Verfassungsschutzbericht 2011 (PDF, 6 MB, barrierefrei) - des ...
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RECHTSEXTREMISMUS Verbot dienten nur dazu, die vermeintlichen Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den NSUKomplex in den Hintergrund treten zu lassen. In der neonazistischen und subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene gibt es indes auch durchaus Zeichen der Zustimmung bzw. der unterschwelligen Freude über die Mordtaten. Bereits kurz nach der Tat wurden in der Szene TShirts mit dem Aufdruck „Killerdöner nach Thüringer Art“ angeboten. Zudem wurde die in den Videos des NSU benutzte Comicfigur Paulchen Panther auf Internetplattformen des rechtsextremistischen Spektrums gezielt als Symbol genutzt. Auf der Website der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) war der rosarote Panther beispielsweise einige Tage zusammen mit dem Slogan „Zwickau Rulez“ zu sehen. Auf verschiedenen rechtsextremistischen Konzerten wurden Parolen der Zustimmung zum NSU skandiert. In einem Kommentar im neonazistischen „ThiaziForum“ werden die Taten des NSU gar als „Selbstopferung“ für eine gute Sache heroisiert: „Der typische Döner-Verkäufer um die Ecke stellt sich wie ein Fußsoldat des türkischen Staates dar und auch als Einfallstor für weiteren Nachzug. (…) Böhnhardt und Mundlos mögen aus Sicht der Türkei feige Mord-Terroristen sein, aus der Sicht nationalistischer Weltanschauung haben sie sich für ein freies Deutschland geopfert.“ („Thiazi-Forum“, 29. November 2011) Entstehung und Existenz des NSU sind – aus heutiger Sicht und unter Berücksichtigung des derzeitigen Erkenntnisstandes – im Kontext der Entwicklung des Rechtsextremismus in den 1990er Jahren zu werten. In dieser Zeit ist der Rechtsextremismus jünger, aktionistischer und militanter geworden, ein Befund, der bis in die Gegenwart trägt. Die Zahl der Gewalttaten stieg hierbei rapide an. Brandanschläge wie der in Solingen oder die Ausschreitungen eines fremdenfeindlichen Mobs in RostockLichtenhagen stehen beispielhaft für eine Serie rassistisch motivierter, gewaltsamer Übergriffe. Bewertung 63
64 RECHTSEXTREMISMUS Zugleich kursierten im rechtsextremistischen Spektrum Texte, die zum bewaffneten Kampf aufrufen. Verbreitet und diskutiert wurden beispielsweise der von William Pierce (unter Pseudonym) in den „Turner Diaries“ propagierte Rassenkrieg und das von Louis Beam entworfene Konzept des „leaderless resistance“, welches autonome terroristische Aktionen voneinander unabhängiger Zellen vorsieht. In Schriften des neonazistischen Netzwerks „Blood & Honour“ (in Deutschland im Jahr 2000 durch den Bundesminister des Innern verboten) wurden diese Ideen aufgenommen bzw. ähnliche Überlegungen angestellt und weiterverbreitet. Unabhängig davon, ob die Mitglieder des NSU derartige Strategiepapiere bei ihren Taten als konkrete Handlungsleitlinien verwendeten, erscheint ihre Prägung durch derartige Schriften und das oben beschriebene Milieu des gewaltbereiten Rechtsextremismus der 1990er Jahre aufgrund ihres Vorlaufs naheliegend. In jedem Fall ist die radikale Fremdenfeindlichkeit der Szene als ideologische Basis der Terrorzelle anzusehen. So rechtfertigte auch der NSU seine Morde mit dem „Erhalt der deutschen Nation“. Ausgehend von einer Ideologie der Ungleichheit und einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit erfahren Personen „undeutscher Herkunft“ eine Abwertung und Entmenschlichung. Dies ist der Nährboden für fremdenfeindliche Gewalt. Terrorismus – der mittels schwerer Straftaten an Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen geführte „bewaffnete Kampf“ für politische Ziele – kann auch als Kommunikationsstrategie verstanden werden. Er zielt einerseits darauf, Unsicherheit, Angst und Schrecken zu verbreiten. Andererseits sollen Sympathie und Unterstützung im eigenen Lager erzeugt werden. Hierzu verfassten die Mitglieder des NSU entsprechende Tatbekennungen, die aber aus bislang unbekannten Gründen erst Ende 2011 öffentlich verbreitet wurden. Die Taten des NSU sind als solche geeignet, diese doppelte Kommunikationswirkung zu entfalten. Sie erzeugen Unsicherheit und Angst bei Migranten und können in der rechtsextremistischen Szene mit – teilweise allerdings unausge sprochener – Sympathie rechnen. Da Fremdenfeindlichkeit ein wesentliches Grundelement des Rechtsextremismus ist, sind Nachahmungstaten denkbar. Der unvermittelte Angriff auf Menschen, die dem Feindbild der rechtsextremistischen Szene entsprechen, könnte von potenziellen
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Zugleich kursierten im rechtsextremistischen Spektrum Texte,<br />
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wurden beispielsweise der von William Pierce (unter Pseudonym)<br />
in den „Turner Diaries“ propagierte Rassenkrieg und das von<br />
Louis Beam entworfene Konzept <strong>des</strong> „leaderless resistance“, welches<br />
autonome terroristische Aktionen voneinander unabhängiger<br />
Zellen vorsieht. In Schriften <strong>des</strong> neonazistischen Netzwerks<br />
„Blood & Honour“ (in Deutschland im Jahr 2000 durch den Bun<strong>des</strong>minister<br />
<strong>des</strong> Innern verboten) wurden diese Ideen aufgenommen<br />
bzw. ähnliche Überlegungen angestellt und weiterverbreitet.<br />
Unabhängig davon, ob die Mitglieder <strong>des</strong> NSU derartige Strategiepapiere<br />
bei ihren Taten als konkrete Handlungsleitlinien verwendeten,<br />
erscheint ihre Prägung durch derartige Schriften und das<br />
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der 1990er Jahre aufgrund ihres Vorlaufs naheliegend. In jedem<br />
Fall ist die radikale Fremdenfeindlichkeit der Szene als ideologische<br />
Basis der Terrorzelle anzusehen. So rechtfertigte auch der<br />
NSU seine Morde mit dem „Erhalt der deutschen Nation“. Ausgehend<br />
von einer Ideologie der Ungleichheit und einer Überbewertung<br />
ethnischer Zugehörigkeit erfahren Personen „undeutscher<br />
Herkunft“ eine Abwertung und Entmenschlichung. Dies ist der<br />
Nährboden für fremdenfeindliche Gewalt.<br />
Terrorismus – der mittels schwerer Straftaten an Leib, Leben<br />
und Eigentum anderer Menschen geführte „bewaffnete Kampf“<br />
für politische Ziele – kann auch als Kommunikationsstrategie<br />
verstanden werden. Er zielt einerseits darauf, Unsicherheit, Angst<br />
und Schrecken zu verbreiten. Andererseits sollen Sympathie und<br />
Unterstützung im eigenen Lager erzeugt werden. Hierzu verfassten<br />
die Mitglieder <strong>des</strong> NSU entsprechende Tatbekennungen, die<br />
aber aus bislang unbekannten Gründen erst Ende <strong>2011</strong> öffentlich<br />
verbreitet wurden. Die Taten <strong>des</strong> NSU sind als solche geeignet,<br />
diese doppelte Kommunikationswirkung zu entfalten. Sie erzeugen<br />
Unsicherheit und Angst bei Migranten und können in der<br />
rechtsextremistischen Szene mit – teilweise allerdings unausge<br />
sprochener – Sympathie rechnen.<br />
Da Fremdenfeindlichkeit ein wesentliches Grundelement <strong>des</strong><br />
Rechtsextremismus ist, sind Nachahmungstaten denkbar. Der<br />
unvermittelte Angriff auf Menschen, die dem Feindbild der rechtsextremistischen<br />
Szene entsprechen, könnte von potenziellen