Universität<br />

Berlin; im Rahmen des Projekts verbrachte<br />

sie mehr als 700 Stunden mit der Kamera vor<br />

Zookäfigen und im Freiland und untersuchte<br />

<strong>die</strong> Gestik von Schimpansen, Orang-Utans<br />

und Gibbons.<br />

auch mit den Händen“, sagt <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerin. Im Jahr 2004 gründete<br />

sie mit Ellen Fricke und Hedda Lausberg das Berlin Gesture Centre (BGC), das<br />

interdisziplinäre Forschung und Lehre zu gestenbezogenen Themen mit Aus -<br />

bildung und Beratung verbindet. Cornelia Müller und Ellen Fricke gehen davon<br />

aus, dass Gesten ein integrierter Bestandteil von Sprache sind und ebenso<br />

wie <strong>die</strong> Lautsprache Regeln unterliegen. Anders als bisher in der Linguistik<br />

vermittelt, ist Sprache <strong>für</strong> sie kein „geschlossenes System lautlicher Zeichen“,<br />

sondern „multimodal“.<br />

In ihrem auf drei Jahre angelegten Vorhaben wollen <strong>die</strong> vier engagierten <strong>Wissenschaft</strong><br />

lerinnen nun erstmals eine umfassende Beschreibung von Gesten<br />

erarbeiten, eine „Grammatik der Gesten“. Unterstützt werden sie dabei von<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Rahmen der Initiative „Schlüsselthemen der<br />

Geisteswissenschaften“ mit knapp einer Million Euro. Das Wort „towards“<br />

im Projekttitel ist dabei bewusst gewählt, wie Cornelia Müller betont. „Wir<br />

wollen zeigen, dass Gesten zumindest einer eigenen Proto-Grammatik gehorchen;<br />

allerdings werden wir in <strong>die</strong>ser kurzen Zeit nur <strong>die</strong> Grundlagen da<strong>für</strong><br />

legen können.“<br />

Im Fokus des Forscherteams stehen <strong>die</strong> redebegleitenden Gesten, also Handbewegungen,<br />

<strong>die</strong> sich beobachten lassen, wenn jemand spricht. In neun Teilprojekten<br />

untersuchen mehr als zwanzig <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

aus Primatologie, Linguistik, Neurobiologie und Semiotik, wie Gesten<br />

aus Handbewegungen geschaffen werden, welche Formen und Kombinationen<br />

von Gesten wir verwenden und welche evolutionären Hintergründe und<br />

neurologischen Prozesse ihnen zugrunde liegen. Als Ergebnisse sollen unter<br />

anderem drei Grundlagenwerke entstehen: ein Field Guide von Cornelia Müller,<br />

der erstmals eine systematische linguistisch-strukturelle Analyse von Gesten


ermöglichen soll, ein Buch mit dem Titel „Talking Hands“, in dem Müller eine<br />

linguistische Dokumentation der Formen redebegleitender Gesten vornimmt,<br />

sowie Ellen Frickes Buch „Grammatik multimodal“, das <strong>die</strong> theoretischen Grund -<br />

lagen <strong>für</strong> eine Integration von Gesten in <strong>die</strong> lautsprachliche Grammatik<br />

formuliert.<br />

Die Linguistinnen Müller und Fricke lieferten auch den theoretischen Hin -<br />

tergrund <strong>für</strong> <strong>die</strong> linguistische Beschreibung von Gesten. Ellen Fricke vertritt<br />

gerade eine Professur <strong>für</strong> Angewandte Sprachwissenschaft an der Europa-<br />

Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Als Expertin <strong>für</strong> <strong>die</strong> „Lehre der Zeichen“<br />

kennt sie sich mit deren theoretischer Beschreibung, ihrer Abgrenzung und<br />

Interpretation aus und fungiert damit als Bindeglied zwischen der Linguistik<br />

und den anderen Disziplinen. „Die meisten Linguisten trennen Körperbewegungen<br />

von Sprache“, sagt sie. „In der Semiotik gab es dagegen schon immer<br />

eine Offenheit <strong>für</strong> gestische Zeichen.“ Dieses Verständnis, <strong>die</strong>ses Bewusstsein<br />

zahle sich jetzt aus.<br />

Gemeinsam mit Cornelia Müller und ihren Mitarbeitern hat sie schon mehr<br />

als 80 Stunden Videomaterial gesichtet: Aufnahmen von Menschen in Ratesendungen<br />

und Talkshows, von Gesprächen zwischen Bekannten, in Vorlesungen<br />

und bei wissenschaftlichen Vorträgen – oder auch in eher experimentellen<br />

Situationen. Jede Geste beschrieben sie anhand von vier Parametern:<br />

Handform, Orientierung der Hand, ausgeführte Bewegung und Bewegungsrichtung<br />

sowie räumliche Position in Relation zum Körper. Änderten sie<br />

dabei einen Parameter, zum Beispiel <strong>die</strong> Position der Hand, veränderte sich<br />

damit auch <strong>die</strong> Bedeutung der Geste. „Ähnliches kennt man in der Linguistik<br />

von Wörtern, bei denen man einzelne Laute austauschen kann“, erklärt Fricke.<br />

„Wie bei ‚rot’ und ‚tot’.“<br />

Professorin Dr. Cornelia Müller (links) von der<br />

Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder<br />

geht wie ihre Kollegin Dr. Ellen Fricke davon<br />

aus, dass Gesten ein integrierter Bestandteil<br />

von Sprache sind und ebenso wie <strong>die</strong> Lautsprache<br />

Regeln unterliegen. Professorin Dr.<br />

Hedda Lausberg (rechts) untersucht an der<br />

Deutschen Sporthochschule Köln <strong>die</strong> kogni -<br />

tiven und emotionalen Prozesse, <strong>die</strong> bei der<br />

Gestenproduktion im menschlichen Gehirn<br />

ablaufen. Sie interessiert unter anderem, welche<br />

Hirnareale aktiv sind, wenn Menschen<br />

Objekte tatsächlich gebrauchen oder aber<br />

<strong>die</strong>s nur pantomimisch darstellen.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 21


22<br />

Vier Forscherinnen, vier thematische Schwerpunkte<br />

– Neurologie, Linguistik, Semiotik<br />

(Lehre der Zeichen) und Primatologie: (von<br />

links) Professorin Dr. Hedda Lausberg von der<br />

Deutschen Sporthochschule Köln, Professorin<br />

Dr. Cornelia Müller und Dr. Ellen Fricke (beide<br />

von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder)<br />

sowie Juniorprofessorin Dr. Katja<br />

Liebal von der Freien Universität Berlin<br />

Über<strong>die</strong>s stellten sie fest, dass sämtliche Gesten nach vier Prinzipien „hergestellt“<br />

werden: als agierende, modellierende, zeichnende und repräsentierende<br />

Gesten. Agierende Gesten ahmen Bewegungen nach und erinnern damit an<br />

Verben. So wird das Wort „schreiben“ häufig mit einer schreibenden Bewegung<br />

des Zeigefingers begleitet. Modellierende und zeichnende Gesten stellen<br />

dagegen Eigenschaften dar, vergleichbar Adjektiven. Manchmal steht unsere<br />

Hand aber auch direkt <strong>für</strong> ein Objekt, zum Beispiel <strong>für</strong> ein Blatt Papier – eine<br />

repräsentierende Geste. Aus <strong>die</strong>sen und anderen Hinweisen schließen <strong>die</strong><br />

Forscherinnen, dass sie es bei Gesten mit Vorformen von sprachlichen Strukturen<br />

zu tun haben. Für sie steht fest: „Denken manifestiert sich nicht nur<br />

über <strong>die</strong> Lautsprache, sondern auch im Gestikulieren.“<br />

Die Vierte im Forscherinnenverbund, Hedda Lausberg, untersucht <strong>die</strong> kognitiven<br />

und emotionalen Prozesse, <strong>die</strong> bei der Gestenproduktion im menschlichen<br />

Gehirn ablaufen. Unter anderem zeigt <strong>die</strong> Professorin <strong>für</strong> Neurologie, Psychosomatik<br />

und Psychiatrie von der Deutschen Sporthochschule Köln – bei Projektbeginn<br />

war sie noch am Universitätsklinikum Dresden tätig – mithilfe der<br />

funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) und der Nah-Infrarotspektroskopie<br />

<strong>die</strong> zerebralen Aktivierungsmuster bei der Produktion von Gesten<br />

auf. So untersuchte sie, welche Hirnareale aktiv sind, wenn Menschen ein<br />

Objekt gebrauchen, etwa einen Hammer. Die Ergebnisse verglich Lausberg<br />

mit der zerebralen Aktivierung bei der gleichen Bewegung als pantomimische<br />

Geste. Sie stellte fest: Bei denjenigen Personen, <strong>die</strong> den Hammer verwendeten,<br />

wurden beide Hirnhälften aktiviert. Die pantomimische Handlung aktivierte<br />

jedoch zusätzlich linkshemisphärische Areale. Bei Patienten mit linkshemi -<br />

s phärischen Hirnschädigungen beobachtete sie zudem, dass <strong>die</strong>se bei der<br />

Ausführung pantomimischer Gesten eingeschränkt waren. Eine ihrer Folgerungen:<br />

Pantomimische Gesten erfordern im Vergleich zu Objektgebrauch<br />

<strong>die</strong> zusätzliche Kompetenz, mit der Vorstellung des Objektes zu agieren, das<br />

heißt, <strong>die</strong> Fähigkeit zur Abstraktion. „Diese Fähigkeit ermöglicht es, Dinge<br />

zu kommunizieren, <strong>die</strong> nicht physisch präsent sind, zum Beispiel von einem<br />

Hammer zu sprechen, obwohl er nicht da ist“, sagt Lausberg. „In der Evolution<br />

könnte der Erwerb <strong>die</strong>ser Kompetenz einen entscheidenden Schritt in der<br />

Entwicklung gestisch-sprachlicher Kommunikation dargestellt haben.“<br />

Eine Fähigkeit, <strong>die</strong> Affen zu fehlen scheint. Katja Liebal hat mehr als 700 Stunden<br />

mit der Kamera vor Zookäfigen und im Freiland verbracht und beobachtet,<br />

wie sich Schimpansen, Orang-Utans und Gibbons verständigen. Dabei entdeckte<br />

sie, dass <strong>die</strong> Tiere ausschließlich agierende Gesten benutzten, zum<br />

Beispiel um Futter zu erbetteln. Zeichnende, modellierende oder repräsentierende<br />

Gesten fand <strong>die</strong> Forscherin dagegen nicht. Andererseits deutet einiges<br />

darauf hin, dass Affen ihr Kommunikationssystem flexibel anpassen können.<br />

In Gefangenschaft kommunizieren <strong>die</strong> Tiere eher über Gesten als im Freiland,<br />

wo sie sich oft über große Entfernungen verständigen müssen. Auch variieren<br />

sie <strong>die</strong> Form einer Geste, je nachdem, in welchem Kontext <strong>die</strong>se steht.<br />

„Ohne <strong>die</strong> linguistische Perspektive wäre ich auf viele Ergebnisse gar nicht


gekommen“, sagt Liebal, <strong>die</strong> ihren Forschungsansatz unter Freilandprimatologen<br />

manchmal rechtfertigen muss – und sich umso mehr an dem inspirierenden<br />

Forscherinnenverbund erfreut.<br />

Vom großen Potenzial interdisziplinärer Zusammenarbeit sind sie und ihre<br />

drei Kolleginnen überzeugt. Neben den umfassenden Erkenntnissen, <strong>die</strong> sie<br />

<strong>für</strong> ihre jeweilige Disziplin gewonnen haben, wollen sie durch ihr Projekt auch<br />

dazu beitragen, <strong>die</strong> noch junge Gestenforschung national wie international<br />

zu etablieren. Dokumentiert und thematisiert wird das junge Forschungsfeld<br />

unter anderem durch <strong>die</strong> Zeitschrift GESTURE und <strong>die</strong> Internationale Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> Gestenforschung (ISGS). Die praktische Relevanz <strong>die</strong>ses <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />

zeigen zudem zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in der<br />

Lehrerausbildung, der Kommunikationsforschung und -beratung, der Arzt-<br />

Patient-Interaktion, der Psychotherapie, der Rehabilitation von Patienten mit<br />

Sprachstörungen, der Computeranimation oder in der wissenschaftlichen<br />

Analyse audio-visueller Daten.<br />

Für <strong>die</strong> Erforschung von Gesten haben Cornelia Müller und ihre drei Kolleginnen<br />

in kurzer Zeit Entscheidendes geleistet, nicht zuletzt durch <strong>die</strong> Erarbeitung<br />

wesentlicher Grundlagenwerke. Ihre Expertise, aber auch zahlreiche Kontakte<br />

zu <strong>Wissenschaft</strong>lern anderer Disziplinen und Länder machen sie darüber hinaus<br />

auch hierzulande zu gefragten Expertinnen in Sachen Gestenforschung. So ge -<br />

hören Cornelia Müller, Hedda Lausberg und Katja Liebal zum Exzellenzcluster<br />

„Languages of Emotion“ der Freien Universität Berlin. Katja Liebal wird zudem<br />

seit Herbst 2008 von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> noch in einem weiteren großen<br />

Kooperationsprojekt gefördert; bei dem Vorhaben „Evolu tionary Roots of<br />

Human Social Interaction“ versucht sie gemeinsam mit Forschern in Leipzig,<br />

der Evolution des menschlichen Sozialverhaltens auf <strong>die</strong> Spur zu kommen.<br />

Das Projekt über <strong>die</strong> Grammatik der Gesten hingegen nähert sich seinem<br />

Ende. Bei einer großen internationalen Abschlusskonferenz im Jahr <strong>2010</strong><br />

(www.isgs<strong>2010</strong>.de) wollen <strong>die</strong> vier <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

dann zur Diskussion stellen. Das Thema „Gestenforschung“, da sind sich<br />

alle vier einig, wird sie jedoch auch weiter begleiten.<br />

Melanie Ossenkop<br />

Auf Forschungsreise zu unseren „Verwandten“ auf<br />

Borneo: Katja Liebal, im Bild unten mit dem Orang-<br />

Utan-Weibchen Jill, besuchte unter anderem das<br />

Orang-Utan Care Center im indonesischen Tanjun<br />

Putin Nationalpark. Beim Beobachten der Menschenaffen<br />

fand sie zum Beispiel heraus, dass in Gefangenschaft<br />

lebende Tiere deutlich häufiger mit Gesten<br />

kommunizieren als ihre freilebenden Artgenossen.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 23


Hirnforschung: mehr Einblick mit Weitblick<br />

Die bildgebende Diagnostik ermöglicht heute bessere<br />

Einblicke ins Gehirn und neue Therapien. Doch<br />

Hirnforscher beschäftigen auch ethische Fragen.<br />

Mithilfe von Stammzellen oder neurochirurgischen Verfahren könnten<br />

Schlag anfälle und Tumore, neurodegenerative und psychische Erkrankungen<br />

in Zukunft besser behandelbar werden. Doch <strong>die</strong>se Therapien bergen<br />

auch Risiken und Nebenwirkungen. Um <strong>die</strong> Patienten von morgen zu schützen,<br />

ist ein verantwortungsvoller Weitblick bereits in der Forschung wichtig.<br />

In zwei von der Stiftung geförderten Projekten stellen sich <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

<strong>die</strong>ser Herausforderung auf unterschiedliche Weise.<br />

Das menschliche Gehirn ist <strong>die</strong> Steuerzentrale des Körpers, der Entstehungsort<br />

von Bewegung. Es verarbeitet Empfindungen, steuert Sprache und gilt als<br />

Sitz der Seele. Mit dem Eingriff ins Gehirn verbindet <strong>die</strong> Menschheit Hoffnung<br />

und Bedenken zugleich. Schon Schädelöffnungen im antiken Ägypten<br />

sorgten <strong>für</strong> Aufsehen. Moderne Anästhesie und <strong>die</strong> Möglichkeit keimfreien<br />

Arbeitens förderten <strong>die</strong> Entwicklung der Hirnchirurgie im 20. Jahrhundert. In<br />

den 1960er Jahren durchtrennte man Nervenfasern zur Therapie psychiatrischer<br />

Erkrankungen. Jenes Zeitalter der Psychochirurgie warf alsbald <strong>die</strong> Frage<br />

auf: Wird ein Eingriff ins Gehirn zum Eingriff in <strong>die</strong> Persönlichkeit? Aktuelle<br />

Popularität verdankt <strong>die</strong> Hirnforschung der Macht von Bildern. Kern spin-Tomografie<br />

und molekulare Bildgebung gewähren Forschern neue Einblicke in Anatomie<br />

und Funktion. Sie haben <strong>die</strong> Hirnforschung revolutioniert und neue<br />

Therapien ermöglicht. Der Bogen <strong>für</strong> aktuelle Herausforderungen ist gespannt.<br />

Reparatur mittels eingepflanzter Stammzellen<br />

Eine davon ist <strong>die</strong> Therapie mit Stammzellen. Diese noch nicht spezialisierten<br />

Zellen teilen und vermehren sich im Unterschied zu ausgereiften unbegrenzt.<br />

Die Allroundtalente können sich grundsätzlich zu jedem Zelltyp entwickeln.<br />

Ihre Eigenschaften nutzt <strong>die</strong> medizinische Forschung etwa zur Regeneration<br />

von Körpergeweben: „Wir wissen, dass sich Stammzellen zu einem geschädigten<br />

Gewebe bewegen“, erklärt Professor Dr. Mathias Hoehn vom Max-<br />

Planck-Institut <strong>für</strong> neurologische Forschung in Köln. In geringem Umfang<br />

geschehe <strong>die</strong>s bei körpereigener Regeneration. Hoehns Idee besteht nun<br />

darin, <strong>die</strong>se Reparaturvorgänge mit eingepflanzten Stammzellen zu unterstützen.<br />

Im Idealfall verwandeln sich <strong>die</strong>se in ausgereifte Nervenzellen und<br />

übernehmen deren Funktion.<br />

Wohin bewegen sich in Ratten implantierte<br />

Stammzellen, und zu was entwickeln <strong>die</strong>se<br />

sich? Das Anfärben von Hirnschnitten ihrer<br />

Versuchstiere (Bild oben) hilft Forschern, solche<br />

Fragen zu beantworten. <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

aus Köln und von der Universität Leiden in<br />

den Niederlanden nutzen in einem von der<br />

Stiftung geförderten Vorhaben mehrere bildgebende<br />

und molekularbiologische Verfahren,<br />

um der regenerativen Kraft von Stammzellen<br />

auf <strong>die</strong> Spur zu kommen (großes Bild<br />

links: immunhistologische Anfärbung von<br />

Hirnschnitten von Ratten).<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 25


26<br />

Diplombiologe Klaus Kruttwig aus der Arbeits -<br />

gruppe von Professor Dr. Mathias Hoehn vom<br />

Max-Planck-Institut <strong>für</strong> neurologische Forschung<br />

in Köln bei der Probenanalyse mit -<br />

hilfe einer hochauflösenden Kamera (Bild<br />

oben). Im Bild unten: Professor Mathias Hoehn<br />

und Mitarbeiter seines Teams (von links):<br />

Melanie Nelles, Dr. Chrystelle Po, Professor<br />

Mathias Hoehn, Dr. Therese Kallur, Dr. Chantal<br />

Brüggemann, Dilek Güneri, Diplombiologe<br />

Klaus Kruttwig.<br />

Erstmals gelang es dem Physiker bereits im Jahr 2002 mithilfe der Kern spin-<br />

Tomografie, <strong>die</strong> Wanderung transplantierter Stammzellen im Gehirn von<br />

Ratten sichtbar zu machen. Doch bisher blieben <strong>die</strong>se Untersuchungen auf<br />

<strong>die</strong> Lokalisierung der Zellen beschränkt. Nun will Hoehn gemeinsam mit dem<br />

Zellforscher Professor Dr. Clemens Löwik vom Medizinischen Zentrum der<br />

Universität Leiden in den Niederlanden deren funktionelle Veränderungen<br />

über einen längeren Zeitverlauf im lebenden Organismus beobachten. Der<br />

Clou an dem Vorhaben ist <strong>die</strong> Kombination mehrerer bildgebender mit molekularbiologischen<br />

Verfahren. Neben der Kernspin-Tomografie (MRI) setzt<br />

Hoehn auch optische Methoden ein. Die <strong>Wissenschaft</strong>ler haben Mitte 2008<br />

mit ihren Arbeiten begonnen; <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> unterstützt das interdisziplinäre<br />

Kooperationsprojekt mit 560.000 Euro unter dem Dach ihres<br />

Förderangebots „Offen – <strong>für</strong> Außergewöhnliches“. Eingebunden sind in das<br />

Forscherteam Molekular- und Verhaltensbiologen, Mediziner, Chemiker,<br />

Elektrotechniker und Physiker.<br />

Die <strong>Wissenschaft</strong>ler beschäftigen sich mit der Frage: Wohin bewegen sich <strong>die</strong><br />

Zellen, und zu was entwickeln sie sich? Um sich Antworten zu nähern, werden<br />

<strong>die</strong> Stammzellen vor ihrem Einsatz zunächst einmal mit einem Kontrastmittel<br />

aus Eisenoxid-Nanopartikeln markiert. So lassen sich Lokalisation und Bewegung<br />

nachweisen. Die Beobachtung der Zellfunktion hingegen ist aufwän di ger:<br />

Vor der Implantation, der Einpflanzung, werden <strong>die</strong> Stammzellen gentechnisch<br />

verändert. Das ist der Part, den der Molekularbiologe Löwik übernimmt: Über<br />

ein Virus schleust er sogenannte Genfähren, kleine Abschnitte fremder DNA,<br />

in <strong>die</strong> Stammzelle ein. „Sobald man mit solchen transgenen Zellen arbeitet,<br />

wird es kompliziert“, betont Hoehn. Das in <strong>die</strong> Wirts-DNA eingefügte Stück<br />

nennt sich Reporter-Gen. Wie ein Nachrichtenreporter sendet es wichtige<br />

Informationen an <strong>die</strong> Forscher. Es co<strong>die</strong>rt etwa <strong>für</strong> einen optisch nachweis -<br />

baren Farbstoff. Voraussetzung da<strong>für</strong> ist eine Art Startsignal, das von einem<br />

vorgeschalteten Promotor-Gen ausgeht. Dies wird aktiviert, wenn <strong>die</strong> Zelle<br />

einen bestimmten Funktionszustand erreicht. Hat sie sich etwa zur Nervenzelle<br />

verwandelt, wird das eingeschleuste Reporter-Gen abgelesen, und <strong>die</strong><br />

Zelle erzeugt ihr Kontrastmittel selbst.<br />

Stammzellforschung als gesellschaftliches Thema<br />

Die Schwierigkeit besteht darin, Nachweisstoffe <strong>für</strong> bestimmte Zustände zu<br />

finden. Hoehn berichtet von ebenso spannenden wie zeitraubenden Experimenten:<br />

„Manchmal nehmen <strong>die</strong> Zellen den Stoff nicht auf, oder er stellt nicht<br />

<strong>die</strong> gesuchte Eigenschaft dar – oder wirkt gar schädlich.“ Doch <strong>die</strong> Zelldynamik<br />

lasse sich nun einmal nur im aktiven Zustand beobachten. Erfolgreich<br />

funktioniert hat bereits <strong>die</strong> zellspezifische Produktion von fluoreszierenden<br />

Farbstoffen. So können <strong>die</strong> Forscher bereits rot fluoreszierendes Protein selektiv<br />

in weiterentwickelten Stammzellen nachweisen. Bei der Biolumineszenz-<br />

Methode enthält das Gensegment <strong>die</strong> Information <strong>für</strong> ein Enzym, das <strong>die</strong>


Zelle zu einer Lichtreaktion wie bei Glühwürmchen anregt. Beide Verfahren<br />

<strong>die</strong>ses Optical Imaging (OI) basieren auf der Detektion von Licht: Es wird von<br />

lebenden Zellen ausgesendet und mithilfe einer <strong>für</strong> Licht hochempfindlichen<br />

Kamera gemessen.<br />

„Je mehr Verfahren wir allerdings gleichzeitig anwenden, desto schwieriger<br />

wird der Nachweis“, gibt Mathias Hoehn zu bedenken. Die optischen Methoden<br />

zeigen ihm, ob <strong>die</strong> Zellen noch leben; in der Aufnahme der Kernspin-To mo -<br />

graphie wiederum sieht man, wo sie sich befinden. Inzwischen lassen sich mit<br />

den Spezialgeräten der Forscher einzelne Zellverbände genau beobachten. Die<br />

Erkenntnisse könnten einmal eine bessere Behandlung von Schlag anfällen<br />

und Tumor er krankungen ermöglichen und auf andere Organe übertragbar<br />

sein.<br />

Doch der Forscher bremst <strong>die</strong> Erwartungen: „Hier handelt es sich um Beobachtungen<br />

an Mäusen und Ratten. Die Anwendung beim Menschen ist noch<br />

ganz weit weg.“ Auf dem Weg dorthin sieht er sich immer wieder ethischen<br />

Fragen ausgesetzt. Das Gebiet der Stammzellforschung allgemein sorgt in<br />

der Breite der Gesellschaft <strong>für</strong> Diskussionen, <strong>die</strong> auch ihn berühren. Durch das<br />

Embryonenschutzgesetz ist der Einsatz der unreifen humanen embryonalen<br />

im Unterschied zu den adulten Stammzellen hierzulande untersagt. Beim<br />

Einsatz embryonaler Stammzellen von Mäusen war einem Team um Hoehn<br />

in früheren Stu<strong>die</strong>n ein erhöhtes Tumorrisiko aufgefallen, das sich bei adulten<br />

Stammzellen nicht beobachten ließ. „Das Verhalten menschlicher embryonaler<br />

Stammzellen unter klinischen Bedingungen ist derzeit nicht vorauszusagen“,<br />

betont Hoehn. Er will zunächst <strong>die</strong> Abläufe in den Zellen genauer verstehen.<br />

Wenn <strong>die</strong>ses Ziel erreicht sei, könne man möglicherweise andersartig hergestellte<br />

Stammzellen nutzen. „Dies würde auch <strong>die</strong> ethische Diskussion vereinfachen“,<br />

hofft er.<br />

Jan Jikeli (links) und Mathias Hoehn vom Max-<br />

Planck-Institut <strong>für</strong> neurologische Forschung<br />

in Köln diskutieren Untersuchungs ergebnisse<br />

gleich am Bildschirm. Die Er kennt nisse der<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler könnten in Zukunft zu einer<br />

besseren Behandlung etwa von Schlaganfällen<br />

und Tumorerkrankungen beitragen. Bis<br />

allerdings das, was derzeit an Ratten und<br />

Mäusen erprobt wird, auf den Menschen<br />

übertragbar ist, dürfte noch Zeit ver gehen.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 27


28<br />

Neue Hoffnung <strong>für</strong> <strong>die</strong> kranke Psyche?<br />

Ein anderes Projekt der Stiftung rückt eben <strong>die</strong>se Diskussionen in den Mittelpunkt.<br />

Die beteiligten <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler beschäftigen<br />

sich mit ethisch-juristischen Aspekten der Tiefen Hirnstimulation in der<br />

Psychiatrie; ein Vorhaben, das <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit rund 200.000 Euro<br />

unterstützt. Auch in der Psychiatrie werden innovative Bildgebungsverfahren<br />

eingesetzt – beispielsweise, um Erkrankungen wie Depressionen zu erforschen.<br />

„Bisher nahm man ein Missverhältnis der Botenstoffe im Gehirn als Ursache<br />

der Krankheit an. Die neuen Darstellungsmethoden machen jedoch auch<br />

andere Hypothesen möglich“, erklärt Professor Dr. Thomas Schläpfer. Nach<br />

Ansicht des stellvertretenden Direktors der Klinik <strong>für</strong> Psychiatrie und Psychotherapie<br />

am Universitätsklinikum Bonn hat <strong>die</strong> bei Depressionen typische<br />

Antriebslosigkeit und Freudlosigkeit mit einer falschen Reizverarbeitung im<br />

Belohnungssystem zu tun. Dieses sorgt eigentlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erinnerung an gute<br />

Erlebnisse und versetzt uns in einen Zustand der Vorfreude.<br />

Schläpfer bringt innerhalb des Belohnungssystems insbesondere den Nucleus<br />

accumbens mit der Entstehung der Depression in Verbindung. Dieses Hirn -<br />

areal ist daher sein Zielgebiet, wenn er ausgewählte Patienten mit schweren<br />

Depressionen mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) behandelt. Während sich<br />

<strong>die</strong>ses Stimulationsverfahren zur Therapie der Parkinson-Krankheit bereits<br />

bewährt hat, kommt es gegen Depressionen bislang nur experimentell zum<br />

Einsatz. Dabei werden zwei Elektroden ins Gehirn implantiert. Ein damit<br />

verbundener Schrittmacher gibt elektrische <strong>Impulse</strong> ab. „Oft verschwinden<br />

gewisse Symptome schon wenige Minuten, nachdem Strom fließt“, hat<br />

Schläpfer bei Untersuchungen an gut einem Dutzend Patienten beobachtet.<br />

Bei Depressiven, denen andere Behandlungsmethoden bisher nicht halfen,<br />

hält er <strong>die</strong> Tiefe Hirnstimulation <strong>für</strong> Erfolg versprechend.<br />

Tiefe Hirnstimulation nicht nur bei Parkinson, sondern auch im<br />

Kampf gegen Depressionen. Implantierte Elektroden werden mit<br />

einem Schrittmacher verbunden, der über <strong>die</strong> Elektroden elek -<br />

trische <strong>Impulse</strong> in den Bereich des Nucleus accumbens abgibt –<br />

ein Hirnareal, das Teil des Belohnungssystems ist. <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

berichten, dass bei einigen Patienten gewisse Symptome der<br />

Depression bereits wenige Minuten, nachdem der Strom fließt,<br />

verschwinden.


Doch der Psychiater weiß auch um <strong>die</strong> Gefahren: Wie bei jeder Operation<br />

können Blutungen und Infektionen auftreten. Weltweit fanden erst etwa<br />

zweihundert Operationen <strong>die</strong>ser Art statt; Langzeiteffekte sind noch unzu -<br />

reichend erforscht. Die Tiefe Hirnstimulation wirft ethische Fragen auf: Ist<br />

es vertretbar, <strong>die</strong> kranke Psyche elektronisch zu beeinflussen? Kritiker be -<br />

<strong>für</strong>chten gar Parallelen zum Zeitalter der Psychochirurgie mit bleibenden<br />

Verän de rungen der Persönlichkeit. „Im Unterschied dazu ist <strong>die</strong> Tiefe Hirn -<br />

stimulation schonend und reversibel“, betont Schläpfer. Die Elektroden<br />

könnten jederzeit ausgeschaltet werden. Dessen ungeachtet setzt sich<br />

der Psychiater mit Nachdruck <strong>für</strong> eine frühzeitige ethische Auseinander -<br />

setzung ein.<br />

Und <strong>die</strong> wird in dem seit Sommer 2008 geförderten Projekt koordiniert von<br />

der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlichtechnischer<br />

Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Von dort organisiert<br />

Dr. Thorsten Galert gemeinsam mit Professor Schläpfer <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

einer internationalen Expertengruppe bestehend aus neun <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>lern, <strong>die</strong> international führend sind auf dem Gebiet.<br />

Im Verlauf von neun Meetings, <strong>die</strong> sich bis ins Jahr 2011 erstrecken werden,<br />

bearbeiten Neurochirurgen, Psychiater, Neurologen, Neuropsychologen, Juristen<br />

und Medizinethiker ethisch relevante Fragen der Tiefen Hirnstimulation.<br />

Erstaunlich findet der auf medizinethische Themen spezialisierte Philosoph<br />

Galert, wie reibungslos hier Forscher zusammenarbeiten, <strong>die</strong> sonst teilweise<br />

Konkurrenten sind. „Sie eint das gemeinsame Anliegen, ihr Gebiet auf ethisch<br />

verantwortbare Weise voranzubringen.“ Die Expertengruppe will sich auf<br />

klare Em p fehlungen sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> wissenschaftliche Erforschung und klinische<br />

An wen dung als auch <strong>für</strong> Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft<br />

verständigen.<br />

Dabei geht es unter anderem um das Thema Patienteneinwilligung. „Die<br />

Betroffenen leiden oft so stark, dass sie in jede Hoffnung verheißende The -<br />

rapie einwilligen würden“, erklärt Schläpfer. Hier stehen <strong>die</strong> Experten beispielsweise<br />

vor der schwierigen Frage einer angemessenen Patientenauf -<br />

klärung. Weil <strong>die</strong> Tiefe Hirnstimulation längst nicht jedem Depressiven hilft,<br />

sind Nutzen und Risiko individuell abzuwägen. Die Gruppe formuliert daher<br />

ethische Kriterien <strong>für</strong> <strong>die</strong> Patientenauswahl und das methodische Vorgehen.<br />

„Unsere Empfehlungen könnten international erheblichen Einfluss gewinnen“,<br />

hofft Galert. Sie müssten veröffentlicht werden, bevor sich <strong>die</strong> Therapie etabliert<br />

– schon um der Einflussnahme verschiedener Interessengruppen entgegenzuwirken.<br />

Die Ergebnisse der Projektarbeit sollen 2011 publiziert und bei<br />

einer internationalen Tagung vorgestellt werden. „Im Idealfall können geeignete<br />

Patienten so den größtmöglichen Nutzen aus der Tiefen Hirnstimulation<br />

ziehen“, sagt Galert. Bis dahin ist allerdings noch viel ethischer Weitblick von<br />

allen Beteiligten gefordert.<br />

Dr. Heidrun Riehl-Halen<br />

Professor Dr. Thomas Schläpfer (links) von der<br />

Klinik <strong>für</strong> Psychiatrie und Psychotherapie am<br />

Universitätsklinikum Bonn und Dr. Thorsten<br />

Galert von der Europäischen Akademie zur<br />

Erforschung von Folgen wissenschaftlichtechnischer<br />

Entwicklungen in Bad Neuenahr-<br />

Ahrweiler mit einem Hirnschrittmacher.<br />

Gemeinsam organisieren sie <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

einer internationalen Expertengruppe,<br />

<strong>die</strong> sich auf klare ethische Empfehlungen <strong>für</strong><br />

den Einsatz der Tiefen Hirnstimulation bei<br />

Depressionen verständigen will.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 29


Neue Heimat Deutschland<br />

Schumpeter-Fellow Naika Foroutan geht an der<br />

Humboldt-Universität Berlin der Frage nach, wann<br />

Menschen Deutschland als ihre Heimat empfinden.<br />

Mit ihrem Forschungsvorhaben über Menschen, <strong>die</strong> sich verschiedenen<br />

Kulturräumen zugehörig fühlen, gehört Dr. Naika Foroutan zum ersten<br />

Jahrgang der Schumpeter-Fellows. Mit <strong>die</strong>ser Initiative fördert <strong>die</strong> Stiftung<br />

exzellente Nachwuchswissenschaftler aus den Wirtschafts-, Sozial- und<br />

Rechtswissenschaften, deren Ziel es ist, Neuland <strong>für</strong> ihr Wissensgebiet<br />

zu erschließen. Nicht zuletzt können sie so auch ihr Potenzial <strong>für</strong> eine<br />

Führungsposition innerhalb oder außerhalb der <strong>Wissenschaft</strong> entfalten.<br />

Das Spezialgebiet von Naika Foroutan ist Identitäts- und Integrationspolitik.<br />

Seit Januar 2008 fördert <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> ihr Forschungsprojekt „Hybride<br />

europäisch-muslimische Identitätsmodelle“ am Institut <strong>für</strong> Sozialwissenschaften<br />

der Humboldt-Universität zu Berlin. Die 38-jährige Politologin promovierte<br />

bei Professor Dr. Bassam Tibi in Göttingen und erhielt <strong>für</strong> ihre Arbeit über <strong>die</strong><br />

Untersuchung interzivilisatorischer Kulturdialoge zwischen dem Westen und<br />

der islamischen Welt mehrere Preise. Naika Foroutan engagiert sich im „Verein<br />

zur Förderung des interkulturellen Dialogs“ und in der „Gesellschaft <strong>für</strong><br />

Iranbezogene Sozialforschung in Berlin e. V.“. Für den Hörfunksender Deutsche<br />

Welle analysiert sie regelmäßig aktuelle Entwicklungen aus den Bereichen<br />

Nahost, Iran, politischer Islam und rund um das Themenfeld Migration und<br />

Integration. Über ihr Forschungsprojekt und <strong>die</strong> Herausforderung, Beruf und<br />

Familie zu vereinbaren, sprach <strong>die</strong> dreifache Mutter mit <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin<br />

Ute Kehse.<br />

Frau Dr. Foroutan, Sie sind auf der Suche nach Menschen mit hybrider Identität.<br />

Was muss man sich darunter vorstellen?<br />

Das sind Menschen, <strong>die</strong> in zwei Kulturräumen heimisch sind, <strong>die</strong> es schaffen,<br />

unterschiedliche Referenzsysteme miteinander zu verbinden. Meine Kollegin<br />

Dr. Isabel Schäfer und ich arbeiten an einer empirischen Stu<strong>die</strong>, <strong>für</strong> <strong>die</strong> wir 250<br />

Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit und muslimischem Migrations -<br />

hintergrund interviewen. Bei uns sind <strong>die</strong> verschiedenen Zugehörigkeitskontexte<br />

folglich der Islam und das Deutschsein. Mit „muslimischem Migra tions -<br />

hintergrund“ meinen wir, dass <strong>die</strong> Personen selbst, ihre Eltern oder Großeltern<br />

aus einem Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung eingewandert<br />

sind. Sie müssen sich aber nicht unbedingt als muslimisch bezeichnen.<br />

Wann wird Deutschland zur Heimat? Dr. Naika<br />

Foroutan erforscht am Institut <strong>für</strong> Sozialwissenschaften<br />

der Humboldt-Universität zu<br />

Berlin <strong>die</strong> Identitäten von Menschen, <strong>die</strong> in<br />

zwei Kulturräumen heimisch sind. Dabei<br />

konzentriert sich <strong>die</strong> 38-jährige Expertin <strong>für</strong><br />

Identitäts- und Integrationspolitik auf Menschen<br />

mit deutscher Staatsangehörigkeit<br />

und muslimischem Migrationshintergrund.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 31


32<br />

Dr. Naika Foroutan bespricht sich mit einem<br />

Teil ihres Teams (von links): Miriam Yasbay,<br />

Dr. Naika Foroutan, Benjamin Schwarze, Sina<br />

Arnold. Die Forscherin kooperiert bei ihrem<br />

Projekt eng mit der Berlin Graduate School of<br />

Social Sciences und pflegt ein Netzwerk aus<br />

einer Vielzahl an Stu<strong>die</strong>renden, Doktoranden<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>lern anderer Einrichtungen,<br />

<strong>die</strong> sich mit Identitäts- und Integrationspolitik<br />

befassen.<br />

Was interessiert Sie an <strong>die</strong>sen Menschen?<br />

Mich interessiert, warum es <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Personen so schwierig ist, sich mit<br />

Deutschland als Heimat zu identifizieren, und warum es <strong>für</strong> <strong>die</strong> Mehrheitsgesellschaft<br />

so schwierig ist, <strong>die</strong>se Menschen als „echte“ Deutsche zu sehen.<br />

Schließlich leben sie in zweiter und dritter Generation hier. Sie sprechen fließend<br />

Deutsch, träumen auf Deutsch und geben <strong>die</strong> Staatsangehörigkeit an<br />

ihre Kinder weiter. Der Migrationshintergrund endet eigentlich mit der dritten<br />

Generation. Dies wird hier in Deutschland jedoch nicht so wahrgenommen.<br />

Wir untersuchen in unserem Projekt, wie <strong>die</strong>se Menschen sich selbst<br />

sehen und welche Rolle sie <strong>für</strong> den politischen, sozialen und kulturellen<br />

Wandel in Deutschland spielen: als Akteure des Wandels, als Brückenbauer,<br />

Mediatoren – oder vielleicht sogar als Avantgarde.<br />

Ihr Name lässt darauf schließen, dass Sie selbst Wurzeln außerhalb Deutschlands<br />

haben …<br />

Ja, mein Vater ist Iraner und meine Mutter ist Deutsche, das Thema betrifft<br />

mich also auch. Wenn ich einen Fragebogen konzipiere, gehe ich <strong>die</strong> Fragen<br />

in Gedanken durch und überlege, wie ich sie selbst beantworten würde. Ich<br />

versuche aber, von mir als Person zu abstrahieren. Aus unserem Fragebogen<br />

sollen am Ende verschiedene Identitätsmodelle deutsch-muslimischer Natur<br />

herausgekoppelt werden: zum Beispiel gibt es da den Neo-Islam, Herkunfts-<br />

Islam, Kultur-Islam, Eliten-Islam, Pop-Islam, Street-Islam, Traditions-Islam.<br />

Diese unterschiedlichen „hybriden“ Identitätsmodelle sollen verdeutlichen,<br />

dass der Islam, wie jede andere kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit, unterschiedliche<br />

Modelle und Entfaltungsräume anbietet. Diese Modelle stehen<br />

keineswegs im Widerspruch zur kulturellen Verortung der Mehrheitsgesell -<br />

schaft, <strong>die</strong> ja auch nicht homogen ist. Homogene Gesellschaftsstrukturen hat<br />

es noch nicht mal zu Zeiten der Römer gegeben – trotzdem steht <strong>die</strong>s als Idee<br />

eines sozialen Friedens, sozusagen als Mythos, im Raum.<br />

Haben Sie schon eine Antwort darauf, warum es so schwierig ist, Deutschsein<br />

und Muslimischsein zu verbinden?<br />

Bei unseren Interviews kam heraus, dass sich ganz viele unserer Gesprächs -<br />

partner zu 80 Prozent als Deutsche fühlen, und nicht etwa nur zu 50 Prozent.<br />

Viele fühlen sich aber in Ämtern, bei der Polizei oder beim Arzt überhaupt<br />

nicht als Deutsche wahrgenommen. Der einzige Ort, an dem Eigenwahrnehmung<br />

und Fremdwahrnehmung übereinstimmen, ist das Telefon, weil hier<br />

Erkennung nicht visuell erfolgt. Sonst divergieren Fremdwahrnehmung und<br />

Eigen wahr nehmung sehr stark. Das kann zu Entfremdungsprozessen, Aggression,<br />

freiwilliger Desintegration oder Resignation führen. Es kann aber auch<br />

zu dem Willen führen, politisch und gesellschaftlich etwas verändern zu wollen.


Vor allem das Aussehen wirkt also abgrenzend?<br />

Ja. Das hat uns selbst überrascht, weil wir <strong>die</strong>ses Ergebnis zunächst sehr<br />

platt fanden. Man nennt <strong>die</strong> Abgrenzung von anderen Gruppen auch „Othering“.<br />

Wenn man offene Symbole wie Kopftuch, einen bestimmten Bart oder<br />

bestimmte Kleidung trägt, dann findet <strong>die</strong>ser Othering-Prozess sofort statt.<br />

Es wird sofort assoziiert: Dieser Mensch kann wahrscheinlich nicht richtig<br />

Deutsch sprechen oder ist womöglich gar illoyal und gefährlich; er gehört<br />

nicht dazu. Interessanterweise findet <strong>die</strong>ser Prozess aber auch statt, wenn<br />

<strong>die</strong>se klar erkennbaren Symbole nicht gegeben sind, sondern nur <strong>die</strong> Haarfarbe<br />

oder der Name auf einen muslimischen Migrationshintergrund schließen<br />

lassen. Es ist also das Aussehen, in Verbindung mit dem Referenzsystem<br />

Islam, das hier ganz besonders negativ konnotiert ist.<br />

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?<br />

Es geht nicht mehr um <strong>die</strong> Multikulti-Debatte: Wie leben wir mit Muslimen<br />

in Deutschland? Toleranz war gestern, heute geht es um Wertschätzung! Es<br />

geht auch nicht mehr darum, wie man Türken oder Muslime am erfolgreichsten<br />

integriert. Es geht darum, wahrzunehmen und deutlich zu machen, dass<br />

sich das „Deutschsein“ wandelt: Wir sind auch Deutsche! Wir leben hier, und<br />

unsere Kinder werden hier leben, und irgendwann wollen wir endlich als<br />

Deutsche gesehen werden, ohne dass unsere Identität stets hinterfragt und<br />

uns mangelnde Loyalität unterstellt wird.<br />

Sie werden mit einem Schumpeter-Fellowship gefördert. Dabei geht es um Forschungsprojekte,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Grenzen des eigenen Fachs ausloten. Inwiefern ist das<br />

bei Ihnen der Fall?<br />

Meine Projektpartnerin Isabel Schäfer und ich sind Politikwissenschaftlerinnen.<br />

In unserem Vorhaben schlagen wir den Bogen zur Sozialpsychologie, zu den<br />

Kommunikationswissenschaften und zur Religionssoziologie. Neu an unserer<br />

Stu<strong>die</strong> ist, dass wir uns auf Deutsche beziehen – Deutsche mit muslimischem<br />

Migrationshintergrund. Wir gehen in unserem Projekt weg davon, Muslime<br />

als eigene Gruppe zu markieren.<br />

Wie organisieren Sie Ihre Arbeit?<br />

Wir haben das Projekt an der Freien Universität Berlin begonnen; inzwischen<br />

sind wir zum Fachbereich Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität<br />

Berlin gewechselt. Professor Klaus Eder vom Lehrstuhl <strong>für</strong> Vergleichende Strukturanalyse,<br />

bei dem das Projekt jetzt angedockt ist, hat uns gleich in sein<br />

Netzwerk aufgenommen. Wir kooperieren sehr stark mit der Berlin Graduate<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 33


34<br />

Der „hybriden Identität“ auf der Spur: Dr.<br />

Naika Foroutan im Gespräch mit Farhad<br />

Dilmaghani von der European School of<br />

Management and Technology (ESMT) in<br />

Berlin. Die Forscherin interviewte 250 Deutsche<br />

mit muslimischem Migrationshintergrund<br />

<strong>für</strong> eine empirische Stu<strong>die</strong> und stieß<br />

auf Überraschendes: Viele der Gesprächspartner<br />

fühlen sich überwiegend als Deutsche<br />

– und nicht etwa nur „zur Hälfte“.<br />

School of Social Sciences, <strong>die</strong> in der Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

gefördert wird. Wir haben außerdem ein großes Netzwerk mit<br />

über 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Dazu gehören Stu<strong>die</strong>rende, Doktoranden<br />

und externe <strong>Wissenschaft</strong>ler, <strong>die</strong> alle beim Projekt mitarbeiten.<br />

Was bedeutet das Schumpeter-Fellowship <strong>für</strong> Ihre Arbeit?<br />

Es ermöglicht mir ein sehr fun<strong>die</strong>rtes wissenschaftliches Arbeiten, weil es<br />

mir Sicherheit über fünf Jahre gewährt. Ich habe genug Zeit, um tief in das<br />

Thema einzusteigen. Und weil <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> einen sehr guten Ruf<br />

hat, bekommen wir zudem sehr leicht Kontakt zu hervorragenden Referenten,<br />

Gesprächs- und Kooperationspartnern.<br />

Bei vielen jungen <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen gerät <strong>die</strong> Karriere schnell ins Stocken,<br />

wenn sie eine Familie gründen. Sie haben inzwischen drei Kinder, das jüngste<br />

davon ist erst zehn Monate alt. Wie hat <strong>die</strong> Stiftung darauf reagiert, als Sie den<br />

Wunsch hatten, kurz nach Anfang des Projektes erst mal eine Babypause ein -<br />

legen zu wollen?<br />

Als ich den Antrag gestellt habe, war meine Familienplanung eigentlich abgeschlossen.<br />

Es war also Zufall, Schicksal, Glück, dass <strong>die</strong>ses Kind noch hinzu kam.<br />

Am Anfang war ich sehr besorgt und wusste gar nicht, wie ich das der Stiftung<br />

mitteilen sollte. Es ging dann aber alles ganz unbürokratisch. Ich habe<br />

drei Monate Mutterschaftszeit genommen; das Ende des Projektes wurde<br />

um <strong>die</strong>se Zeit nach hinten verschoben. Alles überhaupt kein Problem.<br />

Wie schaffen Sie es, Ihr Forschungsprojekt und <strong>die</strong> Familie unter einen Hut zu<br />

bringen?<br />

Ich habe das Glück, in Berlin zu leben. Da ist es nicht so schwer mit den Kita-<br />

Plätzen. Meine beiden großen Kinder waren schon in der Kita, und <strong>für</strong> meinen<br />

Kleinen habe ich eine Betreuung rund um <strong>die</strong> Familie organisiert. Meine Mutter,<br />

meine Schwester und meine Tante haben gesagt: Mach dir keine Sorgen,<br />

wir sind da und helfen dir. Und das hat bis jetzt immer geklappt. Mein Mann<br />

ist selbstständiger Rechtsanwalt, und auch er hat sich <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Jahr Freiräume<br />

geschaffen.<br />

Haben Sie das Gefühl, dass Frauen, zumal mit Kindern, es in der <strong>Wissenschaft</strong><br />

schwerer haben als Männer?<br />

In manchem schon. Männer müssen sich nicht so viele Gedanken über<br />

Kindererziehung und Betreuung machen. Sie sind vor allem in ihrer Zeit -


einteilung freier. Ohne das Schumpeter-Fellowship wäre es <strong>für</strong> mich sicherlich<br />

schwer geworden. Die Förderung ermöglicht es mir, meine Forschung so<br />

weit voranzutreiben, dass am Ende <strong>die</strong> Habilitation steht. Das ist das Ziel, an<br />

dem ich festhalte!<br />

Ist es <strong>für</strong> Sie ein Nachteil, weniger Zeit zum Forschen zu haben?<br />

Nicht unbedingt. Nach meiner Erfahrung nutzen Mütter ihre Netto-Arbeitszeit<br />

viel intensiver. Außerdem ist Forschung ein kreativer Prozess und lässt<br />

sich nicht anhand der damit verbrachten Zeit messen. Als Mutter jongliert<br />

man flexibel mit der Zeit, man ist auf Chaos eingerichtet, man ist spontaner,<br />

erfinderischer. Ich persönlich glaube, dass es meiner Forschung zugute kommt,<br />

dass ich auch Mutter bin. Das Multitasking im Kopf befähigt, unterschiedliche<br />

Logiken zu akzeptieren und wissenschaftlich origineller nachzudenken. Man<br />

hat vielleicht gerade dann eine weiterführende Idee, wenn man just das Kind<br />

füttert.<br />

Frau Foroutan, vielen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />

Die Schumpeter-Fellowships<br />

Das Angebot der „Schumpeter-Fellowships“ richtet<br />

sich an Nachwuchsforscherinnen und -forscher<br />

aus den Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften.<br />

Von ihnen wird erwartet, dass sie das<br />

Fellowship nutzen, um <strong>für</strong> ihr Fachgebiet Neuland<br />

zu erschließen. Dabei kann das geplante Vorhaben<br />

aufgrund der Komplexität oder eines höheren<br />

Risikos durchaus längere Bearbeitungshorizonte<br />

notwendig machen – entsprechend sieht <strong>die</strong> Stiftung<br />

eine Förderung von fünf Jahren vor. Im Zuge<br />

eines Projekts sollen beispielsweise Inhalte und<br />

Methoden auf <strong>die</strong> Probe gestellt, Schnittstellen zu<br />

anderen Fachgebieten herausgearbeitet oder der<br />

Mainstream eines Wissensgebietes durch Kooperation<br />

jenseits üblicher Fächerkombinationen verlassen<br />

werden. Ziel muss es in jedem Fall sein, zu<br />

Dank Berliner Kitas und der Unterstützung<br />

durch Ehemann und Verwandte gelingt es<br />

der dreifachen Mutter Naika Foroutan, Familie<br />

und Forschungsprojekt unter einen Hut zu<br />

bringen. Durch ihre Kinder (im Bild Mahja und<br />

Milon, nicht zu sehen ist ihr ältester Sohn<br />

Malec) fühlt sich <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerin sogar<br />

noch gestärkt: „Als Mutter jongliert man<br />

flexibel mit der Zeit, man ist auf Chaos ein -<br />

gerichtet, man ist spontaner, erfinderischer.“<br />

einer inhaltlichen oder methodischen Neuorien -<br />

tierung des jeweiligen Forschungsgebietes beizutragen.<br />

Die Fellows haben <strong>die</strong> Möglichkeit, mit<br />

Unterstützung der Stiftung Doktoranden, Postdoktoranden<br />

und wissenschaftliche Hilfskräfte in ihr<br />

Projekt einzubinden. Erwartet wird zudem, dass<br />

<strong>die</strong> Geförderten mit ihren Arbeiten auch einen<br />

Beitrag zur internationalen Diskussion über ihr<br />

jeweiliges Thema leisten können.<br />

Nach sieben Bewilligungen in der ersten Entscheidungsrunde<br />

Ende 2007 – darunter Naika Foroutan<br />

– wurden zum Jahreswechsel 2008/2009 weitere<br />

vier Schumpeter- Fellows neu in <strong>die</strong> Förderung<br />

genommen. Die nächste Entscheidungsrunde ist<br />

<strong>für</strong> Anfang <strong>2010</strong> angesetzt. cj<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 35


Afrikanische Kulturen im Wandel<br />

Die Gesellschaften im sub-saharischen Afrika<br />

wandeln sich mit rasanter Geschwindigkeit.<br />

Das interessiert auch Forscher aus aller Welt.<br />

Elektronische Me<strong>die</strong>n suggerieren globale Nähe und verändern gleichzeitig<br />

Identitäten. Musik bewahrt kulturelle Werte, beschleunigt aber auch den<br />

kulturellen Wandel. Wie wird in <strong>die</strong>sen komplexen Wechselspielen Kultur<br />

in afrikanischen Gesellschaften „ausgehandelt“? Das ist zentrales Thema<br />

zweier von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> geförderter Projekte, <strong>die</strong> sich unter<br />

dem Dach der Afrika-Initiative der Veränderungsprozesse annehmen,<br />

denen „Kultur“ in Zeiten zunehmender Globalisierung ausgesetzt ist.<br />

In der mittäglichen Sommersonne leuchtet der schlichte Turm der Timo -<br />

theus-Kirche wie ein weißer Solitär aus den üppigen Bäumen der norddeutschen<br />

Bischofsstadt Hildesheim. Was der Bau von außen anzukündigen<br />

scheint, beantwortet er im Innern mit Nachdruck: Hier werden Preziosen<br />

gehütet. Seit Juli 2009 schlägt in der ehemals evangelischen Kirche das<br />

Herz des neuen Center for World Music.<br />

Den Besucher erwartet Erstaunliches: eine musikethnografische Sammlung<br />

mit 4.000 Instrumenten aus aller Welt, mit 50.000 Schallplatten und 10.000<br />

Büchern. Hier, in dem zur Universität Hildesheim gehörenden Archiv, ist aber<br />

auch ein besonderes transkulturelles Vorhaben angesiedelt: das von der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

mit 410.000 Euro geförderte Forschungsprojekt „The Formation<br />

and Transformation of Musical Archives in West African Societies“. Beteiligt sind<br />

<strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler von Hochschulen in Hannover<br />

und Hildesheim, in Maiduguri, Nigeria, und Accra, Ghana. Streift man durch<br />

<strong>die</strong>s außergewöhnliche Vorhaben, trifft man auf Forscher so unterschiedlicher<br />

Fächer wie Musikwissenschaft, Sozialanthropologie oder <strong>die</strong> schon in sich<br />

selbst interdisziplinären „African Stu<strong>die</strong>s“.<br />

„In Hildesheim haben wir einen stimmigen Ort <strong>für</strong> unsere Forschung zu den<br />

Musikarchiven gefunden“, bestätigen <strong>die</strong> beiden Projektleiter Professor Dr.<br />

Raimund Vogels von der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Theater Hannover und<br />

Dr. Wolfgang Bender vom Center for World Music. Und mit den als „materielle<br />

Archive“ verstandenen Museen, Bibliotheken oder den Klangarchiven mit<br />

ihren Aufnahmen auf unterschiedlichen Tonträgern werden zugleich stets<br />

auch „ideelle Archive“ erforscht, <strong>die</strong> das praktische, verinnerlichte oder „inkor -<br />

porierte“ Wissen der Menschen umfassen. Beide bewahren und verändern<br />

im Wechselspiel das kulturelle Erbe der Gesellschaft.<br />

Sie erforschen, wie sich afrikanische Kulturen<br />

unter verschiedenen musikalischen Einflüssen<br />

ausbilden (von links): Dr. Florian Carl vom Zentrum<br />

<strong>für</strong> Weltmusik in Hildesheim, Dr. Isaac<br />

R. Amuah, Kooperationspartner in Ghana,<br />

Projektleiter Professor Dr. Raimund Vogels<br />

von der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Theater<br />

Hannover, Professor Dr. William Anku, Projektpartner<br />

in Ghana, Projektleiter Dr. Wolfgang<br />

Bender vom Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik so -<br />

wie Christopher Mtaku, Partner aus Nigeria.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 37


38<br />

Die ehemals evangelische Timotheus-Kirche<br />

in Hildesheim beherbergt nun eine deutschlandweit<br />

einzigartige musikethnografische<br />

Sammlung: Mit Tausenden von Musikinstrumenten,<br />

Schallplatten und Büchern bietet<br />

das noch junge Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik einen<br />

idealen Ausgangsort <strong>für</strong> das Forschungsprojekt<br />

„The Formation and Transformation of<br />

Musical Archives in West African Societies“.<br />

Das sieht Professor Dr. William Anku, Projektpartner an der Akademie <strong>für</strong><br />

Darstellende Künste der Universität Ghana, genauso: „Von Schlaf- und Kinderliedern<br />

bis zu rituellen Hochzeits- oder Sterbegesängen hat jede Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> be stimmte Gelegenheiten eigene Musikrepertoires, <strong>die</strong> bei der<br />

Vermittlung von Werten und Verhalten eine vitale Rolle spielen“, reißt er<br />

sein Interessensgebiet an. „Damit formt Musik auf einer ganz elementaren<br />

Ebene <strong>die</strong> Identität.“ Sie wecke Emotionen, <strong>die</strong> das Denken und das Handeln<br />

von Individuen und ganzen Nationen färben; sie verführe zum Konsumieren,<br />

Meditieren oder auch Marschieren. Musik manifestiere, dass Fühlen, Erkennen<br />

und Verhalten untrennbar zusammenhängen.<br />

Das macht sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Politik interessant, besonders in Westafrika. „Denn<br />

hier sind Musik und politische Kultur traditionell eng verflochten“, berichtet<br />

Vogels. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert erlebte Ghana einen musikalisch<br />

beflügelten Identitätswandel. Mit der damaligen Besetzung der südlichen<br />

Region durch <strong>die</strong> Volksgemeinschaft der Asante dominierten zunehmend<br />

auch deren Musikformen. Während der Kolonialisierung Westafrikas wiederum<br />

sorgten Hymnen, patriotische Lieder oder Militärmusik <strong>für</strong> <strong>die</strong> kollektive<br />

Identifikation mit dem „Empire“. Auch <strong>die</strong> Unabhängigkeitsbewegungen<br />

nutzten <strong>die</strong> Musik. „Ein bekanntes Beispiel da<strong>für</strong> ist Ephraim Amus 1929<br />

komponiertes Lied ‚This is our precious land’, das Grundschulkinder in Ghana<br />

am Empire Day singen sollten“, erzählt Vogels. Im kollektiven Bewusstsein<br />

aber gewann das Lied einen anderen Status; neben der offiziellen „God Bless<br />

Our Homeland Ghana“ wurde es allmählich zur informellen, „gefühlten“<br />

Nationalhymne des Landes.<br />

Aushandlungsprozesse zwischen Afrika, Europa und Amerika<br />

„Noch heute stehen Sänger oder Musikensembles im Dienst politischer Führer“,<br />

blickt Raimund Vogels nachdenklich auf ein Medium unter Kuratel, das<br />

im Wortsinn zur Stimmungsmache instrumentalisiert wird. Dennoch verändern<br />

neue Formen medialer Wirklichkeit allein nicht das Bewusstsein. Heu -<br />

tige afrikanische Identitäten, wie sie sich in musikalischen Genres, Stilen und<br />

Institutionen ausdrücken, werden im komplexen Beziehungsgeflecht zwischen<br />

Afrika, Europa und Amerika ausgehandelt, angetrieben zwischen „materiellen“<br />

und „ideellen“ Archiven.<br />

An <strong>die</strong>sen Stellen kristallisieren sich auch einige der Forschungsfragen, <strong>die</strong><br />

das <strong>Wissenschaft</strong>lerquartett bearbeitet. Wie entstehen musikalische Archive<br />

in westafrikanischen Gesellschaften, und wie verändern sie sich über <strong>die</strong> Zeit<br />

durch <strong>die</strong> unzähligen Einflüsse von vielen Seiten? Wie prägt das „archivierte“<br />

Wissen moderne afrikanische Identitäten? Und in welcher Beziehung stehen<br />

letztlich materielle und ideelle Archive? Auch das Thema „Eigentumsrechte“,<br />

das in der Musik eine zentrale Rolle spielt, soll mitgedacht und mitdiskutiert<br />

werden.


„Ideelle“ Musikrepertoires, ob jene einer politischen Kultur, eines DJs oder<br />

einer Ära, sind jedenfalls stets im Fluss. Werden sie in einer bestimmten<br />

Version „materiell“ archiviert, beeinflusst das wiederum <strong>die</strong> Rezeption. Und<br />

nicht immer verlaufen <strong>die</strong>se Transformationsprozesse in <strong>die</strong> gewünschte<br />

Richtung. Das belegen bisherige Versuche vorwiegend europäischer <strong>Wissenschaft</strong>ler,<br />

<strong>die</strong> über Dokumentationen afrikanische Kulturen vor dem Vergessen<br />

retten wollen. Fatalerweise „entfremden“ <strong>die</strong>se materiellen Archive <strong>die</strong><br />

Musik nicht nur von ihrem kulturellen Ort; sie standardisieren auch, was sie<br />

als Spezifikum erhalten sollten. Eine paradoxe Entwicklung, der Professor<br />

Anku ein eigenes, ein „afrikanisches“ Lehrbuch über afrikanische Musik<br />

entgegensetzt.<br />

Nachhaltige Kooperationen <strong>für</strong> ein capacity building in Afrika<br />

Die Aneignung der geistigen Hoheit über <strong>die</strong> eigene Kultur gehört zu den<br />

wichtigsten Zielen des Verbundprojekts, was wiederum ein capacity building<br />

in Afrika erfordert. „Denn zu wenige hier wissen wirklich, wie der <strong>Wissenschaft</strong>sbetrieb<br />

läuft“, bedauert Dr. Isaac Amuah von der Universität Ghana.<br />

„Die geplanten vier Workshops und zwei internationalen Konferenzen sind<br />

deshalb <strong>für</strong> afrikanische Stu<strong>die</strong>rende und Doktoranden <strong>die</strong> Gelegenheiten,<br />

akademische Auseinandersetzung zu erlernen.“<br />

Das Forschungsprojekt löst in besonderer Weise das Anliegen ein, das <strong>die</strong><br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> mit der Förderinitiative „Wissen <strong>für</strong> morgen – Koopera -<br />

tive Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika“ verfolgt: einen Beitrag<br />

zu leisten zum Aufbau einer nachhaltig angelegten <strong>Wissenschaft</strong>skultur<br />

sowie zu einer substanziellen Stärkung der Forschungsaktivitäten im süd -<br />

lichen Afrika zu verhelfen. Entscheidend dabei ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stiftung <strong>die</strong> Unterstützung<br />

von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie<br />

eine symmetrische Nord-Süd-Partnerschaft zwischen den Projektbeteiligten<br />

(weitere Informationen zur Afrika-Initiative siehe Textkasten).<br />

Das „Musikprojekt“ läuft in der Afrika-Initiative im Rahmen der Ausschreibung<br />

„Negotiating Culture in Contemporary African Societies“. Das Themenfeld<br />

wurde in einem behutsamen, von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> angeregten<br />

Prozess zwischen afrikanischen und europäischen Forscherinnen und Forschern<br />

im Laufe eines internationalen Workshops formuliert. Die Ausschreibung<br />

zielte darauf, den Prozesscharakter des Verhandelns von Kultur, seine<br />

Dynamiken, Kontexte und Akteure deutlich sichtbar in den Fokus zu rücken.<br />

Es wurden Projekte gesucht, <strong>die</strong> das Phänomen der Intermedialität – das<br />

Wandern von Themen zwischen verschiedenen Me<strong>die</strong>n – interdisziplinär<br />

übergreifend untersuchen. Gastgeber des Workshops war das Ethnologische<br />

Institut der Univer sität Basel. Dort ist auch ein weiteres von der Stiftung<br />

gefördertes Vorhaben angesiedelt, das Aushandlungsprozesse zwischen<br />

Kulturen in den Blick nimmt.<br />

Welchen Einfluss haben materielle Musikarchive<br />

auf „ideelle“ Musikrepertoires in Afrika?<br />

Beim Kick-off-Meeting im September 2009<br />

im Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik besprechen <strong>die</strong><br />

Projektpartner aus Hildesheim, Hannover,<br />

Ghana und Nigeria Details ihres Vorhabens.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 39


40<br />

Austausch über <strong>die</strong> Forschungserkenntnisse<br />

im Land des jeweils anderen: Lic.phil. Bettina<br />

Frei aus der Schweiz führt Befragungen in<br />

Kamerun durch, der Kameruner Doktorand<br />

Primus Tazanu bei Landsleuten in der Schweiz.<br />

Von transnationalen Träumen und neuen Identitäten<br />

Hier, vis-à-vis des Basler Münsters mit seiner 900-jährigen bewegten<br />

Geschichte durchziehender Völker, wird zum Thema „Passages of Culture:<br />

Media and Mediations of Culture in African Societies“ geforscht. Im fiebrigen<br />

Takt der Globalisierung ist <strong>die</strong> Bewältigung der Gegenwart zwischen kulturellem<br />

Erbe und neuen Me<strong>die</strong>n in Afrika ein besonders konfliktgeladenes<br />

Topos. „Die Basler Region im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz<br />

mit ihrer langen Migrationskultur ist <strong>für</strong> unsere Arbeit äußerst inspirierend“,<br />

freut sich Professor Dr. Till Förster vom Ethnologischen Seminar der Univer -<br />

sität Basel, Projektleiter des von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit 516.900 Euro<br />

geförderten Vorhabens. Knapp 30 Prozent der Basler und 16 Prozent der Freiburger<br />

Bevölkerung sind Ausländer.<br />

Mit vier Fallstu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> über identische Untersuchungsperspektiven verbunden<br />

sind, spürt ein Forscherquintett dem komplexen Spiel zwischen Kultur<br />

und den – neuen – Me<strong>die</strong>n nach. Beteiligt sind <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler der Universitäten Basel und Freiburg, der nigerianischen<br />

Bayero University in Kano, der Université de Yaoundé in Kamerun und der<br />

University of the Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg. Jede<br />

Fallstu<strong>die</strong> nimmt <strong>die</strong> mediale Verschiebung von direkten zu indirekten, „technologisierten“<br />

Kommunikations- und Aushandlungsformen auf. In Südafrika<br />

wird <strong>die</strong> Entwicklung vom Live-Auftritt zu Radio-, CD- und Fernsehproduk -<br />

tionen erforscht, in Kamerun jene von Theateraufführungen zu Film und<br />

Fernsehen, in Nigeria von live gespielter Musik zu medialen Trägern.<br />

Am Beispiel der Migration schließlich untersuchen drei Forscher aus Kamerun,<br />

Deutschland und der Schweiz <strong>die</strong> Verschiebung von Face-to-face-Kommunikation<br />

zu elektronischen Interaktionen. „Weil <strong>die</strong> neuen Kommunikationsme<strong>die</strong>n<br />

so billig und so schnell geworden sind und <strong>die</strong> Teilnahme am Alltag


der fernen Heimat dadurch möglich geblieben ist, hat sich auch <strong>die</strong> Migration<br />

verändert“, analysiert Till Förster. Auswandern bedeute nicht mehr den endgültigen<br />

Abschied von der heimatlichen Kultur. „Die Afrikaner, <strong>die</strong> hier am<br />

Oberrhein leben, können über <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n an zwei Alltagen gleichzeitig teilnehmen.“<br />

Ohne Zeitverschiebung verbinden SMS, E-Mails oder Bilder <strong>die</strong><br />

Lebenswelten.<br />

Neue Verständnisräume zwischen alter und neuer Heimat<br />

Die zentrale Frage ist, ob und inwieweit <strong>die</strong>se Kommunikationsformen phy -<br />

sische Kontakte ersetzen. „Unsere Hypothese ist, dass sich <strong>die</strong> beiden Alltage<br />

zu neuen sozialen Räumen verbinden, <strong>die</strong> als Substitut der alten eine ‚transnationale’<br />

Identität schaffen“, sagt Förster. Dabei spielten nicht allein <strong>die</strong><br />

Me<strong>die</strong>n eine Rolle, sondern auch der Ort, an dem sie genutzt würden. „In<br />

Kamerun ist das Internet sehr viel sichtbarer als in Europa“, erklärt Professor<br />

Bole Butake von der Université de Yaoundé. „Weniger Menschen besitzen<br />

einen Anschluss, weshalb Internet-Cafés stärker frequentiert werden.“ Das<br />

verändere auch <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>nkultur, schaffe eine andere Art der Kommunika -<br />

tion. „User diskutieren mit anderen, informelles Wissen verbreitet sich, auch<br />

das Wissen um verschlüsselte Hinweise – beispielsweise über kleinkriminelle<br />

Partnersuche im Internet.“ Elaborierte Zeichen- oder Sprachsysteme entstehen<br />

wie <strong>die</strong> „Klingelsprache“ per Handy, <strong>die</strong> dem Empfänger bei einmaligem,<br />

zwei- oder mehrmaligem Klingeln eine bestimmte Botschaft übermittelt.<br />

Me<strong>die</strong>n entwerfen Lebenswelten, <strong>die</strong> sich selbst ständig neu erfinden und<br />

kulturelle Vorstellungen auf Abruf halten.<br />

Der Blick auf <strong>die</strong> Medialisierung als Ergebnis dessen, wie Me<strong>die</strong>n auch sinnlich<br />

mit menschlichem Handeln interagieren, ist eine der vielen Stärken <strong>die</strong>ses<br />

Forschungsprojekts. Eine andere ist das raffinierte, von der Freiburger Profes-<br />

Mainasara Kurfi, M. A., aus Kano, Nigeria,<br />

spricht anlässlich eines Workshops des Projekts<br />

„Passages of Culture“ über „South to<br />

South: Transnational Flow, Mediation and<br />

Glocalization of Literary Materials in Northern<br />

Nigeria“. Mit <strong>die</strong>sem Thema beschäftigt er<br />

sich im Rahmen seines Promotionsvorhabens.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 41


42<br />

sorin Judith Schlehe mit entwickelte Forschungs-Setting, das <strong>die</strong> mehrschichtige<br />

Betrachtung der komplexen Kommunikationsprozesse von Migranten<br />

ermöglicht. So führt der Kameruner Doktorand Primus Tazanu <strong>die</strong> Feldforschung<br />

bei Landsleuten in der Basler Region durch, <strong>die</strong> Schweizer Doktorandin<br />

Bettina Frei bei den jeweiligen Angehörigen, Freunden und Bekannten<br />

in Kamerun.<br />

In einem zweiten Forschungsschritt wird <strong>die</strong> „Umgestaltung von Subjektivität“<br />

untersucht und damit <strong>die</strong> Frage, wo Menschen zu Hause sind, <strong>die</strong> medial<br />

in Basel und Kamerun Kontakte halten. „Migranten aus Kamerun, <strong>die</strong> in ihre<br />

ursprüngliche Heimat zurückkehren, wird oft der Vorwurf gemacht, dass sie<br />

nicht mehr denken wie ein Kameruner“, erklärt Förster. Verwandte und<br />

Bekannte erwarten beispielsweise Geschenke, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Rückkehrer nicht<br />

leisten können. Ebenso wenig aber können jene kommunizieren, warum sie<br />

nichts zu verschenken haben. Zu lebendig sind <strong>die</strong> – etwa durch <strong>die</strong> Krimiserie<br />

„Derrick“ auch in Afrika – vermittelten Bilder vom reichen Europa. Entsprechend<br />

suchen <strong>die</strong> „Entwurzelten“ nach neuen Verständnisräumen, <strong>die</strong> sich<br />

zwischen der alten und der neuen Heimat bilden. „In <strong>die</strong>sen trans nationalen<br />

Räumen spielen sich neue Aushandlungsprozesse mit politischer Wirkung<br />

ab“, erzählt Förster. Es gebe keine einfachen nationalen Folien mehr, vor<br />

denen sich Identitäten und Kulturen bilden – weder in Europa noch in Afrika.<br />

Schwieriger als <strong>die</strong> komplexen Forschungsstrukturen des Verbundprojekts<br />

erweisen sich <strong>die</strong> ganz profanen Dinge. „Es ist einfacher, von Südafrika nach<br />

Kamerun zu fliegen als von Nigeria aus, obwohl wir Nachbarländer sind“,<br />

bedauert Butake. Denn noch fehlt hier wie dort eine ausreichende Infrastruktur.<br />

„Deshalb haben wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nach<br />

ihrem organisatorischen Talent ausgesucht“, schmunzelt er. Das ehrgeizige<br />

Ziel, Nachwuchsforscher – vor allem <strong>die</strong> zehn am Projekt beteiligten Doktoranden<br />

– und wissenschaftliche Netzwerke in Afrika zu stärken, soll nicht an<br />

fehlender Improvisation scheitern.<br />

Ruth Kuntz-Brunner<br />

Um herauszufinden, ob es so etwas wie eine transnationale Identität<br />

gibt, untersuchen <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler den Alltag von Migranten und<br />

deren Angehöriger in beider Heimat. Hier lässt sich Projektleiter Professor<br />

Dr. Till Förster von der Universität Basel bei einem Aufenthalt in<br />

Afrika <strong>die</strong> neuesten Skulpturen und Gemälde des Kameruner Künstlers<br />

Nsawir Arts zeigen (Bild unten). Unterdessen wirft Keneth Tume<br />

Fondzeyuf, M. A., von der Universität Yaoundé in Kamerun einen letzten<br />

Blick auf seine Power-Point-Präsentation vor seinem Vortrag im<br />

Rahmen eines Projekt-Workshops in Yaoundé im September 2009.


Wissen <strong>für</strong> morgen: <strong>die</strong> Stiftung und ihr Engagement <strong>für</strong> Afrika<br />

Im Jahr 2003 richtete <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> <strong>die</strong><br />

Förderinitiative „Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative<br />

Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika“<br />

ein. Im Zentrum des grundsätzlich fachoffenen<br />

Förderangebots stehen der Aufbau und <strong>die</strong> nachhaltige<br />

Stärkung wissenschaftlicher Kompetenz<br />

in Afrika. Ein wichtiger Aspekt der Initiative<br />

besteht darin, Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />

und Nachwuchswissenschaftlern<br />

aus der Region<br />

langfristige Karriereperspektiven<br />

zu eröffnen. So<br />

sollen erfolgreiche<br />

Doktoranden<br />

aus einer ersten<br />

Förderphase über<br />

Postdoktorandenprogramme<br />

in<br />

einer zweiten bis<br />

hin zu Gruppenleiterpositionen<br />

in einer dritten Phase unterstützt werden – unter<br />

der Maßgabe, dass sie sich in einem strengen internationalen<br />

Evaluationsprozess bewähren. Bisher<br />

fördert <strong>die</strong> Stiftung in ihrer Afrika-Initiative in erster<br />

Linie Forschungsprojekte, <strong>die</strong> in enger Zusammenarbeit<br />

zwischen afrikanischen und deutschen<br />

<strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>lern ent -<br />

wickelt wurden, aber auch Workshops, Symposien<br />

und Sommerschulen. Die Förderinstrumente sind<br />

sehr vielfältig und an <strong>die</strong> Bedürfnisse der jeweiligen<br />

wissenschaftlichen Communities angepasst.<br />

Für <strong>die</strong> Stiftung war entscheidend, dass <strong>die</strong> Forschungsvorhaben<br />

als symmetrische Nord-Süd-<br />

Partnerschaften entwickelt und umgesetzt wurden.<br />

Um <strong>die</strong>sen Prozess zu unterstützen, führte<br />

<strong>die</strong> Stiftung vor jeder Projektausschreibung entsprechende<br />

Themenworkshops in Afrika durch<br />

– unter wesentlicher Beteiligung afrikanischer<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler und <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen. Im<br />

Zuge der Ausschreibung „Negotiating Culture in<br />

Contemporary African Societies“ wurden bislang<br />

<strong>die</strong> beiden hier vorgestellten Vorhaben bewilligt.<br />

Mit <strong>die</strong>sem Engagement <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kulturwissenschaften<br />

setzt <strong>die</strong> Stiftung in ihrer sechsten – und<br />

bislang letzten – Ausschreibung in der Afrika-Initiative<br />

einen besonderen Akzent, indem sie jenen<br />

Blick auf den Kontinent<br />

weitet,<br />

der in der Regel<br />

zuvorderst den<br />

dortigen drängenden<br />

wirtschaft -<br />

lichen und politischen<br />

Problemen<br />

gilt. Die beiden<br />

hier vorgestellten<br />

Projekte zeigen,<br />

dass der An spruch<br />

der Stiftung eingelöst<br />

wird und<br />

dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

der <strong>Wissenschaft</strong>ler verschie dener<br />

Disziplinen aufgrund unterschiedlicher Arbeitsweisen<br />

ihren Reiz hat und Interessantes an Erkenntnissen<br />

zutage fördert.<br />

Seit dem Jahr 2009 werden unter dem Dach der<br />

Afrika-Initiative im Rahmen eines vereinten Engagements<br />

europäischer Stiftungen zur Erforschung<br />

vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) auch<br />

zehn Postdoktoranden und -doktorandinnen mit<br />

insgesamt rund 1,4 Millionen Euro unterstützt –<br />

allein <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> stellt 550.000 Euro<br />

zur Verfügung. Über <strong>die</strong>se Aktivi täten wird auf<br />

Seite 50 in <strong>die</strong>sem Heft berichtet. Beteiligt an dem<br />

europäischen Förderkonsortium sind neben der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> <strong>die</strong> Fondazione Cariplo in<br />

Italien, <strong>die</strong> Fundaçao Gulbenkian in Portugal, <strong>die</strong><br />

britische Nuffield Foundation und <strong>die</strong> Fondation<br />

Mérieux in Frankreich. cj<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 43


Die vergessene Krankheit<br />

Hilfe <strong>für</strong> Afrika: ein internationales Forscherteam<br />

auf dem Weg, eine der schlimmsten Krankheiten<br />

auf dem afrikanischen Kontinent einzudämmen<br />

Von der industrialisierten Welt weitgehend unbeachtet, leiden in Afrika <strong>die</strong><br />

Ärmsten und Anfälligsten an einer verheerenden, von einem Bakterium verursachten<br />

Krankheit, dem Buruli Ulkus. Unbehandelt führt sie zu schweren<br />

Behinderungen. Eine neue Methode verspricht, einer der ge<strong>für</strong>chtetsten<br />

Krankheiten der Tropen auf verblüffend einfache Weise Einhalt zu gebieten<br />

– der Erfolg eines deutsch-afrikanischen Forscher teams, das von der Stiftung<br />

in ihrer Initiative zum sub-saharischen Afrika gefördert wird.<br />

Thomas Junghanss stellt eine Pappschachtel mit vier Kunststoffbeuteln auf<br />

den Tisch. „Mehr ist es nicht!“, sagt er. „Und mehr brauchen wir wohl auch<br />

nicht, um den Menschen schwerstes Leid zu ersparen.“ Sichtlich erfreut zeigt<br />

er Bilder, auf denen zu sehen ist, wie <strong>die</strong> kleinen, mit einer gel-artigen Masse<br />

gefüllten Beutel erhitzt und auf mit weißer Gaze abgedeckte Geschwüre an<br />

Armen und Beinen gelegt werden. Wenige Tage darauf beginnen <strong>die</strong> Wunden<br />

zu heilen. „Dieser Behandlungserfolg macht nicht nur <strong>die</strong> Patienten, sondern<br />

auch uns sehr glücklich“, sagt der Mediziner der Sektion Klinische Tropen -<br />

medizin des Universitätsklinikums Heidelberg. „Persönlich ist das mein<br />

schönstes Projekt.“<br />

Das Projekt hat einen langen und komplizierten Titel. Es heißt „Modification<br />

of host pathogen interaction in Mycobacterium ulcerans disease (BU) through<br />

heat treatment“ und wird seit dem Jahr 2004 von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in<br />

ihrer Initiative „Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im<br />

sub-saharischen Afrika“ mit insgesamt knapp einer Million Euro gefördert;<br />

zunächst als Pilotstu<strong>die</strong> mit sechs, derzeit als große Stu<strong>die</strong> mit rund hundert<br />

Patientinnen und Patienten. „Wir hoffen sehr, dass wir während des Folgeprojekts<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse der Pilotstu<strong>die</strong> bestätigen können“, sagt Junghanss.<br />

„Bislang sieht es erfreulicherweise ganz danach aus.“<br />

Was Thomas Junghanss und seine Kooperationspartner aus Kamerun, Ghana,<br />

der Schweiz und Würzburg anzubieten haben, klingt wie ein kleines Wunder:<br />

eine innovative, leicht anwendbare, effektive, <strong>die</strong> Patienten nicht belastende<br />

und zudem preiswerte Behandlungsmethode gegen eine der furchtbarsten<br />

Krankheiten des tropischen und subtropischen Afrikas, <strong>die</strong> vor allem Kinder<br />

in armen ländlichen Gebieten heimsucht – das Buruli Ulkus. „Buruli ist eine<br />

über Jahrzehnte hinweg vernachlässigte und fast vergessene Krankheit“,<br />

Buruli Ulkus, eine der tückischsten Tropenkrankheiten<br />

Afrikas, wird von einem mikroskopisch<br />

kleinen Organismus verursacht –<br />

dem Bakterium Mycobacterium ulcerans,<br />

einem nahen Verwandten der Erreger von<br />

Tuberkulose und Lepra. Unklar ist, wo überall<br />

der Keim sich in der Umwelt aufhält und wie<br />

er seine Opfer befällt. Da sich wie hier nahe<br />

der Stadt Ayos im westafrikanischen Kamerun<br />

meist Menschen anstecken, <strong>die</strong> in der<br />

Nähe von Flüssen, Seen und Tümpeln leben,<br />

handelt es sich bei Mycobacterium ulcerans<br />

wohl um einen Wasserbewohner, der zum<br />

Beispiel durch Stechmücken übertragen<br />

werden könnte.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 45


46<br />

Buruli Ulkus beginnt in der Regel mit einer<br />

kleinen Schwellung der Haut, <strong>die</strong> weder<br />

schmerzt noch Fieber verursacht. In einem<br />

qualvollen Prozess, der sich über Jahre hin -<br />

ziehen kann, zerstört der Erreger dann <strong>die</strong><br />

Zellen der Haut, bis sich Geschwüre bilden<br />

(Bild unten) und ausbreiten. Sie entstellen<br />

<strong>die</strong> Erkrankten und haben nicht selten<br />

Amputationen zur Folge. Dr. Thomas Junghanss<br />

(Bild oben) vom Universitätsklinikum<br />

in Heidelberg inspiziert und erneuert den<br />

Verband eines Patienten im Krankenhaus<br />

von Ayos in Kamerun (von links nach rechts:<br />

Almaz Desta vom Koordinierungszentrum <strong>für</strong><br />

Klinische Stu<strong>die</strong>n des Universitätsklinikums<br />

Heidelberg, Dr. Thomas Junghanss, Dr. Franklin<br />

Bayi und Krankenschwester Felecite Ntsang).<br />

erläutert Junghanss. Das gelte zwar <strong>für</strong> <strong>die</strong> meisten Tropenerkrankungen,<br />

<strong>für</strong> Buruli sei der Grad der Vernachlässigung jedoch besonders hoch. „Bei<br />

uns in Deutschland“, ergänzt Junghanss, „kennt kaum jemand <strong>die</strong> Krankheit,<br />

auch viele Ärzte nicht.“<br />

Verursacht wird das ge<strong>für</strong>chtete Leiden von einem bereits im Jahr 1948 entdeckten<br />

Bakterium namens Mycobacterium ulcerans, einem Verwandten des<br />

Erregers von Tuberkulose und Lepra. Diese Verwandtschaftsbeziehung war<br />

lange Zeit das nahezu Einzige, was <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler über den heimtückischen<br />

Keim wussten. Im Jahr 2007 gelang es Molekularbiologen dann, <strong>die</strong><br />

Buchstabenfolge des Bakterien-Erbguts zu entziffern, was ab sofort darauf<br />

hoffen ließ, <strong>die</strong> Krankheit einmal schneller zu diagnostizieren, mit besseren<br />

Medikamenten zu behandeln oder ihr gar mit einem Impfstoff vorbeugen zu<br />

können.<br />

Auch heute noch weiß man nicht, wo sich das Bakterium in der Umwelt versteckt<br />

und auf welche Weise es auf seine menschlichen Opfer übertritt. Weil<br />

häufig Menschen erkranken, <strong>die</strong> in der Nähe von Flüssen, Seen und Tümpeln<br />

leben, vermuten <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler, dass sich der Erreger im Wasser aufhält:<br />

vielleicht im Körper kleiner Wasserinsekten oder im Biofilm auf der Wasseroberfläche<br />

im Innern von Bakterien, Algen, Pilzen oder Einzellern. Möglicherweise<br />

könnte auch eine Stechmücke bei der Übertragung auf den Menschen<br />

im Spiel sein. Darauf weist eine neuere Stu<strong>die</strong> australischer <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

hin. „Aber all das sind bislang nur Vermutungen“, sagt Junghanss. „Wirklich<br />

wissen tut man nichts!“<br />

Was der Erreger, der außer in Westafrika auch in Mittelamerika, in Asien und<br />

im westpazifischen Raum auftritt, beim Menschen anrichtet, ist indes schon<br />

lange bekannt: Wenn das Bakterium – wahrscheinlich über kleine Verletzungen<br />

– in <strong>die</strong> Haut eingedrungen ist, entsteht zunächst eine kleine, harmlos<br />

erscheinende Schwellung. Ohne mit Fieber oder Schmerzen auf sich aufmerksam<br />

zu machen, zerstören <strong>die</strong> Erreger fortschreitend <strong>die</strong> Zellen der Haut und<br />

der Unterhaut bis hin zur Muskulatur. Da<strong>für</strong> vermutlich maßgeblich verantwortlich<br />

ist ein Gift, das <strong>die</strong> Bakterien produzieren und das sie wie eine un -<br />

heilvolle Wolke umgibt: Mykolakton. Das Toxin ist offensichtlich auch in der<br />

Lage, <strong>die</strong> Zellen des Immunsystems zu lähmen, finden sich örtlich doch kaum<br />

Anzeichen <strong>für</strong> eine nennenswerte Reaktion der körpereigenen Abwehrstra -<br />

tegen. Der zerstörerische Prozess kann sich über Monate bis Jahre hinziehen.<br />

Bleibt <strong>die</strong> Infektion unbehandelt, entstehen aus den Wunden großflächige<br />

Hautgeschwüre, zumeist an Unterarmen und Beinen. Sie führen nicht selten<br />

zu Funktionseinbußen und Entstellungen; manch ein Betroffener bleibt ein<br />

Leben lang gezeichnet. In der Bevölkerung, berichtet Thomas Junghanss, ist<br />

Buruli stark stigmatisiert. Niemand gebe gern zu, daran erkrankt zu sein.<br />

Viele Patienten kommen deshalb erst sehr spät oder überhaupt nicht zur<br />

Behandlung.


„Die lange Zeit einzig Erfolg versprechende Maßnahme war, das zerstörte<br />

Gewebe bis weit in das Gesunde hinein herauszuschneiden, um so eine weitere<br />

Ausbreitung des Bakteriums zu verhindern“, sagt Junghanss. Er selbst<br />

hat <strong>die</strong> Operationen Ende der 1990er Jahre, als er im Süden von Ghana im<br />

Krankenhaus arbeitete, häufig miterlebt. „Die Patienten“, berichtet Junghanss,<br />

„müssen wochen-, manchmal monatelang in der Klinik bleiben, weil <strong>die</strong> großen<br />

Wunden nach dem Eingriff nur langsam heilen und zumeist noch eine<br />

Hauttransplantation erfolgen muss.“ In schweren Fällen ließen sich Ampu -<br />

tationen von Gliedmaßen nicht vermeiden. „Es war manchmal einfach nicht<br />

zum Aushalten, dabei zusehen zu müssen, wie sehr <strong>die</strong> Patienten leiden“,<br />

erinnert sich Junghanss.<br />

Vor allem das Leid der Hauptbetroffenen, der Kinder, veranlasste den Arzt, nach<br />

anderen Mitteln und Wegen zu suchen, mit denen der Erreger bekämpft und<br />

<strong>die</strong> Infektionskrankheit gestoppt werden kann. Er stu<strong>die</strong>rte <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Literatur und stieß während seiner Recherchen auf <strong>die</strong> Arbeit eines<br />

amerikanischen Pathologen namens Wayne Meyers. Jener hatte in den 1970er<br />

Jahren bei Patienten in Zaire sehr gute Erfolge mit einer Hitzebehandlung<br />

erzielt und sich dazu eine Schwachstelle des Bakteriums zunutze gemacht:<br />

Der Erreger, das war aus Laborversuchen bekannt, gedeiht bestens zwischen<br />

30 und 33 Grad, bei Temperaturen aber, <strong>die</strong> längere Zeit über 37 Grad liegen,<br />

stirbt das Bakterium. „Das ist auch der Grund, warum sich <strong>die</strong> Keime in der<br />

Haut, nicht aber im Innern des Körpers aufhalten“, erklärt Junghanss.<br />

Meyers benutzte seinerzeit zur Therapie eine Manschette, <strong>die</strong> mit 40 Grad<br />

heißem Wasser gefüllt war und über befallene Gliedmaßen gelegt wurde.<br />

Damit gelang es ihm, <strong>die</strong> Geschwüre seiner Patienten nach wochenlanger<br />

Behandlung entscheidend zurückzudrängen. Die da<strong>für</strong> erforderlichen Apparaturen<br />

inklusive eines großen Boilers <strong>für</strong> <strong>die</strong> Heißwasserbereitung erwiesen<br />

sich jedoch als wenig praktikabel, zumal in den ländlichen Regionen Afrikas.<br />

Die Methode geriet rasch wieder in Vergessenheit.<br />

Immerhin hatte Meyers es geschafft, alle acht der von ihm wärmebehandelten<br />

Patienten dauerhaft von den Geschwüren zu befreien. Dieses bemerkenswerte<br />

Resultat veranlasste Thomas Junghanss darüber nachzudenken, wie<br />

man <strong>die</strong> Hitzebehandlung ebenso effizient, aber in weniger aufwändiger<br />

Weise vornehmen könne. „Wie lassen sich stabile Temperaturen über eine<br />

ausreichend lange Zeit hinweg garantieren, ohne <strong>die</strong> Patienten damit zu<br />

belasten?“, bringt Junghanss <strong>die</strong> zentrale Herausforderung auf den Punkt.<br />

Mit seiner Kernfrage wandte er sich an den Ingenieur Dr. Martin Hellmann<br />

– und der hatte tatsächlich eine Idee: Kunststoffbeutel, sogenannte heat<br />

packs, wie sie als Handwärmer im Winter beliebt sind. Sie sind mit einem<br />

Zwei-Phasen-System gefüllt, das schmilzt, wenn man es erhitzt, und wieder<br />

fest wird, wenn es sich abkühlt. „Zur Wärmebehandlung des Buruli Ulkus<br />

haben wir Natriumacetattrihydrat als Inhaltsstoff gewählt“, erläutert Junghanss.<br />

„Es ist ungiftig und schmilzt bei 59 Grad.“<br />

Bei der neu entwickelten Behandlungsmethode<br />

kommen einfache Wärmekissen wie<br />

<strong>die</strong>ses zum Einsatz. Die Kissen sind kostengünstig<br />

und wiederverwendbar und erfüllen<br />

damit entscheidende Voraussetzungen <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Anwendung in den von großer Armut<br />

geprägten tropischen Regionen Afrikas.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 47


48<br />

Bevor <strong>die</strong> neue Methode bei Patienten verwendet wurde, testeten Martin<br />

Hellmann, dessen Ingenieurskollege Helmut Weinläder und der Physiker<br />

Stefan Braxmeier <strong>die</strong> befüllten Plastikbeutel und deren bestmöglichen<br />

Gebrauch zunächst in den Labors der Abteilung „Funktionsmaterialien und<br />

Energietechnik“ des Bayerischen Zentrums <strong>für</strong> Angewandte Energieforschung.<br />

In der Praxis werden <strong>die</strong> Hautgeschwüre der Erkrankten zunächst mit einem<br />

sterilen Verband bedeckt und <strong>die</strong> in Wasser erhitzten Kunststoffbeutel, zumeist<br />

über Nacht, aufgelegt. Auf der Oberfläche der Haut komme auf <strong>die</strong>se Weise<br />

eine Temperatur von etwa 40 Grad zustande, erklärt Junghanss. Das genüge,<br />

um <strong>die</strong> Bakterien zu schädigen, belaste <strong>die</strong> Patienten aber nicht. Um <strong>die</strong><br />

handlichen Wärmepakete wieder gebrauchsfertig zu machen, genügt es, sie<br />

in einen Topf mit kochendem Wasser zu legen.<br />

Diese einfache Handhabe ist ideal <strong>für</strong> arme und ländliche Gebiete und ein<br />

Vorteil der Wärmekissen gegenüber der anderen wirkungsvollen Option,<br />

einer Therapie mit Antibiotika. Verabreicht werden Rifampicin und Streptomycin,<br />

zwei aus der Tuberkulosetherapie stammende Antibiotika. Um das<br />

Buruli Ulkus zu behandeln, muss Streptomycin über acht bis zwölf Wochen<br />

hinweg einmal pro Tag gespritzt werden. „Spritzen sind in Afrika ein grundsätzliches<br />

Problem – und Kinder mögen bekanntlich überhaupt keine Spritzen“,<br />

sagt Junghanss. Dennoch misst er der Antibiotikatherapie einen eigenen<br />

Stellenwert bei: „Als Arzt weiß ich, dass eine Methode allein nur selten<br />

wirksam ist, möglicherweise wird sich eine Kombination der Medikamente<br />

mit den Wärmekissen als sinnvoll erweisen; denkbar ist auch, dass der eine<br />

Patient besser auf <strong>die</strong> Wärmemethode, der andere besser auf Antibiotika<br />

anspricht.“ Hinter all <strong>die</strong>sen Einschätzungen verbergen sich Forschungs -<br />

fragen, <strong>die</strong> es zu klären gilt.<br />

Von 2005 bis 2007 erprobten Thomas Junghanss und sein Kollege Moritz<br />

Vogel gemeinsam mit dem Team ihres Projektpartners Alphonse Um Book,<br />

dem lokalen Vertreter der Leprahilfe Emmaus Schweiz in Kamerun, und<br />

der Arbeitsgruppe des Schweizerischen Tropeninstituts von Gerd Pluschke<br />

<strong>die</strong> neue Applikationsweise erstmals bei sechs erkrankten Kindern und<br />

Jugend lichen im Buruli-Zentrum von Ayos in Kamerun. Die Patienten waren<br />

zwischen sechs und 21 Jahre alt und litten unter verschieden stark ausgeprägten<br />

Geschwüren an Armen und Beinen. Die kleineren Geschwüre wurden 28<br />

bis 31 Tage, <strong>die</strong> größeren 50 bis 55 Tage behandelt. Die <strong>Wissenschaft</strong>ler befestigten<br />

<strong>die</strong> Wärmekissen so am Körper, dass <strong>die</strong> Patienten sich <strong>die</strong> ganze Zeit<br />

über frei bewegen konnten. „Die Kinder haben damit sogar Fußball gespielt“,<br />

erinnert sich Junghanss. Die Behandlung war zuvor sowohl von der natio -<br />

nalen Ethikkommission Kameruns als auch der Ethikkommission des Uni -<br />

versitätsklinikums Heidelberg be<strong>für</strong>wortet worden.<br />

„Proof of Principle“ – der grundsätzliche Nachweis der Wirksamkeit – hieß das<br />

Ziel der Pilotstu<strong>die</strong>. Und <strong>die</strong>ses Ziel wurde in beeindruckender Weise erreicht:<br />

Bei allen sechs Patienten bildeten sich <strong>die</strong> Geschwüre innerhalb von vier bis


fünf Wochen zurück und sind bislang – über zwei Jahre nach der Therapie –<br />

nicht wiedergekehrt. „Das ist ein wirklich sehr gutes Ergebnis“, freut sich<br />

Junghanss.<br />

Gegenwärtig kommt <strong>die</strong> neue Methode bei Buruli-Kranken in Kamerun zum<br />

Einsatz: Bis zum Jahr 2011 sollen in <strong>die</strong> Folgestu<strong>die</strong> alle rund hundert Patienten<br />

eingeschlossen sein. In <strong>die</strong>ses erneut von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Anschluss<br />

an <strong>die</strong> Pilotstu<strong>die</strong> geförderte Vorhaben sind vier Gruppen eingebunden; <strong>die</strong><br />

Koordination obliegt Thomas Junghanss in Heidelberg, <strong>die</strong> mikrobiologischen<br />

und immunologischen Arbeiten werden vom Schweizerischen Tropeninstitut<br />

unter Leitung von Professor Gerd Pluschke begleitet.<br />

Die Hauptarbeiten jedoch erfolgen in Afrika, beteiligt sind Dr. Alphonse Um<br />

Book in Kamerun, Dr. Dorothy Yeboah-Manu im Noguchi Memorial Institute<br />

for Medical Research in Accra, Ghana, und Dr. Ernestina Mensah-Quainoo<br />

vom Ghana Health Service. „Wir bauen auf den in der Pilotstu<strong>die</strong> erarbeiteten<br />

Ergebnissen auf und wollen jetzt <strong>die</strong> Wärmeapplikation optimieren sowie<br />

genaue Schemata <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wärmedosierung entwickeln“, nennen <strong>die</strong> afrikanischen<br />

Projektpartner zwei wichtige Ziele. Darüber hinaus gelte es, den Wirkmechanismus<br />

zu erforschen, ein verlässliches System <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zuordnung der<br />

Krankheit in Sta<strong>die</strong>n zu erarbeiten und insbesondere <strong>die</strong> Effektivität der Be -<br />

handlung vor Ort sicherzustellen, führt Thomas Junghanns begleitend aus.<br />

Dazu werden Mediziner und klinisch tätiges Personal vor Ort ausgebildet, und<br />

es wird in den ländlichen Regionen <strong>die</strong> erforderliche Labordiagnostik eingerichtet.<br />

„Die hervorragende interdisziplinäre Zusammenarbeit mit un seren<br />

Kooperationspartnern in Afrika ist eine ideale Voraussetzung da<strong>für</strong>“, erklärt<br />

Junghanss.<br />

Die Vision von Thomas Junghanss ist es, in allen betroffenen Regionen<br />

gemeindenahe Buruli-Gesundheitszentren einzurichten, in denen <strong>die</strong> Erkrankung<br />

rasch diagnostiziert und behandelt werden kann. Durch eine intensi -<br />

vere Aufklärung könnte erreicht werden, dass <strong>die</strong> Menschen mehr über <strong>die</strong><br />

Krankheit lernen und sie nicht <strong>für</strong> Hexenwerk oder eine Strafe Gottes halten.<br />

Dieses Wissen soll sie dazu befähigen, <strong>die</strong> Infektion eigenständig in einem<br />

frühen Stadium zu erkennen, wo sie noch leicht zu behandeln und zu heilen<br />

ist. Vielen Menschen könnte so eine schlimme Leidenszeit erspart bleiben.<br />

„Eine frühe Diagnose und eine gute Behandlung sind unsere wichtigsten<br />

Ziele“, betont auch Alphonse Um Book, einer der Partner in Afrika. Ohne<br />

intensive Forschung aber und eine detaillierte Kenntnis der Hintergründe<br />

der „vergessenen Krankheit“ bleibe den Menschen <strong>die</strong> dringend benötigte<br />

Hilfe verwehrt. Umso wichtiger sei ein Kooperationsprojekt wie <strong>die</strong>ses zur<br />

Bekämpfung einer der schlimmsten gesundheitlichen Plagen Afrikas, bringen<br />

es <strong>die</strong> Projektbeteiligten beider Kontinente abschließend auf den Punkt.<br />

Claudia Eberhardt-Metzger<br />

Im Kampf gegen Buruli Ulkus werden <strong>die</strong><br />

Wärmekissen in Wasser erhitzt und mit<br />

einem Verband über den erkrankten Hautpartien<br />

fixiert (Bild oben). Diese unkomplizierte<br />

Hitzetherapie tötet <strong>die</strong> temperaturempfindlichen<br />

Erreger mit der Zeit ab und<br />

führt bei regelmäßiger Anwendung zu einer<br />

vollständigen Abheilung der Geschwüre<br />

ohne Rückfall (Bild unten).<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 49


50<br />

Hilfe <strong>für</strong> morgen – gegen <strong>die</strong> Armutskrankheiten von heute<br />

Der Biologe Dr. Alexander Debrah (beide Bilder, je -<br />

weils links) erforscht in seinem Heimatland Ghana<br />

<strong>die</strong> Lymphatische Filariose, eine der schlimmsten<br />

Armutskrankheiten Afrikas.<br />

„Viele Fragen – wenig Antworten.“ Das war der<br />

Eindruck des jungen Biologiestudenten Alexander<br />

Debrah, als er erstmals im Jahr 1999 das „Kumasi<br />

Centre for Collaborative Research in Tropical<br />

Medicine“ in Ghana betrat und dort <strong>die</strong> „Neglected<br />

Tropical Diseases“, <strong>die</strong> vernachlässigten Krankheiten<br />

der Tropen, näher kennenlernte. Eines <strong>die</strong>ser<br />

Leiden ist <strong>die</strong> Lymphatische Filariose, eine Wurmerkrankung,<br />

von der in den Tropen schätzungsweise<br />

120 Millionen Menschen betroffen sind und<br />

<strong>die</strong> schwerste Entstellungen verursacht. Schon als<br />

Student beschloss Alexander Debrah, <strong>die</strong> Krankheit<br />

zu erforschen. Heute leitet der 40-jährige <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

im Kumasi-Zentrum ein eigenes Projekt.<br />

Sein ambitioniertes Vorhaben verspricht eine bessere<br />

Diagnose und Therapie. „Die Arbeiten verlaufen<br />

bislang sehr gut“, sagt der engagierte Forscher.<br />

„Ich bin sehr glücklich, in meinem Heimatland<br />

Ghana gemeinsam<br />

mit meinem europä -<br />

ischen Partner, dem<br />

Institut <strong>für</strong> Medizinische<br />

Mikrobiologie,<br />

Immunologie und<br />

Parasitologie der<br />

Universitätsklinik<br />

Bonn, zur Lösung<br />

eines unserer größten<br />

Gesundheits -<br />

probleme beitragen<br />

zu können.“<br />

Alexander Debrah ist einer von zehn afrikanischen<br />

<strong>Wissenschaft</strong>lern, <strong>die</strong> im Jahr 2008 im Rahmen<br />

eines Wettbewerbs der europäischen Initiative<br />

„Neglected Tropical Diseases and Related Public<br />

Health Research“ (NTD-Fellowships) als besonders<br />

förderungswürdig ausgewählt wurden. Der Initiative<br />

gehören fünf Stiftungen an: neben der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

<strong>die</strong> portugiesische Fundaçao Gulbenkian,<br />

<strong>die</strong> französische Fondation Mérieux, <strong>die</strong><br />

britische Nuffield Foundation und <strong>die</strong> italienische<br />

Fondazione Cariplo. Diese Initiative – nähere Informationen<br />

dazu unter www.ntd-africa.net – setzt<br />

Aktivitäten der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in der Tropenmedizin<br />

fort, <strong>die</strong> im Jahr 2005 mit einer thema -<br />

tischen Ausschreibung begonnen wurden (siehe<br />

Haupttext).<br />

Die fünf Akteure haben sich zusammengeschlossen<br />

mit dem Ziel, zumindest auf einigen Gebieten<br />

den Teufelskreis von Armut und Krankheit in<br />

Afrika zu durchbrechen. Dies zu erreichen, werden<br />

exzellente afrikanische Nachwuchsforscherinnen<br />

und -forscher unterstützt, <strong>die</strong> in den Ländern des<br />

sub-saharischen Afrikas arbeiten oder dorthin zu -<br />

rückkehren wollen und deren Forschungsansätze<br />

versprechen, möglichst rasch den Patienten zugute<br />

zu kommen. Das ist besonders drängend etwa bei<br />

der Lymphatischen Filariose, einer der schlimmsten<br />

mit Armut assoziierten<br />

Krankheiten<br />

im tropischen Afrika.<br />

Sie wird von Fadenwürmern<br />

(Filarien)<br />

verursacht, deren<br />

unreife Vorstufen<br />

über Stechmücken<br />

von Mensch zu<br />

Mensch übertragen<br />

werden. Im Körper<br />

des Infizierten gelangen<br />

<strong>die</strong> Larven über<br />

<strong>die</strong> Blutbahn zu den<br />

Lymphknoten und reifen dort zu Würmern von<br />

bis zu zehn Zentimetern Länge heran. Die Wurmknäuel<br />

behindern den Abfluss der Lymphe und<br />

lösen zudem massive Entzündungen aus. Das lässt<br />

enorme Schwellungen (Lymphödeme) entstehen.


Im Extremfall entwickelt sich eine „Elefantiasis“,<br />

eine unförmige Anschwellung von Körperteilen,<br />

zumeist der unteren Extremitäten und der Leistenregion.<br />

Mehr als 40 Millionen Menschen weltweit<br />

sind von <strong>die</strong>sen<br />

Entstellungen betroffen<br />

und werden so<br />

zu Außenseitern der<br />

Gesellschaft.<br />

„Um der Erkrankung<br />

vorbeugen und ihre<br />

bislang suboptimale<br />

Therapie verbessern<br />

zu können, müssen<br />

wir <strong>die</strong> zugrunde liegenden<br />

molekularen<br />

Mechanismen verstehen“,<br />

erläutert Alexander Debrah, der im Rahmen<br />

des NTD-Fellowships mit rund 90.000 Euro<br />

gefördert wird. Während seiner Forschungsarbeiten<br />

in Deutschland und Ghana hat der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

herausgefunden, dass eine Familie körpereigener<br />

Signalmoleküle (Vascular Endothelial<br />

Growth Factors = VEGFs) am Entstehen der Krankheit<br />

maßgeblich beteiligt ist. In einer Pilotstu<strong>die</strong><br />

konnte Debrah zeigen, dass <strong>die</strong> Anzahl von VEGF-<br />

Molekülen im Blut von Patienten mit hilfe des<br />

Antibiotikums Doxycyclin reduziert und <strong>die</strong><br />

Krankheitszeichen dadurch gemildert werden<br />

können. „Dieses Ergebnis lässt hoffen, dass wir <strong>die</strong><br />

schlimmsten Krankheitssta<strong>die</strong>n, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es bislang<br />

keine Behandlung gibt, einmal mit einer Anti-VEGF-<br />

Therapie bekämpfen können.“ Der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

vermutet, dass es noch wei tere körpereigene<br />

Signalstoffe gibt, <strong>die</strong> das Krankheits geschehen<br />

vorantreiben. Sein Ziel ist es, auch <strong>die</strong>se Moleküle<br />

aufzuspüren. Möglicherweise könnten darunter<br />

Moleküle sein, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> ein „Frühwarnsystem“<br />

nutzen lassen. „Ein Warnsystem, das <strong>die</strong> Infektion<br />

anzeigt, bevor <strong>die</strong> ersten Symptome auftreten.“<br />

Alexander Debrah ist darüber hinaus an einem<br />

weiteren, von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> ebenfalls<br />

in ihrer „Afrika-Initiative“ – und mit insgesamt<br />

rund 600.000 Euro – geförderten Projekt beteiligt,<br />

das gemeinsam vorangetrieben wird von seinem<br />

deutschen Doktorvater Achim Hörauf, Professor<br />

am Universitätsklinikum<br />

Bonn, und Partnern<br />

in Ghana,<br />

Kamerun und Tan -<br />

sania. Die Forscher<br />

wollen heraus fin -<br />

den, welche Rolle<br />

bestimmte Bakterien,<br />

sogenannte Wolbachien,<br />

bei der Lymphatischen<br />

Filariose<br />

spielen. Diese Bakte -<br />

rien siedeln als Symbionten<br />

im Körper<br />

der Fadenwürmer; ohne sie können <strong>die</strong> Würmer<br />

nicht überleben. Wie sich herausstellte, lassen sich<br />

mit dem Antibiotikum Doxycyclin <strong>die</strong> Bakterien<br />

und mit ihnen <strong>die</strong> Anzahl der im Blut zirkulierenden<br />

Vorläufer der Fadenwürmer reduzieren. Auch<br />

das ist ein neuer Ansatz, der möglicherweise in<br />

eine neue Therapie gegen <strong>die</strong> Lympha tische Filariose<br />

einmünden könnte. Zusammen mit einem<br />

Testsystem, das <strong>die</strong> Infektion frühzeitig nachweist,<br />

ließe sich der Wurmbefall bekämpfen, bevor es<br />

im weiteren Verlauf der Krankheit zu massiven<br />

Schädigungen kommt.<br />

In <strong>die</strong>sem ebenfalls internationalen Kooperationsprojekt<br />

konnte Alexander Debrah erste Erfahrungen<br />

sammeln, <strong>die</strong> ihm nun bei seinem eigenen<br />

Vorhaben im Rahmen der „Neglected Tropical<br />

Diseases“ wertvolle Hilfe sind. Wie besser als an<br />

<strong>die</strong>sem Erfolg eines jungen Forschers ließe sich<br />

deutlich machen, was eines der grundlegenden<br />

Ziele des Afrika-Engagements der Stiftung ist:<br />

ein nachhaltiges capacity building vor Ort, das<br />

sich gründet auf der Förderung exzellenter Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />

und -wissenschaftler<br />

im sub-saharischen Afrika.<br />

Claudia Eberhardt-Metzger<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 51


Alles im Fluss?!<br />

Forscher aus Hannover, Taschkent und Duschanbe<br />

wollen das Lebenselixier der zentralasia tischen<br />

Region retten: das Wasser des Serafschan-Stroms.<br />

Verschmutztes Wasser gehört in vielen Ländern Zentralasiens zu den dringlichsten<br />

Umweltproblemen. Besonders stark betroffen ist <strong>die</strong> Region am<br />

Fluss Serafschan. Zwar wächst dort das Bewusstsein <strong>für</strong> <strong>die</strong> brisante Lage,<br />

doch <strong>die</strong> Datenbasis <strong>für</strong> Lösungsansätze ist dünn. Helfen soll ein in der Mittelasien/Kaukasus-Initiative<br />

der Stiftung gefördertes Projekt: Gemeinsam<br />

gehen jetzt vor Ort heimische Experten mit deutschen Partnern <strong>die</strong> Probleme<br />

an – und langsam keimt Hoffnung, dass <strong>die</strong> Situation sich verbessert.<br />

Türkisblau leuchten <strong>die</strong> Kuppeln der orientalischen Bauten von Samarkand<br />

und Buchara in Usbekistan. Die prächtigen Städte an der Seidenstraße sind<br />

Oasen in einer Wüste, <strong>die</strong> vom Fluss Serafschan mit Wasser versorgt werden.<br />

An Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnert <strong>die</strong>ser Strom allerdings<br />

schon lange nicht mehr. Denn der Serafschan, Lebensgrundlage von mehr<br />

als sieben Millionen Menschen in Tadschikistan und Usbekistan, führt<br />

immer weniger Wasser – und zudem einen Cocktail giftiger Schadstoffe.<br />

„Der Serafschan-Fluss gehört heute zu den am stärksten verschmutzten<br />

Gewässern in Zentralasien“, sagt Dr. Melanie Bauer von der Leibniz Univer -<br />

sität Hannover.<br />

Die junge Ingenieurin leitet ein Projekt, das seit dem Jahr 2008 von der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> im Rahmen ihrer Initiative „Zwischen Europa und Orient<br />

– Mittelasien/Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong>“ mit 200.000 Euro gefördert<br />

wird. Ziel aller Beteiligten ist es, Lösungsansätze <strong>für</strong> ein nachhaltiges Wassermanagement<br />

im Serafschan-Tal zu entwickeln. Die Projektidee hat Bauers<br />

Arbeitsgruppe gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern aus den betroffenen<br />

Ländern entwickelt. Dazu gehören Professor Inom Normatov von der<br />

Tajik Academy of Sciences in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans,<br />

dessen Mitarbeiter sowie ein <strong>Wissenschaft</strong>lerteam um Dr. Malika Ikramova<br />

vom Central Asian Scientfic Research Institute of Irrigation in Taschkent.<br />

„Wir kennen uns schon seit vielen Jahren aus früheren Projekten, haben uns<br />

unter anderem gemeinsam mit den Problemen rund um das Thema Aralsee<br />

beschäftigt“, erzählt Bauer. „Mittlerweile sind wir ein gut eingespieltes Team.“<br />

Ein Team, zu dem neben Ingenieuren unterschiedlicher Fachrichtungen auch<br />

Chemiker und Sozioökonomen gehören. Außerdem sind sechs Nach wuchs -<br />

wissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus den drei beteiligten<br />

Ländern in das Vorhaben eingebunden.<br />

Die Projektleiterin Dr.-Ing. Melanie Bauer<br />

von der Leibniz Universität Hannover zeigt<br />

ein pH-Meter – nur eines der vielen Messgeräte,<br />

mit denen <strong>die</strong> beiden Teams vor Ort <strong>die</strong><br />

chemische Belastung des Serafschan-Stroms<br />

quantifizieren. Das pH-Meter misst den Säurewert<br />

des Wassers: Sollte <strong>die</strong>ser weiter steigen,<br />

lösen sich mehr und mehr am Grund<br />

des Flusses abgelagerte Giftstoffe. Die Folgen<br />

wären katastrophal.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 53


54<br />

Der Serafschan-Fluss<br />

Der Zarafschan oder Serafschan („Goldspender“)<br />

ist der drittgrößte Fluss in Usbekistan. Er entspringt<br />

in Tadschikistan auf 2750 Meter Höhe über dem<br />

Meeresspiegel und ist rund 800 Kilometer lang,<br />

sein Einzugsgebiet etwa 4000 Quadratkilometer<br />

groß. Die ersten 300 Kilometer legt der Serafschan<br />

in Tadschikistan zurück; er fließt zwischen dem<br />

steil zu ihm abfallenden Turkistanischen Gebirge<br />

im Norden und der Serafschankette im Süden in<br />

Richtung Westen zunächst in einem engen Tal.<br />

Später tritt er in das nach ihm benannte Serafschan-Tal<br />

ein, das in der Region Samarkand in<br />

Usbekistan liegt. Rund 20 Kilometer hinter der<br />

Stadt Buchara versickert der Fluss in der Wüste.<br />

Insgesamt hat der Serafschan 70 Nebenflüsse.<br />

Einige von ihnen erreichen ihn mangels Wasser<br />

zeitweise nicht. Am Serafschan gibt es eine Reihe<br />

von Dämmen und Stauseen und viele große und<br />

Alle Projektpartner sind sich einig: Das Wasser muss dringend sauberer<br />

werden, denn <strong>die</strong> schlechte Wasserqualität hat schlimme Folgen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Menschen im Serafschan-Tal. „Zum Beispiel werden <strong>die</strong> Baumwoll- und<br />

Reisplantagen mit Flusswasser bewässert. Dadurch lagern sich immer mehr<br />

Schwermetalle im Boden ab, senken dessen Fruchtbarkeit und <strong>die</strong> Qualität<br />

des Erntegutes“, berichtet <strong>die</strong> usbekische Wasserexpertin Malika Ikramova.<br />

Das habe nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen, sondern wirke sich auch<br />

auf <strong>die</strong> Gesundheit der ansässigen Bevölkerung aus. „Auf dem Land ist <strong>die</strong><br />

Lage besonders brisant, denn <strong>die</strong> Menschen in ländlichen Gebieten trinken<br />

das ungesunde Wasser mitunter direkt aus dem Fluss.“ Welch fatale Folgen<br />

das haben kann, ist aus Untersuchungen am ebenfalls hoch belasteten Aralsee<br />

bekannt: Typhus- und Cholera-Erkrankungen nehmen merklich zu, und<br />

<strong>die</strong> Kindersterblichkeit steigt.<br />

Das Wasserproblem verschärft sich noch zusätzlich, da das Flusswasser immer<br />

weniger wird. Ein Trend, den Bauers Kollege Oliver Olsson mittlerweile anhand<br />

von Zahlen untermauern kann – und zugleich ein erstes handfestes Ergebnis<br />

des Projektes. „Der Fluss führt heute fast ein Zehntel weniger Wasser als noch<br />

zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts“, berichtet er. „Wir konnten außerdem<br />

feststellen, dass <strong>die</strong> Zahl der Überschwemmungen tendenziell ab- und<br />

mittelgroße Kanäle, <strong>die</strong> der Bewässerung und<br />

Wasserversorgung der Region <strong>die</strong>nen; einige<br />

umliegende Seen erhalten Drainagewasser aus<br />

den Kanälen. Allein in den Regionen Samarkand<br />

und Navoiy wird das Wasser zur Bewässerung<br />

von 530.000 Hektar Land gebraucht, auf dem<br />

hauptsächlich Agrarprodukte angebaut werden,<br />

<strong>die</strong> dem Bedarf der schnell wachsenden Land -<br />

bevölkerung <strong>die</strong>nen.<br />

Auf Tadschikistan entfallen derzeit rund sechs<br />

bis acht Prozent des Wasserabflusses, das restliche<br />

Wasser wird in Usbekistan verbraucht. Die Wasserqualität<br />

hat sich nach Einschätzung von <strong>Wissenschaft</strong>lern<br />

durch den Einfluss des von der Bewässerung<br />

zurückfließenden Wassers und des Abwassers<br />

von Städten wie Samarkand, Kattakurgan und<br />

Navoiy über <strong>die</strong> Jahre kontinuierlich verschlechtert.<br />

Quelle: Wikipedia


<strong>die</strong> Zahl der Dürreperioden, vor allem seit den 1970ern, stark zunimmt.“ Seither<br />

muss im Schnitt jedes zweite Jahr mit extremem Niedrigwasser gerechnet<br />

werden. Das macht den Schadstoffcocktail immer konzentrierter und<br />

schmälert <strong>die</strong> ohnehin knappen nutzbaren Wassermengen. Worin <strong>die</strong> Ursachen<br />

liegen <strong>für</strong> <strong>die</strong> schwindenden Wasserströme? Olsson hat mehrere Antworten<br />

parat: „Vom Klimawandel über erhöhte landwirtschaftliche oder industrielle<br />

Wasserentnahmen bis hin zu wachsenden Bevölkerungszahlen ist alles<br />

denkbar!“<br />

Ablagerungen im Fluss sind tickende Zeitbomben<br />

Das Wasserproblem in Usbekistan und Tadschikistan ist auch deshalb so<br />

schwierig in den Griff zu bekommen, da in den Ländern der ehemaligen<br />

Sowjetunion noch sehr vieles, auch im übertragenen Sinne, im Fluss ist.<br />

„Seit 18 Jahren sind <strong>die</strong> Länder unabhängig, doch <strong>die</strong> Übergangsprozesse<br />

– wir nennen sie Transition – sind voll im Gang“, betont Melanie Bauer. So<br />

werden etwa Pesti zide und Düngemittel mangels Fördergeldern <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Landwirtschaft zunehmend sparsamer eingesetzt. Einige Unternehmen<br />

mussten ihre Produktion zurückfahren, andere sind mittlerweile in auslän -<br />

dischem Besitz. „Keiner weiß so recht, was von dort in den Fluss gelangt<br />

und welche Umweltstandards hier möglicherweise maßgeblich sind“,<br />

beschreibt Bauer das Dilemma.<br />

Um Licht in das Dickicht und Dunkel der Einflussfaktoren zu bringen, wollen<br />

<strong>die</strong> Wasserexperten zunächst einmal herausfinden, welche Schadstoffe woher<br />

kommen und wie sie sich im Fluss verteilen – eines der zentralen Anliegen<br />

des Vorhabens. Zugleich möchten <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler und <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />

mit hilfe histo rischer Daten <strong>die</strong> Entwicklung der Wasserbelastung rund<br />

zwanzig Jahre zurückverfolgen. „Wir haben dazu eine klare Aufgabenteilung“,<br />

sagt Bauer. So koordinieren <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler aus Hannover <strong>die</strong> Arbeit der<br />

drei Forschergruppen und bewerten <strong>die</strong> Informationen zu Wasser- und Stoffströmen,<br />

um am Ende fun<strong>die</strong>rte Erkenntnisse zu Ursachen und Folgen der<br />

Wasserverschmutzung bereitstellen zu können. Die da<strong>für</strong> erforderlichen Daten<br />

liefern <strong>die</strong> beiden Teams von Inom Normatov und Malika Ikramova. Sie haben<br />

mehrere Messpunkte an Zu- und Abläufen verschiedener Städte, Industrie -<br />

gebiete und an einer Goldmine ausgewählt, nehmen dort Wasser- sowie<br />

Bodenproben und analysieren <strong>die</strong>se mit zum Teil eigens aus Projektmitteln<br />

<strong>für</strong> das Vorhaben angeschafften modernen Messgeräten.<br />

„In der Ära der Sowjetunion wurden Landwirtschaft und Industrie im Serafschan-Tal<br />

massiv ausgebaut“, schildert <strong>die</strong> usbekische Wasserforscherin Ikramova<br />

den Beginn der tragischen Entwicklung. Der Wasserverbrauch stieg<br />

drastisch, und belastete Abwässer wurden – und werden noch – meistens<br />

unbehandelt in den Fluss geleitet. Viele <strong>die</strong>ser toxischen Altlasten, darunter<br />

Quecksilber- und Chromverbindungen, arsenhaltige Substanzen und gesund-<br />

Klassische Feldforschung an der Seiden -<br />

straße: Im Gebiet der uralten Handelsstadt<br />

Samarkand entnimmt das usbekische Messteam<br />

vom Central Asian Scientific Research<br />

Institute of Irrigation in Taschkent (SANIIRI)<br />

Wasserproben aus dem Fluss Serafschan (Bild<br />

oben), analysiert <strong>die</strong>se im Labor und wertet<br />

sie anschließend am Computer aus (Bild<br />

unten). Das geschichtsträchtige Samarkand<br />

war ab 1925 Hauptstadt der damaligen Sowjetrepublik<br />

Usbekistan, verlor <strong>die</strong>sen Status<br />

aber nur fünf Jahre später an Taschkent.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 55


56<br />

Messen ist das A und O: Karimjon Emomov<br />

(vorn) von der Tajik Academy of Sciences in<br />

der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe<br />

entnimmt Proben aus der Zentrifuge. Sein<br />

Kollege Obid Bokiev hat derweil eine Wasserprobe<br />

angefärbt, um mithilfe des Fotometers<br />

(weißer Kasten zwischen den Forschern) <strong>die</strong><br />

Konzentration der im Wasser gelösten Substanzen<br />

zu bestimmen.<br />

heitsschädliches Phenol, sind ausgesprochen langlebig und haben sich über<br />

Jahrzehnte im Fluss angereichert. Heute schlummern sie in großen Mengen<br />

auch auf dem Grund des Stroms, wenngleich zurzeit noch in einer <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Menschen unschädlichen Form. „Die giftigen Stoffe können aber wieder aktiviert<br />

werden, wenn der Säurewert des Serafschan-Flusses durch unbehandelte<br />

Industrieabwässer weiter steigt“, mahnt <strong>die</strong> Wasserexpertin. Einige <strong>die</strong>ser<br />

tickenden Zeitbomben konnte sie mithilfe der Messungen im Rahmen des<br />

Projekts bereits lokalisieren.<br />

Bei ihren Messungen haben <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler mitunter mit extremen<br />

Wetterbedingungen zu kämpfen: von klirrender Kälte mit Schnee und Eis<br />

im Hochgebirge Tadschikistans bis zu flimmernder, flirrender Hitze bei 60<br />

bis 70 Grad Celsius im heißen usbekischen Sommer. Und sie müssen bei der<br />

Planung <strong>die</strong> über das Jahr stark schwankenden Wasserstände des Flusses<br />

berücksichtigen. So ist der Serafschan im November mancherorts nur ein<br />

trübes Rinnsal, während er in der Regenzeit schnell zu einem reißenden<br />

Strom werden kann.<br />

Das Ziel: ein nachhaltiges Wassermanagement<br />

Der Rahmen des Projekts ist weit gesteckt. So durchforsten <strong>die</strong> tadschikischen<br />

und usbekischen Forscher außerdem Archive in Moskau, Taschkent und<br />

Duschanbe nach historischen Wasserdaten – eine Jagd mit ungewissem Ausgang,<br />

denn <strong>die</strong> bürokratischen Hürden sind hier weitaus höher als etwa in<br />

Deutschland. Und nicht zuletzt halten Normatov und Ikramova einen heißen<br />

Draht zu den verantwortlichen Ministerien. Gerade das ist zwingend. „Schließlich<br />

sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, ökologische Schreckensszenarien<br />

zu produzieren, sondern <strong>die</strong> neuen Erkenntnisse vor allem <strong>für</strong> politische Entscheidungen<br />

im Sinne eines nachhaltigen Wassermanagements nutzbar zu<br />

machen“, betont Normatov.<br />

Bei <strong>die</strong>sem Prozess helfen auch <strong>die</strong> fest eingeplanten Workshops, zu denen <strong>die</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler politische Entscheidungsträger sowie Vertreter von regionalen<br />

Wasserverbänden und Entwicklungshilfeorganisationen einladen. „Erst<br />

im persönlichen Gespräch kann ein Verständnis <strong>für</strong> <strong>die</strong> Probleme vor Ort entstehen<br />

und umgekehrt eine Sensi bilisierung <strong>für</strong> das Thema erreicht werden“,<br />

meint Projektleiterin Melanie Bauer. Der erste Workshop fand in Taschkent<br />

statt, als der Startschuss <strong>für</strong> das Projekt fiel. Mindestens zwei weitere sollen<br />

folgen.<br />

Ob im großen oder kleinen Kreis, <strong>die</strong> Kommunikation zwischen <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen,<br />

<strong>Wissenschaft</strong>lern und Entscheidungsträgern bringt bereits<br />

erste Früchte. „Das Interesse unseres Ministeriums <strong>für</strong> Landwirtschaft und<br />

Wasserwirtschaft an dem Projekt ist inzwischen sehr groß“, weiß etwa <strong>die</strong><br />

usbekische Wasserforscherin Ikramova zu berichten. Doch trotz erster Erfolge


leibt einiges zu tun. Viele Dinge sind unverstanden, und der Weg zu kon -<br />

kreten Handlungshinweisen ist noch weit – von der praktischen Umsetzung<br />

ganz zu schweigen. Unterstützung könnte eine Fortsetzung des Projekts bringen.<br />

So wollen Olsson und Bauer ihren Projektpartnern ein Computermodell<br />

verfügbar machen, das <strong>die</strong> gewonnenen Daten und Erkenntnisse in anschauliche<br />

Szenarien übersetzt. Solche Simulationen machen Entwicklungen sichtbar,<br />

bevor ein realer wirtschaftlicher oder ökologischer Gau eintritt. Und sie<br />

zeigen, welche Lösungsansätze Erfolg versprechen. Damit hätten <strong>die</strong> Experten<br />

vor Ort weitere schlagkräftige Argumente <strong>für</strong> konkrete Maßnahmen an<br />

der Hand, damit der Traum vom sauberen Wasser im Serafschan-Tal so bald<br />

wie möglich Wirklichkeit wird.<br />

Andrea Hoferichter<br />

<strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin Andrea Hoferichter (rechts) im Gespräch<br />

mit Dr.-Ing. Melanie Bauer (Mitte) und Diplomingenieur Oliver<br />

Olsson von der Universität Hannover. Bild unten: Blick auf eine<br />

Landkarte von Zentralasien. Zwischen den Händen der beiden<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler erstreckt sich <strong>die</strong> nördlichste Provinz Tadschikistans.<br />

Hier beginnt der Serafschan-Fluss seine 800 Kilometer lange<br />

Reise nach Westen bis ins usbekische Buchara, wo er schließlich<br />

hinter der Stadt in der Wüste versickert.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 57


Die Kulturen des Krieges<br />

Auf den düsteren Spuren von Tod und Terror:<br />

Dilthey-Fellow Dietmar Süß beschäftigt sich an der<br />

Universität Jena mit dem Krieg im 20. Jahrhundert.<br />

Welche Vorstellungen von „Kriegsmoral“ haben Diktaturen und Demokratien?<br />

Und wie geht <strong>die</strong> Zivilbevölkerung, wie gehen <strong>die</strong> Kirchen mit dem Thema<br />

Krieg um? Es ist ein ebenso weites wie spannendes Feld, das Dr. Dietmar<br />

Süß an der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht – und somit ein<br />

typisches Forschungsthema <strong>für</strong> ein „Dilthey-Fellowship“. Erstmals im Jahr<br />

2005 ausgeschrieben, setzt <strong>die</strong>ses Förderinstrument inzwischen vielfache<br />

Ausrufezeichen in der geisteswissenschaftlichen Forschungslandschaft.<br />

Seit September 2008 arbeitet Dietmar Süß am Historischen Institut der Universität<br />

Jena an seinem großen Thema „Tod aus der Luft: Gewalt, Zivilgesellschaft<br />

und <strong>die</strong> Kulturen des Krieges im 20. Jahrhundert“. Der 36-Jährige stu<strong>die</strong>rte<br />

Neuere und Neueste Geschichte, Mittelalterliche Geschichte, Soziologie<br />

und Rechtswissenschaften in Hagen (FernUniversität), Berlin (HU), Santander<br />

(Universidad de Cantabria) und München (LMU). An letzterer promovierte<br />

er 2001 über „Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayrischen<br />

Montanindustrie 1945-1976“. Nach einem Volontariat bei der Katholischen<br />

Nachrichtenagentur war er ab 2003 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />

Institut <strong>für</strong> Zeitgeschichte in München tätig. Von 2006 bis 2007 hielt sich<br />

Dietmar Süß als Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander von Humboldt-<br />

Stiftung an der Universität von Exeter in Großbritannien auf. <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin<br />

Mareike Knoke sprach mit ihm über <strong>die</strong> unterschiedlichen Formen<br />

von Kriegen, interdiszi plinäres Arbeiten und über den einsamen, aber<br />

schönen Zeitvertreib des Schreibens.<br />

Herr Süß, Ihre Doktorarbeit haben Sie zum Wandel sozialdemokratischer Milieus<br />

nach 1945 verfasst. Wie kommt man von dort zu dem großen, internationalen<br />

und auf den ersten Blick so anderen Thema „Gewalt, Zivilgesellschaft und <strong>die</strong><br />

Kulturen des Krieges“?<br />

Interesse an dem Thema „Kriegs- und Gewaltgeschichte“ hatte ich schon früher.<br />

Das hat zum einen teilweise auch private Gründe: Man entdeckt plötzlich<br />

alte Briefe und Dokumente aus der Familiengeschichte und möchte sich<br />

intensiv damit beschäftigen. Zum anderen habe ich während meiner Recherchen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Doktorarbeit mit vielen Arbeitern gesprochen, <strong>die</strong> der Soldaten-<br />

Generation angehören und natürlich durch ihre Erlebnisse und Gewalter -<br />

Dr. Dietmar Süß und das Gedenken an <strong>die</strong><br />

„Stunde Null“ in Jena: Im Februar und März<br />

des Jahres 1945 wurde <strong>die</strong> Innenstadt durch<br />

alliierte Bombenangriffe fast völlig zerstört –<br />

ein Schicksal, das viele deutsche Großstädte<br />

teilten. Im Rahmen seines „Dilthey-Fellowships“<br />

erforscht Süß an der Friedrich-Schiller-<br />

Universität Jena <strong>die</strong> gesellschaftlichen Auswirkungen<br />

des Luftkrieges auf <strong>die</strong> Zivilbe völkerung<br />

– von den beiden Weltkriegen bis zum<br />

vermeintlich „sauberen“ Krieg der Gegenwart.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 59


60<br />

Dr. Dietmar Süß an seinem Arbeitsplatz im<br />

Historischen Institut der Universität Jena.<br />

Gerade sichtet er einen archivierten Artikel<br />

der Liverpool Daily Post (Bild unten), in dem<br />

zusätzliche Hilfe <strong>für</strong> <strong>die</strong> Opfer des Bombenkrieges<br />

angekündigt wird. Zeitungsartikel<br />

vermitteln dem <strong>Wissenschaft</strong>ler einen guten<br />

Eindruck der Stimmung, <strong>die</strong> während des<br />

Zweiten Weltkriegs in der britischen und<br />

deutschen Bevölkerung herrschte.<br />

fahrungen im Zweiten Weltkrieg geprägt sind. So entstand der Wunsch, das<br />

einschneidende Erlebnis Krieg aus mehreren Blickwinkeln zu erforschen.<br />

Welche Aspekte interessieren Sie dabei besonders und nehmen eine zentrale Rolle<br />

in Ihrer Arbeit ein?<br />

Mich interessiert, wie sich Krieg – insbesondere „Air Power“, also Luftkrieg –<br />

auf <strong>die</strong> Zivilbevölkerung auswirkt: Was geschieht in dem jeweiligen Land, in<br />

der dortigen Kriegsgesellschaft? Welche Vorstellungen von „Kriegsmoral“<br />

haben Diktaturen und Demokratien? Und wie gehen <strong>die</strong> Kirchen mit dem<br />

Krieg um; welche Trauerkulturen gibt es? Dabei beziehe ich meine Fragen<br />

nicht nur auf Deutschland und den Nationalsozialismus, sondern arbeite<br />

vergleichend, indem ich meinen Blick etwa auch auf Großbritannien richte.<br />

Ebenfalls in international vergleichender Perspektive interessiert mich, wie<br />

<strong>die</strong> verschiedenen Länder und Kulturen Krieg und Terror aus der Luft legitimieren<br />

– und wie sich <strong>die</strong>se Legitimationsmuster vom Ersten Weltkrieg über<br />

den Zweiten Weltkrieg bis hin zum Vietnam- und dem Irak-Krieg veränderten.<br />

Man versteht zum Beispiel <strong>die</strong> Kriegführung im Irak-Krieg besser vor<br />

dem Hintergrund einer Betrachtung des Zweiten Weltkriegs.<br />

Inwiefern?<br />

Denken Sie daran, was von der Art der Kriegführung im Zweiten Weltkrieg<br />

vor allem im kollektiven Gedächtnis hängen blieb: <strong>die</strong> Luftangriffe auf deutsche<br />

und britische Städte, <strong>die</strong> Zerstörung Hiroshimas und Nagasakis durch <strong>die</strong><br />

US-Atombomben – Militärexperten haben all das jahrelang erforscht. Was<br />

man im Irak-Krieg unbedingt vermeiden wollte, war <strong>die</strong> Verbreitung ähnlich<br />

schrecklicher Bilder, wie sie nach den Luftangriffen auf Hamburg oder Dresden<br />

oder auf japanische Städte um den Globus gingen. Im Irak sollte <strong>die</strong> Illusion<br />

eines „sauberen“ Krieges, eines „klinisch reinen“ Luftkrieges über <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n<br />

in alle Welt gesendet werden.<br />

Das wäre <strong>die</strong> Durchführung eines Krieges auf der Grundlage von Erfahrungen aus<br />

einem anderen …<br />

Ja, das heißt es. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fragten<br />

US-Sozialwissenschaftler im Auftrag des United Strategic Bombing Survey in<br />

Deutschland und in Japan <strong>die</strong> Zivilbevölkerung nach deren Befindlichkeit:<br />

Welche Wirkung hatte der Luftkrieg auf sie, wie haben sie ihn erlebt? Die<br />

Forscher lieferten mit ihren Umfrageergebnissen sozusagen <strong>die</strong> Blaupausen<br />

<strong>für</strong> spätere Luftkriege. Einer von ihnen war übrigens der spätere US-Verteidigungsminister<br />

Robert McNamara. Diese „Experten des Krieges“ nehmen eine<br />

zentrale Rolle in meiner Forschungsarbeit ein.


Damit sind wir noch einmal bei Ihrer aktuellen Arbeit: Was genau tun Sie in Jena?<br />

Der erste Teil meines Forschungsvorhabens widmet sich dem Vergleich der<br />

deutschen und der britischen Gesellschaft während des Krieges – unter den<br />

bereits erwähnten Aspekten. Dies steht im Zentrum meiner Habilitationsschrift.<br />

In dem zweiten Teil konzentriere ich mich auf <strong>die</strong> globale Gewalt -<br />

geschichte der Kriegführung beziehungsweise des Luftkriegs. In solch einer<br />

breiten, international vergleichenden Perspektive wurde das bislang noch<br />

nicht erforscht.<br />

Welche Rolle spielt dabei Interdisziplinarität?<br />

Eine wichtige. Man muss das Forschungsthema aus dem engen Korsett<br />

der reinen Militärgeschichte befreien, es auch mit den Augen der Kulturund<br />

<strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte betrachten. Erste Schritte sind schon getan:<br />

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg – Literatur- und<br />

Sozialwissenschaftlern – haben wir einen Band über europäische Erinnerungen<br />

an den Luftkrieg herausgebracht. Ebenso wichtig wie der Sprung über<br />

disziplinäre Grenzen ist natürlich auch der Blick über den nationalen Tellerrand:<br />

Deshalb ist mein Thema so weit und so umfangreich angelegt. Außerdem<br />

möchte ich gern einen internationalen Forscherverbund zum Thema<br />

aufbauen. Sehr gute Voraussetzungen da<strong>für</strong> bietet natürlich meine enge<br />

Zusammenarbeit mit den Kollegen an der britischen University of Exeter.<br />

Gemeinsame Tagungen und Bücher sind geplant.<br />

Die Dilthey-Fellowships<br />

Wenn exzellente Nachwuchsforscherinnen und<br />

-forscher aus den Geisteswissenschaften hierzulande<br />

fünf Jahre lang eigenständig wissenschaftlich<br />

arbeiten können, dann haben sie möglicherweise<br />

ein „Dilthey-Fellowship“ inne. Erstmals im<br />

Jahr 2005 ausgeschrieben, hat sich <strong>die</strong>ses Förderinstrument<br />

hervorragend bewährt, denn <strong>die</strong> promovierten<br />

<strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

können ihre Arbeiten selbstbestimmt an<br />

einer Hochschule oder einem außeruniversitären<br />

Institut fortsetzen und werden so in Deutschland<br />

gehalten. Die jungen Forscher sollen dabei vor<br />

allem Themen bearbeiten, <strong>die</strong> den Geisteswissenschaften<br />

neue Gebiete erschließen und <strong>die</strong> auf-<br />

grund ihrer Komplexität oder ihres höheren Risikos<br />

von vornherein längere Planungs- und Zeithorizonte<br />

benötigen. Über herkömmliche Grenzen<br />

hinaus denkende Forscherpersönlichkeiten erhalten<br />

auf <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong> Chance, sich zu führenden<br />

Vertretern ihres Wissensgebietes zu entwickeln.<br />

Die Dilthey-Fellowships – sie sind einer der beiden<br />

Bausteine der Förderinitiative „Pro Geisteswissenschaften“<br />

– helfen somit, eine Forscherkarriere im<br />

besten Sinne ungezwungen und unabhängig<br />

voranzutreiben. Im Zuge der ersten vier Bewilligungsrunden<br />

der Jahre 2006 bis 2009 konnten<br />

bislang insgesamt 32 Dilthey-Fellows mit ihren<br />

Forschungen beginnen. cj<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 61


62<br />

Im Gespräch verrät Dietmar Süß <strong>Impulse</strong>-<br />

Autorin Mareike Knoke (oberes Bild), dass <strong>die</strong><br />

angeblich so einsame Arbeit im Archiv gar<br />

nicht so einsam ist: „Man entdeckt sehr viel<br />

Neues und Überraschendes und tauscht sich<br />

mit anderen darüber aus.“<br />

Mit den Dilthey-Fellowships unterstützt <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> Forschungs -<br />

vorhaben, <strong>die</strong> nicht ohne Risiko sind und deshalb bei anderen Förderern schnell<br />

durchs Raster fallen könnten. Was macht denn Ihr Projekt zur „Risikoforschung“?<br />

Oh (lacht) – nach den Förder-Maßstäben der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

fallen mir eine ganze Reihe von Risikofaktoren ein: <strong>die</strong> große Spannbreite<br />

des Themas; <strong>die</strong> viele Zeit, <strong>die</strong> notwendig ist, um in Archiven auf der<br />

ganzen Welt zu recherchieren; <strong>die</strong> Interdisziplinarität und <strong>die</strong> Multiperspek -<br />

tivität auf mein Thema …. Mit einer normalen zwei- bis dreijährigen Laufzeit<br />

wäre das nicht machbar. Als Dilthey-Fellow aber habe ich <strong>die</strong> nötige Ruhe<br />

und vor allem mindestens fünf Jahre Zeit, um mich durch viele, viele Aktenmeter<br />

zu fressen und anschließend meine Erkenntnisse niederzuschreiben.<br />

Und welche Rolle spielt der Standort Jena <strong>für</strong> Ihr Vorhaben?<br />

Mit dem „Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts“ und dem Lehrstuhl<br />

<strong>für</strong> Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Institut habe ich eine<br />

ideale Heimat und ein wunderbar anregendes Umfeld <strong>für</strong> mein Projekt<br />

gefunden. Bereits im Oktober 2008 haben wir hier eine Tagung zu „Erinnerungskultur<br />

in Deutschland und Europa“ veranstaltet, <strong>für</strong> Mai <strong>2010</strong> ist <strong>die</strong><br />

nächste Tagung zu „Kriegslegitimationen nach 1945“ geplant. Es ist eine klassische<br />

Win-win-Situation: Ich finde hier eine spannende Umgebung vor und<br />

bringe im Gegenzug meine Erfahrung ein, um am Institut thematisch neue<br />

Akzente zu setzen.<br />

Hat denn auch der wissenschaftliche Nachwuchs etwas davon?<br />

Die Lehre ist fester Bestandteil meiner Dilthey-Förderung und macht mir großen<br />

Spaß. Ich biete unter anderem Seminare zum Krieg im 20. Jahrhundert<br />

oder zur Soziologie des Krieges an. Spannend <strong>für</strong> beide Seiten ist, dass ich mit<br />

den Stu<strong>die</strong>renden Aspekte meiner laufenden Arbeit diskutieren kann. Das<br />

bringt mir sehr viel – es hilft, eigene Positionen zu überdenken. Aber auch <strong>die</strong><br />

Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> mit Quellen aus meiner unmittelbaren Forschung arbeiten<br />

können, haben etwas davon.<br />

Inwieweit binden Sie auch Doktorandinnen und Doktoranden ein?<br />

Promovenden darf ich zwar im Augenblick – als nicht Habilitierter – noch nicht<br />

betreuen. Aber auf informellem Weg kann ich sie trotzdem fördern und einbeziehen.<br />

Zum Beispiel, indem wir Magistranden und Doktoranden bei unseren<br />

Tagungen <strong>die</strong> Möglichkeit bieten, ihre Arbeiten zu präsentieren. Das hilft<br />

ihnen, <strong>die</strong> Scheu vor der anwesenden „Fachwelt“ zu verlieren, und stimmt sie<br />

schon mal auf eine eventuelle spätere Tätigkeit als <strong>Wissenschaft</strong>ler ein.


Was macht denn Ihnen am meisten Spaß an der Arbeit als <strong>Wissenschaft</strong>ler?<br />

Da gibt es vieles! Zum Beispiel <strong>die</strong> angeblich einsame Arbeit in den Archiven.<br />

Die ist gar nicht so einsam – man entdeckt sehr viel Neues und Überraschendes<br />

und tauscht sich mit anderen darüber aus. Schreiben ist <strong>die</strong> viel einsamere<br />

und härtere Arbeit. Die mir allerdings wiederum auch großen Spaß macht.<br />

Mein Traum wäre es, ein Buch zu schreiben, das sich mit der Frage „Warum<br />

töten Demokratien Zivilisten?“ beschäftigt und nicht nur von der Fachwelt,<br />

sondern auch von „normalen“ Menschen mit Interesse und Gewinn gelesen<br />

wird.<br />

Herr Süß, vielen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />

Geballte Kraft <strong>für</strong> <strong>die</strong> Geisteswissenschaften – auch im Jahr 2009<br />

Wie haben sich im imperialen Russland des 19.<br />

Jahrhunderts technische Neuerungen wie Eisenbahn<br />

und Telegrafie auf <strong>die</strong> Gesellschaft ausgewirkt?<br />

Welchen Einfluss hat es auf <strong>die</strong> öffentliche<br />

Darstellung der Demokratie, dass sich Politiker<br />

immer stärker in den Me<strong>die</strong>n inszenieren? Welche<br />

Rolle spielen Vaterbilder <strong>für</strong> <strong>die</strong> US-amerikanische<br />

politische Kultur? Und was verbirgt sich hinter<br />

neugermanischem Heidentum? – Vier spannende<br />

Themen, <strong>die</strong> ganz unterschiedliche Facetten innovativer<br />

geisteswissenschaftlicher Forschung widerspiegeln.<br />

Zugleich vier von zwölf Themen, <strong>die</strong> <strong>für</strong><br />

wissenschaftliche Vorhaben stehen, <strong>die</strong> seit dem<br />

Jahr 2009 neu von der Fritz Thyssen Stiftung und<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in ihrer gemeinsamen<br />

Initiative „Pro Geisteswissenschaften“ gefördert<br />

werden.<br />

Die Geisteswissenschaften mit Angeboten zu<br />

unterstützen, <strong>die</strong> ausdrücklich auf deren Bedürfnisse<br />

und Forschungspraxis zugeschnitten sind,<br />

ist Ziel der Initiative „Pro Geisteswissenschaften“.<br />

Sie umfasst zwei Komponenten: <strong>die</strong> Dilthey-Fellowships<br />

<strong>für</strong> den hoch qualifizierten wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs sowie <strong>die</strong> Förderung „Opus magnum“<br />

als Freistellungsangebot <strong>für</strong> Professorinnen und<br />

Professoren, <strong>die</strong> ein größeres wissenschaftliches<br />

Werk verfassen wollen. Für <strong>die</strong> im Jahr 2009 neu<br />

auf den Weg gebrachten sechs Dilthey-Fellowships<br />

und sechs „Opus magnum“-Förderungen<br />

wurden seitens der beiden Stiftungen insgesamt<br />

3,1 Millionen Euro vergeben.<br />

Die sechs neu geförderten Dilthey-Fellows befassen<br />

sich dabei mit Fragestellungen aus den Politik- und<br />

Geschichtswissenschaften, aus Philosophie und<br />

Technikgeschichte sowie aus den Literatur- und<br />

Kulturwissenschaften; je zwei von ihnen sind<br />

angesiedelt an <strong>Wissenschaft</strong>seinrichtungen in<br />

Berlin und München und je ein Dilthey-Fellow<br />

verfolgt sein Projekt an der Universität Bochum<br />

beziehungsweise Tübingen.<br />

Die ausgewählten „Opera-magna“-Vorhaben<br />

umfassen Themen aus den Geschichts- und<br />

So zialwissenschaften, aus <strong>Wissenschaft</strong>s- und<br />

Kirchengeschichte sowie der Ethnologie. Verankert<br />

sind zwei der unterstützten Forscherinnen<br />

und Forscher an der Humboldt-Universität zu<br />

Berlin, <strong>die</strong> vier anderen an den Universitäten in<br />

Erfurt und Erlangen-Nürnberg – sowie ebenfalls<br />

in Tübingen und Bochum. cj<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 63


Die Rückkehr der Folter<br />

Ist <strong>die</strong> Würde des Menschen noch unantastbar?<br />

Forscher in Konstanz und Münster, Düsseldorf und<br />

Gießen auf den Spuren von Wahrheit und Gewalt<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in den deutschen Landen <strong>die</strong> Folter abgeschafft.<br />

Unter den Nazis kehrte sie zurück. Der erste Artikel des Grundgesetzes<br />

der Bundesrepublik bezeichnet <strong>die</strong> Menschenwürde als unantastbar.<br />

Mehr als fünf Jahrzehnte lang galt Folter als Tabu. Doch seit einigen Jahren<br />

wird <strong>die</strong> Würde des Menschen neu verhandelt. Die sogenannte Rettungsfolter<br />

gilt manchem als denkbar. Droht der Rückfall ins Mittelalter? Stehen<br />

wir vor einer neuen Form von Gewalt, <strong>die</strong> als zweckmäßig betrachtet wird?<br />

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Auf <strong>die</strong>sen feierlichen Satz<br />

beruft sich der freie Westen gern, wenn er sich gegen <strong>die</strong> Diktaturen und<br />

Tyrannen <strong>die</strong>ser Welt stellt. Der Satz aus dem ersten Artikel des deutschen<br />

Grundgesetzes bestimmt das moralische und rechtliche Fundament unseres<br />

Verständnisses von Gemeinschaft und Staat. „Die Menschenwürde ist kein<br />

Gut, das man gegen andere aufrechnen kann“, sagt Professor Dr. Thomas<br />

Gutmann, Rechtsphilosoph an der Universität Münster. „Sie markiert eine<br />

normative Grenze, <strong>die</strong> man nicht überschreiten darf.“<br />

Formal gilt <strong>die</strong>ser Satz uneingeschränkt. Doch seit Jahren schwelt unter den<br />

Gelehrten eine Debatte, ob sich Würde gegen Würde aufrechnen lässt. Der<br />

Hintergrund ist handfest: Aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde folgte<br />

bisher, dass man Menschen nicht foltern darf – etwa, um ein Geständnis zu<br />

erzwingen; oder, um nützliche Informationen zu erhalten. „Nun gibt es vermehrt<br />

Stimmen, <strong>die</strong> Folter <strong>für</strong> einen ‚guten Zweck’ erlauben wollen“, beklagt<br />

Thomas Gutmann. „Das ist mit der sechzigjährigen Entwicklung des Rechtsbegriffs<br />

der Menschenwürde im Grundgesetz nicht vereinbar.“ Ein Satz, der<br />

steht wie eine Mauer.<br />

Gutmann und Forscherkollegen sind sich einig: Die Rückkehr der Folter ist<br />

ein heiß diskutiertes Thema, das dringend der wissenschaftlichen Analyse<br />

bedarf. Deshalb hat <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> zwei Vorhaben bewilligt, <strong>die</strong> sich<br />

<strong>die</strong>sem Feld nähern. Der Münsteraner Thomas Gutmann forscht gemeinsam<br />

mit Kollegen in Konstanz im Projekt „Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der<br />

Folter“, das mit 461.000 Euro gefördert wird. Ein zweites Forschungsprojekt<br />

ist an der Universität Düsseldorf angesiedelt; hier kooperieren <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

aus Gießen. Das Vorhaben „Die Wiederkehr der Folter? Interdisziplinäre<br />

Stu<strong>die</strong> über eine extreme Form von Gewalt, ihre mediale Darstellung und<br />

Gemeinsam auf den Spuren der Folter – <strong>die</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler aus Münster und Konstanz:<br />

Professor Thomas Weitin, Professor Peter<br />

Oestmann, Natalie Knapp, Sabine Blömacher,<br />

Gesine Brede, Alexander Kroll, Dr. Michael<br />

Neumann (nach links Blickende, von vorn);<br />

Professor Thomas Gutmann, Dr. Bernhard<br />

Jakl, Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Marco Bunge-<br />

Wiechers (nach rechts Blickende, von vorn).<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 65


66<br />

Die Renaissance der Folter in Zeiten des<br />

Terrors stimmt <strong>die</strong> Forscher nachdenklich.<br />

Professor Thomas Weitin von der Universität<br />

Konstanz (oben) und Professor Thomas Gutmann<br />

von der Uni versität Münster wollen<br />

herausfinden, warum <strong>die</strong> Akzeptanz von<br />

Gewalt an Einzelnen zum vermeintlichen<br />

Wohle Vieler immer weiter steigt, und werfen<br />

dabei mit ihren Kollegen einen Blick auf <strong>die</strong><br />

Geschichte der Folter in Deutschland.<br />

Ächtung“ wird mit 741.000 Euro unterstützt. In beiden Projekten – sie sind im<br />

Frühsommer 2009 gestartet – geht es um ein Schlüsselthema der Geisteswissenschaften,<br />

das in fachübergreifender Zusammenarbeit bearbeitet wird: in<br />

enger Vernetzung von Juristen, Me<strong>die</strong>n- und Kulturwissenschaftlern, Philo -<br />

sophen und Medizinern. Die Forscher beider Vorhaben tauschen sich dabei<br />

auch projektübergreifend aus.<br />

Das unausgesprochene Folterverbot galt bis Ende der 1990er Jahre. Zwei Jahre<br />

nach den Terroranschlägen in New York im September 2001 erschien ein<br />

Kommentar zum ersten Artikel des Grundgesetzes. Darin wurde <strong>die</strong> Auffassung<br />

vertreten, dass eine Verletzung der Menschenwürde nicht vorliege,<br />

wenn der Eingriff einem hochrangigen „Zweck“ <strong>die</strong>ne. Die Folterung einer<br />

Person wäre demnach also keine Würdeverletzung, gelangte man auf <strong>die</strong>se<br />

Weise an wertvolle Erkenntnisse. Informationen, mit denen man vielleicht<br />

das Leben von Tausenden retten könnte. Ähnlich gelagert ist <strong>die</strong> immer<br />

wieder aufflackernde Debatte über den gezielten Abschuss eines gekaperten<br />

Passagierflugzeuges, um dessen Einsatz als terroristische Waffe zu verhindern.<br />

Thomas Gutmann sagt: „Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt:<br />

Wir dürfen nicht einmal daran denken, <strong>die</strong> Maschine abzuschießen.<br />

Der Rechtsstaat nimmt hin, was nur durch <strong>die</strong> Entwürdigung Einzelner zu<br />

verhindern wäre.“<br />

Lässt sich <strong>die</strong> Würde zweier Menschen gegeneinander aufrechnen?<br />

Eigentlich wäre der Gelehrtenstreit damit erledigt. Doch <strong>die</strong> Folter kehrt derzeit<br />

vehement über <strong>die</strong> Nachrichtenkanäle, TV-Serien und Kinofilme in <strong>die</strong><br />

öffentliche Wahrnehmung zurück. So propagierte beispielsweise <strong>die</strong> populäre<br />

Serie „Twenty Four“ („24“) den Agenten Jack Bauer, der böse Terroristen foltert,<br />

um wertvolle Details zu erpressen. Und längst hat <strong>die</strong> Folter <strong>die</strong> fiktive Welt<br />

der Filme und Bücher (zum Beispiel „Uhrwerk Orange“) verlassen, tritt ganz<br />

real in <strong>die</strong> Welt: In Deutschland machte 2004 ein Gerichtsprozess Furore, in<br />

dem es um <strong>die</strong> Androhung von Folter durch einen Polizeibeamten ging. Um<br />

den entführten Jungen Jakob von Metzler zu befreien, drohte der hochrangige<br />

Polizist Wolfgang Daschner dem geständigen Entführer Magnus Gäfgen an,<br />

ihn gewaltsam zur Preisgabe des Aufenthaltsortes seines Opfers zu zwingen.<br />

Daschner nahm an, dass der Junge noch lebte, er wollte das Kind retten. Gäfgen<br />

gab den Ort preis, wohl wissend, dass er den Jungen bereits erwürgt hatte.<br />

Daschner, seinerzeit stellvertretender Polizeipräsident von Frankfurt am Main,<br />

fertigte eine Aktennotiz an, <strong>die</strong> letztlich zum Prozess führte – Nötigung im<br />

Amt, so der Vorwurf gegen ihn. Dieser Fall eröffnete eine erregte Debatte um<br />

<strong>die</strong> Rettungsfolter. „Kann man <strong>die</strong> Würde des Kindes gegen <strong>die</strong> Würde des<br />

Entführers aufwiegen?“, fragt auch Professor Dr. Karsten Altenhain, Strafund<br />

Me<strong>die</strong>nrechtler an der Universität Düsseldorf und Projektleiter des<br />

anderen von der Stiftung geförderten Vorhabens, das sich mit der Wiederkehr<br />

der Folter beschäftigt.


War das Abendland bislang stolz darauf, <strong>die</strong> Folter abgeschafft zu haben,<br />

kehrt <strong>die</strong>se zunehmend über den sogenannten Krieg gegen den Terror<br />

zurück. Die Bilder, <strong>die</strong> 2004 aus dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib<br />

um <strong>die</strong> Welt gingen, rückten <strong>die</strong>se verstörende Tatsache ins Licht: Zur Ver -<br />

teidigung der Demokratie galt in den USA <strong>die</strong> Folter von Inhaftierten durch<br />

amerikanisches Wachpersonal als legitim. Dabei nahmen sich <strong>die</strong> GIs ähn -<br />

liche Gewaltakte aus den Me<strong>die</strong>n zum Vorbild. Auch im US-amerikanischen<br />

Stützpunkt von Guantanamo wurden „Islamisten“ ohne Gerichtsverfahren<br />

über Jahre inhaftiert und gefoltert. Dazu hatte <strong>die</strong> Regierung in Washington<br />

alle Regeln eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens außer Kraft gesetzt.<br />

Als der neue US-Präsident Barack Obama Anfang des Jahres 2009 den Chefsessel<br />

im Weißen Haus übernahm, untersagte er zwar <strong>die</strong> Folterpraxis in<br />

Guantanamo. Eine juristische Untersuchung ordnete er bisher jedoch nicht<br />

an. Ist das ein Zeichen da<strong>für</strong>, dass der alte Konsens, der <strong>die</strong> Folter verbot,<br />

schon ero<strong>die</strong>rt ist? Genau darin sieht Thomas Gutmann ein wichtiges Forschungsfeld:<br />

„In der Kooperation mit Sozialwissenschaftlern gehen wir der<br />

Frage nach: Mit welchen theoretischen Mitteln kann man erklären, warum<br />

der Konsens in der Folterfrage wegbricht? Warum ändern sich normative<br />

Überzeugungen und verbreiten sich weltweit?“ Er mutmaßt: „Das hat etwas<br />

mit der prägenden Macht der Leitmotive globaler Weltpolitik zu tun. Die<br />

Amerikaner haben <strong>die</strong> Folter als politisches Dispositiv normalisiert. Auch<br />

wir in Deutschland stellen unsere Erzählung vom Recht von ‚Freiheit‘ auf<br />

‚Sicherheit‘ um.“<br />

Gutmanns Projektkollege, der Konstanzer Literaturwissenschaftler Professor<br />

Dr. Thomas Weitin, untersucht, unter welchen Umständen <strong>die</strong> Folter in<br />

Deutschland abgeschafft wurde. Bis ins 19. Jahrhundert zielte <strong>die</strong> Beweisord-<br />

Das Projektteam aus Münster und Konstanz<br />

vor einer Szene aus der US-Fernsehserie „24“,<br />

in der Antiterroragent Jack Bauer gezielt<br />

Foltermaßnahmen zur Informationsbeschaffung<br />

einsetzt. Im Vordergrund <strong>die</strong> drei ko -<br />

operierenden Professoren: Rechtsphilosoph<br />

Professor Dr. Thomas Gutmann (links), Rechtshistoriker<br />

Professor Dr. Peter Oestmann (Mitte)<br />

– beide von der Universität Münster – und<br />

der Literaturwissenschaftler Professor Dr.<br />

Thomas Weitin von der Universität Konstanz.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 67


68<br />

nung der Gerichte in erster Linie auf ein Geständnis, das unter Umständen<br />

auch mit physischer Gewalt erzwungen werden konnte. „Die Abschaffung<br />

der Folter gründete dann auf der Erkenntnis, dass unter Gewalt erzwungene<br />

Geständnisse kaum verwertbar waren“, analysiert er. „Folter war ineffizient,<br />

denn <strong>die</strong> Wahrheit ließ sich auf <strong>die</strong>se Weise kaum ermitteln.“ Dennoch dauerte<br />

es fast hundert Jahre, bis sie in allen deutschen Staaten abgeschafft war.<br />

Während der Rechtshistoriker Professor Dr. Peter Oestmann aus Münster als<br />

dritter Kooperationspartner mit seinem Team Gerichtsakten aus der Übergangszeit<br />

auswertet, untersuchen Weitin und seine Mitarbeiter <strong>die</strong> Wirkung<br />

der Folter in der Literatur. Als sich Preußen endlich entschloss, <strong>die</strong> Folter<br />

abzuschaffen, wurde <strong>die</strong>ses Verdikt zunächst geheim gehalten. Man wollte<br />

das Abschreckungspotenzial der Gewaltdrohung nicht aufgeben. „Die Folter<br />

wandelte sich von physischer zu verbaler Gewalt“, urteilt Weitin. Die Literatur<br />

<strong>die</strong>ser Epoche, fügt er hinzu, habe in dem Umwandlungsprozess eine zentrale<br />

Rolle gespielt. Dem Philosophen Immanuel Kant etwa war es vorbehalten, <strong>die</strong><br />

„Tortura spiritualis“ (Geistesfolter) an <strong>die</strong> Stelle der schmerzhaften Folterwerkzeuge<br />

zu setzen. Weitin spürt zugleich den historischen Konsequenzen<br />

der Kant’schen Definition von „Menschenwürde“ nach. Bei Kant spielt <strong>die</strong>ser<br />

Begriff eine zentrale Rolle, als moralischer und als Rechtsbegriff. Er prägte <strong>die</strong><br />

Epoche der Aufklärung, auf <strong>die</strong> sich der moderne Verfassungsstaat inklusive<br />

seinem Folterverbot gründete.<br />

„Wir waren immer so stolz darauf, <strong>die</strong> Folter abgeschafft zu haben“, erläutert<br />

Karsten Altenhain von der Universität Düsseldorf. „Aber ist sie wirklich verschwunden?“<br />

Gefoltert wurde bis in <strong>die</strong> jüngste Geschichte: in den deutschen<br />

Kolonien, unter den Nazis. Die Amerikaner folterten in Vietnam und im Irak,<br />

<strong>die</strong> Franzosen im Algerienkrieg, <strong>die</strong> Briten im Konflikt um Nordirland. Altenhain<br />

moniert: „Beispielsweise ist <strong>die</strong> Folter im deutschen Strafrecht als Tatbestand<br />

überhaupt nicht enthalten. Das Strafrecht kennt <strong>die</strong> Körperverletzung<br />

und <strong>die</strong> Erpressung einer Aussage, aber Folter wird weder erwähnt noch defi-<br />

Die Wiederkehr der Folter? Im zweiten von der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

geförderten Projekt zum Thema arbeiten Forscher aus Düsseldorf<br />

und Gießen zusammen: Professor Dr. Reinhold Görling<br />

(links) von der Universität der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt<br />

und sein Kooperationspartner Professor Dr. Johannes<br />

Kruse treffen sich hier gerade im Museum Insel Hombroich vor<br />

Werken des französischen Künstlers Jean Fautrier, der sich in<br />

seiner Arbeit vielfach mit dem Thema Folter auseinandersetzt.


niert.“ Dabei gibt es einige Vorbilder: <strong>die</strong> Antifolterkonvention der Vereinten<br />

Nationen etwa oder <strong>die</strong> Menschenrechtskonvention des Europarates.<br />

Es gebe also erheblichen Definitionsbedarf, fährt Altenhain fort, denn: „Den<br />

Juristen in den Behörden und Gerichten fehlt oft <strong>die</strong> Vorstellung davon, was<br />

Folter bewirkt und welche dauerhaften traumatischen Folgen sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Opfer<br />

hat.“ Altenhain wiederum kooperiert mit Professor Dr. Johannes Kruse, Chef<br />

der Klinik <strong>für</strong> Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Gießen.<br />

Er schätzt, dass in Deutschland rund eine Million Flüchtlinge leben, davon<br />

rund 100.000 Folteropfer. „Etwa dreißig bis vierzig Prozent der Asylsuchenden<br />

wurden in ihren Herkunftsländern gefoltert“, ergänzt er und fragt: „Ist<br />

das ein Abschiebehindernis?“ Kruse ist als Gutachter in Gerichtsverfahren<br />

tätig, wenn es um das Aufenthaltsrecht <strong>für</strong> Verfolgte geht, <strong>die</strong> in ihrer Heimat<br />

gefoltert wurden. „Entscheidend ist, wie <strong>die</strong> Gesellschaft damit umgeht“,<br />

erläutert er. „Wenn man <strong>die</strong> Traumatisierung durch Folter oder andere schwere<br />

Erlebnisse ignoriert oder den Opfern unterstellt, selbst schuld zu sein oder<br />

gar zu simulieren, kann <strong>die</strong> Traumatisierung chronisch werden.“ Im Rahmen<br />

des Forschungsprojekts untersucht das Gießener Team zahlreiche Gutachten<br />

und deren Interpretation durch <strong>die</strong> Gerichte. „Wir werden <strong>für</strong> <strong>die</strong> Richter spezielle<br />

Veranstaltungen zur Fortbildung anbieten und <strong>die</strong> Ergebnisse unserer<br />

Forschungen publizieren“, stellt der Mediziner in Aussicht. Zunächst wird<br />

sein Team <strong>die</strong> verfügbare Literatur zur empirischen Erforschung der Traumatisierung<br />

durch Folter sammeln und auswerten.<br />

Folterszenen als „Konsumgut“?<br />

Der Folter geht <strong>die</strong> Entwürdigung des Opfers voraus, sie ist der zentrale psychologische<br />

Hebel, um Folter überhaupt zu ermöglichen. Pauschal als gesichtslose,<br />

anonyme „Terroristen“ oder „Islamisten“ abgeurteilt, nicht selten vermummt<br />

dargestellt (wie in Guantanamo), werden <strong>die</strong> Folteropfer jeglichen<br />

menschlichen Mitgefühls durch <strong>die</strong> Täter beraubt. Auch den Fernsehzuschauern<br />

wird es dadurch leicht gemacht, wegzusehen. „Das funktioniert gleichermaßen<br />

beim Antiterroragenten Jack Bauer, dem positiv kolorierten Helden<br />

der Fernsehserie ‚24‘“, berichtet Professor Dr. Reinhold Görling, Me<strong>die</strong>nwissenschaftler<br />

in Düsseldorf und dritter Kooperationspartner im Vorhaben<br />

„Die Wiederkehr der Folter“. Er erforscht, welche filmischen Strategien zum<br />

Einsatz kommen, um <strong>die</strong> Folter zu legitimieren. „Der Zuschauer erhält keine<br />

Gelegenheit, Empathie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Opfer zu entwickeln“, hat der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

beobachtet. Als dramaturgischer Hintergrund <strong>die</strong>ne meist ein enormes<br />

Bedrohungsszenario – beispielsweise Biowaffen in den Händen von Terroristen<br />

oder eine versteckte Atombombe mit Zeitzünder. Jack Bauers verstockte<br />

Gegenspieler haben das Wissen, <strong>die</strong> Katastrophe zu verhindern. „Nur dadurch<br />

lässt sich <strong>die</strong> Legitimation aufbauen, dass der gute Jack foltern darf“, analysiert<br />

Görling. „Das klappt immer. Letztlich bekommt er <strong>die</strong> Informationen, <strong>die</strong><br />

er braucht.“ Zur Erinnerung: Die Folter wurde im Zuge der Aufklärung abge-<br />

Angesichts von „Waterboarding“ in Guantanamo<br />

und der Misshandlung von Gefangenen<br />

in Abu Ghraib scheint <strong>die</strong> Folterdebatte<br />

in erster Linie eine amerikanische zu sein.<br />

Aber auch in Deutschland steht Folter durchaus<br />

auf der Tagesordnung, wie <strong>die</strong> Diskussion<br />

um den Fall des entführten Jakob von Metzler<br />

zeigte: Ein hochrangiger Polizist drohte dem<br />

geständigen Magnus Gäfgen Gewalt an, um<br />

den Aufenthaltsort des entführten Jungen<br />

zu erfahren (Bild oben: Antifolterplakat bei<br />

Metzler-Prozess 2004; unten: Konferenz „Folter<br />

und Zukunft“ im Juni 2009 in Düsseldorf).<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 69


70<br />

schafft, weil man sich von ihrer Nutzlosigkeit überzeugt hatte. Möglichst<br />

schnell an verwertbare Informationen zu gelangen, wird nun als Argument<br />

benutzt, um sie wieder einzuführen. Thomas Weitin aus Konstanz spricht<br />

von der „Ökonomie der Folter“.<br />

Statistiken aus den USA belegen, dass <strong>die</strong> Folter in den Me<strong>die</strong>n seit Mitte<br />

der 1990er Jahre stark zugenommen hat. „Früher waren einzelne Szenen in<br />

Horrorfilmen zu sehen“, urteilt Görling. „Heute laufen sie zur Primetime im<br />

Fernsehen.“ Die Serie „24“ sei nur eines von vielen Beispielen. „Welche Ängste<br />

werden hier aufgegriffen?“, fragt der Forscher nun. „Und wie verbinden <strong>die</strong>se<br />

sich mit den Argumenten, anhand derer Regierungen heute versuchen, <strong>die</strong><br />

Einschränkung unserer Grundrechte zu rechtfertigen?“<br />

„Würde“ ist nicht „Dignitas“… – über das Verständnis des Würdebegriffs<br />

Würde – dignité – godnosc éé – dignity. Vier Begriffe,<br />

<strong>die</strong> gleich übersetzt werden; doch tragen sie auch<br />

den gleichen Inhalt? Lassen sich Begriffe tatsächlich<br />

wortwörtlich in eine andere Sprache übertragen?<br />

– Das von der Stiftung in ihrer Initiative „Deutsch<br />

plus“ geförderte Projekt „Würde ist nicht Dignitas“<br />

widmet sich dem Einfluss von Kultur, Geschichte<br />

und Sprache auf den Würdebegriff.<br />

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Erneut<br />

lohnt der Blick auf Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes.<br />

Die<br />

„Menschenwürde“<br />

wird damit zu<br />

einem Schlüsselbegriff<br />

der Ver -<br />

fassung und<br />

zu gleich des<br />

gesamten poli -<br />

tischen und<br />

gesellschaftlichen<br />

Lebens – zumindest<br />

in Deutschland.<br />

Seien es Diskussionen<br />

um Sterbehilfe, Embryonenschutz oder<br />

Folterverbot: Immer wieder spielt der Begriff der<br />

„Würde“ eine zentrale Rolle. Und auch <strong>für</strong> so unterschiedliche<br />

wissenschaftliche Disziplinen wie<br />

Philosophie, Theologie, Rechtswissenschaften,<br />

Biologie, Medizin und Ethik ist er von hoher Relevanz.<br />

Doch lässt sich „Würde“ überhaupt klar umreißen?<br />

Und wenn <strong>die</strong>s schon <strong>für</strong> eine (Sprach-) Kultur<br />

schwer zu beantworten ist: Was verbirgt sich dann<br />

hinter dem Begriff in verschiedenen Sprachen<br />

und zu unterschiedlichen Zeiten? Schließlich war<br />

es zum Beispiel im viktorianischen Zeitalter verpönt,<br />

nackte Haut zu zeigen. Davon kann heute<br />

keine Rede mehr<br />

sein. Und auch <strong>die</strong><br />

Frage, ob man <strong>die</strong><br />

Würde einer Person<br />

gegen <strong>die</strong>se<br />

selbst vertei digen<br />

kann oder sogar<br />

muss, weil sich<br />

jemand freiwillig<br />

erniedrigt, wird<br />

keineswegs überall<br />

auf der Welt<br />

gleich beantwortet.<br />

Dies zeigt sich beispiels weise bei einem „Phänomen“<br />

wie dem „Zwergenwerfen“ – einem Wettbewerb,<br />

bei dem kleinwüchsige Menschen auf<br />

gepolsterte Matten geschleudert werden.


Ein Ergebnis soll sein, hilfreiche Kriterien zur Bewertung von Filmen zu entwickeln.<br />

Denn immer mehr Jugendliche konsumieren <strong>die</strong> Folterszenen. „Auch<br />

im Jugendschutz ist <strong>die</strong> Folter nicht verankert“, sagt Görling. Vielen Zuschauern<br />

sei nicht bewusst, wie schleichend <strong>die</strong> Folter wiederkehrt. Görling spricht<br />

von „der Kärrnerarbeit, sich <strong>die</strong>ses Zeugs anzusehen“. Das lasse einen nicht<br />

unbelastet. Er wertet auch <strong>die</strong> Filmgutachten beispielsweise der Freiwilligen<br />

Selbstkontrolle aus. Evan Katz, Mitautor von „24“, hat den Erfolg der Serie einmal<br />

so begründet: „Angst verkauft sich gut“. Und <strong>die</strong> Folter im Gepäck gleich<br />

mit? Reinhold Görling fragt: „Sind <strong>die</strong> filmischen Strategien so gestaltet, dass<br />

man das schon unbemerkt schluckt? Das wäre mehr als bedenklich!“<br />

Heiko Schwarzburger<br />

Dass es sich lohnt, den Bedeutungsreichtum des<br />

Konzepts „Würde“ genauer zu erforschen, davon sind<br />

Professor Dr. mult. Nikolaus Knoepffler und Professor<br />

Dr. Peter Kunzmann vom Lehrstuhl <strong>für</strong> Angewandte<br />

Ethik der Friedrich-Schiller-Universität Jena überzeugt:<br />

„Ein Deutscher versteht unter Würde nicht unbedingt<br />

das Gleiche wie ein Franzose unter dignité, ein Pole<br />

unter godnosc éé oder ein Anglophoner unter dignity“,<br />

erklärt Kunzmann. Sowohl <strong>die</strong> jeweilige Kultur als<br />

auch Geschichte haben einen immensen Einfluss auf<br />

<strong>die</strong> Sprache – so lautet eine grundlegende These der<br />

beiden Philosophieprofessoren, <strong>die</strong> sie zum Projekt<br />

„Würde ist nicht Dignitas“ inspiriert hat. Das Vorhaben<br />

wird von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in ihrer Initia -<br />

ti ve „Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong> ist mehrsprachig“<br />

gefördert, denn solche sprachlichen und kulturellen<br />

Prägungen haben offenkundig auch Einfluss auf den<br />

wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Würde.<br />

Kunzmann und Knoepffler gehen in ihrer Forschung<br />

davon aus, dass dem Ausdruck „Würde“ gerade in<br />

der deutschen Sprache eine besondere Bedeutung<br />

zu kommt. Die Erfahrungen Deutschlands während<br />

des Nationalsozialismus haben unter anderem dazu<br />

geführt, dass <strong>die</strong> „Würde“ im Grundgesetz – im Vergleich<br />

zum Status quo ante und anderen Nationen –<br />

deutlich aufgewertet wurde. Hat Deutschland hiermit<br />

einen Sonder weg im internationalen Vergleich<br />

Als blickten sie in eine düstere Zukunft: Der<br />

Me<strong>die</strong>nwissenschaftler Professor Reinhold<br />

Görling von der Universität Düsseldorf (links)<br />

erforscht filmische Strategien, <strong>die</strong> wie in der<br />

US-Fernsehserie „24“ benutzt werden, um<br />

Folter zu legitimieren. Professor Johannes<br />

Kruse ist Chef der Klinik <strong>für</strong> Psychosomatik<br />

und Psychotherapie an der Universität Gießen.<br />

Er nutzt seine Erfahrung als Gutachter<br />

in Gerichtsverfahren und wertet Daten zur<br />

Traumatisierung von Folteropfern aus.<br />

eingeschlagen? Wie lassen sich etwaige Besonderheiten<br />

in einen gesamteuropäischen oder gar globalen<br />

Kontext integrieren?<br />

Diese Fragen möchten sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern<br />

beantworten, indem sie mehrere sprach -<br />

liche und fachwissenschaftliche Traditionen miteinander<br />

vergleichen. So geht Doktorandin Christine<br />

Baumbach den Spuren des Begriffs im französischund<br />

im deutschsprachigen Raum nach, Habilitand<br />

Martin O’Malley nimmt <strong>die</strong> USA näher in den Blick.<br />

Dabei sind länder- und diszip li nenübergreifende<br />

Vernetzung und Austausch das A und O.<br />

Eine erste internationale Konferenz mit Rechts- und<br />

Sprachwissenschaftlern, Philosophen und Soziologen<br />

liegt schon erfolgreich hinter den <strong>Wissenschaft</strong>lern,<br />

eine weitere steht <strong>2010</strong> auf dem Plan. Das Team<br />

schaut erwartungsfroh in <strong>die</strong> Zukunft: „Schließlich<br />

wird sich ein ganzes Panorama von zum Teil verblüffenden<br />

Traditionslinien und Querverbindungen zeigen“,<br />

erwartet Kunzmann. Eine besondere Rolle komme<br />

dabei dem „Weg der Würde“ ins Grundgesetz zu;<br />

„quasi ein Prisma, in dem sich viele Linien bündeln“.<br />

Claudia Gerhardt<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 71


Ein Jahr im Forscherpara<strong>die</strong>s<br />

Die „Harvard-Fellowships“ ermöglichen exzellenten<br />

Geisteswissenschaftlern einen unvergesslichen<br />

Aufenthalt an der US-Elite-Universität.<br />

Warum heißt der Server Server? Und: Was hat er mit Be<strong>die</strong>nsteten vergange -<br />

ner Zeiten gemeinsam? An <strong>die</strong>sen Fragen entzündete sich das Forschungsinteresse<br />

von Markus Krajewski. Der Juniorprofessor an der Bauhaus-Universität<br />

Weimar verfasst derzeit seine Habilitation zur Geschichte des Dienens. Seine<br />

Arbeitsbedingungen waren im vergangenen Jahr hervorragend: 2008 gehörte<br />

er zu den ersten Postdoktoranden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> ge meinsam<br />

mit dem Humanities Center der Harvard University als Fellows auswählte.<br />

Eine Zeit lang an der Harvard University in den USA wissenschaftlich arbeiten<br />

können? Das wünschen sich sicherlich viele Forscherinnen und Forscher. Für<br />

ausgewählte junge Geisteswissenschaftler wird <strong>die</strong>ser Traum seit dem Jahr<br />

2008 wahr. Die hervorragendsten Köpfe unter ihnen, <strong>die</strong> sich mit zukunftsweisenden<br />

Projekten – insbesondere an der Nahtstelle zu anderen Disziplinen<br />

– befassen, erhalten als „Harvard-Fellows“ <strong>die</strong> Gelegenheit, das einzigartige<br />

Angebot an Bibliotheken, Archiven und Kommunikationsmöglichkeiten vor<br />

Ort zu nutzen. Darüber hinaus hält das reichhaltige Veranstaltungsprogramm<br />

vielfältige <strong>Impulse</strong> bereit <strong>für</strong> zweifelsohne jeden Nachwuchsforscher. Ein<br />

Gesamtpaket, das weltweit einzigartig sein dürfte.<br />

Markus Krajewski, den in seiner bisherigen wissenschaftlichen und publi -<br />

zistischen Laufbahn <strong>die</strong> kulturwissenschaftliche Perspektive der Informatik<br />

beschäftigt, bot sich als geradezu idealer Fellow <strong>für</strong> Harvard an. Tatsächlich<br />

hat er dort zahlreiche wichtige Kontakte knüpfen und von einem Workshop<br />

zu seinem Forschungsgebiet profitieren können. Im Gespräch mit <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin<br />

Elke Kimmel schildert er seine Erwartungen an den USA-<br />

Aufenthalt ebenso wie seine Erfahrungen in Harvard.<br />

Herr Krajewski, können Sie mir mit wenigen Worten Ihre bisherige Karriere<br />

schildern?<br />

Ich bin Kulturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Me<strong>die</strong>ngeschichte.<br />

Geforscht habe ich unter anderem zur Geschichte des Zettelkastens oder der<br />

Projektemacherei. Aber ich war auch als <strong>Wissenschaft</strong>sautor und Softwareentwickler<br />

tätig, bevor ich an der Bauhaus-Universität Weimar zu arbeiten<br />

begonnen habe.<br />

Er war einer der Ersten: Ein Jahr lang konnte<br />

Harvard-Fellow Dr. Markus Krajewski von der<br />

Bauhaus-Universität Weimar an der renommierten<br />

Harvard University in den USA wissenschaftlich<br />

arbeiten und <strong>die</strong> vielleicht beste<br />

Bibliothek der Welt <strong>für</strong> seine Forschung nutzen.<br />

In US-Bildungseinrichtungen wie <strong>die</strong>ser<br />

wird großer Wert auf eine angenehme Arbeits -<br />

atmosphäre gelegt: In solch ehr würdigem<br />

Ambiente wie hier im Aufenthaltsraum des<br />

Humanities Center der Harvard University<br />

tauscht man sich gern aus, und schnell knüpfen<br />

sich neue Forschungskontakte.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 73


74<br />

Wie kamen Sie auf <strong>die</strong> Idee, <strong>die</strong> Geschichte des Dienens zu erforschen?<br />

Ausgangspunkt war <strong>die</strong> Beobachtung, dass im Zentrum der gesamten Kommunikation<br />

im Internet Agenturen stehen, <strong>die</strong> als „Server“ bezeichnet werden.<br />

Ich habe mich gefragt: Was steckt dahinter? Denn der Begriff meint ja<br />

den Kellner, wie man ihn aus dem Restaurant kennt, aber auch den Mess<strong>die</strong>ner<br />

– und in einer alten Verwendung steckt eben ganz allgemein der Diener<br />

dahinter. Was bedeutet es, wenn <strong>die</strong>se Metapher in elektronischen Kommunikationszusammenhängen<br />

auftaucht? Ausgehend von <strong>die</strong>ser Fragestellung<br />

erzähle ich eine Geschichte des Dieners vom Barock bis heute. Interessant<br />

sind vor allem <strong>die</strong> Transformationen: Der Kammer<strong>die</strong>ner der spätabsolutis -<br />

tischen Fürstenhöfe funktioniert natürlich anders, aber in bestimmter Weise<br />

doch strukturähnlich zu den elektronischen Agenten – Servern –, mit denen<br />

wir E-Mails verschicken, Dateien oder Informationen im Web abrufen. So<br />

lassen sich beide etwa als wohlinformierte Suchmaschinen im Sinne eines<br />

universalen Informationsbeschaffers beschreiben, der zudem den Zugang<br />

zum Wissen kontrolliert.<br />

Was hat Sie bewogen, sich bei der <strong>VolkswagenStiftung</strong> um eines der begehrten<br />

„Harvard-Fellowships“ zu bewerben?<br />

Ein Motiv war, dass ich eine Zeit lang aus dem üblichen Universitätsbetrieb<br />

heraus wollte, in dem ich kaum zum Schreiben kam. Außerdem baute ich<br />

auf ein Versprechen, das mit der Institution Harvard verbunden ist: mit der<br />

besten Bibliothek weltweit arbeiten zu können – und das hat sich durchaus<br />

bewahrheitet. Ich bin im vergangenen Jahr ein gutes Stück vorangekommen.<br />

Haben sich Ihre Erwartungen an den Harvard-Aufenthalt erfüllt?<br />

Unbedingt. Auf der einen Seite ist hier das akademische Para<strong>die</strong>s, man kann<br />

das gar nicht anders nennen. Ich habe den Eindruck, dass hier nahezu jedes<br />

Buch, das irgendwann gedruckt wurde, vorhanden ist – und sollte eines nicht<br />

da sein, kümmert sich eine ganze Armee von freundlichen Bibliothekaren<br />

darum, es schnellstmöglich zu besorgen. Ich kannte <strong>die</strong> Bibliothek bereits von<br />

einem früheren, kurzen Forschungsaufenthalt – aber es ist natürlich etwas<br />

anderes, wenn man das hier über ein Jahr lang intensiv genießen kann.<br />

Können Sie mir Ihre weiteren Eindrücke beschreiben?<br />

Ich habe ja am Humanities Center gearbeitet, das als Veranstaltungszentrum<br />

den gesamten Bereich der Geisteswissenschaften abdeckt. Das schafft auf<br />

kompakte Weise in kurzer Zeit – zwei-, dreimal <strong>die</strong> Woche – Zugang zu einer<br />

Vielzahl an Themen und interessanten Persönlichkeiten. Auf <strong>die</strong>se Weise


erhielt ich jede Menge Anregungen und Inspiration. Zudem hatte ich <strong>die</strong><br />

Aufgabe, eine Lehrveranstaltung zu übernehmen. Ich entschloss mich dazu,<br />

an das wissenschaftsgeschichtliche Department zu gehen, passend zu<br />

meiner bisherigen universitären Laufbahn.<br />

Zu welchen Inhalten haben Sie gelehrt?<br />

Das Seminar habe ich zu einem eher allgemeinen, <strong>für</strong> Undergraduates geeigneten<br />

Thema „Subjectivity and Agencies in Virtual Worlds“ abgehalten – ein<br />

Parforceritt durch <strong>die</strong> Philosophiegeschichte von Descartes bis zu Foucault<br />

und weiteren Theoretikern des 20. Jahrhunderts, <strong>die</strong> sich mit Subjektkonstitutionen<br />

beschäftigt haben. Ziel war es, <strong>die</strong>se Ansätze gemeinsam mit den<br />

Stu<strong>die</strong>renden auf das Internet zu beziehen – also etwa Machtstrukturen in<br />

Facebook zu untersuchen. Das war entkoppelt von meinem Forschungsprojekt,<br />

aber im Austausch mit den anderen Fellows, Kollegen und <strong>Wissenschaft</strong>lern<br />

innerhalb des großen Bereichs „Arts and Sciences“ haben sich eine Menge<br />

Gespräche ergeben. Das ist ein großer Vorzug des amerikanischen Systems:<br />

Die Wege sind kurz, <strong>die</strong> Türen in den allermeisten Fällen weit geöffnet, es ist<br />

überhaupt kein Problem, auch mit berühmten Kollegen in Kontakt zu kommen.<br />

Es gibt sehr viele Gelegenheiten <strong>für</strong> informelle Diskussionen beim<br />

Kaffee oder Mittagessen.<br />

Inwieweit hat der Harvard-Aufenthalt Ihr Projekt beeinflusst?<br />

Im Grunde hat sich <strong>die</strong> Konzeption meiner Forschungsarbeit hier bestätigt –<br />

zum Glück. Aber in der täglichen Kleinarbeit der Forschung summieren sich<br />

natürlich <strong>die</strong> unterschiedlichen Eindrücke, so dass ich bei der Ausarbeitung<br />

einige neue Wege entdeckt habe. So ist mir beispielsweise klar geworden,<br />

dass ein Kapitel zum sogenannten Stummen Diener, also dem Garderobenständer<br />

oder Beistelltisch, unverzichtbar <strong>für</strong> das Buch ist. Und in Thomas Jefferson,<br />

dem dritten Präsidenten der USA, habe ich ein Paradebeispiel <strong>für</strong> den<br />

Intensivgebrauch „Stummer Diener“ entdeckt. In welchem Maße <strong>die</strong>se Einsicht<br />

jetzt von Gesprächen oder Lektüren abhängt, lässt sich im Nachhinein<br />

eher schwer bestimmen. Aber allein, dass man <strong>die</strong> Möglichkeit hat, so viel<br />

Zeit auf <strong>die</strong> Lektüre und den Austausch mit aufmerksamen Gesprächspartnern<br />

zu verwenden, formatiert und rekonfiguriert das Forschungsprojekt im<br />

hohen Maße. Wichtig ist dabei auch <strong>die</strong> Diskussionskultur in den USA, <strong>die</strong><br />

anders funktioniert als in Deutschland.<br />

Woran machen Sie das fest?<br />

Wenn Sie beispielsweise den Vortrag eines Kollegen besuchen, den Sie zwar<br />

interessant, an einigen Stellen jedoch verbesserungswürdig finden – kurz: ein<br />

Die Geschichte des Dieners vom Barock bis<br />

heute: Bei seinen Recherchen stieß Dr. Markus<br />

Krajewski auf große Parallelen zwischen den<br />

Kammer<strong>die</strong>nern früherer Zeiten und den<br />

„Servern“, den elektronischen Dienern von<br />

heute (Bild unten: Gemäl de von Hubert Ro -<br />

bert „Un domestique fait la lecture a Madame<br />

Geoffrin“ – Madame Geoffrin lässt sich von<br />

einem Diener vorlesen, um 1772; Bild oben:<br />

„The Butler’s in Love“, Ölgemälde des ame -<br />

rikanischen Künstlers Mark Stock aus dem<br />

Jahr 1991, www.theworldofmarkstock.com).<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 75


76<br />

Das Humanities Center der Harvard Univer -<br />

sity ist ein international hoch angesehenes<br />

Zentrum <strong>für</strong> geisteswissenschaftliche Forschung<br />

und Veranstaltungen. Dr. Markus<br />

Krajewski nutzte das umfangreiche Vorlesungs-,<br />

Workshop- und Seminarangebot und<br />

knüpfte zahlreiche Kontakte: Dank der offenen<br />

amerikanischen Universitätskultur blieben<br />

ihm selbst <strong>die</strong> Türen der berühmtesten<br />

Forscherpersönlichkeiten nicht verschlossen.<br />

Vortrag, der Sie nicht grenzenlos überzeugt; wenn Sie so etwas in Deutschland<br />

erleben, dann wird je nach Personenkonstellation eine sehr deutliche Kritik<br />

geäußert. Der Vortragende wird unter Umständen hart angegangen. In den<br />

USA ist das nahezu undenkbar; hier äußert sich Kritik in sehr feinen Nuancen.<br />

Was also „I was struck by …“ heißt oder „Such a great talk, but …“, das sind<br />

alles Standardfloskeln, denen aber letztlich das gleiche Spektrum an Kritik<br />

von „grandios“ bis „dürftig“ unterliegt. Für jemanden, der hier neu ankommt,<br />

ist das zunächst irritierend, weil es sich nach undifferenziertem Lob anhört.<br />

Die Form, in der kritisiert wird, ist eine völlig andere. Auch wenn Zuhörer einzelne<br />

Thesen oder den Ansatz ablehnen, würden sie <strong>die</strong>se nie mit eindeutig<br />

negativen Wertungen verknüpfen – das machen nur „rüde Europäer“.<br />

Welche Vorteile hat <strong>die</strong>se Diskussionskultur?<br />

Lassen Sie mich zunächst den Nachteil benennen. Es passiert, dass <strong>die</strong>se<br />

Nuancen überhört werden und ein solches Feedback nichts bewirkt. Das ist<br />

eine Gefahr. Der Vorteil ist, dass eine Wohlfühl-Atmosphäre hergestellt wird,<br />

<strong>die</strong> durchaus förderlich sein kann. Denn natürlich ist ein höflicher Umgang<br />

miteinander sehr angenehm. Als temporärer Besucher kann ich aber nicht<br />

einschätzen, welche langfristigen Effekte <strong>die</strong>ses Phänomen hat. Die Trag -<br />

weite kann da ja auch sehr unterschiedlich sein – je nachdem, ob man einen<br />

Vortrag unter Kollegen hält oder ob man stärker an <strong>die</strong> Öffentlichkeit geht.<br />

Sicher wird <strong>die</strong> Zurückhaltung der Kollegen niemanden dazu verführen, in<br />

einem wichtigen Vortrag ein Feuerwerk unfertiger Gedanken abzubrennen,<br />

zumal ja der Leistungsdruck sehr groß ist. Aber im kleineren Kreis finde ich<br />

<strong>die</strong>se Offenheit sehr produktiv. Wie ja überhaupt ein Workshop eher das<br />

geeignete Forum ist, Gedanken voranzubringen.<br />

Apropos Workshop: Sie haben ja selbst einen ausgerichtet. Welche Erfahrungen<br />

haben Sie <strong>die</strong>sbezüglich gemacht?<br />

Ich habe im Mai 2009, nach dem Ende der Lehrveranstaltungen, einen Workshop<br />

veranstaltet zum Thema „In Pursuit of Invisible Forces. Servants in History<br />

and Today“. Das war der Versuch, den Betrachtungszeitraum meines Themas<br />

noch stärker auszuweiten als in dem Buch – vom späten Mittelalter bis ins<br />

21. Jahrhundert. Teilgenommen haben Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen<br />

Disziplinen: Mediävisten, Philologen, Sozialhistoriker, Me<strong>die</strong>nphilosophen,<br />

Informatiker. Es war ungeheuer aufschlussreich zu sehen, wie sich <strong>die</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler aus verschiedenen Richtungen dem Thema näherten und<br />

letztlich so etwas wie eine Geschichte der Dienerschaft entstanden ist. Das<br />

hat mir deshalb besonders viele Anregungen verschafft, weil ja mein Ansatz<br />

ähnlich multiperspektivisch ist. Und natürlich war es wunderbar, meine<br />

Arbeit dort vorzustellen und zu sehen, wie <strong>die</strong> Kollegen aus anderen Disziplinen<br />

darauf reagieren.


Was werden Sie aus Harvard mit nach Weimar nehmen?<br />

Sicher eine Fülle von Kontakten – trotz E-Mail und Internet bleibt das per -<br />

sönliche Gespräch eben doch sehr wichtig, und Harvard ist ja regelrecht ein<br />

Marktplatz der Gelehrsamkeit in dem Sinne, dass ununterbrochen Leute aus<br />

aller Welt hierher kommen, zusätzlich zu denen, <strong>die</strong> ohnehin dort arbeiten.<br />

Es herrscht ein riesiger Durchsatz von Ideen, von denen ich einige mitnehme<br />

– auch Ansätze, <strong>die</strong> jenseits meiner eigentlichen Forschungsgebiete und<br />

Methoden liegen. Ein anderer Punkt ist leider mit einem Wermutstropfen<br />

versehen: das Wissen, so ideale Arbeitsbedingungen so schnell nicht wieder<br />

zu finden. Ein bisschen werde ich jetzt – was <strong>die</strong> Forschungsinfrastruktur<br />

angeht – in ein Drittweltland zurückgestoßen, wo man, um rasch an ein<br />

Buch zu gelangen, schon mal in ein anderes Bundesland reisen muss.<br />

Herr Krajewski, herzlichen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />

Harvard ruft! – Die Geisteswissenschaften antworten?<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> schreibt derzeit jährlich<br />

bis zu vier „Harvard-Fellowships“ aus. Gefragt<br />

sind junge, hoch qualifizierte Postdoktoranden<br />

und -doktorandinnen aus deutschen Hochschulen,<br />

<strong>die</strong> ihre Forschungskompetenz und ihr Forschungsprofil<br />

auf einem zukunftsweisenden<br />

geisteswissenschaft lichen Gebiet international<br />

stärken und weiterentwickeln wollen. Ausschreibungsrunden<br />

sind zunächst bis zum Jahr 2011<br />

vorgesehen.<br />

Am Humanities Center der Harvard University,<br />

das geleitet wird von dem international renommierten<br />

Intellektuellen Professor Homi Bhabha,<br />

können <strong>die</strong> jungen <strong>Wissenschaft</strong>ler <strong>für</strong> jeweils ein<br />

Jahr in einem attraktiven akademischen Umfeld<br />

geisteswissenschaftlich arbeiten und dabei auf<br />

<strong>die</strong> dortigen Bibliotheken, Archive und weitere<br />

Forschungs- und Kommunikationsangebote<br />

zurückgreifen. Gefordert ist, dass <strong>die</strong> Fellows<br />

neben ihrer Forschung auf der Basis eines Auftaktworkshops<br />

fächerübergreifend Gesprächsund<br />

Arbeitskontakte aufbauen und an interna -<br />

tionalen Konferenzen und Workshops mitwirken<br />

Die Harvard-Fellows „der ersten Stunde“<br />

Dr. Markus Krajewski (links) von der Bau -<br />

haus-Universität Weimar und Dr. Julia Wilker<br />

(rechts) von der Freien Universität Berlin mit<br />

dem Leiter des Humanities Center der Harvard<br />

University Professor Homi K. Bhabha.<br />

Dr. Julia Wilker erforschte im Rahmen ihres<br />

Harvard-Fellowships <strong>die</strong> politischen und<br />

gesellschaftlichen Veränderungen im<br />

Griechenland des 4. Jahrhunderts v. Chr.<br />

sowie in begrenztem Umfang auch eigene Lehrveranstaltungen<br />

durchführen.<br />

Das Humanities Center genießt international<br />

einen hervorragenden Ruf, begründet durch<br />

Forschungsleistungen, Vortrags- und Vorlesungsreihen,<br />

Konferenzen, Tagungen, Workshops und<br />

Seminare zu einem breit gefächerten Themenspektrum.<br />

Insbesondere bietet es informelle<br />

Möglichkeiten zum Gedankenaustausch und zu<br />

gemeinsamer wissenschaftlicher und künstle -<br />

rischer Arbeit. Besonderes Anliegen ist dabei <strong>die</strong><br />

Förderung von Kontakten und Kooperationen<br />

zwischen den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften.<br />

Darüber hinaus gehört es zu den Zielen<br />

des Centers, <strong>die</strong> Bedeutung der Geisteswissenschaften<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> politischen und gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen unserer Zeit augenfällig und verständlich<br />

zu machen; klassische Kompetenzen der<br />

Geisteswissenschaften werden mit zeitgenössischen<br />

Ansprüchen konfrontiert und verbunden.<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat <strong>für</strong> das auf zunächst<br />

vier Jahre angelegte Angebot insgesamt rund 1,3<br />

Millionen Euro bereitgestellt. cj<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 77


Kleben ohne Klebstoff<br />

In Laborgemeinschaft mit Geckos: Forscher aus<br />

Saarbrücken, Freiburg und Ludwigshafen auf der<br />

Suche nach klebstofffreien Haftsystemen<br />

Wie ein Gecko <strong>die</strong> Wände hochlaufen, ohne Haken und Ösen zu nutzen, ist<br />

eine Vorstellung, <strong>die</strong> vor allem in Comic-Heften mit Leben gefüllt wird. Aber<br />

nicht in der <strong>Wissenschaft</strong> – oder doch? Wer offen ist <strong>für</strong> außergewöhnliche<br />

Herausforderungen, wagt sich auch an solche Themen, wie Forscher aus<br />

Saarbrücken, Freiburg und Ludwigshafen beweisen. Allerdings verfolgen <strong>die</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler nicht das Ziel, <strong>die</strong> Wände hochzugehen; sie wollen klebstofffreie<br />

Haftsysteme <strong>für</strong> Hochtechnologie und Medizintechnik entwickeln.<br />

Elmar Kroner ist von Kopf bis Fuß in einen blauen Kunststoff-Overall gehüllt.<br />

Langsam legt er eine runde, schillernde Siliziumscheibe unter ein Belichtungsgerät,<br />

das aussieht wie ein Mikroskop mit Anbauten. Er blickt durch <strong>die</strong> Okulare<br />

und bringt <strong>die</strong> Scheibe vorsichtig in <strong>die</strong> richtige Position. Der Reinraum,<br />

in dem er gerade arbeitet, ist in gelbes Licht getaucht; <strong>die</strong>se Be leuchtung verhindert,<br />

dass das Werk der vergangenen Stunden zerstört wird – denn den<br />

Silizium-Wafer hat Kroner vorher mit einem empfindlichen Fotolack beschichtet.<br />

Ein Knopfdruck, und das Belichtungsgerät brennt eine mikrometerfeine<br />

Struktur in <strong>die</strong>sen Lack: das Negativ eines Geckofußes. Der junge Forscher<br />

am INM Leibniz-Institut <strong>für</strong> Neue Materialien in Saarbrücken gehört zu einem<br />

von der Stiftung mit 800.000 Euro geförderten interdiszi plinären Team, das<br />

sich <strong>die</strong> Herstellung klebstofffreier Haftsysteme zum Ziel gesetzt hat.<br />

Vorbild <strong>für</strong> den klebstofffreien Kleber sind Geckofüße, denn Geckos verfügen<br />

über eine beeindruckende Haftkraft. Sie laufen problemlos kopfüber<br />

sogar auf der Unterseite einer Glasscheibe entlang und könnten dabei bis<br />

zu 100 Kilogramm Gewicht tragen – natürlich rein theoretisch, denn kein<br />

Forscher würde <strong>die</strong> Tiere mit solch einem Gewicht behängen. Diese enorme<br />

Haftkraft wollen Forscher des INM in Saarbrücken, des Fraunhofer-Institutes<br />

<strong>für</strong> Solare Energiesysteme in Freiburg und der BASF in Ludwigshafen <strong>für</strong><br />

Menschen nutzbar machen. „Natürlich sind starke Klebeverbindungen an<br />

sich nichts Neues“, erklärt der Projektleiter Professor Dr. Eduard Arzt vom<br />

INM. „Das Besondere an den Haftmaterialien nach dem Geckovorbild aber<br />

ist, dass sie extrem stark haften, sich jedoch auch einfach wieder lösen lassen<br />

– und vor allem nach dem Ablösen keine Spuren zurückbleiben.“ Hat der<br />

Gecko <strong>die</strong> Glasscheibe wieder verlassen, ist es, als wäre er nie dort gewesen.<br />

„Am Anfang unserer Arbeit ähnelte unser Institut mehr einem Zoo“, erinnert<br />

sich Arzt. Denn um das Prinzip <strong>die</strong>ser enormen natürlichen Adhäsionskraft<br />

Dem Vorbild Natur technisch nacheifern:<br />

Ein Forscherteam aus Saarbrücken, Freiburg<br />

und Ludwigshafen orientiert sich an der<br />

außergewöhnlichen Struktur und Haftkraft<br />

von Geckofüßen (Bild oben). Diplomingenieur<br />

Elmar Kroner (links) vom INM Leibniz-Institut<br />

<strong>für</strong> Neue Materialien in Saarbrücken hält <strong>die</strong><br />

in eine Silikonscheibe gebrannte künstliche<br />

Version eines Geckofußes in der Hand. Ziel der<br />

Forschung sind klebstofffreie Haftsysteme <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Hochtechnologie und <strong>die</strong> Medizintechnik.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 79


80<br />

Die Haftkraft der Füße eines Geckos ist<br />

enorm (im Bild auf S. 79 ein von der Unterseite<br />

einer Glasscheibe aufgenommenes Tier).<br />

Milliarden feinster Härchen binden einzeln<br />

schwach, in der Summe jedoch stark an <strong>die</strong><br />

Oberfläche des Untergrundes. Das Forscherteam<br />

nutzt <strong>die</strong>ses Prinzip <strong>für</strong> seine künstlichen<br />

Haftsysteme. Hier prüft Elmar Kroner<br />

vom INM in Saarbrücken im Reinraum eine<br />

Siliziumscheibe zunächst auf Staubfreiheit<br />

(Bild oben) und trägt dann eine Schicht empfindlichen<br />

Fotolack auf (Bild unten). In einem<br />

weiteren Arbeitsschritt brennt ein Belichtungsgerät<br />

das Negativ einer mikrometerfeinen<br />

Haftfläche in den Lack, das später mit<br />

einem Silikonfilm übergossen wird: Fertig<br />

ist das Silikonpositiv eines Haftsystems.<br />

zu verstehen, mussten <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler erst einmal <strong>die</strong> Füße der Geckos<br />

genau untersuchen. Betäubt und auf dem Rücken unter einem Mikroskop<br />

liegend, haben <strong>die</strong> Geckos ihr Geheimnis verraten: Aus Milliarden feinster<br />

Härchen besteht <strong>die</strong> scheinbar glatte Unterseite ihrer Füße. Mit nur 200<br />

Nanometer dünnen Keratinfasern, zweihundert Mal so dünn wie ein menschliches<br />

Haar, binden sie locker über sehr schwache Oberflächenkräfte – <strong>die</strong> so -<br />

genannten Van-der-Waals-Kräfte – an den Untergrund. Jede einzelne <strong>die</strong>ser<br />

Bindungen wäre kaum messbar, gemeinsam erreichen sie jedoch eine sehr<br />

starke und vor allem reversible Haftkraft. Aber nicht nur Größe und Anzahl<br />

der Härchen sind entscheidend, sondern auch der Winkel, mit dem sie auf <strong>die</strong><br />

Oberfläche aufkommen, ihre Form und <strong>die</strong> Feuchtigkeit der Oberfläche. Sogar<br />

selbstreinigend sind <strong>die</strong> Füße. Ein weiterer wichtiger Faktor ist <strong>die</strong> Körperspannung<br />

des Geckos. So wie wir mit unseren zehn Fingern nur dann einen<br />

Ball fangen können, wenn wir <strong>die</strong> Finger anspannen, müssen auch Geckos<br />

ihre Haltevorrichtung aktiv steuern. „Wenn sie abgelenkt sind – etwa bei der<br />

Paarung – fallen sie auch schon mal von der Wand“, hat Arzt beobachtet.<br />

Das „System Gecko“ ist optimiert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lebensbedingungen <strong>die</strong>ser Reptilien,<br />

und sogar innerhalb der Tierfamilie gibt es noch Unterschiede in den Strukturen<br />

an den Füßen. Ziel der <strong>Wissenschaft</strong>ler kann es also nicht sein, einfach<br />

<strong>die</strong> Füße der Geckos nachzubauen. Vielmehr gilt es, das Prinzip nachzuempfinden<br />

und <strong>für</strong> verschiedene Haftaufgaben passgenaue Haftsysteme zu entwickeln.<br />

Das können beispielsweise Systeme sein, <strong>die</strong> sich zwar abziehen,<br />

aber nicht abheben lassen – und umgekehrt. Oder solche, deren Haftfähigkeit<br />

sich steuern lässt: <strong>die</strong> zum Beispiel erst bei bestimmten Temperaturen haften.<br />

Eine konkrete Anwendung wären Reparaturpads <strong>für</strong> Trommelfellverletzungen,<br />

<strong>die</strong> sich leicht im Ohr positionieren lassen, <strong>die</strong> aber ihre Hafthärchen<br />

erst aufstellen und dann kleben, wenn sie Körpertemperatur erreicht haben.<br />

Elmar Kroner hat inzwischen den Reinraum verlassen und den blauen Overall<br />

abgestreift. Er bewegt sich wieder in Normalgeschwindigkeit. In <strong>die</strong> Siliziumscheibe<br />

hat er das Muster eines Haftsystems geätzt. Bei <strong>die</strong>sem Exemplar<br />

sind <strong>die</strong> winzigen Hohlräume rechteckig, ragen in einem leichten Winkel in<br />

den Siliziumkristall und enden in einer Rundung. Es ist eine von vielen Geometrien,<br />

<strong>die</strong> der <strong>Wissenschaft</strong>ler auf ihre Hafteigenschaften testet. Die Geometrien<br />

sehen unter dem Mikroskop meist völlig anders aus als bei den<br />

lebenden Geckos, nur <strong>die</strong> hohe Dichte der Fasern haben <strong>die</strong> Geckofüße und<br />

ihre Nachbauten gemeinsam. Mit <strong>die</strong>sem Silizium-Negativ geht Kroner nun<br />

in sein chemisches Labor und übergießt <strong>die</strong> Platte mit einer Flüssigkeit, <strong>die</strong><br />

zu einem farblosen, flexiblen Silikonfilm aushärtet. Diesen zieht er ab, und<br />

prompt hält er ein kleines, labberiges Stück Silikonfilm in der Hand.<br />

„Dass sich auf solchen Silikonfilmen ein Geckomuster befindet, ist mit dem<br />

bloßen Auge nicht zu erkennen“, erklärt Arzt. Nur im Gegenlicht zeigt sich,<br />

dass <strong>die</strong> Oberfläche nicht glatt ist. „Die Seite mit der Geckostruktur schillert<br />

in unterschiedlichen Farben. Sie reflektiert das Licht nicht, <strong>die</strong> glatte Rückseite<br />

hingegen schon!“ Unter den unzähligen Geometrien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler


am INM errechnet, geätzt und in Silikon gegossen haben, sind sehr vielversprechende<br />

Exemplare. Einige derart vielversprechend, dass <strong>die</strong> Saarbrücker<br />

bereits zahlreiche Industrieanfragen nach Machbarkeitsstu<strong>die</strong>n abarbeiten.<br />

Für Anwendungen, <strong>die</strong> über Klebetests im Labor hinausgehen, sind allerdings<br />

<strong>die</strong> Silikone, mit denen <strong>die</strong> Forscher am INM arbeiten, ungeeignet. Zu weich, zu<br />

elastisch, zu aufwändig in der Herstellung; sie kommen damit <strong>für</strong> eine industrielle<br />

Fertigung nicht infrage. „Für den praxistauglichen Einsatz müssen <strong>die</strong><br />

Haftsysteme aus belastbareren Polymeren bestehen“, erläutert Projektpartner<br />

Dr. Dieter Urban, verantwortlich <strong>für</strong> Klebrohstoffe in der Polymerforschung<br />

bei der BASF. Dort arbeiten <strong>die</strong> Spezialisten <strong>für</strong> Polymere an Mischungen, <strong>die</strong><br />

flexible und haltbare Materialien liefern – <strong>die</strong> sich aber gleichzeitig auch in<br />

<strong>die</strong> feinen, nur 200 Nanometer breiten Kanäle der Gussform einarbeiten lassen.<br />

„Unser Beitrag zum Projekt ist <strong>die</strong> Bereitstellung passender Polymersysteme“,<br />

umreißt Urban seine Rolle als Industriepartner. „Was uns an einem<br />

solchen interdisziplinären Forschungsprojekt inspiriert, ist <strong>die</strong> Idee, einen<br />

Haftklebstoff herzustellen, der sich nicht plastisch verformt und beim Lösen<br />

keine Spuren hinterlässt – weder als Klebstoffrest noch in Form von Schmerzen<br />

etwa beim Abziehen eines Pflasters.“ Die Härchen herstellen werden<br />

dann andere. „Wir suchen nach dem Material, das <strong>die</strong> richtige Kombination<br />

aus Steifigkeit und Elastizität hat“, fasst Urban zusammen.<br />

Unterdessen drückt Elmar Kroner seinen neuesten Silikon-Haftstreifen auf<br />

eine Glaskugel und zieht ihn kurze Zeit später langsam wieder ab. Dabei<br />

messen Sensoren auf der Kugel <strong>die</strong> Kräfte, <strong>die</strong> er aufbringen muss. Die liegen<br />

– umgerechnet in Gewichtskräfte – zwischen einem Milligramm bis 100<br />

Gramm. Über <strong>die</strong>se Werte kann er <strong>die</strong> Streifen charakterisieren und geeig -<br />

nete von weniger geeigneten unterscheiden. Dieser spezielle Silikonstreifen<br />

kann in Zukunft vielleicht einem Menschen helfen, steile Hänge zu erklimmen.<br />

In der Tat arbeiten <strong>die</strong> Forscher derzeit an Sohlen <strong>für</strong> Kletterschuhe. Im<br />

Gegensatz zu den ursprünglich geplanten Anwendungen wie Klebeflächen,<br />

mit denen High-End-Roboter winzige Mikrochips in Reinräumen transpor tie ren,<br />

ist ein Kletterschuh ein Billigprodukt – ein nicht zu unterschätzender Faktor.<br />

Mit dem Kostenargument kommt dann auch der dritte Partner in <strong>die</strong>sem<br />

Projekt ins Spiel. „Unsere Kooperation mit dem Fraunhofer ISE ist ein Beispiel<br />

da<strong>für</strong>, wie <strong>Wissenschaft</strong> im Optimalfall funktionieren kann“, betont Arzt. Denn<br />

<strong>die</strong> Freiburger suchen nach Wegen, wie sich Negative <strong>für</strong> Geckofolien einfacher<br />

und damit vor allem kostengünstiger herstellen lassen als auf Silizium-Wafern.<br />

Um einen Gecko-Kletterschuh auf den Markt zu bringen oder ein Pflaster, das<br />

beim Abreißen nicht mehr ziept, müssen <strong>die</strong> Folien in großen Mengen und<br />

breiten Formaten gegossen werden. „Und besonders <strong>die</strong>se Herausforderung,<br />

vom Geckofuß unter dem Mikroskop zu einem massentauglichen Produkt zu<br />

gelangen, macht den Reiz unserer gemeinschaftlichen Arbeit aus“, resümiert<br />

Arzt. Für ihn und seine Kollegen ein wirklich außergewöhnliches Vorhaben.<br />

Jo Schilling<br />

Das Saarbrücker Team vor dem Eingang des<br />

INM Leibniz-Instituts <strong>für</strong> Neue Materialien<br />

(von links): Dipl.-Ing. Graciela Castellanos,<br />

Dr. Baptiste Girault, Joachim Blau, Dadhichi<br />

Paretkar, Dipl.-Ing. Andreas Schneider, Dr.<br />

Marleen Kampermann, Projektleiter Professor<br />

Dr. Eduard Arzt, Dipl.-Ing. Elmar Kroner.<br />

Die Forscher um Professor Arzt kooperieren<br />

eng mit Kollegen vom Fraunhofer-Institut<br />

<strong>für</strong> Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg<br />

und von der BASF in Lud wigshafen.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 81


Die Organisation der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Dank ihres eigenen Vermögens ist <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> wirtschaftlich selbstständig und in ihren<br />

Entscheidungen autonom. Mit der Verwendung der Erträge aus der Anlage ihres Stiftungskapitals<br />

verfolgt sie neben der Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebes vor allem zwei Ziele: Einerseits<br />

gilt es, <strong>die</strong> Förderung der wissenschaftlichen Vorhaben kontinuierlich sicherzustellen, zum<br />

anderen muss das Stiftungskapital in seiner Werthaltigkeit erhalten bleiben.<br />

So steht neben der steten Herausforderung, neue Förderinitiativen vorzubereiten, Anträge auf<br />

Förderung zu bearbeiten, Antragsteller zu beraten sowie bewilligte Vorhaben zu begleiten auch,<br />

dass notwendige Investi tionsentscheidungen in der Vermögensverwaltung zu treffen sind, <strong>die</strong><br />

Ertragsentwicklung und <strong>die</strong> Ertragsverwendung zu steuern und <strong>die</strong> bestimmungsgemäße Ver -<br />

wendung der Mittel zu prüfen sind. Ein zentrales Element der Vermögensbewirtschaftung ist es,<br />

<strong>die</strong> Substanzerhaltung des Stiftungsvermögens durch sachgerechte Rück lagenbildung im Rahmen<br />

der steuerlichen Möglichkeiten zu gewährleisten, um so <strong>die</strong> Förderkraft des Stiftungsvermögens<br />

auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft sicherzustellen.<br />

Die gestaltenden Aufgaben und <strong>die</strong> mit ihnen verbundenen Handlungsfreiräume bedürfen freilich<br />

zugleich eines effizienten internen und externen Kontrollsystems. Dies gewährleistet <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

zum einen dadurch, dass sie über eine klare Funktionstrennung der einzelnen Organisationseinheiten<br />

hinaus ein zeitgemäßes Risikocontrolling eingeführt hat. Zum anderen lässt sie<br />

sich durch externe Experten begleiten und beraten. Das gilt sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> Vorbereitung, fachliche<br />

Beurteilung und Betreuung der Förderinitiativen als auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verwaltungs- und Kontrollauf -<br />

gaben in der Vermögensbewirtschaftung.<br />

Über <strong>die</strong>se zentralen Bereiche der Stiftung, <strong>die</strong> Vermögensanlage und das Handling von Finanzen<br />

und Verwaltung, erfahren Sie mehr auf den folgenden Seiten.


84<br />

Vermögensanlage<br />

Die Anlage des Vermögens ist darauf ausgerichtet,<br />

den realen Wert des Stiftungskapitals zu erhalten<br />

und zugleich Erträge in einer Höhe zu erwirtschaften,<br />

<strong>die</strong> es ermöglicht, Fördermittel auf einem<br />

möglichst stetig hohen Niveau der <strong>Wissenschaft</strong><br />

zur Verfügung stellen zu können. Um <strong>die</strong>se Ziele<br />

zu erreichen, be<strong>die</strong>nt sich das Anlage management<br />

der Stiftung einer breit diversifizierten Streuung<br />

von Anlagen innerhalb der vier Kernsegmente<br />

Aktien, Verzinsliche Wertpapiere, Immobilien und<br />

Alternative Investments. Die Portfoliotheorie des<br />

Nobelpreisträgers Harry Markowitz bildet hier<strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> theoretische Grundlage. Bei der Anlage ihres<br />

Kapitals berücksichtigt <strong>die</strong> Stiftung zudem Aspekte<br />

der Nachhaltigkeit.<br />

Aktien<br />

Aktien sind genau genommen Beteiligungen an<br />

Wirtschaftsunternehmen. Die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

hält jedoch Aktien nicht in ihrem Bestand,<br />

um als Anteilseigner wirtschaftlichen Einfluss auf<br />

Länderbezogene Aufteilung der<br />

Aktienanlage (Stand Dezember 2009)<br />

Spanien<br />

7,9%<br />

Italien<br />

7,7%<br />

USA<br />

13,0%<br />

Japan<br />

3,1%<br />

<strong>die</strong> Unternehmensführung zu nehmen, denn als<br />

gemeinnützig anerkannte und von der Steuerpflicht<br />

befreite Institution ist ihr jede gewerbliche<br />

Tätigkeit untersagt. Der Grund liegt vielmehr im<br />

langfristig zu erwartenden Wertzuwachs <strong>die</strong>ser<br />

Beteiligungen, welcher dem Inflationsschutz <strong>die</strong>nen<br />

und maßgeblich zum gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Erhalt des Stiftungsvermögens beitragen<br />

soll. Darüber hinaus gibt es bei der Aktienanlage<br />

noch <strong>die</strong> Komponente des laufenden Ertrags, der<br />

dem Investor in Form von Dividenden zufließt.<br />

Die Aktienanlagen der Stiftung sind breit gestreut.<br />

Im Direktbestand befinden sich Aktien aus den<br />

Ländern des europäischen Währungsraums, wobei<br />

ein Portfolio eng am Eurostoxx 50 ausgerichtet ist:<br />

einem Index, in dem <strong>die</strong> nach ihrer Marktkapita -<br />

lisierung fünfzig größten Unternehmen der Euro-<br />

Teilnehmerländer vertreten sind. Ein anderes<br />

Portfolio wurde schwerpunktmäßig unter Renditegesichtspunkten<br />

aufgelegt – es enthält <strong>die</strong> zehn<br />

Aktien aus Eurostoxx 50 und DAX (Deutscher<br />

Aktienindex) mit der höchsten Dividendenrendite.<br />

Niederlande<br />

2,5%<br />

Europa ex Euroland<br />

13,4%<br />

Belgien<br />

1,0%<br />

Finnland<br />

1,0%<br />

Luxemburg<br />

0,7%<br />

Irland<br />

0,4%<br />

Südostasien<br />

14,6%<br />

Deutschland<br />

18,2%<br />

Frankreich<br />

16,5%


Darüber hinaus ist <strong>die</strong> Stiftung auch in Ländern<br />

außerhalb des Euroraums investiert: in Großbritannien,<br />

der Schweiz, den USA sowie in Japan und<br />

weiteren Ländern des asiatischen Raums. Hier<strong>für</strong><br />

hat <strong>die</strong> Stiftung Spezialfonds aufgelegt und externe<br />

Mandate an Fondsmanager vergeben. Jedem<br />

<strong>die</strong>ser Portfolios ist ein spezieller Benchmarkindex<br />

zugeordnet, der <strong>die</strong> Marktentwicklung in dem<br />

jeweiligen Land gut und leicht nachvollziehbar<br />

repräsentiert. Aufgabe des Fondsmanagements ist<br />

es, <strong>die</strong>sen Index in seiner Struktur abzubilden und<br />

somit dessen Performance zu erreichen. Für den<br />

eigenverwalteten Bestand ebenso wie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Spezialfonds<br />

wurde also jeweils der sogenannte passive<br />

Managementansatz gewählt. Damit strebt<br />

<strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> in erster Linie an, in den<br />

ausgewählten Märkten präsent zu sein und von<br />

deren niedriger Korrelation zueinander wie auch<br />

zu den anderen Anlagen der Stiftung zu profitieren,<br />

um so eine Risikoreduktion innerhalb des<br />

Aktien- und Gesamtportfolios zu erreichen.<br />

Diese Strategie hat sich in der durch Kursverluste<br />

geprägten Zeit von Ende 2007 bis Anfang 2009<br />

bewährt. Die Stiftung hat sich während der Krise<br />

nicht von ihren Aktienanlagen getrennt – verlustreiche<br />

Verkäufe wurden so vermieden, und das<br />

Aktieninvestment konnte vom Kursaufschwung<br />

im Verlauf des Jahres 2009 erheblich profitieren.<br />

Verzinsliche Wertpapiere<br />

An den Märkten <strong>für</strong> verzinsliche Wertpapiere hat<br />

sich <strong>die</strong> Situation grundlegend geändert. Bis zur<br />

Mitte des Jahres 2008 wurde von der Europäischen<br />

Zentralbank vor dem Hintergrund freund -<br />

licher Konjunkturindikatoren und – insbesondere<br />

im Rohstoffbereich – höherer Inflationsraten<br />

durch eine Serie von Leitzinsanhebungen eine<br />

geldpolitische Verknappung vollzogen. Das durch<br />

<strong>die</strong> Leitzinsanhebungen bewirkte Anziehen des<br />

allgemeinen Zinsniveaus fand mit dem Ausbruch<br />

der Finanzkrise ein abruptes Ende. Angesichts der<br />

gedämpften Konjunkturaussichten hat das Thema<br />

Inflation momentan an Bedeutung verloren. Das<br />

Öffentliche<br />

Anleihen und Agencies<br />

(Ausland)<br />

15,3%<br />

Öffentliche<br />

Anleihen und Agencies<br />

(Inland)<br />

36,3%<br />

Liquidität<br />

1,1%<br />

Genüsse<br />

5,6%<br />

Nachränge<br />

3,4%<br />

Öffentliche Anleihen<br />

EU-Beitrittsländer<br />

1,9%<br />

Aufteilung der selbst verwalteten Zinstitel (Stand Dezember 2009)<br />

eröffnete den Notenbanken neuen Spielraum,<br />

den Auswirkungen der Finanzkrise mit massiven<br />

Leitzinssenkungen entgegen zu treten. Das wieder<br />

gesunkene Zinsniveau führte insbesondere<br />

bei kurzen und mittleren Laufzeiten zu erheblich<br />

niedrigeren Anlagesätzen. Trotz der inzwischen<br />

verbesserten konjunkturellen Aussichten wird an<br />

den Anleihemärkten davon ausgegangen, dass <strong>die</strong><br />

Niedrigzinsphase noch einige Zeit anhalten wird.<br />

Der überwiegende Teil der verzinslichen Wertpapiere<br />

wird von der Stiftung selbst verwaltet, ein<br />

weiterer Teil von zwei Spezialfonds. Wichtigstes<br />

Anlageziel bei den verzinslichen Wertpapieren ist<br />

es, hohe und konstante ordentliche Erträge <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Finanzierung der zu fördernden Vorhaben zu<br />

erwirtschaften. Durch Vermögensumschichtungen<br />

werden auch Kursgewinne realisiert, doch<br />

kommt <strong>die</strong>sen bei den Anleihen eine untergeordnete<br />

Bedeutung zu. Die Anlageergebnisse werden,<br />

um sie beurteilen zu können, mit einer Benchmark<br />

verglichen. In Anlehnung an <strong>die</strong>se Benchmark<br />

setzt sich der Bestand an Anleihen hauptsächlich<br />

aus Pfandbriefen und Staatsanleihen<br />

zusammen, denen Unternehmensanleihen, Nachrangtitel<br />

und Genussscheine beigemischt werden.<br />

Durch <strong>die</strong> Beimischung sinkt das als Volatilität<br />

ausgedrückte Gesamtrisiko bei gleichzeitiger<br />

Erhöhung der Rendite.<br />

Einer der beiden Spezialfonds enthält britische,<br />

kanadische und australische Staatsanleihen in<br />

der jeweiligen Landeswährung sowie Euro-Unter-<br />

Unternehmensanleihen<br />

7,7%<br />

Pfandbriefe/<br />

Covered Bonds<br />

28,7%<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 85


86<br />

nehmensanleihen, der andere auf US-Dollar lautende<br />

amerikanische Staatsanleihen. Diese Zinsund<br />

Währungsmärkte werden oft von Kriterien<br />

bestimmt, <strong>die</strong> sich von denen des Euroraums<br />

unterscheiden – zum Beispiel durch eine andere<br />

Phase im Konjunkturverlauf (USA, Großbritannien)<br />

oder durch <strong>die</strong> Fokussierung auf Rohstoffmärkte<br />

(Kanada, Australien). Durch <strong>die</strong> weltweite<br />

Streuung wird das Gesamtrisiko der Anleihen<br />

weiter verringert. Zudem ist das Zinsniveau in<br />

<strong>die</strong>sen Ländern üblicherweise höher als im Euroraum.<br />

Zum Anleihenbereich gehört auch das Cash<br />

Management. Das Cash Management hat <strong>die</strong><br />

Aufgabe, alle Zahlungsvorgänge zu koordinieren,<br />

benötigte Liquidität zur Verfügung zu stellen und<br />

überschüssige Liquidität anzulegen. Die Anlage<br />

erfolgt hauptsächlich in Form von Tages- und<br />

Termingeldern.<br />

Positionen der Renten-Spezialfonds<br />

(Stand Dezember 2009)<br />

Immobilien<br />

Euro-Unternehmensanleihen<br />

20,5%<br />

Britische<br />

Staatsanleihen<br />

18,9%<br />

Zur Umsetzung des Leitmotivs der Risikodiversi -<br />

fizierung investiert <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> seit<br />

vielen Jahren nicht nur in Aktien und Rententiteln,<br />

sondern auch in Immobilienanlagen. Durch<br />

sie werden mehrere Ziele erreicht: Langfristig<br />

<strong>die</strong>nen Immobilien dem Inflationsschutz und<br />

damit der Erhaltung des Stiftungskapitals, darüber<br />

hinaus werden über <strong>die</strong> Erwirtschaftung von<br />

Mietertragsüberschüssen aber auch Fördermittel<br />

bereitgestellt.<br />

Kanadische<br />

Staatsanleihen<br />

9,6%<br />

Die durch <strong>die</strong> Finanzkrise verursachten Verwerfungen<br />

haben sich im Jahr 2009 auch auf <strong>die</strong><br />

deutschen und europäischen Büroimmobilienmärkte<br />

ausgewirkt: Dies betraf vor allem <strong>die</strong> Entwicklung<br />

der Marktmieten und <strong>die</strong> Nachfrage<br />

nach Büroflächen. Aufgrund der vorliegenden<br />

Diversifizierung in Gewerbe- und Wohnanlagen<br />

hielten sich <strong>die</strong> Effekte auf das Stiftungsportfolio<br />

allerdings in Grenzen.<br />

Die Vermögensverwaltung betreut zurzeit einen<br />

Immobilienbestand von 419 Millionen Euro<br />

(Stand Dezember 2009). Dies entspricht einem<br />

Anteil von 15,4 Prozent am Gesamtvermögen der<br />

Stiftung.<br />

Das Diversifizierungsziel ist auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anlagepolitik<br />

innerhalb des Immobiliensegments entscheidend.<br />

Neben den deutschen Objekten wird<br />

daher seit einigen Jahren auch ein Bestand an<br />

Liquidität<br />

6,9%<br />

Australische<br />

Staatsanleihen<br />

10,4%<br />

US-Staatsanleihen<br />

33,7%<br />

europäischen Büroimmobilien aufgebaut. Die<br />

geografische Streuung innerhalb des Immobi -<br />

lienbereichs soll in den kommenden Jahren ausgeweitet<br />

werden.<br />

Die in Europa gelegenen Objekte werden über<br />

einen Immobilien-Spezialfonds gehalten. Sein<br />

Anteil am gesamten Immobilienbestand liegt<br />

bei 36 Prozent. Bisher erfolgten Investitionen in<br />

den Niederlanden, in Frankreich und Belgien.


Belgien<br />

5,3%<br />

Frankreich<br />

11,5%<br />

Niederlande<br />

18,7%<br />

Immobilienanlagen nach Ländern (Stand Dezember 2009)<br />

Den mit 64 Prozent größten Anteil der Immobilien -<br />

anlagen halten Tochtergesellschaften der Stiftung,<br />

<strong>die</strong> extern verwaltet und von der Vermögensverwaltung<br />

der Stiftung betreut und kontrolliert<br />

werden. Der Anlageschwerpunkt liegt hier bei<br />

Wohn- und Geschäftshäusern in Deutschland.<br />

Darüber hinaus gibt es auch zwei Institutsgebäude<br />

in Washington und London, <strong>die</strong> an deutsche<br />

Wis senschaftsorganisationen vermietet sind.<br />

Über eine der Vermögensverwaltungsgesellschaften<br />

erfolgt auch der Wiederaufbau des Schlosses<br />

Herrenhausen in Hannover. Nach dem jetzigen<br />

Stand der Planungen soll das klassizistische Laves-<br />

Schloss bis Ende 2012 in seiner historischen Gestalt<br />

wiedererrichtet werden. Im Innern wird es eine<br />

moderne Nutzung geben: Der Großteil der Flächen<br />

wird als internationales Tagungszentrum an einen<br />

externen Betreiber vermietet, <strong>die</strong> Seitenflügel wurden<br />

von der Landeshauptstadt Hannover angemietet,<br />

<strong>die</strong> dort Museumsflächen einrichten wird.<br />

Alternative Investments<br />

Deutschland<br />

57,4%<br />

Großbritannien<br />

4,9%<br />

USA<br />

2,1%<br />

Etwa 6,5 Prozent ihres Vermögens hat <strong>die</strong> Stiftung<br />

in Alternative Investments (Private Equity und<br />

Hedge Fonds) angelegt. Mit <strong>die</strong>sen Anlagen wird<br />

in erster Linie das Ziel verfolgt, <strong>die</strong> Wertschwankungen<br />

des Gesamtportfolios weiter zu reduzieren,<br />

da sie zu den herkömmlichen Asset-Klassen<br />

nur eine geringe Korrelation aufweisen. Im Übrigen<br />

sollen <strong>die</strong> Alternative Investments einen<br />

wichtigen Beitrag leisten zur realen Erhaltung<br />

des Stiftungskapitals.<br />

Aufgelegt wurde ein Multi-Strategy-Dachhedgefonds<br />

unter Ausschluss von Fonds, <strong>die</strong> Distressed-<br />

Strategien verfolgen. Im Private-Equity-Bereich<br />

wurden zwei Zertifikate erworben, über <strong>die</strong> in<br />

ein Buyout- beziehungsweise ein Secondaries-<br />

Programm investiert wurde.<br />

Vermögensbeirat<br />

Über <strong>die</strong> unerlässliche Prüfung der Jahresrechnung<br />

durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

hinaus hat <strong>die</strong> Stiftung bereits Ende der 1980er<br />

Jahre einen Vermögensbeirat eingerichtet, der aus<br />

hochrangigen Vertretern der Wirtschaft besteht<br />

und <strong>die</strong> Stiftung sowohl bei der Entwicklung ihrer<br />

Anlagestrategie als auch bei der Bewertung der<br />

Ergebnisse ihrer Anlagepolitik berät.<br />

Der Vermögensbeirat<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Professor Dr. h. c. mult. Martin Hellwig, Ph.D.,<br />

Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung<br />

von Gemeinschaftsgütern, Bonn<br />

Michael Bock, Mitglied des Vorstands der<br />

PROVINZIAL, Rheinland Versicherung AG,<br />

Düsseldorf<br />

Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt/Leiter<br />

Unternehmensentwicklung der Allianz<br />

Gruppe, München<br />

Dr. Hermann Küllmer, ehemaliges Mitglied<br />

des Vorstands der ALTANA Chemie AG,<br />

Bad Homburg v. d. Höhe<br />

Carola Gräfin von Schmettow, Mitglied des<br />

Vorstands der HSBC Trinkaus, Düsseldorf<br />

Stand Januar <strong>2010</strong><br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 87


88<br />

Finanzen und Verwaltung<br />

Die Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens und<br />

<strong>die</strong> Verwendung der Erträge erfordern professionelles<br />

Management. Bei einem bilanzierten Stiftungsvermögen<br />

von rund 2,1 Milliarden Euro und<br />

Jahreserträgen von zuletzt rund 164 Millionen Euro<br />

kommt den Aufgaben rund um „Finanzen und<br />

Administration“ eine entsprechende Bedeutung<br />

zu. Dies wird geleistet von 32 Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern, welche gleichzeitig <strong>die</strong> <strong>für</strong> eine<br />

optimale Erfüllung des Stiftungszwecks benötigte<br />

Infrastruktur und <strong>die</strong> Service ein heiten bereitstellen.<br />

Die Abteilung Finanzen und Verwaltung versteht<br />

sich dabei als Dienstleister <strong>für</strong> ihre internen und<br />

externen „Kunden“.<br />

Dass in der Geschäftsstelle der Stiftung vieles reibungslos funktioniert:<br />

Auch darum kümmern sich <strong>die</strong> Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter der Abteilung Finanzen und Verwaltung.<br />

Finanz- und Rechnungswesen,<br />

Controlling<br />

Dieses Referat ist verantwortlich <strong>für</strong> alle Bereiche<br />

des Rechnungswesens der Stiftung. Basierend<br />

auf den in der Finanzbuchhaltung abgebildeten<br />

Geschäftsvorfällen wird jeweils zum 31. Dezember<br />

<strong>die</strong> Jahresrechnung der Stiftung erstellt, <strong>die</strong> aus<br />

Bilanz und Ertragsrechnung besteht. Die Rechnungslegung<br />

erfolgt dabei nach den <strong>für</strong> alle Kaufleute<br />

geltenden handelsrechtlichen Vorschriften.<br />

Satzungsgemäß prüft alljährlich eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

<strong>die</strong> Jahresrechnung. Des<br />

Weiteren wird <strong>die</strong> jährliche Kapitalerhaltungsrechnung<br />

der Stiftung aufgestellt. Sie beantwortet<br />

<strong>die</strong> Frage, inwieweit es der Stiftung gelungen ist,<br />

durch sachgerechte Rücklagenbildung sowie Ver -<br />

mögens anlage unter anderem in den Substanz wer -<br />

ten Aktien und Immobilien das Stiftungska pital in<br />

seinem realen Wert zu erhalten. Der dynamische<br />

Korridor ermöglicht eine sorgfältige Ausbalancierung<br />

von Dotierung der Fördermittel einerseits<br />

und Rück lagenbildung zur Kapitalerhaltung<br />

andererseits.<br />

Die Stiftung verfügt in ihrer Planungsrechnung mit<br />

den Instrumenten der rollierenden fünfjährigen<br />

Finanzplanung sowie des jährlichen Wirtschaftsplans<br />

über aussagekräftige Planungs- und Progno -<br />

seinstrumente. Zu den Kuratoriumssitzungen wird<br />

zudem eine Mitteldisposition erstellt, <strong>die</strong> – ausgehend<br />

von der Finanzplanung <strong>für</strong> das entsprechende<br />

Jahr – eine Bewilligungs planung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bereiche<br />

Allgemeine Fördermittel sowie Niedersächsisches<br />

Vorab darstellt.<br />

Ein weiteres Element des Rechnungswesens ist<br />

das unterjährige Berichtswesen. Geschäfts lei tung


und weitere Adressaten in der Stiftung erhalten<br />

mit den jeweiligen Mo natsberichten eine Übersicht<br />

über den jeweiligen Stand der Vermögensund<br />

Ertragslage, des Wirtschaftsplans, des Wertpapier-<br />

und des Förderbereichs. Schließlich zählt<br />

auch das Risikocontrolling einschließlich der<br />

Ab wicklung von Wertpapiergeschäften zu den<br />

Aufgaben des Referats. Damit ist eine klare Funktionstrennung<br />

zwischen Kontrahierung und<br />

Ab wicklung von Wertpapiergeschäften gewährleistet.<br />

Das Risikocontrolling berichtet dem Generalsekretär<br />

täglich und schriftlich unter anderem<br />

über den Grad der Ausnutzung bestehender Limits<br />

<strong>für</strong> Markt- und Emittentenrisiken einschließlich<br />

etwaiger derivativer Instrumente. Angesiedelt ist<br />

hier zudem <strong>die</strong> Interne Kontrolle: Alle von der Vermögensverwaltung<br />

vorgenom menen Geschäftsabschlüsse<br />

werden nach den Kriterien von Ordnungsmäßigkeit<br />

und Sicherheit überprüft.<br />

Im Rahmen des Zahlungsverkehrs wird sicher ge -<br />

stellt, dass <strong>die</strong> Verpflichtungen gegenüber Be willi -<br />

gungs em pfängern und Lieferanten der Volkswa -<br />

genStiftung fristgerecht erfüllt werden. In <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang werden auch <strong>die</strong> Fördermittelabrufe<br />

der Bewilligungsempfänger auf ihre Be rech -<br />

tigung in betragsmäßiger und zeitlicher Hinsicht<br />

geprüft.<br />

Personalwesen und Zentrale Dienste<br />

Für professionell agierende Mitarbeiterinnen und<br />

Mitar beiter attraktiv zu sein, ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

essenzielle Voraussetzung <strong>für</strong> eine<br />

optimale Zweck erfüllung. Die Aufgaben des Per -<br />

sonalwesens bestehen zum einen in der termin -<br />

gerechten und sachlich korrekten Abrechnung<br />

von Gehältern und Versorgungsbezügen, zum<br />

anderen ist es verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> laufende<br />

Personalverwaltung und -betreuung unter Beachtung<br />

arbeitsvertraglicher, gesetz licher und anderer<br />

Vorschriften. Es wirkt mit bei der Planung und<br />

Umsetzung all dessen, was im Hinblick auf eine<br />

leistungsfähige Mitarbeiterschaft erforderlich ist,<br />

und unterstützt <strong>die</strong> Geschäftsleitung in allen Per-<br />

sonalfragen – etwa bei der konzeptionellen Neugestaltung<br />

personalwirtschaftlicher Instrumente.<br />

Die Zentralen Dienste sind zuständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verwaltung<br />

und den Betrieb der Stiftung und sorgen<br />

dabei <strong>für</strong> <strong>die</strong> effiziente Bereitstellung der entsprechenden<br />

Infrastruktur der Geschäftsstelle. Hier<br />

finden sich das Beschaffungs wesen und viele<br />

Serviceeinrichtungen wie Empfang, Technische<br />

Dienste und Küche. So werden <strong>die</strong> praktischen<br />

Voraussetzungen <strong>für</strong> gut funktionierende und<br />

angenehme Arbeitstage geschaffen.<br />

Informations- und<br />

Kommunikationssysteme<br />

Moderne Informations- und Kommunikationssysteme<br />

sind ein unerlässlicher Bestandteil der Infrastruktur<br />

der Stiftung. Insgesamt 90 Terminals –<br />

sogenannte Thin Clients – haben Zugriff auf einen<br />

Großrechner, auf dem <strong>die</strong> von der Stiftung selbst<br />

entwickelte Förderverwaltung, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zwecke<br />

der Stiftung ebenfalls adaptierte und modifizierte<br />

Finanzbuchhaltung, <strong>die</strong> Vermögensverwaltung<br />

sowie <strong>die</strong> Gehalts abrech nung der Stiftung laufen.<br />

Neben dem EDV-gestützten Risikocontrolling<br />

wurden elektronische Wirtschafts- und Börseninformationssysteme<br />

eingerichtet und Kalkulationsund<br />

Bewertungsprogramme <strong>für</strong> Wertpapiertransaktionen<br />

bereitgestellt.<br />

Seit Einführung des elektronischen Dokumentenmanagements<br />

wird in <strong>die</strong>sem Referat neben der<br />

technischen Plattform <strong>für</strong> elektronische Akten<br />

auch das papiergebundene Archiv betreut.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 89


Die Ansprechpartner in der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Die derzeit gut 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Volks -<br />

wagenStiftung bereiten – organisatorisch untergliedert in vier<br />

Abteilungen und <strong>die</strong> Stabsstellen – <strong>die</strong> Beschlüsse des Kuratoriums<br />

vor und führen sie aus. Das Kuratorium verwaltet als Vorstand <strong>die</strong><br />

Stiftung und beschließt über <strong>die</strong> Vergabe der Fördermittel. Um<br />

über Anträge zu entscheiden, kommt es norma ler weise drei Mal<br />

jährlich zusammen; darüber hinaus gibt es zwischen den Sitzungen<br />

ein schriftliches Verfahren.<br />

Die Geschäftsführung der Stiftung obliegt dem vom Kuratorium<br />

bestellten Generalsekretär Dr. Wilhelm Krull – er entscheidet über<br />

Projekte innerhalb eines finanziell definierten Rahmens – und den<br />

vier weiteren Mitgliedern der Geschäftsleitung.<br />

Im Folgenden stellen sich Ihnen <strong>die</strong> Ansprechpartner der Stiftung<br />

mit ihren Aufgabengebieten kurz vor.


92<br />

Ihre Ansprechpartner in der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Dr. Wilhelm Krull<br />

Generalsekretär<br />

Stab<br />

Anja Stanitzke<br />

ist als Referentin im Büro des<br />

General se kre tärs zuständig <strong>für</strong><br />

Rechts an ge legen hei ten sowie <strong>die</strong><br />

Zu sam men ar beit mit Stiftungen<br />

und Verbänden.<br />

Antje Robrecht<br />

ist als Referentin im Büro des<br />

Gene ral sekretärs verantwortlich<br />

<strong>für</strong> Kuratoriumsangelegenheiten;<br />

sie koordiniert zudem <strong>die</strong> Zusammen<br />

arbeit mit <strong>Wissenschaft</strong>s -<br />

orga nisationen und Hochschulen.<br />

Dr. Uta Saß<br />

leitet das Referat Evaluation,<br />

Interne Revision und Verwendungs<br />

prüfung.<br />

Jens Rehländer<br />

leitet <strong>die</strong> Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Dr. Christian Jung<br />

ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

als Referent <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Standardpubli kationen verantwortlich.<br />

Katja Ebeling<br />

ist als Referentin verantwortlich<br />

<strong>für</strong> das Veranstaltungsmanagement.


Natur- und Ingenieurwissenschaften, Medizin<br />

Dr. Indra Willms-Hoff<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Dr. Ulrike Bischler<br />

ist zuständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Initiative<br />

„Neue konzeptionelle Ansätze<br />

zur Modellierung und Simula -<br />

tion komplexer Syste me“ so wie<br />

das Fachgebiet Physik.<br />

Dr. Franz Dettenwanger<br />

ist Referent <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förder ini tia -<br />

tive „Integration molekularer<br />

Komponenten in funktionale<br />

makroskopische Systeme“. Er<br />

wirkt mit beim „Niedersächsischen<br />

Vorab“ und betreut <strong>die</strong><br />

Fachgebiete Ingenieurwissenschaften<br />

und Mathematik.<br />

Dr. Anja Fließ<br />

ist Ansprech partnerin <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

„Lichtenberg-Professuren“ sowie<br />

verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Initiative<br />

„Hochschule der Zukunft“.<br />

Außerdem betreut sie <strong>die</strong> Fach -<br />

gebiete Chemie und Biochemie.<br />

Dr. Detlef Hanne<br />

betreut <strong>die</strong> Geowissenschaften<br />

und <strong>für</strong> seine Abteilung <strong>die</strong><br />

Um weltwissenschaften sowie<br />

<strong>die</strong> Förderini tia tive „Wissen <strong>für</strong><br />

morgen – Ko ope rative Forschungs<br />

vorhaben im sub-saha -<br />

rischen Afrika“. Darüber hinaus<br />

ist er An sprech part ner <strong>für</strong> Grund -<br />

satzfragen bei den „Symposien<br />

und Sommerschulen“.<br />

Dr. Henrike Hartmann<br />

ist Referentin <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachge bie te<br />

Biomedizin und Neurowissenschaften<br />

sowie verant wortlich<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Initiative „Evolutionsbiologie“.<br />

Sie wirkt mit bei der Förderini<br />

tiative „Wis sen schaft –<br />

Öffentlichkeit – Gesellschaft“<br />

und der „European Platform for<br />

Life Sciences, Mind Sciences, and<br />

the Humanities“.<br />

Dr. Matthias Nöllenburg<br />

betreut <strong>für</strong> seine Abteilung<br />

<strong>die</strong> Förderinitiativen „Zwischen<br />

Euro pa und Orient – Mittelasien/Kaukasus<br />

im Fokus der<br />

<strong>Wissenschaft</strong>“ und „Forschung<br />

in Museen“, zugleich <strong>die</strong> Fach -<br />

ge bie te Pflanzenbiologie und<br />

Zoologie.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 93


94<br />

Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Niedersächsisches Vorab<br />

Prof. Dr. Axel Horstmann<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Thomas Brunotte, M. Phil.<br />

betreut <strong>die</strong> Förderinitiativen<br />

„Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong><br />

ist mehrsprachig“ und „<strong>Wissenschaft</strong><br />

– Öffentlichkeit – Gesellschaft“<br />

sowie <strong>die</strong> „European<br />

Platform for Life Sciences, Mind<br />

Sciences, and the Humanities“.<br />

Seine Fachgebiete: Philosophie,<br />

Psychologie und Theologie.<br />

Prof. Dr. Hagen Hof<br />

ist verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> „Schum -<br />

peter-Fellowships“ und das „Nie -<br />

dersäch sische Vor ab“. Seine Fachgebiete:<br />

Rechtswissenschaften,<br />

Pä dago gik, Sozio logie, Architektur,<br />

Städtebau und Landes pla -<br />

nung sowie <strong>für</strong> seine Abteilung<br />

<strong>die</strong> Umweltwissenschaften.<br />

Dr. Wolfgang Levermann<br />

betreut <strong>für</strong> seine Abteilung<br />

<strong>die</strong> Förderinitiative „Zwischen<br />

Europa und Orient – Mittelasien/Kau<br />

kasus im Fokus der<br />

<strong>Wissenschaft</strong>“; außerdem ist er<br />

zu ständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachgebiete<br />

Geschichte und Geografie.<br />

Dr. Alfred Schmidt<br />

ist zuständig <strong>für</strong> „Zukunftsfragen<br />

der Gesellschaft – Analyse,<br />

Beratung und Kommunikation<br />

zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und<br />

Praxis“ und <strong>die</strong> im Rahmen<br />

<strong>die</strong>ser Initiative stattfindenden<br />

Ausschreibungen – sowie <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Fachgebiete Politikwissenschaft,<br />

Wirtschaftswissenschaften,<br />

Forst- und Agrar wissenschaften.<br />

Dr. Vera Szöllösi-Brenig<br />

betreut <strong>die</strong> Initiativen „Schlüs sel -<br />

themen der Geisteswissenschaften<br />

– Programm zur Förderung<br />

fachübergreifender und inter -<br />

nationaler Zu sam menarbeit“,<br />

„Pro Geis teswissenschaften“<br />

und „Doku men tation bedrohter<br />

Sprachen“. Ihre Fachgebiete sind<br />

Europä ische Sprachen und Litera -<br />

turen, Kunst- und Mu sik wis sen -<br />

schaft sowie Kommunikationsund<br />

Me<strong>die</strong>n wissenschaften.<br />

Dr. Adelheid Wessler<br />

betreut <strong>die</strong> Initiative „Forschung<br />

in Museen“, <strong>die</strong> „Fellowships <strong>für</strong><br />

Postdoktoranden und -doktoran -<br />

dinnen aus den Geistes wissen -<br />

schaften am Hu manities Center<br />

der Harvard University“ und<br />

<strong>für</strong> ihre Abteilung <strong>die</strong> Förder -<br />

ini tia ti ve „Wissen <strong>für</strong> mor gen –<br />

Kooperative Forschungsvorhaben<br />

im sub-saha rischen Afrika“. Ihre<br />

Fachgebie te sind Völkerkunde,<br />

Volkskun de, Alte und außer euro -<br />

päische Sprachen und Kulturen.


Finanzen und Verwaltung Vermögensverwaltung<br />

Henning Otto<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Sibylle Mitscherling<br />

verantwortet das Referat<br />

Finanz- und Rechnungswesen,<br />

Controlling.<br />

Christina Fallnacker<br />

leitet das Referat Personal wesen<br />

und Zentrale Dienste.<br />

Michael Maaß<br />

ist zuständig <strong>für</strong> das Referat<br />

Informations- und Kommu -<br />

nikationssysteme.<br />

Dieter Lehmann<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Carolin Bensch<br />

ist <strong>für</strong> das Referat Aktien<br />

zuständig.<br />

Dr. Andreas Bodemer<br />

betreut das Referat<br />

Verzinsliche Wertpapiere,<br />

Cashmanagement.<br />

Dr. Martina Pörschke<br />

ist zuständig <strong>für</strong> das Referat<br />

Immobilien.<br />

<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 95


96<br />

Das Kuratorium<br />

Den Vorstand der Stiftung bildet<br />

ein Kuratorium von 14 Persönlichkeiten,<br />

von denen je sieben von der<br />

Bundesregierung und der Niedersächsischen<br />

Landesregierung <strong>für</strong><br />

eine Amtszeit von bis zu zwei Mal<br />

fünf Jahren berufen werden. Bei<br />

seinen Entscheidungen ist das Kuratorium<br />

nur an <strong>die</strong> Satzung gebunden.<br />

Es tritt in der Regel drei Mal jährlich<br />

– zumeist – in der Geschäfts stelle<br />

Hannover zusammen.<br />

Das Kuratorium der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

tagt in der Regel drei Mal jährlich am Sitz<br />

der Stiftung in Hannovers Kastanienallee.<br />

Das Kuratorium der <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat zurzeit folgende Mitglieder:<br />

Lutz Stratmann, Minister <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und Kultur, Mitglied des<br />

Landtages des Landes Niedersachsen, Hannover (Vorsitzender)<br />

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin <strong>für</strong> Bildung und Forschung, Mitglied<br />

des Deutschen Bundestages, Bonn/Berlin (Stellvertretende Vorsitzende)<br />

Professor Dr. Wolf Singer, Max-Planck-Institut <strong>für</strong> Hirnforschung, Frankfurt<br />

am Main (Stellvertretender Vorsitzender)<br />

Professor em. Dr. Klaus J. Bade, ehemals Institut <strong>für</strong> Migrationsforschung<br />

und Interkulturelle Stu<strong>die</strong>n, Universität Osnabrück<br />

Professor Dr. Horst Bredekamp, Seminar <strong>für</strong> Kunstgeschichte der Humboldt-<br />

Universität zu Berlin und <strong>Wissenschaft</strong>skolleg zu Berlin<br />

Professor Dr. Martin Hellwig, Max-Planck-Institut zur Erforschung von<br />

Gemeinschaftsgütern, Bonn<br />

Professorin em. Dr. Brigitte Jockusch, ehemals Zoologisches Institut,<br />

Technische Universität Braunschweig<br />

Professorin Dr. Katharina Kohse-Höinghaus, Lehrstuhl <strong>für</strong> Physikalische<br />

Chemie, Universität Bielefeld<br />

Professor Dr.-Ing. Wolfgang Kowalsky, Institut <strong>für</strong> Hochfrequenztechnik,<br />

Technische Universität Braunschweig<br />

Professor Dr. Gerd Litfin, LINOS Aktiengesellschaft, Göttingen<br />

Dr. Horst Neumann, Volkswagen AG, Wolfsburg<br />

Michael Sommer, Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes,<br />

Berlin<br />

Professorin Dr. Ursula M. Staudinger, Founding Dean des Jacobs Center on<br />

Lifelong Learning and Institutional Development, Jacobs University Bremen<br />

Professorin Dr. Waltraud Wende, Lehrstuhl <strong>für</strong> Literatur und Kultur der<br />

deutschsprachigen Gebiete, Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande


Ihre Ansprechpartner <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderinitiativen<br />

Natur- und Ingenieurwissenschaften, Medizin<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Förderinitiativen<br />

• Neue konzeptionelle Ansätze zur Modellierung<br />

und Simulation komplexer Systeme<br />

Fachgebiet: Physik<br />

• Integration molekularer Komponenten in funktionale<br />

makroskopische Systeme<br />

• Niedersächsisches Vorab (Abt. I)<br />

Fachgebiete: Ingenieurwissenschaften, Mathematik<br />

• Lichtenberg-Professuren<br />

• Hochschule der Zukunft<br />

Fachgebiete: Chemie, Biochemie<br />

• Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative Forschungsvorhaben<br />

im sub-saharischen Afrika (Abt. I)<br />

• Symposien und Sommerschulen (Grundsatzfragen)<br />

Fachgebiete: Geowissenschaften, Umweltwissenschaften (Abt. I)<br />

• Evolutionsbiologie<br />

• European Platform for Life Sciences, Mind Sciences,<br />

and the Humanities (Abt. I)<br />

• <strong>Wissenschaft</strong> – Öffentlichkeit – Gesellschaft (Abt. I)<br />

Fachgebiete: Biomedizin, Neurowissenschaften<br />

• Zwischen Europa und Orient –<br />

Mittelasien/Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong> (Abt. I)<br />

• Forschung in Museen (Abt. I)<br />

Fachgebiete: Pflanzenbiologie, Zoologie<br />

Stand: Januar <strong>2010</strong><br />

Dr. Indra Willms-Hoff /-285<br />

Assistenz: Sylvia Vogler /-286<br />

Dr. Ulrike Bischler /-350<br />

Assistenz: Jennifer Wundenberg /-248<br />

Dr. Franz Dettenwanger /-217<br />

Assistenz: Petra Akrami /-372<br />

Dr. Anja Fließ /-374<br />

Assistenz: Regina Buch /-388<br />

Dr. Detlef Hanne /-389<br />

Assistenz: Stefanie Karguth /-227<br />

Dr. Henrike Hartmann /-376<br />

Assistenz: Meike Brauer /-375<br />

Dr. Matthias Nöllenburg /-290<br />

Assistenz: Daniela Basse /-291<br />

Telefon 05 11/83 81-0


Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Niedersächsisches Vorab<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Förderinitiativen<br />

• Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong> ist mehrsprachig<br />

Thomas Brunotte, M. Phil. /-297<br />

• <strong>Wissenschaft</strong> – Öffentlichkeit – Gesellschaft (Abt. II)<br />

Assistenz: Silvia Birck /-246<br />

• European Platform for Life Sciences, Mind Sciences, and the Humanities (Abt. II)<br />

Fachgebiete: Philosophie, Psychologie, Theologie<br />

• Schumpeter-Fellowships<br />

Prof. Dr. Hagen Hof /-256<br />

• Niedersächsisches Vorab (Abt. II)<br />

Assistenz: Simone Künnecke /-255<br />

Marion Brunk /-226<br />

Fachgebiete: Rechtswissenschaften, Pädagogik,<br />

Umweltwissenschaften (Abt. II), Soziologie, Architektur, Städtebau, Landesplanung<br />

• Zwischen Europa und Orient –<br />

Mittelasien/Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong> (Abt. II)<br />

Fachgebiet: Geschichte, Geografie<br />

• Zukunftsfragen der Gesellschaft – Analyse, Beratung<br />

und Kommunikation zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und Praxis<br />

Fachgebiete: Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaften,<br />

Forst- und Agrarwissenschaften<br />

• Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften – Programm zur<br />

Förderung fachübergreifender und internationaler Zusammenarbeit<br />

• Dokumentation bedrohter Sprachen<br />

• Pro Geisteswissenschaften<br />

Fachgebiete: Europäische Sprachen und Literaturen, Kunst- und<br />

Musik wissenschaft, Kommunikations- und Me<strong>die</strong>nwissenschaften<br />

• Forschung in Museen (Abt. II)<br />

• Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative Forschungsvorhaben<br />

im sub-saharischen Afrika (Abt. II)<br />

• Fellowships <strong>für</strong> Postdoktoranden und -doktorandinnen aus den<br />

Geisteswissenschaften am Humanities Center der Harvard University<br />

Fachgebiete: Völkerkunde, Volkskunde,<br />

Alte und außereuropäische Sprachen und Kulturen<br />

Stand: Januar <strong>2010</strong><br />

Prof. Dr. Axel Horstmann /-214<br />

Assistenz: Monika Nesper /-224<br />

Dr. Wolfgang Levermann /-212<br />

Assistenz: Susanne Klinge /-384<br />

Dr. Alfred Schmidt /-237<br />

Assistenz: Katja Hawner /-208<br />

Christine Schmiedeskamp /-236<br />

Dr. Vera Szöllösi-Brenig /-218<br />

Assistenz: Kerstin Krüger /-232<br />

Marion Brunk /-226<br />

Dr. Adelheid Wessler /-276<br />

Assistenz: Ute Steinert /-341<br />

Marion Brunk /-226


Ihre Ansprechpartner in der Geschäftsstelle<br />

Generalsekretär<br />

Büro des Generalsekretärs<br />

• Referentin des Generalsekretärs,<br />

Kuratoriumsangelegenheiten, Zusammenarbeit<br />

mit <strong>Wissenschaft</strong>sorganisationen und Hochschulen<br />

• Rechtsangelegenheiten,<br />

Zusammenarbeit mit Stiftungen und Verbänden<br />

Evaluation, Interne Revision, Verwendungsprüfung<br />

Veranstaltungsmanagement<br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

• Standardpublikationen<br />

Finanzen und Verwaltung<br />

Mitglied der Geschäftsleitung Henning Otto /-219<br />

Assistenz: Sybille Laas /-229<br />

Verantwortungsbereich<br />

• Finanz- und Rechnungswesen, Controlling Sibylle Mitscherling /-269<br />

Assistenz: Gabriele Darge /-268<br />

• Personalwesen und Zentrale Dienste Christina Fallnacker /-220<br />

Assistenz: Claudia Kruse /-371<br />

• Informations- und Kommunikationssysteme Michael Maaß /-366<br />

Vermögensverwaltung<br />

Mitglied der Geschäftsleitung Dieter Lehmann /-351<br />

Assistenz: Marion Peiß /-352<br />

Verantwortungsbereich<br />

• Aktien Carolin Bensch /-354<br />

• Verzinsliche Wertpapiere, Cashmanagement Dr. Andreas Bodemer /-239<br />

• Immobilien Dr. Martina Pörschke /-365<br />

Stand: Januar <strong>2010</strong><br />

Telefon 05 11/83 81-0<br />

Dr. Wilhelm Krull /-215<br />

Assistenz: Annemarie Batschko-Rühmann /-225<br />

Claudia Behrens /-225<br />

Antje Robrecht /-211<br />

Assistenz: Susanne Grabner /-221<br />

Anja Stanitzke /-240<br />

Assistenz: Susanne Grabner /-221<br />

Dr. Uta Saß /-331<br />

Assistenz: Margot Jädick-Jäckel /-206<br />

Sabine Zimmerling /-205<br />

Katja Ebeling /-284<br />

Assistenz: Bettina Seeliger /-200<br />

Jens Rehländer /-380 (ab 01.04.<strong>2010</strong>)<br />

Assistenz: Birgit Rosengart-Kamburis /-381<br />

Dr. Christian Jung /-210


Wir stiften Wissen<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Kastanienallee 35<br />

30519 Hannover<br />

Telefon 05 11/83 81-0<br />

Telefax 05 11/83 81-344<br />

mail@volkswagenstiftung.de<br />

www.volkswagenstiftung.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!