Impulse für die Wissenschaft 2010 - VolkswagenStiftung
Impulse für die Wissenschaft 2010 - VolkswagenStiftung
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<strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> <strong>2010</strong><br />
Aus der Arbeit der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
10
4 Vorwort<br />
6 Die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
11 Neues aus der Forschungsförderung<br />
12 Von der <strong>Wissenschaft</strong>, das Internet zu befragen<br />
Im Gespräch: Lichtenberg-Professorin Iryna Gurevych von der Universität Darmstadt<br />
über automatische Textanalyse im Internetzeitalter<br />
18 Ohne Worte – über <strong>die</strong> Sprache der Hände<br />
Gehorchen Gesten einer eigenen Grammatik? Mit <strong>die</strong>ser Frage beschäftigen sich<br />
vier Forscherinnen aus Frankfurt/Oder, Berlin und Köln.<br />
24 Hirnforschung: mehr Einblick mit Weitblick<br />
Die bildgebende Diagnostik ermöglicht heute bessere Einblicke ins Gehirn und<br />
neue Therapien. Doch Hirnforscher beschäftigen auch ethische Fragen.<br />
30 Neue Heimat Deutschland<br />
Schumpeter-Fellow Naika Foroutan geht an der Humboldt-Universität Berlin<br />
der Frage nach, wann Menschen Deutschland als ihre Heimat empfinden.<br />
36 Afrikanische Kulturen im Wandel<br />
Die Gesellschaften im sub-saharischen Afrika wandeln sich mit rasanter<br />
Geschwindigkeit. Das interessiert auch Forscher aus aller Welt.<br />
44 Die vergessene Krankheit<br />
Hilfe <strong>für</strong> Afrika: ein internationales Forscherteam auf dem Weg, eine der<br />
schlimmsten Krankheiten auf dem afrikanischen Kontinent einzudämmen<br />
52 Alles im Fluss?!<br />
Forscher aus Hannover, Taschkent und Duschanbe wollen das Lebenselixier<br />
der zentralasia tischen Region retten: das Wasser des Serafschan-Stroms.<br />
58 Die Kulturen des Krieges<br />
Auf den düsteren Spuren von Tod und Terror: Dilthey-Fellow Dietmar Süß<br />
beschäftigt sich an der Universität Jena mit dem Krieg im 20. Jahrhundert.<br />
64 Die Rückkehr der Folter<br />
Ist <strong>die</strong> Würde des Menschen noch unantastbar? Forscher in Konstanz und<br />
Münster, Düsseldorf und Gießen auf den Spuren von Wahrheit und Gewalt<br />
72 Ein Jahr im Forscherpara<strong>die</strong>s<br />
Die „Harvard-Fellowships“ ermöglichen exzellenten Geisteswissenschaftlern<br />
einen unvergesslichen Aufenthalt an der US-Elite-Universität.<br />
78 Kleben ohne Klebstoff<br />
In Laborgemeinschaft mit Geckos: Forscher aus Saarbrücken, Freiburg und<br />
Ludwigshafen auf der Suche nach klebstofffreien Haftsystemen<br />
83 Die Organisation der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
84 Vermögensanlage<br />
88 Finanzen und Verwaltung<br />
91 Die Ansprechpartner in der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Übersicht: Hintere Umschlagseiten<br />
96 Das Kuratorium<br />
Förderinitiativen
Förderangebot *)<br />
● • • • • • • • • ● • • • •<br />
Struktur- und personenbezogene Förderung<br />
Thematische <strong>Impulse</strong><br />
Lichtenberg-Professuren<br />
Schumpeter-Fellowships <strong>für</strong> den Hochschullehrer-<br />
und Führungsnachwuchs in den Wirtschafts-,<br />
Sozial- und Rechtswissenschaften<br />
Pro Geisteswissenschaften<br />
– Dilthey-Fellowships<br />
– Opus magnum<br />
Fellowships <strong>für</strong> Postdoktoranden und -doktorandinnen<br />
aus den Geisteswissenschaften am<br />
Humanities Center der Harvard University<br />
Hochschule der Zukunft<br />
– Bologna – Zukunft der Lehre<br />
Symposien und Sommerschulen<br />
• ● • • • • •<br />
Auslandsorientierte Initiativen<br />
Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative<br />
Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika<br />
Zwischen Europa und Orient – Mittelasien /<br />
Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong><br />
Dokumentation bedrohter Sprachen<br />
Integration molekularer Komponenten in<br />
funktionale makroskopische Systeme<br />
Neue konzeptionelle Ansätze zur Modellierung<br />
und Simulation komplexer Systeme<br />
Evolutionsbiologie<br />
• • • ● • • •<br />
Gesellschaftliche und kulturelle<br />
Herausforderungen<br />
• • • • ● • •<br />
Zukunftsfragen der Gesellschaft –<br />
Analyse, Beratung und Kommunikation<br />
zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und Praxis<br />
– Individuelle und gesellschaftliche Perspektiven<br />
des Alterns<br />
– Europe and Global Challenges<br />
Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften –<br />
Programm zur Förderung fachübergreifender<br />
und internationaler Zusammenarbeit<br />
Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong> ist mehrsprachig<br />
Forschung in Museen<br />
Offen – <strong>für</strong> Außergewöhnliches<br />
Außergewöhnliches<br />
<strong>Wissenschaft</strong> – Öffentlichkeit – Gesellschaft<br />
European Platform for Life Sciences,<br />
Mind Sciences, and the Humanities<br />
Stand: Dezember 2009<br />
*) Die Ansprechpartner zu den einzelnen Förderinitiativen<br />
siehe hintere Umschlagseite.
Impressum<br />
Herausgeber<br />
© <strong>VolkswagenStiftung</strong>,<br />
Hannover, Dezember 2009<br />
Redaktion (verantwortlich)<br />
Dr. Christian Jung (cj)<br />
Korrektorat<br />
Cornelia Groterjahn,<br />
Hannover<br />
Gesamtherstellung<br />
Sponholtz Druckerei GmbH ,<br />
Hemmingen<br />
Bildnachweis<br />
Die Fotos und Abbildungen<br />
wurden – soweit unten<br />
nicht anders angegeben –<br />
dankenswerterweise von den<br />
jeweiligen Instituten bzw.<br />
Hochschul-Pressestellen zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
Das Umschlagfoto zeigt Dr. Florian<br />
Carl vom Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik<br />
in Hildesheim, Dr. Isaac R. Amuah,<br />
Kooperationspartner in Ghana,<br />
Projektleiter Professor Dr. Raimund<br />
Vogels von der Hochschule <strong>für</strong><br />
Musik und Theater Hannover, Pro -<br />
fessor Dr. William Anku, Projekt -<br />
partner in Ghana, Projektleiter Dr.<br />
Wolfgang Bender vom Zentrum<br />
<strong>für</strong> Weltmusik sowie Christopher<br />
Mtaku, Partner aus Nigeria, bei<br />
einem Treffen in Hildesheim.<br />
Umschlag und Seiten 36, 38, 39:<br />
Frank Wilde, Hannover<br />
Seiten 4, 30, 32, 34, 35: Frank<br />
Nürnberger, Berlin<br />
Seite 7: Rainer Dröse, Langenhagen<br />
Seiten 12, 14, 16, 24, 25, 26, 27, 78, 80,<br />
81: Jens Steingässer, Darmstadt<br />
Seite 15: Mathias Daum, Mainz<br />
Seite 23: Katie Slocombe, York, UK<br />
Seite 20, 21, 22: Klaus Siebahn,<br />
Güstrow<br />
Seite 29: Johann Saba, Bonn<br />
Seiten 52, 57, 92 (Stanitzke,<br />
Robrecht, Saß, Ebeling, Jung),<br />
94 (Brunotte, Wessler), 95 (Otto),<br />
96: Dennis Börsch, Hannover<br />
Seiten 58, 60, 62: Thomas Wolf,<br />
Gotha<br />
Seiten 64, 66, 67: Uwe<br />
Lewandowski, Osnabrück<br />
Seite 68: David Klammer, Köln;<br />
auf dem Bild zu sehen sind<br />
Skulpturen von Jean Fautrier<br />
(Figur vorne links: "TETE", 1937;<br />
Figur hinten: "GRAND TETE<br />
TRAGIQUE", 1942; Figur vorne<br />
rechts: "TETE STRIEE", 1940;<br />
Stiftung Insel Hombroich)<br />
Seiten 69 oben, 75 unten, 79: dpa<br />
Picture-Alliance, Frankfurt/Main<br />
Seite 70: Ina Bigalke<br />
Seite 71: David Klammer, Köln<br />
Seite 75 oben: “The Butler's in Love"<br />
1991, Mark Stock,<br />
www.theworldofmarkstock.com<br />
Seite 84: Chris Kistner,<br />
Frankfurt/Main<br />
Seiten 92 (Krull), 93 (Bischler, Fließ,<br />
Hanne, Hartmann, Nöllenburg),<br />
94 (Horstmann, Szöllösi-Brenig),<br />
95 (Fallnacker, Maaß, Lehmann,<br />
Bensch, Pörschke): Franz Fender,<br />
Hannover<br />
Seiten 93 (Willms-Hoff, Detten -<br />
wanger), 94 (Hof, Levermann,<br />
Schmidt), 95 (Mitscherling,<br />
Bodemer): Volker Uphoff,<br />
Hannover<br />
Quellennachweis<br />
Seiten 46, 47, 49: aus: Thomas<br />
Junghanss et al.: Phase Change<br />
Material for Thermotherapy<br />
of Buruli Ulcer: A Prospective<br />
Observational Single Centre<br />
Proof-of-Principle Trial. In: PLoS<br />
Neglected Tropical Diseases,<br />
Februar 2009
Wir stiften Wissen
4<br />
Vorwort<br />
Durch <strong>die</strong> Finanzmarktkrise!<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
<strong>die</strong> Entwicklungen auf den Finanzmärkten stellen<br />
auch Stiftungen vor immense Herausforderungen.<br />
Auswirkungen auf das Vermögen, <strong>die</strong> Erträge<br />
daraus und auf Spendeneinnahmen haben sich<br />
bereits in vielen Fällen konkretisiert und sind auch<br />
weiterhin zu erwarten – sei es aufgrund sinkender<br />
Renditen aus der Anlage des Vermögens oder<br />
wegen geringerer Spenden aus der Wirtschaft<br />
und von Privatpersonen. Doch wie immer kann<br />
eine Krise auch Neuem den Weg bahnen.<br />
Im Chinesischen setzt sich der Begriff der Krise<br />
bekanntlich aus zwei Schriftzeichen zusammen:<br />
„Risiko/Gefahr“ und „Gelegenheit/Chance“. Eine<br />
Krise ist demgemäß ein Wendepunkt; sie kann<br />
immer auch als Chance begriffen werden – wenn<br />
<strong>die</strong> Betroffenen sie zugleich zum Anlass nehmen,<br />
ihr Handeln und Wirken kritisch zu überdenken<br />
und sich weiterzuentwickeln.<br />
Sich weiterzuentwickeln ist gerade <strong>für</strong> Stiftungen<br />
ein sine qua non. Es muss im Selbstverständnis<br />
von Stiftungen liegen, unaufhörlich bereit zu<br />
sein, Neuland zu betreten. Dazu kommt, dass <strong>die</strong><br />
nachhaltige Bewältigung der aktuellen Krise und<br />
ihrer Folgen von Voraussetzungen abhängt, <strong>die</strong><br />
nicht allein vom Staat geschaffen werden können.<br />
Gerade Stiftungen sind hier in der Verantwortung,<br />
zur Stabilität, Leistungs- und auch Wandlungs -<br />
fähigkeit einer demokratischen Gesellschaft beizutragen,<br />
der sie letztlich ihre heutigen Aktionsmöglichkeiten<br />
und vielfach ihre Existenz verdanken.<br />
Die Krisen und <strong>die</strong> seit einiger Zeit zu beobach -<br />
tenden Veränderungsprozesse stellen momentan<br />
und wohl auch in den kommenden Jahren <strong>die</strong><br />
Gesellschaft und deren Institutionen vor zusätz -<br />
Generalsekretär Dr. Wilhelm Krull<br />
liche Herausforderungen – und denen sollten sich<br />
Stiftungen mit Verve annehmen. So greift auch<br />
<strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> über ihr Förderportfolio<br />
aktuell einige der großen „Problemfelder“ auf:<br />
Beispielsweise fordert sie <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />
und <strong>Wissenschaft</strong>ler dazu auf, sich mit Fragen der<br />
Globalisierungskonsequenzen, von Migration und<br />
Integration oder mit den Auswirkungen der demografischen<br />
Entwicklung auseinanderzusetzen –<br />
oder sie ermöglicht <strong>die</strong> modellhafte Betrachtung<br />
von Extremereignissen, <strong>die</strong> in Natur, Wirtschaft<br />
und anderswo immer häufiger zu beobachten<br />
sind. Dies skizziert nur einige Aktionsfelder.<br />
Festzuhalten bleibt, dass sich aus der aktuellen<br />
Situation ein Verantwortungszuwachs <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stiftungen<br />
ergibt. Dieser erfolgt nun allerdings just in<br />
einem Moment, da sie den gleichen, besonderen<br />
Belastungen ausgesetzt sind wie Politik und Wirtschaft.<br />
Doch auch hier weist <strong>die</strong> Krise den Weg.<br />
Und der führt – in <strong>die</strong> Kooperation; in Partnerschaften,<br />
Allianzen und Netzwerke. Der Einzelne<br />
wird stark durch <strong>die</strong> Kraft vieler.
Der Ansatz ist dabei eigentlich kein neuer: Wo man<br />
auch hinschaut, vieles in unserer Gesellschaft ist<br />
durch <strong>die</strong> Zusammenarbeit vieler geprägt. Unser<br />
Leben wird komplexer, und damit werden es auch<br />
<strong>die</strong> gesellschaftlichen Zusammenhänge. Entsprechend<br />
bedarf es ausdifferenzierter Handlungs -<br />
strategien. Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />
– <strong>die</strong> oben schon genannten Themenfelder<br />
lassen sich schnell erweitern – machen<br />
gemeinsames Handeln zur umfassenden gesamtgesellschaftlichen<br />
Aufgabe. Die anhaltende und<br />
jüngst wieder intensivere Diskussion über ein<br />
neues Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft, Bürgern<br />
und Drittem Sektor zeigt dabei, dass es dem<br />
einzelnen Akteur immer weniger zugetraut wird,<br />
Aufgaben isoliert zu bewältigen. Die aktuelle<br />
Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise macht uns<br />
viele Grenzen bewusst. Fast zwingend, so lässt<br />
sich daher sagen, wird <strong>die</strong> Krise den Trend zur<br />
Zusammenarbeit verschiedener Akteure beflügeln.<br />
Eine Entwicklung, <strong>die</strong> ebenso überfällig ist<br />
wie nachdrücklich zu begrüßen.<br />
Das funktioniert zugunsten vieler Themenfelder<br />
und gleichermaßen auf internationaler, nationaler<br />
wie auf lokaler Ebene. In der <strong>Wissenschaft</strong>sförderung<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> – in <strong>die</strong>sem Heft finden<br />
Sie wieder ein Dutzend exzellenter laufender<br />
Forschungsvorhaben vorgestellt – zeigen <strong>die</strong>s <strong>die</strong><br />
vielfältigen Stiftungskooperationen. Für <strong>die</strong>sen<br />
Ansatz steht aber auch ein Beispiel aus der Ver mö -<br />
gensanlage. So wird <strong>die</strong> Stiftung über den Bau eines<br />
wissenschaftlichen Tagungszentrums im Gewand<br />
des da<strong>für</strong> wieder aufzubauenden Schlosses in<br />
Herrenhausen der Stadt Hannover und einer ihrer<br />
touristischen Attraktionen, den Herrenhäuser Gärten,<br />
ein Stück neuen Glanz verleihen. Auch hier<br />
wird mutig in Zeiten der Krise etwas realisiert, auch<br />
hier arbeiten mehrere Partner zusammen mit dem<br />
Ziel, am Ende etwas Großes entstehen zu lassen.<br />
So wird das Tagungszentrum gemeinsam von<br />
Stadt und Land durch ein Museum ergänzt, das <strong>die</strong><br />
– unter anderem mit dem Namen Gottfried Wilhelm<br />
Leibniz verknüpfte – besondere kultur- und<br />
geistesgeschichtliche Bedeutung des Ortes dokumentieren<br />
soll. Die Symbiose <strong>die</strong>ser beiden Nut-<br />
zungen aus modernem Tagungszentrum und<br />
kulturhistorisch ausgerichtetem Museum wird<br />
den <strong>Wissenschaft</strong>s- und Wirtschaftsstandort<br />
Hannover und dessen bedeutende Tradition<br />
weiter stärken und das Zusammenspiel zwischen<br />
Geschichte, Gegenwart und Zukunft verdeutlichen.<br />
Die Beispiele machen klar: Stiftungen – und hier<br />
sieht sich <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> als wichtiger<br />
Impulsgeber – spielen auch und gerade in der Krise<br />
eine große Rolle als Innovatoren und als Motor <strong>für</strong><br />
Veränderungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass<br />
sie jedem modischen Trend nachlaufen sollten.<br />
Vielmehr kommt es darauf an, in kritischer Distanz<br />
zu aktuellen gesellschaftlichen und kulturellen<br />
Entwicklungen eigene Wertentscheidungen<br />
zu treffen. Dabei kann es durchaus sinnvoll sein,<br />
über einen bestimmten Zeitraum stets nur einige,<br />
da<strong>für</strong> (finanziell) umso deutlichere Akzente zu<br />
setzen – indem man beispielsweise angesichts<br />
des Zustands vieler Museumssammlungen den<br />
Schwerpunkt ganz stark auf das Erhalten, Erschließen<br />
und insbesondere Erforschen der Bestände<br />
legt, wie es <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit ihrer<br />
jüngsten Förderinitiative „Forschung in Museen“<br />
tut. Wer also auf verantwortungsvolle Weise <strong>die</strong><br />
Zukunft gestalten will, findet gerade in der Krise<br />
überall Gelegenheiten und seine Chance, mit<br />
vorausschauendem Denken und Handeln präsent<br />
zu sein.<br />
Ihr<br />
Wilhelm Krull<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 5
6<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Wir stiften Wissen<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> ist keine Unternehmensstiftung,<br />
sondern eine eigenständige, gemeinnützige<br />
Stiftung privaten Rechts mit Sitz in Hannover.<br />
Mit einem Fördervolumen von rund 100 Millionen<br />
Euro pro Jahr ist sie <strong>die</strong> größte deutsche wissenschaftsfördernde<br />
Stiftung überhaupt und eine der<br />
größten Stiftungen hierzulande und in Europa. Die<br />
Fördermittel werden aus dem Kapital der Stiftung<br />
erwirtschaftet, das derzeit etwa 2,1 Milliarden Euro<br />
beträgt – eine starke Basis, um Wissen zu stiften!<br />
Gemäß ihrem Slogan „Wir stiften Wissen“ ent -<br />
wickelt <strong>die</strong> Stiftung mit Blick auf junge, zukunftsweisende<br />
oder auch gerade erst im Ansatz zu<br />
identifizierende Forschungsgebiete eigene, spe -<br />
zifische Förderinitiativen; sie ist darüber hinaus<br />
jedoch immer auch offen <strong>für</strong> Außergewöhnliches.<br />
In ihrer Gesamtheit bilden <strong>die</strong> Initiativen den<br />
Kern des Förderangebots. Mit <strong>die</strong>ser Konzentra -<br />
tion auf derzeit zwanzig solcher „Arbeits felder“<br />
sorgt <strong>die</strong> Stiftung da<strong>für</strong>, dass ihre Mittel effektiv<br />
eingesetzt werden. Wenn eine Initiative nach<br />
einigen Jahren beendet wird, um Raum <strong>für</strong> Neues<br />
zu schaffen, ist das Thema oft fest in der <strong>Wissenschaft</strong>slandschaft<br />
verankert.<br />
Ihre Finanzkraft ermöglicht es der Stiftung, auf<br />
ungewöhnlich umfangreiche und vielfältige Weise<br />
<strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en zu unterstützen und neue<br />
Entwicklungen voranzutreiben. Besondere Aufmerksamkeit<br />
widmet sie dabei dem wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs und der Zusammenarbeit von<br />
Forschern über wissenschaftliche, kulturelle und<br />
staatliche Grenzen hinweg. Zwei weitere große<br />
Anliegen: <strong>die</strong> Ausbildungs- und <strong>die</strong> Forschungsstrukturen<br />
in Deutschland verbessern helfen.<br />
Inzwischen hat <strong>die</strong> Stiftung in den nunmehr 48<br />
Jahren ihres Bestehens rund 29.500 Projekte mit<br />
insgesamt mehr als 3,6 Milliarden Euro gefördert<br />
– auch das ein Superlativ.<br />
<strong>Impulse</strong> geben: das Förderangebot<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> gibt der <strong>Wissenschaft</strong> mit<br />
ihren Fördermitteln gezielte <strong>Impulse</strong>: Sie stimuliert<br />
solche Ansätze und Entwicklungen, <strong>die</strong> sich<br />
einigen der großen Herausforderungen unserer<br />
Zeit stellen. Die Stiftung fördert entsprechende<br />
Forschungsvorhaben aus allen <strong>Wissenschaft</strong>sbereichen<br />
und hilft wissenschaftlichen Institutionen<br />
bei der Verbesserung der strukturellen Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> ihre Arbeit.<br />
In ihrem Zusammenwirken und ihrer wechselseitigen<br />
Ergänzung verleihen <strong>die</strong> sich immer wieder<br />
zu einem neuen Gesamtpaket zusammensetzenden<br />
Förderinitiativen dem Förderprofil der Stiftung<br />
dessen unverwechselbare Struktur. Auf <strong>die</strong>se<br />
Weise füllt <strong>die</strong> Stiftung ihren Satzungszweck, „<strong>die</strong><br />
Förderung von <strong>Wissenschaft</strong> und Technik in Forschung<br />
und Lehre“, beständig mit neuem Leben.<br />
Deutlich wird dabei: Gezielte Fokussierung ist<br />
übergreifendes Strukturprinzip der Forschungsförderung<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong>. Dies sichert<br />
auch eine nachhaltige Wirkung der zur Verfügung<br />
stehenden Mittel.<br />
Derzeit steht vor allem eine explizit personenbezogene<br />
Förderung im Zentrum des Engagements:<br />
Die Stiftung richtet „Lichtenberg-Professuren“<br />
an deutschen Universitäten ein oder hält mit den<br />
Schumpeter-, Dilthey- und Harvard-Fellowships<br />
spezielle Angebote <strong>für</strong> Geistes- und Sozialwissen-
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Wiederaufbau von Schloss<br />
Herrenhausen: Am 3. Juli 2009 unterschrieben Hannovers Oberbürgermeister<br />
Stephan Weil (rechts) und der Generalsekretär<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> Wilhelm Krull <strong>die</strong> Verträge. Im Innern<br />
des Schlosses entstehen ein Tagungszentrum und ein Museum,<br />
das in den Seitenflügeln untergebracht sein wird.<br />
schaftler bereit. Ebenso gilt ihr Interesse solch<br />
unterschiedlichen Gebieten wie den Fertigungsprozessen<br />
multifunktionaler Oberflächen, der<br />
Erforschung bedrohter Sprachen oder verschiedenen<br />
Facetten des Themas Evolutionsbiologie. Die<br />
Stiftung beschäftigt sich und <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
mit den Zukunftsfragen der Gesellschaft – oder<br />
fördert eben mit Nachdruck wissenschaftliche<br />
Kooperationen mit dem Ausland. Ihr Augenmerk<br />
richtet sie dabei auf fachübergreifende Forschungsansätze<br />
und <strong>die</strong> junge <strong>Wissenschaft</strong>lergeneration.<br />
Gerade den international renommierten Forscherinnen<br />
und Forschern sowie den Nachwuchswissenschaftlern<br />
macht sie immer wieder speziell<br />
zugeschnittene Angebote.<br />
• Struktur- und personenbezogene Förderung<br />
Wichtiges Ziel der <strong>VolkswagenStiftung</strong> ist es,<br />
gezielte Anstöße zu geben zur Verbesserung der<br />
strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />
von Forschung und Lehre sowie der<br />
wissenschaftlichen Kommunikation. Diesem<br />
Zweck <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> struktur- und personenbezogene<br />
Förderung. Hier geht es um <strong>die</strong> besten Köpfe;<br />
darum, Exzellenz zu fördern, <strong>die</strong> Hochschulen<br />
international wettbewerbsfähig zu machen und<br />
gezielt an <strong>die</strong> Spitze zu bringen. Es geht vor allem<br />
auch darum, <strong>die</strong> Chancen <strong>für</strong> den wissenschaft -<br />
lichen Nachwuchs zu verbessern und neue Formen<br />
fächer- wie institutionenübergreifender<br />
Zusammenarbeit zu fördern.<br />
Zurzeit umfasst <strong>die</strong>ses Förderangebot sechs aufeinander<br />
abgestimmte Initiativen. Dabei verbinden<br />
sich wie etwa bei den Lichtenberg-Professuren<br />
und den Schumpeter-Fellowships personenbezogene<br />
<strong>Impulse</strong> mit strukturellen wie thematischen<br />
Akzentsetzungen. Die Initiative „Pro Geisteswis-<br />
senschaften“ wiederum mit ihrer Ausrichtung auf<br />
<strong>die</strong> ebenso klassischen wie un verändert erfolgreichen<br />
Formen „individueller“ Forschung erfüllt eine<br />
von <strong>Wissenschaft</strong>lern <strong>die</strong>ser Fachrichtungen immer<br />
wieder mit Nachdruck erhobene Forderung nach<br />
adressatenspezifischer Unterstützung.<br />
• Auslandsorientierte Initiativen<br />
Die auslandsbezogenen Förderinitiativen – gegenwärtig<br />
sind es drei – <strong>die</strong>nen der internationalen<br />
wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der<br />
gezielten Unterstützung von Institutionen und<br />
Vorhaben im Ausland: wie derzeit <strong>für</strong> <strong>die</strong> Region<br />
Mittelasien/Kaukasus und das sub-saharische<br />
Afrika. Dabei entwickelt <strong>die</strong> Stiftung jeweils spezifische<br />
Förderinstrumente, <strong>die</strong> den Gegebenheiten<br />
in den einzelnen Ländern und Regionen Rechnung<br />
tragen. Zum einen geht es darum, dass <strong>die</strong> wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen im Ausland von dem<br />
Vorhaben profitieren und <strong>die</strong> – insbesondere jüngeren<br />
– <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
in der Region Möglichkeiten zur Qualifizierung<br />
erhalten. Ebenso soll aber auch durch Unterstützung<br />
von Auslandsprojekten und -aufenthalten<br />
der deutschen Forschung zu stär kerer internationaler<br />
Orientierung verholfen werden. Anträge von<br />
wissenschaftlichen Einrichtungen im Ausland<br />
nimmt <strong>die</strong> Stiftung übrigens in den meisten ihrer<br />
Förderinitiativen entgegen – allerdings nur, wenn<br />
eine substanzielle Koopera tion mit <strong>Wissenschaft</strong>lern<br />
in Deutschland vorgesehen ist.<br />
• Thematische <strong>Impulse</strong><br />
Hier setzt <strong>die</strong> Stiftung explizit Anreize im Hinblick<br />
auf <strong>die</strong> Förderung themen- und problemorientierter<br />
Grundlagenforschung. Sie verfolgt damit fachliche<br />
Ziele inhaltlicher und methodischer Art, will<br />
also ihrerseits auf neue Forschungsgebiete, -inhalte<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 7
8<br />
und -methoden aufmerksam machen. Die Stiftung<br />
gibt mit <strong>die</strong>sem Angebot Anregungen und Hilfestellungen<br />
da<strong>für</strong>, neue Ansätze und Fragestellungen<br />
aufzugreifen, Theorien, Arbeitsrichtungen,<br />
Methoden und auch neue Fächerverbindungen<br />
zu entwickeln und zu erproben – vor allem auch<br />
unter Einbindung des wissenschaftlichen Nachwuchses<br />
in <strong>die</strong> Projekte. Derzeit bietet <strong>die</strong> Stiftung<br />
in <strong>die</strong>sem Segment drei Förderinitiativen an.<br />
• Gesellschaftliche Herausforderungen<br />
Je komplexer und unübersichtlicher <strong>die</strong> Strukturen<br />
und Prozesse in der modernen, von <strong>Wissenschaft</strong><br />
ebenso geprägten wie abhängigen Welt werden,<br />
desto mehr muss sich <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> den damit<br />
verbundenen Herausforderungen stellen. Von<br />
daher sieht sich <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> als wissenschaftsfördernde<br />
Einrichtung auch dort in der<br />
Pflicht, wo Politik und Verwaltung, Wirtschaft und<br />
Gesellschaft von der <strong>Wissenschaft</strong> im engen Austausch<br />
mit der Praxis Orientierung und Unterstützung<br />
erwarten. Derzeit konzentriert <strong>die</strong> Stiftung<br />
ihre Förderung <strong>die</strong>sbezüglich auf vier breit angelegte<br />
Initiativen. Beispielhaft da<strong>für</strong> sind <strong>die</strong> „Schlüs -<br />
selthemen der Geisteswissenschaften“ oder <strong>die</strong><br />
„Zukunftsfragen der Gesellschaft“ mit ihren<br />
wechselnden Ausschreibungen zu – momentan<br />
zwei – verschiedenen Themenfeldern. Die jüngste<br />
datiert aus dem Be ginn des Jahres 2009: „Europe<br />
and Global Challenges“.<br />
• Offen – <strong>für</strong> Außergewöhnliches<br />
Wer eine herausragende wissenschaftliche Projekt -<br />
idee hat, einen innovativen, außergewöhnlichen<br />
Forschungsansatz verfolgt, sein Gebiet schon<br />
spürbar vorangebracht hat, quer zu Disziplinen<br />
und Mainstream denkt, aber unter den aktuellen<br />
Förderinitiativen der <strong>VolkswagenStiftung</strong> keine<br />
findet, der sich das geplante Vorhaben zuordnen<br />
lässt – der könnte dennoch bei der Volkswagen-<br />
Stiftung an der richtigen Adresse sein. Die Stiftung<br />
ist sehr daran interessiert, auch Vorhaben zu<br />
fördern, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es bei ihr derzeit kein entsprechendes<br />
Rahmenangebot gibt. Auf <strong>die</strong>se Weise möchte<br />
sie ein Forum bieten <strong>für</strong> Ideen und Konzepte, <strong>die</strong><br />
zukunftsweisenden Fragestellungen gelten und<br />
durch Zusammenführung unterschiedlicher Fachrichtungen<br />
und methodischer Ansätze neue Perspektiven<br />
eröffnen – in der Forschung, in der Lehre<br />
und nicht zuletzt im Zusammenspiel von <strong>Wissenschaft</strong>,<br />
Praxis und Öffentlichkeit. Dieses Angebot<br />
zielt allerdings nicht auf den Regelfall, sondern<br />
auf <strong>die</strong> Ausnahme. Wer hier zum Zuge kommen<br />
will, muss daher mit seinem Vorhaben nicht nur<br />
höchsten wissenschaftlichen Maßstäben genügen,<br />
sondern auch plausibel machen können, dass sich<br />
da<strong>für</strong> im Rahmen der Förderangebote anderer<br />
Institutionen keine Un terstützung finden lässt<br />
und somit gerade <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> gefordert<br />
ist.<br />
Unabhängiger <strong>Wissenschaft</strong>sförderer<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> sieht ihre Aufgaben und<br />
Gestaltungsspielräume innerhalb der <strong>Wissenschaft</strong>sförderung<br />
zum einen in den Bedürfnissen<br />
der scientific community selbst, andererseits auch<br />
in Problembereichen, in denen Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft von der <strong>Wissenschaft</strong> Unterstützung<br />
erwarten können. Auch wo andere Mittel -<br />
geber nicht oder nicht hinreichend zur Verfügung<br />
stehen, sieht sich <strong>die</strong> Stiftung immer wieder in<br />
der Pflicht. Da sie nur aus den Erträgen ihres eigenen<br />
Vermögens schöpft, ist sie autark. Und da sie<br />
rechtsfähig ist, ist sie auch autonom. Das bietet<br />
eine starke Basis <strong>für</strong> eine unabhängige <strong>Wissenschaft</strong>sförderung.<br />
Zweckbindung der Mittel<br />
Für <strong>die</strong> Ausführung der Fördertätigkeit enthält <strong>die</strong><br />
Satzung der Stiftung nur wenige Bestimmungen.<br />
So werden Mittel an wissenschaftliche Ins titu tio -<br />
nen, nicht an Personen vergeben. Die Stiftung hat<br />
sicherzustellen, dass ihre Fördermittel zusätzlich<br />
verwendet werden; <strong>die</strong> Mittel dürfen also nicht<br />
<strong>die</strong> Unterhaltsträger der geförderten Einrichtungen<br />
– in der Regel den Staat – entlasten. Sie dürfen<br />
auch nicht zum Ausgleich von Etatlücken verwendet<br />
werden oder Anlass da<strong>für</strong> geben, dass der Etat
aufgrund der Zuwendungen gekürzt wird. Die<br />
Satzung fordert weiter, dass <strong>die</strong> Fördermittel als<br />
zweckgebundene Zuwendungen zu vergeben sind.<br />
Eine pauschale Gewährung allgemeiner, nicht spe -<br />
zifizierter Zuschüsse ist ausgeschlossen. Schließlich<br />
darf ein einzelnes Vorhaben in der Regel nicht<br />
länger als fünf Jahre gefördert werden. Im Übrigen<br />
bestimmt <strong>die</strong> Stiftung ihre Verfahren selbst.<br />
Sorgfältige Begutachtung<br />
Qualität zu finden, macht sich <strong>die</strong> Stiftung nicht<br />
leicht. Im Jahr 2009 beispielsweise haben 868<br />
Gutachter, darunter 294 aus dem Ausland, <strong>die</strong> Vorbereitung<br />
ihrer Entscheidungen unterstützt: einzeln<br />
oder in Gutachterkreisen. Die Stiftung achtet<br />
auch hier strikt auf Unabhängigkeit. Grund sätzlich<br />
nicht als Gutachter befragt werden insbesondere<br />
Kollegen des Antragstellers aus derselben Forschungsgruppe,<br />
wissenschaft lichen Einrichtung,<br />
Fakultät, Hochschule; ferner <strong>Wissenschaft</strong> lerinnen<br />
und <strong>Wissenschaft</strong>ler, von denen ein Antrag bei der<br />
Stiftung vorliegt oder deren Antrag kürzlich abgelehnt<br />
wurde – und natürlich <strong>die</strong>jenigen, bei denen<br />
es Hinweise auf positive oder negative Voreingenommenheit<br />
gibt. So versucht <strong>die</strong> Stiftung schon<br />
bei der Begutachtung den selbst gesetzten hohen<br />
Standards zu entsprechen, <strong>die</strong> ihre Fördertätigkeit<br />
insgesamt bestimmen.<br />
Das Schloss Herrenhausen, ursprünglich ein barocker, in mehreren<br />
Abschnitten entstandener Bau, wurde von Georg Ludwig Laves<br />
Anfang des 19. Jahrhunderts im Stil des Klassizismus umgestaltet<br />
(siehe Bild). Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bau zerstört; damit<br />
verlor das Gesamtensemble des Großen Gartens einen wichtigen<br />
Bezugspunkt. Mit dem Wiederaufbau des einst von den Welfen<br />
als Sommerresidenz genutzten Schlosses stärken Stadt und<br />
Stiftung <strong>die</strong> Attraktivität des <strong>Wissenschaft</strong>s- und Wirtschaftsstandortes<br />
Hannover.<br />
Geschichte der Stiftung<br />
Zum Schluss ein paar Worte zur „Geschichte“ der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong>, <strong>die</strong> – anders als ihr Name<br />
vermuten lässt – keine Unternehmensstiftung ist.<br />
Sie verdankt ihren Namen wie auch ihre Gründung<br />
einem Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik<br />
Deutschland und dem Land Niedersachsen vom<br />
November 1959, mit dem <strong>die</strong> Auseinandersetzungen<br />
um <strong>die</strong> unklaren Eigentumsverhältnisse am<br />
Volkswagenwerk beendet wurden.<br />
Nach dem Krieg gab es keinen identifizierbaren<br />
Eigentümer mehr. Man beschloss, <strong>die</strong> damalige<br />
Volkswagenwerk GmbH in eine Aktiengesellschaft<br />
umzuwandeln. 60 Prozent des Aktienka -<br />
pitals wurden durch <strong>die</strong> Ausgabe sogenannter<br />
Volksaktien in Privateigentum überführt, je 20<br />
Prozent behielten der Bund und das Land Niedersachsen.<br />
Der Erlös aus der Privatisierung und <strong>die</strong><br />
Gewinnansprüche auf <strong>die</strong> dem Bund und dem<br />
Land verbliebenen Anteile wurden als Vermögen<br />
der neu gegründeten Stiftung Volkswagenwerk,<br />
wie sie bis 1989 hieß, übertragen. Ihr Kapital legt<br />
<strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> so ertragreich und nachhaltig<br />
wie möglich an; sie hat das Stiftungskapital<br />
dabei über <strong>die</strong> Jahre in seinem Wert erhalten.<br />
Dessen Erträge ermöglichen eben seit nunmehr<br />
nahezu fünf Jahrzehnten jene Forschung, <strong>die</strong> auf<br />
den folgenden Seiten vorgestellt wird.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 9
Neues aus der Forschungsförderung<br />
<strong>Wissenschaft</strong> ist in besonderem Maße globalisiert – das kommt nicht zuletzt in dem<br />
Slogan von der weltweiten Konkurrenz um <strong>die</strong> besten Köpfe zum Ausdruck. Betrachtet<br />
man das Ziel der Internationalisierung explizit von der <strong>Wissenschaft</strong> her, werden allerdings<br />
viele Barrieren erkennbar. Sie haben teils nur mittelbar etwas mit Geld oder Politik<br />
zu tun, mit disziplinären Methoden, technologischen Voraussetzungen oder institutionellen<br />
Strukturen. Oftmals mehr begrenzend wirken Sprache und gegenseitiges (Miss-)<br />
Verstehen, ist gerade wissenschaftliches Wirken doch ebenso sprachabhängig wie kulturell<br />
bedingt. Wenn es also um neue Ideen auf der Basis internationaler Zusammenarbeit<br />
geht, ist <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>Wissenschaft</strong> sich in kulturellen Kontexten entwickelt, von<br />
weitreichender Bedeutung.<br />
Hier ebenso „entgrenzend“ wie über <strong>die</strong> Grenzen – gleich welcher Art – zusammenführend<br />
zu wirken, ist immer schon Ziel der <strong>VolkswagenStiftung</strong> gewesen. Beispiele in <strong>die</strong>sem<br />
Heft zeigen <strong>die</strong>s. Allein vier Projekte aus drei Themenfeldern und zwei Weltregionen<br />
machen deutlich, wie erfolgreich <strong>die</strong> Stiftung agiert mit ihrem Verständnis von einer<br />
angemessenen auslandsorientierten Förderung, <strong>die</strong> partnerschaftliches Zusammen -<br />
arbeiten in den Mittelpunkt stellt. So hat ein deutsch-afrikanisches Forscherteam eine<br />
neue Methode entwickelt, einer der ge<strong>für</strong>chtetsten Krankheiten der Tropen Einhalt zu<br />
gebieten. Ebenfalls im sub-saharischen Afrika „unterwegs“ ist ein junger ghanaischer<br />
Biologe mit dem Ziel, einer weiteren sogenannten Armutskrankheit besser entgegenzutreten.<br />
Wieder ein anderes deutsch-afrikanisches Forscherteam beschäftigt sich mit den<br />
Veränderungsdynamiken und den „Aushandlungsprozessen“ von Kultur in afrikanischen<br />
Gesellschaften – und zwar am Beispiel von Musik und elektronischen Me<strong>die</strong>n. Und in<br />
Zentralasien suchen <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler aus Deutschland und<br />
der Region nach Wegen, ein dringendes Umweltproblem in den Griff zu bekommen.<br />
Unterdessen geht eine <strong>Wissenschaft</strong>lerin mit iranischen Wurzeln in Deutschland der Frage<br />
nach, wann Menschen das Land, in dem sie leben, als Heimat empfinden. Naika Foroutan<br />
ist dabei nur eine von vier „besten Köpfen“, <strong>die</strong> in Interviews Einblicke geben in ihre Arbeit<br />
und ihr Leben als <strong>Wissenschaft</strong>lerin oder <strong>Wissenschaft</strong>ler. Neugierig geworden? Dann<br />
wünschen wir viel Spaß bei der Lektüre unserer „<strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>“!
Von der <strong>Wissenschaft</strong>, das Internet zu befragen<br />
Im Gespräch: Lichtenberg-Professorin Iryna<br />
Gurevych von der Universität Darmstadt über<br />
automatische Textanalyse im Internetzeitalter<br />
Sie stehen noch am Beginn ihrer Karriere und haben doch längst ein neues<br />
Forschungsfeld <strong>für</strong> sich abgesteckt – <strong>die</strong> erfolgreichen Bewerberinnen und<br />
Bewerber um eine Lichtenberg-Professur der <strong>VolkswagenStiftung</strong>. Dieses<br />
Förderinstrument gibt ausgewählten exzellenten Forschern <strong>die</strong> nötige Freiheit<br />
und <strong>die</strong> Ausstattung, ihre hochinnovativen Ideen verfolgen zu können.<br />
Und an den Universitäten, <strong>die</strong> in den Genuss einer Lichtenberg-Professur<br />
kommen, lassen sich auf <strong>die</strong>sem Weg neue Forschungsgebiete etablieren.<br />
Wer mit Iryna Gurevych ein Interview führt, muss sich in Acht nehmen: Die<br />
W1-Lichtenberg-Professorin ist Expertin <strong>für</strong> missverständliche Fragen und<br />
klare Antworten. An der Technischen Universität (TU) Darmstadt erforscht<br />
<strong>die</strong> 33-Jährige, wie Menschen aus der Informationsflut des Internets intelligente<br />
Antworten fischen können – und dabei <strong>die</strong> Frage nicht anders formulieren<br />
müssen, als sprächen sie mit ihrem Nachbarn. Iryna Gurevych versteht<br />
<strong>die</strong> Sprache von Mensch und Maschine. Sie hat Sprachwissenschaften stu<strong>die</strong>rt<br />
und forscht heute mit ihrer Lichtenberg-Professur – ausgestattet mit knapp<br />
900.000 Euro – an einer Informatik-Fakultät. Mit ihr sprach <strong>Wissenschaft</strong>sjournalist<br />
Frank van Bebber.<br />
Frau Professorin Gurevych, schauen Sie öfter ins Internet als in <strong>die</strong> Uni-Bibliothek?<br />
Ich muss gestehen, ich war nur ein Mal in der Uni-Bibliothek – weil ich den<br />
Leiter der Bibliothek besucht habe, um mit ihm ein Entwicklungsprojekt zu<br />
virtuellen Forschungsumgebungen zu konzipieren. Ansonsten setze ich stark<br />
auf elektronische Wissensquellen und elektronische Bibliotheken. In der Informatik<br />
ändert sich das Wissen so schnell, dass wir kaum einschlägige Bücher<br />
haben; wir müssen uns auf das stützen, was wir in elektronischer Form im<br />
Internet finden.<br />
Im Vergleich zur Uni-Bibliothek ist das Internet riesig. Ist es auch <strong>für</strong> Sie schwer,<br />
auf eine Frage eine Antwort zu bekommen?<br />
Das Internet selbst gibt meist keine Antworten auf konkrete Fragen. Es gibt<br />
aber andere Wissensquellen im Web 2.0, zum Beispiel soziale Frage-Antwort-<br />
Sie bringt dem Computer bei, ähnlich zu<br />
denken wie ein Mensch. Die Lichtenberg-<br />
Professorin Dr. Iryna Gurevych entwickelt<br />
an der Technischen Universität Darmstadt<br />
das so genannte „Question Answering“, eine<br />
Technologie, mit der Computer Sinnzusammenhänge<br />
der menschlichen Sprache erfassen<br />
und natürlich-sprachliche Fragen „ver -<br />
stehen“ und richtig beantworten können.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 13
14<br />
Gibt man bei Google den Befehl „Kuchen -<br />
(minus) Obst“ ein, weil man auf der Suche<br />
nach Backrezepten OHNE Obst ist, antwortet<br />
<strong>die</strong> Suchmaschine mit Unmengen von Rezepten<br />
<strong>für</strong> Apfelkuchen und Kirschtorten. Diplominformatiker<br />
Torsten Zesch, hier kurz vor dem<br />
Verzehr eines Kuchenstücks, weiß warum:<br />
Google versteht den Sinnzusammenhang<br />
zwischen einzelnen Fruchtsorten und dem<br />
Oberbegriff „Obst“ nicht und sucht lediglich<br />
nach Seiten, auf denen der Begriff „Kuchen“<br />
ohne das Wort „Obst“ auftaucht.<br />
Plattformen. Bei <strong>die</strong>sen bekommt man zumeist sehr schnell Antworten von<br />
anderen Menschen, <strong>die</strong> auf dem einschlägigen Gebiet ausgewiesene Experten<br />
sind. Dieses Phänomen hat <strong>die</strong> Bezeichnung Wisdom of Crowds, auf Deutsch:<br />
<strong>die</strong> Weisheit der Vielen. Wir erforschen zum Beispiel Algorithmen: Wie etwa<br />
lassen sich Hunderte von Antworten auf eine Frage automatisch zusammenfassen?<br />
Das Motto unserer Arbeit könnte lauten: „Wenn Sie Fragen haben,<br />
kommen Sie nach Darmstadt!”<br />
An welchen Fragetechniken <strong>für</strong> das Internet arbeiten Sie? Geben Sie bitte mal ein<br />
Beispiel!<br />
Wir arbeiten an einer Technologie, <strong>die</strong> man unter der Bezeichnung Question<br />
Answering kennt: <strong>die</strong> Beantwortung natürlich-sprachlicher Fragen. Wir wollen<br />
intelligente Fragen stellen können und darauf intelligente Antworten<br />
erhalten. Das heißt: Wie finde ich in einem Dokument genau jene Stellen, <strong>die</strong><br />
meine Frage beantworten – und nicht nur jene, in denen <strong>die</strong> Wörter der Frage<br />
vorkommen. Ein Beispiel: Sie wollen wissen, welche Professoren an der Technischen<br />
Universität Darmstadt tätig sind. Da würden Sie heute keine Antwort<br />
bekommen, sondern nur eine Liste mit Treffern, wo <strong>die</strong> Worte Professor und<br />
TU Darmstadt gleichzeitig auf einer Webseite auftauchen. Oder Sie interessiert,<br />
welche Vorteile Darmstadt als Informatik-Standort hat. Unsere Methoden<br />
ermöglichen es, Meinungen in Internetforen zu analysieren und zusammenzufassen.<br />
Und das ist eine Aufgabe <strong>für</strong> eine Sprachwissenschaftlerin?<br />
Ich habe tatsächlich mein Diplom in englischer und deutscher Linguistik<br />
gemacht. Mein akademischer Werdegang hat mich aber immer weiter weg<br />
von der Linguistik in Richtung Informatik geführt. Ich habe in Computerlingu -<br />
istik promoviert – über Mensch-Maschine-Schnittstellen, <strong>die</strong> auf gesprochener<br />
Sprache beruhen. Anders gesagt: Das sind Informationssysteme, mit denen<br />
Sie reden können. Ich war dann fünf Jahre an einem Forschungsinstitut <strong>für</strong><br />
angewandte Informatik tätig, bevor ich in den Fachbereich Informatik der<br />
TU Darmstadt gewechselt bin. Die Forschung auf dem Gebiet automatischer<br />
Textanalyse erfordert aber auch viele Kenntnisse über <strong>die</strong> Sprache. Es ist sehr<br />
komplex, dem Computer beizubringen, Zusammenhänge abzuleiten, <strong>die</strong> dem<br />
menschlichen Denken ähnlich sind. Der Computer muss den Sinn erschließen.<br />
Und wir möchten nun mit dem „Lichtenberg-Team“ Methoden entwickeln,<br />
<strong>die</strong> allgegenwärtig, benutzerfreundlich und flexibel sind – so wie Sie Google<br />
<strong>für</strong> Suchen aller Art benutzen können.<br />
Nun gibt es im Internet auch viele Gerüchte und falsche Informationen.<br />
Wie soll ein Computer das erkennen?
Die Frage stellt sich gerade in Web 2.0-Kontexten, weil es hier keine Kontrolle<br />
zum Beispiel durch Verlage gibt. Ich habe kürzlich einen Doktoranden eingestellt,<br />
der sich mit automatischer Qualitätsbewertung von Webtexten befasst.<br />
Das ist schwer zu operationalisieren. Was ist <strong>die</strong> Qualität eines Textes?<br />
Manchmal kann eine Antwort willkommen sein, auch wenn sie voller Rechtschreibfehler<br />
ist. Doch viele Fehler sind manchmal auch Zeichen <strong>für</strong> Schlampigkeit.<br />
Eine Vielzahl an automatisch bestimmbaren Qualitätsmerkmalen eines<br />
Textes erlaubt intelligentes Filtern. Es gibt im Internet aber auch Gemeinschaften,<br />
<strong>die</strong> Qualität sicherstellen: Wikipedia ist dadurch in vielen Bereichen <strong>die</strong><br />
Informationsquelle Nummer eins.<br />
Werden Computer einmal bessere Antworten im Internet aufstöbern können als<br />
Menschen?<br />
Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das heute schon der Fall ist. In<br />
vielen Bereichen gibt es derart viele Texte, dass niemand <strong>die</strong> mehr alle lesen<br />
kann. In begrenzten Bereichen ist natürlich der menschliche Experte weiterhin<br />
<strong>die</strong> Lösung Nummer eins.<br />
Wie arbeitet Ihr Team an den neuen Methoden, Informationen aus dem Internet<br />
zu heben?<br />
In meinem Team sind 17 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
beschäftigt. Wir arbeiten in vier Gruppen mit zentral jeweils einem Post-Doktoranden<br />
zu einer Leitfrage, <strong>die</strong> bisher nicht erforscht ist. Zum Beispiel ent -<br />
Das 17-köpfige Forscherteam um Lichtenberg-<br />
Professorin Dr. Iryna Gurevych (vordere Reihe,<br />
Zweite von links) auf dem Campus der TU<br />
Darmstadt. Dank fünfjähriger Lichtenberg-<br />
Professur konnte Iryna Gurevych ein völlig<br />
neues Forschungsgebiet definieren und aufbauen.<br />
Und auch langfristig bieten sich <strong>für</strong><br />
das Team gute Perspektiven an der Univer -<br />
sität, da sich das außerordentliche Potenzial<br />
des Forschungsfeldes bereits bestätigt hat.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 15
16<br />
Brainstorming im Demonstrations- und Teambesprechungsraum<br />
an der TU Darmstadt.<br />
Torsten Zesch, Cigdem Toprak, Dr. Delphine<br />
Bernhard, Professorin Iryna Gurevych und<br />
Christof Müller (Bild oben, von links) disku -<br />
tieren über <strong>die</strong> Internetsuche der nächsten<br />
Generation. Das von den Forschern entwickelte<br />
„Question Answering“ könnte Google<br />
und Co. revolutionieren, indem es <strong>die</strong> Flexi -<br />
bilität und Effektivität von Suchmaschinen<br />
deutlich erhöht.<br />
wickeln wir Algorithmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ähnlichkeit zwischen zwei Texten automatisch<br />
bestimmen. Dazu müssen wir erst einmal herausfinden: Was macht Texte zu<br />
ähn lichen Texten? Eine Ähnlichkeit im Sinne des Themas? Oder sind es identische<br />
Wörter? Dann überlegen wir uns, wie wir <strong>die</strong>s in einen Algorithmus<br />
verwandeln. Am Ende prüfen wir <strong>die</strong> Ergebnisse der Software anhand einer<br />
von Menschen erstellten Musterlösung. Wir arbeiten mit Unternehmen zu sam -<br />
men; vieles aber ist Grundlagenforschung, <strong>die</strong> ja Gegenstand der Lichtenberg-<br />
Professur ist. Beides in Kombination macht <strong>die</strong>s von der Stiftung geförderte<br />
Vorhaben so spannend.<br />
Wie hat Ihnen <strong>die</strong> Lichtenberg-Professur geholfen, mit Geld?<br />
Es ist sicher nicht das Geld. Ich habe viele andere Drittmittel-Forschungsprojekte.<br />
An der Lichtenberg-Professur hat mich fasziniert, dass ich ein originäres<br />
Forschungsgebiet definieren und international aufbauen kann. Das ist ein<br />
Risiko, aber auch ein Reiz, weil man der Erste ist und <strong>die</strong> Chance hat, ein Forschungsgebiet<br />
mit seinem Namen zu verbinden. Und ich habe eine langfristige<br />
Perspektive an der Universität, weil bei Lichtenberg-Professuren gleich<br />
eine Zielvereinbarung über ein Tenure-track-Verfahren geschlossen wird. Man<br />
weiß: Nach fünf Jahren ist es nicht vorbei, wenn sich das Potenzial bestätigt.<br />
Eine weitere Motivation <strong>für</strong> mich war, dass Lichtenberg-Professuren interdisziplinär<br />
angelegt sind. Ich bin ja durch verschiedene wissenschaftliche Diszi -<br />
plinen geprägt, und <strong>die</strong> Professur macht es möglich, <strong>die</strong>se in einem Forschungsgebiet<br />
zu verbinden. Das Potenzial meiner Forschung hat sich bereits bestätigt<br />
– mit Rufen auf gleich zwei W3-Professuren.<br />
Als Sie <strong>die</strong> Professur antraten, sind Sie gerade 32 Jahre alt geworden. Weckt da der<br />
Anspruch, ein neues Forschungsfeld eröffnen zu wollen, nicht Zweifel bei sich und<br />
anderen?<br />
Ich versuche, mit meiner Arbeit zu überzeugen. Mir ist der Einstieg aus zwei<br />
Gründen leichter gefallen: Zum einen habe ich einen Schritt nach dem anderen<br />
gemacht. An <strong>die</strong> Technische Universität Darmstadt kam ich Ende 2005<br />
zunächst als leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt<br />
E-Learning und als Leiterin eines von mir eingeworbenen Projekts bei<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nach anderthalb Jahren kam eine<br />
Emmy-Noether-Gruppe der DFG hinzu, dann <strong>die</strong> Lichtenberg-Professur. Der<br />
andere Punkt ist, dass ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen wunderbar<br />
zusammenarbeiten kann; ich habe eine exzellente Arbeitsgruppe aufgebaut,<br />
<strong>die</strong> mir viel bedeutet. Gemeinsam ist es uns inzwischen gelungen, den Stand -<br />
ort TU Darmstadt auf dem Gebiet der automatischen Textanalyse weltweit<br />
bekannt zu machen. Wir haben manches entwickelt, was auch in Stanford<br />
oder Berkeley eingesetzt wird. Mehr kann man in so kurzer Zeit wohl kaum<br />
erreichen.
Warum sind Sie Ihren Entwicklungen nicht in <strong>die</strong> USA gefolgt?<br />
Weil ich gern in Deutschland bin. Deutschland ist <strong>für</strong> mich ja schon Ausland.<br />
Ich komme aus der Ukraine, dort habe ich stu<strong>die</strong>rt. Ich war Stipendiatin des<br />
Deutschen Akademischen Austausch<strong>die</strong>nstes und habe hier promoviert. Ich<br />
lebe sehr gern in Deutschland, hier ist meine achtjährige Tochter geboren<br />
und wächst glücklich auf. Es stimmt: In den USA wird viel mehr im Bereich<br />
automatischer Textanalyse gearbeitet. Das ist zweifellos attraktiv, aber mit<br />
der Lichtenberg-Professur wurde mir ein traumhaftes Angebot unterbreitet<br />
– ganz einfach ein tolles Förderpaket geschnürt. Von den Kollegen in den USA<br />
werde ich mittlerweile oft als Gastsprecherin und Partner <strong>für</strong> Forschungs -<br />
projekte eingeladen.<br />
Und wer das von Ihnen und Ihrem Team produzierte Wissen sucht, sollte im<br />
Internet schauen, nicht in der Bibliothek?<br />
Ja. Sobald ein Aufsatz <strong>für</strong> eine Veröffentlichung angenommen wurde, stellen<br />
wir ihn auf unsere Webseite – ebenso wie Informationen über unsere Forschungsprojekte.<br />
Unsere Community pflegt <strong>die</strong> Open-Access-Kultur. Die Leute<br />
finden <strong>die</strong> Informationen von und über uns entweder mit Google oder sie<br />
schauen gezielt auf unserer Webseite danach.<br />
Frau Gurevych, vielen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />
Die Lichtenberg-Professuren<br />
Exzellente Forscherinnen und Forscher benötigen<br />
zweierlei: <strong>die</strong> Freiheit, eigene Ideen zu verfolgen,<br />
und eine Ausstattung, mit der <strong>die</strong> Realisierung<br />
<strong>die</strong>ser Ideen möglich wird. Beides erhält, wer sich<br />
bei der <strong>VolkswagenStiftung</strong> erfolgreich um eine<br />
Lichtenberg-Professur bemüht. Zugleich können<br />
Universitäten mithilfe einer solchen Professur auf<br />
besonders substanzielle und nachhaltige Weise<br />
Strukturplanung betreiben; das macht <strong>die</strong>ses Förderinstrument<br />
<strong>für</strong> mehr und mehr Hochschulen<br />
attraktiv. Fünf bis acht Jahre lang unterstützt <strong>die</strong><br />
Stiftung <strong>die</strong> herausragenden <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />
und <strong>Wissenschaft</strong>ler dabei, ihr Forschungs-<br />
feld an einer Universität ihrer Wahl fest zu verankern.<br />
25 solcher Professuren – benannt nach dem<br />
Mathematiker, Physiker und Philosophen Georg<br />
Christoph Lichtenberg – hat <strong>die</strong> Stiftung zwischen<br />
2003 und 2009 an 17 deutschen Hochschulen eingerichtet<br />
(im Sommer 2009 sind vier weitere hinzugekommen,<br />
<strong>die</strong> ihre Arbeit allerdings noch nicht<br />
aufgenommen haben). All <strong>die</strong>se <strong>Wissenschaft</strong>lerpersönlichkeiten<br />
eint, dass sie frische Strategien<br />
in das traditionelle Hochschulsystem einspeisen.<br />
Auf <strong>die</strong>se Weise gelingt es, bestehende Strukturen<br />
aufzubrechen und Neuem nachhaltig den Weg zu<br />
bahnen. cj<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 17
Ohne Worte – über <strong>die</strong> Sprache der Hände<br />
Gehorchen Gesten einer eigenen Grammatik? Mit<br />
<strong>die</strong>ser Frage beschäftigen sich vier Forscherinnen<br />
aus Frankfurt/Oder, Berlin und Köln.<br />
Wo fängt eine Geste an? Wo hört sie auf? Welche Formen gibt es? Wie lassen<br />
sich Gesten kombinieren, und welche Bedeutungen haben sie? Und wie<br />
hängen Gesten und Lautsprache zusammen? Was sind <strong>die</strong> neurologischen<br />
Grundlagen von Gesten, und welche Vorläufer haben sie in der Evolution? In<br />
einem einzigartigen Projekt suchen vier Forscherinnen aus Linguistik, Se mio -<br />
tik, Neurologie und Vergleichender Primatologie nach einer „Grammatik der<br />
Gesten“ – und stellen dabei das traditionelle Konzept von Sprache infrage.<br />
Wenn <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen <strong>die</strong> gleichen Fragen umtreiben, warum dann nicht<br />
gemeinsam nach Lösungen suchen? Das sagten sich vor vier Jahren auch <strong>die</strong><br />
Linguistin Cornelia Müller, <strong>die</strong> Neurologin Hedda Lausberg, <strong>die</strong> Linguistin und<br />
Semiotik-Expertin Ellen Fricke und <strong>die</strong> Primatologin Katja Liebal. Bis zum Start<br />
ihres Forschungsprojekts „Towards a grammar of gesture: evolution, brain, and<br />
linguistic structures“ im Jahr 2006 hatte jede von ihnen einen Weg gesucht,<br />
Gesten systematisch zu erforschen. Dann fanden sie zusammen. Es sollte sich<br />
auszahlen.<br />
Eine aus dem Quartett ist Katja Liebal. Die Biologin, <strong>die</strong> heute als Juniorprofessorin<br />
<strong>für</strong> Evolutionäre Psychologie an der Freien Universität Berlin arbeitet und<br />
zuletzt in Leipzig und Portsmouth tätig war, promovierte 2005 zur gestischen<br />
Kommunikation von Menschenaffen. Ihr Ziel war es, Gemeinsamkeiten wie<br />
Unterschiede gegenüber der menschlichen Kommunikation aufzudecken und<br />
Hinweise auf <strong>die</strong> Evolution von Sprache zu finden. „Es wird bisher strittig diskutiert,<br />
ob Gesten Vorläufer der Lautsprache sind oder ob sie sich unabhängig<br />
davon entwickelt haben“, sagt <strong>die</strong> 33-Jährige. Klarheit hätte eine exakte Analyse<br />
der Gesten unserer nächsten Verwandten bringen können. Doch hier<strong>für</strong><br />
fehlte Liebal <strong>die</strong> Methode. „Das ist ungefähr so, als wenn Sie eine Ihnen unbekannte<br />
Sprache analysieren müssen, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es noch gar keine Beschreibungskategorien<br />
gibt.“<br />
Das Zusammentreffen mit der Linguistin und Gestenforscherin Cornelia Müller<br />
war <strong>für</strong> sie ein Glücksfall. Müller, inzwischen Professorin <strong>für</strong> Angewandte<br />
Sprachwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder<br />
und seinerzeit noch an der Freien Universität Berlin tätig, war schon lange<br />
überzeugt davon, dass <strong>die</strong> Handbewegungen, <strong>die</strong> wir beim Sprechen benutzen,<br />
kein Zufall sind. „Wenn wir reden, kommunizieren wir relevante Inhalte<br />
Sind Gesten <strong>die</strong> Vorläufer der Lautsprache?<br />
Oder hat sich <strong>die</strong> Kommunikation mit den<br />
Händen unabhängig zum gesprochenen Wort<br />
entwickelt? Vier Forscherinnen suchen nach<br />
einer „Grammatik der Gesten“ und konzentrieren<br />
sich dabei auf <strong>die</strong> Handbewegungen<br />
während des Sprechens. Vergleichend werfen<br />
sie einen Blick auf unsere nächsten Ver wand -<br />
ten – etwa <strong>die</strong> Orang-Utans, <strong>die</strong> zum Beispiel<br />
Gesten einsetzen, um Futter zu erbetteln.<br />
Beobachtet wurden Orang-Utan Saddam<br />
(links) und Patrizia (oben, hier mit Betreuerin<br />
Ms Tuti), <strong>die</strong> im Orang-Utan Care Center im<br />
Tanjun Putin Nationalpark im indo ne sischen<br />
Teil der Insel Borneo leben.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 19
20<br />
Sie bilden das Forscherinnenquartett: Dr.<br />
Ellen Fricke (links) von der Europa-Universität<br />
Viadrina in Frankfurt/Oder ist im Team <strong>die</strong><br />
Expertin <strong>für</strong> Semiotik, <strong>die</strong> „Lehre der Zeichen“.<br />
Juniorprofessorin Dr. Katja Liebal (rechts)<br />
arbeitet zurzeit an der Freien Universität<br />
Berlin; im Rahmen des Projekts verbrachte<br />
sie mehr als 700 Stunden mit der Kamera vor<br />
Zookäfigen und im Freiland und untersuchte<br />
<strong>die</strong> Gestik von Schimpansen, Orang-Utans<br />
und Gibbons.<br />
auch mit den Händen“, sagt <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerin. Im Jahr 2004 gründete<br />
sie mit Ellen Fricke und Hedda Lausberg das Berlin Gesture Centre (BGC), das<br />
interdisziplinäre Forschung und Lehre zu gestenbezogenen Themen mit Aus -<br />
bildung und Beratung verbindet. Cornelia Müller und Ellen Fricke gehen davon<br />
aus, dass Gesten ein integrierter Bestandteil von Sprache sind und ebenso<br />
wie <strong>die</strong> Lautsprache Regeln unterliegen. Anders als bisher in der Linguistik<br />
vermittelt, ist Sprache <strong>für</strong> sie kein „geschlossenes System lautlicher Zeichen“,<br />
sondern „multimodal“.<br />
In ihrem auf drei Jahre angelegten Vorhaben wollen <strong>die</strong> vier engagierten <strong>Wissenschaft</strong><br />
lerinnen nun erstmals eine umfassende Beschreibung von Gesten<br />
erarbeiten, eine „Grammatik der Gesten“. Unterstützt werden sie dabei von<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Rahmen der Initiative „Schlüsselthemen der<br />
Geisteswissenschaften“ mit knapp einer Million Euro. Das Wort „towards“<br />
im Projekttitel ist dabei bewusst gewählt, wie Cornelia Müller betont. „Wir<br />
wollen zeigen, dass Gesten zumindest einer eigenen Proto-Grammatik gehorchen;<br />
allerdings werden wir in <strong>die</strong>ser kurzen Zeit nur <strong>die</strong> Grundlagen da<strong>für</strong><br />
legen können.“<br />
Im Fokus des Forscherteams stehen <strong>die</strong> redebegleitenden Gesten, also Handbewegungen,<br />
<strong>die</strong> sich beobachten lassen, wenn jemand spricht. In neun Teilprojekten<br />
untersuchen mehr als zwanzig <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
aus Primatologie, Linguistik, Neurobiologie und Semiotik, wie Gesten<br />
aus Handbewegungen geschaffen werden, welche Formen und Kombinationen<br />
von Gesten wir verwenden und welche evolutionären Hintergründe und<br />
neurologischen Prozesse ihnen zugrunde liegen. Als Ergebnisse sollen unter<br />
anderem drei Grundlagenwerke entstehen: ein Field Guide von Cornelia Müller,<br />
der erstmals eine systematische linguistisch-strukturelle Analyse von Gesten
ermöglichen soll, ein Buch mit dem Titel „Talking Hands“, in dem Müller eine<br />
linguistische Dokumentation der Formen redebegleitender Gesten vornimmt,<br />
sowie Ellen Frickes Buch „Grammatik multimodal“, das <strong>die</strong> theoretischen Grund -<br />
lagen <strong>für</strong> eine Integration von Gesten in <strong>die</strong> lautsprachliche Grammatik<br />
formuliert.<br />
Die Linguistinnen Müller und Fricke lieferten auch den theoretischen Hin -<br />
tergrund <strong>für</strong> <strong>die</strong> linguistische Beschreibung von Gesten. Ellen Fricke vertritt<br />
gerade eine Professur <strong>für</strong> Angewandte Sprachwissenschaft an der Europa-<br />
Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Als Expertin <strong>für</strong> <strong>die</strong> „Lehre der Zeichen“<br />
kennt sie sich mit deren theoretischer Beschreibung, ihrer Abgrenzung und<br />
Interpretation aus und fungiert damit als Bindeglied zwischen der Linguistik<br />
und den anderen Disziplinen. „Die meisten Linguisten trennen Körperbewegungen<br />
von Sprache“, sagt sie. „In der Semiotik gab es dagegen schon immer<br />
eine Offenheit <strong>für</strong> gestische Zeichen.“ Dieses Verständnis, <strong>die</strong>ses Bewusstsein<br />
zahle sich jetzt aus.<br />
Gemeinsam mit Cornelia Müller und ihren Mitarbeitern hat sie schon mehr<br />
als 80 Stunden Videomaterial gesichtet: Aufnahmen von Menschen in Ratesendungen<br />
und Talkshows, von Gesprächen zwischen Bekannten, in Vorlesungen<br />
und bei wissenschaftlichen Vorträgen – oder auch in eher experimentellen<br />
Situationen. Jede Geste beschrieben sie anhand von vier Parametern:<br />
Handform, Orientierung der Hand, ausgeführte Bewegung und Bewegungsrichtung<br />
sowie räumliche Position in Relation zum Körper. Änderten sie<br />
dabei einen Parameter, zum Beispiel <strong>die</strong> Position der Hand, veränderte sich<br />
damit auch <strong>die</strong> Bedeutung der Geste. „Ähnliches kennt man in der Linguistik<br />
von Wörtern, bei denen man einzelne Laute austauschen kann“, erklärt Fricke.<br />
„Wie bei ‚rot’ und ‚tot’.“<br />
Professorin Dr. Cornelia Müller (links) von der<br />
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder<br />
geht wie ihre Kollegin Dr. Ellen Fricke davon<br />
aus, dass Gesten ein integrierter Bestandteil<br />
von Sprache sind und ebenso wie <strong>die</strong> Lautsprache<br />
Regeln unterliegen. Professorin Dr.<br />
Hedda Lausberg (rechts) untersucht an der<br />
Deutschen Sporthochschule Köln <strong>die</strong> kogni -<br />
tiven und emotionalen Prozesse, <strong>die</strong> bei der<br />
Gestenproduktion im menschlichen Gehirn<br />
ablaufen. Sie interessiert unter anderem, welche<br />
Hirnareale aktiv sind, wenn Menschen<br />
Objekte tatsächlich gebrauchen oder aber<br />
<strong>die</strong>s nur pantomimisch darstellen.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 21
22<br />
Vier Forscherinnen, vier thematische Schwerpunkte<br />
– Neurologie, Linguistik, Semiotik<br />
(Lehre der Zeichen) und Primatologie: (von<br />
links) Professorin Dr. Hedda Lausberg von der<br />
Deutschen Sporthochschule Köln, Professorin<br />
Dr. Cornelia Müller und Dr. Ellen Fricke (beide<br />
von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder)<br />
sowie Juniorprofessorin Dr. Katja<br />
Liebal von der Freien Universität Berlin<br />
Über<strong>die</strong>s stellten sie fest, dass sämtliche Gesten nach vier Prinzipien „hergestellt“<br />
werden: als agierende, modellierende, zeichnende und repräsentierende<br />
Gesten. Agierende Gesten ahmen Bewegungen nach und erinnern damit an<br />
Verben. So wird das Wort „schreiben“ häufig mit einer schreibenden Bewegung<br />
des Zeigefingers begleitet. Modellierende und zeichnende Gesten stellen<br />
dagegen Eigenschaften dar, vergleichbar Adjektiven. Manchmal steht unsere<br />
Hand aber auch direkt <strong>für</strong> ein Objekt, zum Beispiel <strong>für</strong> ein Blatt Papier – eine<br />
repräsentierende Geste. Aus <strong>die</strong>sen und anderen Hinweisen schließen <strong>die</strong><br />
Forscherinnen, dass sie es bei Gesten mit Vorformen von sprachlichen Strukturen<br />
zu tun haben. Für sie steht fest: „Denken manifestiert sich nicht nur<br />
über <strong>die</strong> Lautsprache, sondern auch im Gestikulieren.“<br />
Die Vierte im Forscherinnenverbund, Hedda Lausberg, untersucht <strong>die</strong> kognitiven<br />
und emotionalen Prozesse, <strong>die</strong> bei der Gestenproduktion im menschlichen<br />
Gehirn ablaufen. Unter anderem zeigt <strong>die</strong> Professorin <strong>für</strong> Neurologie, Psychosomatik<br />
und Psychiatrie von der Deutschen Sporthochschule Köln – bei Projektbeginn<br />
war sie noch am Universitätsklinikum Dresden tätig – mithilfe der<br />
funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) und der Nah-Infrarotspektroskopie<br />
<strong>die</strong> zerebralen Aktivierungsmuster bei der Produktion von Gesten<br />
auf. So untersuchte sie, welche Hirnareale aktiv sind, wenn Menschen ein<br />
Objekt gebrauchen, etwa einen Hammer. Die Ergebnisse verglich Lausberg<br />
mit der zerebralen Aktivierung bei der gleichen Bewegung als pantomimische<br />
Geste. Sie stellte fest: Bei denjenigen Personen, <strong>die</strong> den Hammer verwendeten,<br />
wurden beide Hirnhälften aktiviert. Die pantomimische Handlung aktivierte<br />
jedoch zusätzlich linkshemisphärische Areale. Bei Patienten mit linkshemi -<br />
s phärischen Hirnschädigungen beobachtete sie zudem, dass <strong>die</strong>se bei der<br />
Ausführung pantomimischer Gesten eingeschränkt waren. Eine ihrer Folgerungen:<br />
Pantomimische Gesten erfordern im Vergleich zu Objektgebrauch<br />
<strong>die</strong> zusätzliche Kompetenz, mit der Vorstellung des Objektes zu agieren, das<br />
heißt, <strong>die</strong> Fähigkeit zur Abstraktion. „Diese Fähigkeit ermöglicht es, Dinge<br />
zu kommunizieren, <strong>die</strong> nicht physisch präsent sind, zum Beispiel von einem<br />
Hammer zu sprechen, obwohl er nicht da ist“, sagt Lausberg. „In der Evolution<br />
könnte der Erwerb <strong>die</strong>ser Kompetenz einen entscheidenden Schritt in der<br />
Entwicklung gestisch-sprachlicher Kommunikation dargestellt haben.“<br />
Eine Fähigkeit, <strong>die</strong> Affen zu fehlen scheint. Katja Liebal hat mehr als 700 Stunden<br />
mit der Kamera vor Zookäfigen und im Freiland verbracht und beobachtet,<br />
wie sich Schimpansen, Orang-Utans und Gibbons verständigen. Dabei entdeckte<br />
sie, dass <strong>die</strong> Tiere ausschließlich agierende Gesten benutzten, zum<br />
Beispiel um Futter zu erbetteln. Zeichnende, modellierende oder repräsentierende<br />
Gesten fand <strong>die</strong> Forscherin dagegen nicht. Andererseits deutet einiges<br />
darauf hin, dass Affen ihr Kommunikationssystem flexibel anpassen können.<br />
In Gefangenschaft kommunizieren <strong>die</strong> Tiere eher über Gesten als im Freiland,<br />
wo sie sich oft über große Entfernungen verständigen müssen. Auch variieren<br />
sie <strong>die</strong> Form einer Geste, je nachdem, in welchem Kontext <strong>die</strong>se steht.<br />
„Ohne <strong>die</strong> linguistische Perspektive wäre ich auf viele Ergebnisse gar nicht
gekommen“, sagt Liebal, <strong>die</strong> ihren Forschungsansatz unter Freilandprimatologen<br />
manchmal rechtfertigen muss – und sich umso mehr an dem inspirierenden<br />
Forscherinnenverbund erfreut.<br />
Vom großen Potenzial interdisziplinärer Zusammenarbeit sind sie und ihre<br />
drei Kolleginnen überzeugt. Neben den umfassenden Erkenntnissen, <strong>die</strong> sie<br />
<strong>für</strong> ihre jeweilige Disziplin gewonnen haben, wollen sie durch ihr Projekt auch<br />
dazu beitragen, <strong>die</strong> noch junge Gestenforschung national wie international<br />
zu etablieren. Dokumentiert und thematisiert wird das junge Forschungsfeld<br />
unter anderem durch <strong>die</strong> Zeitschrift GESTURE und <strong>die</strong> Internationale Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Gestenforschung (ISGS). Die praktische Relevanz <strong>die</strong>ses <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />
zeigen zudem zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in der<br />
Lehrerausbildung, der Kommunikationsforschung und -beratung, der Arzt-<br />
Patient-Interaktion, der Psychotherapie, der Rehabilitation von Patienten mit<br />
Sprachstörungen, der Computeranimation oder in der wissenschaftlichen<br />
Analyse audio-visueller Daten.<br />
Für <strong>die</strong> Erforschung von Gesten haben Cornelia Müller und ihre drei Kolleginnen<br />
in kurzer Zeit Entscheidendes geleistet, nicht zuletzt durch <strong>die</strong> Erarbeitung<br />
wesentlicher Grundlagenwerke. Ihre Expertise, aber auch zahlreiche Kontakte<br />
zu <strong>Wissenschaft</strong>lern anderer Disziplinen und Länder machen sie darüber hinaus<br />
auch hierzulande zu gefragten Expertinnen in Sachen Gestenforschung. So ge -<br />
hören Cornelia Müller, Hedda Lausberg und Katja Liebal zum Exzellenzcluster<br />
„Languages of Emotion“ der Freien Universität Berlin. Katja Liebal wird zudem<br />
seit Herbst 2008 von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> noch in einem weiteren großen<br />
Kooperationsprojekt gefördert; bei dem Vorhaben „Evolu tionary Roots of<br />
Human Social Interaction“ versucht sie gemeinsam mit Forschern in Leipzig,<br />
der Evolution des menschlichen Sozialverhaltens auf <strong>die</strong> Spur zu kommen.<br />
Das Projekt über <strong>die</strong> Grammatik der Gesten hingegen nähert sich seinem<br />
Ende. Bei einer großen internationalen Abschlusskonferenz im Jahr <strong>2010</strong><br />
(www.isgs<strong>2010</strong>.de) wollen <strong>die</strong> vier <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen <strong>die</strong> Ergebnisse<br />
dann zur Diskussion stellen. Das Thema „Gestenforschung“, da sind sich<br />
alle vier einig, wird sie jedoch auch weiter begleiten.<br />
Melanie Ossenkop<br />
Auf Forschungsreise zu unseren „Verwandten“ auf<br />
Borneo: Katja Liebal, im Bild unten mit dem Orang-<br />
Utan-Weibchen Jill, besuchte unter anderem das<br />
Orang-Utan Care Center im indonesischen Tanjun<br />
Putin Nationalpark. Beim Beobachten der Menschenaffen<br />
fand sie zum Beispiel heraus, dass in Gefangenschaft<br />
lebende Tiere deutlich häufiger mit Gesten<br />
kommunizieren als ihre freilebenden Artgenossen.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 23
Hirnforschung: mehr Einblick mit Weitblick<br />
Die bildgebende Diagnostik ermöglicht heute bessere<br />
Einblicke ins Gehirn und neue Therapien. Doch<br />
Hirnforscher beschäftigen auch ethische Fragen.<br />
Mithilfe von Stammzellen oder neurochirurgischen Verfahren könnten<br />
Schlag anfälle und Tumore, neurodegenerative und psychische Erkrankungen<br />
in Zukunft besser behandelbar werden. Doch <strong>die</strong>se Therapien bergen<br />
auch Risiken und Nebenwirkungen. Um <strong>die</strong> Patienten von morgen zu schützen,<br />
ist ein verantwortungsvoller Weitblick bereits in der Forschung wichtig.<br />
In zwei von der Stiftung geförderten Projekten stellen sich <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
<strong>die</strong>ser Herausforderung auf unterschiedliche Weise.<br />
Das menschliche Gehirn ist <strong>die</strong> Steuerzentrale des Körpers, der Entstehungsort<br />
von Bewegung. Es verarbeitet Empfindungen, steuert Sprache und gilt als<br />
Sitz der Seele. Mit dem Eingriff ins Gehirn verbindet <strong>die</strong> Menschheit Hoffnung<br />
und Bedenken zugleich. Schon Schädelöffnungen im antiken Ägypten<br />
sorgten <strong>für</strong> Aufsehen. Moderne Anästhesie und <strong>die</strong> Möglichkeit keimfreien<br />
Arbeitens förderten <strong>die</strong> Entwicklung der Hirnchirurgie im 20. Jahrhundert. In<br />
den 1960er Jahren durchtrennte man Nervenfasern zur Therapie psychiatrischer<br />
Erkrankungen. Jenes Zeitalter der Psychochirurgie warf alsbald <strong>die</strong> Frage<br />
auf: Wird ein Eingriff ins Gehirn zum Eingriff in <strong>die</strong> Persönlichkeit? Aktuelle<br />
Popularität verdankt <strong>die</strong> Hirnforschung der Macht von Bildern. Kern spin-Tomografie<br />
und molekulare Bildgebung gewähren Forschern neue Einblicke in Anatomie<br />
und Funktion. Sie haben <strong>die</strong> Hirnforschung revolutioniert und neue<br />
Therapien ermöglicht. Der Bogen <strong>für</strong> aktuelle Herausforderungen ist gespannt.<br />
Reparatur mittels eingepflanzter Stammzellen<br />
Eine davon ist <strong>die</strong> Therapie mit Stammzellen. Diese noch nicht spezialisierten<br />
Zellen teilen und vermehren sich im Unterschied zu ausgereiften unbegrenzt.<br />
Die Allroundtalente können sich grundsätzlich zu jedem Zelltyp entwickeln.<br />
Ihre Eigenschaften nutzt <strong>die</strong> medizinische Forschung etwa zur Regeneration<br />
von Körpergeweben: „Wir wissen, dass sich Stammzellen zu einem geschädigten<br />
Gewebe bewegen“, erklärt Professor Dr. Mathias Hoehn vom Max-<br />
Planck-Institut <strong>für</strong> neurologische Forschung in Köln. In geringem Umfang<br />
geschehe <strong>die</strong>s bei körpereigener Regeneration. Hoehns Idee besteht nun<br />
darin, <strong>die</strong>se Reparaturvorgänge mit eingepflanzten Stammzellen zu unterstützen.<br />
Im Idealfall verwandeln sich <strong>die</strong>se in ausgereifte Nervenzellen und<br />
übernehmen deren Funktion.<br />
Wohin bewegen sich in Ratten implantierte<br />
Stammzellen, und zu was entwickeln <strong>die</strong>se<br />
sich? Das Anfärben von Hirnschnitten ihrer<br />
Versuchstiere (Bild oben) hilft Forschern, solche<br />
Fragen zu beantworten. <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
aus Köln und von der Universität Leiden in<br />
den Niederlanden nutzen in einem von der<br />
Stiftung geförderten Vorhaben mehrere bildgebende<br />
und molekularbiologische Verfahren,<br />
um der regenerativen Kraft von Stammzellen<br />
auf <strong>die</strong> Spur zu kommen (großes Bild<br />
links: immunhistologische Anfärbung von<br />
Hirnschnitten von Ratten).<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 25
26<br />
Diplombiologe Klaus Kruttwig aus der Arbeits -<br />
gruppe von Professor Dr. Mathias Hoehn vom<br />
Max-Planck-Institut <strong>für</strong> neurologische Forschung<br />
in Köln bei der Probenanalyse mit -<br />
hilfe einer hochauflösenden Kamera (Bild<br />
oben). Im Bild unten: Professor Mathias Hoehn<br />
und Mitarbeiter seines Teams (von links):<br />
Melanie Nelles, Dr. Chrystelle Po, Professor<br />
Mathias Hoehn, Dr. Therese Kallur, Dr. Chantal<br />
Brüggemann, Dilek Güneri, Diplombiologe<br />
Klaus Kruttwig.<br />
Erstmals gelang es dem Physiker bereits im Jahr 2002 mithilfe der Kern spin-<br />
Tomografie, <strong>die</strong> Wanderung transplantierter Stammzellen im Gehirn von<br />
Ratten sichtbar zu machen. Doch bisher blieben <strong>die</strong>se Untersuchungen auf<br />
<strong>die</strong> Lokalisierung der Zellen beschränkt. Nun will Hoehn gemeinsam mit dem<br />
Zellforscher Professor Dr. Clemens Löwik vom Medizinischen Zentrum der<br />
Universität Leiden in den Niederlanden deren funktionelle Veränderungen<br />
über einen längeren Zeitverlauf im lebenden Organismus beobachten. Der<br />
Clou an dem Vorhaben ist <strong>die</strong> Kombination mehrerer bildgebender mit molekularbiologischen<br />
Verfahren. Neben der Kernspin-Tomografie (MRI) setzt<br />
Hoehn auch optische Methoden ein. Die <strong>Wissenschaft</strong>ler haben Mitte 2008<br />
mit ihren Arbeiten begonnen; <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> unterstützt das interdisziplinäre<br />
Kooperationsprojekt mit 560.000 Euro unter dem Dach ihres<br />
Förderangebots „Offen – <strong>für</strong> Außergewöhnliches“. Eingebunden sind in das<br />
Forscherteam Molekular- und Verhaltensbiologen, Mediziner, Chemiker,<br />
Elektrotechniker und Physiker.<br />
Die <strong>Wissenschaft</strong>ler beschäftigen sich mit der Frage: Wohin bewegen sich <strong>die</strong><br />
Zellen, und zu was entwickeln sie sich? Um sich Antworten zu nähern, werden<br />
<strong>die</strong> Stammzellen vor ihrem Einsatz zunächst einmal mit einem Kontrastmittel<br />
aus Eisenoxid-Nanopartikeln markiert. So lassen sich Lokalisation und Bewegung<br />
nachweisen. Die Beobachtung der Zellfunktion hingegen ist aufwän di ger:<br />
Vor der Implantation, der Einpflanzung, werden <strong>die</strong> Stammzellen gentechnisch<br />
verändert. Das ist der Part, den der Molekularbiologe Löwik übernimmt: Über<br />
ein Virus schleust er sogenannte Genfähren, kleine Abschnitte fremder DNA,<br />
in <strong>die</strong> Stammzelle ein. „Sobald man mit solchen transgenen Zellen arbeitet,<br />
wird es kompliziert“, betont Hoehn. Das in <strong>die</strong> Wirts-DNA eingefügte Stück<br />
nennt sich Reporter-Gen. Wie ein Nachrichtenreporter sendet es wichtige<br />
Informationen an <strong>die</strong> Forscher. Es co<strong>die</strong>rt etwa <strong>für</strong> einen optisch nachweis -<br />
baren Farbstoff. Voraussetzung da<strong>für</strong> ist eine Art Startsignal, das von einem<br />
vorgeschalteten Promotor-Gen ausgeht. Dies wird aktiviert, wenn <strong>die</strong> Zelle<br />
einen bestimmten Funktionszustand erreicht. Hat sie sich etwa zur Nervenzelle<br />
verwandelt, wird das eingeschleuste Reporter-Gen abgelesen, und <strong>die</strong><br />
Zelle erzeugt ihr Kontrastmittel selbst.<br />
Stammzellforschung als gesellschaftliches Thema<br />
Die Schwierigkeit besteht darin, Nachweisstoffe <strong>für</strong> bestimmte Zustände zu<br />
finden. Hoehn berichtet von ebenso spannenden wie zeitraubenden Experimenten:<br />
„Manchmal nehmen <strong>die</strong> Zellen den Stoff nicht auf, oder er stellt nicht<br />
<strong>die</strong> gesuchte Eigenschaft dar – oder wirkt gar schädlich.“ Doch <strong>die</strong> Zelldynamik<br />
lasse sich nun einmal nur im aktiven Zustand beobachten. Erfolgreich<br />
funktioniert hat bereits <strong>die</strong> zellspezifische Produktion von fluoreszierenden<br />
Farbstoffen. So können <strong>die</strong> Forscher bereits rot fluoreszierendes Protein selektiv<br />
in weiterentwickelten Stammzellen nachweisen. Bei der Biolumineszenz-<br />
Methode enthält das Gensegment <strong>die</strong> Information <strong>für</strong> ein Enzym, das <strong>die</strong>
Zelle zu einer Lichtreaktion wie bei Glühwürmchen anregt. Beide Verfahren<br />
<strong>die</strong>ses Optical Imaging (OI) basieren auf der Detektion von Licht: Es wird von<br />
lebenden Zellen ausgesendet und mithilfe einer <strong>für</strong> Licht hochempfindlichen<br />
Kamera gemessen.<br />
„Je mehr Verfahren wir allerdings gleichzeitig anwenden, desto schwieriger<br />
wird der Nachweis“, gibt Mathias Hoehn zu bedenken. Die optischen Methoden<br />
zeigen ihm, ob <strong>die</strong> Zellen noch leben; in der Aufnahme der Kernspin-To mo -<br />
graphie wiederum sieht man, wo sie sich befinden. Inzwischen lassen sich mit<br />
den Spezialgeräten der Forscher einzelne Zellverbände genau beobachten. Die<br />
Erkenntnisse könnten einmal eine bessere Behandlung von Schlag anfällen<br />
und Tumor er krankungen ermöglichen und auf andere Organe übertragbar<br />
sein.<br />
Doch der Forscher bremst <strong>die</strong> Erwartungen: „Hier handelt es sich um Beobachtungen<br />
an Mäusen und Ratten. Die Anwendung beim Menschen ist noch<br />
ganz weit weg.“ Auf dem Weg dorthin sieht er sich immer wieder ethischen<br />
Fragen ausgesetzt. Das Gebiet der Stammzellforschung allgemein sorgt in<br />
der Breite der Gesellschaft <strong>für</strong> Diskussionen, <strong>die</strong> auch ihn berühren. Durch das<br />
Embryonenschutzgesetz ist der Einsatz der unreifen humanen embryonalen<br />
im Unterschied zu den adulten Stammzellen hierzulande untersagt. Beim<br />
Einsatz embryonaler Stammzellen von Mäusen war einem Team um Hoehn<br />
in früheren Stu<strong>die</strong>n ein erhöhtes Tumorrisiko aufgefallen, das sich bei adulten<br />
Stammzellen nicht beobachten ließ. „Das Verhalten menschlicher embryonaler<br />
Stammzellen unter klinischen Bedingungen ist derzeit nicht vorauszusagen“,<br />
betont Hoehn. Er will zunächst <strong>die</strong> Abläufe in den Zellen genauer verstehen.<br />
Wenn <strong>die</strong>ses Ziel erreicht sei, könne man möglicherweise andersartig hergestellte<br />
Stammzellen nutzen. „Dies würde auch <strong>die</strong> ethische Diskussion vereinfachen“,<br />
hofft er.<br />
Jan Jikeli (links) und Mathias Hoehn vom Max-<br />
Planck-Institut <strong>für</strong> neurologische Forschung<br />
in Köln diskutieren Untersuchungs ergebnisse<br />
gleich am Bildschirm. Die Er kennt nisse der<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler könnten in Zukunft zu einer<br />
besseren Behandlung etwa von Schlaganfällen<br />
und Tumorerkrankungen beitragen. Bis<br />
allerdings das, was derzeit an Ratten und<br />
Mäusen erprobt wird, auf den Menschen<br />
übertragbar ist, dürfte noch Zeit ver gehen.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 27
28<br />
Neue Hoffnung <strong>für</strong> <strong>die</strong> kranke Psyche?<br />
Ein anderes Projekt der Stiftung rückt eben <strong>die</strong>se Diskussionen in den Mittelpunkt.<br />
Die beteiligten <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler beschäftigen<br />
sich mit ethisch-juristischen Aspekten der Tiefen Hirnstimulation in der<br />
Psychiatrie; ein Vorhaben, das <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit rund 200.000 Euro<br />
unterstützt. Auch in der Psychiatrie werden innovative Bildgebungsverfahren<br />
eingesetzt – beispielsweise, um Erkrankungen wie Depressionen zu erforschen.<br />
„Bisher nahm man ein Missverhältnis der Botenstoffe im Gehirn als Ursache<br />
der Krankheit an. Die neuen Darstellungsmethoden machen jedoch auch<br />
andere Hypothesen möglich“, erklärt Professor Dr. Thomas Schläpfer. Nach<br />
Ansicht des stellvertretenden Direktors der Klinik <strong>für</strong> Psychiatrie und Psychotherapie<br />
am Universitätsklinikum Bonn hat <strong>die</strong> bei Depressionen typische<br />
Antriebslosigkeit und Freudlosigkeit mit einer falschen Reizverarbeitung im<br />
Belohnungssystem zu tun. Dieses sorgt eigentlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erinnerung an gute<br />
Erlebnisse und versetzt uns in einen Zustand der Vorfreude.<br />
Schläpfer bringt innerhalb des Belohnungssystems insbesondere den Nucleus<br />
accumbens mit der Entstehung der Depression in Verbindung. Dieses Hirn -<br />
areal ist daher sein Zielgebiet, wenn er ausgewählte Patienten mit schweren<br />
Depressionen mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) behandelt. Während sich<br />
<strong>die</strong>ses Stimulationsverfahren zur Therapie der Parkinson-Krankheit bereits<br />
bewährt hat, kommt es gegen Depressionen bislang nur experimentell zum<br />
Einsatz. Dabei werden zwei Elektroden ins Gehirn implantiert. Ein damit<br />
verbundener Schrittmacher gibt elektrische <strong>Impulse</strong> ab. „Oft verschwinden<br />
gewisse Symptome schon wenige Minuten, nachdem Strom fließt“, hat<br />
Schläpfer bei Untersuchungen an gut einem Dutzend Patienten beobachtet.<br />
Bei Depressiven, denen andere Behandlungsmethoden bisher nicht halfen,<br />
hält er <strong>die</strong> Tiefe Hirnstimulation <strong>für</strong> Erfolg versprechend.<br />
Tiefe Hirnstimulation nicht nur bei Parkinson, sondern auch im<br />
Kampf gegen Depressionen. Implantierte Elektroden werden mit<br />
einem Schrittmacher verbunden, der über <strong>die</strong> Elektroden elek -<br />
trische <strong>Impulse</strong> in den Bereich des Nucleus accumbens abgibt –<br />
ein Hirnareal, das Teil des Belohnungssystems ist. <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
berichten, dass bei einigen Patienten gewisse Symptome der<br />
Depression bereits wenige Minuten, nachdem der Strom fließt,<br />
verschwinden.
Doch der Psychiater weiß auch um <strong>die</strong> Gefahren: Wie bei jeder Operation<br />
können Blutungen und Infektionen auftreten. Weltweit fanden erst etwa<br />
zweihundert Operationen <strong>die</strong>ser Art statt; Langzeiteffekte sind noch unzu -<br />
reichend erforscht. Die Tiefe Hirnstimulation wirft ethische Fragen auf: Ist<br />
es vertretbar, <strong>die</strong> kranke Psyche elektronisch zu beeinflussen? Kritiker be -<br />
<strong>für</strong>chten gar Parallelen zum Zeitalter der Psychochirurgie mit bleibenden<br />
Verän de rungen der Persönlichkeit. „Im Unterschied dazu ist <strong>die</strong> Tiefe Hirn -<br />
stimulation schonend und reversibel“, betont Schläpfer. Die Elektroden<br />
könnten jederzeit ausgeschaltet werden. Dessen ungeachtet setzt sich<br />
der Psychiater mit Nachdruck <strong>für</strong> eine frühzeitige ethische Auseinander -<br />
setzung ein.<br />
Und <strong>die</strong> wird in dem seit Sommer 2008 geförderten Projekt koordiniert von<br />
der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlichtechnischer<br />
Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Von dort organisiert<br />
Dr. Thorsten Galert gemeinsam mit Professor Schläpfer <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
einer internationalen Expertengruppe bestehend aus neun <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />
und <strong>Wissenschaft</strong>lern, <strong>die</strong> international führend sind auf dem Gebiet.<br />
Im Verlauf von neun Meetings, <strong>die</strong> sich bis ins Jahr 2011 erstrecken werden,<br />
bearbeiten Neurochirurgen, Psychiater, Neurologen, Neuropsychologen, Juristen<br />
und Medizinethiker ethisch relevante Fragen der Tiefen Hirnstimulation.<br />
Erstaunlich findet der auf medizinethische Themen spezialisierte Philosoph<br />
Galert, wie reibungslos hier Forscher zusammenarbeiten, <strong>die</strong> sonst teilweise<br />
Konkurrenten sind. „Sie eint das gemeinsame Anliegen, ihr Gebiet auf ethisch<br />
verantwortbare Weise voranzubringen.“ Die Expertengruppe will sich auf<br />
klare Em p fehlungen sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> wissenschaftliche Erforschung und klinische<br />
An wen dung als auch <strong>für</strong> Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft<br />
verständigen.<br />
Dabei geht es unter anderem um das Thema Patienteneinwilligung. „Die<br />
Betroffenen leiden oft so stark, dass sie in jede Hoffnung verheißende The -<br />
rapie einwilligen würden“, erklärt Schläpfer. Hier stehen <strong>die</strong> Experten beispielsweise<br />
vor der schwierigen Frage einer angemessenen Patientenauf -<br />
klärung. Weil <strong>die</strong> Tiefe Hirnstimulation längst nicht jedem Depressiven hilft,<br />
sind Nutzen und Risiko individuell abzuwägen. Die Gruppe formuliert daher<br />
ethische Kriterien <strong>für</strong> <strong>die</strong> Patientenauswahl und das methodische Vorgehen.<br />
„Unsere Empfehlungen könnten international erheblichen Einfluss gewinnen“,<br />
hofft Galert. Sie müssten veröffentlicht werden, bevor sich <strong>die</strong> Therapie etabliert<br />
– schon um der Einflussnahme verschiedener Interessengruppen entgegenzuwirken.<br />
Die Ergebnisse der Projektarbeit sollen 2011 publiziert und bei<br />
einer internationalen Tagung vorgestellt werden. „Im Idealfall können geeignete<br />
Patienten so den größtmöglichen Nutzen aus der Tiefen Hirnstimulation<br />
ziehen“, sagt Galert. Bis dahin ist allerdings noch viel ethischer Weitblick von<br />
allen Beteiligten gefordert.<br />
Dr. Heidrun Riehl-Halen<br />
Professor Dr. Thomas Schläpfer (links) von der<br />
Klinik <strong>für</strong> Psychiatrie und Psychotherapie am<br />
Universitätsklinikum Bonn und Dr. Thorsten<br />
Galert von der Europäischen Akademie zur<br />
Erforschung von Folgen wissenschaftlichtechnischer<br />
Entwicklungen in Bad Neuenahr-<br />
Ahrweiler mit einem Hirnschrittmacher.<br />
Gemeinsam organisieren sie <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
einer internationalen Expertengruppe,<br />
<strong>die</strong> sich auf klare ethische Empfehlungen <strong>für</strong><br />
den Einsatz der Tiefen Hirnstimulation bei<br />
Depressionen verständigen will.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 29
Neue Heimat Deutschland<br />
Schumpeter-Fellow Naika Foroutan geht an der<br />
Humboldt-Universität Berlin der Frage nach, wann<br />
Menschen Deutschland als ihre Heimat empfinden.<br />
Mit ihrem Forschungsvorhaben über Menschen, <strong>die</strong> sich verschiedenen<br />
Kulturräumen zugehörig fühlen, gehört Dr. Naika Foroutan zum ersten<br />
Jahrgang der Schumpeter-Fellows. Mit <strong>die</strong>ser Initiative fördert <strong>die</strong> Stiftung<br />
exzellente Nachwuchswissenschaftler aus den Wirtschafts-, Sozial- und<br />
Rechtswissenschaften, deren Ziel es ist, Neuland <strong>für</strong> ihr Wissensgebiet<br />
zu erschließen. Nicht zuletzt können sie so auch ihr Potenzial <strong>für</strong> eine<br />
Führungsposition innerhalb oder außerhalb der <strong>Wissenschaft</strong> entfalten.<br />
Das Spezialgebiet von Naika Foroutan ist Identitäts- und Integrationspolitik.<br />
Seit Januar 2008 fördert <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> ihr Forschungsprojekt „Hybride<br />
europäisch-muslimische Identitätsmodelle“ am Institut <strong>für</strong> Sozialwissenschaften<br />
der Humboldt-Universität zu Berlin. Die 38-jährige Politologin promovierte<br />
bei Professor Dr. Bassam Tibi in Göttingen und erhielt <strong>für</strong> ihre Arbeit über <strong>die</strong><br />
Untersuchung interzivilisatorischer Kulturdialoge zwischen dem Westen und<br />
der islamischen Welt mehrere Preise. Naika Foroutan engagiert sich im „Verein<br />
zur Förderung des interkulturellen Dialogs“ und in der „Gesellschaft <strong>für</strong><br />
Iranbezogene Sozialforschung in Berlin e. V.“. Für den Hörfunksender Deutsche<br />
Welle analysiert sie regelmäßig aktuelle Entwicklungen aus den Bereichen<br />
Nahost, Iran, politischer Islam und rund um das Themenfeld Migration und<br />
Integration. Über ihr Forschungsprojekt und <strong>die</strong> Herausforderung, Beruf und<br />
Familie zu vereinbaren, sprach <strong>die</strong> dreifache Mutter mit <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin<br />
Ute Kehse.<br />
Frau Dr. Foroutan, Sie sind auf der Suche nach Menschen mit hybrider Identität.<br />
Was muss man sich darunter vorstellen?<br />
Das sind Menschen, <strong>die</strong> in zwei Kulturräumen heimisch sind, <strong>die</strong> es schaffen,<br />
unterschiedliche Referenzsysteme miteinander zu verbinden. Meine Kollegin<br />
Dr. Isabel Schäfer und ich arbeiten an einer empirischen Stu<strong>die</strong>, <strong>für</strong> <strong>die</strong> wir 250<br />
Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit und muslimischem Migrations -<br />
hintergrund interviewen. Bei uns sind <strong>die</strong> verschiedenen Zugehörigkeitskontexte<br />
folglich der Islam und das Deutschsein. Mit „muslimischem Migra tions -<br />
hintergrund“ meinen wir, dass <strong>die</strong> Personen selbst, ihre Eltern oder Großeltern<br />
aus einem Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung eingewandert<br />
sind. Sie müssen sich aber nicht unbedingt als muslimisch bezeichnen.<br />
Wann wird Deutschland zur Heimat? Dr. Naika<br />
Foroutan erforscht am Institut <strong>für</strong> Sozialwissenschaften<br />
der Humboldt-Universität zu<br />
Berlin <strong>die</strong> Identitäten von Menschen, <strong>die</strong> in<br />
zwei Kulturräumen heimisch sind. Dabei<br />
konzentriert sich <strong>die</strong> 38-jährige Expertin <strong>für</strong><br />
Identitäts- und Integrationspolitik auf Menschen<br />
mit deutscher Staatsangehörigkeit<br />
und muslimischem Migrationshintergrund.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 31
32<br />
Dr. Naika Foroutan bespricht sich mit einem<br />
Teil ihres Teams (von links): Miriam Yasbay,<br />
Dr. Naika Foroutan, Benjamin Schwarze, Sina<br />
Arnold. Die Forscherin kooperiert bei ihrem<br />
Projekt eng mit der Berlin Graduate School of<br />
Social Sciences und pflegt ein Netzwerk aus<br />
einer Vielzahl an Stu<strong>die</strong>renden, Doktoranden<br />
und <strong>Wissenschaft</strong>lern anderer Einrichtungen,<br />
<strong>die</strong> sich mit Identitäts- und Integrationspolitik<br />
befassen.<br />
Was interessiert Sie an <strong>die</strong>sen Menschen?<br />
Mich interessiert, warum es <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Personen so schwierig ist, sich mit<br />
Deutschland als Heimat zu identifizieren, und warum es <strong>für</strong> <strong>die</strong> Mehrheitsgesellschaft<br />
so schwierig ist, <strong>die</strong>se Menschen als „echte“ Deutsche zu sehen.<br />
Schließlich leben sie in zweiter und dritter Generation hier. Sie sprechen fließend<br />
Deutsch, träumen auf Deutsch und geben <strong>die</strong> Staatsangehörigkeit an<br />
ihre Kinder weiter. Der Migrationshintergrund endet eigentlich mit der dritten<br />
Generation. Dies wird hier in Deutschland jedoch nicht so wahrgenommen.<br />
Wir untersuchen in unserem Projekt, wie <strong>die</strong>se Menschen sich selbst<br />
sehen und welche Rolle sie <strong>für</strong> den politischen, sozialen und kulturellen<br />
Wandel in Deutschland spielen: als Akteure des Wandels, als Brückenbauer,<br />
Mediatoren – oder vielleicht sogar als Avantgarde.<br />
Ihr Name lässt darauf schließen, dass Sie selbst Wurzeln außerhalb Deutschlands<br />
haben …<br />
Ja, mein Vater ist Iraner und meine Mutter ist Deutsche, das Thema betrifft<br />
mich also auch. Wenn ich einen Fragebogen konzipiere, gehe ich <strong>die</strong> Fragen<br />
in Gedanken durch und überlege, wie ich sie selbst beantworten würde. Ich<br />
versuche aber, von mir als Person zu abstrahieren. Aus unserem Fragebogen<br />
sollen am Ende verschiedene Identitätsmodelle deutsch-muslimischer Natur<br />
herausgekoppelt werden: zum Beispiel gibt es da den Neo-Islam, Herkunfts-<br />
Islam, Kultur-Islam, Eliten-Islam, Pop-Islam, Street-Islam, Traditions-Islam.<br />
Diese unterschiedlichen „hybriden“ Identitätsmodelle sollen verdeutlichen,<br />
dass der Islam, wie jede andere kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit, unterschiedliche<br />
Modelle und Entfaltungsräume anbietet. Diese Modelle stehen<br />
keineswegs im Widerspruch zur kulturellen Verortung der Mehrheitsgesell -<br />
schaft, <strong>die</strong> ja auch nicht homogen ist. Homogene Gesellschaftsstrukturen hat<br />
es noch nicht mal zu Zeiten der Römer gegeben – trotzdem steht <strong>die</strong>s als Idee<br />
eines sozialen Friedens, sozusagen als Mythos, im Raum.<br />
Haben Sie schon eine Antwort darauf, warum es so schwierig ist, Deutschsein<br />
und Muslimischsein zu verbinden?<br />
Bei unseren Interviews kam heraus, dass sich ganz viele unserer Gesprächs -<br />
partner zu 80 Prozent als Deutsche fühlen, und nicht etwa nur zu 50 Prozent.<br />
Viele fühlen sich aber in Ämtern, bei der Polizei oder beim Arzt überhaupt<br />
nicht als Deutsche wahrgenommen. Der einzige Ort, an dem Eigenwahrnehmung<br />
und Fremdwahrnehmung übereinstimmen, ist das Telefon, weil hier<br />
Erkennung nicht visuell erfolgt. Sonst divergieren Fremdwahrnehmung und<br />
Eigen wahr nehmung sehr stark. Das kann zu Entfremdungsprozessen, Aggression,<br />
freiwilliger Desintegration oder Resignation führen. Es kann aber auch<br />
zu dem Willen führen, politisch und gesellschaftlich etwas verändern zu wollen.
Vor allem das Aussehen wirkt also abgrenzend?<br />
Ja. Das hat uns selbst überrascht, weil wir <strong>die</strong>ses Ergebnis zunächst sehr<br />
platt fanden. Man nennt <strong>die</strong> Abgrenzung von anderen Gruppen auch „Othering“.<br />
Wenn man offene Symbole wie Kopftuch, einen bestimmten Bart oder<br />
bestimmte Kleidung trägt, dann findet <strong>die</strong>ser Othering-Prozess sofort statt.<br />
Es wird sofort assoziiert: Dieser Mensch kann wahrscheinlich nicht richtig<br />
Deutsch sprechen oder ist womöglich gar illoyal und gefährlich; er gehört<br />
nicht dazu. Interessanterweise findet <strong>die</strong>ser Prozess aber auch statt, wenn<br />
<strong>die</strong>se klar erkennbaren Symbole nicht gegeben sind, sondern nur <strong>die</strong> Haarfarbe<br />
oder der Name auf einen muslimischen Migrationshintergrund schließen<br />
lassen. Es ist also das Aussehen, in Verbindung mit dem Referenzsystem<br />
Islam, das hier ganz besonders negativ konnotiert ist.<br />
Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?<br />
Es geht nicht mehr um <strong>die</strong> Multikulti-Debatte: Wie leben wir mit Muslimen<br />
in Deutschland? Toleranz war gestern, heute geht es um Wertschätzung! Es<br />
geht auch nicht mehr darum, wie man Türken oder Muslime am erfolgreichsten<br />
integriert. Es geht darum, wahrzunehmen und deutlich zu machen, dass<br />
sich das „Deutschsein“ wandelt: Wir sind auch Deutsche! Wir leben hier, und<br />
unsere Kinder werden hier leben, und irgendwann wollen wir endlich als<br />
Deutsche gesehen werden, ohne dass unsere Identität stets hinterfragt und<br />
uns mangelnde Loyalität unterstellt wird.<br />
Sie werden mit einem Schumpeter-Fellowship gefördert. Dabei geht es um Forschungsprojekte,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Grenzen des eigenen Fachs ausloten. Inwiefern ist das<br />
bei Ihnen der Fall?<br />
Meine Projektpartnerin Isabel Schäfer und ich sind Politikwissenschaftlerinnen.<br />
In unserem Vorhaben schlagen wir den Bogen zur Sozialpsychologie, zu den<br />
Kommunikationswissenschaften und zur Religionssoziologie. Neu an unserer<br />
Stu<strong>die</strong> ist, dass wir uns auf Deutsche beziehen – Deutsche mit muslimischem<br />
Migrationshintergrund. Wir gehen in unserem Projekt weg davon, Muslime<br />
als eigene Gruppe zu markieren.<br />
Wie organisieren Sie Ihre Arbeit?<br />
Wir haben das Projekt an der Freien Universität Berlin begonnen; inzwischen<br />
sind wir zum Fachbereich Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität<br />
Berlin gewechselt. Professor Klaus Eder vom Lehrstuhl <strong>für</strong> Vergleichende Strukturanalyse,<br />
bei dem das Projekt jetzt angedockt ist, hat uns gleich in sein<br />
Netzwerk aufgenommen. Wir kooperieren sehr stark mit der Berlin Graduate<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 33
34<br />
Der „hybriden Identität“ auf der Spur: Dr.<br />
Naika Foroutan im Gespräch mit Farhad<br />
Dilmaghani von der European School of<br />
Management and Technology (ESMT) in<br />
Berlin. Die Forscherin interviewte 250 Deutsche<br />
mit muslimischem Migrationshintergrund<br />
<strong>für</strong> eine empirische Stu<strong>die</strong> und stieß<br />
auf Überraschendes: Viele der Gesprächspartner<br />
fühlen sich überwiegend als Deutsche<br />
– und nicht etwa nur „zur Hälfte“.<br />
School of Social Sciences, <strong>die</strong> in der Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
gefördert wird. Wir haben außerdem ein großes Netzwerk mit<br />
über 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Dazu gehören Stu<strong>die</strong>rende, Doktoranden<br />
und externe <strong>Wissenschaft</strong>ler, <strong>die</strong> alle beim Projekt mitarbeiten.<br />
Was bedeutet das Schumpeter-Fellowship <strong>für</strong> Ihre Arbeit?<br />
Es ermöglicht mir ein sehr fun<strong>die</strong>rtes wissenschaftliches Arbeiten, weil es<br />
mir Sicherheit über fünf Jahre gewährt. Ich habe genug Zeit, um tief in das<br />
Thema einzusteigen. Und weil <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> einen sehr guten Ruf<br />
hat, bekommen wir zudem sehr leicht Kontakt zu hervorragenden Referenten,<br />
Gesprächs- und Kooperationspartnern.<br />
Bei vielen jungen <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen gerät <strong>die</strong> Karriere schnell ins Stocken,<br />
wenn sie eine Familie gründen. Sie haben inzwischen drei Kinder, das jüngste<br />
davon ist erst zehn Monate alt. Wie hat <strong>die</strong> Stiftung darauf reagiert, als Sie den<br />
Wunsch hatten, kurz nach Anfang des Projektes erst mal eine Babypause ein -<br />
legen zu wollen?<br />
Als ich den Antrag gestellt habe, war meine Familienplanung eigentlich abgeschlossen.<br />
Es war also Zufall, Schicksal, Glück, dass <strong>die</strong>ses Kind noch hinzu kam.<br />
Am Anfang war ich sehr besorgt und wusste gar nicht, wie ich das der Stiftung<br />
mitteilen sollte. Es ging dann aber alles ganz unbürokratisch. Ich habe<br />
drei Monate Mutterschaftszeit genommen; das Ende des Projektes wurde<br />
um <strong>die</strong>se Zeit nach hinten verschoben. Alles überhaupt kein Problem.<br />
Wie schaffen Sie es, Ihr Forschungsprojekt und <strong>die</strong> Familie unter einen Hut zu<br />
bringen?<br />
Ich habe das Glück, in Berlin zu leben. Da ist es nicht so schwer mit den Kita-<br />
Plätzen. Meine beiden großen Kinder waren schon in der Kita, und <strong>für</strong> meinen<br />
Kleinen habe ich eine Betreuung rund um <strong>die</strong> Familie organisiert. Meine Mutter,<br />
meine Schwester und meine Tante haben gesagt: Mach dir keine Sorgen,<br />
wir sind da und helfen dir. Und das hat bis jetzt immer geklappt. Mein Mann<br />
ist selbstständiger Rechtsanwalt, und auch er hat sich <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Jahr Freiräume<br />
geschaffen.<br />
Haben Sie das Gefühl, dass Frauen, zumal mit Kindern, es in der <strong>Wissenschaft</strong><br />
schwerer haben als Männer?<br />
In manchem schon. Männer müssen sich nicht so viele Gedanken über<br />
Kindererziehung und Betreuung machen. Sie sind vor allem in ihrer Zeit -
einteilung freier. Ohne das Schumpeter-Fellowship wäre es <strong>für</strong> mich sicherlich<br />
schwer geworden. Die Förderung ermöglicht es mir, meine Forschung so<br />
weit voranzutreiben, dass am Ende <strong>die</strong> Habilitation steht. Das ist das Ziel, an<br />
dem ich festhalte!<br />
Ist es <strong>für</strong> Sie ein Nachteil, weniger Zeit zum Forschen zu haben?<br />
Nicht unbedingt. Nach meiner Erfahrung nutzen Mütter ihre Netto-Arbeitszeit<br />
viel intensiver. Außerdem ist Forschung ein kreativer Prozess und lässt<br />
sich nicht anhand der damit verbrachten Zeit messen. Als Mutter jongliert<br />
man flexibel mit der Zeit, man ist auf Chaos eingerichtet, man ist spontaner,<br />
erfinderischer. Ich persönlich glaube, dass es meiner Forschung zugute kommt,<br />
dass ich auch Mutter bin. Das Multitasking im Kopf befähigt, unterschiedliche<br />
Logiken zu akzeptieren und wissenschaftlich origineller nachzudenken. Man<br />
hat vielleicht gerade dann eine weiterführende Idee, wenn man just das Kind<br />
füttert.<br />
Frau Foroutan, vielen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />
Die Schumpeter-Fellowships<br />
Das Angebot der „Schumpeter-Fellowships“ richtet<br />
sich an Nachwuchsforscherinnen und -forscher<br />
aus den Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften.<br />
Von ihnen wird erwartet, dass sie das<br />
Fellowship nutzen, um <strong>für</strong> ihr Fachgebiet Neuland<br />
zu erschließen. Dabei kann das geplante Vorhaben<br />
aufgrund der Komplexität oder eines höheren<br />
Risikos durchaus längere Bearbeitungshorizonte<br />
notwendig machen – entsprechend sieht <strong>die</strong> Stiftung<br />
eine Förderung von fünf Jahren vor. Im Zuge<br />
eines Projekts sollen beispielsweise Inhalte und<br />
Methoden auf <strong>die</strong> Probe gestellt, Schnittstellen zu<br />
anderen Fachgebieten herausgearbeitet oder der<br />
Mainstream eines Wissensgebietes durch Kooperation<br />
jenseits üblicher Fächerkombinationen verlassen<br />
werden. Ziel muss es in jedem Fall sein, zu<br />
Dank Berliner Kitas und der Unterstützung<br />
durch Ehemann und Verwandte gelingt es<br />
der dreifachen Mutter Naika Foroutan, Familie<br />
und Forschungsprojekt unter einen Hut zu<br />
bringen. Durch ihre Kinder (im Bild Mahja und<br />
Milon, nicht zu sehen ist ihr ältester Sohn<br />
Malec) fühlt sich <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerin sogar<br />
noch gestärkt: „Als Mutter jongliert man<br />
flexibel mit der Zeit, man ist auf Chaos ein -<br />
gerichtet, man ist spontaner, erfinderischer.“<br />
einer inhaltlichen oder methodischen Neuorien -<br />
tierung des jeweiligen Forschungsgebietes beizutragen.<br />
Die Fellows haben <strong>die</strong> Möglichkeit, mit<br />
Unterstützung der Stiftung Doktoranden, Postdoktoranden<br />
und wissenschaftliche Hilfskräfte in ihr<br />
Projekt einzubinden. Erwartet wird zudem, dass<br />
<strong>die</strong> Geförderten mit ihren Arbeiten auch einen<br />
Beitrag zur internationalen Diskussion über ihr<br />
jeweiliges Thema leisten können.<br />
Nach sieben Bewilligungen in der ersten Entscheidungsrunde<br />
Ende 2007 – darunter Naika Foroutan<br />
– wurden zum Jahreswechsel 2008/2009 weitere<br />
vier Schumpeter- Fellows neu in <strong>die</strong> Förderung<br />
genommen. Die nächste Entscheidungsrunde ist<br />
<strong>für</strong> Anfang <strong>2010</strong> angesetzt. cj<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 35
Afrikanische Kulturen im Wandel<br />
Die Gesellschaften im sub-saharischen Afrika<br />
wandeln sich mit rasanter Geschwindigkeit.<br />
Das interessiert auch Forscher aus aller Welt.<br />
Elektronische Me<strong>die</strong>n suggerieren globale Nähe und verändern gleichzeitig<br />
Identitäten. Musik bewahrt kulturelle Werte, beschleunigt aber auch den<br />
kulturellen Wandel. Wie wird in <strong>die</strong>sen komplexen Wechselspielen Kultur<br />
in afrikanischen Gesellschaften „ausgehandelt“? Das ist zentrales Thema<br />
zweier von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> geförderter Projekte, <strong>die</strong> sich unter<br />
dem Dach der Afrika-Initiative der Veränderungsprozesse annehmen,<br />
denen „Kultur“ in Zeiten zunehmender Globalisierung ausgesetzt ist.<br />
In der mittäglichen Sommersonne leuchtet der schlichte Turm der Timo -<br />
theus-Kirche wie ein weißer Solitär aus den üppigen Bäumen der norddeutschen<br />
Bischofsstadt Hildesheim. Was der Bau von außen anzukündigen<br />
scheint, beantwortet er im Innern mit Nachdruck: Hier werden Preziosen<br />
gehütet. Seit Juli 2009 schlägt in der ehemals evangelischen Kirche das<br />
Herz des neuen Center for World Music.<br />
Den Besucher erwartet Erstaunliches: eine musikethnografische Sammlung<br />
mit 4.000 Instrumenten aus aller Welt, mit 50.000 Schallplatten und 10.000<br />
Büchern. Hier, in dem zur Universität Hildesheim gehörenden Archiv, ist aber<br />
auch ein besonderes transkulturelles Vorhaben angesiedelt: das von der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
mit 410.000 Euro geförderte Forschungsprojekt „The Formation<br />
and Transformation of Musical Archives in West African Societies“. Beteiligt sind<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler von Hochschulen in Hannover<br />
und Hildesheim, in Maiduguri, Nigeria, und Accra, Ghana. Streift man durch<br />
<strong>die</strong>s außergewöhnliche Vorhaben, trifft man auf Forscher so unterschiedlicher<br />
Fächer wie Musikwissenschaft, Sozialanthropologie oder <strong>die</strong> schon in sich<br />
selbst interdisziplinären „African Stu<strong>die</strong>s“.<br />
„In Hildesheim haben wir einen stimmigen Ort <strong>für</strong> unsere Forschung zu den<br />
Musikarchiven gefunden“, bestätigen <strong>die</strong> beiden Projektleiter Professor Dr.<br />
Raimund Vogels von der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Theater Hannover und<br />
Dr. Wolfgang Bender vom Center for World Music. Und mit den als „materielle<br />
Archive“ verstandenen Museen, Bibliotheken oder den Klangarchiven mit<br />
ihren Aufnahmen auf unterschiedlichen Tonträgern werden zugleich stets<br />
auch „ideelle Archive“ erforscht, <strong>die</strong> das praktische, verinnerlichte oder „inkor -<br />
porierte“ Wissen der Menschen umfassen. Beide bewahren und verändern<br />
im Wechselspiel das kulturelle Erbe der Gesellschaft.<br />
Sie erforschen, wie sich afrikanische Kulturen<br />
unter verschiedenen musikalischen Einflüssen<br />
ausbilden (von links): Dr. Florian Carl vom Zentrum<br />
<strong>für</strong> Weltmusik in Hildesheim, Dr. Isaac<br />
R. Amuah, Kooperationspartner in Ghana,<br />
Projektleiter Professor Dr. Raimund Vogels<br />
von der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Theater<br />
Hannover, Professor Dr. William Anku, Projektpartner<br />
in Ghana, Projektleiter Dr. Wolfgang<br />
Bender vom Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik so -<br />
wie Christopher Mtaku, Partner aus Nigeria.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 37
38<br />
Die ehemals evangelische Timotheus-Kirche<br />
in Hildesheim beherbergt nun eine deutschlandweit<br />
einzigartige musikethnografische<br />
Sammlung: Mit Tausenden von Musikinstrumenten,<br />
Schallplatten und Büchern bietet<br />
das noch junge Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik einen<br />
idealen Ausgangsort <strong>für</strong> das Forschungsprojekt<br />
„The Formation and Transformation of<br />
Musical Archives in West African Societies“.<br />
Das sieht Professor Dr. William Anku, Projektpartner an der Akademie <strong>für</strong><br />
Darstellende Künste der Universität Ghana, genauso: „Von Schlaf- und Kinderliedern<br />
bis zu rituellen Hochzeits- oder Sterbegesängen hat jede Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> be stimmte Gelegenheiten eigene Musikrepertoires, <strong>die</strong> bei der<br />
Vermittlung von Werten und Verhalten eine vitale Rolle spielen“, reißt er<br />
sein Interessensgebiet an. „Damit formt Musik auf einer ganz elementaren<br />
Ebene <strong>die</strong> Identität.“ Sie wecke Emotionen, <strong>die</strong> das Denken und das Handeln<br />
von Individuen und ganzen Nationen färben; sie verführe zum Konsumieren,<br />
Meditieren oder auch Marschieren. Musik manifestiere, dass Fühlen, Erkennen<br />
und Verhalten untrennbar zusammenhängen.<br />
Das macht sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Politik interessant, besonders in Westafrika. „Denn<br />
hier sind Musik und politische Kultur traditionell eng verflochten“, berichtet<br />
Vogels. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert erlebte Ghana einen musikalisch<br />
beflügelten Identitätswandel. Mit der damaligen Besetzung der südlichen<br />
Region durch <strong>die</strong> Volksgemeinschaft der Asante dominierten zunehmend<br />
auch deren Musikformen. Während der Kolonialisierung Westafrikas wiederum<br />
sorgten Hymnen, patriotische Lieder oder Militärmusik <strong>für</strong> <strong>die</strong> kollektive<br />
Identifikation mit dem „Empire“. Auch <strong>die</strong> Unabhängigkeitsbewegungen<br />
nutzten <strong>die</strong> Musik. „Ein bekanntes Beispiel da<strong>für</strong> ist Ephraim Amus 1929<br />
komponiertes Lied ‚This is our precious land’, das Grundschulkinder in Ghana<br />
am Empire Day singen sollten“, erzählt Vogels. Im kollektiven Bewusstsein<br />
aber gewann das Lied einen anderen Status; neben der offiziellen „God Bless<br />
Our Homeland Ghana“ wurde es allmählich zur informellen, „gefühlten“<br />
Nationalhymne des Landes.<br />
Aushandlungsprozesse zwischen Afrika, Europa und Amerika<br />
„Noch heute stehen Sänger oder Musikensembles im Dienst politischer Führer“,<br />
blickt Raimund Vogels nachdenklich auf ein Medium unter Kuratel, das<br />
im Wortsinn zur Stimmungsmache instrumentalisiert wird. Dennoch verändern<br />
neue Formen medialer Wirklichkeit allein nicht das Bewusstsein. Heu -<br />
tige afrikanische Identitäten, wie sie sich in musikalischen Genres, Stilen und<br />
Institutionen ausdrücken, werden im komplexen Beziehungsgeflecht zwischen<br />
Afrika, Europa und Amerika ausgehandelt, angetrieben zwischen „materiellen“<br />
und „ideellen“ Archiven.<br />
An <strong>die</strong>sen Stellen kristallisieren sich auch einige der Forschungsfragen, <strong>die</strong><br />
das <strong>Wissenschaft</strong>lerquartett bearbeitet. Wie entstehen musikalische Archive<br />
in westafrikanischen Gesellschaften, und wie verändern sie sich über <strong>die</strong> Zeit<br />
durch <strong>die</strong> unzähligen Einflüsse von vielen Seiten? Wie prägt das „archivierte“<br />
Wissen moderne afrikanische Identitäten? Und in welcher Beziehung stehen<br />
letztlich materielle und ideelle Archive? Auch das Thema „Eigentumsrechte“,<br />
das in der Musik eine zentrale Rolle spielt, soll mitgedacht und mitdiskutiert<br />
werden.
„Ideelle“ Musikrepertoires, ob jene einer politischen Kultur, eines DJs oder<br />
einer Ära, sind jedenfalls stets im Fluss. Werden sie in einer bestimmten<br />
Version „materiell“ archiviert, beeinflusst das wiederum <strong>die</strong> Rezeption. Und<br />
nicht immer verlaufen <strong>die</strong>se Transformationsprozesse in <strong>die</strong> gewünschte<br />
Richtung. Das belegen bisherige Versuche vorwiegend europäischer <strong>Wissenschaft</strong>ler,<br />
<strong>die</strong> über Dokumentationen afrikanische Kulturen vor dem Vergessen<br />
retten wollen. Fatalerweise „entfremden“ <strong>die</strong>se materiellen Archive <strong>die</strong><br />
Musik nicht nur von ihrem kulturellen Ort; sie standardisieren auch, was sie<br />
als Spezifikum erhalten sollten. Eine paradoxe Entwicklung, der Professor<br />
Anku ein eigenes, ein „afrikanisches“ Lehrbuch über afrikanische Musik<br />
entgegensetzt.<br />
Nachhaltige Kooperationen <strong>für</strong> ein capacity building in Afrika<br />
Die Aneignung der geistigen Hoheit über <strong>die</strong> eigene Kultur gehört zu den<br />
wichtigsten Zielen des Verbundprojekts, was wiederum ein capacity building<br />
in Afrika erfordert. „Denn zu wenige hier wissen wirklich, wie der <strong>Wissenschaft</strong>sbetrieb<br />
läuft“, bedauert Dr. Isaac Amuah von der Universität Ghana.<br />
„Die geplanten vier Workshops und zwei internationalen Konferenzen sind<br />
deshalb <strong>für</strong> afrikanische Stu<strong>die</strong>rende und Doktoranden <strong>die</strong> Gelegenheiten,<br />
akademische Auseinandersetzung zu erlernen.“<br />
Das Forschungsprojekt löst in besonderer Weise das Anliegen ein, das <strong>die</strong><br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> mit der Förderinitiative „Wissen <strong>für</strong> morgen – Koopera -<br />
tive Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika“ verfolgt: einen Beitrag<br />
zu leisten zum Aufbau einer nachhaltig angelegten <strong>Wissenschaft</strong>skultur<br />
sowie zu einer substanziellen Stärkung der Forschungsaktivitäten im süd -<br />
lichen Afrika zu verhelfen. Entscheidend dabei ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stiftung <strong>die</strong> Unterstützung<br />
von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie<br />
eine symmetrische Nord-Süd-Partnerschaft zwischen den Projektbeteiligten<br />
(weitere Informationen zur Afrika-Initiative siehe Textkasten).<br />
Das „Musikprojekt“ läuft in der Afrika-Initiative im Rahmen der Ausschreibung<br />
„Negotiating Culture in Contemporary African Societies“. Das Themenfeld<br />
wurde in einem behutsamen, von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> angeregten<br />
Prozess zwischen afrikanischen und europäischen Forscherinnen und Forschern<br />
im Laufe eines internationalen Workshops formuliert. Die Ausschreibung<br />
zielte darauf, den Prozesscharakter des Verhandelns von Kultur, seine<br />
Dynamiken, Kontexte und Akteure deutlich sichtbar in den Fokus zu rücken.<br />
Es wurden Projekte gesucht, <strong>die</strong> das Phänomen der Intermedialität – das<br />
Wandern von Themen zwischen verschiedenen Me<strong>die</strong>n – interdisziplinär<br />
übergreifend untersuchen. Gastgeber des Workshops war das Ethnologische<br />
Institut der Univer sität Basel. Dort ist auch ein weiteres von der Stiftung<br />
gefördertes Vorhaben angesiedelt, das Aushandlungsprozesse zwischen<br />
Kulturen in den Blick nimmt.<br />
Welchen Einfluss haben materielle Musikarchive<br />
auf „ideelle“ Musikrepertoires in Afrika?<br />
Beim Kick-off-Meeting im September 2009<br />
im Zentrum <strong>für</strong> Weltmusik besprechen <strong>die</strong><br />
Projektpartner aus Hildesheim, Hannover,<br />
Ghana und Nigeria Details ihres Vorhabens.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 39
40<br />
Austausch über <strong>die</strong> Forschungserkenntnisse<br />
im Land des jeweils anderen: Lic.phil. Bettina<br />
Frei aus der Schweiz führt Befragungen in<br />
Kamerun durch, der Kameruner Doktorand<br />
Primus Tazanu bei Landsleuten in der Schweiz.<br />
Von transnationalen Träumen und neuen Identitäten<br />
Hier, vis-à-vis des Basler Münsters mit seiner 900-jährigen bewegten<br />
Geschichte durchziehender Völker, wird zum Thema „Passages of Culture:<br />
Media and Mediations of Culture in African Societies“ geforscht. Im fiebrigen<br />
Takt der Globalisierung ist <strong>die</strong> Bewältigung der Gegenwart zwischen kulturellem<br />
Erbe und neuen Me<strong>die</strong>n in Afrika ein besonders konfliktgeladenes<br />
Topos. „Die Basler Region im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz<br />
mit ihrer langen Migrationskultur ist <strong>für</strong> unsere Arbeit äußerst inspirierend“,<br />
freut sich Professor Dr. Till Förster vom Ethnologischen Seminar der Univer -<br />
sität Basel, Projektleiter des von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit 516.900 Euro<br />
geförderten Vorhabens. Knapp 30 Prozent der Basler und 16 Prozent der Freiburger<br />
Bevölkerung sind Ausländer.<br />
Mit vier Fallstu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> über identische Untersuchungsperspektiven verbunden<br />
sind, spürt ein Forscherquintett dem komplexen Spiel zwischen Kultur<br />
und den – neuen – Me<strong>die</strong>n nach. Beteiligt sind <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler der Universitäten Basel und Freiburg, der nigerianischen<br />
Bayero University in Kano, der Université de Yaoundé in Kamerun und der<br />
University of the Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg. Jede<br />
Fallstu<strong>die</strong> nimmt <strong>die</strong> mediale Verschiebung von direkten zu indirekten, „technologisierten“<br />
Kommunikations- und Aushandlungsformen auf. In Südafrika<br />
wird <strong>die</strong> Entwicklung vom Live-Auftritt zu Radio-, CD- und Fernsehproduk -<br />
tionen erforscht, in Kamerun jene von Theateraufführungen zu Film und<br />
Fernsehen, in Nigeria von live gespielter Musik zu medialen Trägern.<br />
Am Beispiel der Migration schließlich untersuchen drei Forscher aus Kamerun,<br />
Deutschland und der Schweiz <strong>die</strong> Verschiebung von Face-to-face-Kommunikation<br />
zu elektronischen Interaktionen. „Weil <strong>die</strong> neuen Kommunikationsme<strong>die</strong>n<br />
so billig und so schnell geworden sind und <strong>die</strong> Teilnahme am Alltag
der fernen Heimat dadurch möglich geblieben ist, hat sich auch <strong>die</strong> Migration<br />
verändert“, analysiert Till Förster. Auswandern bedeute nicht mehr den endgültigen<br />
Abschied von der heimatlichen Kultur. „Die Afrikaner, <strong>die</strong> hier am<br />
Oberrhein leben, können über <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n an zwei Alltagen gleichzeitig teilnehmen.“<br />
Ohne Zeitverschiebung verbinden SMS, E-Mails oder Bilder <strong>die</strong><br />
Lebenswelten.<br />
Neue Verständnisräume zwischen alter und neuer Heimat<br />
Die zentrale Frage ist, ob und inwieweit <strong>die</strong>se Kommunikationsformen phy -<br />
sische Kontakte ersetzen. „Unsere Hypothese ist, dass sich <strong>die</strong> beiden Alltage<br />
zu neuen sozialen Räumen verbinden, <strong>die</strong> als Substitut der alten eine ‚transnationale’<br />
Identität schaffen“, sagt Förster. Dabei spielten nicht allein <strong>die</strong><br />
Me<strong>die</strong>n eine Rolle, sondern auch der Ort, an dem sie genutzt würden. „In<br />
Kamerun ist das Internet sehr viel sichtbarer als in Europa“, erklärt Professor<br />
Bole Butake von der Université de Yaoundé. „Weniger Menschen besitzen<br />
einen Anschluss, weshalb Internet-Cafés stärker frequentiert werden.“ Das<br />
verändere auch <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>nkultur, schaffe eine andere Art der Kommunika -<br />
tion. „User diskutieren mit anderen, informelles Wissen verbreitet sich, auch<br />
das Wissen um verschlüsselte Hinweise – beispielsweise über kleinkriminelle<br />
Partnersuche im Internet.“ Elaborierte Zeichen- oder Sprachsysteme entstehen<br />
wie <strong>die</strong> „Klingelsprache“ per Handy, <strong>die</strong> dem Empfänger bei einmaligem,<br />
zwei- oder mehrmaligem Klingeln eine bestimmte Botschaft übermittelt.<br />
Me<strong>die</strong>n entwerfen Lebenswelten, <strong>die</strong> sich selbst ständig neu erfinden und<br />
kulturelle Vorstellungen auf Abruf halten.<br />
Der Blick auf <strong>die</strong> Medialisierung als Ergebnis dessen, wie Me<strong>die</strong>n auch sinnlich<br />
mit menschlichem Handeln interagieren, ist eine der vielen Stärken <strong>die</strong>ses<br />
Forschungsprojekts. Eine andere ist das raffinierte, von der Freiburger Profes-<br />
Mainasara Kurfi, M. A., aus Kano, Nigeria,<br />
spricht anlässlich eines Workshops des Projekts<br />
„Passages of Culture“ über „South to<br />
South: Transnational Flow, Mediation and<br />
Glocalization of Literary Materials in Northern<br />
Nigeria“. Mit <strong>die</strong>sem Thema beschäftigt er<br />
sich im Rahmen seines Promotionsvorhabens.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 41
42<br />
sorin Judith Schlehe mit entwickelte Forschungs-Setting, das <strong>die</strong> mehrschichtige<br />
Betrachtung der komplexen Kommunikationsprozesse von Migranten<br />
ermöglicht. So führt der Kameruner Doktorand Primus Tazanu <strong>die</strong> Feldforschung<br />
bei Landsleuten in der Basler Region durch, <strong>die</strong> Schweizer Doktorandin<br />
Bettina Frei bei den jeweiligen Angehörigen, Freunden und Bekannten<br />
in Kamerun.<br />
In einem zweiten Forschungsschritt wird <strong>die</strong> „Umgestaltung von Subjektivität“<br />
untersucht und damit <strong>die</strong> Frage, wo Menschen zu Hause sind, <strong>die</strong> medial<br />
in Basel und Kamerun Kontakte halten. „Migranten aus Kamerun, <strong>die</strong> in ihre<br />
ursprüngliche Heimat zurückkehren, wird oft der Vorwurf gemacht, dass sie<br />
nicht mehr denken wie ein Kameruner“, erklärt Förster. Verwandte und<br />
Bekannte erwarten beispielsweise Geschenke, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Rückkehrer nicht<br />
leisten können. Ebenso wenig aber können jene kommunizieren, warum sie<br />
nichts zu verschenken haben. Zu lebendig sind <strong>die</strong> – etwa durch <strong>die</strong> Krimiserie<br />
„Derrick“ auch in Afrika – vermittelten Bilder vom reichen Europa. Entsprechend<br />
suchen <strong>die</strong> „Entwurzelten“ nach neuen Verständnisräumen, <strong>die</strong> sich<br />
zwischen der alten und der neuen Heimat bilden. „In <strong>die</strong>sen trans nationalen<br />
Räumen spielen sich neue Aushandlungsprozesse mit politischer Wirkung<br />
ab“, erzählt Förster. Es gebe keine einfachen nationalen Folien mehr, vor<br />
denen sich Identitäten und Kulturen bilden – weder in Europa noch in Afrika.<br />
Schwieriger als <strong>die</strong> komplexen Forschungsstrukturen des Verbundprojekts<br />
erweisen sich <strong>die</strong> ganz profanen Dinge. „Es ist einfacher, von Südafrika nach<br />
Kamerun zu fliegen als von Nigeria aus, obwohl wir Nachbarländer sind“,<br />
bedauert Butake. Denn noch fehlt hier wie dort eine ausreichende Infrastruktur.<br />
„Deshalb haben wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nach<br />
ihrem organisatorischen Talent ausgesucht“, schmunzelt er. Das ehrgeizige<br />
Ziel, Nachwuchsforscher – vor allem <strong>die</strong> zehn am Projekt beteiligten Doktoranden<br />
– und wissenschaftliche Netzwerke in Afrika zu stärken, soll nicht an<br />
fehlender Improvisation scheitern.<br />
Ruth Kuntz-Brunner<br />
Um herauszufinden, ob es so etwas wie eine transnationale Identität<br />
gibt, untersuchen <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler den Alltag von Migranten und<br />
deren Angehöriger in beider Heimat. Hier lässt sich Projektleiter Professor<br />
Dr. Till Förster von der Universität Basel bei einem Aufenthalt in<br />
Afrika <strong>die</strong> neuesten Skulpturen und Gemälde des Kameruner Künstlers<br />
Nsawir Arts zeigen (Bild unten). Unterdessen wirft Keneth Tume<br />
Fondzeyuf, M. A., von der Universität Yaoundé in Kamerun einen letzten<br />
Blick auf seine Power-Point-Präsentation vor seinem Vortrag im<br />
Rahmen eines Projekt-Workshops in Yaoundé im September 2009.
Wissen <strong>für</strong> morgen: <strong>die</strong> Stiftung und ihr Engagement <strong>für</strong> Afrika<br />
Im Jahr 2003 richtete <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> <strong>die</strong><br />
Förderinitiative „Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative<br />
Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika“<br />
ein. Im Zentrum des grundsätzlich fachoffenen<br />
Förderangebots stehen der Aufbau und <strong>die</strong> nachhaltige<br />
Stärkung wissenschaftlicher Kompetenz<br />
in Afrika. Ein wichtiger Aspekt der Initiative<br />
besteht darin, Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und Nachwuchswissenschaftlern<br />
aus der Region<br />
langfristige Karriereperspektiven<br />
zu eröffnen. So<br />
sollen erfolgreiche<br />
Doktoranden<br />
aus einer ersten<br />
Förderphase über<br />
Postdoktorandenprogramme<br />
in<br />
einer zweiten bis<br />
hin zu Gruppenleiterpositionen<br />
in einer dritten Phase unterstützt werden – unter<br />
der Maßgabe, dass sie sich in einem strengen internationalen<br />
Evaluationsprozess bewähren. Bisher<br />
fördert <strong>die</strong> Stiftung in ihrer Afrika-Initiative in erster<br />
Linie Forschungsprojekte, <strong>die</strong> in enger Zusammenarbeit<br />
zwischen afrikanischen und deutschen<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>lern ent -<br />
wickelt wurden, aber auch Workshops, Symposien<br />
und Sommerschulen. Die Förderinstrumente sind<br />
sehr vielfältig und an <strong>die</strong> Bedürfnisse der jeweiligen<br />
wissenschaftlichen Communities angepasst.<br />
Für <strong>die</strong> Stiftung war entscheidend, dass <strong>die</strong> Forschungsvorhaben<br />
als symmetrische Nord-Süd-<br />
Partnerschaften entwickelt und umgesetzt wurden.<br />
Um <strong>die</strong>sen Prozess zu unterstützen, führte<br />
<strong>die</strong> Stiftung vor jeder Projektausschreibung entsprechende<br />
Themenworkshops in Afrika durch<br />
– unter wesentlicher Beteiligung afrikanischer<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler und <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen. Im<br />
Zuge der Ausschreibung „Negotiating Culture in<br />
Contemporary African Societies“ wurden bislang<br />
<strong>die</strong> beiden hier vorgestellten Vorhaben bewilligt.<br />
Mit <strong>die</strong>sem Engagement <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kulturwissenschaften<br />
setzt <strong>die</strong> Stiftung in ihrer sechsten – und<br />
bislang letzten – Ausschreibung in der Afrika-Initiative<br />
einen besonderen Akzent, indem sie jenen<br />
Blick auf den Kontinent<br />
weitet,<br />
der in der Regel<br />
zuvorderst den<br />
dortigen drängenden<br />
wirtschaft -<br />
lichen und politischen<br />
Problemen<br />
gilt. Die beiden<br />
hier vorgestellten<br />
Projekte zeigen,<br />
dass der An spruch<br />
der Stiftung eingelöst<br />
wird und<br />
dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
der <strong>Wissenschaft</strong>ler verschie dener<br />
Disziplinen aufgrund unterschiedlicher Arbeitsweisen<br />
ihren Reiz hat und Interessantes an Erkenntnissen<br />
zutage fördert.<br />
Seit dem Jahr 2009 werden unter dem Dach der<br />
Afrika-Initiative im Rahmen eines vereinten Engagements<br />
europäischer Stiftungen zur Erforschung<br />
vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) auch<br />
zehn Postdoktoranden und -doktorandinnen mit<br />
insgesamt rund 1,4 Millionen Euro unterstützt –<br />
allein <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> stellt 550.000 Euro<br />
zur Verfügung. Über <strong>die</strong>se Aktivi täten wird auf<br />
Seite 50 in <strong>die</strong>sem Heft berichtet. Beteiligt an dem<br />
europäischen Förderkonsortium sind neben der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> <strong>die</strong> Fondazione Cariplo in<br />
Italien, <strong>die</strong> Fundaçao Gulbenkian in Portugal, <strong>die</strong><br />
britische Nuffield Foundation und <strong>die</strong> Fondation<br />
Mérieux in Frankreich. cj<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 43
Die vergessene Krankheit<br />
Hilfe <strong>für</strong> Afrika: ein internationales Forscherteam<br />
auf dem Weg, eine der schlimmsten Krankheiten<br />
auf dem afrikanischen Kontinent einzudämmen<br />
Von der industrialisierten Welt weitgehend unbeachtet, leiden in Afrika <strong>die</strong><br />
Ärmsten und Anfälligsten an einer verheerenden, von einem Bakterium verursachten<br />
Krankheit, dem Buruli Ulkus. Unbehandelt führt sie zu schweren<br />
Behinderungen. Eine neue Methode verspricht, einer der ge<strong>für</strong>chtetsten<br />
Krankheiten der Tropen auf verblüffend einfache Weise Einhalt zu gebieten<br />
– der Erfolg eines deutsch-afrikanischen Forscher teams, das von der Stiftung<br />
in ihrer Initiative zum sub-saharischen Afrika gefördert wird.<br />
Thomas Junghanss stellt eine Pappschachtel mit vier Kunststoffbeuteln auf<br />
den Tisch. „Mehr ist es nicht!“, sagt er. „Und mehr brauchen wir wohl auch<br />
nicht, um den Menschen schwerstes Leid zu ersparen.“ Sichtlich erfreut zeigt<br />
er Bilder, auf denen zu sehen ist, wie <strong>die</strong> kleinen, mit einer gel-artigen Masse<br />
gefüllten Beutel erhitzt und auf mit weißer Gaze abgedeckte Geschwüre an<br />
Armen und Beinen gelegt werden. Wenige Tage darauf beginnen <strong>die</strong> Wunden<br />
zu heilen. „Dieser Behandlungserfolg macht nicht nur <strong>die</strong> Patienten, sondern<br />
auch uns sehr glücklich“, sagt der Mediziner der Sektion Klinische Tropen -<br />
medizin des Universitätsklinikums Heidelberg. „Persönlich ist das mein<br />
schönstes Projekt.“<br />
Das Projekt hat einen langen und komplizierten Titel. Es heißt „Modification<br />
of host pathogen interaction in Mycobacterium ulcerans disease (BU) through<br />
heat treatment“ und wird seit dem Jahr 2004 von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in<br />
ihrer Initiative „Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im<br />
sub-saharischen Afrika“ mit insgesamt knapp einer Million Euro gefördert;<br />
zunächst als Pilotstu<strong>die</strong> mit sechs, derzeit als große Stu<strong>die</strong> mit rund hundert<br />
Patientinnen und Patienten. „Wir hoffen sehr, dass wir während des Folgeprojekts<br />
<strong>die</strong> Ergebnisse der Pilotstu<strong>die</strong> bestätigen können“, sagt Junghanss.<br />
„Bislang sieht es erfreulicherweise ganz danach aus.“<br />
Was Thomas Junghanss und seine Kooperationspartner aus Kamerun, Ghana,<br />
der Schweiz und Würzburg anzubieten haben, klingt wie ein kleines Wunder:<br />
eine innovative, leicht anwendbare, effektive, <strong>die</strong> Patienten nicht belastende<br />
und zudem preiswerte Behandlungsmethode gegen eine der furchtbarsten<br />
Krankheiten des tropischen und subtropischen Afrikas, <strong>die</strong> vor allem Kinder<br />
in armen ländlichen Gebieten heimsucht – das Buruli Ulkus. „Buruli ist eine<br />
über Jahrzehnte hinweg vernachlässigte und fast vergessene Krankheit“,<br />
Buruli Ulkus, eine der tückischsten Tropenkrankheiten<br />
Afrikas, wird von einem mikroskopisch<br />
kleinen Organismus verursacht –<br />
dem Bakterium Mycobacterium ulcerans,<br />
einem nahen Verwandten der Erreger von<br />
Tuberkulose und Lepra. Unklar ist, wo überall<br />
der Keim sich in der Umwelt aufhält und wie<br />
er seine Opfer befällt. Da sich wie hier nahe<br />
der Stadt Ayos im westafrikanischen Kamerun<br />
meist Menschen anstecken, <strong>die</strong> in der<br />
Nähe von Flüssen, Seen und Tümpeln leben,<br />
handelt es sich bei Mycobacterium ulcerans<br />
wohl um einen Wasserbewohner, der zum<br />
Beispiel durch Stechmücken übertragen<br />
werden könnte.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 45
46<br />
Buruli Ulkus beginnt in der Regel mit einer<br />
kleinen Schwellung der Haut, <strong>die</strong> weder<br />
schmerzt noch Fieber verursacht. In einem<br />
qualvollen Prozess, der sich über Jahre hin -<br />
ziehen kann, zerstört der Erreger dann <strong>die</strong><br />
Zellen der Haut, bis sich Geschwüre bilden<br />
(Bild unten) und ausbreiten. Sie entstellen<br />
<strong>die</strong> Erkrankten und haben nicht selten<br />
Amputationen zur Folge. Dr. Thomas Junghanss<br />
(Bild oben) vom Universitätsklinikum<br />
in Heidelberg inspiziert und erneuert den<br />
Verband eines Patienten im Krankenhaus<br />
von Ayos in Kamerun (von links nach rechts:<br />
Almaz Desta vom Koordinierungszentrum <strong>für</strong><br />
Klinische Stu<strong>die</strong>n des Universitätsklinikums<br />
Heidelberg, Dr. Thomas Junghanss, Dr. Franklin<br />
Bayi und Krankenschwester Felecite Ntsang).<br />
erläutert Junghanss. Das gelte zwar <strong>für</strong> <strong>die</strong> meisten Tropenerkrankungen,<br />
<strong>für</strong> Buruli sei der Grad der Vernachlässigung jedoch besonders hoch. „Bei<br />
uns in Deutschland“, ergänzt Junghanss, „kennt kaum jemand <strong>die</strong> Krankheit,<br />
auch viele Ärzte nicht.“<br />
Verursacht wird das ge<strong>für</strong>chtete Leiden von einem bereits im Jahr 1948 entdeckten<br />
Bakterium namens Mycobacterium ulcerans, einem Verwandten des<br />
Erregers von Tuberkulose und Lepra. Diese Verwandtschaftsbeziehung war<br />
lange Zeit das nahezu Einzige, was <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler über den heimtückischen<br />
Keim wussten. Im Jahr 2007 gelang es Molekularbiologen dann, <strong>die</strong><br />
Buchstabenfolge des Bakterien-Erbguts zu entziffern, was ab sofort darauf<br />
hoffen ließ, <strong>die</strong> Krankheit einmal schneller zu diagnostizieren, mit besseren<br />
Medikamenten zu behandeln oder ihr gar mit einem Impfstoff vorbeugen zu<br />
können.<br />
Auch heute noch weiß man nicht, wo sich das Bakterium in der Umwelt versteckt<br />
und auf welche Weise es auf seine menschlichen Opfer übertritt. Weil<br />
häufig Menschen erkranken, <strong>die</strong> in der Nähe von Flüssen, Seen und Tümpeln<br />
leben, vermuten <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler, dass sich der Erreger im Wasser aufhält:<br />
vielleicht im Körper kleiner Wasserinsekten oder im Biofilm auf der Wasseroberfläche<br />
im Innern von Bakterien, Algen, Pilzen oder Einzellern. Möglicherweise<br />
könnte auch eine Stechmücke bei der Übertragung auf den Menschen<br />
im Spiel sein. Darauf weist eine neuere Stu<strong>die</strong> australischer <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
hin. „Aber all das sind bislang nur Vermutungen“, sagt Junghanss. „Wirklich<br />
wissen tut man nichts!“<br />
Was der Erreger, der außer in Westafrika auch in Mittelamerika, in Asien und<br />
im westpazifischen Raum auftritt, beim Menschen anrichtet, ist indes schon<br />
lange bekannt: Wenn das Bakterium – wahrscheinlich über kleine Verletzungen<br />
– in <strong>die</strong> Haut eingedrungen ist, entsteht zunächst eine kleine, harmlos<br />
erscheinende Schwellung. Ohne mit Fieber oder Schmerzen auf sich aufmerksam<br />
zu machen, zerstören <strong>die</strong> Erreger fortschreitend <strong>die</strong> Zellen der Haut und<br />
der Unterhaut bis hin zur Muskulatur. Da<strong>für</strong> vermutlich maßgeblich verantwortlich<br />
ist ein Gift, das <strong>die</strong> Bakterien produzieren und das sie wie eine un -<br />
heilvolle Wolke umgibt: Mykolakton. Das Toxin ist offensichtlich auch in der<br />
Lage, <strong>die</strong> Zellen des Immunsystems zu lähmen, finden sich örtlich doch kaum<br />
Anzeichen <strong>für</strong> eine nennenswerte Reaktion der körpereigenen Abwehrstra -<br />
tegen. Der zerstörerische Prozess kann sich über Monate bis Jahre hinziehen.<br />
Bleibt <strong>die</strong> Infektion unbehandelt, entstehen aus den Wunden großflächige<br />
Hautgeschwüre, zumeist an Unterarmen und Beinen. Sie führen nicht selten<br />
zu Funktionseinbußen und Entstellungen; manch ein Betroffener bleibt ein<br />
Leben lang gezeichnet. In der Bevölkerung, berichtet Thomas Junghanss, ist<br />
Buruli stark stigmatisiert. Niemand gebe gern zu, daran erkrankt zu sein.<br />
Viele Patienten kommen deshalb erst sehr spät oder überhaupt nicht zur<br />
Behandlung.
„Die lange Zeit einzig Erfolg versprechende Maßnahme war, das zerstörte<br />
Gewebe bis weit in das Gesunde hinein herauszuschneiden, um so eine weitere<br />
Ausbreitung des Bakteriums zu verhindern“, sagt Junghanss. Er selbst<br />
hat <strong>die</strong> Operationen Ende der 1990er Jahre, als er im Süden von Ghana im<br />
Krankenhaus arbeitete, häufig miterlebt. „Die Patienten“, berichtet Junghanss,<br />
„müssen wochen-, manchmal monatelang in der Klinik bleiben, weil <strong>die</strong> großen<br />
Wunden nach dem Eingriff nur langsam heilen und zumeist noch eine<br />
Hauttransplantation erfolgen muss.“ In schweren Fällen ließen sich Ampu -<br />
tationen von Gliedmaßen nicht vermeiden. „Es war manchmal einfach nicht<br />
zum Aushalten, dabei zusehen zu müssen, wie sehr <strong>die</strong> Patienten leiden“,<br />
erinnert sich Junghanss.<br />
Vor allem das Leid der Hauptbetroffenen, der Kinder, veranlasste den Arzt, nach<br />
anderen Mitteln und Wegen zu suchen, mit denen der Erreger bekämpft und<br />
<strong>die</strong> Infektionskrankheit gestoppt werden kann. Er stu<strong>die</strong>rte <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />
Literatur und stieß während seiner Recherchen auf <strong>die</strong> Arbeit eines<br />
amerikanischen Pathologen namens Wayne Meyers. Jener hatte in den 1970er<br />
Jahren bei Patienten in Zaire sehr gute Erfolge mit einer Hitzebehandlung<br />
erzielt und sich dazu eine Schwachstelle des Bakteriums zunutze gemacht:<br />
Der Erreger, das war aus Laborversuchen bekannt, gedeiht bestens zwischen<br />
30 und 33 Grad, bei Temperaturen aber, <strong>die</strong> längere Zeit über 37 Grad liegen,<br />
stirbt das Bakterium. „Das ist auch der Grund, warum sich <strong>die</strong> Keime in der<br />
Haut, nicht aber im Innern des Körpers aufhalten“, erklärt Junghanss.<br />
Meyers benutzte seinerzeit zur Therapie eine Manschette, <strong>die</strong> mit 40 Grad<br />
heißem Wasser gefüllt war und über befallene Gliedmaßen gelegt wurde.<br />
Damit gelang es ihm, <strong>die</strong> Geschwüre seiner Patienten nach wochenlanger<br />
Behandlung entscheidend zurückzudrängen. Die da<strong>für</strong> erforderlichen Apparaturen<br />
inklusive eines großen Boilers <strong>für</strong> <strong>die</strong> Heißwasserbereitung erwiesen<br />
sich jedoch als wenig praktikabel, zumal in den ländlichen Regionen Afrikas.<br />
Die Methode geriet rasch wieder in Vergessenheit.<br />
Immerhin hatte Meyers es geschafft, alle acht der von ihm wärmebehandelten<br />
Patienten dauerhaft von den Geschwüren zu befreien. Dieses bemerkenswerte<br />
Resultat veranlasste Thomas Junghanss darüber nachzudenken, wie<br />
man <strong>die</strong> Hitzebehandlung ebenso effizient, aber in weniger aufwändiger<br />
Weise vornehmen könne. „Wie lassen sich stabile Temperaturen über eine<br />
ausreichend lange Zeit hinweg garantieren, ohne <strong>die</strong> Patienten damit zu<br />
belasten?“, bringt Junghanss <strong>die</strong> zentrale Herausforderung auf den Punkt.<br />
Mit seiner Kernfrage wandte er sich an den Ingenieur Dr. Martin Hellmann<br />
– und der hatte tatsächlich eine Idee: Kunststoffbeutel, sogenannte heat<br />
packs, wie sie als Handwärmer im Winter beliebt sind. Sie sind mit einem<br />
Zwei-Phasen-System gefüllt, das schmilzt, wenn man es erhitzt, und wieder<br />
fest wird, wenn es sich abkühlt. „Zur Wärmebehandlung des Buruli Ulkus<br />
haben wir Natriumacetattrihydrat als Inhaltsstoff gewählt“, erläutert Junghanss.<br />
„Es ist ungiftig und schmilzt bei 59 Grad.“<br />
Bei der neu entwickelten Behandlungsmethode<br />
kommen einfache Wärmekissen wie<br />
<strong>die</strong>ses zum Einsatz. Die Kissen sind kostengünstig<br />
und wiederverwendbar und erfüllen<br />
damit entscheidende Voraussetzungen <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Anwendung in den von großer Armut<br />
geprägten tropischen Regionen Afrikas.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 47
48<br />
Bevor <strong>die</strong> neue Methode bei Patienten verwendet wurde, testeten Martin<br />
Hellmann, dessen Ingenieurskollege Helmut Weinläder und der Physiker<br />
Stefan Braxmeier <strong>die</strong> befüllten Plastikbeutel und deren bestmöglichen<br />
Gebrauch zunächst in den Labors der Abteilung „Funktionsmaterialien und<br />
Energietechnik“ des Bayerischen Zentrums <strong>für</strong> Angewandte Energieforschung.<br />
In der Praxis werden <strong>die</strong> Hautgeschwüre der Erkrankten zunächst mit einem<br />
sterilen Verband bedeckt und <strong>die</strong> in Wasser erhitzten Kunststoffbeutel, zumeist<br />
über Nacht, aufgelegt. Auf der Oberfläche der Haut komme auf <strong>die</strong>se Weise<br />
eine Temperatur von etwa 40 Grad zustande, erklärt Junghanss. Das genüge,<br />
um <strong>die</strong> Bakterien zu schädigen, belaste <strong>die</strong> Patienten aber nicht. Um <strong>die</strong><br />
handlichen Wärmepakete wieder gebrauchsfertig zu machen, genügt es, sie<br />
in einen Topf mit kochendem Wasser zu legen.<br />
Diese einfache Handhabe ist ideal <strong>für</strong> arme und ländliche Gebiete und ein<br />
Vorteil der Wärmekissen gegenüber der anderen wirkungsvollen Option,<br />
einer Therapie mit Antibiotika. Verabreicht werden Rifampicin und Streptomycin,<br />
zwei aus der Tuberkulosetherapie stammende Antibiotika. Um das<br />
Buruli Ulkus zu behandeln, muss Streptomycin über acht bis zwölf Wochen<br />
hinweg einmal pro Tag gespritzt werden. „Spritzen sind in Afrika ein grundsätzliches<br />
Problem – und Kinder mögen bekanntlich überhaupt keine Spritzen“,<br />
sagt Junghanss. Dennoch misst er der Antibiotikatherapie einen eigenen<br />
Stellenwert bei: „Als Arzt weiß ich, dass eine Methode allein nur selten<br />
wirksam ist, möglicherweise wird sich eine Kombination der Medikamente<br />
mit den Wärmekissen als sinnvoll erweisen; denkbar ist auch, dass der eine<br />
Patient besser auf <strong>die</strong> Wärmemethode, der andere besser auf Antibiotika<br />
anspricht.“ Hinter all <strong>die</strong>sen Einschätzungen verbergen sich Forschungs -<br />
fragen, <strong>die</strong> es zu klären gilt.<br />
Von 2005 bis 2007 erprobten Thomas Junghanss und sein Kollege Moritz<br />
Vogel gemeinsam mit dem Team ihres Projektpartners Alphonse Um Book,<br />
dem lokalen Vertreter der Leprahilfe Emmaus Schweiz in Kamerun, und<br />
der Arbeitsgruppe des Schweizerischen Tropeninstituts von Gerd Pluschke<br />
<strong>die</strong> neue Applikationsweise erstmals bei sechs erkrankten Kindern und<br />
Jugend lichen im Buruli-Zentrum von Ayos in Kamerun. Die Patienten waren<br />
zwischen sechs und 21 Jahre alt und litten unter verschieden stark ausgeprägten<br />
Geschwüren an Armen und Beinen. Die kleineren Geschwüre wurden 28<br />
bis 31 Tage, <strong>die</strong> größeren 50 bis 55 Tage behandelt. Die <strong>Wissenschaft</strong>ler befestigten<br />
<strong>die</strong> Wärmekissen so am Körper, dass <strong>die</strong> Patienten sich <strong>die</strong> ganze Zeit<br />
über frei bewegen konnten. „Die Kinder haben damit sogar Fußball gespielt“,<br />
erinnert sich Junghanss. Die Behandlung war zuvor sowohl von der natio -<br />
nalen Ethikkommission Kameruns als auch der Ethikkommission des Uni -<br />
versitätsklinikums Heidelberg be<strong>für</strong>wortet worden.<br />
„Proof of Principle“ – der grundsätzliche Nachweis der Wirksamkeit – hieß das<br />
Ziel der Pilotstu<strong>die</strong>. Und <strong>die</strong>ses Ziel wurde in beeindruckender Weise erreicht:<br />
Bei allen sechs Patienten bildeten sich <strong>die</strong> Geschwüre innerhalb von vier bis
fünf Wochen zurück und sind bislang – über zwei Jahre nach der Therapie –<br />
nicht wiedergekehrt. „Das ist ein wirklich sehr gutes Ergebnis“, freut sich<br />
Junghanss.<br />
Gegenwärtig kommt <strong>die</strong> neue Methode bei Buruli-Kranken in Kamerun zum<br />
Einsatz: Bis zum Jahr 2011 sollen in <strong>die</strong> Folgestu<strong>die</strong> alle rund hundert Patienten<br />
eingeschlossen sein. In <strong>die</strong>ses erneut von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Anschluss<br />
an <strong>die</strong> Pilotstu<strong>die</strong> geförderte Vorhaben sind vier Gruppen eingebunden; <strong>die</strong><br />
Koordination obliegt Thomas Junghanss in Heidelberg, <strong>die</strong> mikrobiologischen<br />
und immunologischen Arbeiten werden vom Schweizerischen Tropeninstitut<br />
unter Leitung von Professor Gerd Pluschke begleitet.<br />
Die Hauptarbeiten jedoch erfolgen in Afrika, beteiligt sind Dr. Alphonse Um<br />
Book in Kamerun, Dr. Dorothy Yeboah-Manu im Noguchi Memorial Institute<br />
for Medical Research in Accra, Ghana, und Dr. Ernestina Mensah-Quainoo<br />
vom Ghana Health Service. „Wir bauen auf den in der Pilotstu<strong>die</strong> erarbeiteten<br />
Ergebnissen auf und wollen jetzt <strong>die</strong> Wärmeapplikation optimieren sowie<br />
genaue Schemata <strong>für</strong> <strong>die</strong> Wärmedosierung entwickeln“, nennen <strong>die</strong> afrikanischen<br />
Projektpartner zwei wichtige Ziele. Darüber hinaus gelte es, den Wirkmechanismus<br />
zu erforschen, ein verlässliches System <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zuordnung der<br />
Krankheit in Sta<strong>die</strong>n zu erarbeiten und insbesondere <strong>die</strong> Effektivität der Be -<br />
handlung vor Ort sicherzustellen, führt Thomas Junghanns begleitend aus.<br />
Dazu werden Mediziner und klinisch tätiges Personal vor Ort ausgebildet, und<br />
es wird in den ländlichen Regionen <strong>die</strong> erforderliche Labordiagnostik eingerichtet.<br />
„Die hervorragende interdisziplinäre Zusammenarbeit mit un seren<br />
Kooperationspartnern in Afrika ist eine ideale Voraussetzung da<strong>für</strong>“, erklärt<br />
Junghanss.<br />
Die Vision von Thomas Junghanss ist es, in allen betroffenen Regionen<br />
gemeindenahe Buruli-Gesundheitszentren einzurichten, in denen <strong>die</strong> Erkrankung<br />
rasch diagnostiziert und behandelt werden kann. Durch eine intensi -<br />
vere Aufklärung könnte erreicht werden, dass <strong>die</strong> Menschen mehr über <strong>die</strong><br />
Krankheit lernen und sie nicht <strong>für</strong> Hexenwerk oder eine Strafe Gottes halten.<br />
Dieses Wissen soll sie dazu befähigen, <strong>die</strong> Infektion eigenständig in einem<br />
frühen Stadium zu erkennen, wo sie noch leicht zu behandeln und zu heilen<br />
ist. Vielen Menschen könnte so eine schlimme Leidenszeit erspart bleiben.<br />
„Eine frühe Diagnose und eine gute Behandlung sind unsere wichtigsten<br />
Ziele“, betont auch Alphonse Um Book, einer der Partner in Afrika. Ohne<br />
intensive Forschung aber und eine detaillierte Kenntnis der Hintergründe<br />
der „vergessenen Krankheit“ bleibe den Menschen <strong>die</strong> dringend benötigte<br />
Hilfe verwehrt. Umso wichtiger sei ein Kooperationsprojekt wie <strong>die</strong>ses zur<br />
Bekämpfung einer der schlimmsten gesundheitlichen Plagen Afrikas, bringen<br />
es <strong>die</strong> Projektbeteiligten beider Kontinente abschließend auf den Punkt.<br />
Claudia Eberhardt-Metzger<br />
Im Kampf gegen Buruli Ulkus werden <strong>die</strong><br />
Wärmekissen in Wasser erhitzt und mit<br />
einem Verband über den erkrankten Hautpartien<br />
fixiert (Bild oben). Diese unkomplizierte<br />
Hitzetherapie tötet <strong>die</strong> temperaturempfindlichen<br />
Erreger mit der Zeit ab und<br />
führt bei regelmäßiger Anwendung zu einer<br />
vollständigen Abheilung der Geschwüre<br />
ohne Rückfall (Bild unten).<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 49
50<br />
Hilfe <strong>für</strong> morgen – gegen <strong>die</strong> Armutskrankheiten von heute<br />
Der Biologe Dr. Alexander Debrah (beide Bilder, je -<br />
weils links) erforscht in seinem Heimatland Ghana<br />
<strong>die</strong> Lymphatische Filariose, eine der schlimmsten<br />
Armutskrankheiten Afrikas.<br />
„Viele Fragen – wenig Antworten.“ Das war der<br />
Eindruck des jungen Biologiestudenten Alexander<br />
Debrah, als er erstmals im Jahr 1999 das „Kumasi<br />
Centre for Collaborative Research in Tropical<br />
Medicine“ in Ghana betrat und dort <strong>die</strong> „Neglected<br />
Tropical Diseases“, <strong>die</strong> vernachlässigten Krankheiten<br />
der Tropen, näher kennenlernte. Eines <strong>die</strong>ser<br />
Leiden ist <strong>die</strong> Lymphatische Filariose, eine Wurmerkrankung,<br />
von der in den Tropen schätzungsweise<br />
120 Millionen Menschen betroffen sind und<br />
<strong>die</strong> schwerste Entstellungen verursacht. Schon als<br />
Student beschloss Alexander Debrah, <strong>die</strong> Krankheit<br />
zu erforschen. Heute leitet der 40-jährige <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
im Kumasi-Zentrum ein eigenes Projekt.<br />
Sein ambitioniertes Vorhaben verspricht eine bessere<br />
Diagnose und Therapie. „Die Arbeiten verlaufen<br />
bislang sehr gut“, sagt der engagierte Forscher.<br />
„Ich bin sehr glücklich, in meinem Heimatland<br />
Ghana gemeinsam<br />
mit meinem europä -<br />
ischen Partner, dem<br />
Institut <strong>für</strong> Medizinische<br />
Mikrobiologie,<br />
Immunologie und<br />
Parasitologie der<br />
Universitätsklinik<br />
Bonn, zur Lösung<br />
eines unserer größten<br />
Gesundheits -<br />
probleme beitragen<br />
zu können.“<br />
Alexander Debrah ist einer von zehn afrikanischen<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lern, <strong>die</strong> im Jahr 2008 im Rahmen<br />
eines Wettbewerbs der europäischen Initiative<br />
„Neglected Tropical Diseases and Related Public<br />
Health Research“ (NTD-Fellowships) als besonders<br />
förderungswürdig ausgewählt wurden. Der Initiative<br />
gehören fünf Stiftungen an: neben der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
<strong>die</strong> portugiesische Fundaçao Gulbenkian,<br />
<strong>die</strong> französische Fondation Mérieux, <strong>die</strong><br />
britische Nuffield Foundation und <strong>die</strong> italienische<br />
Fondazione Cariplo. Diese Initiative – nähere Informationen<br />
dazu unter www.ntd-africa.net – setzt<br />
Aktivitäten der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in der Tropenmedizin<br />
fort, <strong>die</strong> im Jahr 2005 mit einer thema -<br />
tischen Ausschreibung begonnen wurden (siehe<br />
Haupttext).<br />
Die fünf Akteure haben sich zusammengeschlossen<br />
mit dem Ziel, zumindest auf einigen Gebieten<br />
den Teufelskreis von Armut und Krankheit in<br />
Afrika zu durchbrechen. Dies zu erreichen, werden<br />
exzellente afrikanische Nachwuchsforscherinnen<br />
und -forscher unterstützt, <strong>die</strong> in den Ländern des<br />
sub-saharischen Afrikas arbeiten oder dorthin zu -<br />
rückkehren wollen und deren Forschungsansätze<br />
versprechen, möglichst rasch den Patienten zugute<br />
zu kommen. Das ist besonders drängend etwa bei<br />
der Lymphatischen Filariose, einer der schlimmsten<br />
mit Armut assoziierten<br />
Krankheiten<br />
im tropischen Afrika.<br />
Sie wird von Fadenwürmern<br />
(Filarien)<br />
verursacht, deren<br />
unreife Vorstufen<br />
über Stechmücken<br />
von Mensch zu<br />
Mensch übertragen<br />
werden. Im Körper<br />
des Infizierten gelangen<br />
<strong>die</strong> Larven über<br />
<strong>die</strong> Blutbahn zu den<br />
Lymphknoten und reifen dort zu Würmern von<br />
bis zu zehn Zentimetern Länge heran. Die Wurmknäuel<br />
behindern den Abfluss der Lymphe und<br />
lösen zudem massive Entzündungen aus. Das lässt<br />
enorme Schwellungen (Lymphödeme) entstehen.
Im Extremfall entwickelt sich eine „Elefantiasis“,<br />
eine unförmige Anschwellung von Körperteilen,<br />
zumeist der unteren Extremitäten und der Leistenregion.<br />
Mehr als 40 Millionen Menschen weltweit<br />
sind von <strong>die</strong>sen<br />
Entstellungen betroffen<br />
und werden so<br />
zu Außenseitern der<br />
Gesellschaft.<br />
„Um der Erkrankung<br />
vorbeugen und ihre<br />
bislang suboptimale<br />
Therapie verbessern<br />
zu können, müssen<br />
wir <strong>die</strong> zugrunde liegenden<br />
molekularen<br />
Mechanismen verstehen“,<br />
erläutert Alexander Debrah, der im Rahmen<br />
des NTD-Fellowships mit rund 90.000 Euro<br />
gefördert wird. Während seiner Forschungsarbeiten<br />
in Deutschland und Ghana hat der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
herausgefunden, dass eine Familie körpereigener<br />
Signalmoleküle (Vascular Endothelial<br />
Growth Factors = VEGFs) am Entstehen der Krankheit<br />
maßgeblich beteiligt ist. In einer Pilotstu<strong>die</strong><br />
konnte Debrah zeigen, dass <strong>die</strong> Anzahl von VEGF-<br />
Molekülen im Blut von Patienten mit hilfe des<br />
Antibiotikums Doxycyclin reduziert und <strong>die</strong><br />
Krankheitszeichen dadurch gemildert werden<br />
können. „Dieses Ergebnis lässt hoffen, dass wir <strong>die</strong><br />
schlimmsten Krankheitssta<strong>die</strong>n, <strong>für</strong> <strong>die</strong> es bislang<br />
keine Behandlung gibt, einmal mit einer Anti-VEGF-<br />
Therapie bekämpfen können.“ Der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
vermutet, dass es noch wei tere körpereigene<br />
Signalstoffe gibt, <strong>die</strong> das Krankheits geschehen<br />
vorantreiben. Sein Ziel ist es, auch <strong>die</strong>se Moleküle<br />
aufzuspüren. Möglicherweise könnten darunter<br />
Moleküle sein, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> ein „Frühwarnsystem“<br />
nutzen lassen. „Ein Warnsystem, das <strong>die</strong> Infektion<br />
anzeigt, bevor <strong>die</strong> ersten Symptome auftreten.“<br />
Alexander Debrah ist darüber hinaus an einem<br />
weiteren, von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> ebenfalls<br />
in ihrer „Afrika-Initiative“ – und mit insgesamt<br />
rund 600.000 Euro – geförderten Projekt beteiligt,<br />
das gemeinsam vorangetrieben wird von seinem<br />
deutschen Doktorvater Achim Hörauf, Professor<br />
am Universitätsklinikum<br />
Bonn, und Partnern<br />
in Ghana,<br />
Kamerun und Tan -<br />
sania. Die Forscher<br />
wollen heraus fin -<br />
den, welche Rolle<br />
bestimmte Bakterien,<br />
sogenannte Wolbachien,<br />
bei der Lymphatischen<br />
Filariose<br />
spielen. Diese Bakte -<br />
rien siedeln als Symbionten<br />
im Körper<br />
der Fadenwürmer; ohne sie können <strong>die</strong> Würmer<br />
nicht überleben. Wie sich herausstellte, lassen sich<br />
mit dem Antibiotikum Doxycyclin <strong>die</strong> Bakterien<br />
und mit ihnen <strong>die</strong> Anzahl der im Blut zirkulierenden<br />
Vorläufer der Fadenwürmer reduzieren. Auch<br />
das ist ein neuer Ansatz, der möglicherweise in<br />
eine neue Therapie gegen <strong>die</strong> Lympha tische Filariose<br />
einmünden könnte. Zusammen mit einem<br />
Testsystem, das <strong>die</strong> Infektion frühzeitig nachweist,<br />
ließe sich der Wurmbefall bekämpfen, bevor es<br />
im weiteren Verlauf der Krankheit zu massiven<br />
Schädigungen kommt.<br />
In <strong>die</strong>sem ebenfalls internationalen Kooperationsprojekt<br />
konnte Alexander Debrah erste Erfahrungen<br />
sammeln, <strong>die</strong> ihm nun bei seinem eigenen<br />
Vorhaben im Rahmen der „Neglected Tropical<br />
Diseases“ wertvolle Hilfe sind. Wie besser als an<br />
<strong>die</strong>sem Erfolg eines jungen Forschers ließe sich<br />
deutlich machen, was eines der grundlegenden<br />
Ziele des Afrika-Engagements der Stiftung ist:<br />
ein nachhaltiges capacity building vor Ort, das<br />
sich gründet auf der Förderung exzellenter Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und -wissenschaftler<br />
im sub-saharischen Afrika.<br />
Claudia Eberhardt-Metzger<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 51
Alles im Fluss?!<br />
Forscher aus Hannover, Taschkent und Duschanbe<br />
wollen das Lebenselixier der zentralasia tischen<br />
Region retten: das Wasser des Serafschan-Stroms.<br />
Verschmutztes Wasser gehört in vielen Ländern Zentralasiens zu den dringlichsten<br />
Umweltproblemen. Besonders stark betroffen ist <strong>die</strong> Region am<br />
Fluss Serafschan. Zwar wächst dort das Bewusstsein <strong>für</strong> <strong>die</strong> brisante Lage,<br />
doch <strong>die</strong> Datenbasis <strong>für</strong> Lösungsansätze ist dünn. Helfen soll ein in der Mittelasien/Kaukasus-Initiative<br />
der Stiftung gefördertes Projekt: Gemeinsam<br />
gehen jetzt vor Ort heimische Experten mit deutschen Partnern <strong>die</strong> Probleme<br />
an – und langsam keimt Hoffnung, dass <strong>die</strong> Situation sich verbessert.<br />
Türkisblau leuchten <strong>die</strong> Kuppeln der orientalischen Bauten von Samarkand<br />
und Buchara in Usbekistan. Die prächtigen Städte an der Seidenstraße sind<br />
Oasen in einer Wüste, <strong>die</strong> vom Fluss Serafschan mit Wasser versorgt werden.<br />
An Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnert <strong>die</strong>ser Strom allerdings<br />
schon lange nicht mehr. Denn der Serafschan, Lebensgrundlage von mehr<br />
als sieben Millionen Menschen in Tadschikistan und Usbekistan, führt<br />
immer weniger Wasser – und zudem einen Cocktail giftiger Schadstoffe.<br />
„Der Serafschan-Fluss gehört heute zu den am stärksten verschmutzten<br />
Gewässern in Zentralasien“, sagt Dr. Melanie Bauer von der Leibniz Univer -<br />
sität Hannover.<br />
Die junge Ingenieurin leitet ein Projekt, das seit dem Jahr 2008 von der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> im Rahmen ihrer Initiative „Zwischen Europa und Orient<br />
– Mittelasien/Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong>“ mit 200.000 Euro gefördert<br />
wird. Ziel aller Beteiligten ist es, Lösungsansätze <strong>für</strong> ein nachhaltiges Wassermanagement<br />
im Serafschan-Tal zu entwickeln. Die Projektidee hat Bauers<br />
Arbeitsgruppe gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern aus den betroffenen<br />
Ländern entwickelt. Dazu gehören Professor Inom Normatov von der<br />
Tajik Academy of Sciences in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans,<br />
dessen Mitarbeiter sowie ein <strong>Wissenschaft</strong>lerteam um Dr. Malika Ikramova<br />
vom Central Asian Scientfic Research Institute of Irrigation in Taschkent.<br />
„Wir kennen uns schon seit vielen Jahren aus früheren Projekten, haben uns<br />
unter anderem gemeinsam mit den Problemen rund um das Thema Aralsee<br />
beschäftigt“, erzählt Bauer. „Mittlerweile sind wir ein gut eingespieltes Team.“<br />
Ein Team, zu dem neben Ingenieuren unterschiedlicher Fachrichtungen auch<br />
Chemiker und Sozioökonomen gehören. Außerdem sind sechs Nach wuchs -<br />
wissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus den drei beteiligten<br />
Ländern in das Vorhaben eingebunden.<br />
Die Projektleiterin Dr.-Ing. Melanie Bauer<br />
von der Leibniz Universität Hannover zeigt<br />
ein pH-Meter – nur eines der vielen Messgeräte,<br />
mit denen <strong>die</strong> beiden Teams vor Ort <strong>die</strong><br />
chemische Belastung des Serafschan-Stroms<br />
quantifizieren. Das pH-Meter misst den Säurewert<br />
des Wassers: Sollte <strong>die</strong>ser weiter steigen,<br />
lösen sich mehr und mehr am Grund<br />
des Flusses abgelagerte Giftstoffe. Die Folgen<br />
wären katastrophal.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 53
54<br />
Der Serafschan-Fluss<br />
Der Zarafschan oder Serafschan („Goldspender“)<br />
ist der drittgrößte Fluss in Usbekistan. Er entspringt<br />
in Tadschikistan auf 2750 Meter Höhe über dem<br />
Meeresspiegel und ist rund 800 Kilometer lang,<br />
sein Einzugsgebiet etwa 4000 Quadratkilometer<br />
groß. Die ersten 300 Kilometer legt der Serafschan<br />
in Tadschikistan zurück; er fließt zwischen dem<br />
steil zu ihm abfallenden Turkistanischen Gebirge<br />
im Norden und der Serafschankette im Süden in<br />
Richtung Westen zunächst in einem engen Tal.<br />
Später tritt er in das nach ihm benannte Serafschan-Tal<br />
ein, das in der Region Samarkand in<br />
Usbekistan liegt. Rund 20 Kilometer hinter der<br />
Stadt Buchara versickert der Fluss in der Wüste.<br />
Insgesamt hat der Serafschan 70 Nebenflüsse.<br />
Einige von ihnen erreichen ihn mangels Wasser<br />
zeitweise nicht. Am Serafschan gibt es eine Reihe<br />
von Dämmen und Stauseen und viele große und<br />
Alle Projektpartner sind sich einig: Das Wasser muss dringend sauberer<br />
werden, denn <strong>die</strong> schlechte Wasserqualität hat schlimme Folgen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Menschen im Serafschan-Tal. „Zum Beispiel werden <strong>die</strong> Baumwoll- und<br />
Reisplantagen mit Flusswasser bewässert. Dadurch lagern sich immer mehr<br />
Schwermetalle im Boden ab, senken dessen Fruchtbarkeit und <strong>die</strong> Qualität<br />
des Erntegutes“, berichtet <strong>die</strong> usbekische Wasserexpertin Malika Ikramova.<br />
Das habe nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen, sondern wirke sich auch<br />
auf <strong>die</strong> Gesundheit der ansässigen Bevölkerung aus. „Auf dem Land ist <strong>die</strong><br />
Lage besonders brisant, denn <strong>die</strong> Menschen in ländlichen Gebieten trinken<br />
das ungesunde Wasser mitunter direkt aus dem Fluss.“ Welch fatale Folgen<br />
das haben kann, ist aus Untersuchungen am ebenfalls hoch belasteten Aralsee<br />
bekannt: Typhus- und Cholera-Erkrankungen nehmen merklich zu, und<br />
<strong>die</strong> Kindersterblichkeit steigt.<br />
Das Wasserproblem verschärft sich noch zusätzlich, da das Flusswasser immer<br />
weniger wird. Ein Trend, den Bauers Kollege Oliver Olsson mittlerweile anhand<br />
von Zahlen untermauern kann – und zugleich ein erstes handfestes Ergebnis<br />
des Projektes. „Der Fluss führt heute fast ein Zehntel weniger Wasser als noch<br />
zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts“, berichtet er. „Wir konnten außerdem<br />
feststellen, dass <strong>die</strong> Zahl der Überschwemmungen tendenziell ab- und<br />
mittelgroße Kanäle, <strong>die</strong> der Bewässerung und<br />
Wasserversorgung der Region <strong>die</strong>nen; einige<br />
umliegende Seen erhalten Drainagewasser aus<br />
den Kanälen. Allein in den Regionen Samarkand<br />
und Navoiy wird das Wasser zur Bewässerung<br />
von 530.000 Hektar Land gebraucht, auf dem<br />
hauptsächlich Agrarprodukte angebaut werden,<br />
<strong>die</strong> dem Bedarf der schnell wachsenden Land -<br />
bevölkerung <strong>die</strong>nen.<br />
Auf Tadschikistan entfallen derzeit rund sechs<br />
bis acht Prozent des Wasserabflusses, das restliche<br />
Wasser wird in Usbekistan verbraucht. Die Wasserqualität<br />
hat sich nach Einschätzung von <strong>Wissenschaft</strong>lern<br />
durch den Einfluss des von der Bewässerung<br />
zurückfließenden Wassers und des Abwassers<br />
von Städten wie Samarkand, Kattakurgan und<br />
Navoiy über <strong>die</strong> Jahre kontinuierlich verschlechtert.<br />
Quelle: Wikipedia
<strong>die</strong> Zahl der Dürreperioden, vor allem seit den 1970ern, stark zunimmt.“ Seither<br />
muss im Schnitt jedes zweite Jahr mit extremem Niedrigwasser gerechnet<br />
werden. Das macht den Schadstoffcocktail immer konzentrierter und<br />
schmälert <strong>die</strong> ohnehin knappen nutzbaren Wassermengen. Worin <strong>die</strong> Ursachen<br />
liegen <strong>für</strong> <strong>die</strong> schwindenden Wasserströme? Olsson hat mehrere Antworten<br />
parat: „Vom Klimawandel über erhöhte landwirtschaftliche oder industrielle<br />
Wasserentnahmen bis hin zu wachsenden Bevölkerungszahlen ist alles<br />
denkbar!“<br />
Ablagerungen im Fluss sind tickende Zeitbomben<br />
Das Wasserproblem in Usbekistan und Tadschikistan ist auch deshalb so<br />
schwierig in den Griff zu bekommen, da in den Ländern der ehemaligen<br />
Sowjetunion noch sehr vieles, auch im übertragenen Sinne, im Fluss ist.<br />
„Seit 18 Jahren sind <strong>die</strong> Länder unabhängig, doch <strong>die</strong> Übergangsprozesse<br />
– wir nennen sie Transition – sind voll im Gang“, betont Melanie Bauer. So<br />
werden etwa Pesti zide und Düngemittel mangels Fördergeldern <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Landwirtschaft zunehmend sparsamer eingesetzt. Einige Unternehmen<br />
mussten ihre Produktion zurückfahren, andere sind mittlerweile in auslän -<br />
dischem Besitz. „Keiner weiß so recht, was von dort in den Fluss gelangt<br />
und welche Umweltstandards hier möglicherweise maßgeblich sind“,<br />
beschreibt Bauer das Dilemma.<br />
Um Licht in das Dickicht und Dunkel der Einflussfaktoren zu bringen, wollen<br />
<strong>die</strong> Wasserexperten zunächst einmal herausfinden, welche Schadstoffe woher<br />
kommen und wie sie sich im Fluss verteilen – eines der zentralen Anliegen<br />
des Vorhabens. Zugleich möchten <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler und <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />
mit hilfe histo rischer Daten <strong>die</strong> Entwicklung der Wasserbelastung rund<br />
zwanzig Jahre zurückverfolgen. „Wir haben dazu eine klare Aufgabenteilung“,<br />
sagt Bauer. So koordinieren <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler aus Hannover <strong>die</strong> Arbeit der<br />
drei Forschergruppen und bewerten <strong>die</strong> Informationen zu Wasser- und Stoffströmen,<br />
um am Ende fun<strong>die</strong>rte Erkenntnisse zu Ursachen und Folgen der<br />
Wasserverschmutzung bereitstellen zu können. Die da<strong>für</strong> erforderlichen Daten<br />
liefern <strong>die</strong> beiden Teams von Inom Normatov und Malika Ikramova. Sie haben<br />
mehrere Messpunkte an Zu- und Abläufen verschiedener Städte, Industrie -<br />
gebiete und an einer Goldmine ausgewählt, nehmen dort Wasser- sowie<br />
Bodenproben und analysieren <strong>die</strong>se mit zum Teil eigens aus Projektmitteln<br />
<strong>für</strong> das Vorhaben angeschafften modernen Messgeräten.<br />
„In der Ära der Sowjetunion wurden Landwirtschaft und Industrie im Serafschan-Tal<br />
massiv ausgebaut“, schildert <strong>die</strong> usbekische Wasserforscherin Ikramova<br />
den Beginn der tragischen Entwicklung. Der Wasserverbrauch stieg<br />
drastisch, und belastete Abwässer wurden – und werden noch – meistens<br />
unbehandelt in den Fluss geleitet. Viele <strong>die</strong>ser toxischen Altlasten, darunter<br />
Quecksilber- und Chromverbindungen, arsenhaltige Substanzen und gesund-<br />
Klassische Feldforschung an der Seiden -<br />
straße: Im Gebiet der uralten Handelsstadt<br />
Samarkand entnimmt das usbekische Messteam<br />
vom Central Asian Scientific Research<br />
Institute of Irrigation in Taschkent (SANIIRI)<br />
Wasserproben aus dem Fluss Serafschan (Bild<br />
oben), analysiert <strong>die</strong>se im Labor und wertet<br />
sie anschließend am Computer aus (Bild<br />
unten). Das geschichtsträchtige Samarkand<br />
war ab 1925 Hauptstadt der damaligen Sowjetrepublik<br />
Usbekistan, verlor <strong>die</strong>sen Status<br />
aber nur fünf Jahre später an Taschkent.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 55
56<br />
Messen ist das A und O: Karimjon Emomov<br />
(vorn) von der Tajik Academy of Sciences in<br />
der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe<br />
entnimmt Proben aus der Zentrifuge. Sein<br />
Kollege Obid Bokiev hat derweil eine Wasserprobe<br />
angefärbt, um mithilfe des Fotometers<br />
(weißer Kasten zwischen den Forschern) <strong>die</strong><br />
Konzentration der im Wasser gelösten Substanzen<br />
zu bestimmen.<br />
heitsschädliches Phenol, sind ausgesprochen langlebig und haben sich über<br />
Jahrzehnte im Fluss angereichert. Heute schlummern sie in großen Mengen<br />
auch auf dem Grund des Stroms, wenngleich zurzeit noch in einer <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Menschen unschädlichen Form. „Die giftigen Stoffe können aber wieder aktiviert<br />
werden, wenn der Säurewert des Serafschan-Flusses durch unbehandelte<br />
Industrieabwässer weiter steigt“, mahnt <strong>die</strong> Wasserexpertin. Einige <strong>die</strong>ser<br />
tickenden Zeitbomben konnte sie mithilfe der Messungen im Rahmen des<br />
Projekts bereits lokalisieren.<br />
Bei ihren Messungen haben <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler mitunter mit extremen<br />
Wetterbedingungen zu kämpfen: von klirrender Kälte mit Schnee und Eis<br />
im Hochgebirge Tadschikistans bis zu flimmernder, flirrender Hitze bei 60<br />
bis 70 Grad Celsius im heißen usbekischen Sommer. Und sie müssen bei der<br />
Planung <strong>die</strong> über das Jahr stark schwankenden Wasserstände des Flusses<br />
berücksichtigen. So ist der Serafschan im November mancherorts nur ein<br />
trübes Rinnsal, während er in der Regenzeit schnell zu einem reißenden<br />
Strom werden kann.<br />
Das Ziel: ein nachhaltiges Wassermanagement<br />
Der Rahmen des Projekts ist weit gesteckt. So durchforsten <strong>die</strong> tadschikischen<br />
und usbekischen Forscher außerdem Archive in Moskau, Taschkent und<br />
Duschanbe nach historischen Wasserdaten – eine Jagd mit ungewissem Ausgang,<br />
denn <strong>die</strong> bürokratischen Hürden sind hier weitaus höher als etwa in<br />
Deutschland. Und nicht zuletzt halten Normatov und Ikramova einen heißen<br />
Draht zu den verantwortlichen Ministerien. Gerade das ist zwingend. „Schließlich<br />
sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, ökologische Schreckensszenarien<br />
zu produzieren, sondern <strong>die</strong> neuen Erkenntnisse vor allem <strong>für</strong> politische Entscheidungen<br />
im Sinne eines nachhaltigen Wassermanagements nutzbar zu<br />
machen“, betont Normatov.<br />
Bei <strong>die</strong>sem Prozess helfen auch <strong>die</strong> fest eingeplanten Workshops, zu denen <strong>die</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler politische Entscheidungsträger sowie Vertreter von regionalen<br />
Wasserverbänden und Entwicklungshilfeorganisationen einladen. „Erst<br />
im persönlichen Gespräch kann ein Verständnis <strong>für</strong> <strong>die</strong> Probleme vor Ort entstehen<br />
und umgekehrt eine Sensi bilisierung <strong>für</strong> das Thema erreicht werden“,<br />
meint Projektleiterin Melanie Bauer. Der erste Workshop fand in Taschkent<br />
statt, als der Startschuss <strong>für</strong> das Projekt fiel. Mindestens zwei weitere sollen<br />
folgen.<br />
Ob im großen oder kleinen Kreis, <strong>die</strong> Kommunikation zwischen <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen,<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lern und Entscheidungsträgern bringt bereits<br />
erste Früchte. „Das Interesse unseres Ministeriums <strong>für</strong> Landwirtschaft und<br />
Wasserwirtschaft an dem Projekt ist inzwischen sehr groß“, weiß etwa <strong>die</strong><br />
usbekische Wasserforscherin Ikramova zu berichten. Doch trotz erster Erfolge
leibt einiges zu tun. Viele Dinge sind unverstanden, und der Weg zu kon -<br />
kreten Handlungshinweisen ist noch weit – von der praktischen Umsetzung<br />
ganz zu schweigen. Unterstützung könnte eine Fortsetzung des Projekts bringen.<br />
So wollen Olsson und Bauer ihren Projektpartnern ein Computermodell<br />
verfügbar machen, das <strong>die</strong> gewonnenen Daten und Erkenntnisse in anschauliche<br />
Szenarien übersetzt. Solche Simulationen machen Entwicklungen sichtbar,<br />
bevor ein realer wirtschaftlicher oder ökologischer Gau eintritt. Und sie<br />
zeigen, welche Lösungsansätze Erfolg versprechen. Damit hätten <strong>die</strong> Experten<br />
vor Ort weitere schlagkräftige Argumente <strong>für</strong> konkrete Maßnahmen an<br />
der Hand, damit der Traum vom sauberen Wasser im Serafschan-Tal so bald<br />
wie möglich Wirklichkeit wird.<br />
Andrea Hoferichter<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin Andrea Hoferichter (rechts) im Gespräch<br />
mit Dr.-Ing. Melanie Bauer (Mitte) und Diplomingenieur Oliver<br />
Olsson von der Universität Hannover. Bild unten: Blick auf eine<br />
Landkarte von Zentralasien. Zwischen den Händen der beiden<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler erstreckt sich <strong>die</strong> nördlichste Provinz Tadschikistans.<br />
Hier beginnt der Serafschan-Fluss seine 800 Kilometer lange<br />
Reise nach Westen bis ins usbekische Buchara, wo er schließlich<br />
hinter der Stadt in der Wüste versickert.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 57
Die Kulturen des Krieges<br />
Auf den düsteren Spuren von Tod und Terror:<br />
Dilthey-Fellow Dietmar Süß beschäftigt sich an der<br />
Universität Jena mit dem Krieg im 20. Jahrhundert.<br />
Welche Vorstellungen von „Kriegsmoral“ haben Diktaturen und Demokratien?<br />
Und wie geht <strong>die</strong> Zivilbevölkerung, wie gehen <strong>die</strong> Kirchen mit dem Thema<br />
Krieg um? Es ist ein ebenso weites wie spannendes Feld, das Dr. Dietmar<br />
Süß an der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht – und somit ein<br />
typisches Forschungsthema <strong>für</strong> ein „Dilthey-Fellowship“. Erstmals im Jahr<br />
2005 ausgeschrieben, setzt <strong>die</strong>ses Förderinstrument inzwischen vielfache<br />
Ausrufezeichen in der geisteswissenschaftlichen Forschungslandschaft.<br />
Seit September 2008 arbeitet Dietmar Süß am Historischen Institut der Universität<br />
Jena an seinem großen Thema „Tod aus der Luft: Gewalt, Zivilgesellschaft<br />
und <strong>die</strong> Kulturen des Krieges im 20. Jahrhundert“. Der 36-Jährige stu<strong>die</strong>rte<br />
Neuere und Neueste Geschichte, Mittelalterliche Geschichte, Soziologie<br />
und Rechtswissenschaften in Hagen (FernUniversität), Berlin (HU), Santander<br />
(Universidad de Cantabria) und München (LMU). An letzterer promovierte<br />
er 2001 über „Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayrischen<br />
Montanindustrie 1945-1976“. Nach einem Volontariat bei der Katholischen<br />
Nachrichtenagentur war er ab 2003 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />
Institut <strong>für</strong> Zeitgeschichte in München tätig. Von 2006 bis 2007 hielt sich<br />
Dietmar Süß als Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander von Humboldt-<br />
Stiftung an der Universität von Exeter in Großbritannien auf. <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin<br />
Mareike Knoke sprach mit ihm über <strong>die</strong> unterschiedlichen Formen<br />
von Kriegen, interdiszi plinäres Arbeiten und über den einsamen, aber<br />
schönen Zeitvertreib des Schreibens.<br />
Herr Süß, Ihre Doktorarbeit haben Sie zum Wandel sozialdemokratischer Milieus<br />
nach 1945 verfasst. Wie kommt man von dort zu dem großen, internationalen<br />
und auf den ersten Blick so anderen Thema „Gewalt, Zivilgesellschaft und <strong>die</strong><br />
Kulturen des Krieges“?<br />
Interesse an dem Thema „Kriegs- und Gewaltgeschichte“ hatte ich schon früher.<br />
Das hat zum einen teilweise auch private Gründe: Man entdeckt plötzlich<br />
alte Briefe und Dokumente aus der Familiengeschichte und möchte sich<br />
intensiv damit beschäftigen. Zum anderen habe ich während meiner Recherchen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Doktorarbeit mit vielen Arbeitern gesprochen, <strong>die</strong> der Soldaten-<br />
Generation angehören und natürlich durch ihre Erlebnisse und Gewalter -<br />
Dr. Dietmar Süß und das Gedenken an <strong>die</strong><br />
„Stunde Null“ in Jena: Im Februar und März<br />
des Jahres 1945 wurde <strong>die</strong> Innenstadt durch<br />
alliierte Bombenangriffe fast völlig zerstört –<br />
ein Schicksal, das viele deutsche Großstädte<br />
teilten. Im Rahmen seines „Dilthey-Fellowships“<br />
erforscht Süß an der Friedrich-Schiller-<br />
Universität Jena <strong>die</strong> gesellschaftlichen Auswirkungen<br />
des Luftkrieges auf <strong>die</strong> Zivilbe völkerung<br />
– von den beiden Weltkriegen bis zum<br />
vermeintlich „sauberen“ Krieg der Gegenwart.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 59
60<br />
Dr. Dietmar Süß an seinem Arbeitsplatz im<br />
Historischen Institut der Universität Jena.<br />
Gerade sichtet er einen archivierten Artikel<br />
der Liverpool Daily Post (Bild unten), in dem<br />
zusätzliche Hilfe <strong>für</strong> <strong>die</strong> Opfer des Bombenkrieges<br />
angekündigt wird. Zeitungsartikel<br />
vermitteln dem <strong>Wissenschaft</strong>ler einen guten<br />
Eindruck der Stimmung, <strong>die</strong> während des<br />
Zweiten Weltkriegs in der britischen und<br />
deutschen Bevölkerung herrschte.<br />
fahrungen im Zweiten Weltkrieg geprägt sind. So entstand der Wunsch, das<br />
einschneidende Erlebnis Krieg aus mehreren Blickwinkeln zu erforschen.<br />
Welche Aspekte interessieren Sie dabei besonders und nehmen eine zentrale Rolle<br />
in Ihrer Arbeit ein?<br />
Mich interessiert, wie sich Krieg – insbesondere „Air Power“, also Luftkrieg –<br />
auf <strong>die</strong> Zivilbevölkerung auswirkt: Was geschieht in dem jeweiligen Land, in<br />
der dortigen Kriegsgesellschaft? Welche Vorstellungen von „Kriegsmoral“<br />
haben Diktaturen und Demokratien? Und wie gehen <strong>die</strong> Kirchen mit dem<br />
Krieg um; welche Trauerkulturen gibt es? Dabei beziehe ich meine Fragen<br />
nicht nur auf Deutschland und den Nationalsozialismus, sondern arbeite<br />
vergleichend, indem ich meinen Blick etwa auch auf Großbritannien richte.<br />
Ebenfalls in international vergleichender Perspektive interessiert mich, wie<br />
<strong>die</strong> verschiedenen Länder und Kulturen Krieg und Terror aus der Luft legitimieren<br />
– und wie sich <strong>die</strong>se Legitimationsmuster vom Ersten Weltkrieg über<br />
den Zweiten Weltkrieg bis hin zum Vietnam- und dem Irak-Krieg veränderten.<br />
Man versteht zum Beispiel <strong>die</strong> Kriegführung im Irak-Krieg besser vor<br />
dem Hintergrund einer Betrachtung des Zweiten Weltkriegs.<br />
Inwiefern?<br />
Denken Sie daran, was von der Art der Kriegführung im Zweiten Weltkrieg<br />
vor allem im kollektiven Gedächtnis hängen blieb: <strong>die</strong> Luftangriffe auf deutsche<br />
und britische Städte, <strong>die</strong> Zerstörung Hiroshimas und Nagasakis durch <strong>die</strong><br />
US-Atombomben – Militärexperten haben all das jahrelang erforscht. Was<br />
man im Irak-Krieg unbedingt vermeiden wollte, war <strong>die</strong> Verbreitung ähnlich<br />
schrecklicher Bilder, wie sie nach den Luftangriffen auf Hamburg oder Dresden<br />
oder auf japanische Städte um den Globus gingen. Im Irak sollte <strong>die</strong> Illusion<br />
eines „sauberen“ Krieges, eines „klinisch reinen“ Luftkrieges über <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n<br />
in alle Welt gesendet werden.<br />
Das wäre <strong>die</strong> Durchführung eines Krieges auf der Grundlage von Erfahrungen aus<br />
einem anderen …<br />
Ja, das heißt es. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fragten<br />
US-Sozialwissenschaftler im Auftrag des United Strategic Bombing Survey in<br />
Deutschland und in Japan <strong>die</strong> Zivilbevölkerung nach deren Befindlichkeit:<br />
Welche Wirkung hatte der Luftkrieg auf sie, wie haben sie ihn erlebt? Die<br />
Forscher lieferten mit ihren Umfrageergebnissen sozusagen <strong>die</strong> Blaupausen<br />
<strong>für</strong> spätere Luftkriege. Einer von ihnen war übrigens der spätere US-Verteidigungsminister<br />
Robert McNamara. Diese „Experten des Krieges“ nehmen eine<br />
zentrale Rolle in meiner Forschungsarbeit ein.
Damit sind wir noch einmal bei Ihrer aktuellen Arbeit: Was genau tun Sie in Jena?<br />
Der erste Teil meines Forschungsvorhabens widmet sich dem Vergleich der<br />
deutschen und der britischen Gesellschaft während des Krieges – unter den<br />
bereits erwähnten Aspekten. Dies steht im Zentrum meiner Habilitationsschrift.<br />
In dem zweiten Teil konzentriere ich mich auf <strong>die</strong> globale Gewalt -<br />
geschichte der Kriegführung beziehungsweise des Luftkriegs. In solch einer<br />
breiten, international vergleichenden Perspektive wurde das bislang noch<br />
nicht erforscht.<br />
Welche Rolle spielt dabei Interdisziplinarität?<br />
Eine wichtige. Man muss das Forschungsthema aus dem engen Korsett<br />
der reinen Militärgeschichte befreien, es auch mit den Augen der Kulturund<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte betrachten. Erste Schritte sind schon getan:<br />
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg – Literatur- und<br />
Sozialwissenschaftlern – haben wir einen Band über europäische Erinnerungen<br />
an den Luftkrieg herausgebracht. Ebenso wichtig wie der Sprung über<br />
disziplinäre Grenzen ist natürlich auch der Blick über den nationalen Tellerrand:<br />
Deshalb ist mein Thema so weit und so umfangreich angelegt. Außerdem<br />
möchte ich gern einen internationalen Forscherverbund zum Thema<br />
aufbauen. Sehr gute Voraussetzungen da<strong>für</strong> bietet natürlich meine enge<br />
Zusammenarbeit mit den Kollegen an der britischen University of Exeter.<br />
Gemeinsame Tagungen und Bücher sind geplant.<br />
Die Dilthey-Fellowships<br />
Wenn exzellente Nachwuchsforscherinnen und<br />
-forscher aus den Geisteswissenschaften hierzulande<br />
fünf Jahre lang eigenständig wissenschaftlich<br />
arbeiten können, dann haben sie möglicherweise<br />
ein „Dilthey-Fellowship“ inne. Erstmals im<br />
Jahr 2005 ausgeschrieben, hat sich <strong>die</strong>ses Förderinstrument<br />
hervorragend bewährt, denn <strong>die</strong> promovierten<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lerinnen und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
können ihre Arbeiten selbstbestimmt an<br />
einer Hochschule oder einem außeruniversitären<br />
Institut fortsetzen und werden so in Deutschland<br />
gehalten. Die jungen Forscher sollen dabei vor<br />
allem Themen bearbeiten, <strong>die</strong> den Geisteswissenschaften<br />
neue Gebiete erschließen und <strong>die</strong> auf-<br />
grund ihrer Komplexität oder ihres höheren Risikos<br />
von vornherein längere Planungs- und Zeithorizonte<br />
benötigen. Über herkömmliche Grenzen<br />
hinaus denkende Forscherpersönlichkeiten erhalten<br />
auf <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong> Chance, sich zu führenden<br />
Vertretern ihres Wissensgebietes zu entwickeln.<br />
Die Dilthey-Fellowships – sie sind einer der beiden<br />
Bausteine der Förderinitiative „Pro Geisteswissenschaften“<br />
– helfen somit, eine Forscherkarriere im<br />
besten Sinne ungezwungen und unabhängig<br />
voranzutreiben. Im Zuge der ersten vier Bewilligungsrunden<br />
der Jahre 2006 bis 2009 konnten<br />
bislang insgesamt 32 Dilthey-Fellows mit ihren<br />
Forschungen beginnen. cj<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 61
62<br />
Im Gespräch verrät Dietmar Süß <strong>Impulse</strong>-<br />
Autorin Mareike Knoke (oberes Bild), dass <strong>die</strong><br />
angeblich so einsame Arbeit im Archiv gar<br />
nicht so einsam ist: „Man entdeckt sehr viel<br />
Neues und Überraschendes und tauscht sich<br />
mit anderen darüber aus.“<br />
Mit den Dilthey-Fellowships unterstützt <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> Forschungs -<br />
vorhaben, <strong>die</strong> nicht ohne Risiko sind und deshalb bei anderen Förderern schnell<br />
durchs Raster fallen könnten. Was macht denn Ihr Projekt zur „Risikoforschung“?<br />
Oh (lacht) – nach den Förder-Maßstäben der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
fallen mir eine ganze Reihe von Risikofaktoren ein: <strong>die</strong> große Spannbreite<br />
des Themas; <strong>die</strong> viele Zeit, <strong>die</strong> notwendig ist, um in Archiven auf der<br />
ganzen Welt zu recherchieren; <strong>die</strong> Interdisziplinarität und <strong>die</strong> Multiperspek -<br />
tivität auf mein Thema …. Mit einer normalen zwei- bis dreijährigen Laufzeit<br />
wäre das nicht machbar. Als Dilthey-Fellow aber habe ich <strong>die</strong> nötige Ruhe<br />
und vor allem mindestens fünf Jahre Zeit, um mich durch viele, viele Aktenmeter<br />
zu fressen und anschließend meine Erkenntnisse niederzuschreiben.<br />
Und welche Rolle spielt der Standort Jena <strong>für</strong> Ihr Vorhaben?<br />
Mit dem „Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts“ und dem Lehrstuhl<br />
<strong>für</strong> Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Institut habe ich eine<br />
ideale Heimat und ein wunderbar anregendes Umfeld <strong>für</strong> mein Projekt<br />
gefunden. Bereits im Oktober 2008 haben wir hier eine Tagung zu „Erinnerungskultur<br />
in Deutschland und Europa“ veranstaltet, <strong>für</strong> Mai <strong>2010</strong> ist <strong>die</strong><br />
nächste Tagung zu „Kriegslegitimationen nach 1945“ geplant. Es ist eine klassische<br />
Win-win-Situation: Ich finde hier eine spannende Umgebung vor und<br />
bringe im Gegenzug meine Erfahrung ein, um am Institut thematisch neue<br />
Akzente zu setzen.<br />
Hat denn auch der wissenschaftliche Nachwuchs etwas davon?<br />
Die Lehre ist fester Bestandteil meiner Dilthey-Förderung und macht mir großen<br />
Spaß. Ich biete unter anderem Seminare zum Krieg im 20. Jahrhundert<br />
oder zur Soziologie des Krieges an. Spannend <strong>für</strong> beide Seiten ist, dass ich mit<br />
den Stu<strong>die</strong>renden Aspekte meiner laufenden Arbeit diskutieren kann. Das<br />
bringt mir sehr viel – es hilft, eigene Positionen zu überdenken. Aber auch <strong>die</strong><br />
Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> mit Quellen aus meiner unmittelbaren Forschung arbeiten<br />
können, haben etwas davon.<br />
Inwieweit binden Sie auch Doktorandinnen und Doktoranden ein?<br />
Promovenden darf ich zwar im Augenblick – als nicht Habilitierter – noch nicht<br />
betreuen. Aber auf informellem Weg kann ich sie trotzdem fördern und einbeziehen.<br />
Zum Beispiel, indem wir Magistranden und Doktoranden bei unseren<br />
Tagungen <strong>die</strong> Möglichkeit bieten, ihre Arbeiten zu präsentieren. Das hilft<br />
ihnen, <strong>die</strong> Scheu vor der anwesenden „Fachwelt“ zu verlieren, und stimmt sie<br />
schon mal auf eine eventuelle spätere Tätigkeit als <strong>Wissenschaft</strong>ler ein.
Was macht denn Ihnen am meisten Spaß an der Arbeit als <strong>Wissenschaft</strong>ler?<br />
Da gibt es vieles! Zum Beispiel <strong>die</strong> angeblich einsame Arbeit in den Archiven.<br />
Die ist gar nicht so einsam – man entdeckt sehr viel Neues und Überraschendes<br />
und tauscht sich mit anderen darüber aus. Schreiben ist <strong>die</strong> viel einsamere<br />
und härtere Arbeit. Die mir allerdings wiederum auch großen Spaß macht.<br />
Mein Traum wäre es, ein Buch zu schreiben, das sich mit der Frage „Warum<br />
töten Demokratien Zivilisten?“ beschäftigt und nicht nur von der Fachwelt,<br />
sondern auch von „normalen“ Menschen mit Interesse und Gewinn gelesen<br />
wird.<br />
Herr Süß, vielen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />
Geballte Kraft <strong>für</strong> <strong>die</strong> Geisteswissenschaften – auch im Jahr 2009<br />
Wie haben sich im imperialen Russland des 19.<br />
Jahrhunderts technische Neuerungen wie Eisenbahn<br />
und Telegrafie auf <strong>die</strong> Gesellschaft ausgewirkt?<br />
Welchen Einfluss hat es auf <strong>die</strong> öffentliche<br />
Darstellung der Demokratie, dass sich Politiker<br />
immer stärker in den Me<strong>die</strong>n inszenieren? Welche<br />
Rolle spielen Vaterbilder <strong>für</strong> <strong>die</strong> US-amerikanische<br />
politische Kultur? Und was verbirgt sich hinter<br />
neugermanischem Heidentum? – Vier spannende<br />
Themen, <strong>die</strong> ganz unterschiedliche Facetten innovativer<br />
geisteswissenschaftlicher Forschung widerspiegeln.<br />
Zugleich vier von zwölf Themen, <strong>die</strong> <strong>für</strong><br />
wissenschaftliche Vorhaben stehen, <strong>die</strong> seit dem<br />
Jahr 2009 neu von der Fritz Thyssen Stiftung und<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in ihrer gemeinsamen<br />
Initiative „Pro Geisteswissenschaften“ gefördert<br />
werden.<br />
Die Geisteswissenschaften mit Angeboten zu<br />
unterstützen, <strong>die</strong> ausdrücklich auf deren Bedürfnisse<br />
und Forschungspraxis zugeschnitten sind,<br />
ist Ziel der Initiative „Pro Geisteswissenschaften“.<br />
Sie umfasst zwei Komponenten: <strong>die</strong> Dilthey-Fellowships<br />
<strong>für</strong> den hoch qualifizierten wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs sowie <strong>die</strong> Förderung „Opus magnum“<br />
als Freistellungsangebot <strong>für</strong> Professorinnen und<br />
Professoren, <strong>die</strong> ein größeres wissenschaftliches<br />
Werk verfassen wollen. Für <strong>die</strong> im Jahr 2009 neu<br />
auf den Weg gebrachten sechs Dilthey-Fellowships<br />
und sechs „Opus magnum“-Förderungen<br />
wurden seitens der beiden Stiftungen insgesamt<br />
3,1 Millionen Euro vergeben.<br />
Die sechs neu geförderten Dilthey-Fellows befassen<br />
sich dabei mit Fragestellungen aus den Politik- und<br />
Geschichtswissenschaften, aus Philosophie und<br />
Technikgeschichte sowie aus den Literatur- und<br />
Kulturwissenschaften; je zwei von ihnen sind<br />
angesiedelt an <strong>Wissenschaft</strong>seinrichtungen in<br />
Berlin und München und je ein Dilthey-Fellow<br />
verfolgt sein Projekt an der Universität Bochum<br />
beziehungsweise Tübingen.<br />
Die ausgewählten „Opera-magna“-Vorhaben<br />
umfassen Themen aus den Geschichts- und<br />
So zialwissenschaften, aus <strong>Wissenschaft</strong>s- und<br />
Kirchengeschichte sowie der Ethnologie. Verankert<br />
sind zwei der unterstützten Forscherinnen<br />
und Forscher an der Humboldt-Universität zu<br />
Berlin, <strong>die</strong> vier anderen an den Universitäten in<br />
Erfurt und Erlangen-Nürnberg – sowie ebenfalls<br />
in Tübingen und Bochum. cj<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 63
Die Rückkehr der Folter<br />
Ist <strong>die</strong> Würde des Menschen noch unantastbar?<br />
Forscher in Konstanz und Münster, Düsseldorf und<br />
Gießen auf den Spuren von Wahrheit und Gewalt<br />
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in den deutschen Landen <strong>die</strong> Folter abgeschafft.<br />
Unter den Nazis kehrte sie zurück. Der erste Artikel des Grundgesetzes<br />
der Bundesrepublik bezeichnet <strong>die</strong> Menschenwürde als unantastbar.<br />
Mehr als fünf Jahrzehnte lang galt Folter als Tabu. Doch seit einigen Jahren<br />
wird <strong>die</strong> Würde des Menschen neu verhandelt. Die sogenannte Rettungsfolter<br />
gilt manchem als denkbar. Droht der Rückfall ins Mittelalter? Stehen<br />
wir vor einer neuen Form von Gewalt, <strong>die</strong> als zweckmäßig betrachtet wird?<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Auf <strong>die</strong>sen feierlichen Satz<br />
beruft sich der freie Westen gern, wenn er sich gegen <strong>die</strong> Diktaturen und<br />
Tyrannen <strong>die</strong>ser Welt stellt. Der Satz aus dem ersten Artikel des deutschen<br />
Grundgesetzes bestimmt das moralische und rechtliche Fundament unseres<br />
Verständnisses von Gemeinschaft und Staat. „Die Menschenwürde ist kein<br />
Gut, das man gegen andere aufrechnen kann“, sagt Professor Dr. Thomas<br />
Gutmann, Rechtsphilosoph an der Universität Münster. „Sie markiert eine<br />
normative Grenze, <strong>die</strong> man nicht überschreiten darf.“<br />
Formal gilt <strong>die</strong>ser Satz uneingeschränkt. Doch seit Jahren schwelt unter den<br />
Gelehrten eine Debatte, ob sich Würde gegen Würde aufrechnen lässt. Der<br />
Hintergrund ist handfest: Aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde folgte<br />
bisher, dass man Menschen nicht foltern darf – etwa, um ein Geständnis zu<br />
erzwingen; oder, um nützliche Informationen zu erhalten. „Nun gibt es vermehrt<br />
Stimmen, <strong>die</strong> Folter <strong>für</strong> einen ‚guten Zweck’ erlauben wollen“, beklagt<br />
Thomas Gutmann. „Das ist mit der sechzigjährigen Entwicklung des Rechtsbegriffs<br />
der Menschenwürde im Grundgesetz nicht vereinbar.“ Ein Satz, der<br />
steht wie eine Mauer.<br />
Gutmann und Forscherkollegen sind sich einig: Die Rückkehr der Folter ist<br />
ein heiß diskutiertes Thema, das dringend der wissenschaftlichen Analyse<br />
bedarf. Deshalb hat <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> zwei Vorhaben bewilligt, <strong>die</strong> sich<br />
<strong>die</strong>sem Feld nähern. Der Münsteraner Thomas Gutmann forscht gemeinsam<br />
mit Kollegen in Konstanz im Projekt „Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der<br />
Folter“, das mit 461.000 Euro gefördert wird. Ein zweites Forschungsprojekt<br />
ist an der Universität Düsseldorf angesiedelt; hier kooperieren <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
aus Gießen. Das Vorhaben „Die Wiederkehr der Folter? Interdisziplinäre<br />
Stu<strong>die</strong> über eine extreme Form von Gewalt, ihre mediale Darstellung und<br />
Gemeinsam auf den Spuren der Folter – <strong>die</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler aus Münster und Konstanz:<br />
Professor Thomas Weitin, Professor Peter<br />
Oestmann, Natalie Knapp, Sabine Blömacher,<br />
Gesine Brede, Alexander Kroll, Dr. Michael<br />
Neumann (nach links Blickende, von vorn);<br />
Professor Thomas Gutmann, Dr. Bernhard<br />
Jakl, Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Marco Bunge-<br />
Wiechers (nach rechts Blickende, von vorn).<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 65
66<br />
Die Renaissance der Folter in Zeiten des<br />
Terrors stimmt <strong>die</strong> Forscher nachdenklich.<br />
Professor Thomas Weitin von der Universität<br />
Konstanz (oben) und Professor Thomas Gutmann<br />
von der Uni versität Münster wollen<br />
herausfinden, warum <strong>die</strong> Akzeptanz von<br />
Gewalt an Einzelnen zum vermeintlichen<br />
Wohle Vieler immer weiter steigt, und werfen<br />
dabei mit ihren Kollegen einen Blick auf <strong>die</strong><br />
Geschichte der Folter in Deutschland.<br />
Ächtung“ wird mit 741.000 Euro unterstützt. In beiden Projekten – sie sind im<br />
Frühsommer 2009 gestartet – geht es um ein Schlüsselthema der Geisteswissenschaften,<br />
das in fachübergreifender Zusammenarbeit bearbeitet wird: in<br />
enger Vernetzung von Juristen, Me<strong>die</strong>n- und Kulturwissenschaftlern, Philo -<br />
sophen und Medizinern. Die Forscher beider Vorhaben tauschen sich dabei<br />
auch projektübergreifend aus.<br />
Das unausgesprochene Folterverbot galt bis Ende der 1990er Jahre. Zwei Jahre<br />
nach den Terroranschlägen in New York im September 2001 erschien ein<br />
Kommentar zum ersten Artikel des Grundgesetzes. Darin wurde <strong>die</strong> Auffassung<br />
vertreten, dass eine Verletzung der Menschenwürde nicht vorliege,<br />
wenn der Eingriff einem hochrangigen „Zweck“ <strong>die</strong>ne. Die Folterung einer<br />
Person wäre demnach also keine Würdeverletzung, gelangte man auf <strong>die</strong>se<br />
Weise an wertvolle Erkenntnisse. Informationen, mit denen man vielleicht<br />
das Leben von Tausenden retten könnte. Ähnlich gelagert ist <strong>die</strong> immer<br />
wieder aufflackernde Debatte über den gezielten Abschuss eines gekaperten<br />
Passagierflugzeuges, um dessen Einsatz als terroristische Waffe zu verhindern.<br />
Thomas Gutmann sagt: „Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt:<br />
Wir dürfen nicht einmal daran denken, <strong>die</strong> Maschine abzuschießen.<br />
Der Rechtsstaat nimmt hin, was nur durch <strong>die</strong> Entwürdigung Einzelner zu<br />
verhindern wäre.“<br />
Lässt sich <strong>die</strong> Würde zweier Menschen gegeneinander aufrechnen?<br />
Eigentlich wäre der Gelehrtenstreit damit erledigt. Doch <strong>die</strong> Folter kehrt derzeit<br />
vehement über <strong>die</strong> Nachrichtenkanäle, TV-Serien und Kinofilme in <strong>die</strong><br />
öffentliche Wahrnehmung zurück. So propagierte beispielsweise <strong>die</strong> populäre<br />
Serie „Twenty Four“ („24“) den Agenten Jack Bauer, der böse Terroristen foltert,<br />
um wertvolle Details zu erpressen. Und längst hat <strong>die</strong> Folter <strong>die</strong> fiktive Welt<br />
der Filme und Bücher (zum Beispiel „Uhrwerk Orange“) verlassen, tritt ganz<br />
real in <strong>die</strong> Welt: In Deutschland machte 2004 ein Gerichtsprozess Furore, in<br />
dem es um <strong>die</strong> Androhung von Folter durch einen Polizeibeamten ging. Um<br />
den entführten Jungen Jakob von Metzler zu befreien, drohte der hochrangige<br />
Polizist Wolfgang Daschner dem geständigen Entführer Magnus Gäfgen an,<br />
ihn gewaltsam zur Preisgabe des Aufenthaltsortes seines Opfers zu zwingen.<br />
Daschner nahm an, dass der Junge noch lebte, er wollte das Kind retten. Gäfgen<br />
gab den Ort preis, wohl wissend, dass er den Jungen bereits erwürgt hatte.<br />
Daschner, seinerzeit stellvertretender Polizeipräsident von Frankfurt am Main,<br />
fertigte eine Aktennotiz an, <strong>die</strong> letztlich zum Prozess führte – Nötigung im<br />
Amt, so der Vorwurf gegen ihn. Dieser Fall eröffnete eine erregte Debatte um<br />
<strong>die</strong> Rettungsfolter. „Kann man <strong>die</strong> Würde des Kindes gegen <strong>die</strong> Würde des<br />
Entführers aufwiegen?“, fragt auch Professor Dr. Karsten Altenhain, Strafund<br />
Me<strong>die</strong>nrechtler an der Universität Düsseldorf und Projektleiter des<br />
anderen von der Stiftung geförderten Vorhabens, das sich mit der Wiederkehr<br />
der Folter beschäftigt.
War das Abendland bislang stolz darauf, <strong>die</strong> Folter abgeschafft zu haben,<br />
kehrt <strong>die</strong>se zunehmend über den sogenannten Krieg gegen den Terror<br />
zurück. Die Bilder, <strong>die</strong> 2004 aus dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib<br />
um <strong>die</strong> Welt gingen, rückten <strong>die</strong>se verstörende Tatsache ins Licht: Zur Ver -<br />
teidigung der Demokratie galt in den USA <strong>die</strong> Folter von Inhaftierten durch<br />
amerikanisches Wachpersonal als legitim. Dabei nahmen sich <strong>die</strong> GIs ähn -<br />
liche Gewaltakte aus den Me<strong>die</strong>n zum Vorbild. Auch im US-amerikanischen<br />
Stützpunkt von Guantanamo wurden „Islamisten“ ohne Gerichtsverfahren<br />
über Jahre inhaftiert und gefoltert. Dazu hatte <strong>die</strong> Regierung in Washington<br />
alle Regeln eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens außer Kraft gesetzt.<br />
Als der neue US-Präsident Barack Obama Anfang des Jahres 2009 den Chefsessel<br />
im Weißen Haus übernahm, untersagte er zwar <strong>die</strong> Folterpraxis in<br />
Guantanamo. Eine juristische Untersuchung ordnete er bisher jedoch nicht<br />
an. Ist das ein Zeichen da<strong>für</strong>, dass der alte Konsens, der <strong>die</strong> Folter verbot,<br />
schon ero<strong>die</strong>rt ist? Genau darin sieht Thomas Gutmann ein wichtiges Forschungsfeld:<br />
„In der Kooperation mit Sozialwissenschaftlern gehen wir der<br />
Frage nach: Mit welchen theoretischen Mitteln kann man erklären, warum<br />
der Konsens in der Folterfrage wegbricht? Warum ändern sich normative<br />
Überzeugungen und verbreiten sich weltweit?“ Er mutmaßt: „Das hat etwas<br />
mit der prägenden Macht der Leitmotive globaler Weltpolitik zu tun. Die<br />
Amerikaner haben <strong>die</strong> Folter als politisches Dispositiv normalisiert. Auch<br />
wir in Deutschland stellen unsere Erzählung vom Recht von ‚Freiheit‘ auf<br />
‚Sicherheit‘ um.“<br />
Gutmanns Projektkollege, der Konstanzer Literaturwissenschaftler Professor<br />
Dr. Thomas Weitin, untersucht, unter welchen Umständen <strong>die</strong> Folter in<br />
Deutschland abgeschafft wurde. Bis ins 19. Jahrhundert zielte <strong>die</strong> Beweisord-<br />
Das Projektteam aus Münster und Konstanz<br />
vor einer Szene aus der US-Fernsehserie „24“,<br />
in der Antiterroragent Jack Bauer gezielt<br />
Foltermaßnahmen zur Informationsbeschaffung<br />
einsetzt. Im Vordergrund <strong>die</strong> drei ko -<br />
operierenden Professoren: Rechtsphilosoph<br />
Professor Dr. Thomas Gutmann (links), Rechtshistoriker<br />
Professor Dr. Peter Oestmann (Mitte)<br />
– beide von der Universität Münster – und<br />
der Literaturwissenschaftler Professor Dr.<br />
Thomas Weitin von der Universität Konstanz.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 67
68<br />
nung der Gerichte in erster Linie auf ein Geständnis, das unter Umständen<br />
auch mit physischer Gewalt erzwungen werden konnte. „Die Abschaffung<br />
der Folter gründete dann auf der Erkenntnis, dass unter Gewalt erzwungene<br />
Geständnisse kaum verwertbar waren“, analysiert er. „Folter war ineffizient,<br />
denn <strong>die</strong> Wahrheit ließ sich auf <strong>die</strong>se Weise kaum ermitteln.“ Dennoch dauerte<br />
es fast hundert Jahre, bis sie in allen deutschen Staaten abgeschafft war.<br />
Während der Rechtshistoriker Professor Dr. Peter Oestmann aus Münster als<br />
dritter Kooperationspartner mit seinem Team Gerichtsakten aus der Übergangszeit<br />
auswertet, untersuchen Weitin und seine Mitarbeiter <strong>die</strong> Wirkung<br />
der Folter in der Literatur. Als sich Preußen endlich entschloss, <strong>die</strong> Folter<br />
abzuschaffen, wurde <strong>die</strong>ses Verdikt zunächst geheim gehalten. Man wollte<br />
das Abschreckungspotenzial der Gewaltdrohung nicht aufgeben. „Die Folter<br />
wandelte sich von physischer zu verbaler Gewalt“, urteilt Weitin. Die Literatur<br />
<strong>die</strong>ser Epoche, fügt er hinzu, habe in dem Umwandlungsprozess eine zentrale<br />
Rolle gespielt. Dem Philosophen Immanuel Kant etwa war es vorbehalten, <strong>die</strong><br />
„Tortura spiritualis“ (Geistesfolter) an <strong>die</strong> Stelle der schmerzhaften Folterwerkzeuge<br />
zu setzen. Weitin spürt zugleich den historischen Konsequenzen<br />
der Kant’schen Definition von „Menschenwürde“ nach. Bei Kant spielt <strong>die</strong>ser<br />
Begriff eine zentrale Rolle, als moralischer und als Rechtsbegriff. Er prägte <strong>die</strong><br />
Epoche der Aufklärung, auf <strong>die</strong> sich der moderne Verfassungsstaat inklusive<br />
seinem Folterverbot gründete.<br />
„Wir waren immer so stolz darauf, <strong>die</strong> Folter abgeschafft zu haben“, erläutert<br />
Karsten Altenhain von der Universität Düsseldorf. „Aber ist sie wirklich verschwunden?“<br />
Gefoltert wurde bis in <strong>die</strong> jüngste Geschichte: in den deutschen<br />
Kolonien, unter den Nazis. Die Amerikaner folterten in Vietnam und im Irak,<br />
<strong>die</strong> Franzosen im Algerienkrieg, <strong>die</strong> Briten im Konflikt um Nordirland. Altenhain<br />
moniert: „Beispielsweise ist <strong>die</strong> Folter im deutschen Strafrecht als Tatbestand<br />
überhaupt nicht enthalten. Das Strafrecht kennt <strong>die</strong> Körperverletzung<br />
und <strong>die</strong> Erpressung einer Aussage, aber Folter wird weder erwähnt noch defi-<br />
Die Wiederkehr der Folter? Im zweiten von der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
geförderten Projekt zum Thema arbeiten Forscher aus Düsseldorf<br />
und Gießen zusammen: Professor Dr. Reinhold Görling<br />
(links) von der Universität der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt<br />
und sein Kooperationspartner Professor Dr. Johannes<br />
Kruse treffen sich hier gerade im Museum Insel Hombroich vor<br />
Werken des französischen Künstlers Jean Fautrier, der sich in<br />
seiner Arbeit vielfach mit dem Thema Folter auseinandersetzt.
niert.“ Dabei gibt es einige Vorbilder: <strong>die</strong> Antifolterkonvention der Vereinten<br />
Nationen etwa oder <strong>die</strong> Menschenrechtskonvention des Europarates.<br />
Es gebe also erheblichen Definitionsbedarf, fährt Altenhain fort, denn: „Den<br />
Juristen in den Behörden und Gerichten fehlt oft <strong>die</strong> Vorstellung davon, was<br />
Folter bewirkt und welche dauerhaften traumatischen Folgen sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Opfer<br />
hat.“ Altenhain wiederum kooperiert mit Professor Dr. Johannes Kruse, Chef<br />
der Klinik <strong>für</strong> Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Gießen.<br />
Er schätzt, dass in Deutschland rund eine Million Flüchtlinge leben, davon<br />
rund 100.000 Folteropfer. „Etwa dreißig bis vierzig Prozent der Asylsuchenden<br />
wurden in ihren Herkunftsländern gefoltert“, ergänzt er und fragt: „Ist<br />
das ein Abschiebehindernis?“ Kruse ist als Gutachter in Gerichtsverfahren<br />
tätig, wenn es um das Aufenthaltsrecht <strong>für</strong> Verfolgte geht, <strong>die</strong> in ihrer Heimat<br />
gefoltert wurden. „Entscheidend ist, wie <strong>die</strong> Gesellschaft damit umgeht“,<br />
erläutert er. „Wenn man <strong>die</strong> Traumatisierung durch Folter oder andere schwere<br />
Erlebnisse ignoriert oder den Opfern unterstellt, selbst schuld zu sein oder<br />
gar zu simulieren, kann <strong>die</strong> Traumatisierung chronisch werden.“ Im Rahmen<br />
des Forschungsprojekts untersucht das Gießener Team zahlreiche Gutachten<br />
und deren Interpretation durch <strong>die</strong> Gerichte. „Wir werden <strong>für</strong> <strong>die</strong> Richter spezielle<br />
Veranstaltungen zur Fortbildung anbieten und <strong>die</strong> Ergebnisse unserer<br />
Forschungen publizieren“, stellt der Mediziner in Aussicht. Zunächst wird<br />
sein Team <strong>die</strong> verfügbare Literatur zur empirischen Erforschung der Traumatisierung<br />
durch Folter sammeln und auswerten.<br />
Folterszenen als „Konsumgut“?<br />
Der Folter geht <strong>die</strong> Entwürdigung des Opfers voraus, sie ist der zentrale psychologische<br />
Hebel, um Folter überhaupt zu ermöglichen. Pauschal als gesichtslose,<br />
anonyme „Terroristen“ oder „Islamisten“ abgeurteilt, nicht selten vermummt<br />
dargestellt (wie in Guantanamo), werden <strong>die</strong> Folteropfer jeglichen<br />
menschlichen Mitgefühls durch <strong>die</strong> Täter beraubt. Auch den Fernsehzuschauern<br />
wird es dadurch leicht gemacht, wegzusehen. „Das funktioniert gleichermaßen<br />
beim Antiterroragenten Jack Bauer, dem positiv kolorierten Helden<br />
der Fernsehserie ‚24‘“, berichtet Professor Dr. Reinhold Görling, Me<strong>die</strong>nwissenschaftler<br />
in Düsseldorf und dritter Kooperationspartner im Vorhaben<br />
„Die Wiederkehr der Folter“. Er erforscht, welche filmischen Strategien zum<br />
Einsatz kommen, um <strong>die</strong> Folter zu legitimieren. „Der Zuschauer erhält keine<br />
Gelegenheit, Empathie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Opfer zu entwickeln“, hat der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
beobachtet. Als dramaturgischer Hintergrund <strong>die</strong>ne meist ein enormes<br />
Bedrohungsszenario – beispielsweise Biowaffen in den Händen von Terroristen<br />
oder eine versteckte Atombombe mit Zeitzünder. Jack Bauers verstockte<br />
Gegenspieler haben das Wissen, <strong>die</strong> Katastrophe zu verhindern. „Nur dadurch<br />
lässt sich <strong>die</strong> Legitimation aufbauen, dass der gute Jack foltern darf“, analysiert<br />
Görling. „Das klappt immer. Letztlich bekommt er <strong>die</strong> Informationen, <strong>die</strong><br />
er braucht.“ Zur Erinnerung: Die Folter wurde im Zuge der Aufklärung abge-<br />
Angesichts von „Waterboarding“ in Guantanamo<br />
und der Misshandlung von Gefangenen<br />
in Abu Ghraib scheint <strong>die</strong> Folterdebatte<br />
in erster Linie eine amerikanische zu sein.<br />
Aber auch in Deutschland steht Folter durchaus<br />
auf der Tagesordnung, wie <strong>die</strong> Diskussion<br />
um den Fall des entführten Jakob von Metzler<br />
zeigte: Ein hochrangiger Polizist drohte dem<br />
geständigen Magnus Gäfgen Gewalt an, um<br />
den Aufenthaltsort des entführten Jungen<br />
zu erfahren (Bild oben: Antifolterplakat bei<br />
Metzler-Prozess 2004; unten: Konferenz „Folter<br />
und Zukunft“ im Juni 2009 in Düsseldorf).<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 69
70<br />
schafft, weil man sich von ihrer Nutzlosigkeit überzeugt hatte. Möglichst<br />
schnell an verwertbare Informationen zu gelangen, wird nun als Argument<br />
benutzt, um sie wieder einzuführen. Thomas Weitin aus Konstanz spricht<br />
von der „Ökonomie der Folter“.<br />
Statistiken aus den USA belegen, dass <strong>die</strong> Folter in den Me<strong>die</strong>n seit Mitte<br />
der 1990er Jahre stark zugenommen hat. „Früher waren einzelne Szenen in<br />
Horrorfilmen zu sehen“, urteilt Görling. „Heute laufen sie zur Primetime im<br />
Fernsehen.“ Die Serie „24“ sei nur eines von vielen Beispielen. „Welche Ängste<br />
werden hier aufgegriffen?“, fragt der Forscher nun. „Und wie verbinden <strong>die</strong>se<br />
sich mit den Argumenten, anhand derer Regierungen heute versuchen, <strong>die</strong><br />
Einschränkung unserer Grundrechte zu rechtfertigen?“<br />
„Würde“ ist nicht „Dignitas“… – über das Verständnis des Würdebegriffs<br />
Würde – dignité – godnosc éé – dignity. Vier Begriffe,<br />
<strong>die</strong> gleich übersetzt werden; doch tragen sie auch<br />
den gleichen Inhalt? Lassen sich Begriffe tatsächlich<br />
wortwörtlich in eine andere Sprache übertragen?<br />
– Das von der Stiftung in ihrer Initiative „Deutsch<br />
plus“ geförderte Projekt „Würde ist nicht Dignitas“<br />
widmet sich dem Einfluss von Kultur, Geschichte<br />
und Sprache auf den Würdebegriff.<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Erneut<br />
lohnt der Blick auf Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes.<br />
Die<br />
„Menschenwürde“<br />
wird damit zu<br />
einem Schlüsselbegriff<br />
der Ver -<br />
fassung und<br />
zu gleich des<br />
gesamten poli -<br />
tischen und<br />
gesellschaftlichen<br />
Lebens – zumindest<br />
in Deutschland.<br />
Seien es Diskussionen<br />
um Sterbehilfe, Embryonenschutz oder<br />
Folterverbot: Immer wieder spielt der Begriff der<br />
„Würde“ eine zentrale Rolle. Und auch <strong>für</strong> so unterschiedliche<br />
wissenschaftliche Disziplinen wie<br />
Philosophie, Theologie, Rechtswissenschaften,<br />
Biologie, Medizin und Ethik ist er von hoher Relevanz.<br />
Doch lässt sich „Würde“ überhaupt klar umreißen?<br />
Und wenn <strong>die</strong>s schon <strong>für</strong> eine (Sprach-) Kultur<br />
schwer zu beantworten ist: Was verbirgt sich dann<br />
hinter dem Begriff in verschiedenen Sprachen<br />
und zu unterschiedlichen Zeiten? Schließlich war<br />
es zum Beispiel im viktorianischen Zeitalter verpönt,<br />
nackte Haut zu zeigen. Davon kann heute<br />
keine Rede mehr<br />
sein. Und auch <strong>die</strong><br />
Frage, ob man <strong>die</strong><br />
Würde einer Person<br />
gegen <strong>die</strong>se<br />
selbst vertei digen<br />
kann oder sogar<br />
muss, weil sich<br />
jemand freiwillig<br />
erniedrigt, wird<br />
keineswegs überall<br />
auf der Welt<br />
gleich beantwortet.<br />
Dies zeigt sich beispiels weise bei einem „Phänomen“<br />
wie dem „Zwergenwerfen“ – einem Wettbewerb,<br />
bei dem kleinwüchsige Menschen auf<br />
gepolsterte Matten geschleudert werden.
Ein Ergebnis soll sein, hilfreiche Kriterien zur Bewertung von Filmen zu entwickeln.<br />
Denn immer mehr Jugendliche konsumieren <strong>die</strong> Folterszenen. „Auch<br />
im Jugendschutz ist <strong>die</strong> Folter nicht verankert“, sagt Görling. Vielen Zuschauern<br />
sei nicht bewusst, wie schleichend <strong>die</strong> Folter wiederkehrt. Görling spricht<br />
von „der Kärrnerarbeit, sich <strong>die</strong>ses Zeugs anzusehen“. Das lasse einen nicht<br />
unbelastet. Er wertet auch <strong>die</strong> Filmgutachten beispielsweise der Freiwilligen<br />
Selbstkontrolle aus. Evan Katz, Mitautor von „24“, hat den Erfolg der Serie einmal<br />
so begründet: „Angst verkauft sich gut“. Und <strong>die</strong> Folter im Gepäck gleich<br />
mit? Reinhold Görling fragt: „Sind <strong>die</strong> filmischen Strategien so gestaltet, dass<br />
man das schon unbemerkt schluckt? Das wäre mehr als bedenklich!“<br />
Heiko Schwarzburger<br />
Dass es sich lohnt, den Bedeutungsreichtum des<br />
Konzepts „Würde“ genauer zu erforschen, davon sind<br />
Professor Dr. mult. Nikolaus Knoepffler und Professor<br />
Dr. Peter Kunzmann vom Lehrstuhl <strong>für</strong> Angewandte<br />
Ethik der Friedrich-Schiller-Universität Jena überzeugt:<br />
„Ein Deutscher versteht unter Würde nicht unbedingt<br />
das Gleiche wie ein Franzose unter dignité, ein Pole<br />
unter godnosc éé oder ein Anglophoner unter dignity“,<br />
erklärt Kunzmann. Sowohl <strong>die</strong> jeweilige Kultur als<br />
auch Geschichte haben einen immensen Einfluss auf<br />
<strong>die</strong> Sprache – so lautet eine grundlegende These der<br />
beiden Philosophieprofessoren, <strong>die</strong> sie zum Projekt<br />
„Würde ist nicht Dignitas“ inspiriert hat. Das Vorhaben<br />
wird von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> in ihrer Initia -<br />
ti ve „Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong> ist mehrsprachig“<br />
gefördert, denn solche sprachlichen und kulturellen<br />
Prägungen haben offenkundig auch Einfluss auf den<br />
wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Würde.<br />
Kunzmann und Knoepffler gehen in ihrer Forschung<br />
davon aus, dass dem Ausdruck „Würde“ gerade in<br />
der deutschen Sprache eine besondere Bedeutung<br />
zu kommt. Die Erfahrungen Deutschlands während<br />
des Nationalsozialismus haben unter anderem dazu<br />
geführt, dass <strong>die</strong> „Würde“ im Grundgesetz – im Vergleich<br />
zum Status quo ante und anderen Nationen –<br />
deutlich aufgewertet wurde. Hat Deutschland hiermit<br />
einen Sonder weg im internationalen Vergleich<br />
Als blickten sie in eine düstere Zukunft: Der<br />
Me<strong>die</strong>nwissenschaftler Professor Reinhold<br />
Görling von der Universität Düsseldorf (links)<br />
erforscht filmische Strategien, <strong>die</strong> wie in der<br />
US-Fernsehserie „24“ benutzt werden, um<br />
Folter zu legitimieren. Professor Johannes<br />
Kruse ist Chef der Klinik <strong>für</strong> Psychosomatik<br />
und Psychotherapie an der Universität Gießen.<br />
Er nutzt seine Erfahrung als Gutachter<br />
in Gerichtsverfahren und wertet Daten zur<br />
Traumatisierung von Folteropfern aus.<br />
eingeschlagen? Wie lassen sich etwaige Besonderheiten<br />
in einen gesamteuropäischen oder gar globalen<br />
Kontext integrieren?<br />
Diese Fragen möchten sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern<br />
beantworten, indem sie mehrere sprach -<br />
liche und fachwissenschaftliche Traditionen miteinander<br />
vergleichen. So geht Doktorandin Christine<br />
Baumbach den Spuren des Begriffs im französischund<br />
im deutschsprachigen Raum nach, Habilitand<br />
Martin O’Malley nimmt <strong>die</strong> USA näher in den Blick.<br />
Dabei sind länder- und diszip li nenübergreifende<br />
Vernetzung und Austausch das A und O.<br />
Eine erste internationale Konferenz mit Rechts- und<br />
Sprachwissenschaftlern, Philosophen und Soziologen<br />
liegt schon erfolgreich hinter den <strong>Wissenschaft</strong>lern,<br />
eine weitere steht <strong>2010</strong> auf dem Plan. Das Team<br />
schaut erwartungsfroh in <strong>die</strong> Zukunft: „Schließlich<br />
wird sich ein ganzes Panorama von zum Teil verblüffenden<br />
Traditionslinien und Querverbindungen zeigen“,<br />
erwartet Kunzmann. Eine besondere Rolle komme<br />
dabei dem „Weg der Würde“ ins Grundgesetz zu;<br />
„quasi ein Prisma, in dem sich viele Linien bündeln“.<br />
Claudia Gerhardt<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 71
Ein Jahr im Forscherpara<strong>die</strong>s<br />
Die „Harvard-Fellowships“ ermöglichen exzellenten<br />
Geisteswissenschaftlern einen unvergesslichen<br />
Aufenthalt an der US-Elite-Universität.<br />
Warum heißt der Server Server? Und: Was hat er mit Be<strong>die</strong>nsteten vergange -<br />
ner Zeiten gemeinsam? An <strong>die</strong>sen Fragen entzündete sich das Forschungsinteresse<br />
von Markus Krajewski. Der Juniorprofessor an der Bauhaus-Universität<br />
Weimar verfasst derzeit seine Habilitation zur Geschichte des Dienens. Seine<br />
Arbeitsbedingungen waren im vergangenen Jahr hervorragend: 2008 gehörte<br />
er zu den ersten Postdoktoranden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> ge meinsam<br />
mit dem Humanities Center der Harvard University als Fellows auswählte.<br />
Eine Zeit lang an der Harvard University in den USA wissenschaftlich arbeiten<br />
können? Das wünschen sich sicherlich viele Forscherinnen und Forscher. Für<br />
ausgewählte junge Geisteswissenschaftler wird <strong>die</strong>ser Traum seit dem Jahr<br />
2008 wahr. Die hervorragendsten Köpfe unter ihnen, <strong>die</strong> sich mit zukunftsweisenden<br />
Projekten – insbesondere an der Nahtstelle zu anderen Disziplinen<br />
– befassen, erhalten als „Harvard-Fellows“ <strong>die</strong> Gelegenheit, das einzigartige<br />
Angebot an Bibliotheken, Archiven und Kommunikationsmöglichkeiten vor<br />
Ort zu nutzen. Darüber hinaus hält das reichhaltige Veranstaltungsprogramm<br />
vielfältige <strong>Impulse</strong> bereit <strong>für</strong> zweifelsohne jeden Nachwuchsforscher. Ein<br />
Gesamtpaket, das weltweit einzigartig sein dürfte.<br />
Markus Krajewski, den in seiner bisherigen wissenschaftlichen und publi -<br />
zistischen Laufbahn <strong>die</strong> kulturwissenschaftliche Perspektive der Informatik<br />
beschäftigt, bot sich als geradezu idealer Fellow <strong>für</strong> Harvard an. Tatsächlich<br />
hat er dort zahlreiche wichtige Kontakte knüpfen und von einem Workshop<br />
zu seinem Forschungsgebiet profitieren können. Im Gespräch mit <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistin<br />
Elke Kimmel schildert er seine Erwartungen an den USA-<br />
Aufenthalt ebenso wie seine Erfahrungen in Harvard.<br />
Herr Krajewski, können Sie mir mit wenigen Worten Ihre bisherige Karriere<br />
schildern?<br />
Ich bin Kulturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Me<strong>die</strong>ngeschichte.<br />
Geforscht habe ich unter anderem zur Geschichte des Zettelkastens oder der<br />
Projektemacherei. Aber ich war auch als <strong>Wissenschaft</strong>sautor und Softwareentwickler<br />
tätig, bevor ich an der Bauhaus-Universität Weimar zu arbeiten<br />
begonnen habe.<br />
Er war einer der Ersten: Ein Jahr lang konnte<br />
Harvard-Fellow Dr. Markus Krajewski von der<br />
Bauhaus-Universität Weimar an der renommierten<br />
Harvard University in den USA wissenschaftlich<br />
arbeiten und <strong>die</strong> vielleicht beste<br />
Bibliothek der Welt <strong>für</strong> seine Forschung nutzen.<br />
In US-Bildungseinrichtungen wie <strong>die</strong>ser<br />
wird großer Wert auf eine angenehme Arbeits -<br />
atmosphäre gelegt: In solch ehr würdigem<br />
Ambiente wie hier im Aufenthaltsraum des<br />
Humanities Center der Harvard University<br />
tauscht man sich gern aus, und schnell knüpfen<br />
sich neue Forschungskontakte.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 73
74<br />
Wie kamen Sie auf <strong>die</strong> Idee, <strong>die</strong> Geschichte des Dienens zu erforschen?<br />
Ausgangspunkt war <strong>die</strong> Beobachtung, dass im Zentrum der gesamten Kommunikation<br />
im Internet Agenturen stehen, <strong>die</strong> als „Server“ bezeichnet werden.<br />
Ich habe mich gefragt: Was steckt dahinter? Denn der Begriff meint ja<br />
den Kellner, wie man ihn aus dem Restaurant kennt, aber auch den Mess<strong>die</strong>ner<br />
– und in einer alten Verwendung steckt eben ganz allgemein der Diener<br />
dahinter. Was bedeutet es, wenn <strong>die</strong>se Metapher in elektronischen Kommunikationszusammenhängen<br />
auftaucht? Ausgehend von <strong>die</strong>ser Fragestellung<br />
erzähle ich eine Geschichte des Dieners vom Barock bis heute. Interessant<br />
sind vor allem <strong>die</strong> Transformationen: Der Kammer<strong>die</strong>ner der spätabsolutis -<br />
tischen Fürstenhöfe funktioniert natürlich anders, aber in bestimmter Weise<br />
doch strukturähnlich zu den elektronischen Agenten – Servern –, mit denen<br />
wir E-Mails verschicken, Dateien oder Informationen im Web abrufen. So<br />
lassen sich beide etwa als wohlinformierte Suchmaschinen im Sinne eines<br />
universalen Informationsbeschaffers beschreiben, der zudem den Zugang<br />
zum Wissen kontrolliert.<br />
Was hat Sie bewogen, sich bei der <strong>VolkswagenStiftung</strong> um eines der begehrten<br />
„Harvard-Fellowships“ zu bewerben?<br />
Ein Motiv war, dass ich eine Zeit lang aus dem üblichen Universitätsbetrieb<br />
heraus wollte, in dem ich kaum zum Schreiben kam. Außerdem baute ich<br />
auf ein Versprechen, das mit der Institution Harvard verbunden ist: mit der<br />
besten Bibliothek weltweit arbeiten zu können – und das hat sich durchaus<br />
bewahrheitet. Ich bin im vergangenen Jahr ein gutes Stück vorangekommen.<br />
Haben sich Ihre Erwartungen an den Harvard-Aufenthalt erfüllt?<br />
Unbedingt. Auf der einen Seite ist hier das akademische Para<strong>die</strong>s, man kann<br />
das gar nicht anders nennen. Ich habe den Eindruck, dass hier nahezu jedes<br />
Buch, das irgendwann gedruckt wurde, vorhanden ist – und sollte eines nicht<br />
da sein, kümmert sich eine ganze Armee von freundlichen Bibliothekaren<br />
darum, es schnellstmöglich zu besorgen. Ich kannte <strong>die</strong> Bibliothek bereits von<br />
einem früheren, kurzen Forschungsaufenthalt – aber es ist natürlich etwas<br />
anderes, wenn man das hier über ein Jahr lang intensiv genießen kann.<br />
Können Sie mir Ihre weiteren Eindrücke beschreiben?<br />
Ich habe ja am Humanities Center gearbeitet, das als Veranstaltungszentrum<br />
den gesamten Bereich der Geisteswissenschaften abdeckt. Das schafft auf<br />
kompakte Weise in kurzer Zeit – zwei-, dreimal <strong>die</strong> Woche – Zugang zu einer<br />
Vielzahl an Themen und interessanten Persönlichkeiten. Auf <strong>die</strong>se Weise
erhielt ich jede Menge Anregungen und Inspiration. Zudem hatte ich <strong>die</strong><br />
Aufgabe, eine Lehrveranstaltung zu übernehmen. Ich entschloss mich dazu,<br />
an das wissenschaftsgeschichtliche Department zu gehen, passend zu<br />
meiner bisherigen universitären Laufbahn.<br />
Zu welchen Inhalten haben Sie gelehrt?<br />
Das Seminar habe ich zu einem eher allgemeinen, <strong>für</strong> Undergraduates geeigneten<br />
Thema „Subjectivity and Agencies in Virtual Worlds“ abgehalten – ein<br />
Parforceritt durch <strong>die</strong> Philosophiegeschichte von Descartes bis zu Foucault<br />
und weiteren Theoretikern des 20. Jahrhunderts, <strong>die</strong> sich mit Subjektkonstitutionen<br />
beschäftigt haben. Ziel war es, <strong>die</strong>se Ansätze gemeinsam mit den<br />
Stu<strong>die</strong>renden auf das Internet zu beziehen – also etwa Machtstrukturen in<br />
Facebook zu untersuchen. Das war entkoppelt von meinem Forschungsprojekt,<br />
aber im Austausch mit den anderen Fellows, Kollegen und <strong>Wissenschaft</strong>lern<br />
innerhalb des großen Bereichs „Arts and Sciences“ haben sich eine Menge<br />
Gespräche ergeben. Das ist ein großer Vorzug des amerikanischen Systems:<br />
Die Wege sind kurz, <strong>die</strong> Türen in den allermeisten Fällen weit geöffnet, es ist<br />
überhaupt kein Problem, auch mit berühmten Kollegen in Kontakt zu kommen.<br />
Es gibt sehr viele Gelegenheiten <strong>für</strong> informelle Diskussionen beim<br />
Kaffee oder Mittagessen.<br />
Inwieweit hat der Harvard-Aufenthalt Ihr Projekt beeinflusst?<br />
Im Grunde hat sich <strong>die</strong> Konzeption meiner Forschungsarbeit hier bestätigt –<br />
zum Glück. Aber in der täglichen Kleinarbeit der Forschung summieren sich<br />
natürlich <strong>die</strong> unterschiedlichen Eindrücke, so dass ich bei der Ausarbeitung<br />
einige neue Wege entdeckt habe. So ist mir beispielsweise klar geworden,<br />
dass ein Kapitel zum sogenannten Stummen Diener, also dem Garderobenständer<br />
oder Beistelltisch, unverzichtbar <strong>für</strong> das Buch ist. Und in Thomas Jefferson,<br />
dem dritten Präsidenten der USA, habe ich ein Paradebeispiel <strong>für</strong> den<br />
Intensivgebrauch „Stummer Diener“ entdeckt. In welchem Maße <strong>die</strong>se Einsicht<br />
jetzt von Gesprächen oder Lektüren abhängt, lässt sich im Nachhinein<br />
eher schwer bestimmen. Aber allein, dass man <strong>die</strong> Möglichkeit hat, so viel<br />
Zeit auf <strong>die</strong> Lektüre und den Austausch mit aufmerksamen Gesprächspartnern<br />
zu verwenden, formatiert und rekonfiguriert das Forschungsprojekt im<br />
hohen Maße. Wichtig ist dabei auch <strong>die</strong> Diskussionskultur in den USA, <strong>die</strong><br />
anders funktioniert als in Deutschland.<br />
Woran machen Sie das fest?<br />
Wenn Sie beispielsweise den Vortrag eines Kollegen besuchen, den Sie zwar<br />
interessant, an einigen Stellen jedoch verbesserungswürdig finden – kurz: ein<br />
Die Geschichte des Dieners vom Barock bis<br />
heute: Bei seinen Recherchen stieß Dr. Markus<br />
Krajewski auf große Parallelen zwischen den<br />
Kammer<strong>die</strong>nern früherer Zeiten und den<br />
„Servern“, den elektronischen Dienern von<br />
heute (Bild unten: Gemäl de von Hubert Ro -<br />
bert „Un domestique fait la lecture a Madame<br />
Geoffrin“ – Madame Geoffrin lässt sich von<br />
einem Diener vorlesen, um 1772; Bild oben:<br />
„The Butler’s in Love“, Ölgemälde des ame -<br />
rikanischen Künstlers Mark Stock aus dem<br />
Jahr 1991, www.theworldofmarkstock.com).<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 75
76<br />
Das Humanities Center der Harvard Univer -<br />
sity ist ein international hoch angesehenes<br />
Zentrum <strong>für</strong> geisteswissenschaftliche Forschung<br />
und Veranstaltungen. Dr. Markus<br />
Krajewski nutzte das umfangreiche Vorlesungs-,<br />
Workshop- und Seminarangebot und<br />
knüpfte zahlreiche Kontakte: Dank der offenen<br />
amerikanischen Universitätskultur blieben<br />
ihm selbst <strong>die</strong> Türen der berühmtesten<br />
Forscherpersönlichkeiten nicht verschlossen.<br />
Vortrag, der Sie nicht grenzenlos überzeugt; wenn Sie so etwas in Deutschland<br />
erleben, dann wird je nach Personenkonstellation eine sehr deutliche Kritik<br />
geäußert. Der Vortragende wird unter Umständen hart angegangen. In den<br />
USA ist das nahezu undenkbar; hier äußert sich Kritik in sehr feinen Nuancen.<br />
Was also „I was struck by …“ heißt oder „Such a great talk, but …“, das sind<br />
alles Standardfloskeln, denen aber letztlich das gleiche Spektrum an Kritik<br />
von „grandios“ bis „dürftig“ unterliegt. Für jemanden, der hier neu ankommt,<br />
ist das zunächst irritierend, weil es sich nach undifferenziertem Lob anhört.<br />
Die Form, in der kritisiert wird, ist eine völlig andere. Auch wenn Zuhörer einzelne<br />
Thesen oder den Ansatz ablehnen, würden sie <strong>die</strong>se nie mit eindeutig<br />
negativen Wertungen verknüpfen – das machen nur „rüde Europäer“.<br />
Welche Vorteile hat <strong>die</strong>se Diskussionskultur?<br />
Lassen Sie mich zunächst den Nachteil benennen. Es passiert, dass <strong>die</strong>se<br />
Nuancen überhört werden und ein solches Feedback nichts bewirkt. Das ist<br />
eine Gefahr. Der Vorteil ist, dass eine Wohlfühl-Atmosphäre hergestellt wird,<br />
<strong>die</strong> durchaus förderlich sein kann. Denn natürlich ist ein höflicher Umgang<br />
miteinander sehr angenehm. Als temporärer Besucher kann ich aber nicht<br />
einschätzen, welche langfristigen Effekte <strong>die</strong>ses Phänomen hat. Die Trag -<br />
weite kann da ja auch sehr unterschiedlich sein – je nachdem, ob man einen<br />
Vortrag unter Kollegen hält oder ob man stärker an <strong>die</strong> Öffentlichkeit geht.<br />
Sicher wird <strong>die</strong> Zurückhaltung der Kollegen niemanden dazu verführen, in<br />
einem wichtigen Vortrag ein Feuerwerk unfertiger Gedanken abzubrennen,<br />
zumal ja der Leistungsdruck sehr groß ist. Aber im kleineren Kreis finde ich<br />
<strong>die</strong>se Offenheit sehr produktiv. Wie ja überhaupt ein Workshop eher das<br />
geeignete Forum ist, Gedanken voranzubringen.<br />
Apropos Workshop: Sie haben ja selbst einen ausgerichtet. Welche Erfahrungen<br />
haben Sie <strong>die</strong>sbezüglich gemacht?<br />
Ich habe im Mai 2009, nach dem Ende der Lehrveranstaltungen, einen Workshop<br />
veranstaltet zum Thema „In Pursuit of Invisible Forces. Servants in History<br />
and Today“. Das war der Versuch, den Betrachtungszeitraum meines Themas<br />
noch stärker auszuweiten als in dem Buch – vom späten Mittelalter bis ins<br />
21. Jahrhundert. Teilgenommen haben Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen<br />
Disziplinen: Mediävisten, Philologen, Sozialhistoriker, Me<strong>die</strong>nphilosophen,<br />
Informatiker. Es war ungeheuer aufschlussreich zu sehen, wie sich <strong>die</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler aus verschiedenen Richtungen dem Thema näherten und<br />
letztlich so etwas wie eine Geschichte der Dienerschaft entstanden ist. Das<br />
hat mir deshalb besonders viele Anregungen verschafft, weil ja mein Ansatz<br />
ähnlich multiperspektivisch ist. Und natürlich war es wunderbar, meine<br />
Arbeit dort vorzustellen und zu sehen, wie <strong>die</strong> Kollegen aus anderen Disziplinen<br />
darauf reagieren.
Was werden Sie aus Harvard mit nach Weimar nehmen?<br />
Sicher eine Fülle von Kontakten – trotz E-Mail und Internet bleibt das per -<br />
sönliche Gespräch eben doch sehr wichtig, und Harvard ist ja regelrecht ein<br />
Marktplatz der Gelehrsamkeit in dem Sinne, dass ununterbrochen Leute aus<br />
aller Welt hierher kommen, zusätzlich zu denen, <strong>die</strong> ohnehin dort arbeiten.<br />
Es herrscht ein riesiger Durchsatz von Ideen, von denen ich einige mitnehme<br />
– auch Ansätze, <strong>die</strong> jenseits meiner eigentlichen Forschungsgebiete und<br />
Methoden liegen. Ein anderer Punkt ist leider mit einem Wermutstropfen<br />
versehen: das Wissen, so ideale Arbeitsbedingungen so schnell nicht wieder<br />
zu finden. Ein bisschen werde ich jetzt – was <strong>die</strong> Forschungsinfrastruktur<br />
angeht – in ein Drittweltland zurückgestoßen, wo man, um rasch an ein<br />
Buch zu gelangen, schon mal in ein anderes Bundesland reisen muss.<br />
Herr Krajewski, herzlichen Dank <strong>für</strong> das Gespräch.<br />
Harvard ruft! – Die Geisteswissenschaften antworten?<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> schreibt derzeit jährlich<br />
bis zu vier „Harvard-Fellowships“ aus. Gefragt<br />
sind junge, hoch qualifizierte Postdoktoranden<br />
und -doktorandinnen aus deutschen Hochschulen,<br />
<strong>die</strong> ihre Forschungskompetenz und ihr Forschungsprofil<br />
auf einem zukunftsweisenden<br />
geisteswissenschaft lichen Gebiet international<br />
stärken und weiterentwickeln wollen. Ausschreibungsrunden<br />
sind zunächst bis zum Jahr 2011<br />
vorgesehen.<br />
Am Humanities Center der Harvard University,<br />
das geleitet wird von dem international renommierten<br />
Intellektuellen Professor Homi Bhabha,<br />
können <strong>die</strong> jungen <strong>Wissenschaft</strong>ler <strong>für</strong> jeweils ein<br />
Jahr in einem attraktiven akademischen Umfeld<br />
geisteswissenschaftlich arbeiten und dabei auf<br />
<strong>die</strong> dortigen Bibliotheken, Archive und weitere<br />
Forschungs- und Kommunikationsangebote<br />
zurückgreifen. Gefordert ist, dass <strong>die</strong> Fellows<br />
neben ihrer Forschung auf der Basis eines Auftaktworkshops<br />
fächerübergreifend Gesprächsund<br />
Arbeitskontakte aufbauen und an interna -<br />
tionalen Konferenzen und Workshops mitwirken<br />
Die Harvard-Fellows „der ersten Stunde“<br />
Dr. Markus Krajewski (links) von der Bau -<br />
haus-Universität Weimar und Dr. Julia Wilker<br />
(rechts) von der Freien Universität Berlin mit<br />
dem Leiter des Humanities Center der Harvard<br />
University Professor Homi K. Bhabha.<br />
Dr. Julia Wilker erforschte im Rahmen ihres<br />
Harvard-Fellowships <strong>die</strong> politischen und<br />
gesellschaftlichen Veränderungen im<br />
Griechenland des 4. Jahrhunderts v. Chr.<br />
sowie in begrenztem Umfang auch eigene Lehrveranstaltungen<br />
durchführen.<br />
Das Humanities Center genießt international<br />
einen hervorragenden Ruf, begründet durch<br />
Forschungsleistungen, Vortrags- und Vorlesungsreihen,<br />
Konferenzen, Tagungen, Workshops und<br />
Seminare zu einem breit gefächerten Themenspektrum.<br />
Insbesondere bietet es informelle<br />
Möglichkeiten zum Gedankenaustausch und zu<br />
gemeinsamer wissenschaftlicher und künstle -<br />
rischer Arbeit. Besonderes Anliegen ist dabei <strong>die</strong><br />
Förderung von Kontakten und Kooperationen<br />
zwischen den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften.<br />
Darüber hinaus gehört es zu den Zielen<br />
des Centers, <strong>die</strong> Bedeutung der Geisteswissenschaften<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> politischen und gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen unserer Zeit augenfällig und verständlich<br />
zu machen; klassische Kompetenzen der<br />
Geisteswissenschaften werden mit zeitgenössischen<br />
Ansprüchen konfrontiert und verbunden.<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat <strong>für</strong> das auf zunächst<br />
vier Jahre angelegte Angebot insgesamt rund 1,3<br />
Millionen Euro bereitgestellt. cj<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 77
Kleben ohne Klebstoff<br />
In Laborgemeinschaft mit Geckos: Forscher aus<br />
Saarbrücken, Freiburg und Ludwigshafen auf der<br />
Suche nach klebstofffreien Haftsystemen<br />
Wie ein Gecko <strong>die</strong> Wände hochlaufen, ohne Haken und Ösen zu nutzen, ist<br />
eine Vorstellung, <strong>die</strong> vor allem in Comic-Heften mit Leben gefüllt wird. Aber<br />
nicht in der <strong>Wissenschaft</strong> – oder doch? Wer offen ist <strong>für</strong> außergewöhnliche<br />
Herausforderungen, wagt sich auch an solche Themen, wie Forscher aus<br />
Saarbrücken, Freiburg und Ludwigshafen beweisen. Allerdings verfolgen <strong>die</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler nicht das Ziel, <strong>die</strong> Wände hochzugehen; sie wollen klebstofffreie<br />
Haftsysteme <strong>für</strong> Hochtechnologie und Medizintechnik entwickeln.<br />
Elmar Kroner ist von Kopf bis Fuß in einen blauen Kunststoff-Overall gehüllt.<br />
Langsam legt er eine runde, schillernde Siliziumscheibe unter ein Belichtungsgerät,<br />
das aussieht wie ein Mikroskop mit Anbauten. Er blickt durch <strong>die</strong> Okulare<br />
und bringt <strong>die</strong> Scheibe vorsichtig in <strong>die</strong> richtige Position. Der Reinraum,<br />
in dem er gerade arbeitet, ist in gelbes Licht getaucht; <strong>die</strong>se Be leuchtung verhindert,<br />
dass das Werk der vergangenen Stunden zerstört wird – denn den<br />
Silizium-Wafer hat Kroner vorher mit einem empfindlichen Fotolack beschichtet.<br />
Ein Knopfdruck, und das Belichtungsgerät brennt eine mikrometerfeine<br />
Struktur in <strong>die</strong>sen Lack: das Negativ eines Geckofußes. Der junge Forscher<br />
am INM Leibniz-Institut <strong>für</strong> Neue Materialien in Saarbrücken gehört zu einem<br />
von der Stiftung mit 800.000 Euro geförderten interdiszi plinären Team, das<br />
sich <strong>die</strong> Herstellung klebstofffreier Haftsysteme zum Ziel gesetzt hat.<br />
Vorbild <strong>für</strong> den klebstofffreien Kleber sind Geckofüße, denn Geckos verfügen<br />
über eine beeindruckende Haftkraft. Sie laufen problemlos kopfüber<br />
sogar auf der Unterseite einer Glasscheibe entlang und könnten dabei bis<br />
zu 100 Kilogramm Gewicht tragen – natürlich rein theoretisch, denn kein<br />
Forscher würde <strong>die</strong> Tiere mit solch einem Gewicht behängen. Diese enorme<br />
Haftkraft wollen Forscher des INM in Saarbrücken, des Fraunhofer-Institutes<br />
<strong>für</strong> Solare Energiesysteme in Freiburg und der BASF in Ludwigshafen <strong>für</strong><br />
Menschen nutzbar machen. „Natürlich sind starke Klebeverbindungen an<br />
sich nichts Neues“, erklärt der Projektleiter Professor Dr. Eduard Arzt vom<br />
INM. „Das Besondere an den Haftmaterialien nach dem Geckovorbild aber<br />
ist, dass sie extrem stark haften, sich jedoch auch einfach wieder lösen lassen<br />
– und vor allem nach dem Ablösen keine Spuren zurückbleiben.“ Hat der<br />
Gecko <strong>die</strong> Glasscheibe wieder verlassen, ist es, als wäre er nie dort gewesen.<br />
„Am Anfang unserer Arbeit ähnelte unser Institut mehr einem Zoo“, erinnert<br />
sich Arzt. Denn um das Prinzip <strong>die</strong>ser enormen natürlichen Adhäsionskraft<br />
Dem Vorbild Natur technisch nacheifern:<br />
Ein Forscherteam aus Saarbrücken, Freiburg<br />
und Ludwigshafen orientiert sich an der<br />
außergewöhnlichen Struktur und Haftkraft<br />
von Geckofüßen (Bild oben). Diplomingenieur<br />
Elmar Kroner (links) vom INM Leibniz-Institut<br />
<strong>für</strong> Neue Materialien in Saarbrücken hält <strong>die</strong><br />
in eine Silikonscheibe gebrannte künstliche<br />
Version eines Geckofußes in der Hand. Ziel der<br />
Forschung sind klebstofffreie Haftsysteme <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Hochtechnologie und <strong>die</strong> Medizintechnik.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 79
80<br />
Die Haftkraft der Füße eines Geckos ist<br />
enorm (im Bild auf S. 79 ein von der Unterseite<br />
einer Glasscheibe aufgenommenes Tier).<br />
Milliarden feinster Härchen binden einzeln<br />
schwach, in der Summe jedoch stark an <strong>die</strong><br />
Oberfläche des Untergrundes. Das Forscherteam<br />
nutzt <strong>die</strong>ses Prinzip <strong>für</strong> seine künstlichen<br />
Haftsysteme. Hier prüft Elmar Kroner<br />
vom INM in Saarbrücken im Reinraum eine<br />
Siliziumscheibe zunächst auf Staubfreiheit<br />
(Bild oben) und trägt dann eine Schicht empfindlichen<br />
Fotolack auf (Bild unten). In einem<br />
weiteren Arbeitsschritt brennt ein Belichtungsgerät<br />
das Negativ einer mikrometerfeinen<br />
Haftfläche in den Lack, das später mit<br />
einem Silikonfilm übergossen wird: Fertig<br />
ist das Silikonpositiv eines Haftsystems.<br />
zu verstehen, mussten <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler erst einmal <strong>die</strong> Füße der Geckos<br />
genau untersuchen. Betäubt und auf dem Rücken unter einem Mikroskop<br />
liegend, haben <strong>die</strong> Geckos ihr Geheimnis verraten: Aus Milliarden feinster<br />
Härchen besteht <strong>die</strong> scheinbar glatte Unterseite ihrer Füße. Mit nur 200<br />
Nanometer dünnen Keratinfasern, zweihundert Mal so dünn wie ein menschliches<br />
Haar, binden sie locker über sehr schwache Oberflächenkräfte – <strong>die</strong> so -<br />
genannten Van-der-Waals-Kräfte – an den Untergrund. Jede einzelne <strong>die</strong>ser<br />
Bindungen wäre kaum messbar, gemeinsam erreichen sie jedoch eine sehr<br />
starke und vor allem reversible Haftkraft. Aber nicht nur Größe und Anzahl<br />
der Härchen sind entscheidend, sondern auch der Winkel, mit dem sie auf <strong>die</strong><br />
Oberfläche aufkommen, ihre Form und <strong>die</strong> Feuchtigkeit der Oberfläche. Sogar<br />
selbstreinigend sind <strong>die</strong> Füße. Ein weiterer wichtiger Faktor ist <strong>die</strong> Körperspannung<br />
des Geckos. So wie wir mit unseren zehn Fingern nur dann einen<br />
Ball fangen können, wenn wir <strong>die</strong> Finger anspannen, müssen auch Geckos<br />
ihre Haltevorrichtung aktiv steuern. „Wenn sie abgelenkt sind – etwa bei der<br />
Paarung – fallen sie auch schon mal von der Wand“, hat Arzt beobachtet.<br />
Das „System Gecko“ ist optimiert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lebensbedingungen <strong>die</strong>ser Reptilien,<br />
und sogar innerhalb der Tierfamilie gibt es noch Unterschiede in den Strukturen<br />
an den Füßen. Ziel der <strong>Wissenschaft</strong>ler kann es also nicht sein, einfach<br />
<strong>die</strong> Füße der Geckos nachzubauen. Vielmehr gilt es, das Prinzip nachzuempfinden<br />
und <strong>für</strong> verschiedene Haftaufgaben passgenaue Haftsysteme zu entwickeln.<br />
Das können beispielsweise Systeme sein, <strong>die</strong> sich zwar abziehen,<br />
aber nicht abheben lassen – und umgekehrt. Oder solche, deren Haftfähigkeit<br />
sich steuern lässt: <strong>die</strong> zum Beispiel erst bei bestimmten Temperaturen haften.<br />
Eine konkrete Anwendung wären Reparaturpads <strong>für</strong> Trommelfellverletzungen,<br />
<strong>die</strong> sich leicht im Ohr positionieren lassen, <strong>die</strong> aber ihre Hafthärchen<br />
erst aufstellen und dann kleben, wenn sie Körpertemperatur erreicht haben.<br />
Elmar Kroner hat inzwischen den Reinraum verlassen und den blauen Overall<br />
abgestreift. Er bewegt sich wieder in Normalgeschwindigkeit. In <strong>die</strong> Siliziumscheibe<br />
hat er das Muster eines Haftsystems geätzt. Bei <strong>die</strong>sem Exemplar<br />
sind <strong>die</strong> winzigen Hohlräume rechteckig, ragen in einem leichten Winkel in<br />
den Siliziumkristall und enden in einer Rundung. Es ist eine von vielen Geometrien,<br />
<strong>die</strong> der <strong>Wissenschaft</strong>ler auf ihre Hafteigenschaften testet. Die Geometrien<br />
sehen unter dem Mikroskop meist völlig anders aus als bei den<br />
lebenden Geckos, nur <strong>die</strong> hohe Dichte der Fasern haben <strong>die</strong> Geckofüße und<br />
ihre Nachbauten gemeinsam. Mit <strong>die</strong>sem Silizium-Negativ geht Kroner nun<br />
in sein chemisches Labor und übergießt <strong>die</strong> Platte mit einer Flüssigkeit, <strong>die</strong><br />
zu einem farblosen, flexiblen Silikonfilm aushärtet. Diesen zieht er ab, und<br />
prompt hält er ein kleines, labberiges Stück Silikonfilm in der Hand.<br />
„Dass sich auf solchen Silikonfilmen ein Geckomuster befindet, ist mit dem<br />
bloßen Auge nicht zu erkennen“, erklärt Arzt. Nur im Gegenlicht zeigt sich,<br />
dass <strong>die</strong> Oberfläche nicht glatt ist. „Die Seite mit der Geckostruktur schillert<br />
in unterschiedlichen Farben. Sie reflektiert das Licht nicht, <strong>die</strong> glatte Rückseite<br />
hingegen schon!“ Unter den unzähligen Geometrien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler
am INM errechnet, geätzt und in Silikon gegossen haben, sind sehr vielversprechende<br />
Exemplare. Einige derart vielversprechend, dass <strong>die</strong> Saarbrücker<br />
bereits zahlreiche Industrieanfragen nach Machbarkeitsstu<strong>die</strong>n abarbeiten.<br />
Für Anwendungen, <strong>die</strong> über Klebetests im Labor hinausgehen, sind allerdings<br />
<strong>die</strong> Silikone, mit denen <strong>die</strong> Forscher am INM arbeiten, ungeeignet. Zu weich, zu<br />
elastisch, zu aufwändig in der Herstellung; sie kommen damit <strong>für</strong> eine industrielle<br />
Fertigung nicht infrage. „Für den praxistauglichen Einsatz müssen <strong>die</strong><br />
Haftsysteme aus belastbareren Polymeren bestehen“, erläutert Projektpartner<br />
Dr. Dieter Urban, verantwortlich <strong>für</strong> Klebrohstoffe in der Polymerforschung<br />
bei der BASF. Dort arbeiten <strong>die</strong> Spezialisten <strong>für</strong> Polymere an Mischungen, <strong>die</strong><br />
flexible und haltbare Materialien liefern – <strong>die</strong> sich aber gleichzeitig auch in<br />
<strong>die</strong> feinen, nur 200 Nanometer breiten Kanäle der Gussform einarbeiten lassen.<br />
„Unser Beitrag zum Projekt ist <strong>die</strong> Bereitstellung passender Polymersysteme“,<br />
umreißt Urban seine Rolle als Industriepartner. „Was uns an einem<br />
solchen interdisziplinären Forschungsprojekt inspiriert, ist <strong>die</strong> Idee, einen<br />
Haftklebstoff herzustellen, der sich nicht plastisch verformt und beim Lösen<br />
keine Spuren hinterlässt – weder als Klebstoffrest noch in Form von Schmerzen<br />
etwa beim Abziehen eines Pflasters.“ Die Härchen herstellen werden<br />
dann andere. „Wir suchen nach dem Material, das <strong>die</strong> richtige Kombination<br />
aus Steifigkeit und Elastizität hat“, fasst Urban zusammen.<br />
Unterdessen drückt Elmar Kroner seinen neuesten Silikon-Haftstreifen auf<br />
eine Glaskugel und zieht ihn kurze Zeit später langsam wieder ab. Dabei<br />
messen Sensoren auf der Kugel <strong>die</strong> Kräfte, <strong>die</strong> er aufbringen muss. Die liegen<br />
– umgerechnet in Gewichtskräfte – zwischen einem Milligramm bis 100<br />
Gramm. Über <strong>die</strong>se Werte kann er <strong>die</strong> Streifen charakterisieren und geeig -<br />
nete von weniger geeigneten unterscheiden. Dieser spezielle Silikonstreifen<br />
kann in Zukunft vielleicht einem Menschen helfen, steile Hänge zu erklimmen.<br />
In der Tat arbeiten <strong>die</strong> Forscher derzeit an Sohlen <strong>für</strong> Kletterschuhe. Im<br />
Gegensatz zu den ursprünglich geplanten Anwendungen wie Klebeflächen,<br />
mit denen High-End-Roboter winzige Mikrochips in Reinräumen transpor tie ren,<br />
ist ein Kletterschuh ein Billigprodukt – ein nicht zu unterschätzender Faktor.<br />
Mit dem Kostenargument kommt dann auch der dritte Partner in <strong>die</strong>sem<br />
Projekt ins Spiel. „Unsere Kooperation mit dem Fraunhofer ISE ist ein Beispiel<br />
da<strong>für</strong>, wie <strong>Wissenschaft</strong> im Optimalfall funktionieren kann“, betont Arzt. Denn<br />
<strong>die</strong> Freiburger suchen nach Wegen, wie sich Negative <strong>für</strong> Geckofolien einfacher<br />
und damit vor allem kostengünstiger herstellen lassen als auf Silizium-Wafern.<br />
Um einen Gecko-Kletterschuh auf den Markt zu bringen oder ein Pflaster, das<br />
beim Abreißen nicht mehr ziept, müssen <strong>die</strong> Folien in großen Mengen und<br />
breiten Formaten gegossen werden. „Und besonders <strong>die</strong>se Herausforderung,<br />
vom Geckofuß unter dem Mikroskop zu einem massentauglichen Produkt zu<br />
gelangen, macht den Reiz unserer gemeinschaftlichen Arbeit aus“, resümiert<br />
Arzt. Für ihn und seine Kollegen ein wirklich außergewöhnliches Vorhaben.<br />
Jo Schilling<br />
Das Saarbrücker Team vor dem Eingang des<br />
INM Leibniz-Instituts <strong>für</strong> Neue Materialien<br />
(von links): Dipl.-Ing. Graciela Castellanos,<br />
Dr. Baptiste Girault, Joachim Blau, Dadhichi<br />
Paretkar, Dipl.-Ing. Andreas Schneider, Dr.<br />
Marleen Kampermann, Projektleiter Professor<br />
Dr. Eduard Arzt, Dipl.-Ing. Elmar Kroner.<br />
Die Forscher um Professor Arzt kooperieren<br />
eng mit Kollegen vom Fraunhofer-Institut<br />
<strong>für</strong> Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg<br />
und von der BASF in Lud wigshafen.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 81
Die Organisation der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Dank ihres eigenen Vermögens ist <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> wirtschaftlich selbstständig und in ihren<br />
Entscheidungen autonom. Mit der Verwendung der Erträge aus der Anlage ihres Stiftungskapitals<br />
verfolgt sie neben der Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebes vor allem zwei Ziele: Einerseits<br />
gilt es, <strong>die</strong> Förderung der wissenschaftlichen Vorhaben kontinuierlich sicherzustellen, zum<br />
anderen muss das Stiftungskapital in seiner Werthaltigkeit erhalten bleiben.<br />
So steht neben der steten Herausforderung, neue Förderinitiativen vorzubereiten, Anträge auf<br />
Förderung zu bearbeiten, Antragsteller zu beraten sowie bewilligte Vorhaben zu begleiten auch,<br />
dass notwendige Investi tionsentscheidungen in der Vermögensverwaltung zu treffen sind, <strong>die</strong><br />
Ertragsentwicklung und <strong>die</strong> Ertragsverwendung zu steuern und <strong>die</strong> bestimmungsgemäße Ver -<br />
wendung der Mittel zu prüfen sind. Ein zentrales Element der Vermögensbewirtschaftung ist es,<br />
<strong>die</strong> Substanzerhaltung des Stiftungsvermögens durch sachgerechte Rück lagenbildung im Rahmen<br />
der steuerlichen Möglichkeiten zu gewährleisten, um so <strong>die</strong> Förderkraft des Stiftungsvermögens<br />
auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft sicherzustellen.<br />
Die gestaltenden Aufgaben und <strong>die</strong> mit ihnen verbundenen Handlungsfreiräume bedürfen freilich<br />
zugleich eines effizienten internen und externen Kontrollsystems. Dies gewährleistet <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
zum einen dadurch, dass sie über eine klare Funktionstrennung der einzelnen Organisationseinheiten<br />
hinaus ein zeitgemäßes Risikocontrolling eingeführt hat. Zum anderen lässt sie<br />
sich durch externe Experten begleiten und beraten. Das gilt sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> Vorbereitung, fachliche<br />
Beurteilung und Betreuung der Förderinitiativen als auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verwaltungs- und Kontrollauf -<br />
gaben in der Vermögensbewirtschaftung.<br />
Über <strong>die</strong>se zentralen Bereiche der Stiftung, <strong>die</strong> Vermögensanlage und das Handling von Finanzen<br />
und Verwaltung, erfahren Sie mehr auf den folgenden Seiten.
84<br />
Vermögensanlage<br />
Die Anlage des Vermögens ist darauf ausgerichtet,<br />
den realen Wert des Stiftungskapitals zu erhalten<br />
und zugleich Erträge in einer Höhe zu erwirtschaften,<br />
<strong>die</strong> es ermöglicht, Fördermittel auf einem<br />
möglichst stetig hohen Niveau der <strong>Wissenschaft</strong><br />
zur Verfügung stellen zu können. Um <strong>die</strong>se Ziele<br />
zu erreichen, be<strong>die</strong>nt sich das Anlage management<br />
der Stiftung einer breit diversifizierten Streuung<br />
von Anlagen innerhalb der vier Kernsegmente<br />
Aktien, Verzinsliche Wertpapiere, Immobilien und<br />
Alternative Investments. Die Portfoliotheorie des<br />
Nobelpreisträgers Harry Markowitz bildet hier<strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> theoretische Grundlage. Bei der Anlage ihres<br />
Kapitals berücksichtigt <strong>die</strong> Stiftung zudem Aspekte<br />
der Nachhaltigkeit.<br />
Aktien<br />
Aktien sind genau genommen Beteiligungen an<br />
Wirtschaftsunternehmen. Die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
hält jedoch Aktien nicht in ihrem Bestand,<br />
um als Anteilseigner wirtschaftlichen Einfluss auf<br />
Länderbezogene Aufteilung der<br />
Aktienanlage (Stand Dezember 2009)<br />
Spanien<br />
7,9%<br />
Italien<br />
7,7%<br />
USA<br />
13,0%<br />
Japan<br />
3,1%<br />
<strong>die</strong> Unternehmensführung zu nehmen, denn als<br />
gemeinnützig anerkannte und von der Steuerpflicht<br />
befreite Institution ist ihr jede gewerbliche<br />
Tätigkeit untersagt. Der Grund liegt vielmehr im<br />
langfristig zu erwartenden Wertzuwachs <strong>die</strong>ser<br />
Beteiligungen, welcher dem Inflationsschutz <strong>die</strong>nen<br />
und maßgeblich zum gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Erhalt des Stiftungsvermögens beitragen<br />
soll. Darüber hinaus gibt es bei der Aktienanlage<br />
noch <strong>die</strong> Komponente des laufenden Ertrags, der<br />
dem Investor in Form von Dividenden zufließt.<br />
Die Aktienanlagen der Stiftung sind breit gestreut.<br />
Im Direktbestand befinden sich Aktien aus den<br />
Ländern des europäischen Währungsraums, wobei<br />
ein Portfolio eng am Eurostoxx 50 ausgerichtet ist:<br />
einem Index, in dem <strong>die</strong> nach ihrer Marktkapita -<br />
lisierung fünfzig größten Unternehmen der Euro-<br />
Teilnehmerländer vertreten sind. Ein anderes<br />
Portfolio wurde schwerpunktmäßig unter Renditegesichtspunkten<br />
aufgelegt – es enthält <strong>die</strong> zehn<br />
Aktien aus Eurostoxx 50 und DAX (Deutscher<br />
Aktienindex) mit der höchsten Dividendenrendite.<br />
Niederlande<br />
2,5%<br />
Europa ex Euroland<br />
13,4%<br />
Belgien<br />
1,0%<br />
Finnland<br />
1,0%<br />
Luxemburg<br />
0,7%<br />
Irland<br />
0,4%<br />
Südostasien<br />
14,6%<br />
Deutschland<br />
18,2%<br />
Frankreich<br />
16,5%
Darüber hinaus ist <strong>die</strong> Stiftung auch in Ländern<br />
außerhalb des Euroraums investiert: in Großbritannien,<br />
der Schweiz, den USA sowie in Japan und<br />
weiteren Ländern des asiatischen Raums. Hier<strong>für</strong><br />
hat <strong>die</strong> Stiftung Spezialfonds aufgelegt und externe<br />
Mandate an Fondsmanager vergeben. Jedem<br />
<strong>die</strong>ser Portfolios ist ein spezieller Benchmarkindex<br />
zugeordnet, der <strong>die</strong> Marktentwicklung in dem<br />
jeweiligen Land gut und leicht nachvollziehbar<br />
repräsentiert. Aufgabe des Fondsmanagements ist<br />
es, <strong>die</strong>sen Index in seiner Struktur abzubilden und<br />
somit dessen Performance zu erreichen. Für den<br />
eigenverwalteten Bestand ebenso wie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Spezialfonds<br />
wurde also jeweils der sogenannte passive<br />
Managementansatz gewählt. Damit strebt<br />
<strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> in erster Linie an, in den<br />
ausgewählten Märkten präsent zu sein und von<br />
deren niedriger Korrelation zueinander wie auch<br />
zu den anderen Anlagen der Stiftung zu profitieren,<br />
um so eine Risikoreduktion innerhalb des<br />
Aktien- und Gesamtportfolios zu erreichen.<br />
Diese Strategie hat sich in der durch Kursverluste<br />
geprägten Zeit von Ende 2007 bis Anfang 2009<br />
bewährt. Die Stiftung hat sich während der Krise<br />
nicht von ihren Aktienanlagen getrennt – verlustreiche<br />
Verkäufe wurden so vermieden, und das<br />
Aktieninvestment konnte vom Kursaufschwung<br />
im Verlauf des Jahres 2009 erheblich profitieren.<br />
Verzinsliche Wertpapiere<br />
An den Märkten <strong>für</strong> verzinsliche Wertpapiere hat<br />
sich <strong>die</strong> Situation grundlegend geändert. Bis zur<br />
Mitte des Jahres 2008 wurde von der Europäischen<br />
Zentralbank vor dem Hintergrund freund -<br />
licher Konjunkturindikatoren und – insbesondere<br />
im Rohstoffbereich – höherer Inflationsraten<br />
durch eine Serie von Leitzinsanhebungen eine<br />
geldpolitische Verknappung vollzogen. Das durch<br />
<strong>die</strong> Leitzinsanhebungen bewirkte Anziehen des<br />
allgemeinen Zinsniveaus fand mit dem Ausbruch<br />
der Finanzkrise ein abruptes Ende. Angesichts der<br />
gedämpften Konjunkturaussichten hat das Thema<br />
Inflation momentan an Bedeutung verloren. Das<br />
Öffentliche<br />
Anleihen und Agencies<br />
(Ausland)<br />
15,3%<br />
Öffentliche<br />
Anleihen und Agencies<br />
(Inland)<br />
36,3%<br />
Liquidität<br />
1,1%<br />
Genüsse<br />
5,6%<br />
Nachränge<br />
3,4%<br />
Öffentliche Anleihen<br />
EU-Beitrittsländer<br />
1,9%<br />
Aufteilung der selbst verwalteten Zinstitel (Stand Dezember 2009)<br />
eröffnete den Notenbanken neuen Spielraum,<br />
den Auswirkungen der Finanzkrise mit massiven<br />
Leitzinssenkungen entgegen zu treten. Das wieder<br />
gesunkene Zinsniveau führte insbesondere<br />
bei kurzen und mittleren Laufzeiten zu erheblich<br />
niedrigeren Anlagesätzen. Trotz der inzwischen<br />
verbesserten konjunkturellen Aussichten wird an<br />
den Anleihemärkten davon ausgegangen, dass <strong>die</strong><br />
Niedrigzinsphase noch einige Zeit anhalten wird.<br />
Der überwiegende Teil der verzinslichen Wertpapiere<br />
wird von der Stiftung selbst verwaltet, ein<br />
weiterer Teil von zwei Spezialfonds. Wichtigstes<br />
Anlageziel bei den verzinslichen Wertpapieren ist<br />
es, hohe und konstante ordentliche Erträge <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Finanzierung der zu fördernden Vorhaben zu<br />
erwirtschaften. Durch Vermögensumschichtungen<br />
werden auch Kursgewinne realisiert, doch<br />
kommt <strong>die</strong>sen bei den Anleihen eine untergeordnete<br />
Bedeutung zu. Die Anlageergebnisse werden,<br />
um sie beurteilen zu können, mit einer Benchmark<br />
verglichen. In Anlehnung an <strong>die</strong>se Benchmark<br />
setzt sich der Bestand an Anleihen hauptsächlich<br />
aus Pfandbriefen und Staatsanleihen<br />
zusammen, denen Unternehmensanleihen, Nachrangtitel<br />
und Genussscheine beigemischt werden.<br />
Durch <strong>die</strong> Beimischung sinkt das als Volatilität<br />
ausgedrückte Gesamtrisiko bei gleichzeitiger<br />
Erhöhung der Rendite.<br />
Einer der beiden Spezialfonds enthält britische,<br />
kanadische und australische Staatsanleihen in<br />
der jeweiligen Landeswährung sowie Euro-Unter-<br />
Unternehmensanleihen<br />
7,7%<br />
Pfandbriefe/<br />
Covered Bonds<br />
28,7%<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 85
86<br />
nehmensanleihen, der andere auf US-Dollar lautende<br />
amerikanische Staatsanleihen. Diese Zinsund<br />
Währungsmärkte werden oft von Kriterien<br />
bestimmt, <strong>die</strong> sich von denen des Euroraums<br />
unterscheiden – zum Beispiel durch eine andere<br />
Phase im Konjunkturverlauf (USA, Großbritannien)<br />
oder durch <strong>die</strong> Fokussierung auf Rohstoffmärkte<br />
(Kanada, Australien). Durch <strong>die</strong> weltweite<br />
Streuung wird das Gesamtrisiko der Anleihen<br />
weiter verringert. Zudem ist das Zinsniveau in<br />
<strong>die</strong>sen Ländern üblicherweise höher als im Euroraum.<br />
Zum Anleihenbereich gehört auch das Cash<br />
Management. Das Cash Management hat <strong>die</strong><br />
Aufgabe, alle Zahlungsvorgänge zu koordinieren,<br />
benötigte Liquidität zur Verfügung zu stellen und<br />
überschüssige Liquidität anzulegen. Die Anlage<br />
erfolgt hauptsächlich in Form von Tages- und<br />
Termingeldern.<br />
Positionen der Renten-Spezialfonds<br />
(Stand Dezember 2009)<br />
Immobilien<br />
Euro-Unternehmensanleihen<br />
20,5%<br />
Britische<br />
Staatsanleihen<br />
18,9%<br />
Zur Umsetzung des Leitmotivs der Risikodiversi -<br />
fizierung investiert <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong> seit<br />
vielen Jahren nicht nur in Aktien und Rententiteln,<br />
sondern auch in Immobilienanlagen. Durch<br />
sie werden mehrere Ziele erreicht: Langfristig<br />
<strong>die</strong>nen Immobilien dem Inflationsschutz und<br />
damit der Erhaltung des Stiftungskapitals, darüber<br />
hinaus werden über <strong>die</strong> Erwirtschaftung von<br />
Mietertragsüberschüssen aber auch Fördermittel<br />
bereitgestellt.<br />
Kanadische<br />
Staatsanleihen<br />
9,6%<br />
Die durch <strong>die</strong> Finanzkrise verursachten Verwerfungen<br />
haben sich im Jahr 2009 auch auf <strong>die</strong><br />
deutschen und europäischen Büroimmobilienmärkte<br />
ausgewirkt: Dies betraf vor allem <strong>die</strong> Entwicklung<br />
der Marktmieten und <strong>die</strong> Nachfrage<br />
nach Büroflächen. Aufgrund der vorliegenden<br />
Diversifizierung in Gewerbe- und Wohnanlagen<br />
hielten sich <strong>die</strong> Effekte auf das Stiftungsportfolio<br />
allerdings in Grenzen.<br />
Die Vermögensverwaltung betreut zurzeit einen<br />
Immobilienbestand von 419 Millionen Euro<br />
(Stand Dezember 2009). Dies entspricht einem<br />
Anteil von 15,4 Prozent am Gesamtvermögen der<br />
Stiftung.<br />
Das Diversifizierungsziel ist auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anlagepolitik<br />
innerhalb des Immobiliensegments entscheidend.<br />
Neben den deutschen Objekten wird<br />
daher seit einigen Jahren auch ein Bestand an<br />
Liquidität<br />
6,9%<br />
Australische<br />
Staatsanleihen<br />
10,4%<br />
US-Staatsanleihen<br />
33,7%<br />
europäischen Büroimmobilien aufgebaut. Die<br />
geografische Streuung innerhalb des Immobi -<br />
lienbereichs soll in den kommenden Jahren ausgeweitet<br />
werden.<br />
Die in Europa gelegenen Objekte werden über<br />
einen Immobilien-Spezialfonds gehalten. Sein<br />
Anteil am gesamten Immobilienbestand liegt<br />
bei 36 Prozent. Bisher erfolgten Investitionen in<br />
den Niederlanden, in Frankreich und Belgien.
Belgien<br />
5,3%<br />
Frankreich<br />
11,5%<br />
Niederlande<br />
18,7%<br />
Immobilienanlagen nach Ländern (Stand Dezember 2009)<br />
Den mit 64 Prozent größten Anteil der Immobilien -<br />
anlagen halten Tochtergesellschaften der Stiftung,<br />
<strong>die</strong> extern verwaltet und von der Vermögensverwaltung<br />
der Stiftung betreut und kontrolliert<br />
werden. Der Anlageschwerpunkt liegt hier bei<br />
Wohn- und Geschäftshäusern in Deutschland.<br />
Darüber hinaus gibt es auch zwei Institutsgebäude<br />
in Washington und London, <strong>die</strong> an deutsche<br />
Wis senschaftsorganisationen vermietet sind.<br />
Über eine der Vermögensverwaltungsgesellschaften<br />
erfolgt auch der Wiederaufbau des Schlosses<br />
Herrenhausen in Hannover. Nach dem jetzigen<br />
Stand der Planungen soll das klassizistische Laves-<br />
Schloss bis Ende 2012 in seiner historischen Gestalt<br />
wiedererrichtet werden. Im Innern wird es eine<br />
moderne Nutzung geben: Der Großteil der Flächen<br />
wird als internationales Tagungszentrum an einen<br />
externen Betreiber vermietet, <strong>die</strong> Seitenflügel wurden<br />
von der Landeshauptstadt Hannover angemietet,<br />
<strong>die</strong> dort Museumsflächen einrichten wird.<br />
Alternative Investments<br />
Deutschland<br />
57,4%<br />
Großbritannien<br />
4,9%<br />
USA<br />
2,1%<br />
Etwa 6,5 Prozent ihres Vermögens hat <strong>die</strong> Stiftung<br />
in Alternative Investments (Private Equity und<br />
Hedge Fonds) angelegt. Mit <strong>die</strong>sen Anlagen wird<br />
in erster Linie das Ziel verfolgt, <strong>die</strong> Wertschwankungen<br />
des Gesamtportfolios weiter zu reduzieren,<br />
da sie zu den herkömmlichen Asset-Klassen<br />
nur eine geringe Korrelation aufweisen. Im Übrigen<br />
sollen <strong>die</strong> Alternative Investments einen<br />
wichtigen Beitrag leisten zur realen Erhaltung<br />
des Stiftungskapitals.<br />
Aufgelegt wurde ein Multi-Strategy-Dachhedgefonds<br />
unter Ausschluss von Fonds, <strong>die</strong> Distressed-<br />
Strategien verfolgen. Im Private-Equity-Bereich<br />
wurden zwei Zertifikate erworben, über <strong>die</strong> in<br />
ein Buyout- beziehungsweise ein Secondaries-<br />
Programm investiert wurde.<br />
Vermögensbeirat<br />
Über <strong>die</strong> unerlässliche Prüfung der Jahresrechnung<br />
durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
hinaus hat <strong>die</strong> Stiftung bereits Ende der 1980er<br />
Jahre einen Vermögensbeirat eingerichtet, der aus<br />
hochrangigen Vertretern der Wirtschaft besteht<br />
und <strong>die</strong> Stiftung sowohl bei der Entwicklung ihrer<br />
Anlagestrategie als auch bei der Bewertung der<br />
Ergebnisse ihrer Anlagepolitik berät.<br />
Der Vermögensbeirat<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Professor Dr. h. c. mult. Martin Hellwig, Ph.D.,<br />
Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung<br />
von Gemeinschaftsgütern, Bonn<br />
Michael Bock, Mitglied des Vorstands der<br />
PROVINZIAL, Rheinland Versicherung AG,<br />
Düsseldorf<br />
Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt/Leiter<br />
Unternehmensentwicklung der Allianz<br />
Gruppe, München<br />
Dr. Hermann Küllmer, ehemaliges Mitglied<br />
des Vorstands der ALTANA Chemie AG,<br />
Bad Homburg v. d. Höhe<br />
Carola Gräfin von Schmettow, Mitglied des<br />
Vorstands der HSBC Trinkaus, Düsseldorf<br />
Stand Januar <strong>2010</strong><br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 87
88<br />
Finanzen und Verwaltung<br />
Die Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens und<br />
<strong>die</strong> Verwendung der Erträge erfordern professionelles<br />
Management. Bei einem bilanzierten Stiftungsvermögen<br />
von rund 2,1 Milliarden Euro und<br />
Jahreserträgen von zuletzt rund 164 Millionen Euro<br />
kommt den Aufgaben rund um „Finanzen und<br />
Administration“ eine entsprechende Bedeutung<br />
zu. Dies wird geleistet von 32 Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern, welche gleichzeitig <strong>die</strong> <strong>für</strong> eine<br />
optimale Erfüllung des Stiftungszwecks benötigte<br />
Infrastruktur und <strong>die</strong> Service ein heiten bereitstellen.<br />
Die Abteilung Finanzen und Verwaltung versteht<br />
sich dabei als Dienstleister <strong>für</strong> ihre internen und<br />
externen „Kunden“.<br />
Dass in der Geschäftsstelle der Stiftung vieles reibungslos funktioniert:<br />
Auch darum kümmern sich <strong>die</strong> Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter der Abteilung Finanzen und Verwaltung.<br />
Finanz- und Rechnungswesen,<br />
Controlling<br />
Dieses Referat ist verantwortlich <strong>für</strong> alle Bereiche<br />
des Rechnungswesens der Stiftung. Basierend<br />
auf den in der Finanzbuchhaltung abgebildeten<br />
Geschäftsvorfällen wird jeweils zum 31. Dezember<br />
<strong>die</strong> Jahresrechnung der Stiftung erstellt, <strong>die</strong> aus<br />
Bilanz und Ertragsrechnung besteht. Die Rechnungslegung<br />
erfolgt dabei nach den <strong>für</strong> alle Kaufleute<br />
geltenden handelsrechtlichen Vorschriften.<br />
Satzungsgemäß prüft alljährlich eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
<strong>die</strong> Jahresrechnung. Des<br />
Weiteren wird <strong>die</strong> jährliche Kapitalerhaltungsrechnung<br />
der Stiftung aufgestellt. Sie beantwortet<br />
<strong>die</strong> Frage, inwieweit es der Stiftung gelungen ist,<br />
durch sachgerechte Rücklagenbildung sowie Ver -<br />
mögens anlage unter anderem in den Substanz wer -<br />
ten Aktien und Immobilien das Stiftungska pital in<br />
seinem realen Wert zu erhalten. Der dynamische<br />
Korridor ermöglicht eine sorgfältige Ausbalancierung<br />
von Dotierung der Fördermittel einerseits<br />
und Rück lagenbildung zur Kapitalerhaltung<br />
andererseits.<br />
Die Stiftung verfügt in ihrer Planungsrechnung mit<br />
den Instrumenten der rollierenden fünfjährigen<br />
Finanzplanung sowie des jährlichen Wirtschaftsplans<br />
über aussagekräftige Planungs- und Progno -<br />
seinstrumente. Zu den Kuratoriumssitzungen wird<br />
zudem eine Mitteldisposition erstellt, <strong>die</strong> – ausgehend<br />
von der Finanzplanung <strong>für</strong> das entsprechende<br />
Jahr – eine Bewilligungs planung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bereiche<br />
Allgemeine Fördermittel sowie Niedersächsisches<br />
Vorab darstellt.<br />
Ein weiteres Element des Rechnungswesens ist<br />
das unterjährige Berichtswesen. Geschäfts lei tung
und weitere Adressaten in der Stiftung erhalten<br />
mit den jeweiligen Mo natsberichten eine Übersicht<br />
über den jeweiligen Stand der Vermögensund<br />
Ertragslage, des Wirtschaftsplans, des Wertpapier-<br />
und des Förderbereichs. Schließlich zählt<br />
auch das Risikocontrolling einschließlich der<br />
Ab wicklung von Wertpapiergeschäften zu den<br />
Aufgaben des Referats. Damit ist eine klare Funktionstrennung<br />
zwischen Kontrahierung und<br />
Ab wicklung von Wertpapiergeschäften gewährleistet.<br />
Das Risikocontrolling berichtet dem Generalsekretär<br />
täglich und schriftlich unter anderem<br />
über den Grad der Ausnutzung bestehender Limits<br />
<strong>für</strong> Markt- und Emittentenrisiken einschließlich<br />
etwaiger derivativer Instrumente. Angesiedelt ist<br />
hier zudem <strong>die</strong> Interne Kontrolle: Alle von der Vermögensverwaltung<br />
vorgenom menen Geschäftsabschlüsse<br />
werden nach den Kriterien von Ordnungsmäßigkeit<br />
und Sicherheit überprüft.<br />
Im Rahmen des Zahlungsverkehrs wird sicher ge -<br />
stellt, dass <strong>die</strong> Verpflichtungen gegenüber Be willi -<br />
gungs em pfängern und Lieferanten der Volkswa -<br />
genStiftung fristgerecht erfüllt werden. In <strong>die</strong>sem<br />
Zusammenhang werden auch <strong>die</strong> Fördermittelabrufe<br />
der Bewilligungsempfänger auf ihre Be rech -<br />
tigung in betragsmäßiger und zeitlicher Hinsicht<br />
geprüft.<br />
Personalwesen und Zentrale Dienste<br />
Für professionell agierende Mitarbeiterinnen und<br />
Mitar beiter attraktiv zu sein, ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
essenzielle Voraussetzung <strong>für</strong> eine<br />
optimale Zweck erfüllung. Die Aufgaben des Per -<br />
sonalwesens bestehen zum einen in der termin -<br />
gerechten und sachlich korrekten Abrechnung<br />
von Gehältern und Versorgungsbezügen, zum<br />
anderen ist es verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> laufende<br />
Personalverwaltung und -betreuung unter Beachtung<br />
arbeitsvertraglicher, gesetz licher und anderer<br />
Vorschriften. Es wirkt mit bei der Planung und<br />
Umsetzung all dessen, was im Hinblick auf eine<br />
leistungsfähige Mitarbeiterschaft erforderlich ist,<br />
und unterstützt <strong>die</strong> Geschäftsleitung in allen Per-<br />
sonalfragen – etwa bei der konzeptionellen Neugestaltung<br />
personalwirtschaftlicher Instrumente.<br />
Die Zentralen Dienste sind zuständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verwaltung<br />
und den Betrieb der Stiftung und sorgen<br />
dabei <strong>für</strong> <strong>die</strong> effiziente Bereitstellung der entsprechenden<br />
Infrastruktur der Geschäftsstelle. Hier<br />
finden sich das Beschaffungs wesen und viele<br />
Serviceeinrichtungen wie Empfang, Technische<br />
Dienste und Küche. So werden <strong>die</strong> praktischen<br />
Voraussetzungen <strong>für</strong> gut funktionierende und<br />
angenehme Arbeitstage geschaffen.<br />
Informations- und<br />
Kommunikationssysteme<br />
Moderne Informations- und Kommunikationssysteme<br />
sind ein unerlässlicher Bestandteil der Infrastruktur<br />
der Stiftung. Insgesamt 90 Terminals –<br />
sogenannte Thin Clients – haben Zugriff auf einen<br />
Großrechner, auf dem <strong>die</strong> von der Stiftung selbst<br />
entwickelte Förderverwaltung, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zwecke<br />
der Stiftung ebenfalls adaptierte und modifizierte<br />
Finanzbuchhaltung, <strong>die</strong> Vermögensverwaltung<br />
sowie <strong>die</strong> Gehalts abrech nung der Stiftung laufen.<br />
Neben dem EDV-gestützten Risikocontrolling<br />
wurden elektronische Wirtschafts- und Börseninformationssysteme<br />
eingerichtet und Kalkulationsund<br />
Bewertungsprogramme <strong>für</strong> Wertpapiertransaktionen<br />
bereitgestellt.<br />
Seit Einführung des elektronischen Dokumentenmanagements<br />
wird in <strong>die</strong>sem Referat neben der<br />
technischen Plattform <strong>für</strong> elektronische Akten<br />
auch das papiergebundene Archiv betreut.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 89
Die Ansprechpartner in der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Die derzeit gut 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Volks -<br />
wagenStiftung bereiten – organisatorisch untergliedert in vier<br />
Abteilungen und <strong>die</strong> Stabsstellen – <strong>die</strong> Beschlüsse des Kuratoriums<br />
vor und führen sie aus. Das Kuratorium verwaltet als Vorstand <strong>die</strong><br />
Stiftung und beschließt über <strong>die</strong> Vergabe der Fördermittel. Um<br />
über Anträge zu entscheiden, kommt es norma ler weise drei Mal<br />
jährlich zusammen; darüber hinaus gibt es zwischen den Sitzungen<br />
ein schriftliches Verfahren.<br />
Die Geschäftsführung der Stiftung obliegt dem vom Kuratorium<br />
bestellten Generalsekretär Dr. Wilhelm Krull – er entscheidet über<br />
Projekte innerhalb eines finanziell definierten Rahmens – und den<br />
vier weiteren Mitgliedern der Geschäftsleitung.<br />
Im Folgenden stellen sich Ihnen <strong>die</strong> Ansprechpartner der Stiftung<br />
mit ihren Aufgabengebieten kurz vor.
92<br />
Ihre Ansprechpartner in der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Dr. Wilhelm Krull<br />
Generalsekretär<br />
Stab<br />
Anja Stanitzke<br />
ist als Referentin im Büro des<br />
General se kre tärs zuständig <strong>für</strong><br />
Rechts an ge legen hei ten sowie <strong>die</strong><br />
Zu sam men ar beit mit Stiftungen<br />
und Verbänden.<br />
Antje Robrecht<br />
ist als Referentin im Büro des<br />
Gene ral sekretärs verantwortlich<br />
<strong>für</strong> Kuratoriumsangelegenheiten;<br />
sie koordiniert zudem <strong>die</strong> Zusammen<br />
arbeit mit <strong>Wissenschaft</strong>s -<br />
orga nisationen und Hochschulen.<br />
Dr. Uta Saß<br />
leitet das Referat Evaluation,<br />
Interne Revision und Verwendungs<br />
prüfung.<br />
Jens Rehländer<br />
leitet <strong>die</strong> Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Dr. Christian Jung<br />
ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
als Referent <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Standardpubli kationen verantwortlich.<br />
Katja Ebeling<br />
ist als Referentin verantwortlich<br />
<strong>für</strong> das Veranstaltungsmanagement.
Natur- und Ingenieurwissenschaften, Medizin<br />
Dr. Indra Willms-Hoff<br />
Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Dr. Ulrike Bischler<br />
ist zuständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Initiative<br />
„Neue konzeptionelle Ansätze<br />
zur Modellierung und Simula -<br />
tion komplexer Syste me“ so wie<br />
das Fachgebiet Physik.<br />
Dr. Franz Dettenwanger<br />
ist Referent <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förder ini tia -<br />
tive „Integration molekularer<br />
Komponenten in funktionale<br />
makroskopische Systeme“. Er<br />
wirkt mit beim „Niedersächsischen<br />
Vorab“ und betreut <strong>die</strong><br />
Fachgebiete Ingenieurwissenschaften<br />
und Mathematik.<br />
Dr. Anja Fließ<br />
ist Ansprech partnerin <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
„Lichtenberg-Professuren“ sowie<br />
verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Initiative<br />
„Hochschule der Zukunft“.<br />
Außerdem betreut sie <strong>die</strong> Fach -<br />
gebiete Chemie und Biochemie.<br />
Dr. Detlef Hanne<br />
betreut <strong>die</strong> Geowissenschaften<br />
und <strong>für</strong> seine Abteilung <strong>die</strong><br />
Um weltwissenschaften sowie<br />
<strong>die</strong> Förderini tia tive „Wissen <strong>für</strong><br />
morgen – Ko ope rative Forschungs<br />
vorhaben im sub-saha -<br />
rischen Afrika“. Darüber hinaus<br />
ist er An sprech part ner <strong>für</strong> Grund -<br />
satzfragen bei den „Symposien<br />
und Sommerschulen“.<br />
Dr. Henrike Hartmann<br />
ist Referentin <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachge bie te<br />
Biomedizin und Neurowissenschaften<br />
sowie verant wortlich<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Initiative „Evolutionsbiologie“.<br />
Sie wirkt mit bei der Förderini<br />
tiative „Wis sen schaft –<br />
Öffentlichkeit – Gesellschaft“<br />
und der „European Platform for<br />
Life Sciences, Mind Sciences, and<br />
the Humanities“.<br />
Dr. Matthias Nöllenburg<br />
betreut <strong>für</strong> seine Abteilung<br />
<strong>die</strong> Förderinitiativen „Zwischen<br />
Euro pa und Orient – Mittelasien/Kaukasus<br />
im Fokus der<br />
<strong>Wissenschaft</strong>“ und „Forschung<br />
in Museen“, zugleich <strong>die</strong> Fach -<br />
ge bie te Pflanzenbiologie und<br />
Zoologie.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 93
94<br />
Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Niedersächsisches Vorab<br />
Prof. Dr. Axel Horstmann<br />
Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Thomas Brunotte, M. Phil.<br />
betreut <strong>die</strong> Förderinitiativen<br />
„Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong><br />
ist mehrsprachig“ und „<strong>Wissenschaft</strong><br />
– Öffentlichkeit – Gesellschaft“<br />
sowie <strong>die</strong> „European<br />
Platform for Life Sciences, Mind<br />
Sciences, and the Humanities“.<br />
Seine Fachgebiete: Philosophie,<br />
Psychologie und Theologie.<br />
Prof. Dr. Hagen Hof<br />
ist verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> „Schum -<br />
peter-Fellowships“ und das „Nie -<br />
dersäch sische Vor ab“. Seine Fachgebiete:<br />
Rechtswissenschaften,<br />
Pä dago gik, Sozio logie, Architektur,<br />
Städtebau und Landes pla -<br />
nung sowie <strong>für</strong> seine Abteilung<br />
<strong>die</strong> Umweltwissenschaften.<br />
Dr. Wolfgang Levermann<br />
betreut <strong>für</strong> seine Abteilung<br />
<strong>die</strong> Förderinitiative „Zwischen<br />
Europa und Orient – Mittelasien/Kau<br />
kasus im Fokus der<br />
<strong>Wissenschaft</strong>“; außerdem ist er<br />
zu ständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fachgebiete<br />
Geschichte und Geografie.<br />
Dr. Alfred Schmidt<br />
ist zuständig <strong>für</strong> „Zukunftsfragen<br />
der Gesellschaft – Analyse,<br />
Beratung und Kommunikation<br />
zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und<br />
Praxis“ und <strong>die</strong> im Rahmen<br />
<strong>die</strong>ser Initiative stattfindenden<br />
Ausschreibungen – sowie <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Fachgebiete Politikwissenschaft,<br />
Wirtschaftswissenschaften,<br />
Forst- und Agrar wissenschaften.<br />
Dr. Vera Szöllösi-Brenig<br />
betreut <strong>die</strong> Initiativen „Schlüs sel -<br />
themen der Geisteswissenschaften<br />
– Programm zur Förderung<br />
fachübergreifender und inter -<br />
nationaler Zu sam menarbeit“,<br />
„Pro Geis teswissenschaften“<br />
und „Doku men tation bedrohter<br />
Sprachen“. Ihre Fachgebiete sind<br />
Europä ische Sprachen und Litera -<br />
turen, Kunst- und Mu sik wis sen -<br />
schaft sowie Kommunikationsund<br />
Me<strong>die</strong>n wissenschaften.<br />
Dr. Adelheid Wessler<br />
betreut <strong>die</strong> Initiative „Forschung<br />
in Museen“, <strong>die</strong> „Fellowships <strong>für</strong><br />
Postdoktoranden und -doktoran -<br />
dinnen aus den Geistes wissen -<br />
schaften am Hu manities Center<br />
der Harvard University“ und<br />
<strong>für</strong> ihre Abteilung <strong>die</strong> Förder -<br />
ini tia ti ve „Wissen <strong>für</strong> mor gen –<br />
Kooperative Forschungsvorhaben<br />
im sub-saha rischen Afrika“. Ihre<br />
Fachgebie te sind Völkerkunde,<br />
Volkskun de, Alte und außer euro -<br />
päische Sprachen und Kulturen.
Finanzen und Verwaltung Vermögensverwaltung<br />
Henning Otto<br />
Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Sibylle Mitscherling<br />
verantwortet das Referat<br />
Finanz- und Rechnungswesen,<br />
Controlling.<br />
Christina Fallnacker<br />
leitet das Referat Personal wesen<br />
und Zentrale Dienste.<br />
Michael Maaß<br />
ist zuständig <strong>für</strong> das Referat<br />
Informations- und Kommu -<br />
nikationssysteme.<br />
Dieter Lehmann<br />
Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Carolin Bensch<br />
ist <strong>für</strong> das Referat Aktien<br />
zuständig.<br />
Dr. Andreas Bodemer<br />
betreut das Referat<br />
Verzinsliche Wertpapiere,<br />
Cashmanagement.<br />
Dr. Martina Pörschke<br />
ist zuständig <strong>für</strong> das Referat<br />
Immobilien.<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>2010</strong> 95
96<br />
Das Kuratorium<br />
Den Vorstand der Stiftung bildet<br />
ein Kuratorium von 14 Persönlichkeiten,<br />
von denen je sieben von der<br />
Bundesregierung und der Niedersächsischen<br />
Landesregierung <strong>für</strong><br />
eine Amtszeit von bis zu zwei Mal<br />
fünf Jahren berufen werden. Bei<br />
seinen Entscheidungen ist das Kuratorium<br />
nur an <strong>die</strong> Satzung gebunden.<br />
Es tritt in der Regel drei Mal jährlich<br />
– zumeist – in der Geschäfts stelle<br />
Hannover zusammen.<br />
Das Kuratorium der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
tagt in der Regel drei Mal jährlich am Sitz<br />
der Stiftung in Hannovers Kastanienallee.<br />
Das Kuratorium der <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat zurzeit folgende Mitglieder:<br />
Lutz Stratmann, Minister <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und Kultur, Mitglied des<br />
Landtages des Landes Niedersachsen, Hannover (Vorsitzender)<br />
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin <strong>für</strong> Bildung und Forschung, Mitglied<br />
des Deutschen Bundestages, Bonn/Berlin (Stellvertretende Vorsitzende)<br />
Professor Dr. Wolf Singer, Max-Planck-Institut <strong>für</strong> Hirnforschung, Frankfurt<br />
am Main (Stellvertretender Vorsitzender)<br />
Professor em. Dr. Klaus J. Bade, ehemals Institut <strong>für</strong> Migrationsforschung<br />
und Interkulturelle Stu<strong>die</strong>n, Universität Osnabrück<br />
Professor Dr. Horst Bredekamp, Seminar <strong>für</strong> Kunstgeschichte der Humboldt-<br />
Universität zu Berlin und <strong>Wissenschaft</strong>skolleg zu Berlin<br />
Professor Dr. Martin Hellwig, Max-Planck-Institut zur Erforschung von<br />
Gemeinschaftsgütern, Bonn<br />
Professorin em. Dr. Brigitte Jockusch, ehemals Zoologisches Institut,<br />
Technische Universität Braunschweig<br />
Professorin Dr. Katharina Kohse-Höinghaus, Lehrstuhl <strong>für</strong> Physikalische<br />
Chemie, Universität Bielefeld<br />
Professor Dr.-Ing. Wolfgang Kowalsky, Institut <strong>für</strong> Hochfrequenztechnik,<br />
Technische Universität Braunschweig<br />
Professor Dr. Gerd Litfin, LINOS Aktiengesellschaft, Göttingen<br />
Dr. Horst Neumann, Volkswagen AG, Wolfsburg<br />
Michael Sommer, Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes,<br />
Berlin<br />
Professorin Dr. Ursula M. Staudinger, Founding Dean des Jacobs Center on<br />
Lifelong Learning and Institutional Development, Jacobs University Bremen<br />
Professorin Dr. Waltraud Wende, Lehrstuhl <strong>für</strong> Literatur und Kultur der<br />
deutschsprachigen Gebiete, Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande
Ihre Ansprechpartner <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderinitiativen<br />
Natur- und Ingenieurwissenschaften, Medizin<br />
Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Förderinitiativen<br />
• Neue konzeptionelle Ansätze zur Modellierung<br />
und Simulation komplexer Systeme<br />
Fachgebiet: Physik<br />
• Integration molekularer Komponenten in funktionale<br />
makroskopische Systeme<br />
• Niedersächsisches Vorab (Abt. I)<br />
Fachgebiete: Ingenieurwissenschaften, Mathematik<br />
• Lichtenberg-Professuren<br />
• Hochschule der Zukunft<br />
Fachgebiete: Chemie, Biochemie<br />
• Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative Forschungsvorhaben<br />
im sub-saharischen Afrika (Abt. I)<br />
• Symposien und Sommerschulen (Grundsatzfragen)<br />
Fachgebiete: Geowissenschaften, Umweltwissenschaften (Abt. I)<br />
• Evolutionsbiologie<br />
• European Platform for Life Sciences, Mind Sciences,<br />
and the Humanities (Abt. I)<br />
• <strong>Wissenschaft</strong> – Öffentlichkeit – Gesellschaft (Abt. I)<br />
Fachgebiete: Biomedizin, Neurowissenschaften<br />
• Zwischen Europa und Orient –<br />
Mittelasien/Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong> (Abt. I)<br />
• Forschung in Museen (Abt. I)<br />
Fachgebiete: Pflanzenbiologie, Zoologie<br />
Stand: Januar <strong>2010</strong><br />
Dr. Indra Willms-Hoff /-285<br />
Assistenz: Sylvia Vogler /-286<br />
Dr. Ulrike Bischler /-350<br />
Assistenz: Jennifer Wundenberg /-248<br />
Dr. Franz Dettenwanger /-217<br />
Assistenz: Petra Akrami /-372<br />
Dr. Anja Fließ /-374<br />
Assistenz: Regina Buch /-388<br />
Dr. Detlef Hanne /-389<br />
Assistenz: Stefanie Karguth /-227<br />
Dr. Henrike Hartmann /-376<br />
Assistenz: Meike Brauer /-375<br />
Dr. Matthias Nöllenburg /-290<br />
Assistenz: Daniela Basse /-291<br />
Telefon 05 11/83 81-0
Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Niedersächsisches Vorab<br />
Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Förderinitiativen<br />
• Deutsch plus – <strong>Wissenschaft</strong> ist mehrsprachig<br />
Thomas Brunotte, M. Phil. /-297<br />
• <strong>Wissenschaft</strong> – Öffentlichkeit – Gesellschaft (Abt. II)<br />
Assistenz: Silvia Birck /-246<br />
• European Platform for Life Sciences, Mind Sciences, and the Humanities (Abt. II)<br />
Fachgebiete: Philosophie, Psychologie, Theologie<br />
• Schumpeter-Fellowships<br />
Prof. Dr. Hagen Hof /-256<br />
• Niedersächsisches Vorab (Abt. II)<br />
Assistenz: Simone Künnecke /-255<br />
Marion Brunk /-226<br />
Fachgebiete: Rechtswissenschaften, Pädagogik,<br />
Umweltwissenschaften (Abt. II), Soziologie, Architektur, Städtebau, Landesplanung<br />
• Zwischen Europa und Orient –<br />
Mittelasien/Kaukasus im Fokus der <strong>Wissenschaft</strong> (Abt. II)<br />
Fachgebiet: Geschichte, Geografie<br />
• Zukunftsfragen der Gesellschaft – Analyse, Beratung<br />
und Kommunikation zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und Praxis<br />
Fachgebiete: Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaften,<br />
Forst- und Agrarwissenschaften<br />
• Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften – Programm zur<br />
Förderung fachübergreifender und internationaler Zusammenarbeit<br />
• Dokumentation bedrohter Sprachen<br />
• Pro Geisteswissenschaften<br />
Fachgebiete: Europäische Sprachen und Literaturen, Kunst- und<br />
Musik wissenschaft, Kommunikations- und Me<strong>die</strong>nwissenschaften<br />
• Forschung in Museen (Abt. II)<br />
• Wissen <strong>für</strong> morgen – Kooperative Forschungsvorhaben<br />
im sub-saharischen Afrika (Abt. II)<br />
• Fellowships <strong>für</strong> Postdoktoranden und -doktorandinnen aus den<br />
Geisteswissenschaften am Humanities Center der Harvard University<br />
Fachgebiete: Völkerkunde, Volkskunde,<br />
Alte und außereuropäische Sprachen und Kulturen<br />
Stand: Januar <strong>2010</strong><br />
Prof. Dr. Axel Horstmann /-214<br />
Assistenz: Monika Nesper /-224<br />
Dr. Wolfgang Levermann /-212<br />
Assistenz: Susanne Klinge /-384<br />
Dr. Alfred Schmidt /-237<br />
Assistenz: Katja Hawner /-208<br />
Christine Schmiedeskamp /-236<br />
Dr. Vera Szöllösi-Brenig /-218<br />
Assistenz: Kerstin Krüger /-232<br />
Marion Brunk /-226<br />
Dr. Adelheid Wessler /-276<br />
Assistenz: Ute Steinert /-341<br />
Marion Brunk /-226
Ihre Ansprechpartner in der Geschäftsstelle<br />
Generalsekretär<br />
Büro des Generalsekretärs<br />
• Referentin des Generalsekretärs,<br />
Kuratoriumsangelegenheiten, Zusammenarbeit<br />
mit <strong>Wissenschaft</strong>sorganisationen und Hochschulen<br />
• Rechtsangelegenheiten,<br />
Zusammenarbeit mit Stiftungen und Verbänden<br />
Evaluation, Interne Revision, Verwendungsprüfung<br />
Veranstaltungsmanagement<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
• Standardpublikationen<br />
Finanzen und Verwaltung<br />
Mitglied der Geschäftsleitung Henning Otto /-219<br />
Assistenz: Sybille Laas /-229<br />
Verantwortungsbereich<br />
• Finanz- und Rechnungswesen, Controlling Sibylle Mitscherling /-269<br />
Assistenz: Gabriele Darge /-268<br />
• Personalwesen und Zentrale Dienste Christina Fallnacker /-220<br />
Assistenz: Claudia Kruse /-371<br />
• Informations- und Kommunikationssysteme Michael Maaß /-366<br />
Vermögensverwaltung<br />
Mitglied der Geschäftsleitung Dieter Lehmann /-351<br />
Assistenz: Marion Peiß /-352<br />
Verantwortungsbereich<br />
• Aktien Carolin Bensch /-354<br />
• Verzinsliche Wertpapiere, Cashmanagement Dr. Andreas Bodemer /-239<br />
• Immobilien Dr. Martina Pörschke /-365<br />
Stand: Januar <strong>2010</strong><br />
Telefon 05 11/83 81-0<br />
Dr. Wilhelm Krull /-215<br />
Assistenz: Annemarie Batschko-Rühmann /-225<br />
Claudia Behrens /-225<br />
Antje Robrecht /-211<br />
Assistenz: Susanne Grabner /-221<br />
Anja Stanitzke /-240<br />
Assistenz: Susanne Grabner /-221<br />
Dr. Uta Saß /-331<br />
Assistenz: Margot Jädick-Jäckel /-206<br />
Sabine Zimmerling /-205<br />
Katja Ebeling /-284<br />
Assistenz: Bettina Seeliger /-200<br />
Jens Rehländer /-380 (ab 01.04.<strong>2010</strong>)<br />
Assistenz: Birgit Rosengart-Kamburis /-381<br />
Dr. Christian Jung /-210
Wir stiften Wissen<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Kastanienallee 35<br />
30519 Hannover<br />
Telefon 05 11/83 81-0<br />
Telefax 05 11/83 81-344<br />
mail@volkswagenstiftung.de<br />
www.volkswagenstiftung.de