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LAND BRANDENBURG Ministerium des Innern Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2007 Ein Handbuch
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- Seite 48 und 49: Verfassungsschutzbericht Land Brand
- Seite 50 und 51: Verfassungsschutzbericht Land Brand
LAND<br />
BRANDENBURG<br />
Ministerium des Innern<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht<br />
<strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Ein Handbuch
Mit dem vorliegenden Jahresbericht 2007 unterrichtet die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
des Landes <strong>Brandenburg</strong> in Erfüllung ihres gesetzlichen<br />
Auftrages die Öffentlichkeit.
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
2007 <strong>Verfassungsschutz</strong>bericht<br />
Land <strong>Brandenburg</strong>
Erreichbarkeit des <strong>Brandenburg</strong>ischen<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>es<br />
Postanschrift:<br />
Ministerium des Innern des Landes <strong>Brandenburg</strong>,<br />
Abteilung <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
Henning-von-Tresckow-Straße 9 - 13<br />
14467 Potsdam<br />
Internet:<br />
www.verfassungsschutz.brandenburg.de<br />
Telefon:<br />
0331- 866 2500<br />
Fax:<br />
0331 - 866 2609<br />
E-Mail:<br />
info@verfassungsschutz-brandenburg.de<br />
Herausgeber: Ministerium des Innern des Landes <strong>Brandenburg</strong><br />
Referat V/2<br />
2. Aufl age: 3.000<br />
Herstellung: Landesvermessung und Geobasisinformation<br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
Den Text fi nden Sie im Internet unter<br />
www.verfassungsschutz.brandenburg.de<br />
1. März 2008<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Vorwort<br />
Liebe Bürgerinnen und Bürger,<br />
unsere Demokratie ist tagtäglich mit Leben und<br />
Teilhabe erfüllt. So behauptet sich die Freiheit<br />
gegen ihre Feinde. Als bestmögliche Form des<br />
Zusammenlebens von Menschen in Recht und<br />
Freiheit ist Demokratie aber immer verwundbar.<br />
Deshalb geht Demokratie alle an.<br />
In den letzten Jahren haben die Menschen in<br />
<strong>Brandenburg</strong> an vielen Orten erfolgreich bewiesen, dass sie extremistische<br />
Erscheinungen nicht einfach hinnehmen, sondern handeln. Und<br />
deshalb ist unser Land bei der Bekämpfung des Extremismus ein gutes<br />
Stück vorangekommen. Wir verfügen heute über eine starke Zivilgesellschaft,<br />
gute Präventionsprogramme und konsequente Repressionsinstrumente.<br />
So ist es vorerst gelungen, den Soldatenfriedhof in Halbe<br />
vor rechtsextremistischen Aufmärschen am Volkstrauertag zu schützen.<br />
Ebenso konnte durch engagierten Bürgereinsatz die dauerhafte<br />
Ansiedlung eines rechtsextremistischen NPD-Schulungszentrums in<br />
Rauen verhindert werden. An vielen Orten, an denen Rechtsextremisten<br />
Aufmärsche planen, kommen Bürger zusammen und setzen<br />
wichtige Zeichen gegen Hass, Gewalt und Extremismus.<br />
Extremismus gefährdet den Wirtschaftsstandort <strong>Brandenburg</strong> und damit<br />
die Entwicklung unseres Landes. Menschen wollen Sicherheit. Unternehmer<br />
wollen das auch. Und viele unserer Unternehmen sind in der<br />
für unser Land wichtigen Tourismusbranche tätig. Dort jedoch, wo Extremismus<br />
steigt, bleiben Touristen und Unternehmer weg. Umso wichtiger<br />
sind die vielen erfolgreichen Maßnahmen, mit denen <strong>Brandenburg</strong><br />
den Extremismus seit Ende der 90er Jahre bekämpft. Hierbei hat der<br />
brandenburgische Hotel- und Gaststättenverband ein wichtiges Zeichen<br />
gesetzt. Bekannte Extremisten werden nicht mehr beherbergt.<br />
Unsere Erfolge spiegeln sich mittlerweile in Veröffentlichungen über<br />
<strong>Brandenburg</strong> wieder. So kommentierte ein führendes deutsches<br />
Presseorgan: „Wenn ein NPD-Funktionär ein Schulungsheim einrichten<br />
will, dann regt sich sofort Widerstand. Das ... ‚Heldengedenken’
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
zum Volkstrauertag in Halbe fi el … aus. (...) So etwas macht Mut.“<br />
Ausdrücklich werden die Arbeit der Polizei und die Rolle des <strong>Verfassungsschutz</strong>es,<br />
welche er in der „vorbeugenden Aufklärung von Jugendlichen<br />
und Erwachsenen“ spielt, gelobt. Daran und an anderen<br />
Beispielen ist zu erkennen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Unser<br />
polizeilicher Maßnahmen-Mix aus Prävention und Repression, fl ankiert<br />
von zügig urteilender Justiz sowie aktiver Aufklärungsarbeit durch den<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong> und das Tolerante <strong>Brandenburg</strong>, muss konsequent<br />
fortgesetzt werden. Denn der Rechtsextremismus ist in <strong>Brandenburg</strong><br />
nach wie vor das zentrale Problem im Bereich Extremismus und damit<br />
verbundener Kriminalität. Die Gefahr, die besonders für junge Menschen<br />
von ihm ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Unsere Anstrengungen<br />
bleiben daher auf hohem Niveau.<br />
Im Jahr 2007 ist das rechtsextremistische gewaltbereite Spektrum um<br />
50 Personen auf 500 gesunken. Mit einem Rückgang rechtsextremistischer<br />
Gewaltkriminalität ist dies jedoch nicht verbunden. Leicht rückläufi<br />
g ist dagegen das Potenzial organisierter und unorganisierter Neonazis<br />
mit 240 (2006: 270). Mitgliederverluste kennzeichnen ebenso die<br />
DVU. In <strong>Brandenburg</strong> konnte 2007 nur eine rechtsextremistische Gruppierung<br />
leichte Mitgliederzuwächse verbuchen: die NPD. Beide verfassungsfeindlichen<br />
Parteien liegen nun mit jeweils etwa 250 Mitgliedern<br />
gleichauf. Erwartet wird, dass die NPD in <strong>Brandenburg</strong> versucht, die<br />
DVU zu verdrängen. Im Gegensatz zur kaum in Erscheinung tretenden<br />
DVU sucht die NPD die Öffentlichkeit. Für die Zivilgesellschaft liegt darin<br />
eine Chance: Sie kann die rechtsextremistische NPD stellen und die<br />
Auseinandersetzung konsequent führen. Der <strong>Verfassungsschutz</strong> wird<br />
die Zivilgesellschaft hierbei seinem gesetzlichen Auftrag gemäß aktiv<br />
unterstützen.<br />
2007 hat sich der Linksextremismus verstärkt bemerkbar gemacht.<br />
Die „militante gruppe“ (mg), eine kriminelle Vereinigung gewaltbereiter<br />
Linksextremisten, verübte erneut Brandanschläge. Mitläufer und Sympathisanten<br />
taten es ihr gleich. Die gewaltsamen Ausschreitungen am<br />
Rande des G8-Gipfels in Rostock haben ein hohes Gewaltpotenzial bei<br />
Linksextremisten sichtbar werden lassen. Ein Forschungsteam der Universität<br />
Bielefeld förderte bei einer Befragung unter 15 bis 25-jährigen<br />
Teilnehmern der G8-Proteste in Mecklenburg-Vorpommern Besorgnis<br />
erregende Resultate zu Tage: 10 Prozent der Befragten betrachten
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Steinewerfen, 13,5 Prozent Angriffe auf die Polizei und 27,1 Prozent<br />
das Verwüsten von Firmeneigentum als begrüßenswerte Formen des<br />
politischen Protests. Zivilgesellschaft und Rechtsstaat sind hier gefordert.<br />
Gewaltbereiten und gewaltbilligenden Linksextremisten muss unmissverständlich<br />
das Unrecht ihres Handelns aufgezeigt werden. Wer<br />
zum Mittel der Gewalt greift oder dies befürwortet, ist ein Gegner der<br />
Freiheit.<br />
Verheerend hätten sich Anschläge von islamistischen Extremisten in<br />
Deutschland auswirken können, wenn sie nicht von den Sicherheitsbehörden<br />
im September 2007 verhindert worden wären. Die engmaschige<br />
und gute Zusammenarbeit zwischen Polizei, <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
und befreundeten Nachrichtendiensten führte zur Vereitlung der Taten.<br />
Drei Terrorverdächtige wurden festgenommen. Offensichtlich wollte die<br />
extremistische Gruppe ein Blutbad anrichten. Andere Anschläge wären<br />
dabei in den Schatten gestellt worden. Ihre Sprengsätze wären um ein<br />
Vielfaches schlimmer als diejenigen gewesen, die bei den Londoner<br />
U-Bahn-Attentaten im Sommer 2005 zum Einsatz kamen. Bei den Anschlägen<br />
starben zahlreiche Menschen.<br />
Erfolge erzielen Nachrichtendienste nur dann, wenn sie im Geheimen<br />
arbeiten. In anderen Tätigkeitsfeldern tritt der <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
dagegen offen auf und folgt so seinem gesetzlichen Auftrag. Das ist<br />
die Aufklärung der Öffentlichkeit über Bestrebungen, die gegen die<br />
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Der <strong>Verfassungsschutz</strong>bericht,<br />
den Sie in den Händen halten, ist ein zentraler<br />
Teil dieser Aufklärungsarbeit für die Menschen, die unsere Verfassung<br />
wertschätzen und verteidigen wollen.<br />
Jörg Schönbohm<br />
Minister des Innern des Landes <strong>Brandenburg</strong><br />
Potsdam, 1. März 2008
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Liebe Bürgerinnen und Bürger,<br />
in einer freien Gesellschaft leben wir nach<br />
unserer Façon. Somit sind unsere Lebensentwürfe<br />
in unserer Demokratie sehr unterschiedlich;<br />
denn wir sind nur unseren Gesetzen unterworfen<br />
und den Werten verpfl ichtet, die wir<br />
ungeachtet von Religion und Kultur teilen und<br />
auf denen unser Allgemeinwohl beruht.<br />
Extremisten lehnen die Freiheit des Einzelnen und die damit untrennbar<br />
verbundene Demokratie ab. Sie benutzen allerdings den Freiheitsraum<br />
einer Demokratie, um gegen die Freiheit vorzugehen. Würden<br />
wir dem tatenlos zusehen, stünde am Ende eines solchen Prozesses<br />
ein rassistischer Führerstaat, eine kommunistische Diktatur oder ein<br />
islamistischer Gottesstaat.<br />
Eine selbstbewusste und für ihre Werte wehrhaft einstehende Demokratie<br />
muss solchen Bestrebungen aktiv entgegenwirken. „Wenn wir nicht<br />
bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der<br />
Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden<br />
und die Toleranz mit ihnen“, so der Philosoph Karl Popper.<br />
Häufi g tarnen sich Extremisten. Sie geben vor, gute Demokraten zu<br />
sein. Nicht selten bieten sie auf den ersten Blick harmlos daherkommende<br />
Veranstaltungen an. Fußballturniere, Kinder- und Volksfeste<br />
oder Liederabende zählen dazu. Sie laden zu fröhlichem Beisammensein<br />
und wollen als vermeintliche Träger eines „Volkswillens“ tätig werden.<br />
Geschädigt wird das demokratische Gemeinwesen von extremistischen<br />
Aktivitäten ganz unmittelbar und messbar. Beispielsweise hat<br />
der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern für sein Bundesland<br />
ermittelt, dass Rechtsextremismus der Tourismusindustrie Verluste<br />
von 100 Millionen Euro beibringen kann. Eine vergleichbare Situation<br />
in <strong>Brandenburg</strong> zu verhindern, ist Aufgabe aller Demokraten und des<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>es. Er beobachtet Bestrebungen, die sich gegen
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGo) richten. Zur fdGo<br />
zählen: Die Menschenrechte, das Recht des Volkes, die Volksvertretung<br />
frei zu wählen, die Bindung an Recht und Gesetz, Oppositionsfreiheit,<br />
die Ablösbarkeit der Regierung, die Unabhängigkeit der Gerichte<br />
und der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft.<br />
Seine Informationen gibt der <strong>Verfassungsschutz</strong> nicht nur an die Landesregierung<br />
sowie zuständige Stellen, sondern gerade auch an die<br />
Öffentlichkeit weiter. So entsteht eine wichtige Grundlage, Verfassungsfeinden<br />
wirksam entgegenzutreten. Die Gesetzmäßigkeit und<br />
besondere Aufgabe des <strong>Verfassungsschutz</strong>es, die Öffentlichkeit über<br />
verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterrichten, wurde erst kürzlich<br />
durch ein Urteil des Landesverfassungsgerichts Rheinland-Pfalz<br />
umfassend bestätigt.<br />
Mit dem Planspiel „Demokratie und Extremismus“, das der <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> anbietet, können Schülerinnen und Schüler<br />
lernen, wie Extremisten erkannt und ihre Parolen als hohl zurückgewiesen<br />
werden. Mit Vorträgen informieren Verfassungsschützer in Vereinen,<br />
Parteien und politischen Gremien über das Treiben derer, die die<br />
Demokratie beseitigen wollen. Informationsmaterialien, die sich auch<br />
von der Website des <strong>Verfassungsschutz</strong>es <strong>Brandenburg</strong> herunterladen<br />
lassen, vermitteln ein Bild der extremistischen Gefahren, aber auch die<br />
Wege, ihnen erfolgreich zu begegnen. „<strong>Verfassungsschutz</strong> durch Aufklärung“<br />
ist programmatischer wie gesetzlicher Bestandteil der <strong>Verfassungsschutz</strong>arbeit<br />
im Dienst der Freiheit und des Rechts.<br />
Winfriede Schreiber<br />
Leiterin der Abteilung <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
im Ministerium des Innern des Landes <strong>Brandenburg</strong><br />
Potsdam, 1. März 2008
Inhaltsverzeichnis<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Rechtsextremistische Parteien: NPD, DVU,<br />
der „Deutschland-Pakt“ und die Immobilien<br />
NPD: Mit rassistischen Parolen in den vorpolitischen Raum<br />
NPD in <strong>Brandenburg</strong>: Mit dünner Basis in die<br />
Kommunalwahl 2008<br />
„Junge Nationaldemokraten“ in <strong>Brandenburg</strong>:<br />
Mehr Schein als Sein<br />
NPD-Immobilienhandel als strategische Option<br />
für eine nahezu bankrotte Partei?<br />
Im Niedergang: Die rechtsextremistische DVU<br />
Wankender Extremisten-Pakt: NPD erhöht Druck<br />
auf DVU in <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausblick<br />
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Kameradschaften zwischen Verbot, Scheinaufl ösungen<br />
und Umorientierung<br />
„Heimattreue Deutsche Jugend e. V.“<br />
Neue Autonome: Neonazis kopieren linksextremistische<br />
Formationen<br />
Halbe und Seelow: Rechtsstaat und Zivilgesellschaft<br />
drängen Rechtsextremisten zurück<br />
Hassmusik in <strong>Brandenburg</strong>: Rechtsextremisten auf den<br />
Spuren des „schwarzen“ Blues<br />
Rechtsextremismus und Fußball-Hooligans<br />
Weitere Aktivitäten von Neonazis im Land <strong>Brandenburg</strong><br />
Beispiele rechtsextremistischer Gewalt<br />
Ausblick<br />
Militanz und Linksextremismus<br />
Terrorismus: Generalbundesanwaltschaft ermittelt gegen<br />
„militante gruppe“<br />
Autonome Antifa und Gewalt<br />
Seite<br />
9<br />
9<br />
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85<br />
91<br />
96<br />
101<br />
101<br />
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<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Transformationsprozesse: Militanter Öko-Aktivismus<br />
und G8-Proteste<br />
Ausblick<br />
Bedrohung der Freiheit durch Islamisten und<br />
religiös motivierten Terrorismus<br />
Islamismus und Konvertiten - Herausforderung für die<br />
Sicherheitsbehörden<br />
Islamismus in <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausblick<br />
Extremistische Online-Aktivitäten<br />
Die rechtsextremistischen „Freien Kräfte“ im Internet<br />
Für rechtsextremistische Parteien wächst die Bedeutung<br />
der Internetpräsenz<br />
Linksextremisten nutzen Internet im großen Stil<br />
Islamistische Medienproduzenten - ohne Internet geht<br />
nichts<br />
Moderne Industrie und Forschung brauchen Schutz<br />
Geheimschutz und Sicherheit<br />
Proliferation<br />
Forschung, Entwicklung und Zukunftstechnologien vor<br />
Spionage schützen<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong> durch Aufklärung<br />
Anhang<br />
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Personenpotenziale<br />
Extremistische Parteien und Gruppierungen<br />
Glossar<br />
Gesetzestexte<br />
Personen- und Organisationsverzeichnis<br />
111<br />
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125<br />
125<br />
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145<br />
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153<br />
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161<br />
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215<br />
247
Rechtsextremistische Parteien<br />
RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN:<br />
NPD, DVU, DER „DEUTSCHLAND-PAKT“<br />
UND DIE IMMOBILIEN<br />
NPD: Mit rassistischen Parolen<br />
in den vorpolitischen Raum<br />
Den politischen und organisatorischen Mittelpunkt des rechtsextremistischen<br />
Spektrums in Deutschland bildet derzeitig die „Nationaldemokratische<br />
Partei Deutschlands“ (NPD). Im Verlaufe des Jahres 2007 ist sie<br />
bundes- und landesweit zur mitgliederstärksten rechtsextremistischen<br />
Partei herangewachsen. Die „Deutsche Volksunion“ (DVU) und andere<br />
Vereinigungen haben inzwischen weniger Mitglieder.<br />
Den Wandel der NPD von einer bedeutungslosen Partei mit wenigen hundert<br />
Mitgliedern zur mitgliederstärksten rechtsextremistischen Partei in<br />
der Bundesrepublik Deutschland schreibt sich ihr Vorsitzender Udo Voigt<br />
zu. Er steht ihr seit 1996 vor, führte sie während des 2003 gescheiterten<br />
Parteiverbotsverfahrens, verordnete ihr seine von der NSDAP entlehnte<br />
„Vier-Säulen-Strategie“ (Kampf um die Straßen, die Köpfe, die Parlamente<br />
und den organisierten Willen) und organisierte 2005 ein Bündnis zwischen<br />
NPD, DVU und Neonazis.<br />
Von der NPD wird zunehmend das Bild des Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit<br />
bestimmt. In den 90er Jahren waren es meist marodierende<br />
Skinheads und deren Gewaltübergriffe gegen Fremde sowie politisch Andersdenkende,<br />
die den Rechtsextremismus verkörperten.<br />
Dagegen steht die Gesellschaft heute vor der Herausforderung, dass<br />
die sich zunehmend nazifi zierende NPD alles daran setzt, in den vorpolitischen<br />
Raum einzusickern, um dort ihr politisch-persönliches Kontaktfeld<br />
zu erweitern. Hierzu zählen beispielsweise Sportvereine, Krabbelgruppen<br />
und Bürgerinitiativen. Von dieser Basis aus strebt sie, so zeigen es die Erfahrungen<br />
in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, nach kommunalen<br />
sowie Landtagsmandaten. Diese nutzt sie wiederum, um ihre Strukturen<br />
zu festigen und weiter voranzutreiben.<br />
9
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Die NPD ist in zwei Landtagen vertreten: 2004 erhielt sie in Sachsen<br />
9,2 Prozent der Wählerstimmen und zog mit zwölf Abgeordneten in den<br />
Landtag. Dort greift innerhalb der NPD-Landtagsfraktion mittlerweile<br />
die Selbstzerstörung um sich. Der Ausstieg dreier Fraktionsmitglieder<br />
(Schmidt, Baier, Schön) im Dezember 2005 hat parteiinterne Spannungen<br />
zwischen ost- und westdeutschen Nationalisten ans Licht gebracht. Protest<br />
gegen die Dominanz westdeutscher NPD-Kader in der Fraktion war<br />
zentrales Motiv der Fraktionsaustritte. Wegen angeblicher fi nanzieller Unregelmäßigkeiten<br />
warf die sächsische NPD im November 2006 das Mitglied<br />
Menzel aus der Fraktion. Dieser hatte sich im Landtag offen zu Hitler<br />
bekannt. Noch im selben Monat stellte der Abgeordnete Paul sein Mandat<br />
zur Verfügung, weil die Staatsanwaltschaft Dresden ihn der Verbreitung,<br />
des Erwerbs und des Besitzes kinderpornografi scher Schriften beschuldigt.<br />
Dieser Rückschlag ist für die NPD, die „Todesstrafe für Kinderschänder“<br />
fordert, mit einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust verbunden. Zwar<br />
ist für Paul ein Nachrücker ins Parlament eingezogen, doch die sächsische<br />
Landtagsfraktion zählt nun nur noch acht Abgeordnete.<br />
2006 kam die Partei mit 7,3 Prozent auch in Mecklenburg-Vorpommern<br />
über die Fünfprozenthürde und stellt dort sechs Abgeordnete. Ansonsten<br />
kennzeichnete eine Serie von Misserfolgen das Wahljahr 2006: In Berlin<br />
verfehlte die NPD ihr Ziel mit nur 2,6 Prozent Stimmenanteil deutlich und<br />
zog nicht in das Abgeordnetenhaus ein. Jedoch ist sie in vier Bezirksverordnetenversammlungen<br />
vertreten (mit je drei Mandaten in Lichtenberg,<br />
Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick und mit zwei Mandaten in<br />
Neukölln). Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg erreichte die<br />
NPD 0,7 Prozent. In Rheinland-Pfalz scheiterte sie im gleichen Jahr mit<br />
nur 1,2 Prozent der Stimmen. Mit Niederlagen startete die NPD auch in<br />
das Jahr 2008. Bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen<br />
erhielt sie 0,9 beziehungsweise 1,5 Prozent, und kurz darauf wurde ihr<br />
Bundesschatzmeister festgenommen.<br />
10
Rechtsextremistische Parteien<br />
Kommunale Verankerung als Grundlage für den Einzug<br />
in Landesparlamente<br />
In Teilen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns zeigt sich seit einigen<br />
Jahren das Streben der NPD nach einer kommunalen Verankerung. Damit<br />
will sie Strukturen für die ersehnte „Machtübernahme“ etablieren. Programmatik,<br />
Auftreten und Verlautbarungen der NPD lassen den Schluss<br />
zu, dass diese „Machtübernahme“ in der Zerschlagung der freiheitlichen<br />
demokratischen Grundordnung enden soll. Auch wenn diese „Machtübernahme“<br />
nur ein Wunschtraum der NPD ist, gehen doch erhebliche Beeinträchtigungen<br />
für die politische Kultur davon aus. Denn überall, wo die<br />
NPD wenn auch nur marginale Erfolge erzielt, ist sie darauf aus, demokratische<br />
Verfahren zu torpedieren und zu blockieren.<br />
Häufi g wird berichtet, die NPD erziele mit eloquenten, bürgerlich erscheinenden<br />
und in ihrer Gemeinde verwurzelten Kandidaten ihre Wahlerfolge.<br />
Als Beispiele dienen immer ein Fahrlehrer und ein Arzt aus der Sächsischen<br />
Schweiz. Beide seien im vorpolitischen Raum verankert gewesen<br />
und hätten über ihr politisch-persönliches Kontaktfeld das NPD-Wahlergebnis<br />
ermöglicht.<br />
Derartige Attribute werden ebenso dem Juwelier Udo Pastörs, der sich in<br />
Mecklenburg-Vorpommern als pseudo-bürgerliches NPD-Aushängeschild<br />
präsentiert, nachgesagt. Solche Tendenzen sind nicht von der Hand zu<br />
weisen. Die NPD ist in der Tat um dieses Profi l bemüht, scheitert jedoch<br />
immer wieder bei der Suche nach Kandidaten dieser Prägung. Dem bürgerlichen<br />
Anstrich steht eine deutlich demokratiefeindliche Haltung entgegen.<br />
So forderte Pastörs am 3. März 2007 in Halbe vor Gesinnungsgenossen:<br />
„Lasst uns diese ganze verfaulte Republik unterwühlen.“<br />
Bislang kam die NPD nur dort zum Zuge, wo die zivilgesellschaftliche Gegenwehr<br />
zu schwach war. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der<br />
NPD-Strukturen in <strong>Brandenburg</strong> wider. Die zentrale Frage für 2008 lautet:<br />
Ist die NPD in <strong>Brandenburg</strong> personell, strategisch und materiell in der<br />
Lage, ihre hochgesteckten Ziele – fl ächendeckender Erfolg bei den Kommunalwahlen<br />
2008 in <strong>Brandenburg</strong> – zu verwirklichen? Dazu müsste sie,<br />
ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, ihre kommunalen<br />
Ansätze in <strong>Brandenburg</strong> verstärken und versuchen, von den Gefahren abzulenken,<br />
welche von ihr für die Demokratie und das Gemeinwesen ausgehen.<br />
Ein Wählerpotenzial scheint für die NPD aber bereits jetzt schon<br />
11
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
grundsätzlich vorhanden zu sein. Im Frühjahr 2008 bescheinigte ihr das<br />
Meinungsforschungsinstitut Emnid auf der Basis von 1.000 im Dezember<br />
2007 befragten Bürgern vier Prozent Stimmenanteil bei der Sonntagsfrage<br />
zur brandenburgischen Landtagswahl. Die DVU lag nur noch bei einem<br />
abgeschlagenen Prozentpunkt.<br />
Jüngstes Beispiel für vermeintliche Bürgernähe ist der Kreisverband Lausitz<br />
der NPD, der sich an eine Bürgerinitiative ankoppeln wollte. So bot<br />
man der Volksinitiative gegen den erweiterten Tagebau in der Lausitz öffentlich<br />
eine Kooperation an. Man sei auch gegen Tagebau, weil er „das<br />
Menschenrecht auf Heimat für viele Deutsche“ gefährde. Die Initiative ist<br />
selbstverständlich auf dieses Angebot nicht eingegangen. Aber nicht alle<br />
kommunalen Ansatzpunkte der NPD erfolgen so offen.<br />
Einher geht diese Entwicklung mit einer äußerlichen „Verbürgerlichung“<br />
der rechtsextremistischen Szene insgesamt. Jedoch orientieren sich<br />
Rechtsextremisten lediglich beim „Outfi t“ an gängigen Modetrends. Die<br />
Haltung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, welche die NPD<br />
bekämpft, bleibt unverändert. Ohne Umschweife demonstrierte Voigt in<br />
einem Interview mit der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ am 24. September<br />
2004 seine aggressiv-kämpferische Haltung:<br />
„Es ist unser Ziel, die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor<br />
15 Jahren die DDR abgewickelt hat. Dies geht offensichtlich auch über<br />
die Wahlurne.“<br />
Rassistische Parolen<br />
Was das bedeutet, kann man in der Novemberausgabe 2006 der NPD-<br />
Parteizeitung „Deutsche Stimme“ nachlesen. Die der NPD nahe stehende<br />
Autorin Angelika Willig schreibt hier:<br />
„Die sogenannten westlichen Werte sind überhaupt keine echten Werte,<br />
sondern von Anfang an und bereits in sich dekadent. (...) Um tatsächlich<br />
eine neue politische Arena zu eröffnen, ist eine historische<br />
Wende nötig. Weg vom ‚Menschen’ als oberstem Wert, aber nicht zurück<br />
zu Allah, sondern zu den Schätzen der Erde: Völker, Kulturen,<br />
Religionen, biologische Arten und Menschentypen. Die ‚individuelle<br />
Freiheit‘ oder ihr Versprechen hat schon vieles davon zerstört und<br />
kann alles zerstören. Deshalb müssen wir uns (...) gegen die eigenen<br />
12
Rechtsextremistische Parteien<br />
westlichen Werte wenden. (...) Der Feind ist nicht der Islam, dies ist<br />
höchstens eine böse Chimäre. Aber es gibt sehr wohl einen Feind: er<br />
steht im eigenen Lager und herrscht dort mit dem Anspruch für uns das<br />
Beste zu wollen: die Ermächtigung des Menschen über die Erde und<br />
die Einebnung der Kulturen.“<br />
Als Voraussetzung für die Entstehung „westlicher Werte“ macht die Autorin<br />
die technisch-industrielle Revolution und die daraus folgende Angleichung<br />
der Lebensverhältnisse der Menschen weltweit aus. Dem stellt sie ihr Bild<br />
von „biologischen Menschentypen“ entgegen, deren Kulturen nicht untereinander<br />
vermischbar seien. Eine solche biologistische Einstellung verneint<br />
grundsätzlich demokratische Werte und damit auch das Grundgesetz,<br />
welches der Würde, der Freiheit und der Gleichheit aller Menschen die<br />
oberste Priorität einräumt.<br />
Der Fanatismus eines auf „biologischen Menschentypen“ beruhenden Gesellschaftsbildes<br />
spiegelt sich am ehesten in einer rassisch homogenen,<br />
also autoritär-hierarchisch durchformten, germanischen Stammesgesellschaft,<br />
welche nach dem Führerprinzip organisiert ist. In solchem Weltbild<br />
fi ndet Demokratie keinen Platz.<br />
Biologistische Denkfragmente durchziehen auch andere NPD-Publikationen<br />
und damit deren geistige Grundhaltung sowie parteiinternen Diskurs.<br />
So heißt es in dem NPD-Material „Argumente für Kandidaten und Funktionsträger“,<br />
welches unter der presserechtlichen Verantwortung des brandenburgischen<br />
NPD-Landesvorsitzenden und Bundespressesprechers<br />
Klaus Beier entstanden ist:<br />
„Ein Afrikaner, Asiate, oder Orientale wird nie Deutscher werden können,<br />
weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD Passes) ja<br />
nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung<br />
körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen<br />
und Völkern verantwortlich sind. Angehörige anderer Rassen bleiben<br />
deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, gleich wie<br />
lange sie in Deutschland leben.“<br />
Hier wird ganz offen eingebürgerten Deutschen die Befähigung zum<br />
Deutschsein abgesprochen. Sie werden als fremdartig ent- und damit in<br />
jeder Hinsicht als ungleich herabgewertet. Selbiges gilt für diejenigen, welche<br />
die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben.<br />
13
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Grundlage hierfür ist ein rassistisch-verquastes, am Nationalsozialismus<br />
angelehntes Menschenbild, welches mit der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung unvereinbar ist. Hinzu kommt ein völlig willkürlicher Kulturbegriff<br />
der NPD wie er sich im „lebensrichtigen Menschenbild“ des NPD-<br />
Programms fi ndet. Die Partei sieht in Kultur den Ausdruck einer statischen,<br />
über kollektive Erbanlagen vorgeprägte Naturgesetzmäßigkeit.<br />
Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Klaus Beier,<br />
NPD-Landesvorsitzender in <strong>Brandenburg</strong> und NPD-Bundespressesprecher<br />
Solch biologistische Kultur formt dann angeblich ein Volk auf ewig. Und<br />
diese Formung gilt es mit allen Mitteln zu verteidigen. Grundrechte oder<br />
-werte, auf die sich Einzelne berufen können, sind bedeutungslos. Letztendlich<br />
bedeutet das „lebensrichtige Menschenbild“ der NPD nichts anderes<br />
als ‚Ausländer raus und den Rest bestimmen wir’. Insofern ist die<br />
NPD von einem rassistischen Extremismus mit willkürlich gewähltem<br />
Kulturbegriff beherrscht. Über diesen wird ständig das „Andersartige“ zum<br />
Zwecke der Ausgrenzung defi niert. Dies kann jederzeit jeden treffen.<br />
Nur in einem Punkt drängt die NPD in ihrem Parteiprogramm ausdrücklich<br />
auf eine „scheinbare“ Meinungsfreiheit: Bei der Revision und Relativierung<br />
der Geschichte des Nationalsozialismus. Man muss nicht viel Phantasie<br />
entwickeln, um sich vorzustellen, wie diese „Staatsdoktrin“ nach einer<br />
„Machtübernahme“ der NPD aussehen würde.<br />
14
Rechtsextremistische Parteien<br />
NPD in <strong>Brandenburg</strong>: Mit dünner Basis<br />
in die Kommunalwahl 2008<br />
Zur brandenburgischen Kommunalwahl 2003 trat die NPD nur für drei<br />
Kreistage an. In Frankfurt (Oder) und Fürstenwalde, wo sie noch 1998 ein<br />
bzw. zwei Mandate errungen hatte, kandidierte sie nicht mehr. Denn ihre<br />
Mandatsträger waren ihrer Aufgabe nicht gewachsen und über weite Strecken<br />
nicht anwesend. Jörg Hähnel ist nach Berlin gezogen und hat sich<br />
im Stadtparlament Frankfurt (Oder) nicht mehr blicken lassen. Auch in der<br />
jetzigen Legislaturperiode sind die Mandatsträger der NPD den Beweis<br />
ihrer kommunalpolitischen Tauglichkeit schuldig geblieben.<br />
Inzwischen verfügt die Partei im Kreistag Oberhavel über ein Mandat. Zwei<br />
weitere besetzt sie in Oder-Spree. Ihre Mandate im Kreistag Prignitz und<br />
im Gemeinderat von Wittstock hat die Partei durch den Wechsel ihres ehemaligen<br />
Landesvorsitzenden Mario Schulz und von Matthias Wirth zur neonazistischen<br />
„Bewegung Neue Ordnung“ (BNO) eingebüßt. Zur brandenburgischen<br />
Landtagswahl 2004 trat die NPD nicht an, weil sie aufgrund des<br />
„Deutschland-Paktes“ mit der DVU dieser den Vortritt ließ (siehe S. 43 ff.).<br />
Bei der Bundestagswahl 2005 stellte die NPD in <strong>Brandenburg</strong> fl ächendeckend<br />
in allen zehn Wahlkreisen Direktkandidaten auf. Die Partei konnte<br />
in <strong>Brandenburg</strong> 3,2 Prozent der Zweitstimmen erlangen und ihr Ergebnis<br />
im Vergleich zur Wahl 2002 um 1,7 Prozent steigern. Bundesweit kam die<br />
NPD auf 1,6 Prozent. Dennoch scheiterte die NPD mit ihrem Ziel, in ganz<br />
<strong>Brandenburg</strong> Fuß zu fassen. Die 2004er-Landtagswahlergebnisse der<br />
DVU verfehlte die NPD deutlich.<br />
Die NPD verfolgt mit all ihren Anstrengungen das Ziel, zur Kommunalwahl<br />
2008 nahezu fl ächendeckend anzutreten, um möglichst viele Mandate zu<br />
erlangen. Allerdings ist sie in <strong>Brandenburg</strong> zurzeit noch weit davon entfernt,<br />
Menschen, die bei den Bürgern Ansehen und Vertrauen genießen,<br />
für sich zu gewinnen.<br />
Sollte die NPD aber zumindest die DVU bei der Kommunalwahl überfl ügeln,<br />
ist damit zu rechnen, dass sie vor der 2009er Landtagswahl in <strong>Brandenburg</strong><br />
den „Deutschland-Pakt“ (siehe S. 47) beendet, um in die parlamentarischen<br />
Fußstapfen der DVU zu treten.<br />
15
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Strukturen der NPD in <strong>Brandenburg</strong><br />
Der Landesverband <strong>Brandenburg</strong> ist im April 2003 aus dem 1991 gegründeten<br />
Landesverband Berlin-<strong>Brandenburg</strong> hervorgegangen. Die Abspaltung<br />
der neonazistischen „Bewegung Neue Ordnung“ (BNO) warf die Partei<br />
2004 zunächst auf ein Mitgliederpotenzial von 130 Personen zurück.<br />
Jedoch brachte der Wahlerfolg der NPD in Sachsen 2004 der brandenburgischen<br />
NPD einen Mitgliederzuwachs. 2006 verfügte die Partei zusammen<br />
mit Mitgliedern der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“<br />
(JN) wieder über 230 Aktivisten, womit sie ihren alten Höchststand aus<br />
dem Jahr 2000 übertraf. Die leicht steigende Tendenz konnte die Partei<br />
2007 nur mit Hilfe der JN aufrechterhalten. Beide zusammen zählen in<br />
<strong>Brandenburg</strong> inzwischen 250 Mitglieder (nur NPD: 230). Im Bund zählt die<br />
NPD zurzeit über 7.000 Mitglieder. Den Eintritten stehen aber auch Austritte<br />
gegenüber, darunter selbst Kreisvorsitzende in <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Von der Schrumpfung der Neonazi-Szene profi tiert hat die JN. Erst Ende<br />
2006 wurde mit dem Wiederaufbau von JN-Strukturen in <strong>Brandenburg</strong><br />
begonnen. Nun zählt die Organisation rund 40 Personen, wobei jedoch<br />
nicht alle von der NPD als JN-Mitglieder angesehen werden. In Spremberg<br />
existiert seit Februar 2007 der Stützpunkt Spreewald. Die Stützpunkte in<br />
Oranienburg und im Oderland wurden im Juni 2007 von „Freien Kräften“<br />
aus dem Barnim und dem Landkreis Oberhavel gegründet (siehe S. 31).<br />
Die NPD hat inzwischen erkannt, dass sie für weibliche<br />
Wähler nicht zuletzt deshalb unattraktiv ist, weil<br />
sie zu wenige weibliche Mitglieder hat. Am 16. September<br />
2006 wurde deshalb erstmalig in Sachsen-<br />
Anhalt der „Ring Nationaler Frauen“ (RNF) als NPD-<br />
Frauenorganisation ins Leben gerufen.<br />
Ein regionaler Schwerpunkt in <strong>Brandenburg</strong> ist nicht<br />
bekannt. Der RNF verfügt in <strong>Brandenburg</strong> derzeit nur<br />
über Einzelmitglieder. RNF-Pressesprecherin ist die<br />
in <strong>Brandenburg</strong> lebende Berliner NPD-Funktionärin<br />
und Beisitzerin im Bundesvorstand Stella Palau. Eine<br />
wenig aktuelle Internetseite ist bereits vorhanden. Im<br />
Gästebuch diskutiert man die Anzahl der Rechtschreibfehler in den Web-<br />
Sites des RNF.<br />
16
Rechtsextremistische Parteien<br />
Geleitet wird der brandenburgische NPD-Landesverband von Klaus Beier.<br />
Er ist NPD-Bundespressesprecher und Beisitzer im NPD-Bundesvorstand.<br />
Seine Stellvertreter sind Detlef Appel und Thomas Salomon (beide<br />
aus Oberhavel). Letzterer ist auch Beisitzer im NPD-Bundesvorstand und<br />
Pressesprecher der Partei in <strong>Brandenburg</strong>. Beier übernahm den Vorsitz<br />
Anfang 2004, nachdem der bisherige Vorsitzende, Mario Schulz, samt seinem<br />
Kreisverband Prignitz-Ruppin die Partei verlassen und die neonazistische<br />
„Bewegung Neue Ordnung“ gegründet hatte.<br />
Der Landesvorsitzende Klaus Beier ist zurzeit Gegenstand eines strafrechtliches<br />
Vorgangs: Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte<br />
Knobloch, erstattete Anzeige gegen Klaus Beier und ein weiteres Bundesvorstandsmitglied<br />
der NPD, Peter Marx. Grund: Marx hatte in einer antisemitischen<br />
Internetveröffentlichung die Vorsitzende des Zentralrats unter<br />
der Überschrift „Frau Knobloch leidet offensichtlich unter Realitätsverlust“<br />
auch persönlich angegriffen. Beier hatte den Artikel mit seiner Unterschrift<br />
als Bundespressesprecher der NPD auf die Homepage der Partei gestellt.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> gliedert sich die NPD in die Kreisverbände Oberhavel mit<br />
etwa 40 Mitgliedern, Oderland mit etwa 70 Mitgliedern, Lausitz (der Kreisverband<br />
Spreewald nennt sich seit Januar 2008 Kreisverband Lausitz und<br />
umfasst nur noch die Landkreise Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz<br />
und Cottbus) mit etwa 30, Barnim-Uckermark mit etwa 20 und Havel-Nuthe<br />
mit etwa 50 Mitgliedern. Die Vorsitzenden sind Detlef Appel, Klaus Beier,<br />
Ronny Zasowk, Mike Sandow und Michel Müller.<br />
Der Kreisverband Barnim-Uckermark wurde Ende 2006 neu gegründet.<br />
Auch in den Landkreisen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin strebt die Partei<br />
die Neugründung eines Kreisverbandes an. Der Kreisverband Elbe-Elster<br />
befi ndet sich ebenfalls noch in Planung. Bislang werden die Mitglieder in<br />
Elbe-Elster vom sächsischen Kreisverband Riesa-Großenhain betreut.<br />
Denn der Kreisverband Lausitz konnte dies aufgrund der territorialen Ausmaße<br />
nicht leisten, was ein deutliches Zeichen für organisatorische Überdehnung<br />
und Mangel an geeignetem Personal ist.<br />
Besonders umtriebig ist der Kreisverband Oderland. Auch auf Ortsverbandsebene<br />
intensiviert die NPD ihre Bemühungen, den kommunalen Strukturaufbau<br />
voranzutreiben. Vorbild ist der Landesverband Sachsen, wo die<br />
NPD bereits fl ächendeckend vertreten ist. So genannte Ortsbereiche be-<br />
17
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
ziehungsweise Stadtverbände gibt es in Oranienburg, Hennigsdorf/Velten,<br />
Gransee/Zehdenick, Rathenow und Strausberg. Seit Anfang 2007 wurden<br />
in Frankfurt (Oder), Storkow, Königs Wusterhausen und Schöneiche weitere<br />
ins Leben gerufen beziehungsweise in Fürstenwalde wiederbelebt.<br />
Stützpunkte hat die NPD in Neuruppin, Beeskow und Eisenhüttenstadt eingesetzt.<br />
Die Bezeichnung Stützpunkt soll darüber hinwegtäuschen, dass<br />
es sich regelmäßig nur um wenige Aktivisten handelt. Nur im Kreisverband<br />
Oderland führten die Bemühungen der NPD zu einer gewissen lokalen Verknüpfung.<br />
Tatsächlich wurden nur bereits vorhandene Strukturen mit einem<br />
neuen Etikett versehen, um sich im Vorfeld der Kommunalwahlen besser<br />
präsentieren zu können. Einzig die Gründungen in Königs Wusterhausen,<br />
Neuruppin und Frankfurt (Oder) sind tatsächliche Neugründungen. Wobei<br />
der Stützpunkt in Neuruppin bisher kaum Aktivitäten entfaltete und die wenigen<br />
Aktivitäten des Ortsverbandes Frankfurt (Oder) seit Mai 2007 zum<br />
Erliegen gekommen sind. Insgesamt sind die neuen Strukturen personell<br />
kaum unterfüttert, teilweise kommen nicht einmal fünf Mitglieder zusammen.<br />
Regelmäßige Aktivitäten gehen von diesen Strukturen kaum aus.<br />
Publikationen<br />
2007 hat die brandenburgische NPD ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärkt. In<br />
zahlreichen Städten wurden Info-Stände initiiert. Sprachrohr des Landesverbandes<br />
sowie seines Berliner Pendants ist die quartalsmäßig erscheinende<br />
Publikation „Zündstoff“, die nur an Mitglieder verschickt wird. Zudem<br />
publiziert der Kreisverband Oderland seit Anfang 2006 die „Oderlandstimme“.<br />
In 2007 soll das Propagandablatt zwei Mal erschienen sein. Im Juni<br />
2007 folgte der Kreisverband Oberhavel mit der „Oberhavellandstimme“.<br />
Die Postille hat eine angebliche Aufl age von 20.000 Exemplaren.<br />
Die Ortsverbände Fürstenwalde, Storkow, Schöneiche und Königs Wusterhausen<br />
haben Flugblätter entworfen und verteilt, die aktuelle lokale Themen<br />
ansprechen. Seit Oktober vertreibt auch der Kreisverband Barnim-<br />
Uckermark eine Publikation mit dem Namen „Märkische Stimme“, die laut<br />
Internetseite des Kreisverbandes Barnim-Uckermark 30.000 Mal verteilt<br />
worden sein soll. Bemerkenswerter als die Publikation sind hier eher Zeit<br />
und Ort der Verteilung: Eine großangelegte Verteilaktion soll am 8. November<br />
2007 in der Nähe einer Gedenkveranstaltung an die Reichsprogromnacht<br />
im Bernauer Stadtzentrum begonnen haben (am 9. November 1938<br />
hatten Nationalsozialisten antisemitische Ausschreitungen sowie Plünde-<br />
18
Rechtsextremistische Parteien<br />
rungen organisiert und gesteuert). Sämtliche Publikationen sind im Internet<br />
abrufbar. Der Landesverband und die Kreisverbände sowie Ortsverbände<br />
Strausberg und Königs Wusterhausen sind im Internet vertreten, ebenso<br />
der RNF.<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Die NPD versucht, mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen den Eindruck<br />
eines sozialen und bürgernahen Engagements zu erwecken, um den<br />
Boden für ihre antisemitischen, rassistischen und demokratiefeindlichen<br />
Botschaften zu bereiten. Ein entsprechendes Engagement der Partei ist<br />
seit 2006 zu beobachten. Beim dem Frühjahrslauf 2006 in Fürstenwalde<br />
startete die NPD erstmalig mit einem eigenen Lauf-Team. In Storkow nahmen<br />
Mitglieder des Kreisverbandes Oderland im September 2006 an einer<br />
Radsternfahrt teil. Im Jahr 2007 trat man wiederholt zu diesem Anlass in<br />
die Pedale.<br />
Wichtiger als solche Präsenz bei öffentlichen Freizeitveranstaltungen war<br />
der Partei 2007 zumindest die verbale Unterstützung tatsächlich oder vermeintlich<br />
benachteiligter Bürger. Der Kreisverband Havel-Nuthe nutzte die<br />
Ängste von Grundstücksbesitzern in Blankenfelde und Mahlow vor Ansprüchen<br />
durch die Jewish Claims Conference, um mit einem Flugblatt „Steht<br />
die nächste Enteignung bevor?“ antisemitische Ressentiments zu schüren.<br />
Es wurde am 11. März 2007 in einer Aufl agenstärke von 5.000 Stück<br />
verteilt.<br />
In Storkow versuchte sich die NPD am 22. Juni 2007 bei Protesten gegen<br />
die Schließung einer Polstermöbelfabrik einzuklinken. Damit scheiterte sie<br />
jedoch an der Aufmerksamkeit der Veranstalter (unter anderem Gewerkschaften<br />
und Gemeinde). Denn Beiträge der NPD wurden nicht zugelassen.<br />
Der Ortsverband Königs Wusterhausen führte am 21. Juli 2007 eine<br />
Mahnwache durch, die sich gegen die angebliche Gefährdung der Einwohner<br />
im Bahnhofsareal richtete. Ein angeblicher Überfall auf eine junge<br />
Frau führte am 4. August 2007 zu einer Spontandemonstration von zehn<br />
NPD-Mitgliedern. Im Kontrast dazu wurde am 31. Juli 2007 ein Körperverletzungsverfahren<br />
gegen den Vorsitzenden des Ortsverbandes Königs<br />
Wusterhausen, Michael Thalheim, gegen Zahlung eines Schmerzensgeldes<br />
eingestellt. Er hatte während der rechtsextremistischen Demonstration<br />
am 11. März 2006 in Halbe eine Gegendemonstrantin mit Tritten<br />
verletzt.<br />
19
Demonstrationen<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
In der Regel werden die Aktionen der NPD von der Öffentlichkeit kaum<br />
wahrgenommen. Zumeist werden sie erst im Nachgang durch Berichte auf<br />
den Internetseiten der NPD oder Pressemitteilungen bekannt. Am 27. Januar<br />
demonstrierten etwa 250 NPD-Anhänger in Frankfurt (Oder) unter<br />
dem Motto „Deutschland ist abgeMERKELt! <strong>Brandenburg</strong> auch! Danke<br />
schönBOHM!“.<br />
Auch vom Protest gegen den G 8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 versuchte<br />
die NPD zu profi tieren. Wie andere Rechtsextremisten hat auch die<br />
NPD in der Vergangenheit ihre Ablehnung gegenüber Globalisierung und<br />
„globalisiertem Kapitalismus“ zum Ausdruck gebracht. Rechtsextremisten<br />
sehen durch die Globalisierung die deutsche Kultur bedroht, womit ein rassistisches<br />
Konstrukt gemeint ist, das nicht in der Wirklichkeit, wohl aber in<br />
den Köpfen der Rechtsextremisten existiert. Die Themen Globalisierung<br />
und G 8-Gipfel in Heiligendamm gehören zu den wenigen Bereichen, zu<br />
denen strukturübergreifend in der rechtsextremistischen Szene mobilisiert<br />
werden kann.<br />
Für den 2. Juni 2007 meldete der NPD-Bundesvorstand in Schwerin<br />
(Mecklenburg-Vorpommern) eine Demonstration an. Das Motto lautete:<br />
„Nein zum G 8-Gipfel – Für eine Welt freier Völker“. Die NPD rechnete<br />
mit 1.500 Teilnehmern in der Landeshauptstadt. Tatsächlich wurde der<br />
Aufmarsch verboten. Die Gerichte billigten diese Entscheidung. Die anreisenden<br />
Teilnehmer trafen sich daher zu spontanen Ersatzkundgebungen.<br />
Darunter waren auch brandenburgische Städte wie Wittenberge, <strong>Brandenburg</strong><br />
an der Havel, Oranienburg, Potsdam und Lübbenau. Verantwortlich<br />
für die Spontandemonstrationen zeichneten häufi g die Vertreter der neonazistischen<br />
„Freien Kräfte“.<br />
Auch bei der <strong>Brandenburg</strong>er NPD stand die Globalisierung seit Frühjahr<br />
2007 im Mittelpunkt. Man hoffte, damit ein bürgernahes Thema gefunden zu<br />
haben. Dementsprechend fanden ab April Infostände in Cottbus (14. April),<br />
Fürstenwalde/Spree (28. April), Templin (3. Mai), <strong>Brandenburg</strong> a. d. Havel<br />
(18. Mai), Pritzwalk (19. Mai), Frankfurt (Oder) (19. Mai), Eisenhüttenstadt<br />
(19. Mai) und Königs Wusterhausen (9. Juni) mit diesem Schwerpunkt<br />
statt, erzielten allerdings keine besondere Außenwirkung. Das hinderte die<br />
NPD nicht daran, ihre Aktivitäten im Internet als Erfolge zu feiern.<br />
20
Rechtsextremistische Parteien<br />
Ihre Veranstaltung am 16. Juni 2007 in Rathenow unter dem Motto: „G8<br />
Gipfel der Achtlosigkeit - Globalisierung stoppen!!!“ war die zweite „Großdemo“<br />
der brandenburgischen NPD in diesem Berichtsjahr. Udo Pastörs,<br />
Vorsitzender der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern,<br />
trat als Redner auf. Der Juwelier hielt eine hetzerische Rede vor<br />
etwa 250 Teilnehmern. Pastörs sagte unter anderem: „Wenn wir weiterleben<br />
wollen als Volk mit deutschem Antlitz“, sei Radikalität ein Muss, „sonst<br />
wird es in 50 Jahren hier auf diesem Platz vielleicht Hottentotten-Tänze<br />
geben, aber keine deutschen Frauen und Männer mehr.“<br />
Es sei ein „Naturrecht“ Deutscher zu sein, womit Pastörs die rassistische<br />
Weltsicht seiner Partei wieder einmal hervorhob.<br />
Am 28. Juli 2007 demonstrierten gut 280 Personen in Cottbus unter dem<br />
Motto „Sozial statt global! Heimat statt Globalisierung!“. Anmelder waren<br />
die NPD und Neonazis. Es sprachen unter anderem der Vorsitzende des<br />
NPD-Kreisverbandes Lausitz, Ronny Zasowk, und der Vorsitzende der JN<br />
Hoyerswerda, Sebastian Richter. Letzterer gilt als Bindeglied zwischen den<br />
Lausitzer neonazistischen „Freien Kräften“ und der NPD. Er war bereits am<br />
27. Januar 2007 bei einer NPD-Demonstration als Redner aufgetreten.<br />
In Königs Wusterhausen fand am 6. Oktober 2007 unter dem Motto: „Jugend<br />
braucht Perspektive“ die vierte Demonstration der NPD in diesem<br />
Jahr in <strong>Brandenburg</strong> statt. Anmelder war der Ortsverband Königs Wusterhausen.<br />
Die Teilnehmerzahl lag bei etwa 250 Personen. Obwohl sogar der<br />
NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt eine Rede hielt, blieb das Echo bei den<br />
Teilnehmern, darunter auch zahlreiche Personen aus Berlin, verhalten.<br />
Anzumerken ist, dass sämtliche Demonstrationen überwiegend durch<br />
Teilnehmer der so genannten „Freien Kräfte“ getragen wurden. Deren Mitglieder<br />
bekennen sich häufi g zum „nationalen Sozialismus“ und stammen<br />
in der Regel aus der Region Cottbus/Guben, Teltow, Königs Wusterhausen,<br />
vereinzelt aus Potsdam, Oberhavel, Berlin und Sachsen-Anhalt .<br />
21
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Agitations- und Propagandaaktionen<br />
Die NPD bezeichnet ihre Agitations- und Propagandaaktionen auch als<br />
„Wortergreifungsstrategie“. Sie versteht darunter das gezielte Auftreten<br />
von NPD-Mitgliedern bei Veranstaltungen Dritter. Dazu zählen demokratische<br />
Parteien, Verbände, Stiftungen, lokale Bürgerinitiativen, Kultur- und<br />
Sportereignisse sowie öffentliche Protestaktionen. Solche Auftritte von<br />
NPD-Aktivisten dienen dazu, Diskussionen zu sprengen und die NPD<br />
lautstark ins Gespräch zu bringen. „In der direkten Konfrontation mit dem<br />
politischen Gegner soll dieser nicht mehr in der Lage sein, über die Nationalisten,<br />
sondern nur noch mit ihnen zu diskutieren“, heißt es dazu in<br />
einem Grundsatzbeschluss der JN von 2006. In der Praxis greift die NPD<br />
zum Teil auf unkonventionelle Protestformen zurück, hält Demonstrationen<br />
und Mahnwachen ab, versucht Diskussionsveranstaltungen zu stören und<br />
schreibt offene Briefe.<br />
Die Aktionen der NPD zielen allein auf öffentliche Wirkung. Es geht ihr um<br />
sich selbst und um ihre Selbstdarstellung, angeblich eine völlig normale<br />
Partei zu sein. Tatsächliches Interesse an den Anliegen der Bürgerinitiativen<br />
oder Parteien besteht nicht. Die Störaktionen und gezielten Provokationen<br />
sollen vor allem bei den eigenen Anhängern Selbstbewusstsein<br />
und Stärke wecken und andere gleichzeitig einschüchtern. Die Partei nutzt<br />
die Medienpräsenz vor Ort, um ohne größeren fi nanziellen Aufwand die<br />
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu lenken. Die NPD folgt der<br />
Devise, dass es egal sei, ob gut oder schlecht über sie gesprochen werde.<br />
Hauptsache, es werde überhaupt über sie gesprochen. So gelingt es ihr<br />
auch, mangelnde eigene Kreativität und fehlende Initiativkraft zu überspielen.<br />
Auch wenn sich manche Aktion als Flop entpuppt, münzt sie die NPD im<br />
Nachgang auf ihren Seiten im Internet regelmäßig zu Erfolgen um. Seit<br />
Juli 2006 nutzt die NPD Parteitage demokratischer Parteien, um in der<br />
Öffentlichkeit mit Mahnwachen und Infoständen auf sich aufmerksam zu<br />
machen. Die größte Aufmerksamkeit erzielt sie insgesamt mit eigenen Demonstrationen,<br />
insbesondere dann, wenn es ihr gelingt, eine Berichterstattung<br />
in den Medien zu erhalten.<br />
Aber auch Diskussionsveranstaltungen sind ein bevorzugtes Ziel für Störungen<br />
oder Mahnwachen seitens der NPD.<br />
22
Rechtsextremistische Parteien<br />
Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Oderland versuchten am 17. Januar<br />
2007 eine Veranstaltung der Partei „Die Linkspartei.PDS“ in Bad Saarow<br />
zu stören. Sie wurden jedoch des Saales verwiesen.<br />
Am 24. April 2007 versuchten etwa zehn Mitglieder und Funktionäre aus<br />
Berlin und <strong>Brandenburg</strong> eine Vortragsveranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung<br />
in Oranienburg zum Thema „Wie gehen wir mit Vertretern der NPD in<br />
der Öffentlichkeit um?“ zu sprengen. Doch die Polizei erteilte ihnen einen<br />
Platzverweis.<br />
Am Rande des Landesparteitages der SPD, der am 30. Juni 2007 in<br />
Cottbus abgehalten wurde, errichteten etwa 30 NPD-Aktivisten einen<br />
Info-Stand unter dem Motto „Sozial statt Global“. Vorausgegangen waren<br />
Mahnwachen unter dem Motto „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“<br />
im Umfeld des Landesparteitages der SPD am 1. Juli 2006 in Fürstenwalde<br />
und „Lasst Multi-Kulti-Träume platzen!“ aus Anlass des Landesparteitages<br />
von „Bündnis 90/Die Grünen“ am 25. November 2006 in Halbe.<br />
Selbst Parteiveranstaltungen mit rein lokalem Charakter sind nicht mehr<br />
vor Störungen seitens der NPD sicher. Dies gilt insbesondere für Veranstaltungen<br />
demokratischer Parteien, die im Bereich des NPD-Kreisverbandes<br />
Oderland stattfi nden, denn dort hat die NPD ihre höchste Dichte an<br />
Ortsverbänden. Am 20. Juni 2007 wollten NPD-Vertreter eine Veranstaltung<br />
der SPD zum Thema NPD sprengen. Ihnen wurde der Zutritt versagt.<br />
Auch zu einer Mitgliederversammlung „Der Linken“ am 30. Juni 2007 im<br />
Friedensdorf Storkow mit anschließender Diskussion zum Thema Rechtsextremismus<br />
versuchte die NPD vergebens, sich Zutritt zu verschaffen.<br />
Ebenso missbraucht werden von der NPD Kulturveranstaltungen, um Aufmerksamkeit<br />
zu erzielen. Am 17. Juni 2007 fand das multikulturelle Festival<br />
„Cottbus Open“ statt. Vertreter der NPD hätten versucht, sich an einer<br />
Live-Diskussion zu beteiligen, seien aber von der Polizei daran gehindert<br />
worden, so die Behauptung der NPD im Internet.<br />
Mitglieder des NPD-Ortsverbandes Königs Wusterhausen meldeten kurzfristig<br />
- für den 1. Oktober 2007 - eine Veranstaltung unter den Motto „Wir<br />
lassen die Wähler entscheiden“ an. An dieser Veranstaltung nahmen etwa<br />
70 Personen aus Berlin und <strong>Brandenburg</strong> teil. Hintergrund war eine Veranstaltungsreihe<br />
des „Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus<br />
und Fremdenfeindlichkeit“ zum Thema Rechtsextremismus in <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Den NPD-Anhängern gelang es nicht, die Veranstaltung zu stören.<br />
23
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Auffällig an diesen Propagandaaktionen ist, dass brandenburgweit fast immer<br />
die gleichen sechs bis acht Personen – manchmal mit Anhang – als<br />
Störer auftreten. Von Massenprotesten der regionalen NPD-Basis gegen<br />
Veranstaltungen demokratischer Organisationen kann also nicht die Rede<br />
sein.<br />
Dass der Wortergreifungsstrategie auch ein erhebliches Moment der Einschüchterung<br />
innewohnt, belegen folgende Vorfälle: Die NPD lässt anwaltliche<br />
Schreiben fertigen, in denen die Betroffenen zum Unterzeichnen von<br />
Unterlassungserklärungen aufgefordert werden. So wurde der Oberbürgermeister<br />
von Frankfurt (Oder) im Januar 2007 aufgefordert, Gegenaktionen<br />
gegen eine NPD-Veranstaltung am 27. Januar zu unterlassen. Er<br />
wies diesen Einschüchterungsversuch zurück.<br />
Im Juli 2007 publizierte die NPD einen offenen Brief an den Bürgermeister<br />
von Schöneiche. Das Schreiben war in einem drohenden und beleidigenden<br />
Ton verfasst. Unterschrieben hat es das Bundesvorstandsmitglied<br />
Frank Schwerdt. Dem Bürgermeister wurden Nötigung und Amtsmissbrauch<br />
vorgeworfen und eigenes Denkvermögen abgesprochen, weil die<br />
Gemeinde der NPD keinen Saal für die Gründung des Ortsverbandes zur<br />
Verfügung gestellt hatte. Zudem hatte der Bürgermeister die Bewerbung<br />
des NPD-Ortsvorsitzenden für das Amt des ehrenamtlichen Koordinators<br />
gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und Gewalt zurückgewiesen.<br />
Schülerzeitungen<br />
Als neuestes Vehikel der Propaganda sollen der NPD in Berlin und <strong>Brandenburg</strong><br />
Schülerzeitungen dienen. Am 11. und 12. Oktober 2007 hat der<br />
Ortsverband Strausberg der NPD „seine“ Schülerzeitung „Brennessel“ im<br />
Berliner Umland in der S-Bahn verteilt. Dies war der erste Versuch, sich<br />
auf diese Weise eine jugendliche Leserschaft zu erschließen. Die Zeitung<br />
wirkte zwar wenig professionell, aber als Schülerzeitung durchaus authentisch.<br />
Die NPD wird auch hier als Partei dargestellt, die sich lediglich für die<br />
sozialen Interessen der Deutschen einsetzen wolle. Rassistische Propaganda<br />
wird eher unterschwellig betrieben. Die „Brennessel“ enthält auch<br />
Werbung für den NPD-eigenen Verlag „Deutsche Stimme“ und die rechtsextremistische<br />
„Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ).<br />
24
Rechtsextremistische Parteien<br />
Im Juli 2007 kündigte die NPD an, in <strong>Brandenburg</strong> zum Schulbeginn eine<br />
Schülerzeitung verteilen zu wollen. Die kam dann mit reichlich Verspätung<br />
erst Ende Oktober als gemeinsames Produkt der NPD-Landesverbände<br />
Berlin und <strong>Brandenburg</strong> unter dem Namen „Stachel – Schülerzeitung für<br />
Mitdenker“ an die Öffentlichkeit. Am 22. Oktober 2007 wurde sie nach<br />
Aussage der Partei vor Schulen und Busbahnhöfen unter anderem in<br />
Cottbus, Guben, Storkow (Mark), Nauen, Bernau, Biesenthal, Eberswalde,<br />
Schwedt/Oder und Prenzlau verteilt. Die Startaufl age soll laut NPD<br />
20.000 Stück betragen haben. Themen des Heftes waren Nationalismus,<br />
Drogen, Mädchen in der NPD, Schulschließungen und Bildung.<br />
Die Zeitung ist professionell aufgemacht, wirkt aber kaum wie eine Schülerzeitung<br />
von Schülern für Schüler. Es ist eher eine „oberlehrerhaft“<br />
daherkommende Parteizeitung. Die Artikel sind sehr bieder im Stile des<br />
üblichen NPD-Propagandamaterials. Fraglich ist ebenso, ob beispielsweise<br />
Hermann der Cherusker als Vorbild bei Jugendlichen wirklich Anklang<br />
fi ndet. Zum belehrenden Ton des „Stachel“ passen auch die markigen<br />
Formulierungen in Richtung des politischen Gegners. So sind Politiker<br />
„machtgeil“ und SPD-Mitglieder allesamt „Volksverderber“. Beim Thema<br />
Nationalismus wird der Rassismus der NPD verharmlost und als Vertretung<br />
deutscher Interessen bezeichnet.<br />
Einzig bei ihrem zentralen Thema einer vermeintlichen Überfremdung<br />
Deutschlands bleibt sich die Partei selbst treu und kommt zu eindeutigen<br />
Formulierungen. So wird ein Moscheebau in Berlin-Pankow wie folgt kommentiert:<br />
25
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
„Schon entsteht die erste Moschee im Osten der Stadt. Nicht nur die<br />
Menschen sind fremd, auch die Architektur und die Läden, kurz: das<br />
gesamte Leben. Diese Entwicklung geht mit einem Anstieg von Gewalt<br />
und Drogenkriminalität einher.“<br />
Hier wird Zuwanderung pauschal als bedrohlich und werden Zuwanderer<br />
als generell gewaltbereit dargestellt.<br />
Allerdings ist der NPD beim „Stachel“ ein erheblicher Fauxpas unterlaufen.<br />
Man vergaß die Namensrechte zu überprüfen. Das tat dann das Gericht<br />
und verfügte auf Antrag der Berliner Grünen eine einstweilige Verfügung.<br />
Denn die Grünen selbst besitzen die Rechte an diesem Zeitschriftentitel.<br />
Nun erscheint die NPD-Schülerzeitung unter dem Titel „titellose“ im Internet.<br />
Antisemitismus<br />
Neben fremdenfeindlichen Äußerungen fallen in jüngster Zeit auch offen<br />
antisemitische Äußerungen des Landesverbandes auf. Anlässlich des jüdischen<br />
Laubhüttenfests im Oktober 2007 verbreitete der Vorsitzende des<br />
Ortsverbandes Schöneiche im Internet seine Ansichten darüber, dass jüdische<br />
Feste von der NPD in Zukunft gestört werden sollten, weil sie die<br />
Existenz deutscher Kultur bedrohten. Wörtlich heißt es:<br />
„Wir Nationaldemokraten haben es uns zum Ziel gesetzt, die deutsche<br />
Kultur zu fördern. Deshalb werden wir zukünftig bei solchen Veranstaltungen<br />
Gesicht und T-Hemd zeigen, um eine Diskussion mit den Teilnehmern<br />
über deutsche Kultur zu fördern. An diesem Beispiel sehen<br />
Sie, wo falsch verstandene Toleranz hinführt. Toleranz heißt Duldsamkeit.<br />
Heute erdulden wir das Laubhüttenfest und morgen gibt es gar<br />
keine deutschen Feste mehr.“<br />
Am 7. Dezember 2007 wollte man dann auch beim Chanukka-Fest des<br />
jüdischen Integrationsvereins „Schtetl“ in Schöneiche „Gesicht zeigen“.<br />
Sieben Anhänger der NPD erschienen mit der Absicht, sich in die Veranstaltung<br />
einzuschleusen. Sie erhielten aber von der anwesenden Polizei<br />
Platzverweise, denen sie auch nachkamen.<br />
Ebenso veröffentlichte der Kreisverband Barnim-Uckermark auf seiner Internetseite<br />
am 9. November einen Artikel mit der Überschrift „Kauft nicht<br />
beim Juden“:<br />
26
Rechtsextremistische Parteien<br />
„‘Kauft nicht beim Juden‘ ... hieß es bis in die Mitte der vierziger Jahre<br />
des letzten Jahrhunderts. Ein Ausspruch der aus Millionen Mündern<br />
kam und mit dem eine Mehrheit einer Minderheit gegenüber zum Ausdruck<br />
brachte, was sie von ihr hält. Nun ... die Zeiten haben sich geändert.<br />
Das Reich der Deutschen wurde durch erhebliche Landnahme extrem<br />
verkleinert und die Überlebenden des zweiten 30 jährigen Krieges<br />
unterwarf man den Gesetzen der Sieger. Sätze wie in der Überschrift<br />
sagt man nicht mehr, sie sind verboten und wer so etwas trotzdem sagt<br />
wird verfolgt und in die Kerker des Systems geworfen. ... Doch was hat<br />
sich eigentlich geändert? Geändert hat sich folgendes. Heute gebietet<br />
eine Minderheit über den Willen der Mehrheit. Es sind die Marionetten<br />
der Politiker an deren Schnüren internationale Finanzwucherer ziehen<br />
und zerren, bis diese die gewünschten Befehle ausführen. Der Bürger<br />
wird um Steuern und Abgaben erpresst mit denen die Weltkriegstreiber<br />
andere Völker in Not und Elend bomben und mit denen das deutsche<br />
Volk weiter an der Kandare gehalten wird. ... Es gibt aber auch Menschen,<br />
die sich dies nicht länger gefallen lassen wollen. ... Und deshalb<br />
denkt sich das System und seine Lakaien immer mehr Repressalien<br />
aus, um den Widerstand zu brechen.“<br />
Der Artikel endet mit der zynischen Bemerkung: „Das kommt mir irgendwie<br />
alles verdammt bekannt vor und ich frage mich, wo wird das<br />
alles noch hinführen? Hat man nichts aus der Geschichte gelernt?“<br />
Hier wird tatsächlich versucht, die Verfolgung der Juden damit zu rechtfertigen,<br />
dass deren Interesse schon immer die angebliche „Ausbeutung<br />
der Deutschen“ gewesen sei. Antisemitismus wird mit dem Verhalten der<br />
Juden selbst begründet, die eigentliche verfolgte Minderheit ist der „aufrechte<br />
deutsche nationale Bürger“. Damit stellt man sich eindeutig in die<br />
Argumentationslinie der NSDAP, deren antisemitisches Programm auf die<br />
organisierte Vernichtung allen jüdischen Lebens abzielte. Verfasst wurde<br />
der Artikel von einem Julius Färber, Pseudonym für ein Mitglied des Kreisverbandes<br />
Barnim-Uckermark. Färber verbreitete immer wieder seine antisemitische<br />
Einstellung im Internet. Offensichtlich spielt das Pseudonym<br />
auf den Herausgeber des nationalsozialistischen Einpeitschblattes „Der<br />
Stürmer“, Julius Streicher (1885-1946), an.<br />
Die NPD versucht über ein bürgerliches „Outfi t“ mit Blick auf die Kommunalwahl<br />
2008 als normale Partei zu erscheinen, was sie nicht ist: Als Partei der<br />
Ungleichheit bleibt der Antisemitismus eine ihrer zentralen Charakteristika.<br />
27
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
„Junge Nationaldemokraten“ in <strong>Brandenburg</strong>:<br />
Mehr Schein als Sein<br />
Die bundesweit agierenden „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) sind die<br />
Jugendorganisation der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“<br />
(NPD). Ihre Gründung erfolgte 1969. Laut NPD-Satzung ist die JN „integraler<br />
Bestandteil“ der Partei. Deren Bundesvorsitzender ist automatisch<br />
auch Mitglied im Parteivorstand der NPD. Der Bundesvorstand der bundesweit<br />
rund 400 Mitglieder starken Organisation hat seinen Sitz in Bernburg<br />
(Thüringen).<br />
Vorsitzender der JN in den siebziger Jahren war der spätere Bundesvorsitzende<br />
der NPD, Günter Deckert. In den neunziger Jahren wurde die JN<br />
von Holger Apfel geleitet. Er ist heute Vorsitzender der NPD-Fraktion im<br />
sächsischen Landtag und stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei.<br />
Von 2002 bis Oktober 2007 war Stefan Rochow JN-Bundesvorsitzender.<br />
Neuer Bundesvorsitzender ist der Politologiestudent Michael Schäfer. Er<br />
gehörte zu den führenden Mitgliedern der gewaltbereiten „Wernigeröder<br />
Aktionsfront“, bevor diese sich nach intensiven Strafermittlungen der NPD<br />
anschloss und die örtliche JN gründete. Zudem ist er Vorsitzender der<br />
Kreistagsfraktion der NPD im Harz. In den von ihm verfassten „25 Thesen<br />
zum Nationalismus“ spricht er von einer „verstärkten aktionistischen<br />
Ausrichtung der JN“ und vom „Befreiungsnationalismus“. Auf dem Bundeskongress<br />
im Oktober 2007 brachte er seine „klaren Grundsätze“, die in die<br />
„deutsche Jugend“ getragen werden sollen, auf die Formel:<br />
„... Wir wollen einen Nationalismus aufzeigen und vorleben, der sozialistisch<br />
ist im Wirtschaftlichen, national im Staatlichen, völkisch im<br />
Kulturellen und freiheitlich im Denken.“<br />
Als einer der beiden Stellvertreter fungiert Philipp Valenta, ehemals JN-<br />
Landesvorsitzender und stellvertretender NPD-Landesvorsitzender in<br />
Rheinland-Pfalz, nun JN-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt. Im April<br />
2002 wurde er in Trier zu einem Arbeitseinsatz in einem Tierheim verurteilt,<br />
weil er unerlaubt in der Öffentlichkeit eine Waffe getragen hatte. Im September<br />
2002 verurteilte ihn das Amtsgericht Trier wegen Körperverletzung<br />
zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen, weil er bei einer NPD-Party einen<br />
betrunkenen Gesinnungsgenossen geschlagen und getreten hatte. Letzterer<br />
soll Valenta laut Angaben im rechtsextremistischen Störtebeker-Netz<br />
28
Rechtsextremistische Parteien<br />
wegen dessen doppelter Staatsbürgerschaft (tschechisch und deutsch)<br />
aufgezogen haben.<br />
Die schillerndste Person im neuen Führungstrio ist der zweite Stellvertreter<br />
Norman Bordin. Er hat eine langjährige Karriere in der Neonazi-<br />
Szene und in der NPD aufzuweisen. Bundesweit ist er in der rechtsextremistischen<br />
Szene als früherer Anführer des ehemaligen „Aktionsbüro<br />
Süd“ beziehungsweise „Kameradschaft Süd“ bekannt. Er wurde mehrfach<br />
unter anderem wegen Körperverletzung verurteilt. Im Januar 2001 wurde<br />
er anlässlich des Überfalls von Neonazi-Skinheads auf einen Münchener<br />
griechischer Herkunft festgenommen, bei dem der Angegriffene fast zu<br />
Tode geprügelt wurde. In der Haftzelle attackierte Bordin einen anderen<br />
Gefangenen. Wegen versuchter Körperverletzung im Zusammenhang mit<br />
dem Überfall und vollendeter Körperverletzung im Zusammenhang mit der<br />
Tätlichkeit gegen den Mitgefangenen sowie wegen Beleidigung wurde er<br />
im März 2002 zu einer Gefängnisstrafe von 15 Monaten verurteilt. Zurzeit<br />
ist er JN-Landesvorsitzender in Bayern.<br />
Beim ersten Zusammentreffen des neuen JN-Vorsitzenden mit dem Vorsitzenden<br />
der NPD in der Berliner NPD-Bundesgeschäftsstelle kündigten<br />
beide an, sie wollten „dieses liberalkapitalistische System dort treffen, wo<br />
es ihm am meisten wehtut, bei seiner Zukunft, bei seiner Jugend“.<br />
Ansatzpunkte, dieses Anliegen umzusetzen, sind:<br />
- Schaffung einer neuen Finanzordnung;<br />
- Fortführung des von Phillip Valenta geleiteten Materialversandes<br />
„Frontdienst“;<br />
- bundesweiter Ausbau der Schulungs- und Bildungsorganisation<br />
der JN, dem „Nationalen Bildungskreis“ (NBK). Der NBK soll „auf<br />
akademischen Niveau den Kampf um die Köpfe unterstützen“, um<br />
den seit längerer Zeit inaktiven Studentenverband der NPD, den<br />
„Nationalen Hochschulbund“ (NHB), zu ersetzen.<br />
- Aufwertung der Publikationen „Der Aktivist“ sowie „Hier und Jetzt“.<br />
Zusammen mit den NBK-Verantwortlichen übernahm der <strong>Brandenburg</strong>er<br />
Szenefunktionär Sebastian Richter die Aufgabe, die Zeitschrift<br />
„Der Aktivist“ als „Zentralorgan der JN“ zu etablieren.<br />
- Werbung Jugendlicher per Musikdownloads, CDs und über Konzerte.<br />
29
JN in <strong>Brandenburg</strong><br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Im Land <strong>Brandenburg</strong> existieren derzeit drei JN-Stützpunkte: Lausitz (hieß<br />
bis Ende 2007/Anfang 2008 Spreewald), Oranienburg und Oderland. Viele<br />
der heutigen Mitglieder standen zuvor der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene<br />
nah. Die gegen Kameradschaftsstrukturen gerichteten<br />
repressiven Maßnahmen der Polizei sowie die konsequente Verbotspraxis<br />
des brandenburgischen Innenministeriums haben den harten Szene-Kern<br />
unter das Dach von NPD und JN fl üchten lassen, da politische Parteien<br />
unter dem Schutz des Parteienprivileges nach Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz<br />
stehen.<br />
Aufstieg und Fall des rechtsextremistischen „Märkischen Heimatschutz“<br />
(MHS) verdeutlichen diese Entwicklung exemplarisch. Der MHS verstand<br />
sich als Netzwerk rechtsextremistischer Kameradschaften und war fünf<br />
Jahre lang aktiv. Er hatte in seiner Hochzeit etwa 50 Mitglieder. Er war in<br />
den Landkreisen Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Uckermark sowie<br />
in Berlin vertreten. Gordon Reinholz, unumstrittener Leiter, erklärte am<br />
4. November 2006 die Aufl ösung des MHS:<br />
„Aufgrund der politischen Entwicklungen der letzten Zeit sind wir zu<br />
dem Entschluss gekommen, nicht mehr als MHS aktiv zu sein. Wir beabsichtigen,<br />
jeder nach seinem Interesse, nun den parlamentarischen<br />
Weg zu gehen. ‚Jugend braucht Zukunft‘ war und ist unser Motto.“<br />
Die Einsicht, eigene hochfl iegende Pläne nicht umsetzen zu können sowie<br />
die zunehmenden „Repressionen des BRD-Systems“ - wie Reinholz<br />
es ausdrückt - führten bei den aktivsten ehemaligen Mitgliedern zu einer<br />
Neuorientierung in Richtung JN. Andere sind in den örtlichen rechtsextremistischen<br />
Szenen aufgegangen. Einige haben sich aufgrund des Repressionsdrucks<br />
gänzlich aus diesem Milieu zurückgezogen.<br />
30
Rechtsextremistische Parteien<br />
Gut sieben Monate nach Aufl ösung des MHS, im Juni 2007, wurden die<br />
JN-Stützpunkte Oranienburg und Oderland gegründet. Im Beisein des JN-<br />
Bundesvorstandsmitgliedes Sebastian Richter versammelten sich etwa<br />
30 Personen in Oranienburg. Viele von ihnen, auch die Leiter der beiden<br />
neuen Stützpunkte, waren vormals beim MHS aktiv. Über dieses Treffen<br />
heißt es in einer Stellungnahme der Szene:<br />
„Angeregte Diskussionen über staatliche Repression und geeignete<br />
Gegenmaßnahmen wurden bis in den Abend hinein geführt. Wie die<br />
JN in Zukunft aktiv werden wird bleibt abzuwarten. Angriffe der Demokraten<br />
auf die Substanz unseres Volkes sind zumindest schon abzusehen.<br />
So beginnt nun langsam der Ausbau der geplanten Chinesenstadt<br />
in Oranienburg. ... Angesichts der katastrophalen Bevölkerungspolitik<br />
der BRD kann dieses Vorhaben nur als Zersetzungsversuch unserer<br />
Volkssubstanz gewertet werden. ... Ob JN’ler oder freier Aktivist, gemeinsam<br />
aktiv werden gegen Ausbeutung und Umvolkung!“<br />
Im Gegensatz zur Entwicklung in Oranienburg und Oderland ist im JN-<br />
Stützpunkt Lausitz noch kein dominanter Einfl uss neonazistischer Strukturen<br />
erkennbar. Als dieser Stützpunkt noch Spreewald hieß, waren solche<br />
Einfl üsse vorhanden. Auch wenn Kontakte zu den „Freien Kräften“ in der<br />
Lausitz bestehen, handelt es sich bei dem JN-Stützpunkt nicht um eine Ersatzorganisation<br />
beispielsweise für das aufgelöste „Lausitzer Aktionsbündnis“<br />
(LAB). Die alten JN-Strukturen waren hier zusammengebrochen, als<br />
Anfang 2004 der damalige JN-Vorsitzende Jens Pakleppa die NPD verließ<br />
und zusammen mit Mario Schulz die inzwischen wieder eingeschlafene<br />
„Bewegung Neue Ordnung“ (BNO) gründete.<br />
31
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Gegen das in Oranienburg geplante chinesische Einkaufs-, Kultur- und<br />
Wohnviertel für etwa 2.000 Menschen am Rande der Stadt agitierte die JN<br />
Oranienburgs auch im Juli 2007.<br />
„Ganz im Sinne der Globalisierer und dem modernen Zeitgeist von<br />
‚Multikultopia‘, beschlossen demokratische Politiker, entgegen dem<br />
Mehrheitswillen der Einwohner, die Errichtung von ‚Chinatown‘ auf<br />
märkisch-deutschen Boden der Kreisstadt Oranienburg. ... Vor allem<br />
durch die kapitalistisch verursachte Abwanderung junger, begabter<br />
Deutscher aus ihrer Heimat und der gleichzeitigen Masseneinwanderung<br />
völlig kulturfremder Menschen, den Kinderreichtum ausländischer<br />
Familien und den bundesdeutschen Geburtenrückgang, wird<br />
sich langfristig in Deutschland ein verändertes, biologisches Kräfteverhältnis<br />
ergeben, daß sich zu Ungunsten unserer Kulturnation auswirkt.<br />
Der Kapitalismus bewirkt Kriege, macht die Menschen Heimat- und<br />
Wurzellos. Die aus ihrem natürlichem Lebensraum in wirtschaftlich höherer<br />
entwickelte Regionen abwandern. ... Unserem Volk droht somit<br />
die Gefahr, daß es aus seinem angestammten Lebensraum verdrängt<br />
wird. Statt Wohnraum und Arbeitsplätze für Chinesen fordern wir eine<br />
Politik der Gesunderhaltung unseres Volkes nach den wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen der Neuzeit. Der Staat hat wieder dem Volke zu<br />
dienen und anzuerkennen, daß Völker keine zufällig entstandenen Gemeinschaften,<br />
sondern Ergebnis einer über Jahrtausende währenden<br />
Entwicklung sind. Nur in einer völkischen Gemeinschaft ist ein natürliches<br />
Sozialempfi nden für den Nächsten möglich. Wir lehnen daher<br />
den volkszerstörenden Klassenkampf, sowie den egoistisch und international<br />
ausgerichteten Egoismus und Kapitalismus ab.“<br />
Hier kommt auf direkte Art und Weise ein hochverdichteter Rassismus<br />
in Verbindung mit auffallender Vernachlässigung der deutschen Sprache<br />
zum Ausdruck. Besonders deutlich wird das in der Formulierung „biologisches<br />
Kräfteverhältnis“, mit der ausgesagt werden soll, Menschen ließen<br />
sich nach ethnischer Zugehörigkeit sortieren. Menschliche Werte gelten<br />
für den Autor dieses Flugblattes nur für Angehörige einer „Rasse“. Der freiheitlichen<br />
demokratischen Grundordnung und den durch sie geschützten<br />
Menschenrechten werden jede Existenzberechtigung abgesprochen.<br />
Aufgrund dieser kaum verhohlenen Nähe zum Gedankengut der NSDAP<br />
trat jüngst in Hessen der Landesvorsitzende der JN zurück. Er bestätigte<br />
32
Rechtsextremistische Parteien<br />
gegenüber den Medien, dass „viele Dinge eins zu eins aus dem Parteiprogramm<br />
der NSDAP übernommen seien“ und in internen Schulungen das<br />
Parteiprogramm der NSDAP offen diskutiert werde.<br />
Neben regelmäßig stattfi ndenden JN-Stammtischen ist eine zweite Aktion<br />
in <strong>Brandenburg</strong> erwähnenswert, die eher dem inneren Zusammenhalt<br />
gewidmet schien. Diese fand symbolträchtig am 1. September 2007, dem<br />
internationalen Antikriegstag, in Oranienburg statt. Der JN-Stützpunkt Oranienburg<br />
veranstaltete dort mit den so genannten „Freien Kräften“ ein „in<br />
erster Linie gegen die imperialistische Kriegspolitik der USA“ gerichtetes<br />
Fußballturnier mit sechs Mannschaften. 40 bis 50 Teilnehmer kamen aus<br />
verschiedenen Regionen <strong>Brandenburg</strong>s.<br />
Der JN-Stützpunkt Oderland ist bislang kaum öffentlichkeitswirksam aufgefallen.<br />
Lediglich für eine Konzertveranstaltung am 11. August 2007 in<br />
Finowfurt kommt die JN im Nordosten <strong>Brandenburg</strong>s als Veranstalter in<br />
Frage. An diesem Treffen, bei dem auch Propagandamaterialien von NPD<br />
und JN verteilt wurden, beteiligten sich rund 120 Personen. Das Spektrum<br />
reichte von DVU, NPD, JN und ehemaligen MHS’lern bis hin zur unorganisierten<br />
rechtsextremistischen Szene.<br />
Eine Beteiligung von JN-Mitgliedern<br />
bei der Verteilung der NPD-<br />
Schülerzeitung „STACHEL“<br />
beispielsweise an Schulen in<br />
Bernau, Biesenthal, Eberswalde,<br />
Prenzlau und Schwedt/<br />
Oder am 22./23. Oktober 2007<br />
kann nur vermutet werden. Eine<br />
vergleichbare Publikation der<br />
JN und des NPD-Landesverbandes<br />
Sachsen mit dem Titel<br />
„Perplex“ wurde jüngst von der<br />
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende<br />
Medien indiziert. Sie<br />
darf Minderjährigen nunmehr<br />
nicht zugänglich gemacht werden.<br />
33
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
NPD-Immobilienhandel als strategische Option<br />
für eine nahezu bankrotte Partei?<br />
Über gerade einmal 15.000 Euro dürfte der brandenburgische Landesverband<br />
der notorisch fi nanzschwachen NPD verfügen. Auch wenn die NPD<br />
ständig erklärt, sie wolle eine Immobilie in <strong>Brandenburg</strong> erwerben, über<br />
ausreichend eigene Mittel verfügt sie nicht. Sie benötigt jedoch dringend eigene<br />
Räumlichkeiten für Veranstaltungen. Denn viele Gastwirte vermieten<br />
nicht an die rechtsextremistische Partei. Auch der Verband der Hoteliers<br />
und Gaststätten in <strong>Brandenburg</strong> hat sich deutlich gegen die Durchführung<br />
von rechtsextremistischen Veranstaltungen ausgesprochen.<br />
Dies zeigt Wirkung: Konnte beispielsweise noch im Januar 2007 die Jahresauftaktveranstaltung<br />
der sächsischen NPD in einer Gaststätte in Ruhland<br />
(Oberspreewald-Lausitz) stattfi nden, so scheiterte am selben Ort die<br />
NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) mit ihrem für<br />
Februar 2007 geplanten „Europakongress“. Die Anmietung wurde der JN<br />
verweigert. Mittlerweile täuschen die Rechtsextremisten sogar Privatveranstaltungen<br />
vor, um unentdeckt an Räume zu kommen.<br />
Jedoch ist nicht auszuschließen, dass NPD-Mitglieder oder -Anhänger als<br />
Privatpersonen versuchen, an Objekte in <strong>Brandenburg</strong> zu gelangen, um<br />
sie danach der Partei als Schulungszentrum oder für anderweitige Zwecke<br />
zur Verfügung zu stellen. Ein aktuelles Beispiel ist der Versuch, den Hof<br />
„Johannesberg“ bei Rauen (Landkreis Oder-Spree) für 200.000 Euro im<br />
Juni 2007 verdeckt durch eine Gesellschaft mit Sitz im schwedischen Jönköping<br />
zu erwerben. Der Hof ist auch deshalb für die NPD geeignet, weil<br />
sich auf dem Gelände eine ehemalige Diskothek befi ndet, die für rechtsextremistische<br />
Konzerte genutzt werden sollte.<br />
Mit dieser Gesellschaft in Verbindung steht Andreas Molau, NPD-Bundesvorstandsmitglied,<br />
gescheiterter Spitzenkandidat der NPD für die Landtagswahl<br />
in Niedersachsen und Vorsitzender der rechtsextremistischen<br />
„Gesellschaft für freie Publizistik e. V.“ (GFP). 2004 bis 2006 war er parlamentarischer<br />
Berater der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag. Darüber<br />
hinaus war Molau bis April 2007 stellvertretender Chefredakteur des<br />
NPD-Organs „Deutsche Stimme“. Künftig soll er hauptberufl ich als Leiter<br />
des Amtes „Bildung“ beim NPD-Parteivorstand und als wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter des Parteivorsitzenden tätig sein.<br />
34
Rechtsextremistische Parteien<br />
Molau wollte angeblich auf dem Landgut ein Schullandheim errichten, das<br />
sich am pädagogischen Konzept der Waldorfschulen orientieren sollte.<br />
Molau selbst war bis 2004 Lehrer an einer Waldorfschule in Braunschweig.<br />
Der Bund Freier Waldorfschulen e. V., ein Zusammenschluss der Waldorfschulen,<br />
verwahrt sich gegen einen Missbrauch des Namens Waldorf<br />
und geht nun mit einer Unterlassungsklage gegen die Bezeichnung „Waldorfschullandheim<br />
für national gesinnte Familien“ vor. Molau hatte dieses<br />
Vorhaben am 2. August 2007 den Bewohnern Rauens in einem offenen<br />
Brief kund getan. Statt von den tatsächlich geplanten Kaderschulungen<br />
und rechtsextremistischen Skinheadkonzerten sprach er hierin von „künstlerischen,<br />
kulturellen und politischen Seminaren und Freizeitangeboten“.<br />
Inzwischen hat der ursprüngliche Eigentümer vom Verkauf an die Rechtsextremisten<br />
Abstand genommen und den Hof anderweitig veräußert. Der<br />
neue Eigentümer ist inzwischen im Grundbuch eingetragen. Ein für den<br />
29. Sep tember 2007 geplantes „Mitteldeutsches Erntedankfest“, zu dem<br />
die NPD-Landesvorsitzenden Berlins und <strong>Brandenburg</strong>s nach Rauen eingeladen<br />
hatten, durfte deswegen nur als Privatveranstaltung stattfi nden.<br />
Aufgrund der unsicheren Rechtslage hat Molau, nach Aussage des NPD-<br />
Landesvorsitzenden, das Grundstück inzwischen an den NPD-Landesverband<br />
<strong>Brandenburg</strong> vermietet. Der nutzte die Immobilie im November 2007<br />
für eine „Kaderschulung“ zum <strong>Brandenburg</strong>er Kommunalwahlkampf 2008.<br />
Ein Name, der immer wieder im Zusammenhang mit Immobilien-Kaufabsichten<br />
fällt, ist Jürgen Rieger, der Molau juristisch vertrat. Der Szeneanwalt<br />
trat Ende 2006 der NPD bei, ist inzwischen Vorsitzender im Landesverband<br />
Hamburg und Beisitzer im Bundesvorstand. Er könnte über hinreichende<br />
fi nanzielle Mittel verfügen. Allerdings soll der Besitz der „Wilhelm Tietjen<br />
Stiftung für Fertilisation Ltd.“, deren Geschäftsführer Rieger ist, in Niedersachsen<br />
und Thüringen unter Zwangsverwaltung gestellt worden sein.<br />
Leider kann im Zusammenhang von Grundstücksverkäufen und NPD nicht<br />
immer ein Missbrauch potenzieller Verkäufer ausgeschlossen werden. Einige<br />
Grundstücksbesitzer – die an sich keine Kontakte zur NPD pfl egen<br />
– haben in der Vergangenheit den Verdacht geschürt oder schüren lassen,<br />
an die NPD verkaufen zu wollen. Damit wollten sie erheblichen Druck auf<br />
die jeweilige Kommune ausüben, damit diese die entsprechende Immobilie<br />
zu überhöhtem Preis erwirbt. Andere Grundstücksbesitzer sollen sich mit<br />
ihrem Anliegen sogar direkt an die NPD gewandt haben.<br />
35
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Im Niedergang: Die rechtsextremistische DVU<br />
Im Jahre 1987 wurde die „Deutsche Volksunion“ (DVU) auf Initiative des<br />
Münchener Verlegers Dr. Gerhard Frey (Jahrgang 1933) gegründet. Über<br />
Jahre hinweg war die DVU die mitgliederstärkste rechtsextremistische Organisation<br />
in Deutschland. Nach langjährigem Mitgliederschwung bei der<br />
DVU kann die „Nationaldemokratischen Partei Deutschland“ (NPD) jetzt<br />
mehr Mitglieder aufweisen<br />
Seit ihrer Gründung ist Frey Bundesvorsitzender der DVU. Er führt sie zentralistisch<br />
und autoritär. Frey ist zugleich Verleger rechtsextremistischer Literatur<br />
und benutzt die DVU als Partei mit angeschlossenem Versandhaus<br />
für seine Produkte. Beispielsweise zählt hierzu die wöchentlich erscheinende<br />
„National-Zeitung“ (NZ). Eine eigenständige Willensbildung kann<br />
sich unabhängig von Frey auch deshalb kaum in der DVU entwickeln,<br />
da die DVU bei ihm verschuldet ist. Dies gibt ihm eine in der Parteiengeschichte<br />
der Bundesrepublik einzigartige Einfl ussmöglichkeit auf „seine“<br />
Partei. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird die DVU oft auch als „Phantompartei“<br />
bezeichnet.<br />
Ideologischer Revisionismus und Überläufer<br />
Trotz aller Beteuerungen nach außen, wonach die DVU „treu“ zum Grundgesetz<br />
stehe, strebt die Partei eine undemokratische Gesellschaftsordnung<br />
an. Dies ergibt sich schon aus der Vereinbarung, die mit der rechtsextremistischen<br />
NPD geschlossen wurde (siehe S. 43 ff.), ebenso aus Äußerungen<br />
sowie Publikationen. So erklärte der brandenburgische DVU-Landesvorsitzende<br />
Sigmar-Peter Schuldt laut DVU-Homepage in seiner Rede auf dem<br />
Landesparteitag der brandenburgischen DVU am 25. Februar 2007:<br />
„Dieses etablierte Politik- und Wirtschaftssystem ist eine Verirrung<br />
des menschlichen Geistes derjenigen, die in krankhafter Geldgier<br />
und Profi tsucht ihre perverse, geisteskranke Befriedigung suchen,<br />
während sie in Wirklichkeit lediglich die Marionetten internationaler<br />
Puppenspieler sind. Dieses System ist auf Dauer nicht lebensfähig. Es<br />
gleicht einem Monster, das sich schließlich selbst verschlingt.“ Im Text<br />
auf der DVU-Homepage steht weiter: „Der Redner zeigte danach auf,<br />
dass ein zukünftiges nationales wirtschaftlich-soziales System nur auf<br />
den eigenen Raum, den eigenen Traditionen, einer – soweit möglich<br />
36
Rechtsextremistische Parteien<br />
– weitgehenden Autarkie und in einer nationalen Selbsthilfe durch die<br />
Besinnung auf die eigenen deutschen nationalen Kräfte beruhen könne<br />
und werde.“<br />
Anhand der DVU-Aktivitäten und der NZ-Artikel wird immer wieder deutlich,<br />
dass die DVU die militärische, wirtschaftliche, vor allem aber moralische<br />
Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg beklagt. Die nationalsozialistischen<br />
Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, unter anderem der millionenfache<br />
Mord Unschuldiger, werden in der Regel ausgeblendet und einer<br />
Art abenteuerorientierten Landser-Romantik unterworfen. Am 15. Juni<br />
2007 veröffentlicht die NZ in der Nummer 25 den Beitrag: „Entschied<br />
Verrat 2. Weltkrieg? Neue Erkenntnisse: Warum Deutschland verlor“. Es<br />
folgt ein Interview mit einem Friedrich Georg, der „eine atemberaubende<br />
Indizienkette zusammengetragen“ habe, „die es unwahrscheinlich erscheinen<br />
lässt, dass allein Zufall für das Versagen der deutschen Seite verantwortlich<br />
gewesen ist“. Diese Andeutung einer weltweiten Verschwörung<br />
gegen die (auf einen Diktator vereidigte) deutsche Wehrmacht bestimmt<br />
den allwöchentlichen Sprachgebrauch der NZ, die sich gern solcher und<br />
ähnlicher antisemitischer Klischees bedient.<br />
Weil die DVU-Postille NZ mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg hadert,<br />
wird der militärische Widerstand innerhalb der Wehrmacht gegen den nationalsozialistischen<br />
Vernichtungskrieg dafür mit verantwortlich gemacht.<br />
So fi ndet sich in der eben genannten Ausgabe ein Foto mit dem Hinweis:<br />
37
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
„Hans Speidel, Chef des Stabes der Heeresgruppe B, unterließ es bei<br />
Beginn der Invasion die 7. Armee, die im Zentrum des kommenden<br />
Kampfgeschehens lag, zu alarmieren. (…) Speidels durch nichts zu<br />
entschuldigendes ‚Versäumnis‘ trug wesentlich zum Gelingen der alliierten<br />
Invasion bei. Der frühere General der Wehrmacht war später als<br />
General der Bundeswehr Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte<br />
in Mitteleuropa – mit Sitz ausgerechnet in Fontainebleau, wo von<br />
Dezember 1943 bis März 1944 Rommel und sein Stab untergebracht<br />
waren.“<br />
Auch die Kriegsschuld Deutschlands wird geleugnet und den Alliierten, vor<br />
allem aber Polen, angelastet. In der Nummer 27 vom 29. Juni 2007 wird<br />
in dem Artikel „Abrechnung mit Warschau – Was Merkel den Kaczynski-<br />
Brüdern nicht zu sagen wagt“ folgende These aufgestellt:<br />
„Der Ausbruch des II. Weltkriegs, begünstigt von der britischen Kriegspartei<br />
und der polnischen Politik, geht keineswegs allein auf das Konto<br />
Deutschlands, wie Kohl und Merkel glauben machen wollen. Vielmehr<br />
hatte dieser Krieg viele Väter und die Grundlage zu ihm wurde bereits<br />
durch das Unrecht auch gerade von polnischer Seite am Ende des<br />
1. Weltkriegs gelegt.“<br />
Ebenso werden in der NZ international anerkannte Grenzen in Frage gestellt.<br />
So heißt es in der Nummer 25 vom 15. Juni 2007 in dem Beitrag „EU-<br />
Verfassung: Merkels Niederlage – Polen triumphiert über Deutschland“:<br />
„Zudem wurde Deutschland etwa ein Viertel seines Staatsgebietes innerhalb<br />
der Grenzen vom 31. Dezember 1937, mithin also der Staatsgrenzen<br />
der vormaligen ‚Weimarer Republik‘, geraubt.“<br />
Publizistische Rückwärtsgewandtheit, ausbleibende Wahlerfolge, eine<br />
erstarkende NPD und die – von <strong>Brandenburg</strong> abgesehen – regelmäßige<br />
Selbstzerstörung früherer DVU-Fraktionen sind für den Niedergang der<br />
DVU verantwortlich. Sogar „Säulen“ und „Hoffnungsträger“ der Partei, wie<br />
der langjährige einzige DVU-Abgeordnete in der Bremer Bürgerschaft und<br />
stellvertretende DVU-Bundesvorsitzende, Siegfried Tittmann, verlassen<br />
die Partei, wenn sie ihnen keine persönlichen Vorteile mehr bringt. Die<br />
DVU erreichte bei den Wahlen zur Bürgerschaft am 13. Mai 2007 in Bremen<br />
2,25 Prozent (2003: 1,35 Prozent) und in Bremerhaven 5,36 Prozent<br />
(2003: 7,10 Prozent). Aufgrund einer Besonderheit des dortigen Wahlrechts<br />
zog die DVU wegen ihrer Stimmenanteile in Bremerhaven wieder<br />
mit Siegfried Tittmann in die Bremer Bürgerschaft ein. Er gehörte 20 Jah-<br />
38
Rechtsextremistische Parteien<br />
re der DVU an und galt über Jahre als „Aushängeschild“ der Partei. Am<br />
17. Juli 2007 trat er aus. Im Wahlkampf wurde noch mit dem angeblich<br />
volksnahen „Siggi“ geworben.<br />
In diesem Zusammenhang ist ein Beitrag auf der Homepage der NPD Bremens<br />
sehr bemerkenswert:<br />
„Die DVU hat die Wahl verloren. Wer 20 Jahre (mit einer Unterbrechung)<br />
in der Bremer Bürgerschaft und 20 Jahre (ohne Unterbrechung)<br />
in der Bremerhavener Stadtverordnung gesessen hat und<br />
dann im eigenen Lager immer noch nicht konkurrenzlos ist, muß etwas<br />
falsch gemacht haben. Eine Partei, die nicht einmal die Hälfte der<br />
Wählerstimmen auf sich vereinigen kann, die sie bei ihrem bis dato<br />
besten Wahlergebnis (6,2 % in Bremen und 10,6 % in Bremerhaven<br />
bei der Bürgerschaftswahl 1991) einfuhr, ist gescheitert. Eine Partei,<br />
die öffentlich nicht wahrgenommen wird, kann keine Wahl gewinnen.<br />
Eine Partei, die öffentlich nicht anders wahrgenommen wird als ihre<br />
Konkurrenten im eigenen Lager, kann sich gegen diese nicht entscheidend<br />
durchsetzen. Der Wahlkampf der DVU unterschied sich nicht von<br />
dem ihrer Mitbewerber. Es wurden die gleichen untauglichen Mittel<br />
eingesetzt und die gleichen platten Parolen verwendet. Mit Geld allein<br />
ist ein Wahlkampf nicht mehr zu gewinnen, weil die Konkurrenten<br />
inzwischen ebenfalls über ausreichend ‚Pulver’ verfügen. Eine Partei,<br />
die zwischen den Wahlen keinerlei Parteiarbeit leistet, kann sich nicht<br />
in der Bevölkerung verankern. Kandidaten, die ungeeignet oder nicht<br />
bekannt sind, werden nicht gewählt. Die DVU hätte öffentlich wahrgenommen<br />
werden können, wenn sie Öffentlichkeitsarbeit in Form<br />
von Infoständen, Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen<br />
durchgeführt hätte. Auf diese Weise wäre sie auch anders wahrgenommen<br />
worden als ihre Konkurrenten, weil diese dazu nicht in der Lage<br />
sind. Und weil auch die DVU aufgrund ihres überalterten Personals<br />
keinen derartigen Wahlkampf führen kann, hätte sie auf ihren Bündnispartner,<br />
die NPD, zurückgreifen müssen. Und da die DVU nicht nur<br />
nehmen kann, sondern auch geben muß, hätte sie ihre Landesliste<br />
für deren Kandidaten öffnen müssen. Und weil es in Bremen derzeit<br />
keinen geeigneten Spitzenkandidaten gibt, hätte man sich eine charismatische<br />
Persönlichkeit von außerhalb kommen lassen müssen. Das<br />
hätte die DVU dann nicht nur von ihren Konkurrenten im eigenen Lager<br />
abgehoben, sondern auch von den etablierten Parteien, die ebenfalls<br />
nur blasse und langweilige Kandidaten zu bieten hatten.<br />
39
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Die Schweigespirale der Medien muß durchbrochen werden. Die<br />
Journaille ist unser Feind und Verbündeter zugleich. Es ist für eine<br />
volkstreue Partei nahezu unmöglich, eine Wahl ohne Lügen- und<br />
Hetzpropaganda von Presse, Funk und Fernsehen zu gewinnen. Ein<br />
entschlossener Straßenwahlkampf und ein rhetorisch brillianter, in der<br />
Öffentlichkeit vorzeigbarer Spitzenkandidat sind Garanten dafür. Es<br />
ist bedauerlich, daß ein möglicher Sieg so leichtfertig hergeschenkt<br />
wurde. Das ist umso bedauerlicher, als die Bremer Bürgerschaftswahl<br />
die einzige Landtagswahl dieses Jahres ist. Den Schub von gewonnenen<br />
Wahlen wie der in Mecklenburg-Vorpommern sollte man<br />
eigentlich nicht ungenutzt verpuffen lassen, weil das einer sinnlosen<br />
Energieverschwendung gleichkommt. Es ist vorteilhaft, wenn man dem<br />
schlechten auch immer etwas gutes abgewinnen kann. Die positiven<br />
Aussichten kommen in diesem Fall ausgerechnet von dem Aussteiger<br />
Jörg Fischer, veröffentlicht auf verschiedenen Antifa-Seiten: ‚… die<br />
Niederlage der DVU ist indirekt eine weitere Stärkung der NPD, deren<br />
Platz als faktischer >Marktführer< sich damit weiter verfestigt hat. Damit<br />
sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, daß tatsächlich die DVU 2009<br />
zur Landtagswahl in Thüringen antreten’ ... wird. Eigentlich wäre dort<br />
‚die DVU am Zuge, allerdings gilt Thüringen als Hochburg der NPD und<br />
der ihr nahestehenden rechtsextremen Jugendkultur.’ Dem ist nichts<br />
hinzuzufügen.“<br />
(Markus Privenau, Homepage der Bremer NPD, 22. Mai 2007)<br />
Nach Angaben der DVU trat auch Dietmar Tönhardt, der langjährige Berliner<br />
DVU-Vorsitzende und ehemalige Mitarbeiter der brandenburgischen<br />
DVU-Fraktion, am 2. August 2007 aus der DVU aus und wenig später in<br />
die NPD ein. Seine Frau Manuela Tönhardt – auch sie eine ehemalige<br />
DVU-Aktivistin – ist bereits kommunale Mandatsträgerin der NPD in einer<br />
Berliner Bezirksverordnetenversammlung. Der Berliner Landesverband<br />
wird nun vom <strong>Brandenburg</strong>er DVU-Landesverband mitverwaltet. Offenbar<br />
gehen der DVU die Kader aus oder diese laufen zur NPD über.<br />
Austritte solch bedeutender Parteimitglieder wie Tittmann und Tönhardt<br />
aus der DVU haben die Bedeutung der Partei im rechtsextremistischen<br />
Spektrum weiter schrumpfen lassen. Die Zahl der DVU-Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong><br />
war bereits von 2005 auf 2006 von 300 auf 280 gesunken. 2007<br />
waren es noch 250. Parteipolitische Aktivitäten entfalten nur ein Bruchteil<br />
der verbliebenen Mitglieder.<br />
40
Rechtsextremistische Parteien<br />
Kommunalpolitische Bedeutungslosigkeit der DVU<br />
in <strong>Brandenburg</strong><br />
Der Zusammenbruch ihrer restlichen Marginalstrukturen in Berlin und<br />
Bremen hinterlässt auch zusehends Spuren in <strong>Brandenburg</strong>. Zwar hat die<br />
DVU in <strong>Brandenburg</strong> 12 kommunale Mandate. Doch ihre Vertreter sind in<br />
der kommunalpolitischen Praxis kaum wahrzunehmen:<br />
Kreistag Potsdam Mittelmark: Bodo Schilling,<br />
Kreistag Märkisch-Oderland: Detlef Sukrow,<br />
Kreistag Oberspreewald-Lausitz: Arnold Graf und Angela Heinze,<br />
Kreistag Elbe-Elster: Norbert Schulze und Bernd Jugendheimer,<br />
Kreistag Teltow-Fläming: Bärbel Redlhammer-Raback,<br />
Stadt Müncheberg: Roland Schulz,<br />
Ortsteil Müncheberg: Roland Schulz,<br />
Stadtverordnetenversammlung Potsdam: Günter Schwemmer,<br />
Gemeindevertretung Rüdersdorf (MOL): Thomas Monkowiak.<br />
Klaus Kuhn sitzt für die DVU im Kreistag Oder-Spree, ebenso zwei Mandatsträger<br />
der NPD, die mit dem Abgeordneten der DVU jedoch keine<br />
gemeinsame Fraktion bilden. Offenbar scheint der „Deutschland-Pakt“<br />
zwischen NPD und DVU keine Ausstrahlung auf kommunaler Ebene zu<br />
haben. Es bleibt abzuwarten, wann und welche der genannten DVU-Funktionäre<br />
zur NPD überlaufen.<br />
Trotz der wenigen kommunalen Mandatsträger in <strong>Brandenburg</strong> hat die<br />
DVU in keinem anderen Bundesland mehr. Die Tatsache, dass deren Arbeit<br />
nicht wahrgenommen wird, liegt nicht an der Behauptung der DVU, die<br />
Medien würden ihr angebliches Engagement der DVU verschweigen. Es<br />
liegt vielmehr daran, dass die Mehrzahl der kommunalen Mandatsträger<br />
der DVU durch keinerlei nennenswerte Aktivitäten auffällt und es deshalb<br />
auch nichts über sie zu berichten gibt. So wies selbst die Homepage der<br />
DVU in <strong>Brandenburg</strong> (www.dvu-brandenburg.de) für das Jahr 2007 bis<br />
zum 13. November lediglich auf zwei Infotische hin.<br />
Zwar behauptet die DVU von sich, die „tatsächliche Volkspartei“ zu sein.<br />
Doch für die brandenburgische Kommunalpolitik ist sie de facto völlig unbedeutend.<br />
Auch die angeblich monatlichen regionalen „Stammtische“<br />
haben keinerlei Außenwirkung, zumal die DVU die genauen Örtlichkeiten<br />
weder auf ihrer Homepage noch in der „National-Zeitung“ veröffentlicht.<br />
41
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Durch massive Wahlwerbung in <strong>Brandenburg</strong>, die jeweils konkret verknüpft<br />
war mit Werbungen für Verlage Gerhard Freys, gelang es der DVU bei den<br />
Landtagswahlen 1999 und 2004 ohne jegliche kommunalpolitische Verankerung<br />
vor allem Protestwähler anzusprechen und zwei Mal in Folge in den<br />
brandenburgischen Landtag einzuziehen. Es ist zudem erstaunlich, dass<br />
die Fraktion dort noch besteht. In allen anderen Landtagen, in denen die<br />
Partei bislang in Fraktionsstärke vertreten war (Bremen, Schleswig-Holstein<br />
und Sachsen-Anhalt), zerstritten sich ihre Parlamentarier nach kürzester<br />
Zeit. Die relative Stabilität der DVU-Fraktion im brandenburgischen<br />
Landtag dürfte damit zusammenhängen, dass deren Abgeordnete auch<br />
aus persönlichen Gründen auf eine dritte Legislaturperiode hoffen.<br />
Ob die DVU 2009 tatsächlich wieder für den Landtag kandidiert, oder ob<br />
sie bis dahin von der NPD übernommen beziehungsweise an den Rand<br />
gedrängt wird, sollte für DVU-Abgeordnete eher unerheblich sein. Denn<br />
auch sie weisen Bezüge zur Ideologie des Nationalsozialismus auf. Im<br />
„Dritten Reich“ starben Millionen Menschen entweder durch Mord oder<br />
eben durch ein menschenunwürdiges Dahinsiechen in Konzentrationslagern<br />
ohne ausreichende Gesundheitsversorgung. Doch die DVU-Abgeordnete<br />
Fechner erklärte im September 2007 im Landtag <strong>Brandenburg</strong>:<br />
„Auch die Genossen der NSDAP besaßen ein hohes Maß an Gesundheitsbewusstsein.“<br />
42
Rechtsextremistische Parteien<br />
Wankender Extremisten-Pakt:<br />
NPD erhöht Druck auf DVU in <strong>Brandenburg</strong><br />
In den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ist die<br />
rechtsextremistische NPD bereits vertreten. Im Landtag <strong>Brandenburg</strong> sitzt<br />
dagegen noch die gleichfalls rechtsextremistische DVU in Fraktionsstärke.<br />
Jetzt arbeitet die NPD am Ausbau ihrer Strukturen auch in <strong>Brandenburg</strong>,<br />
um die DVU zu beerben. In völliger Verkennung dieser Lage behauptete die<br />
stellvertretende Vorsitzende der DVU <strong>Brandenburg</strong>, Liane Hesselbarth, bei<br />
einer gemeinsamen Parteiveranstaltung mit der Berliner DVU am 23. September<br />
2007 in Dahme, „<strong>Brandenburg</strong> ist und bleibt DVU-Land“.<br />
Am 15. Januar 2005 verkündeten DVU und NPD den „Deutschland-Pakt“.<br />
Der Extremisten-Pakt sieht vor,<br />
dass beide Parteien bis 2009<br />
bei Landtags,- Bundestags- und<br />
Europawahlen nicht konkurrierend<br />
gegeneinander antreten.<br />
Die Bundestagswahl wurde der<br />
NPD zugeschlagen, die Wahl zum Europa-Parlament der DVU. Doch<br />
die Tatsachen sprechen für sich: In der NPD-Postille „Thüringen Stimme“<br />
mokierte sich die NPD im Dezember 2007 offen über die Schwäche des<br />
dortigen DVU-Landesverbandes, verwies auf die eigene Stärke und stellte<br />
kaum verhohlen eine eigene Landtagskandidatur und damit den Bruch des<br />
„Deutschland-Paktes“ in den Raum.<br />
So mehren sich bei der NPD mittlerweile die Anzeichen dafür, dass sie<br />
diesen Pakt eher als lästig denn als erwünscht betrachtet. Sie glaubt, nicht<br />
mehr darauf angewiesen zu sein. NPD und DVU streben bis auf Einzelfälle<br />
offenkundig an, ohne gegenseitige Absprache jeweils möglichst fl ächendeckend<br />
anzutreten. Auf die 2008 in <strong>Brandenburg</strong> anstehende Kommunalwahl<br />
bereitet sich die NPD mit großer Sorgfalt und Energie vor. Ziel<br />
ist ganz offensichtlich ein Testlauf, welche Wählerpotenziale die NPD in<br />
<strong>Brandenburg</strong> erschließen kann. Je höher der Wähleranteil für die NPD,<br />
desto weniger wird sie bereit sein, der DVU den alleinigen Antritt bei der<br />
Landtagswahl 2009 zu gönnen. Es ist also eine Frage der Zeit, wann die<br />
NPD den „Deutschland-Pakt“ aufkündigt. Liane Hesselbarths zutreffender<br />
Hinweis, der „Deutschland-Pakt“ gelte nicht für Kommunalwahlen, wirkt<br />
gleichwohl wie eine verzweifelte Bitte an den Vertragspartner, diese zuletzt<br />
gezogene Linie nicht zu übertreten.<br />
43
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
In diesen Ländern kandidiert die NPD zur Landtagswahl<br />
In diesen Ländern kandidiert die DVU zur Landtagswahl<br />
Hier kandidiert die DVU zur Landtagswahl nur,<br />
falls die NPD nicht antritt<br />
offen<br />
Absprachen im Extremisten-Pakt<br />
44
Rechtsextremistische Parteien<br />
Eine systematische Zusammenarbeit von NPD und DVU ist in <strong>Brandenburg</strong><br />
zur Zeit nicht wahrnehmbar. Alleiniger gemeinsamer Bezugspunkt<br />
scheinen derzeit die regelmäßig in der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“<br />
veröffentlichten Artikel des einzigen Potsdamer DVU-Stadtverordneten<br />
Günter Schwemmer zu sein.<br />
Darüber hinaus dürften bestimmte DVU-Mitglieder auf inoffi zieller Ebene<br />
Kontakte zur NPD pfl egen. So fi ndet sich auf der Homepage des NPD-<br />
Kreisverbandes Oderland folgender Interneteintrag vom 2. November<br />
2007:<br />
„Liebe Kameraden, wie andere NPD-Seiten ist auch diese gut gelungen.<br />
Besonders schön ist, dass man sich zu einigen Aktionen Filmaufnahmen<br />
ansehen kann. Einer der schönsten Momente fi ndet sich in<br />
dem Film ‚Erster Aktionstag im Elbe-Elster-Kreis‘. Kurz nachdem, aus<br />
Richtung der Linksfaschisten kommend, eine Flasche auf dem Boden<br />
vor Eurem Infotisch aufschlägt, macht ein ‚Gutmensch‘ Bekanntschaft<br />
mit dem Straßenpfl aster. Für einen mutmaßlichen Drogensüchtigen<br />
sicher keine besonders neue Erfahrung, aber es ist schön, dass man<br />
an diesem Moment teilhaben kann (immer und immer wieder!). Zwar<br />
bläst Euch momentan bundespolitisch ein scharfer Wind um die Ohren,<br />
doch Eichenholz bricht nicht so leicht. In diesem Sinne: Lasst uns<br />
fest zusammenstehen für unser Deutschland!<br />
Marcel Guse, DVU-<strong>Brandenburg</strong>, KV-Potsdam“.<br />
Ansonsten bewahrt die brandenburgische DVU nicht einmal mehr zum<br />
Schein übliche Höfl ichkeitsformen gegenüber ihrer Pakt-Partnerin NPD.<br />
Auf die feindlichen Übernahmepläne der NPD reagiert die DVU mit Totschweigen<br />
der NPD. So erwähnt sie in ihrer öffentlichen Berichterstattung<br />
noch nicht einmal die Anwesenheit von NPD-Gästen auf dem DVU-Sommerfest<br />
am 16. Juni 2007. Mit rund 400 Teilnehmern hat es auf dem neuen<br />
Grundstück des DVU-Funktionärs Klaus Mann in Finowfurt (Landkreis<br />
Barnim) stattgefunden.<br />
Umso bemerkenswerter ist dies deshalb, da sich DVU-Landesvorstandsmitglied<br />
Mann gegenüber der NPD sehr aufgeschlossen zeigt. Offen kooperiert<br />
er zudem mit Neonazis und Skinheads. Im Berichtszeitraum stellte<br />
er sein Grundstück auch rechtsextremistischen Bands und Organisationen<br />
für Veranstaltungen zur Verfügung, bei denen der Nationalsozialismus und<br />
dessen Repräsentanten zum Teil offen verherrlicht wurden (siehe hierzu<br />
S. 78).<br />
45
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Die DVU berichtet über ihr Sommerfest 2007, es sei eine „störungsfreie<br />
Veranstaltung“ gewesen. Der Veranstaltungsort ist von den „Teilnehmern<br />
sehr diszipliniert verlassen“ worden. Hintergrund dieses bezeichnenden<br />
Hinweises sind regelmäßige Polizeieinsätze im Zusammenhang mit den<br />
Aktivitäten von Rechtsextremisten sowohl auf dem neuen Grundstück<br />
Manns in Finowfurt als auch auf seinem vorherigen Grundstück in Seefeld<br />
(ebenfalls Landkreis Barnim). In der Vergangenheit kam es dabei mitunter<br />
in Folge übermäßigen Alkoholkonsums zu Tätlichkeiten von Rechtsextremisten<br />
untereinander.<br />
Damit ist die brandenburgische DVU an einem Scheideweg angekommen,<br />
der – ähnlich wie in Berlin – Austritte von Vorstandsmitgliedern und Abspaltungen<br />
nach sich ziehen könnte. Dort war der Landesvorsitzende Dietmar<br />
Tönhardt im Herbst 2007 aus der DVU ausgetreten und ist seit November<br />
2007 Landesvorstandmitglied der Berliner NPD.<br />
Die rechtsextremistische Internetplattform „Altermedia“ spottet, dass angesichts<br />
des Dahinsiechens der DVU der Schritt nicht überrasche. Man<br />
fordert hier auch, „die DVU muss weg oder in der NPD aufgehen“ und<br />
spricht von einer Signalwirkung. Angesichts des Vermögens des DVU-<br />
Bundesvorsitzenden Frey spekulieren Forenbeiträge auf dessen Geld für<br />
die fi nanzschwache NPD.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> dürfte sich der Richtungsstreit innerhalb der DVU um den<br />
Neonazismus an der Person Klaus Mann festmachen. Mann ist Vorsitzender<br />
der DVU für den Bereich Barnim, Uckermark und Oberhavel sowie<br />
Mitglied im Landesvorstand der DVU. Seine Frau Sybille Mann ist Mitarbeiterin<br />
des DVU-Landtagsabgeordneten Michael Claus.<br />
Klaus Mann tritt ständig als Verbindungsmann zwischen DVU sowie Neonazi-Szene<br />
in Erscheinung und nicht nur als Gastgeber für die oben genannten<br />
Veranstaltungen. Bezeichnenderweise hat Mann an einem Baum<br />
auf seinem Grundstück ein Schild mit der Aufschrift „Achtung! Sie verlassen<br />
jetzt die Bundesrepublik Deutschland und betreten Deutsches Reichsgebiet!“<br />
angebracht.<br />
46
Rechtsextremistische Parteien<br />
Damit zeigt Mann eindeutig seine neonazistische Gesinnung. Ob die DVU<br />
ihn als Neonazi aus der Partei ausschließt oder seinen Übertritt zur NPD<br />
lethargisch erwartet, wird ein entscheidendes Signal für die Zukunft der<br />
Partei sein. Offenbar ist die DVU bemüht, die wachsende Bedrohung NPD<br />
vorerst einfach ignorieren zu wollen. Das wird sie, wenn die NPD bei den<br />
Kommunalwahlen in <strong>Brandenburg</strong> 2008 Mandate gewinnen sollte, kaum<br />
lange durchhalten können.<br />
Es bleibt festzuhalten, dass die Aufl ösungserscheinungen der DVU im<br />
Berichtszeitraum offenkundig vorangeschritten sind. Sollte die DVU 2009<br />
nicht mehr in den Landtag von <strong>Brandenburg</strong> gewählt werden, ist von einem<br />
raschen Zerfall des Landesverbandes mit erheblichen Auswirkungen auf<br />
den DVU-Bundesverband auszugehen.<br />
47
Ausblick<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Dem brandenburgischen NPD-Landesverband gelingt es seit 2006 mehr<br />
und mehr, sich propagandistisch in Szene zu setzen. Er verfügt inzwischen<br />
über knapp zwei Dutzend sehr aktive Mitglieder. Sie sind in der Lage, Internetseiten<br />
einzurichten, Demonstrationen und Infostände anzumelden<br />
sowie zu organisieren, Veranstaltungen demokratischer Organisationen<br />
zu stören, Propagandamaterial zu entwerfen und deren Verteilung zu organisieren.<br />
Hierzu kann der NPD-Landesverband bis zu etwa 60 Mitglieder<br />
rekrutieren. Bei den meisten Aktionen ist man aber auf die Helfershelfer<br />
aus den neonazistischen „Freien Kräften“ angewiesen. Sie bewachen<br />
Infostände der Partei, verteilen einen nicht unwesentlichen Teil des Propagandamaterials<br />
und stellen den überwiegenden Teilnehmerkreis bei<br />
Demonstrationen. Für NPD-Veranstaltungen in <strong>Brandenburg</strong> liegt die personelle<br />
Mobilisierungsobergrenze derzeit bei etwa 280 Personen, wie die<br />
vier Demonstrationen der NPD im Jahr 2007 gezeigt haben.<br />
Verbürgerlichung der NPD<br />
Es ist der brandenburgischen NPD bisher weder bei ihren Funktionären<br />
noch bei ihrer Mitgliederbasis gelungen, bekannte Personen aus der<br />
Mitte der Gesellschaft zu rekrutieren. Im Gegenteil. Seit Ende 2006 hat<br />
sie drei wichtige Funktionäre mit bürgerlichem Hintergrund verloren. So<br />
den ehemaligen Vorsitzenden des damaligen Kreisverbandes Spreewald,<br />
dann seinen Nachfolger sowie die Vorsitzende des Kreisverbandes Havel-<br />
Nuthe.<br />
Die vorgespielte „Bürgernähe“ dient der Propaganda. Die NPD ist und<br />
bleibt ein Sammelbecken für Rassisten und gewaltbereite Antidemokraten.<br />
Sie rekrutiert sich nicht aus der Mitte, sondern am kriminellen und extremistischen<br />
Rand der Gesellschaft. Bisher ist kein Fall bekannt, bei dem es<br />
der NPD gelungen wäre, in <strong>Brandenburg</strong> eine Institution zu unterwandern<br />
und für sich zu vereinnahmen.<br />
Auch der Fall der NPD-Funktionärin Stella Palau taugt hier nicht als Beispiel.<br />
Palau hatte im Familienzentrum in Birkenwerder einen Mutter-Kind-<br />
Kurs angeleitet. Ihr unauffälliges Auftreten hat das Ziel verfehlt, bürgerliche<br />
Strukturen parteipolitisch zu vereinnahmen. Als ihre Parteizugehörigkeit<br />
bekannt wurde, kam es zu keinerlei Solidarisierungseffekten. Die Einrich-<br />
48
Rechtsextremistische Parteien<br />
tung hat sofort jede Zusammenarbeit mit Frau Palau beendet. Sollte es der<br />
NPD aber gelingen, durch gesteigerten Aktionismus ihre Basis nach und<br />
nach zu vergrößern, dann wird das Beispiel Palau kein Einzelfall bleiben.<br />
NPD-Ziel ist und bleibt es, breitere Wählerschichten zu erschließen, um<br />
die DVU im Landtag zu beerben. So soll die Lücke zwischen Sachsen und<br />
Mecklenburg-Vorpommern – in beiden Ländern sitzt die NPD im Landtag<br />
– geschlossen werden. Ein Wählerpotenzial scheint für die NPD ebenso<br />
in <strong>Brandenburg</strong> vorhanden zu sein. Im Frühjahr 2008 bescheinigte das<br />
Meinungsforschungsinstitut Emnid auf der Basis von 1.000 im Dezember<br />
2007 befragten Bürgern der NPD vier Prozent Stimmenanteil bei der Sonntagsfrage<br />
zur brandenburgischen Landtagswahl. Die DVU lag nur noch bei<br />
einem abgeschlagenen Prozentpunkt.<br />
Die Partei verfügt in <strong>Brandenburg</strong> über keinerlei institutionalisierte aktive<br />
Bürgerarbeit, wie Nachhilfeunterricht, Beratung von Hartz-IV-Empfängern<br />
oder Freizeitangebote. In anderen Bundesländern hat sie jedoch solche<br />
Angebote im vorpolitischen Raum installiert. In <strong>Brandenburg</strong> dagegen versucht<br />
nur der Kreisverband Barnim-Uckermark über das Internet, dem Bürger<br />
entsprechende Beratungstipps zu vermitteln. Die dort feilgebotenen<br />
Informationen lassen sich jedoch ohne Aufwand qualifi zierter an anderer<br />
Stelle im Netz aufrufen.<br />
Die Flugschriften der Ortsverbände des Kreisverbandes Oderland versuchen<br />
zwar, sich mit regionalen Problemen wie Schulschließungen auseinanderzusetzen,<br />
zeigen aber deutlich, dass die NPD inhaltlich keine<br />
realistische Alternative bieten kann. Die aktuelle Kommunalpolitik in den<br />
Regionen wird in der Regel nur negativ beschrieben und als Sozialabbau,<br />
Steuerabzocke, Überfremdung und Kriminalitätsförderung diffamiert. Verursacher<br />
seien die demokratischen Parteien.<br />
Dabei ignoriert die NPD, dass gerade Kommunalpolitik in <strong>Brandenburg</strong> in<br />
vielen Orten durch das Engagement freier Wählergruppen bestimmt wird.<br />
Vereinzelte kommunalpolitische Initiativen der Rechtsextremisten bleiben<br />
auf dem Niveau von Stammtischparolen, die sowohl eine gewisse DDR-<br />
Nostalgie als auch rassistische Klischees bedienen. Zur Lösung kommunaler<br />
Finanzprobleme sind solche Vorschläge nicht geeignet, sondern<br />
allenfalls dazu, Neid und Vorurteile zu schüren. Nichtsdestotrotz ist die<br />
NPD zusehends bemüht, die kommunalpolitische Ebene verstärkt anzusprechen.<br />
Noch fehlen ihr dafür die Fachkenntnisse und die Mittel.<br />
49
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Die wenigen tatsächlichen Angebote der Partei wenden sich in erster Linie<br />
an Mitglieder und Sympathisanten. Das hat einerseits zur Folge, dass immer<br />
die „üblichen Verdächtigen“ an solchen Veranstaltungen teilnehmen.<br />
Von der Partei ins Internet gestellte Fotos belegen dies. Andererseits hat<br />
ein harter Kern engagierter NPDler eine kleine aktionistische Gegenwelt<br />
etabliert, die nach außen wenig ausstrahlt. Bis jetzt. Dieser Kern ist jedoch<br />
hoch agil und gewillt, die Lehre vom Rassismus, Antisemitismus sowie<br />
vom totalitären Staatsverständnis weiter in die Gesellschaft hineinzutragen.<br />
Zum jetzigen Zeitpunkt muss, angespornt durch Wahlerfolge in Sachsen<br />
und Mecklenburg-Vorpommern, mit einer weiteren Zunahme dieser<br />
Aktivitäten gerechnet werden.<br />
Der NPD ist es bisher nicht gelungen, sich in bürgerliche Protestbewegungen<br />
einzuklinken geschweige denn an deren Spitze zu stellen. Aber die<br />
Versuche sind erkennbar. Zum Beispiel diejenigen gegen Braunkohletagebau<br />
und gegen die Schließung einer Möbelfabrik in Storkow.<br />
Aufgrund ihrer schwachen personellen Basis wird es die NPD schwer<br />
haben, zur 2008er Kommunalwahl in vielen Regionen des Landes geeignete<br />
Kandidaten aufzustellen. Ebenso wird sie ein fl ächendeckender<br />
Wahlkampf vor große logistische Herausforderungen stellen. Auch fi nanziell<br />
verfügt die Partei sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene über<br />
geringe Ressourcen.<br />
Rolle der „Freien Kräfte“<br />
Logistische Hilfestellung könnten der NPD – wie in Mecklenburg-Vorpommern<br />
– Neonazis leisten, die sich selbst „Freie Kräfte“ nennen. Als<br />
Bindeglied zwischen ihnen und der NPD könnten die „Jungen Nationaldemokraten“<br />
(JN) zunehmende Bedeutung erlangen. Im Raum Teltow/Königs<br />
Wusterhausen und Cottbus/Guben bestehen inzwischen Kontakte<br />
zwischen NPD und „Freien Kräften“ bis nach Berlin und in die sächsische<br />
Lausitz. Viele Neumitglieder in der JN, die aus der neonazistischen Kameradschaftsszene<br />
kommen, haben allerdings ein sehr ambivalentes Verhältnis<br />
zur NPD. Ihnen ist die Partei immer noch nicht radikal genug.<br />
Ohne die Mithilfe der „Freien Kräfte“ wird die NPD ihren Kommunalwahlkampf<br />
aber kaum organisieren können. Lassen die neonazistischen „Freien<br />
50
Rechtsextremistische Parteien<br />
Kräfte“ sich darauf ein, wird man auch versuchen, sich bei der Landtagswahl<br />
2009 über das „NPD-Ticket“ Sitze im Landtag zu verschaffen. Zwar<br />
gilt 2009 noch der „Deutschland-Pakt“ mit der DVU, der eine eigenständige<br />
Kandidatur der NPD bei den Landtagswahlen in <strong>Brandenburg</strong> ausschließt.<br />
Aber bei der dauerhaften Erfolglosigkeit der DVU wird sich die NPD nicht<br />
an den Extremisten-Pakt gebunden fühlen und Gegenkandidaten aufstellen.<br />
Erste deutliche Brüche im Extremisten-Pakt sind bereits in Thüringen<br />
erkennbar. Dort erhöht die NPD den Druck auf die DVU (siehe S. 43).<br />
Die Entwicklung bei den JN in <strong>Brandenburg</strong> zeigt, dass die neonazistischen<br />
Neuzugänge zur Partei kaum kontrollierbar sind. Sollten die Neonazis in<br />
der NPD sich dafür entscheiden, zentrale Positionen in der NPD zu besetzen,<br />
dürfte einem endgültigen Abrutschen der ohnehin schon rassistischen<br />
und demokratiefeindlichen Partei in den – auch gewaltgeneigten – Neonazismus<br />
nichts mehr im Wege stehen.<br />
Bei einem verstärkten Zusammenrücken von „Freien Kräften“ und NPD<br />
würde die derzeitige parteipolitische Unabhängigkeit der „Freien Kräfte“<br />
eingetauscht gegen eine Abhängigkeit von NPD und JN. Sicherlich würde<br />
auch bei dem Einen oder Anderen dabei die Aussicht auf lukrative Posten,<br />
z. B. Mandate, eine Rolle spielen. Bleiben diese aus, sind neue Formierungen<br />
zu erwarten.<br />
Insofern wird auch die JN in <strong>Brandenburg</strong> versuchen, die Zeit bis zur Kommunalwahl<br />
im Herbst 2008 für eine verstärkte Mitgliederwerbung zu nutzen.<br />
Mit neuen Anhängern ließen sich neue Stützpunkte gründen und die<br />
mögliche Teilnahme an der Landtagswahl besser organisieren. Einziges,<br />
aber nicht zu unterschätzendes Hindernis dürfte der Mangel an fähigem<br />
Personal sein.<br />
Auch dürften die Aktivitäten der Parteijugend JN nicht immer im Sinne der<br />
Mutterpartei NPD sein. Spannungen, insbesondere dann, wenn es um die<br />
Frage der Unterordnung geht, sind somit programmiert.<br />
51
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
52
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
NEONAZIS UND GEWALTBEREITER<br />
RECHTSEXTREMISMUS<br />
Kameradschaften zwischen Verbot,<br />
Scheinaufl ösungen und Umorientierung<br />
Die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik<br />
Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie (siehe Anlage). Vereinigungen,<br />
die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, sind verboten<br />
(Artikel 9, Absatz 2 Grundgesetz). Parteien werden vom Bundesverfassungsgericht<br />
verboten. Vereine und sonstige Organisationen verbietet der<br />
jeweils zuständige Innenminister.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> wird von dem gesetzlich vorgesehenen Verbot rege Gebrauch<br />
gemacht.<br />
Verbote in <strong>Brandenburg</strong> 2005 bis 2006<br />
„Hauptvolk“ und „Sturm 27“<br />
Am 6. April 2005 verfügte der Minister des Innern<br />
des Landes <strong>Brandenburg</strong> die Aufl ösung der Kameradschaft<br />
„Hauptvolk“ und ihrer Untergliederung<br />
„Sturm 27“. Über 300 Polizeibeamte hatten<br />
am 12. April 2005 in <strong>Brandenburg</strong>, Sachsen-Anhalt<br />
und Niedersachsen insgesamt 41 Objekte<br />
von 39 Rechtsextremisten durchsucht und dabei<br />
etwa 5.500 Asservate sichergestellt. Darunter waren<br />
auch strafrechtlich relevante Dinge: Stichwaffen, Waffen- und Munitionsteile,<br />
Propagandamaterialien, indizierte Tonträger.<br />
Die Kameradschaft „Hauptvolk“ war die mitgliederstärkste und aktivste Kameradschaft<br />
<strong>Brandenburg</strong>s. Ihr Mitgliederkern bestand aus etwa 35 Personen.<br />
Sie entstand im Jahre 2001 aus einem Zusammenschluss langjähriger<br />
Führungspersonen und Aktivisten der rechtsextremistischen Szene<br />
in Rathenow und Premnitz. Das Verbot hat die rechtsextremistischen Aktivitäten<br />
des Personenzusammenschlusses weitgehend zum Erliegen gebracht.<br />
53
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Kameradschaft „ANSDAPO“<br />
Das Verbot des neonazistischen Vereins „ANSDAPO“,<br />
einer neonazistischen Kameradschaft aus Strausberg,<br />
am 4. Juli 2005 hatte insgesamt 24 Wohnungsdurchsuchungen<br />
zur Folge. Es wurde eine Vielzahl relevanter<br />
Gegenstände und Dokumente gefunden. Insgesamt<br />
handelt es sich um 463 Gegenstände, darunter auch<br />
Waffen beziehungsweise Munition. Das Vereinszeichen<br />
der Kameradschaft war eine „Schwarze Sonne“ mit dem<br />
Schriftzug „ANSDAPO“ darüber.<br />
Eine Bestandskraft des Verbotes ist noch nicht eingetreten, da die Verbotsverfügung<br />
angefochten worden ist. Nachfolgeaktivitäten des Vereins sind<br />
nicht feststellbar.<br />
„Schutzbund Deutschland“<br />
Am 26. Juni 2006 verbot der Innenminister des Landes <strong>Brandenburg</strong><br />
den Verein „Schutzbund Deutschland“. Dieser Verein hatte mit seiner<br />
aggressiv-kämpferischen Propagandatätigkeit gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung auf sich aufmerksam gemacht. Sowohl die<br />
Argumentation als auch die Gestaltung der Propagandamaterialien wiesen<br />
eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auf. Rassistische<br />
und judenfeindliche Hetzschriften richteten sich massiv gegen den Gedanken<br />
der Völkerverständigung. Am 4. Juli 2006 durchsuchte die Polizei<br />
in <strong>Brandenburg</strong> und Sachsen-Anhalt 15 Wohnungen von Mitgliedern<br />
des „Schutzbundes Deutschland“. Dabei wurde unter anderem eine voll<br />
ausgestattete Druckerwerkstatt, die zur Herstellung von Propagandamaterial<br />
genutzt worden war, beschlagnahmt. Außerdem stellten sie mehrere<br />
zehntausend Flyer, Plakate, Aufkleber, Hefte und Bücher, aber auch einen<br />
Totschläger und Teile eines Karabiners sicher. Der Verein hat gegen das<br />
Verbot Rechtsmittel eingelegt.<br />
Nach dem Verbot des „Schutzbundes Deutschland“ wurde nur noch vereinzelt<br />
dessen Propagandamaterial verteilt. Auf mögliche Nachfolgeaktivitäten<br />
deutete zunächst ein Flugblatt der „Bewegung Neues Deutschland“<br />
hin. Die Aktivitäten der „Bewegung Neues Deutschland“ sind allerdings im<br />
Frühjahr 2007 zum Erliegen gekommen.<br />
54
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Als Reaktion auf das Verbot der Neonazi-Organisation „Schutzbund<br />
Deutschland“ und den zunehmenden Verfolgungsdruck durch brandenburgische<br />
Sicherheitsbehörden gaben im August 2006 mehrere neonazistische<br />
Kameradschaften ihre Aufl ösung bekannt. Dies betraf die Gruppierungen<br />
„Sturm Cottbus“ und „Lausitzer Front Guben“. Beide Aufl ösungen<br />
waren jedoch nur vorgetäuscht. Die gleichen Personen setzten danach<br />
ihre extremistischen Aktivitäten - nur in anderer Form - unvermindert fort.<br />
Zudem nahmen sie einen regen Informationsaustausch mit brandenburgischen<br />
und sächsischen Funktionären der „Nationaldemokratischen Partei<br />
Deutschlands“ (NPD) und ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“<br />
(JN) auf.<br />
Im September 2006 wurde die Homepage der „Gesinnungsgemeinschaft<br />
Süd-Ost <strong>Brandenburg</strong>“ (GGSOBB) von ihren Betreibern abgeschaltet. Es<br />
handelte sich hierbei um ein Internetprojekt, das Rechtsextremisten in der<br />
Grenzregion <strong>Brandenburg</strong>s und Sachsens als wichtige Kommunikationsplattform<br />
diente.<br />
Am 4. November 2006 hat sich der „Märkische Heimatschutz“ (MHS) nach<br />
fünf Jahren sang- und klanglos und nicht überraschend von der rechtsextremistischen<br />
Bühne Berlins und <strong>Brandenburg</strong>s verabschiedet. Begründet<br />
wurde der Schritt damit, dass man sich „von alten Strukturen lösen“ und<br />
„einen anderen politischen Weg“ beschreiten wolle. Insbesondere habe<br />
man vor, künftig „den parlamentarischen Weg zu gehen“.<br />
Im Herbst 2006 gründete sich die etwa zehn Mitglieder starke rechtsextremistische<br />
„Interessengemeinschaft Sturm Oranienburg“. Bevor die<br />
„Sturm“-Mitglieder größere Aktivitäten entfalten konnten, durchsuchte die<br />
Polizei am 6. Dezember 2006 Wohnungen von sieben ihrer Mitglieder.<br />
Noch am selben Tag gab ein Mitglied die „offi zielle“ Aufl ösung der „Interessengemeinschaft<br />
Sturm Oranienburg“ im Internet bekannt.<br />
All diese Gruppierungen folgten mit der öffentlich verkündeten „Aufl ösung“<br />
ihrer Strukturen einer Strategie, die von führenden sächsischen Neonazis<br />
im Internet ausführlich propagiert wird: Um „der zunehmenden Verfolgung“<br />
durch „das System“ zu entgehen, solle künftig auf „feste Strukturen“, „Vereinsausweise“<br />
und „Gruppenkassen“ verzichtet werden. Für den Zusammenhalt<br />
der „Widerstandsbewegung“ seien keine Gruppennamen erforderlich,<br />
einzig und allein „unsere Weltanschauung“ verbinde.<br />
55
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
In Folge von Verboten beziehungsweise Selbstaufl ösungen stehen die<br />
Betroffenen vor der Entscheidung, auszusteigen, oder sich anderen Extremisten<br />
anzuschließen. Einige steigen aus der Szene endgültig aus. Andere<br />
schließen sich bestehenden Strukturen von NPD und JN an.<br />
Von der rechtsextremistischen Kameradschaft<br />
über „Freie Kräfte“ hin zur NPD<br />
Nach den ersten hektischen Reaktionen der rechtsextremistischen Szene<br />
auf das Verbot des „Schutzbund Deutschland“ im Sommer 2006 sucht sie<br />
nunmehr nach neuen Wegen, um politisch aktiv zu sein. Ein Teil der Neonazis<br />
wendet sich der NPD zu, ein anderer Teil wirkt in überregionalen<br />
Netzwerken mit. Rechtsextremistische Kameradschaften hingegen haben<br />
im Land <strong>Brandenburg</strong> massiv an Bedeutung verloren. Aufgrund des staatlichen<br />
Verfolgungsdruckes sind in <strong>Brandenburg</strong> Kameradschaften zurzeit<br />
nicht dauerhaft bestandsfähig. Es gibt extremistische Strukturen, in denen<br />
Neonazis ebenso wirkungsvoll Aktivitäten entfalten können. Die NPD ist<br />
eine solche Struktur. Sie bietet Neonazis die Möglichkeit, auf kommunaler<br />
sowie auf Landesebene ihr Gedankengut zu verbreiten. Hinzu kommt das<br />
Internet mit seinen virtuellen Möglichkeiten zur Kommunikation und Mobilisierung.<br />
Reale Zusammenkünfte werden so teilweise ersetzt. Neonazis<br />
kommunizieren heute ganz selbstverständlich über das Internet, verabreden<br />
sich in Chatrooms oder laden sich Propagandamaterial aus dem<br />
Internet herunter.<br />
Das Verhältnis von Neonazis zur NPD ist und bleibt ambivalent. Nur wenige<br />
wenden sich vorbehaltlos der Partei zu. Für überzeugte „Nationale<br />
Sozialisten“ bleibt die NPD trotz ihrer zunehmenden Nazifi zierung eine<br />
„Systempartei“. Neonazis selbst sehen sich, in Anlehnung an die Hitler-<br />
Bewegung der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, als antidemokratische<br />
Bewegung. Die deutsche Parteienstruktur und die Teilnahme an<br />
demokratischen Verfahren lehnen sie strikt ab. In <strong>Brandenburg</strong> ist es der<br />
NPD daher noch nicht gelungen, die neonazistischen „Freien Kräfte“ in<br />
gleichem Maße an sich zu binden, wie das in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern<br />
der Fall ist.<br />
Weder in Rathenow noch in Strausberg konnte die NPD von den Verboten<br />
der Kameradschaften „Hauptvolk“/“Sturm 27“ und „ANSDAPO“ substanziell<br />
56
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
profi tieren. Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Havel-Nuthe ist jedoch<br />
ein ehemaliges „Hauptvolk“-Mitglied. Ansonsten sind in Rathenow nur wenige<br />
ehemalige Mitglieder von „Hauptvolk“/“Sturm 27“ in den dortigen Ortsverband<br />
der NPD eingetreten. Von der „ANSDAPO“ vollzog kein einziges<br />
ehemaliges Mitglied diesen Schritt. Ebenso wenig Erfolg hatte die NPD<br />
bisher in der Prignitz im Hinblick auf ehemalige „Schutzbund“-Mitglieder.<br />
Vieles deutet allerdings darauf hin, dass die Grenzen zwischen den NPD-<br />
Strukturen und der neonazistischen Szene aufweichen und dass neue,<br />
durch die Kameradschaftsszene geprägte Akteure eine andere Dynamik<br />
in diesen Prozess hineintragen. Die JN-Stützpunkte in Oberhavel und Oranienburg<br />
werden einerseits im Wesentlichen von ehemaligen Mitgliedern<br />
der aufgelösten MHS-Strukturen betrieben. Andererseits pfl egen auch Mitglieder<br />
des neuen JN-Stützpunktes Spreewald Kontakt zu Mitgliedern des<br />
JN-Stützpunktes in Hoyerswerda und damit zu den neonazistischen „Freien<br />
Kräften“ in der sächsischen Lausitz sowie in Südbrandenburg. Besonders<br />
im Südosten <strong>Brandenburg</strong>s bestehen sehr enge Kontakte zwischen<br />
„Freien Kräften“ und NPD. Führende Neonazis arbeiten zumindest anlassbezogen<br />
mit den NPD-Kreisverbänden Oderland und Spreewald (seit Dezember<br />
2007 Kreisverband Lausitz) zusammen. Sie nehmen an internen<br />
Treffen der Kreisverbände teil, unterstützen die Partei bei der Verteilung<br />
von Propagandamaterial und beraten sie in PR-Angelegenheiten.<br />
Schaffung überregionaler Netzwerke<br />
Bereits im Jahr 2005 waren solche Vernetzungsbestrebungen im Südosten<br />
<strong>Brandenburg</strong> zu beobachten. Das im selben Jahr gegründete „Lausitzer<br />
Aktionsbündnis“ (LAB) strebte strategisch eine Vernetzung unorganisierter<br />
Rechtsextremisten und neonazistischer Kameradschaften an. Insgesamt<br />
gehörten dem LAB etwa 20 bis 30 Rechtsextremisten an. Darüber hinaus<br />
konnte das LAB bis zu 150 Rechtsextremisten für eigene Veranstaltungen<br />
mobilisieren. Der überwiegende Aktionsradius lag in Sachsen.<br />
Im Jahr 2006 war eine Annäherung zwischen „Freien Kräften“ und der NPD<br />
im Südosten <strong>Brandenburg</strong>s feststellbar. Mitglieder der zum Schein aufgelösten<br />
Kameradschaften „Sturm Cottbus“ und „Lausitzer Front Guben“<br />
setzten ihre Aktivitäten unvermindert fort. Strukturelles Auffangbecken war<br />
die sächsische JN, deren Stützpunkt Hoyerswerda zunehmend die neonazistischen<br />
Strukturen des <strong>Brandenburg</strong>er Südostens organisatorisch<br />
bündelte.<br />
57
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Veranstaltungen, die noch im Jahr 2005 unter dem Dach des LAB stattfanden,<br />
trugen 2006 bereits das Logo der JN. 2007 ist der Einfl uss des<br />
JN-Stützpunktes Hoyerswerda auf das Lausitzer Netzwerk allerdings<br />
wieder zurückgegangen. In der Lausitz existiert nunmehr ein Partei ungebundenes<br />
neonazistisches Netzwerk, das auf einen festen Organisationsnamen<br />
verzichtet. Vielmehr werden wechselnde Arbeitsnamen genutzt,<br />
beispielsweise „Lausitzer Widerstandsbewegung“, „Nationale Sozialisten<br />
Lausitz“ oder „Lausitzer Aktionsbündnis“. Das Netzwerk vermeidet eindeutige<br />
und hierarchische Strukturen, verhält sich äußerst konspirativ und tritt<br />
öffentlich auch nicht geschlossen in Erscheinung.<br />
Bei diesem neu entstandenen namenlosen Netzwerk handelt es sich um<br />
ein Gefüge verschiedener Einzelgruppen und -personen, die lediglich<br />
durch die gemeinsame Ideologie verbunden sind. Eine steuernde Funktion<br />
kommt dem Neonazi Sebastian Richter zu. Für Demonstrationen sind derzeit<br />
maximal 150 Personen zu mobilisieren. Einige wenige „Netzwerker“<br />
fordern ein „freies, soziales und nationales Deutschland“. Das freiheitliche<br />
System müsse mit „allen Mitteln“ bekämpft werden, wenn „das Volk“ aus<br />
den „Fesseln des Kapitalismus“ befreit werden solle. Zudem bündeln die<br />
zentralen Akteure die Aktivitäten und pfl egen extremistische Kontakte.<br />
Im Jahr 2007 konnte das Lausitzer Netzwerk seinen Radius in Richtung<br />
Potsdam, Potsdam-Mittelmark und Oberhavel ausweiten. Enge Kontakte<br />
bestehen auch zu Neonazis aus Leipzig und Chemnitz. Inhaltliche Differenzen<br />
werden zurzeit noch überbrückt, und dadurch hält das Netzwerk<br />
auch konträre politische Meinungen aus. So steht ein Teil seiner Aktivisten<br />
der NPD ablehnend gegenüber, andere wiederum unterstützen die Partei<br />
aktiv.<br />
Ein Teil hängt der rechtsextremistischen Musikszene an, ein anderer nicht.<br />
Es kommt vor, dass an bestimmten rechtsextremistischen Veranstaltungen<br />
nur Teilmengen des Netzwerkes teilnehmen. Ein solches Netzwerk hält<br />
auch unterschiedliche politische Meinungen der Akteure aus. Mitglieder<br />
des Netzwerkes nehmen an Demonstrationen teil und führen Mahnwachen<br />
und Plakatierungen durch. Sie organisieren auch interne Saal- und<br />
Vortragsveranstaltungen.<br />
58
Funktion des Internets<br />
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Die Kommunikation per Internet und Handy, die heutzutage dem Lifestyle<br />
eines Großteils aller Jugendlichen entspricht, ermöglicht Kontaktpfl ege,<br />
Information, Abstimmung, Aufbau neuer Kontakte, Planung und Verabredung<br />
von Aktivitäten. Zur Verbreitung seiner Ideologie und zur Rekrutierung<br />
neuer Mitglieder nutzt das Netzwerk die Internet-Seiten www.jugendoffensive.info<br />
und www.lausitz-infos.net. Beide Seiten werden von dem<br />
Neonazi Richter betreut.<br />
Auf der Seite www.jugend-offensive.info fordert das Netzwerk rechtsextremistische<br />
Interessenten auf, „nationale Politik sichtbar zu machen“. Es<br />
wirbt für seine „fl exiblen Aktionsformen“ („z. B. Demonstrationen, Mahnwachen,<br />
Straßentheater, Flugblatt- und Plakataktionen, Arbeitseinsätze“)<br />
und appelliert an potenzielle Mitglieder, „mit uns zu kämpfen“. Persönliche<br />
Einsatz- und Opferbereitschaft sei Voraussetzung, um „aktiv dem Widerstand“<br />
anzugehören. „Widerstand“, so das Netzwerk, sei kein „Abenteuerspielplatz“,<br />
sondern ein „Freiheitskampf mit all seinen Konsequenzen“.<br />
Es müsse dauerhaft gekämpft werden, denn Veränderungen seien nicht<br />
von heute auf morgen zu erreichen. Eine Vielzahl der genannten rechtsextremistischen<br />
Aktivitäten ist auf einem Video dokumentiert, das mit der<br />
Webseite verlinkt ist.<br />
Untermalt wird diese Dokumentation von einem Lied der neonazistischen<br />
<strong>Brandenburg</strong>er Band „Hassgesang“. Das Video zeigt unter anderem vermummte<br />
Rechtsextremisten, die Hauswände mit Parolen wie „Mord an<br />
Hess“ oder „Freiheit für Zündel“ beschmieren. Sie kleben Plakate, die<br />
stumpfen Anti-Amerikanismus und Antisemitismus verbreiten („Den USamerikanischen<br />
Weltenbrand stoppen. Fuck USA“ und „Stop Israel“).<br />
Andere Losungen erinnern an den NS-Funktionär Horst Wessel oder thematisieren<br />
die Bombardierung Dresdens im Jahr 1945 („Massenmörder<br />
sind keine Befreier“). Manche greifen die Demokratie direkt an („Die Demokraten<br />
bringen uns den Volkstod“).<br />
59
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
„Heimattreue Deutsche Jugend e. V.“<br />
Seit etwa einem Jahr ist die „Heimattreue<br />
Deutsche Jugend“ (HDJ) verstärkt in das<br />
öffentliche Interesse gerückt. Berichte in<br />
Zeitungen und im Fernsehen machten auf<br />
das Treiben dieser rechtsextremistischen<br />
Jugendorganisation aufmerksam und dokumentierten,<br />
wie die HDJ Jugendliche ködert.<br />
Die HDJ stellt sich als Verband junger, lebensfroher Deutscher dar, die<br />
gegen den modernen Zeitgeist eingestellt seien. „Wir bekennen uns zu unserem<br />
Volk und leben den Gedanken der Volksgemeinschaft schon heute<br />
im Kleinen vor.“ „Kameradschaft leben! Deutschland entdecken! Werte erfahren!<br />
Geschichte verstehen! Zukunft gestalten!“ – so lauten die Parolen,<br />
die zu Zeltlagern, Tages-, Nacht- und Wochenendwanderungen, Sonnenwendfeiern,<br />
Heldengedenken, Singen, Volkstanz und regelmäßigen Heimabenden<br />
als „Gemeinschaftserlebnisse“ einladen.<br />
Der vollständige Name der HDJ lautet: „Heimattreue Deutsche Jugend<br />
- Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V.“. Die Vorläufer<br />
des seit 2001 unter dieser Bezeichnung auftretenden Vereins sind „Die<br />
Heimattreue Jugend 1990 – Bund für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V.“<br />
(DHJ) und der 1958 gegründete „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ). Die<br />
rechtsextremistische Ausrichtung hat die HDJ mit ihren Vorgängerorganisationen<br />
gemeinsam, ebenso wie die Buchstaben „HJ“ als Namensbestandteil<br />
– mutmaßlich in bewusster Anlehnung an die Abkürzung der<br />
„Hitlerjugend“ (HJ).<br />
Inhaltlich und personell lässt sich in der HDJ eine Kontinuität zur 1994 verbotenen<br />
„Wiking-Jugend“ (WJ) erkennen. Das zeigen die Aktivitäten des<br />
letzten WJ-Bundesführers, Rechtsanwalt Wolfram Nahrath, für die HDJ<br />
sowie auch des seit 2003 amtierenden HDJ-Bundesführers, Sebastian<br />
Räbiger. Er war zum Zeitpunkt des WJ-Verbotes deren „Gaubeauftragter“<br />
für Sachsen.<br />
Mit Wolfram Nahrath, Sebastian Räbiger sowie der „Bundesmädelführerin“<br />
Holle Böhm wohnen drei führende HDJ-Aktivisten in <strong>Brandenburg</strong>. Dabei<br />
60
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
bekleidet Nahrath keine offi zielle Funktion innerhalb der HDJ. Aber er ist<br />
der führende Kopf, der vor allem aus dem Hintergrund agiert. Von seiner<br />
besonderen Funktion zeugt auch die Besprechung des 5. Märkischen<br />
Kulturtages in der HDJ-Publikation „Funkenfl ug“: „Durch das Programm<br />
führte, wie durch bislang jeden Märkischen Kulturtag RA Wolfram Nahrath“.<br />
Obwohl sich die HDJ selbst als bundesweit agierende und strukturierte<br />
Organisation darstellt, ist sie bislang nur in einzelnen regionalen<br />
Schwerpunkten präsent.<br />
Der in Berlin ansässigen HDJ-Bundesführung sind die Leitstellen „Nord“<br />
(Hamburg), „Mitte“ (Dresden), „West“ (Detmold) sowie „Süd“ (Alzenau/Bayern)<br />
unterstellt. Darüber hinaus existieren noch mehrere „Einheiten“ mit<br />
regionalen Zusatzbezeichnungen, zu denen die Einheit „Preußen“ gehört.<br />
Diese umfasst den Raum Berlin/<strong>Brandenburg</strong>. Der eigentlichen Organisation<br />
sind verschiedene so genannte FFK (Freundes- und Familienkreise)<br />
angegliedert. Der Zweck dieser FFK liegt sowohl in der materiellen und<br />
organisatorischen Unterstützung als auch in der Einbindung ganzer Familien<br />
in die Kernorganisation, sie bilden so die Schnittstelle zwischen den<br />
Generationen.<br />
Ideologie der HDJ<br />
In der Februar-Ausgabe 2007 der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ legte<br />
Sebastian Räbiger in einem längeren Interview die Ziele der HDJ dar. Darin<br />
ist vom „größten Daseinskampf, den unser Volk je auszufechten hatte“<br />
die Rede. Dass hinter dieser Aussage ein rassistisches Weltbild steckt,<br />
zeigt sich daran, dass Räbiger einige Sätze später von „dem artfremden<br />
Tingeltangel der Umerzieher“ spricht. Demokratie sei durch „Umerziehung“<br />
„Artfremder“ nach Deutschland gekommen.<br />
Bereits im 7. Jahrgang erscheint (meist vierteljährlich) die Zeitschrift<br />
der HDJ „Funkenfl ug – jung<br />
stürmisch volkstreu“. Verantwortlicher<br />
Herausgeber ist<br />
Sebastian Räbiger. Längere<br />
Berichte und kurze Notizen<br />
beschreiben HDJ-Aktivitäten. Darüber hinaus belegt der „Funkenfl ug“<br />
inhaltlich die revisionistischen und rassistischen Thesen der HDJ. In der<br />
ersten Ausgabe 2006 drückte die Zeitung ihre Sympathie mit der verbo-<br />
61
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
tenen rechtsextremistischen „Wiking-Jugend“ und ihrem Vereinssymbol,<br />
der Odalrune, aus: „Wir dürfen die Odalrune zwar nicht in unserer Fahne<br />
tragen, doch sie ist dort, wo sie immer war und immer sein wird: in unserem<br />
Herzen. Niemand kann sie uns dort nehmen oder verbieten.“ Wie alle<br />
Rechtsextremisten vertritt auch die HDJ ein in erster Linie rassistisches<br />
Weltbild. So heißt es im „Funkenfl ug“ 2/2006: „Nur richtig Weißes macht<br />
glücklich“<br />
Der geschichtsrevisionistische Aspekt der HDJ-Ideologie zeigt sich in folgendem<br />
Zitat der „Funkenfl ug“-Ausgabe 2/2005:<br />
„Der 30. Januar 1933 wird Ausgangspunkt einer der größten Wendungen,<br />
die die Geschichte des deutschen Volkes kennt. Nach Zurückgewinnung<br />
des Saarlandes, Österreichs, Sudetendeutschlands<br />
und der Inschutzstellung Böhmen und Mährens repräsentieren über<br />
630.000 Quadratkilometer Fläche und 85,7 Millionen Einwohner das<br />
neu entstandene Großdeutschland. ... Auch wenn Vertriebenenverbände<br />
aufgehört haben, daran zu glauben, deutsche Gebiete wieder<br />
zurückzuerhalten, ... halten wir doch fest an deutscher Heimat, an<br />
deutschem Boden fest. Egal, wie klein der Verzicht auch sein mag, er<br />
bleibt Verrat!“<br />
Uniformierung der HDJ<br />
In den Ausgaben des „Funkenfl ugs“ ist zum Beziehen von Kleidungsstücken<br />
und weiterer Ausrüstung der HDJ sowie von CDs, Büchern und Kalendern<br />
jeweils eine Liste der „Abteilung Beschaffung“ abgedruckt. Mit der<br />
gleichförmigen Bekleidung ist eine Uniformierung der Mitglieder gegeben.<br />
Sie besteht bei den Männern aus weißem Hemd und schwarzer Zunfthose,<br />
bei den Frauen aus dunkelblauen Jacken und Röcken. Das Führungspersonal<br />
ist durch farbige Balken am Oberarm der Hemden gekennzeichnet.<br />
Mit dieser Uniformierung, die sich auch in den Artikeln und Abbildungen<br />
des „Funkenfl ug“ wiederfi ndet, verstößt die HDJ gegen das generelle Uniformverbot<br />
nach dem Versammlungsgesetz. Im Juni 2007 hatte Räbiger<br />
beim Bundesminister des Innern für die HDJ eine Ausnahmegenehmigung<br />
von diesem Verbot beantragt. Im September 2007 lehnte das Ministerium<br />
diesen Antrag ab. Laut Gesetz kann eine Erlaubnis, eine Uniform zu tragen<br />
erteilt werden, wenn sich der betreffende Jugendverband vorwiegend<br />
der Jugendpfl ege widmet. Das gilt beispielsweise für Jugendfeuerwehren,<br />
62
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Pfadfi nder und vergleichbare Einrichtungen. Das Ministerium sah die Aktivitäten<br />
der HDJ im Gegensatz dazu „als Förderung einer gemeinsamen<br />
politischen Gesinnung“.<br />
Ein Vorfall im Land <strong>Brandenburg</strong> zeigt die Bedeutung des Uniformverbots<br />
für das öffentliche Leben: Der Polizei fi el am 9. Juni 2007 in Oranienburg<br />
eine Gruppe von neun uniformierten jungen Männern auf. Zuerst gaben<br />
sie sich als „Pfadfi nder“ aus, im weiteren Verlauf der Kontrolle gaben sie<br />
an, zur HDJ zu gehören. Zu diesem Vorfall wird ein Ermittlungsverfahren<br />
bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin geführt, das im September 2007 zu<br />
Hausdurchsuchungen bei den festgestellten Personen führte.<br />
Aktivitäten der HDJ<br />
Enge Kontakte bestehen zwischen der HDJ und der NPD. Einige Mandatsträger<br />
der HDJ sind zugleich Mitglieder der NPD oder beteiligen sich<br />
zumindest an deren Aktivitäten. Von 2001 bis 2006 fanden jährlich am südlichen<br />
Rande von Berlin die „Märkischen Kulturtage“ statt. Neben der HDJ<br />
traten als Veranstalter die „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF) und<br />
die „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V.“ (BKP) auf.<br />
Bereits das Programm des „1. Märkischen Kulturtags“ im Spreewald umfasste<br />
Inhalte wie Chordarbietungen, Vorträge über „Preußentum und<br />
preußische Könige“, Laienspiel und den Auftritt einer Fahnenschwinggruppe,<br />
ein Referat über deutsches Brauchtum, den Vortrag selbst geschriebener<br />
Texte, das Singen und Tanzen in großer Runde. Am „6. Märkischen<br />
Kulturtag“ am 4. November 2006 in Blankenfelde nahmen rund 200 Personen<br />
teil.<br />
Im Zusammenhang mit dem „6. Märkischen Kulturtag“ wurde die Journalistin<br />
Andrea Röpke von drei Personen verfolgt und geschlagen. Zu den<br />
Tatverdächtigen gehören der HDJ-Bundesführer Räbiger und ein Mitglied<br />
der NPD. Andrea Röpke ist bei der HDJ bekannt. Die Ausgabe 03/2006<br />
vom „Funkenfl ug“ enthält einen Artikel über sie und ihre Recherchen zur<br />
HDJ (sie berichtete über das Sommerlager der HDJ).<br />
Das Ermittlungsverfahren zu diesem Vorfall wurde bei der Staatsanwaltschaft<br />
Potsdam bearbeitet. Zurzeit fi ndet der Prozess vor dem Amtsgericht<br />
Potsdam statt.<br />
63
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Neben den „Märkischen Kulturtagen“ veranstaltet die HDJ in <strong>Brandenburg</strong><br />
weitere Veranstaltungen für einen größeren Personenkreis. Dazu gehören<br />
in nationalsozialistischer Tradition Sonnenwend-Feiern.<br />
Eine gewisse Publizität erreichte das Pfi ngstlager der HDJ vom 25. bis<br />
28. Mai 2007. Auf dem Privatgelände eines NPD-Mitglieds im niedersächsischen<br />
Eschede (Landkreis Celle) fanden das Lager vom Familienverband<br />
der HDJ und das Jugendlager mit weit über 100 Teilnehmern statt.<br />
Eine polizeiliche Aufl age hatte vorher das Tragen uniformähnlicher Kleidung<br />
verboten.<br />
Diese Lager sind ein wichtiger Weg für die HDJ, bereits Kinder für ihre<br />
Ziele zu gewinnen. Das nach außen getragene Pfadfi nder-Image dient lediglich<br />
zur Tarnung eines politischen Missbrauchs junger Menschen.<br />
64
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Neue Autonome: Neonazis kopieren<br />
linksextremistische Formationen<br />
Anti-Antifa<br />
Für Linksextremisten ist der „antifaschistische<br />
Kampf“ („Antifa“) eine der bekanntesten Kampagneformen,<br />
mit der es mindestens seit Beginn der<br />
80er Jahre gelingt, den bundesweiten Konsens gegen<br />
Rechtsextremismus für eigene extremistische<br />
Ziele zu instrumentalisieren.<br />
Zu Beginn der 90er Jahre begann die rechtsextremistische Szene mit dem<br />
Versuch, eine „Anti-Antifa“ als Gegenbewegung zu etablieren. Die Initialzündung<br />
dazu ging 1992 von dem heute noch aktiven Hamburger Neonazi<br />
Christian Worch aus. Sie erschöpfte sich in der Idee, ein „Anti“ vor „Antifa“<br />
zu ergänzen. Ansonsten kopierte die so entstandene „Anti-Antifa“ lediglich<br />
das linksextremistische Vorbild.<br />
Während die „Antifa“ ihre teilweise mit verdeckten Mitteln – wie dem heimlichen<br />
Verfolgen und Fotografi eren – erhobenen Daten über ihre Gegner<br />
in ihren Publikationen und Websites verbreitet, kommt die „Anti-Antifa“<br />
aber nicht wesentlich über Absichtserklärungen und Aufrufe hinaus. Ihre<br />
bisher aufgefundenen Datensammlungen über „Antifas“, „Linke“, Vertreter<br />
der Staatsgewalt und sonstige Personen des öffentlichen Lebens gleichen<br />
eher einem veralteten, schlecht recherchierten und sehr lückenhaften<br />
Sammelsurium als akribisch angelegten Personendossiers.<br />
Die „Anti-Antifa“-Arbeit erfüllt dennoch für die neonazistische Szene wichtige<br />
Funktionen. Sie pfl egt das gemeinsame Feindbild, kaschiert so interne<br />
Differenzen. Nur der gemeinsame Feind eignet sich, um persönliche Querelen<br />
vorübergehend zu überdecken.<br />
„Anti-Antifa“-Aktivisten zielen auf den Provokationswert ihrer Arbeit ab und<br />
wollen den Gegner einschüchtern und verunsichern. Die Aktionsformen<br />
sind dabei höchst unterschiedlich: Es werden Veranstaltungen des Gegners<br />
beobachtet oder besucht, Teilnehmer fotografi ert und gefi lmt, provozierende<br />
Zwischenrufe oder Wortbeiträge und gewalttätige Aktionen stören.den<br />
Veranstaltungsverlauf.<br />
65
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Beispiele für „Anti-Antifa“-Störungen von Veranstaltungen in <strong>Brandenburg</strong><br />
im Jahr 2007:<br />
Am 14. April störten Neonazis in Potsdam eine Versammlung der „AG Antirassismus“<br />
anlässlich des 62. Jahrestages der Bombardierung der Stadt.<br />
Die Neonazis fi lmten die Kundgebung und riefen aus einem Auto heraus<br />
mit einem Megafon die Parole „frei, sozial und national“.<br />
Am 24. Juni versammelten sich etwa 25 überwiegend schwarz gekleidete<br />
Rechtsextremisten in unmittelbarer Nähe einer Demonstration des Studentenparlaments<br />
der Technischen Universität Cottbus. Die Versammlung<br />
stand unter dem Motto „Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“.<br />
Beispiel für gewalttätigen „Anti-Antifa“-Übergriff:<br />
In den frühen Morgenstunden des 3. November verübten Rechtsextremisten<br />
einen Anschlag auf den von ihnen als „links“ angesehenen Studentenclub<br />
„Grotte e. V.“ in Frankfurt (Oder). Die Täter warfen Steine und<br />
Flaschen auf das Gelände und skandierten dabei die Parole „Dumm, dümmer,<br />
Antifa“.<br />
Mit Palästinensertuch: „Autonome Nationalisten“<br />
Im Rechtsextremismus sind zwei gegenläufi ge Tendenzen zu beobachten.<br />
Einerseits der starke Trend zur NPD. Andererseits die „Autonomen<br />
Nationalisten“ (AN), die schon in ihrem Erscheindungsbild dem herkömmlichen<br />
Bekleidungsstil von Neonazis widersprechen. Etwa seit Ende 2003<br />
treten letztere in Deutschland bei rechtsextremistischen Demonstrationen<br />
wiederholt auf. In ihrem äußeren Erscheinungsbild und bei der Wahl ihrer<br />
Aktions- und Organisationsformen orientieren sie sich an linksextremistischen<br />
Autonomen und kopieren deren Kennzeichen sowie einige politische<br />
Kernaussagen.<br />
So tragen die Befürworter dieses Stils beispielsweise Palästinensertücher<br />
als Zeichen ihres Antisemitismus und T-Shirts mit dem Bild des marxistischen<br />
Revolutionärs Ernesto „Che“ Guevara. Mit schwarzer Kleidung,<br />
Turnschuhen, Sonnenbrillen, Baseball-Kappen und Kapuzenpullovern<br />
sind sie von „linken“ Jugendszenen kaum noch zu unterscheiden. Auf<br />
Transparenten werden kapitalismuskritische Positionen propagiert, pseu-<br />
66
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
dorevolutionäre Parolen verwendet<br />
und jugend- sowie sozialpolitische<br />
Forderungen erhoben. Neonazistische<br />
Reizwörter werden vermieden. Vielmehr<br />
verwendet man auf Transparenten<br />
Piktogramme und Ausdrücke in<br />
englischer Sprache. Slogans wie „Fight<br />
The System“, „Fuck The Law!“ oder<br />
„Kapitalismus zerschlagen, autonomen<br />
Widerstand organisieren!“ dokumentieren,<br />
dass man Berührungsängste zu<br />
linksextremistischem Sprachgebrauch<br />
offenbar abgelegt hat.<br />
Auch die Bezeichnung, unter der solche<br />
Personengruppen sowohl innerhalb der<br />
Szene als auch öffentlichkeitswirksam<br />
auftreten, klingt provokativ. Als „Autonome<br />
Nationalisten“ - teilweise auch Rechtsextremist oder Linksextremist?<br />
„Schwarzer Block“ oder „revolutionärer<br />
Block“ - ist es ihnen gelungen, sich im rechtsextremistischen und neonazistischen<br />
Spektrum zu etablieren.<br />
Streit unter Rechtsextremisten über „Autonome Nationalisten“<br />
Zwischen der „altbackenen“ NPD und jungen „Autonomen Nationalisten“<br />
werden Spannungen in der rechtsextremistischen Szene deutlich. Dabei<br />
kommt es sogar, wie am 7. Juli 2007 in Frankfurt am Main, am Rande einer<br />
rechtsextremistischen Demonstration zu Tätlichkeiten. Gerade in der Frage<br />
der Anwendung und Legitimität von Gewalt unterscheiden sich die AN<br />
besonders deutlich von der NPD, der neonazistischen Kameradschaftsszene<br />
oder gar der DVU. Während diese in ihrer Mehrheit im öffentlichen<br />
Raum um ein scheinbar gesetzeskonformes Auftreten bemüht sind und<br />
den Einsatz gewaltsamer Mittel aus taktischen Gründen ablehnen, sehen<br />
die AN in der Gewalt ein Mittel zur unmittelbaren Durchsetzung eigener<br />
Interessen. Jedoch werden Militanz und Gewalt eher reaktiv propagiert. Im<br />
Unterschied zu den linksextremistischen Autonomen, deren Motto „Antifa<br />
heißt Angriff“ eine überwiegend offensive Anwendung von Gewalt bedeu-<br />
67
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
tet, soll der „Schwarze Block“ nur dann aktiv in Erscheinung treten, wenn<br />
aufgrund „anhaltender Repressionen“ durch staatliche oder Antifa-Kräfte<br />
„Notwehr“ erforderlich sei. Allerdings reichen nur geringe „Provokationen“,<br />
um gewaltsame Aktivitäten der AN auszulösen.<br />
Kritiker aus dem Kreis des klassischen organisierten Rechtsextremismus,<br />
wie NPD-Generalsekretär Peter Marx und andere, geißeln das Konzept<br />
als „Krawall“ und „Rebellion“ gegen etablierte Szenestrukturen. Dem Modell<br />
wird angekreidet, mit der Übernahme „linker“ Symbolik den politischen<br />
Gegner zu kopieren. Ein militanter und vermummter Block habe für die<br />
eigene Szene eine fatale Wirkung auf das bürgerliche Spektrum, es drohe<br />
eine Eskalation der staatlichen Reaktionen gegen das breite rechtsextremistische<br />
Spektrum. Der „Schwarze Block“ sei reine Mode-Erscheinung,<br />
die sich nur auf den punktuellen Erlebniswert der Gewalt beziehe.<br />
Anhänger des „Schwarzen Blocks“ werfen ihren Gegnern innerhalb der<br />
rechtsextremistischen Szene ihrerseits altmodische und unfl exible Denkweise<br />
sowie fehlende neue Konzepte vor. Ein aggressives und militantes<br />
Verhalten gegenüber dem („linken“) politischen Gegner sei zwingend<br />
erforderlich, um Abwehrbereitschaft zu signalisieren und ein Klima der<br />
Einschüchterung zu erzeugen. Die AN tadeln die „Freien Nationalisten“<br />
beziehungsweise die „Freien Kräfte“ der Kameradschaftsszene und die<br />
NPD dafür, dass man mit dem „klassischen Bild des historischen Nationalsozialismus“<br />
und einem peniblen äußerlichen Auftreten eine Vielzahl<br />
potenzieller Sympathisanten verliere, die sich einem veralteten rechtsextremistischen<br />
Schema nicht unterwerfen wollten.<br />
Aber auch aus anderen Gründen lehnen die AN eine Annäherung an die<br />
NPD ab. Eine zu enge Anbindung an die NPD bedeute, sich den Spielregeln<br />
des „politischen Systems“ zu unterwerfen. Dies führe zu einer Verwässerung<br />
der eigenen Ziele. Eigene Motive und Konzepte müssten verschleiert<br />
werden oder wären dann nicht mehr umsetz- und realisierbar.<br />
68
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
„Autonome Nationalisten“ in <strong>Brandenburg</strong><br />
Rechtsextremisten in <strong>Brandenburg</strong> haben die Äußerlichkeiten der „Autonomen<br />
Nationalisten“ (AN) aufgegriffen. Auffällig ist insbesondere der<br />
Dresscode, der den jeweiligen Gruppen bei ihren Aktionen ein martialisches,<br />
gefährliches Erscheinungsbild verleihen und dem politischen Gegner<br />
ein Gefühl der Angst und Verunsicherung vermitteln soll.<br />
So fi elen bei der NPD-Demonstration am 28. Juli 2007 in Cottbus Rechtsextremisten<br />
mit Kapuzenpullis auf, die mit Slogans „Good Night Left Side“<br />
und „Hasta La Vista Antifascista“ bedruckt waren. Außerdem waren zwei<br />
sich kreuzende Pistolen auf der Rückseite der Pullover zu sehen, was den<br />
gewaltbereiten Charakter der Slogans unterstrich.<br />
Noch aggressiver wirkten Parolen auf schwarzen T-Shirts von Rechtsextremisten,<br />
die sich an der NPD-Demonstration am 16. Juni 2007 in<br />
Rathenow beteiligten: „Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen.<br />
Weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut auf<br />
dem Asphalt.“ Oder: „Eure Galgen werden schon gezimmert“; „Die BRD<br />
ist uns völlig gleich. Unsere Heimat ist das Deutsche Reich.“ Auf einem<br />
schwarzen Transparent hetzten „Nationale Sozialisten“ aus Potsdam bei<br />
der Veranstaltung „gegen System und Kapitalismus“. Einige Träger des<br />
Transparents trugen Sonnenbrillen und schwarze Oberbekleidung.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> sind „Autonome Nationalisten“ eine Randerscheinung. Sie<br />
treten lediglich in Teilen des Berliner Umlandes mit starken Bezügen zu<br />
Berlin auf. Es ist noch nicht absehbar, ob sich diese - den gewaltbereiten<br />
Linksextremismus kopierende - Aktionsform dauerhaft überhaupt etablieren<br />
kann.<br />
69
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Halbe und Seelow: Rechtsstaat und Zivilgesellschaft<br />
drängen Rechtsextremisten zurück<br />
Der Waldfriedhof Halbe ist die größte Kriegsgräberstätte Deutschlands.<br />
Dort ruhen über 28.000 Opfer des Zweiten Weltkrieges. Es sind überwiegend<br />
im Kessel von Halbe Gefallene, aber auch hingerichtete Deserteure<br />
der Wehrmacht, Zwangsarbeiter und zwischen 1945 und 1947 Verstorbene<br />
aus dem sowjetischen Speziallager Ketschendorf.<br />
Halbe war 1945 Schauplatz einer der letzten Kesselschlachten des Zweiten<br />
Weltkrieges. Am 28. und 29. April 1945 schlossen Panzereinheiten der<br />
Roten Armee die Reste der geschlagenen 9. Armee ein. Deren Führung<br />
lehnte das Kapitulationsangebot ab und versuchte stattdessen, mit versprengten<br />
Einheiten aus Wehrmacht, SS, Volkssturm und Hitlerjugend aus<br />
dem Kessel auszubrechen. Dieser sinnlosen Fehlentscheidung fi elen mutmaßlich<br />
60.000 Menschen zum Opfer.<br />
Anfang der 90er Jahre wurde der Waldfriedhof in Halbe zu einem Wallfahrtsort<br />
von Alt- und Neonazis. Hunderte von Neonazis marschierten hier<br />
regelmäßig zum „Heldengedenktag“ auf und verklärten militärisches wie<br />
menschliches Versagen. Auf den Seelower Höhen hatten erbitterte Kämpfe<br />
der Wehrmacht in aussichtsloser Lage stattgefunden.<br />
Wer aber im November 2007 eine von Rechtsextremisten durchgeführte<br />
Demonstration zum „Heldengedenktag“ erwartet hatte, fand diese an den<br />
bislang üblichen Demonstrationsstätten in Halbe und Seelow nicht. Nur<br />
in den Wäldern konnten einzelne Rechtsextremisten ihr Heldengedenken<br />
verrichten. Grund hierfür ist das konsequente Handeln des Rechtsstaates,<br />
der seitdem die Entwürdigung der Gedenkstätten sowie die Störung der<br />
Totenruhe durch rechtsextremistische Aufmärsche unterbindet.<br />
Der Anmelder des für November 2007 geplanten Aufzugs, der Hamburger<br />
Neonazi Lars Jacobs, schrieb am 22. Oktober 2007 per Fax an das<br />
Polizeipräsidium Frankfurt (Oder): „ … hiermit melde ich die … öffentliche<br />
Versammlung in Halbe ab. … Ich werde mich rechtzeitig mit Ihnen in Verbindung<br />
setzen wegen dem Heldengedenktag im März 2008.“ Mit diesem<br />
Rückzug kaschieren die Neonazis ihre Niederlage und das deutliche<br />
Schwinden der Attraktivität solcher Aufmärsche in <strong>Brandenburg</strong>.<br />
70
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Mit Gegenveranstaltungen nahm die Zivilgesellschaft den Neonazis den<br />
Gedenkraum ab. Ebenso drängten behördliche Aufl agen sowie neue Gesetze<br />
die Rechtsextremisten zusehends in die Defensive. Dies lässt sich<br />
am kontinuierlichen drastischen Absinken der Teilnehmerzahlen dokumentieren:<br />
- November 2005: 1750 (Halbe)<br />
- November 2006: 1080 (erfolgloser Ausweichaufmarsch in Seelow,<br />
von Halbe dorthin verlagert)<br />
- März 2007: 500 (Halbe)<br />
Am 3. März 2007 fand unter dem Motto „Die Treue ist das Mark der Ehre“<br />
in Halbe zum wohl vorerst letzen Mal ein rechtsextremistisches „Heldengedenken“<br />
mit annähernd 500 Teilnehmern statt. Redner waren neben<br />
dem Reise-Neonazi Christian Worch, der die Versammlung auch leitete,<br />
zwei Kriegsteilnehmer sowie das bayerische NPD-Parteivorstandsmitglied<br />
Sascha Rossmüller und der Vorsitzende der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Udo Pastörs.<br />
Hinzu kommen – sicherlich auch ausgelöst durch Misserfolge – Querelen<br />
in der rechtsextremistischen Organisationsgruppe „Freundeskreis Halbe“.<br />
Die damit verbundene Desillusionierung innerhalb der rechtsextremistischen<br />
Szene und die zu erwartende Erfolglosigkeit beim Aufmarsch am<br />
Volkstrauertag 2007 hatte die Absage der bereits angemeldeten Demonstration<br />
nach sich gezogen.<br />
Im Ergebnis haben sich für die rechtsextremistische Szene Aufwand (Anmeldung,<br />
Organisation, Mobilisierung, Anreise) und propagandistischer<br />
Ertrag (gemeinsames Marscherlebnis, öffentliche Wirkung) nicht mehr<br />
gerechnet. Von hoher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die<br />
jüngste landesrechtliche Regelung zum Schutz der Friedhöfe und Gedenkstätten,<br />
das brandenburgische Gräberstätten-Versammlungsgesetz.<br />
Bei dieser Sachlage erscheint die Ankündigung der Rechtsextremisten, im<br />
März 2008 in großer Zahl nach Halbe zurückzukehren, zurzeit zwar fraglich.<br />
Dennoch gilt es, diese Räume des Gedenkens weiterhin in der Mitte<br />
der Gesellschaft zu bewahren, damit diese nicht erneut von Extremisten<br />
missbraucht werden können.<br />
71
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Hassmusik in <strong>Brandenburg</strong>: Rechtsextremisten auf<br />
den Spuren des „schwarzen“ Blues<br />
Die Musik von Rechtsextremisten mit ihren Gewalt und den Nationalsozialismus<br />
verherrlichenden Texten prägt die Orientierung und Erlebniswelt<br />
ihrer meist jungen Hörer. Dabei nutzen Skinhead-Bands beziehungsweise<br />
„Rechts Rocker“ einen Musikstil, den Rechtsextremisten noch vor nicht allzu<br />
langer Zeit als „Negermusik“ abgelehnt hätten. Und in der Tat: Der dem<br />
Heavy Metal entlehnte „Rechts Rock“ ist letztendlich nichts anderes als<br />
die Fortführung des afro-amerikanischen Blues mit anderen Mitteln. Denn<br />
aus dem Blues hat sich der Rock’n Roll, daraus der Beat und aus diesem<br />
letztendlich der Hard Rock mit seinem Genre Heavy Metal entwickelt. Ursprünglich<br />
afro-amerikanische Kultur in „Rechts Rock“ zu verbiegen, diesen<br />
als Kulturinstrument des „rein arisch Deutschen“ misszuverstehen und<br />
schließlich als kulturelle Waffe zum Erhalt eines „Deutschtums“ einsetzen<br />
zu wollen, beweist, dass im Rechtsextremismus auch in der Musik Kreativität<br />
und Eigenständigkeit fehlen.<br />
Im Land <strong>Brandenburg</strong> existiert eine aktive rechtsextremistische Musikszene.<br />
Zurzeit sind 26 rechtsextremistische Skinheadbands (2005: 13,<br />
2006: 23) bekannt, deren Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong> leben. 2007 fanden<br />
14 rechtsextremistische Konzerte (2005: 8, 2006: 8) in <strong>Brandenburg</strong> statt.<br />
Der Anstieg gibt Anlass zur Besorgnis. Darüber hinaus traten einige Bands<br />
im übrigen Bundesgebiet auf. Ein Schwerpunkt der Konzertaktivitäten nicht<br />
nur dieser Bands lag allerdings im Bundesland Sachsen.<br />
Nachdem in den letzten Jahren ein Besucherrückgang bei rechtsextremistischen<br />
Konzerten registriert wurde, waren 2007 bei einzelnen Konzerten<br />
- wie etwa am 3. November 2007 in Königs Wusterhausen - bis zu 500 Konzertbesucher<br />
anwesend. Im Jahr 2006 konnten mit maximal 250 Teilnehmern<br />
lediglich halb so viele Personen bei einem Konzert gezählt werden.<br />
Die durchschnittliche Besucherzahl bei rechtsextremistischen Konzerten<br />
lag 2006 bundesweit bei 135 Personen.<br />
Die große Anzahl der 2007 aktiven Bands ist auf die personelle und logistische<br />
Unterstützung durch die in der rechtsextremistischen Szene<br />
„etablierten“ Bands „Bloodshed“, „Burn Down“, „Confi dent of Victory“ und<br />
„Volkstroi“ sowie deren Hauptakteure Uwe Menzel und Rico Hafemann<br />
zurückzuführen. Sie unterstützen die Bands „Barbaren“, „Obskur“, „Cynic“<br />
72
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
und „Redrum“. Andererseits tummeln sich viele Musiker und Sänger in verschiedenen<br />
Bands und Bandprojekten. Daraus ergibt sich eine Vielzahl<br />
von personellen Überschneidungen (beispielsweise „Redrum“, „Cynic“,<br />
„Obskur“, „Bloodshed“, „Burn Down“, „Hope for the Weak“, „Sawdust“,<br />
„Confi dent of Victory“), ohne dass die Anzahl der eigentlich Aktiven steigt.<br />
Die Vernetzung der Bands wird an ihrer Besetzung deutlich. „Bloodshed“,<br />
„Outlaw“, „Hope for the Weak“, „Obskur“ und „Burn Down“ sind keine reinen<br />
<strong>Brandenburg</strong>-Bands, sondern erhalten Unterstützung durch Musiker vornehmlich<br />
aus Sachsen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass gemeinsame<br />
CD-Projekte in Planung sind, zum Beispiel eine Split-CD mit „Sawdust“,<br />
„Attack“ und „Moshpit“. Als Folge der aus Sicht der Szene besseren<br />
Bedingungen für Konzertveranstaltungen in Sachsen und der Kooperation<br />
zwischen brandenburgischen und sächsischen Rechtsextremisten wichen<br />
Hass-Musiker aus <strong>Brandenburg</strong> vornehmlich nach Sachsen aus.<br />
Von den Bands animiert grölten die Zuhörer ihre rechtsextremistische Gesinnung<br />
unter anderem durch „Sieg Heil“- und „Heil Hitler“-Rufe heraus.<br />
Regelmäßig wird das Lied „Blut“ schon seit Jahren bei Konzerten, so auch<br />
am 25. August 2007 in Finowfurt, angestimmt:<br />
„Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig<br />
lasst die Messer fl utschen in den Judenleib<br />
Blut muss fl ießen, knüppelhageldick<br />
und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik...“<br />
Dieses antisemitische Hetzlied wurde bereits von der SA gesungen. Die<br />
Veranstaltung fand auf dem Grundstück des DVU-Funktionärs Klaus Mann<br />
statt, der offen den Nationalsozialismus befürwortet (s. S. 78).<br />
Das Lied „Hakenkreuz“ wird ebenfalls häufi g bei Konzerten gespielt:<br />
„Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um<br />
hißt die rote Fahne mit dem Hakenkreuz<br />
Schon als kleiner Junge, da war mir klar,<br />
welches Symbol leitend für mich war<br />
und heute da stehe ich noch voll dazu,<br />
für mich gilt es auch noch heut<br />
Rasse, Stolz und Hakenkreuz.<br />
Hakenkreuz, Hakenkreuz, Hakenkreuz ...<br />
Überall kannst Du es bei mir sehen<br />
erhalten soll es bleiben der ganzen Welt.“<br />
73
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Bei der Produktion eigener Tonträger waren brandenburgische Skinheadbands<br />
im Jahr 2007 sehr aktiv. Es wurden elf Tonträger (2005: 5, 2006: 9)<br />
mit zum Teil antisemitischen, fremdenfeindlichen und Gewalt verherrlichenden<br />
Inhalten veröffentlicht. Im Internet sind die Skinhead-Bands in<br />
Musik-Foren, mit Bandvorstellungen, Konzert- und CD-Ankündigungen,<br />
Konzertberichten, Angeboten von CDs und Merchandising-Produkten,<br />
kostenlosen <strong>Downloads</strong> und Verlinkungen zu rechtsextremistischen Skinheadorganisationen<br />
(zum Beispiel zu den Hammerskins), aber auch zur<br />
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) präsent.<br />
Rechtsextremistische Skinhead-Bands in <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
1) Aryan Brotherhood (A.B.); Potsdam<br />
2) Barbaren; Eisenhüttenstadt<br />
3) Bloodshed (B.S.); Potsdam, Chemnitz<br />
4) Burn Down (B.D.); Potsdam<br />
5) Confi dent of Victory (C.O.V.); Senftenberg (mit dem Projekt Obskur,<br />
zu dem die sächsische Band Magog gehört)<br />
6) Cynic; Potsdam<br />
7) Downfall; Lübben<br />
8) Frontalkraft (FK); Cottbus<br />
9) Hassgesang (H.G.); Teltow (mit den Projekten Agnar, No Escape,<br />
Anger Within)<br />
10) Hope for the Weak (HFTW); Senftenberg, Lauchhammer, Dresden<br />
11) Jagdgeschwader; Beeskow<br />
12) Kontra, Eisenhüttenstadt<br />
13) Midgards Stimme; Teltow<br />
14) Opas Enkels; Rathenow<br />
15) Outlaw; Ortrand, Lauchhammer, Dresden<br />
16) Preußenfront; Barnim<br />
17) Redrum; Potsdam<br />
18) Resonanz; Eisenhüttenstadt<br />
19) Sawdust; Senftenberg<br />
20) Schwarzgraue Wölfe (SGW); Nauen<br />
21) SIGIL; Teltow<br />
22) Treueschwur; Belzig<br />
23) Valhöll; ohne regionale Zuordnung<br />
24) Volkstroi/USK (USK); Fürstenwalde, Beeskow<br />
25) Wolfskraft (WK); Beeskow<br />
26) Wintergewitter; Cottbus<br />
74
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Adressen <strong>Brandenburg</strong>er Bands*<br />
* Die Ziffern verweisen auf die Bandnamen auf nebenstehender Seite.<br />
Bei allen diesen Bands handelt es sich um Skinheadbands, die sich bei<br />
ihren Auftritten durch ihre Liedtexte und beispielsweise das Zeigen des<br />
„Hitlergrußes“ deutlich zum Nationalsozialismus bekennen. In ihren Texten<br />
verbreiten sie Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und rufen zur Gewalt<br />
auf. Das Publikum brüllt begleitend „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Unter den<br />
Konzertbesuchern fi nden sich gewaltbereite Skinheads, Neonazis, Anhänger<br />
der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ und der „Jungen<br />
Nationaldemokraten“, Personen aus der Rockerszene und Fußball-Hooligans.<br />
75
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Tonträger-Veröffentlichungen in <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Folgende brandenburgische Skinhead-Bands veröffentlichten 2007 die in<br />
Klammern angegebenen Tonträger bzw. beteiligten sich an den genannten<br />
Produktionen:<br />
„Bloodshed“: („Zorn“)<br />
„Wintergewitter“: („Vaterlandstreue“)<br />
„Barbaren“, „Aryan Brotherhood“, „Macht & Ehre“: („Hass Schürender<br />
Lärm II“)<br />
„Burn Down“, „X.X.X.“: („Gift für die Ohren“ und „Gift für die Ohren 2“)<br />
„H.G.“ (steht für „Hassgesang“): („frei sein“)<br />
„Path of Resistance“, „Inborn Hate“ „Hope for the Weak“: („Hardcore Hoax<br />
United“ - bereits 2006 als CD erschienen)<br />
„Cynic“, „Bloodshed“, „Lost Souls“: („Die Söhne Potsdams II“ / Demo-CD“),<br />
„Frontalkraft“: („15 Jahre - Frontalkraft - 1992 - 2007“ / 3er LP-Box)<br />
„Anger Within“: (Beteiligung an dem Sampler „A.C.A.B. in Hungary“<br />
„Frontalkraft“: (Beteiligung an der Doppel-DVD „1. JN Sachsentag 2007“<br />
„Hassgesang“: (zwei Liedbeiträge auf der „Schulhof-CD“ „60 Minuten Musik<br />
gegen 60 Jahre Umerziehung‘‘)<br />
Die Lieder enthalten antisemitische, fremdenfeindliche Gewalt und den<br />
Nationalsozialismus verherrlichende Texte. Auf der CD „Vaterlandstreue“<br />
der Band „Wintergewitter“ werden beispielsweise antisemitische Klischees<br />
vertreten:<br />
„Wir ziehen mit Kameraden durch das deutsche Land<br />
mit der Fahne schwarz - weiß - rot in der rechten Hand.<br />
Mit unserem Aufmarsch machen wir Straßen wieder frei<br />
gegen dieses Zeckenpack und Lockentyrannei.“<br />
76
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Auf der CD „Hass Schürender Lärm II“ der Gruppe „Macht & Ehre“ fi ndet<br />
sich folgende revisionistische Anspielung auf die Waffen-SS:<br />
„Aus der Masse hat man sie erwählt,<br />
den Geist geschult, den Körper gestählt.<br />
Für ihr Volk und dessen größten Sohn,<br />
als Speerspitze der Revolution. Die Elite der Elite...<br />
Für sie ging es stets nur nach vorn, die besten Soldaten.<br />
Sie waren für den Kampf geboren, die besten Soldaten.<br />
Rücksichtslos gegen sich und jeden, die besten Soldaten.<br />
Fanatiker wild und verwegen, die besten Soldaten der Welt.<br />
Ihr Name wurde zum Synonym für Kampfeswillen brutal ungestüm.<br />
Sie haben ihr Ziel nie verraten, ideologische Soldaten.<br />
Sie brachten Schrecken zu jedem Feind,<br />
der Willen hat sie für den Kampf geeint.<br />
Vergessen sind heute viele Namen,<br />
doch sie sind unsere größten Ahnen.“<br />
CD-Produktion und Vertrieb erfolgen in den meisten Fällen durch die Unterstützung<br />
von rechtsextremistischen Musiklabels (PC Records Chemnitz<br />
oder Rebel Records Cottbus). Diese Labels stellt das Equipment zur<br />
Verfügung und vertreibt den fertigen Tonträger über einen Internetversand<br />
oder Ladengeschäfte. Bundesweit lagen nur vereinzelt Hinweise auf eine<br />
systematische Finanzierung von rechtsextremistischen Organisationen<br />
und Bestrebungen durch Vertriebe vor. Beispielsweise trugen einige Szene-Vertriebe<br />
zur Finanzierung der strafrechtlich relevanten „Schulhof-CD“<br />
2004 bei. Hier kreuzten sich die politischen Motive der „Schulhof-CD“-Verteiler<br />
mit den politisch-kommerziellen Interessen der Vertriebe.<br />
Der brandenburgische <strong>Verfassungsschutz</strong> hat dem Landeskriminalamt<br />
<strong>Brandenburg</strong> unter anderem die beiden auf Seite 76 abgebildeten CDs zur<br />
Anregung von Indizierungen bei der BPjM (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende<br />
Medien) übermittelt. Die BPjM hat mit Entscheidung Nr. 5511<br />
vom 11. Oktober 2007 (Bundesanzeiger Nr. 204 vom 31. Oktober 2007)<br />
die CD „Hass Schürender Lärm II“ sowie mit Entscheidung Nr. 7828 vom<br />
7. November 2007 (Bundesanzeiger Nr. 224 vom. 30. November 2007)<br />
die im Jahr 2005 veröffentlichte CD „DEMO“ der Band „Schwarzgraue<br />
Wölfe“ indiziert. Die Indizierung solcher Tonträger bietet der Polizei spezielle<br />
Handlungsmöglichkeiten im Kampf gegen den Rechtsextremismus.<br />
So dürfen sie beschlagnahmt werden, wenn sie Jugendlichen zugänglich<br />
sind.<br />
77
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Rechtsextremistische Konzerte 2007 in <strong>Brandenburg</strong><br />
6. Januar: Lübben (LDS) - aufgelöst<br />
3. März Schönow (BAR)<br />
3. März Velten OHV<br />
20. April Hermsdorf (OSL)<br />
21. April Bereich Bernau (BAR)<br />
12. Mai Finowfurt (BAR) - auf dem Grundstück des<br />
DVU-Funktionärs und Neonazis Klaus Mann, aufgelöst<br />
23.Juni Damsdorf (PM) - aufgelöst<br />
11. August Finowfurt (BAR) - auf dem Grundstück des<br />
DVU-Funktionärs und Neonazis Klaus Mann<br />
25. August Finowfurt (BAR) - auf dem Grundstück des<br />
DVU-Funktionärs und Neonazis Klaus Mann<br />
15. September Finowfurt (BAR) - auf dem Grundstück des<br />
DVU-Funktionärs und Neonazis Klaus Mann, aufgelöst<br />
29. September Lübben (LDS)<br />
6. Oktober Finowfurt (BAR) auf dem Grundstück des<br />
DVU-Funktionärs und Neonazis Klaus Mann<br />
20. Oktober Peitz (SPN) - aufgelöst<br />
27. Oktober Hermsdorf (OSL) - aufgelöst<br />
3. November Königs Wusterhausen (LDS)<br />
Das Grundstück von DVU-Funktionär Klaus Mann in Finowfurt.<br />
Der Garagenkomplex dient auch teilweise als Konzertraum.<br />
78
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Konzerte rechtsextremistischer Bands 2007 in <strong>Brandenburg</strong> *<br />
* In den schwarz markierten Orten fanden Konzerte statt, in den rot markierten<br />
Orten wurden sie von der Polizei verhindert bzw. aufgelöst (vgl.<br />
nebenstehende Angaben).<br />
79
Exekutivmaßnahmen<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Der Verfolgungsdruck ist nach wie vor hoch. So wird den Mitgliedern der<br />
Band „Confi dent of Victory“ vorgeworfen, während eines Skinhead-Konzerts<br />
in Mannheim am 19. März 2005 volksverhetzende Titel gespielt und<br />
das Publikum dadurch zum Zeigen des „Hitlergrußes“ und zu „Sieg Heil“-<br />
Rufen animiert zu haben. Am 17. Januar 2006 wurden Wohnungen und<br />
Kraftfahrzeuge von vier 22- bis 28-jährigen mutmaßlichen Bandmitgliedern<br />
in Senftenberg durchsucht. Im Sommer 2007 erließ das Amtsgericht Mannheim<br />
gegen alle vier Strafbefehle.<br />
Im Frühjahr 2007 erließ das Amtsgericht Tiergarten einen allgemeinen<br />
Beschlagnahmebeschluss für sämtliche Exemplare der CD „Gift für die<br />
Ohren“ der Bands „Burn Down“ und „X.X.X.“ Der Text zu dem Titel „Kill<br />
Bill“ beinhaltet unter anderem eine deutliche und direkte Aufforderung, den<br />
Frontmann einer Musikgruppe zu töten oder sonstige Gewalt gegen ihn<br />
zu verüben. Darauf fanden Durchsuchungen in Berlin und <strong>Brandenburg</strong><br />
statt, darunter in einem Hennigsdorfer Szeneladen. Es wurden insgesamt<br />
120 CDs und 500 Booklets, Cover und ein PC beschlagnahmt.<br />
Wie viele rechtsextremistische Bands und Konzerte es am Jahresende<br />
2008 geben wird, lässt sich nur schwer prognostizieren. Einerseits zeigt die<br />
Entwicklung des Jahres 2007, dass die Zahlen weiter gestiegen sind. Andererseits<br />
zerfallen einige Musikgruppen nach kurzer Zeit. Die klassische<br />
„Plattenproduktion“ verliert zunehmend an Bedeutung. Denn die Produktion<br />
von Tonträgern ist seit Jahren rückläufi g. An die Stelle von Studios tritt<br />
der PC; die Veröffentlichung bzw. den Vertrieb übernimmt das Internet.<br />
Dieser Trend dürfte unvermindert anhalten. Etablierte Bands werden weiterhin<br />
mit ihren Labels zusammenarbeiten. Bands mit weniger Erfahrung,<br />
Können und Kontakten setzen auf „Eigenvertrieb“ und „Eigenproduktion“<br />
mit kleinen Stückzahlen. Die Präsenz im Internet wird insgesamt zunehmen.<br />
Schließlich zeichnet sich dieser Trend auch in der nichtextremistischen<br />
Musikbranche deutlich ab.<br />
Rechtsextremistische Musiker beziehungsweise Bands werden im Jahr<br />
2008 verstärkt versuchen, auf abgeschiedenen Privatgeländen aufzutreten,<br />
um damit exekutiven Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Etablierte<br />
Bands suchen nach Möglichkeiten, bundesweit oder gar im Ausland aufzutreten.<br />
80
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Rechtsextremismus und Fußball-Hooligans<br />
Der inzwischen vom Innenministerium<br />
<strong>Brandenburg</strong> verbotene „Schutzbund<br />
Deutschland“ bediente sich des Fußballsports,<br />
um auf sich aufmerksam zu<br />
machen. Im Frühjahr 2006 erschien ein<br />
Flugblatt mit dem Bild des Fußballprofi s<br />
Gerald Asamoah und der Parole „Nein<br />
Gerald – Du bist nicht Deutschland! Du<br />
bist BRD!“. Asamoah wurde aufgrund<br />
seiner Hautfarbe die Berechtigung abgesprochen,<br />
für die deutsche Nationalmannschaft<br />
zu stürmen.<br />
An diesem Beispiel wird klar: Fußball bietet<br />
Rechtsextremisten eine willkommene Gelegenheit, zu versuchen, die<br />
besondere emotionale Stimmung auf den Rängen der Stadien in rechtsextremistische<br />
Bahnen zu lenken. Daher gehört es seit Jahrzehnten zur<br />
Strategie von Neonazis und rechtsextremistischen Parteien, dort auch tätig<br />
zu sein. Darüber hinaus werden Fußballspiele als Anlass für gewalttätige<br />
Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner missbraucht. Auch in<br />
<strong>Brandenburg</strong> gibt es Überschneidungen zwischen Rechtsextremisten und<br />
Hooligans, insbesondere in Cottbus und Frankfurt (Oder). Es handelt sich<br />
dabei um ein Personenpotenzial von bis zu 70 Personen. Sogar eigene<br />
Fußballturniere werden veranstaltet, um Nachwuchs für rechtsextremistische<br />
Strukturen zu rekrutieren und bereits vorhandene persönliche Kontakte<br />
auszubauen.<br />
Überschneidungen zwischen Rechtsextremismus und Hooliganszene<br />
zeigen sich bei dem Frankfurter Fußballverein „FFC Viktoria ‘91“. Zu dessen<br />
Fanpotenzial gehören auch bis zu 40 Gewalttäter, die zum Teil der<br />
gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene zuzurechnen sind. Etwa<br />
15 rechtsextremistisch beeinfl usste Hooligans reisen regelmäßig zu den<br />
Auswärtsspielen des Vereins mit. Bei besonderen Auswärtsspielen können<br />
es jedoch bis zu 30 Personen sein. Die Aktivitäten dieses Fanpotenzials<br />
stellen eine diffuse Mischung zwischen rechtsextremistischer Gewalt und<br />
Propaganda dar. Diese ‚Fans’ zeigten beispielsweise am 13. Oktober 2007<br />
bei einem Verbandsligaspiel gegen den SV Babelsberg 03 ein Transparent<br />
mit der Aufschrift „FFC gegen Links“ und Keltenkreuzen. Als Ordner des<br />
81
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
SV Babelsberg 03 versuchten, das Banner zu entfernen, kam es zu Angriffen<br />
der Frankfurter „Fans“. Die vier Rädelsführer wurden für die Dauer des<br />
Spiels in Gewahrsam genommen. In der rechtsextremistischen Szene wird<br />
der SV Babelsberg 03regelmäßig als „Zeckenpest“ verunglimpft.<br />
Beispiele rechtsextremistischer Hooligan-Vorfälle<br />
Am 9. Juni 2007 rief eine Person in Frankfurt (Oder) aus einer ‚Fan’-Gruppe<br />
des „FFC Viktoria ‘91“ dreimal lautstark „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“.<br />
Die Gruppe war auf dem Weg zum Auswärtsspiel nach Eisenhüttenstadt.<br />
Die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) berichtete hierzu unter der Überschrift<br />
„Festnahmen und Platzverweise vor und nach Fußballspiel“:<br />
„Am Sonnabend fand vor 250 Zuschauern das Verbandsliga-Fußballspiel<br />
zwischen dem EFC Stahl Eisenhüttenstadt und dem Frankfurter<br />
FC Viktoria 91 (Spiel endete 1: 2) statt. Vor dem Spiel wurde bereits<br />
im Bahnhof Frankfurt (Oder) von 79 Fußballfans die Identität festgestellt.<br />
Sie wurden von Kräften der Bundespolizei nach Eisenhüttenstadt<br />
begleitet. Während der Begleitung der Viktoria-Fans zum Stadion in<br />
Eisenhüttenstadt durch die Polizei leistete eine Person Widerstand bei<br />
seiner Ingewahrsamnahme, die erfolgen sollte, weil er einem Platzverweis<br />
nicht nachkam. Hierbei wurde ein Polizeibeamter mit einer<br />
Flasche angegriffen und am Kopf verletzt. Der 26-jähriger Täter aus<br />
Frankfurt (Oder) wurde vorläufi g festgenommen. Er wurde am Sonntag<br />
dem Haftrichter vorgeführt, der Haftbefehl erließ. Ein Strafverfahren<br />
wurde wegen Volksverhetzung eingeleitet. Zwei weitere Personen aus<br />
dem Frankfurter „Fanblock“ wurden in Gewahrsam genommen. Während<br />
des Spiels wurden in der 2. Halbzeit mehrere Feuerwerkskörper<br />
gezündet, obwohl bereits vor dem Spiel 115 pyrotechnische Gegenstände<br />
sichergestellt worden waren. Nach der Rückkehr nach Frankfurt<br />
(Oder) wurde der Personengruppe auf dem Bahnhofsvorplatz ein<br />
Platzverweis für das Stadtzentrum ausgesprochen. 15 Fans, die dem<br />
Platzverweis nicht nachkamen, wurden in den Zentralen Gewahrsam<br />
des Polizeipräsidiums Frankfurt (Oder) verbracht und im Laufe des<br />
Abends und der Nacht entlassen.“<br />
Am 24. März 2007 kam es in Pritzwalk während des Spieles zwischen<br />
SC Pritzwalk und TSV Chemie Premnitz zu rassistischen Äußerungen<br />
gegenüber einigen Spielern der Pritzwalker Mannschaft, die laut Schieds-<br />
82
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
richter als „Bimbo“ beschimpft wurden. Ein Linienrichter hörte sogar die<br />
Worte „dreckige schwarze Negersau“ aus einer Gruppe Pritzwalker Jugendlicher.<br />
Selten können Rechtsextremisten in Fußballstadien ihre rechtextremistischen<br />
Parolen grölen und ihre Aggression ausleben. Denn Sicherheitsbehörden<br />
und Vereine haben das Problem in diesen Ligen erkannt und<br />
entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet. Hooligans und gewaltbereite<br />
Rechtsextremisten versuchen daher, ihr Gewaltpotential bei Spielen<br />
in tieferen Klassen einzusetzen. Neben dem bereits erwähnten FFC Viktoria<br />
`91 haben sich im letzten Jahr unter anderem Rechtsextremisten unter<br />
die Fans TSV Chemie Premnitz und SC Pritzwalk gemischt. (siehe oben<br />
genannte Beispiele).<br />
Die Sicherheitsbehörden und Vereine kann diese Ausweichbewegung in<br />
untere Spielklassen vereinzelt vor erhebliche Probleme stellen, denn die<br />
Anzahl der Spiele ist ungleich größer und Sicherheitsvorkehrungen sind<br />
kaum vorhanden.<br />
Rechtsextremistische Stadien-Aktivitäten haben wiederum die linksextremistische<br />
„Antifa“ auf den Plan gerufen. Die ist jedoch nicht nur am Rechtsextremismus,<br />
sondern ebenso an der Polizei interessiert und beobachtet<br />
diese mit der Aktion „Fußballfans beobachten Polizei“. Sie zielt darauf ab,<br />
Polizei-Einsätze unter eine „anwaltschaftliche Kontrolle“ zu stellen und<br />
unterstellt unverhältnismäßig starke Maßnahmen gegen „linke“ Fans und<br />
angebliche Nachsicht gegenüber Rechtsextremisten.<br />
83
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Auf der auch von Linksextremisten genutzten Website indymedia.de werden<br />
rechtsextremistische Hooligan-Aktivitäten registriert:<br />
„Schon seit längerem ist bekannt, dass sich bei fast jedem Spiel des<br />
Frankfurter Fußballclubs Viktoria rechte Hooligans und Neonazis in<br />
den Fankurven wiederfi nden, um ihren Club mit rassistischen und neonazistischen<br />
Sprechchören und Transparenten zu unterstützen. Immer<br />
wieder gab es dabei auch Übergriffe vor oder nach einem Fußballspiel,<br />
welche von den Frankfurter ‚Fans’ ausgingen. So gehört es schon zum<br />
gewohnten Bild bei Spielen des Verbandsligisten (5. Liga), dass die<br />
Partien durch eine große Anzahl von PolizeibeamtInnen abgesichert<br />
werden müssen. Durch das aggressive Auftreten der Neonazis bleiben<br />
alternative oder anders aussehende ZuschauerInnen den Spielen<br />
des Frankfurter Fußballvereins fern. (…) Am letzten Samstag sollte<br />
es aber nicht so sein. Das Ligaspiel SV Babelsberg 03 II gegen den<br />
FC Viktoria Frankfurt (Oder) im Frankfurter ‚Stadion der Freundschaft’<br />
stand an. Etwa 30 AntifaschistInnen beschlossen, ins Stadion zu gehen,<br />
um den Neonazis nun auch offensiv in ihren vermeintlichen ‚Freiräumen’<br />
entgegen zu treten. (...) Etwas verblüfft schauten dann auch<br />
die etwa 40 Neonazis, als sie die AntifaschistInnen in ‚ihrem’ Stadion<br />
entdeckten. Die Antifas begrüßten sie jedoch mit einem lauten ‚Nazis<br />
raus!’. Während des Spiels bestimmten die AntifaschistInnen in den<br />
Fankurven. Mit Sprechchören, Transparenten und Fahnen gegen Rassismus<br />
und Antisemitismus sowie der lautstarken Unterstützung des<br />
bei Neonazis als links geltenden Sportvereins Babelsberg 03 II gaben<br />
die AntifaschistInnen den Ton im Stadion an. Von der gegenüberliegenden<br />
Tribüne, wo sich die Neonazis befanden, war es hingegen eher<br />
ruhig, von vereinzelten antisemitischen Äußerungen einmal abgesehen.<br />
Diese gelungene Aktion zeigt einmal mehr, dass Rassisten und<br />
Antisemiten auf allen Ebenen angreifbar sind. So wird es sicherlich<br />
nicht die letzte Aktion gegen Nazis in Stadien hier und überall gewesen<br />
sein.“ (Fehler im Orginal)<br />
84
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Weitere Aktivitäten von Neonazis im Land <strong>Brandenburg</strong><br />
Die in mehreren Bundesländern in den letzten Jahren ausgesprochenen<br />
Verbote von neonazistischen Kameradschaften haben die rechtsextremistische<br />
Szene in eine nachhaltige Identitätskrise gestürzt und einen<br />
„Strukturwandel“ eingeleitet, der auch im Jahr 2007 anhielt. Bei öffentlichkeitswirksamen<br />
Aktionen verzichtete man zunehmend auf die Nennung<br />
identifi zierbarer Strukturen und trat vielmehr anonym und konspirativ in<br />
Erscheinung. Die neonazistische Szene konnte die persönlichen Kontakte<br />
aufrecht halten und das Mobilisierungspotenzial für eigene Aktivitäten im<br />
Wesentlichen behaupten. Daran haben lokale NPD-Funktionäre, die gleichzeitig<br />
in der Kameradschaftsszene aktiv sind, einen erheblichen Anteil.<br />
Dieses Potenzial entfaltete sich im Jahr 2007 jedoch überwiegend bei Veranstaltungen<br />
mit nur noch begrenzter Außenwirkung, da die rechtsextremistische<br />
Szene gegenwärtig nicht in der Lage ist, zentrale Großdemonstrationen<br />
zu organisieren.<br />
In Wunsiedel (Bayern) scheiterten die Neonazis im Jahr 2007 (wie bereits<br />
2005 und 2006) erneut daran, eine Gedenkkundgebung für den Hitler-<br />
Stellvertreter Rudolf Heß durchzuführen.<br />
Die Versammlungen zum „Heldengedenken“ in Halbe spielen für die rechtsextremistische<br />
Szene ebenfalls keine Rolle mehr. Während im November<br />
2006 etwa 1.080 Rechtsextremisten an einer Ersatzveranstaltung in Seelow<br />
teilnahmen, reisten am 3. März 2007 nur etwa 500 Szeneaktivisten<br />
nach Halbe. Das im Oktober 2006 in Kraft getretene Versammlungsgesetz<br />
für Gräberstätten verbot Teilnehmern den Weg zum Friedhof.<br />
Am 1. Mai 2007 zerstreuten sich die Rechtsextremisten auf insgesamt acht<br />
Veranstaltungen; eine NPD-Standkundgebung in Erfurt (Thüringen) hatte<br />
mit 1.300 Personen die meisten Teilnehmer.<br />
Nur noch 1.750 Rechtsextremisten nahmen am 13. Februar 2007 am<br />
jährlich stattfi ndenden „Trauermarsch“ der rechtsextremistischen „Jungen<br />
Landsmannschaft Ostpreußen“ in Dresden (Sachsen) teil. Damit sank die<br />
Resonanz der Szene an der Veranstaltung um mehr als 50 Prozent; im<br />
Jahr 2006 instrumentalisierten noch 4200 Rechtsextremisten den Jahrestag<br />
der Bombardierung Dresdens, um die Verbrechen des Nationalsozialismus<br />
zu relativieren und unter dem Begriff „Bombenholocaust“ die alliierte<br />
Kriegsführung gegen Hitler-Deutschland anzuprangern.<br />
85
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Umso mehr Wert legten Rechtsextremisten darauf, ihre verfassungsfeindlichen<br />
Weltbilder durch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen oder Propagandaaktionen<br />
im regionalen Raum zu verbreiten. Sie stellen sich bei<br />
ihrem „Heldengedenk-Kult“ unverhohlen in die Tradition der Nationalsozialisten<br />
und nennen diesen Tag, wie ihre NS-Vorbilder seit 1934 „Heldengedenktag“<br />
statt „Volkstrauertag“. So begehen sie ihn zusätzlich regelmäßig<br />
im März.<br />
Auch in <strong>Brandenburg</strong> ließen sie 2007 kein Datum des rechtsextremistischen<br />
„Feiertagskalenders“ aus und zeigten sowohl am „Heldengedenktag“ als<br />
auch am Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges (8. Mai) und<br />
am Todestag von Rudolf Heß (17. August) an unterschiedlichen Orten des<br />
Landes Präsenz.<br />
Bei ihren Aktionen lenken Rechtsextremisten immer öfter mit billigen<br />
„Showeffekten“, beispielsweise dem Einsatz dramatischer Musik bei Märschen,<br />
von inhaltlichen und argumentativen Schwächen ab. Die Öffentlichkeit<br />
soll angesprochen werden, ohne jedoch von in sich widersprüchlichen<br />
und in jedem Fall menschenverachtenden rechtsextremistischen Aussagen<br />
abgeschreckt zu werden.<br />
Einseitige Thematisierung der Luftangriffe und des Kriegsendes<br />
Die Luftangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg werden von Rechtsextremisten<br />
propagandistisch ausgeschlachtet. Die zivilen Opfer dieser<br />
Angriffe werden als „Beleg“ für die rechtsextremistische These einer Weltverschwörung<br />
gegen Deutschland aufgeführt:<br />
In Potsdam und Cottbus zogen Mitte Februar jeweils rund 30 Neonazis in<br />
schwarzer Kleidung durch die Stadt, um „der Opfer des alliierten Bombenterrors“<br />
zu gedenken und Geschichtsklitterung zu betreiben. Ein ähnliches<br />
Bild stellte die Polizei einen Monat später, am 17. März 2007 in Spremberg,<br />
fest. Dort marschierten 35 schwarz gekleidete Neonazis durch Spremberg.<br />
Eigenen Angaben zufolge hatten sie auf dem Georgenbergfriedhof ein<br />
„Heldengedenken“ durchgeführt.<br />
Ebenfalls - wie in den alliierten Bombenangriffen - sehen Rechtsextremisten<br />
in der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes am 8. Mai<br />
1945 ihr verschwörungstheoretisches Weltbild bestätigt: Am 8. Mai 2007<br />
86
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
verhüllte in Birkenwerder eine unbekannte Gruppe mit dem Namen „Kommandogruppe<br />
Preußen“ die Spitze einer Gedenkstätte für die Opfer des<br />
Nationalsozialismus mit einem blauen Müllsack. FOTO Auf dem Müllsack<br />
war ein Flugblatt befestigt, auf dem der „Stopp des Schuldkultes“ gefordert<br />
wurde. Dem „Tag der Befreiung“ wurde diese Bedeutung abgesprochen,<br />
den Alliierten „Mord“ unterstellt. In Oranienburg stellten Rechtsextremisten<br />
am selben Tag 18 Holzkreuze an öffentlichkeitswirksamen Orten auf. Auf<br />
den Holzkreuzen war die Parole „8. 5. 1945 - KEINE BEFREIUNG!“ aufgesprüht.<br />
Auch in Guben demonstrierten Rechtsextremisten gegen das Gedenken<br />
an das Kriegsende, das sie eine „Schuldkult-Show“ nannten. An<br />
einem fünfstöckigen Wohnhaus hatten Aktivisten ein etwa 20 Meter langes<br />
Transparent mit der Aufschrift „8. Mai – Wir wurden nicht befreit – Besatzer<br />
raus“ aufgehängt.<br />
Solche geschichtsrevisionistischen Denkmuster kennzeichnen die rechtsextremistische<br />
Szene. Die deutsche Geschichte soll „entkriminalisiert“ und<br />
das Geschichtsbild geschönt werden. Ursache, Ausmaß und Besonderheit<br />
der NS-Verbrechen werden verharmlost, um das NS-Regime zunächst zu<br />
relativieren, um es sodann verherrlichen zu können. Erklärtes Ziel des Geschichtsrevisionismus<br />
ist ein „Schlussstrich“ unter der deutschen Vergangenheit.<br />
Rechtsextremisten fordern, die zum Schutz von Menschenrechten<br />
und bedrohten Minderheiten verpfl ichtende Erinnerung an den Holocaust<br />
abzuschaffen, um die „nationale Identität“ und das „nationale Selbstwertgefühl“<br />
der Deutschen zu stärken.<br />
Kriegsverbrecher Heß als Märtyrer<br />
In das Weltbild von Rechtsextremisten passt es, Persönlichkeiten des<br />
„Dritten Reiches“ als „Helden“ zu feiern, namentlich den Hitler-Stellvertreter<br />
Rudolf Heß. An seinem 20. Todestag, dem 17. August 2007, machten<br />
Rechtsextremisten im Land <strong>Brandenburg</strong> im Rahmen so genannter „Heß-<br />
Aktionswochen“ auf sich aufmerksam. In den Ortschaften Blankenfelde<br />
und Mahlow wurde ein Fackelmarsch von rund 50 Rechtsextremisten aus<br />
Berlin und <strong>Brandenburg</strong> durch Polizeikräfte verhindert. In Lübben mieteten<br />
Rechtsextremisten einen Kahn und beschmierten im Schutz der Nacht<br />
Spreebrücken mit der Parole „Mord an Heß“ und dem Konterfei des „Märtyrers“.<br />
In Halbe parkte am 13. August 2007 ein Lastkraftwagen am Straßenrand,<br />
auf dem das Konterfei von Rudolf Heß und die Parole „1894 – 1987<br />
– Mord verjährt nicht!“ abgebildet waren. Zwei Rechtsextremisten aus Bre-<br />
87
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
men hatten diesen LKW angemietet und reisten mit ihm unter dem Motto<br />
„Rudolf-Heß-Tour-2007“ quer durch Deutschland. Unter anderem passierte<br />
der LKW bei seiner Fahrt auch die britische Botschaft, das Olympiastadion<br />
in Berlin sowie das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig (Sachsen).<br />
Rudolf Heß gilt in der rechtsextremistischen Szene aufgrund seines ungebrochenen<br />
Bekenntnisses<br />
zum Nationalsozialismus,<br />
seiner 46jährigen Haftzeit<br />
und seiner vermeintlichen Ermordung<br />
durch den britischen<br />
Geheimdienst als „Märtyrer“.<br />
Jedes Jahr aufs Neue hüllt<br />
man ihn in eine Opferrolle und<br />
behauptet, Heß wollte Frieden<br />
und sei ermordet worden. Das<br />
NPD-Parteiorgan „Deutsche<br />
Stimme“ greift diesen neonazistischen<br />
Heldenkitsch in<br />
ihrer Ausgabe vom August<br />
2007 auf und schreibt, es sei<br />
„nicht leicht, auf der persönlichen<br />
und politischen Weste<br />
von Rudolf Heß schwarze<br />
Flecken zu entdecken“. Auch<br />
diese Vorgehensweise dient dazu, das NS-Regime in ein besseres Licht<br />
zu rücken. Heß wird zur Projektionsfl äche eines angeblich positiven Nationalsozialismus.<br />
Neben revisionistischen Themen greifen Rechtsextremisten seit einigen<br />
Jahren auch häufi g Themen auf, die in einer breiteren Öffentlichkeit kritisch<br />
diskutiert werden. Waren das in den vergangenen Jahren beispielsweise<br />
der Irakkrieg oder die Hartz IV-Gesetzgebung, so stand das Jahr 2007<br />
ganz unter dem Zeichen der Globalisierungskritik und der Kampagnen<br />
gegen den G8-Gipfel im mecklenburgischen Heiligendamm. Seit einigen<br />
Jahren schon haben Rechtsextremisten das Thema für sich entdeckt und<br />
nehmen eine globalisierungsfeindliche Haltung ein (siehe hierzu auch Seiten<br />
20 f, 23).<br />
88
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
„No-Go-Areas“ oder “National befreite Zonen“<br />
Die Diskussion um „national befreite Zonen“ und „no-go-areas“ begann im<br />
Jahr 1990. In der damaligen JN-Zeitschrift „Einheit und Kampf“ erschien<br />
ein Artikel, in dem Strategien zum Aufbau einer nationalistischen Parallelgesellschaft<br />
vorgestellt wurden. Wesentliche Bedeutung wurde dabei<br />
einer zu erzielenden sozialräumlichen Dominanz zugewiesen. Dies seien<br />
Bereiche,„auf die der Staat und seine Handlanger keinen Einfl uss haben<br />
werden“.<br />
Durch Ausübung von körperlicher Gewalt oder psychischem Terror sollte<br />
das Straßenbild so stark geprägt werden, dass sich bestimmte Personen<br />
nicht mehr auf die Straße oder in öffentliche Einrichtungen wagen und aus<br />
Angst vor Repressalien auch keine Anzeige erstatten sollten. Insbesondere<br />
„linke“ Personen, Menschen mit Migrationshintergrund oder gesellschaftliche<br />
Minderheiten wie Homosexuelle, Juden oder Behinderte sollten<br />
auf diese Weise aus dem gesellschaftlichen Leben verjagt werden.<br />
Auch im Land <strong>Brandenburg</strong> versuchen Rechtsextremisten weiterhin, diese<br />
Begriffe aufzunehmen. So wurden am 18. Juli 2007 in Guben die Ortseingangsschilder<br />
vollständig mit Aufklebern versehen. Auf ihnen stand der<br />
Begriff „National Befreite Zone“.<br />
89
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Führende Neonazis aus Guben sind bereits Ende der 90er Jahre mit enormer<br />
Gewaltbereitschaft in Erscheinung getreten. Unvergessen bleibt ihre<br />
Hetzjagd auf einen algerischen Staatsbürger am 13. Februar 1999, der sich<br />
auf seiner Flucht vor rechtsextremistischen Schlägern tödlich verletzte.<br />
Auf der rechtsextremistischen Homepage www.aktion-widerstand.net, die<br />
der Neonazi Rene Herrmann aus Eberswalde betreibt, wird unter dem Link<br />
„Schulungsmaterial“ zur Schaffung „befreiter Zonen“ aufgerufen. Ausführlich<br />
schwadroniert der Autor des Artikels über die Motive eines solchen<br />
Vorgehens. Mit pathetischen Formulierungen will er seine Leser glauben<br />
lassen, dass „wir siegen“ und Rechtsextremisten „das Böse, den Weltstaat,<br />
vernichten“ könnten, wenn „wir all unseren Idealismus, unsere Kraft,<br />
unseren Glauben und unseren Mut konzentrieren“. Wenn einmal ein Straßenzug<br />
erobert sei, würden aus diesem „Rinnsal Bäche, aus Bächen wird<br />
der große Sturm, der alles mit sich reißt, das sich der Sache des Volkes<br />
entgegenstemmt“.<br />
Auf die unterschiedlichen Bemühungen von Rechtsextremisten, „No-Go-<br />
Areas“ vorzugaukeln oder sie tatsächlich schaffen zu wollen, hat das Land<br />
<strong>Brandenburg</strong> umfassend reagiert. Der Rechtsstaat überlässt Rechtsextremisten<br />
auch künftig kein Areal und keinen Raum. Diskussionen um „No Go<br />
Areas“ sind immer auch mediale Ereignisse. Darauf spekulieren rechtsextremistische<br />
Strippenzieher. Für sie ist es letztendlich ohne Belang, wie<br />
über ihre „national befreiten Zonen“ berichtet wird. Hauptsache, es wird<br />
überhaupt darüber berichtet, damit so „Angstzonen“ entstehen.<br />
90
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Beispiele rechtsextremistischer Gewalt<br />
Rechtsextremistisch motivierte Gewalt geht in den meisten Fällen nicht<br />
von organisierten Neonazis oder Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien<br />
aus, sondern von dem Spektrum der nicht organisierten Rechtsextremisten.<br />
Täter sind zumeist Jugendliche. Sie handeln häufi g aus der Gruppe<br />
heraus, ohne die Tat konkret geplant zu haben. Die Opfer sind meistens<br />
Menschen, die als „politischer Gegner“ aufgefasst werden. Hierzu zählen<br />
„Linke“, Schwächere oder Menschen, die als „Fremde“ wahrgenommen<br />
werden.<br />
Gewalt gegen den politischen Gegner<br />
Räumliche Schwerpunkte dieser Gewalt gegen vermeintlich „Linke“ sind<br />
eng verbunden mit regen Antifa-Aktivitäten vor Ort. Im Jahr 2007 waren<br />
räumliche Schwerpunkte rechtsextremistisch motivierter Gewaltstraftaten<br />
beispielsweise Finsterwalde, Frankfurt (Oder), Cottbus, Potsdam und Zossen<br />
zu fi nden. Diese Städte haben eine aktive Antifa-Szene. Oft sind die<br />
Konfrontationen Ausdruck von über Jahre hinweg gewachsenen Rivalitäten<br />
zwischen den beteiligten Personen.<br />
Beispiele spontaner rechtsextremistischer Gewalt gegen „Linke“:<br />
So schlug am 15. März 2007 ein Rechtsextremist am Bahnhof in Finsterwalde<br />
aus einer Gruppe von etwa 15 Personen heraus eine Person mehrfach<br />
mit der Faust ins Gesicht sowie an den Hinterkopf. Der Täter ordnete<br />
sein Opfer der linken Szene zu. Ein weiterer Tatverdächtiger sprang dem<br />
Geschädigten in den Rücken, so dass dieser zu Boden stürzte.<br />
Am 4. August 2007 kam es in Finsterwalde auf dem Marktplatz zunächst<br />
zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen einer etwa 20 Personen<br />
umfassenden Gruppierung der unorganisierten rechtsextremistischen<br />
Szene mit einer ebenso rund 20 Personen starken „linken“ Gruppierung.<br />
In weiterer Folge eskalierte die Situation. Die Gruppierungen griffen sich<br />
gegenseitig an, indem sie mit Fäusten schlugen und mit Füßen traten. Die<br />
Polizei nahm eine Person fest.<br />
Am 16. Juli 2007 griffen fünf Rechtsextremisten in Hennigsdorf eine Beteiligte<br />
an der Hausbesetzung in Hennigsdorf an. Sie packten sie am Hinterkopf<br />
und schlugen sie zweimal mit dem Gesicht gegen einen Briefkasten.<br />
91
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Rechtsextremistische Gewalt erfolgt jedoch nicht immer spontan und situationsbedingt.<br />
Teilweise ist sie auch geplant gezielt vorbereitet.<br />
Beispiele geplanter rechtsextremistischer Gewalt gegen „Linke“:<br />
Am 5. Juni 2007 versuchten fünf Rechtsextremisten mit Hilfe eines Molotowcocktails<br />
das Gebäude des Kreisvorstandes der Partei „Die Linkspartei.<br />
PDS“ in Oranienburg in Brand zu setzen. Mit einem Nothammer wurde in<br />
das Spezialglas der vergitterten Eingangstür ein Loch geschlagen und ein<br />
Brandsatz gezündet. Dabei geriet allerdings nur eine Rasennabe in Brand.<br />
Es entstand geringer Sachschaden.<br />
Am 10. Juni 2007 überfi elen etwa 20 zum Teil vermummte Personen den<br />
Jugendclub „Fragezeichen“ in Cottbus. Die Angreifer sprühten zunächst<br />
Reizgas auf die am Eingang stehenden Personen. Anschließend verletzten<br />
sie mehrere Gäste durch Schläge, beschädigten die Einrichtung und<br />
stahlen Getränke. Die Einrichtung gilt als Treffpunkt der linken Szene.<br />
Am 2. November 2007 fand in einer Gaststätte in Frankfurt/Oder, die als<br />
linker Szenetreff gilt, eine Ausstellung gegen Rechtsextremismus statt.<br />
Tags darauf warfen Unbekannte Steine und Flaschen auf das Gelände der<br />
Gaststätte. Dabei riefen sie „Dumm, dümmer, Antifa!“<br />
92
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Fremdenfeindliche Gewaltstraftaten<br />
Die im Jahr 2007 begangenen rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten<br />
gegen ausländische Gewerbetreibende gewannen, verglichen<br />
mit anderen fremdenfeindlichen Gewaltstraftaten, an Bedeutung.<br />
Beispiele rechtsextremistischer Gewalt gegen als „fremd“<br />
betrachtete Gewerbetreibende:<br />
So bespuckten und beleidigten drei alkoholisierte Tatverdächtige am<br />
31. Januar 2007 in Prenzlau einen vietnamesischen Imbissbetreiber und<br />
bedrohten ihn mit abgebrochenen Flaschenhälsen. Weiterhin versuchten<br />
sie, mit ihrem PKW den Imbiss zu rammen. Dabei schrie ein Tatverdächtiger<br />
„Du Schwein! Wir bringen Dich um!“. Einer der rechtsextremistischen<br />
Haupttäter befi ndet sich seit Ende April 2007 in Haft.<br />
Am 12. Februar 2007 warfen Unbekannte in Steinhöfel-Heinersdorf einen<br />
Brandsatz gegen ein Eiscafe, das von einem Deutschen türkischer Abstammung<br />
betrieben wird.<br />
Am 19. August 2007 griffen zwei Rechtsextremisten in Beeskow einen<br />
Vietnamesen an. Als er zusammen mit seinem 5jährigen Sohn und seiner<br />
Frau zu seinem Ladengeschäft zurückkehrte, erhielt er einen Faustschlag<br />
ins Gesicht und gegen seine Schulter. Beim Angriff riefen Sie „Raus, Raus<br />
aus Deutschland! Was wollt ihr hier.“<br />
Am 21. Oktober 2007 versuchten unbekannte Täter in Drebkau mit einem<br />
Molotowcocktail, erst einen Asia-Imbiss und anschließend einen Asia-Shop<br />
in Brand zu setzen. Zum Glück wurde niemand verletzt.<br />
93
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Rechtsextremisten betrachten Ausländer, oder Personen, die sie nach ihrem<br />
äußeren Erscheinungsbild dafür halten, als feindlich. Gegen solche<br />
Personen agieren sie wiederholt aus der Gruppe heraus. Nicht selten nutzen<br />
sie dafür den Rahmen öffentlicher Veranstaltungen.<br />
Meist kommt es nach gezielten anfänglichen Provokationen der Rechtsextremisten<br />
bei geringstem Anlass zu Tätlichkeiten und massiver Gewaltanwendung<br />
gegen die Opfer.<br />
Beispiele rechtsextremistischer Gewalt gegen als „fremd“<br />
betrachtete Personen<br />
Am 11. März 2007 beleidigten fünf Personen am Bahnhof Ludwigsfelde<br />
einen Bürger aus Sierra Leone mit den Worten „Scheiß Nigger“. Er wurde<br />
durch Wegschubsen am Einsteigen in den Zug gehindert und anschließend<br />
ins Gleisbett gestoßen. Man goss ihm Bier über den Kopf. Als er den<br />
Bahnsteig verließ, warf man mit einer Flasche nach ihm.<br />
Am 27. Mai 2007 versperrte ein Rechtsextremist in Cottbus einem Kameruner<br />
Studenten der Cottbusser Universität auf dem Gehweg mehrfach den<br />
Weg und beleidigte ihn mit den Worten „Geh mir aus dem Weg, du Neger!“.<br />
Als der Kameruner ausweichen konnte, wurde er von drei Rechtsextremisten<br />
verfolgt und eingeholt. Sie schubsten, schlugen und traten ihn.<br />
Am 9. Juni 2007 griffen etwa 20 Rechtsextremisten in Cottbus-Sachsendorf<br />
zwei afrikanische Asylbewerber an, schlugen und traten auf sie ein.<br />
Zuvor wurden die Opfer mit rassistischen Parolen beleidigt.<br />
Eine rechtsextremistisch motivierte Gewaltstraftat gegen einen indischen<br />
Staatsbürger in Prenzlau zeigt auf erschreckende Art und Weise das Ausmaß<br />
an Skrupellosigkeit von Rechtsextremisten:<br />
Zwei bekannte Rechtsextremisten feierten mit Gleichgesinnten am 20. April<br />
2007 in Prenzlau zunächst den Geburtstag Adolf Hitlers. Im Anschluss daran<br />
trafen sie auf einen indischen Staatsbürger, den sie unter anderem mit<br />
gezielten Schlägen und Tritten auf den Kopfbereich verletzten.<br />
Deswegen verurteilte sie das Landgericht Neuruppin am 19. Dezember<br />
2007 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von drei<br />
Jahren und einen Monat beziehungsweise anderthalb Jahren. Zusätzlich<br />
war ein Schmerzensgeld von 1.200 Euro zu zahlen.<br />
94
Antisemitische Straftaten<br />
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Antisemitische Straftaten sind meist Propagandadelikte, vor allem in Verbindung<br />
mit Hakenkreuzschmierereien. Dazu gehören aber auch Bedrohung<br />
und Beleidigung, ferner Volksverhetzung, beispielsweise die Leugnung<br />
der Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg.<br />
Antisemitische Gewaltstraftaten fi elen 2007 dagegen kaum an. Am 25. April<br />
2007 schlug allerdings ein Tatverdächtiger in Oranienburg eine Person und<br />
bezeichnete diese unter anderem als „Jude“.<br />
95
Ausblick<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Unterschiedliche, untereinander vernetzte oder gar sich gegenseitig überlagernde<br />
Organisationsformen kennzeichnen den brandenburgischen<br />
Neonazismus. Das Organisationsmodell Kameradschaft hat aufgrund<br />
der massiven staatlichen Repression vorerst an Bedeutung verloren.<br />
Nur vereinzelt organisieren sich Neonazis in Vereinen, zum Beispiel der<br />
„Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ). Stattdessen wird nunmehr eine<br />
Form gewählt, die ohne feste (Vereins-)Strukturen auskommt. Dies sind<br />
in besonderem Maße die so genannten „Freien Kräfte“. An linksextremistischen<br />
Aktionsformen orientierte „Autonome Nationalisten“ sind, von<br />
wenigen mit Berlin verknüpften Ausnahmen abgesehen, in <strong>Brandenburg</strong><br />
noch nicht fester Bestandteil des brandenburgischen Rechtsextremismus.<br />
Konzerte so genannter Hass-Bands bilden jedoch für alle diese Aktionsformen<br />
eine Art „kulturellen“ Überbau. Denn hier kommen Vertreter des<br />
gesamten rechtsextremistischen Spektrums zusammen. Ebenso ist allen<br />
die immer stärkere Nutzung des Internets gemein. Dies dient dabei längst<br />
nicht mehr der Informationsbeschaffung und -bereitstellung. Sondern seine<br />
Bedeutung für die strategisch dorthin verlagerte Kommunikation wächst<br />
zusehends. Schon deshalb, weil der Wegfall vereinsmäßiger Strukturen<br />
kompensiert werden muss.<br />
Trotz dieser Veränderungen hält die Identitäts- und Strukturkrise der rechtsextremistischen<br />
Szene in <strong>Brandenburg</strong> weiter an. Die gemeinsame Auseinandersetzung<br />
von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen mit<br />
Rechtsextremismus hat schließlich erst dafür gesorgt, dass neonazistische<br />
Gruppierungen vorerst keine bedeutenden Kameradschaftsorganisationen<br />
mit festen Strukturen und Funktionen in <strong>Brandenburg</strong> bilden können. Die<br />
Vereinsverbote der letzten Jahre haben die Szene verunsichert und in ihren<br />
Strukturen erschüttert. Zur Mobilisierung müssen sie sich daher auf<br />
ihre persönlichen Kontakte, das Internet (Foren), gemeinsame rechtsextremistische<br />
Einstellungen als verbindendes Element und auf Mundpropaganda<br />
beschränken. Jedoch werden nur wenige Internet-Präsenzen<br />
brandenburgischer Rechtsextremisten regelmäßig aktualisiert.<br />
Als martialische Bezeichnungen werden Begriffe wie „Nationale Sozialisten“,<br />
„Freie Kräfte“ oder „Nationale Aktivisten“ genutzt. Sie enthalten<br />
höchstens noch einen regionalen Zusatz („Lausitz“, „Potsdam“, „Uckermark“),<br />
um der Szene einen Hauch von Wiedererkennung zu geben.<br />
96
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Problematisch verhält es sich ebenso mit rechtsextremistischen Massenkundgebungen.<br />
Deren Teilnehmer und Organisatoren haben mit erheblichen<br />
staatlichen Aufl agen und zivilgesellschaftlicher Gegenwehr zu rechnen.<br />
Oftmals fahren angereiste Rechtsextremisten frustriert wieder nach<br />
Hause, weil sie nicht zu ihrem ersehnten Marscherlebnis gekommen sind.<br />
Rechtsextremisten werden weiterhin im gewaltbereiten Fußballfan-Milieu<br />
Ausschau nach potentiellen Gleichgesinnten halten. Es ist daher nach wie<br />
vor mit Gewalt und offen rechtsextremistischen Äußerungen in und um<br />
Fußballstadien und Fußballplätzen zu rechnen. Dies gilt insbesondere für<br />
Spiele und Vereine niederer Klassen, weil hier Kontroll- und Präventionsmaßnahmen<br />
weniger intensiv betrieben werden.<br />
Potenzielle „Wallfahrtsorte“ der Rechtsextremisten wie Wunsiedel, Halbe<br />
oder Seelow wurden durch verschärfte Gesetze und zivilgesellschaftliches<br />
Engagement befriedet, Szeneveranstaltungen in Hinterzimmer und anrüchige<br />
Gaststätten verlagert. Sogar das herbstliche „Heldengedenken<br />
2007“ fand für ostdeutsche Neonazis in einem Saal bei Pirna (Sachsen)<br />
statt. Mittlerweile hat auch die NPD Probleme beim Anmieten geeigneter<br />
gastronomische Räumlichkeiten. Hintergrund sind couragierte Aktivitäten<br />
des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in <strong>Brandenburg</strong>, der sich<br />
und seine Mitglieder hier deutlich positioniert.<br />
Der NPD in <strong>Brandenburg</strong> ist es bislang nicht gelungen, die unorganisierte<br />
Neonazi-Szene dauerhaft und verlässlich für ihre Zwecke zu vereinnahmen.<br />
Zwar unterstützt man sich wechselseitig etwa bei Veranstaltungen,<br />
jedoch ist der rechtsextremistische Neonazismus in <strong>Brandenburg</strong> – im<br />
Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen – bislang überwiegend<br />
selbständig geblieben. Wenn es Annäherungen gibt, dann allerdings<br />
vermehrt in Richtung NPD sowie JN. Die DVU spielt mit Ausnahme eines<br />
führenden Funktionärs keine bedeutende Rolle.<br />
Die rechtsextremistische Szene wird aber weiterhin darum bemüht bleiben,<br />
aktuelle Strategie- und Aktionsformen zu fi nden. Zentrale Strippenzieherin<br />
ist oft die NPD. Sozial- und gesellschaftspolitische Themenfelder spielen<br />
inhaltlich weiter eine wichtige Rolle, um der Öffentlichkeit das Bild einer<br />
„anständigen“ Bewegung vorzugaukeln. Schon in den letzten Jahren wurden<br />
fl ächendeckend Themenkampagnen gegen den Irakkrieg, die „Agen-<br />
97
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
da 2010“ oder die EU-Osterweiterung organisiert. Ziel war es, Anschluss<br />
an den öffentlichen politischen Diskurs zu fi nden, Akzeptanz im politischen<br />
Kräftefeld und Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen.<br />
98
Neonazis und gewaltbereiter Rechtsextremismus<br />
Bei der Suche nach einer organisatorischen Klammer fällt der NPD eine<br />
erhebliche Bedeutung zu. Durch ihre Landtagsmandate in Sachsen und<br />
Mecklenburg-Vorpommern hat sie insbesondere in Ostdeutschland an<br />
Selbstbewusstsein und Zugkraft gewonnen. Obwohl es noch immer führende<br />
Neonazis in <strong>Brandenburg</strong> gibt, die systematische Zusammenarbeit<br />
mit der NPD ablehnen, schrumpfen in vielen rechtsextremistischen Kreisen<br />
diese Berührungsängste zur NPD. Die extremistische DVU scheint<br />
ohne Bedeutung zu sein. Die NPD sieht in den DVU-Wählern allenfalls<br />
‚Stimmvieh’.<br />
Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer an den NPD-Demonstrationen<br />
2007 im Land <strong>Brandenburg</strong> stammt aus dem neonazistischen Lager. Einige<br />
dokumentieren ihre Sympathie zur NPD nicht nur durch eine anlassbezogene<br />
Zusammenarbeit, sondern nutzen die NPD oder ihre Jugendorganisation,<br />
die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), als organisatorisches<br />
Auffangbecken für ihre Aktivitäten. So gründeten ehemalige Kameradschaftsmitglieder<br />
JN-Stützpunkte oder sie wurden NPD-Funktionäre.<br />
Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt hat bereits 2004 bewusst die so<br />
genannte Drei-Säulen-Strategie seiner Partei um eine vierte Säule erweitert.<br />
Der „Kampf um den organisierten Willen“ bezieht sich auf den Versuch,<br />
möglichst alle „nationalen Kräfte“ zu bündeln. Die NPD versteht sich<br />
zwar als „Speerspitze der nationalen Erneuerung“, strebt aber ein Bündnis<br />
mit den „aktiven Kräften des nationalen Widerstandes“ an. Das Angebot<br />
zur Zusammenarbeit richtet sich nicht nur an die anderen rechtsextremistischen<br />
Parteien, sondern auch an Neonazis und rechtsextremistische<br />
Skinheads.<br />
Die NPD weiß, dass sie die parteiungebundenen Neonazis für ihre öffentlichkeitswirksamen<br />
Aktionen benötigt. Ohne sie würden eigene Veranstaltungen<br />
kümmerlich verlaufen. Umgekehrt verfügen die „Freien Kräfte“<br />
selbst nicht über die nötige fi nanzielle, logistische und organisatorische<br />
Schlagkraft für größere öffentlichkeitswirksame Aktionen. So besteht<br />
zwischen beiden Strömungen ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis.<br />
Dieses Extremisten-Bündnis wird enger, wenn die NPD bei Wahlen<br />
Mandate erringt. In <strong>Brandenburg</strong> werden die Kommunalwahlen im Herbst<br />
2008 ein bedeutender Testlauf für die rechtsextremistische Szene. Je<br />
erfolgreicher die NPD dort abschneidet, umso attraktiver wird sie für die<br />
„Freien Kräfte“. Sollte sie jedoch überwiegend am Einzug in die Kreistage<br />
scheitern, verliert sie Anziehungskraft.<br />
99
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
100
Militanz und Linksextremismus<br />
MILITANZ UND LINKSEXTREMISMUS<br />
Terrorismus: Generalbundesanwaltschaft<br />
ermittelt gegen „militante gruppe“<br />
Nach einem versuchten Brandanschlag am 31. Juli 2007 auf Fahrzeuge<br />
der Bundeswehr in der Stadt <strong>Brandenburg</strong> an der Havel wurden drei Verdächtige<br />
in unmittelbarer Tatortnähe festgenommen. In Berlin folgte wenig<br />
später eine weitere Festnahme.<br />
Den Beschuldigten wird unter anderem vorgeworfen, an drei LKW der Bundeswehr<br />
Zündvorrichtungen angebracht zu haben. Diese lösten zwar aus,<br />
konnten aber durch Polizeibeamte noch rechtzeitig entfernt werden. In der<br />
Wohnung eines Beschuldigten wurde ein leerer, nach Kraftstoff riechender<br />
Benzinkanister gefunden. Ferner fand man den Entwurf eines Positionspapiers<br />
der „militanten gruppe“ (mg). Den insgesamt vier Tatbeschuldigten<br />
wurde unter anderem die Mitgliedschaft in der terroristischen „mg“ zur Last<br />
gelegt.<br />
Anschläge der „militanten gruppe“<br />
In den Jahren 2000 bis 2006 ereigneten sich in Berlin rund 30 und in Sachsen-Anhalt<br />
zwei Anschläge. Im Land <strong>Brandenburg</strong> verübte die „mg“ in diesem<br />
Zeitraum fünf Brandanschläge. 2007 folgten weitere drei in Berlin. Ein<br />
weiterer Brandanschlag in <strong>Brandenburg</strong> ereignete sich in der Nacht vom<br />
14. auf den 15. Januar 2007 in Oranienburg. Vor dem Bahnhof wurden<br />
zwei Fahrzeuge der Bundespolizei zerstört. Bei allen Brandanschlägen<br />
wurden Zündzeitverzögerer eingesetzt. Es entstanden jeweils Schäden<br />
von bis zu 100.000 Euro.<br />
Abgesehen von symbolhaften Gewaltandrohungen gegen Menschen –<br />
2001 wurden mehreren Vertretern der Wirtschaft und der Politik Drohbriefe<br />
mit scharfen Patronen zugeschickt – hat die „mg“ Gewalt bisher nur gegen<br />
Sachen gerichtet. Anschlagsziele waren Gebäude sowie Fahrzeuge von<br />
Sozial-, Finanz- und Ordnungsämtern, Justizeinrichtungen, Polizei, Vertretungen<br />
von Großkonzernen und Autohäuser. Die „mg“ ordnet ihre Ziele den<br />
Themenfeldern „Globalisierung“ und „staatliche Repression“ zu.<br />
101
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
‚Markenzeichen’ der „mg“ ist die Veröffentlichung von Selbstbezichtigungsschreiben.<br />
Hierzu bietet vorzugsweise die Szenezeitschrift „INTERIM“ eine<br />
Plattform. Darüber hinaus dient „INTERIM“ der „mg“ als Forum für eine<br />
bereits 2001 initiierte „Militanzdebatte“. Auch Tageszeitungen und Rundfunkanstalten<br />
erhalten mitunter solche Schreiben, veröffentlichen sie aber<br />
selten. Ihre Formulierungen in den Bekennerschreiben erinnern an den<br />
menschenverachtenden Stil der RAF in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.<br />
Erklärtes Ziel der „mg“ ist die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung zu Gunsten eines kommunistischen Regimes.<br />
Die „mg“ strebt mit Verbalradikalismus, Feindbildprojektionen und fl ankierenden<br />
Anschlägen eine Führungsfunktion innerhalb des militanten Linksextremismus<br />
an.<br />
Auch der G8-Gipfel in Heiligendamm wurde von der „mg“ thematisiert. In<br />
der „INTERIM“-Ausgabe Nummer 639 kündigte sie im Juli 2006 an, unter<br />
den G8-Gipfelgegnern die „militante Option“ „forcieren“ zu wollen. Die Zeit<br />
der Protestmobilisierung sollte dafür genutzt werden.<br />
Ihr Brandanschlag im Januar 2007 auf Fahrzeuge der Bundespolizei in<br />
Oranienburg steht damit im Zusammenhang. Dies gilt ebenso für zwei am<br />
4. September 2006 am Bahnhof Berlin-Lichtenberg zerstörte Bundespolizei-Einsatzfahrzeuge.<br />
Als „vorzeitige Ausmusterung“ bezeichnet die „mg“<br />
solche Straftaten.<br />
Begründet wurde der Anschlag damit, dass „die weltweite Migrationskontrolle<br />
und Flüchtlingsbekämpfung bei der Mobilisierung gegen den G8-<br />
Gipfel eine hervorgehobene Rolle“ spielten. Militanter Antirassismus habe<br />
darauf Antworten zu fi nden. Und: „Wir haben eine mögliche gegeben.“<br />
102
Militanz und Linksextremismus<br />
Im Vorfeld des G8-Gipfels wurden am 9. Mai 2007 in Berlin, <strong>Brandenburg</strong>,<br />
Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Durchsuchungsmaßnahmen<br />
in insgesamt 42 Objekten durchgeführt. Sie fanden im<br />
Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwaltschaft wegen<br />
des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung statt.<br />
Weitere Durchsuchungsmaßnahmen im Auftrag der Generalbundesanwältin<br />
erfolgten am 19. Juni 2007 in Berlin.<br />
Gegen die Ermittlungen demonstrierten mehrere tausend Teilnehmer in Berlin<br />
und Hamburg. Am 9. Mai 2007 folgten etwa 20 Angehörige der „linken“<br />
Szene einem Internet-Protestaufruf und protestierten in Potsdam gegen<br />
die bundesweiten Exekutivmaßnahmen gegen mutmaßliche Angehörige<br />
der „mg“. Am 18. Mai 2007 wurde ein Brandanschlag auf zwei Dienstfahrzeuge<br />
der Berliner Polizei in Spandau verübt. In ihrem Bekennerschreiben<br />
begründete die „militante gruppe“ ihre Tat mit den am 9. Mai 2007 erfolgten<br />
polizeilichen Exekutivmaßnahmen. Diese wurden als „Rundumschlag gegen<br />
vermeintliche AktivistInnen aus der militanten Linken“ bezeichnet.<br />
Rückblickend ist festzustellen, dass der Mobilisierungsversuch der „mg“<br />
– insbesondere die Forcierung einer „militanten Option“ im Vorfeld des<br />
G8-Gipfels – keine breite Resonanz gefunden hat. Die militanten Aktionen<br />
vor und während des G8-Gipfels gingen insbesondere von Mitgliedern des<br />
so genannten „Schwarzen Blocks“ aus. Auch die zahlreichen Brandstiftungen<br />
an Kraftfahrzeugen (vorwiegend der gehobenen Preisklasse), die<br />
seit dem G8-Gipfel vor allem in Berlin zu verzeichnen sind, dürften eher<br />
Einzelpersonen oder Kleinstgruppen aus dem militanten autonomen Spektrum<br />
zuzuschreiben sein. Obwohl die Polizei über 100 Brandanschläge registrierte,<br />
gingen nur wenige Bekennerschreiben bei den Medien ein. Die<br />
„mg“ beurteilt solche offenbar sehr individuell motivierten Gewaltanschläge<br />
abschätzig. So rügt sie Ende Mai 2007 die „unzusammenhängende Brandsatzlegerei“<br />
in Berlin.<br />
Die Unzufriedenheit der „mg“ mit dem Verlauf der G8-Mobilisierung zeigt<br />
sich auch in dem Vorwurf der „fehlenden politischen Kontur der ‚militanten<br />
Kampagne‘ zum Thema G8“. Der Versuch, militante Strukturen zu mobilisieren,<br />
sei in Anfängen stecken geblieben. Jetzt komme es darauf an,<br />
die Erfahrungen auszuwerten und einen neuen, allerdings stärker koordinierten<br />
Anlauf zu nehmen. Die „mg“ schlägt dazu das Thema „30 Jahre<br />
Deutscher Herbst“ vor. Sie belegt damit ihre Selbstverortung in der Tradition<br />
des linksextremistischen RAF-Terrorismus.<br />
103
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Wegen ihrer elitär wirkenden Art dürfte die „mg“ im linksextremistischen<br />
Spektrum kaum auf die ersehnte Resonanz stoßen. Es ist jedoch nicht<br />
auszuschließen, dass sie weiterhin Brandanschläge verüben wird.<br />
Im September 2007 wurde die eingangs erwähnte Militanzdebatte in der<br />
Zeitschrift „INTERIM“ von einer Gruppierung aufgegriffen, die sich „freie<br />
radikale“ nennt. Sie setzt sich mit den Konzepten der linksextremistischen<br />
Szene bei Protesten gegen den G8-Gipfel auseinander und schlägt eine<br />
militante Kampagne gegen Bundeswehreinrichtungen und Verantwortliche<br />
in Politik, Militär und Wirtschaft vor. Die Gefährdung von Menschenleben<br />
lehnt sie ab. Von der gesamten Linken wird Solidarität eingefordert. Politische<br />
Differenzen, so mit der „mg“, „können kein Hinderungsgrund sein,<br />
mit Menschen solidarisch zu sein, die andere Verhältnisse wollen und dabei<br />
verständlicherweise das Militär im Wege sehen“. Bislang sind nennenswerte<br />
Reaktionen gewaltbereiter Linksextremisten jedoch ausgeblieben.<br />
Von der terroristischen zur kriminellen Vereinigung?<br />
Gegen die „mg“ ermittelte die Generalbundesanwaltschaft zunächst nach<br />
Paragraf 129 a Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer terroristischen<br />
Vereinigung) von 2001 bis 2007. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte allerdings<br />
am 28. November 2007 fest, dass aufgrund der Neufassung des<br />
Paragrafen 129 a im Jahr 2003 in Anlehnung an EU-Vorschriften weitere<br />
Anforderungen vorliegen müssen, um sich hiernach strafbar zu machen.<br />
Der BGH bewertet die „mg“ auf Grundlage der begangenen und beabsichtigten<br />
Straftaten als nicht geeignet, die Bundesrepublik Deutschland<br />
im Sinne der neu gefassten Norm erheblich zu schädigen. Die „mg“ kann<br />
daher im laufenden Verfahren nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet<br />
werden.<br />
104
Militanz und Linksextremismus<br />
Autonome Antifa und Gewalt<br />
„Kommt nach Jena und nehmt den Kampf auf!“ So wurde auf der Internetseite<br />
der „Antifaschistischen Aktion Bernau“ dazu aufgerufen, sich an<br />
„antifaschistischen Begleitaktionen zum zweiten ‚Fest der Völker‘“ der NPD<br />
am 8. September 2007 in Jena zu beteiligen. Außerdem hieß es: „Zum wiederholten<br />
Mal werden wir keine Mühe scheuen, dies zu verhindern!“ Für<br />
die Sprache der autonomen Szene sind provozierende Formulierungen<br />
charakteristisch. Unter „Verhinderung“ verstehen Autonome Störversuche<br />
und militante Aktionen gegen einen Gegner, der nicht nur in der Neonazi-<br />
Szene, sondern ebenso im demokratischen Staat selbst gesehen wird.<br />
An den Veranstaltungen gegen das Jenaer NPD-Fest beteiligten sich<br />
mehrheitlich friedlich etwa 3.000 Personen. Vermummte Autonome aus der<br />
gewaltbereiten Szene waren jedoch vor Ort. Sie versuchten, in kleineren<br />
Gruppen mit Blockaden den Zugang zur NPD-Veranstaltung zu verhindern.<br />
Gegen Teilnehmer der Gegenaktionen leitete die Polizei Verfahren wegen<br />
verschiedener Straftaten ein. Auf der auch von Linksextremisten genutzten<br />
Internetseite „indymedia“ wurde der Polizei daraufhin vorgeworfen, „eine<br />
faschistische Veranstaltung nicht nur zu schützen, sondern sie überhaupt<br />
erst zu ermöglichen“. Daher werde man „die Lehre ziehen, dass (nicht bloß<br />
gegen Nazis) nur ein gemeinsames entschlossenes Vorgehen sinnvoll ist<br />
und die Gewissheit, dass man selbst zur Tat schreiten muss, um Veränderungen<br />
der Polizei ... und dem Staat zum Trotz herbeizuführen“.<br />
Die autonome Antifa – „Antifa“ steht für Antifaschismus – kämpft seit jeher<br />
vordergründig gegen den Rechtsextremismus. Gewaltanwendung im „antifaschistischen<br />
Kampf“ ist in der autonomen Szene weitgehend unumstritten<br />
und wird als legitimes Mittel „autonomer Politik“ betrachtet.<br />
105
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Autonome lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung und das<br />
darauf beruhende, demokratisch verfasste Gemeinwesen der Bundesrepublik<br />
Deutschland ab. Sie behaupten, der marktwirtschaftliche Staat begünstige<br />
und toleriere um seiner Selbsterhaltung willen den Faschismus.<br />
Daher glauben sich Autonome berufen, den Kampf gegen Faschisten und<br />
Rassisten im Wege der Selbstjustiz in eigene Hände zu nehmen. Ziele sind<br />
dabei der politische Gegner, wie mutmaßliche oder tatsächliche Rechtsextremisten.<br />
Hinzu kommen staatliche Institutionen. Der „Repressionsapparat“<br />
hindere sie schließlich an der Verwirklichung ihres antifaschistischen<br />
Sendungsbewusstseins.<br />
Es ist dieses Bekenntnis zur Gewalt und Selbstjustiz, das Autonome<br />
von allen anderen Gruppierungen unterscheidet, welche ebenfalls „Herrschaftsfreiheit“<br />
anstreben und „alternative Lebensformen“ verschiedenster<br />
Art praktizieren wollen.<br />
Zwar war das Thema „Anti-Globalisierung“ im Jahr 2007 mit Aktionen gegen<br />
den G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) ein wichtiges<br />
Agitations- und Aktionsfeld der Autonomen. Jedoch blieb der Antifaschismus<br />
das Hauptaktionsfeld und damit zentrales ideologisches Bindeglied.<br />
Ebenso eignet sich „antifaschistischer Kampf“ als regelmäßiger Anlass für<br />
versuchte Bündnispolitik weit über die Grenzen gewaltbereiter Autonomer<br />
hinaus. Er bietet die Projektionsfl äche, um den zivilgesellschaftlichen Konsens<br />
gegen Rechtsextremismus für eigene Ziele zu instrumentalisieren.<br />
Eine autonome Antifa-Perspektive lässt allerdings als Gegenpole nur Nazis<br />
oder Faschisten auf der einen Seite und auf der anderen Seite Antifaschisten<br />
zu. Einrichtungen des demokratischen Rechtsstaates werden in<br />
dieser nur schwarz und weiß gestreiften Weltsicht häufi g als „faschistisch“<br />
diffamiert.<br />
106
Militanz und Linksextremismus<br />
Örtliche Schwerpunkte der autonomen Szene im Land <strong>Brandenburg</strong> sind<br />
vor allem Potsdam und Frankfurt (Oder). In Regionen wie Cottbus, Finsterwalde,<br />
Königs Wusterhausen, Oranienburg/Hennigsdorf, Rathenow,<br />
Strausberg sind nur wenig autonome Personengruppen auszumachen.<br />
Wie in den vergangenen Jahren richteten sich auch 2007 Aktionen gegen<br />
rechtsextremistische Veranstaltungen, aber auch gegen einzelne vermeintliche<br />
oder tatsächliche Rechtsextremisten. Bei beliebigen Gelegenheiten<br />
wird der „politische Gegner“ spontan oder nur wegen seines äußeren Erscheinungsbildes<br />
angegriffen:<br />
Am 4. Februar 2007 attackierten etwa sechs vermummte Täter am Potsdamer<br />
Hauptbahnhof einen Bundeswehrangehörigen. Er trug kurze Haare<br />
und eine Tarnjacke. Die Täter beschimpften ihn als „scheiß Nazi“, warfen<br />
ihn zu Boden, traten ihm ins Gesicht und setzten Pfefferspray ein.<br />
Am 3. März 2007 zog eine Gruppe von 20 bis 25 vermummten Personen<br />
nach einem Fußballspiel des SV Babelsberg 03 durch die Karl-Liebknecht-<br />
Straße in Potsdam. Sie rissen Pfl astersteine aus dem Gehweg und zertrümmerten<br />
zehn Schaufensterscheiben einer Bank sowie des Geschäftes<br />
„Union Jack“. Das Geschäft führt Kleidermarken, die auch bei Rechtsextremisten<br />
beliebt sind. Beim Eintreffen der Polizei fl üchteten die Straftäter<br />
in verschiedene Richtungen.<br />
Am 1. Mai 2007 wurden in Fredersdorf zwei Personen aus einer Gruppe<br />
heraus mit „scheiß Nazis und Rassisten“ verbal attackiert. Im Anschluss<br />
wurde eines der Opfer von drei Personen zu Boden gerissen und mit Füßen<br />
getreten. Mit einem Stein erhielt es zudem einen Schlag ins Gesicht.<br />
Am 2. Juni 2007 trug sich in Perleberg beim „Roland- und Schützenfest“<br />
eine Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen zu. Ein 18-Jähriger, der<br />
ein schwarzes T-Shirt mit dem weißen, in altdeutscher Schrift geschriebenen<br />
Aufdruck „Wehrt Euch. Kämpft!“ trug, soll „Scheiß Zecken“ gerufen<br />
haben. Daraufhin erhielt er mit einer Bierfl asche einen Schlag auf den<br />
Kopf. Eine 18-Jährige, die ihm helfen wollte, wurde von einer weiblichen<br />
Person mehrmals in den Bauch getreten.<br />
Am 14. Juli 2007 trafen in Hennigsdorf nach einer vorangegangenen<br />
Hausbesetzung durch Autonome drei Angehörige der „linken“ Szene in<br />
einem Supermarkt auf einen Jugendlichen. Da sie in diesem einen „Nazi“<br />
zu erkennen glaubten, sprühten sie ihm Pfefferspray ins Gesicht.<br />
107
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Das Auftreten von organisierten Rechtsextremisten im öffentlichen Raum<br />
nehmen Autonome ebenso zum Anlass, Straftaten gegen tatsächliche oder<br />
vermeintliche Rechtsextremisten zu begehen:<br />
Als Reaktion auf die angemeldete NPD-Demonstration rief die „Autonome<br />
Antifa Frankfurt (Oder)“ (AAFFO) zu einer „antifaschistischen Kundgebung“<br />
am 27. Januar 2007 vor Ort auf. Der Aufruf trug das Motto „Der Geschichte<br />
verpfl ichtet – der Befreiung gedenkend! Nazidemo sabotieren!“ und endete<br />
mit den Parolen „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Deutschland!“.<br />
Tatsächlich gab es eine Auseinandersetzung mit 10 bis 15 „Rechten“ und<br />
es kam zu Versuchen von 50 bis 60 Personen, die Strecke des NPD-Aufzuges<br />
zu blockieren. Anschließend veröffentlichte die „Recherchegruppe<br />
Frankfurt (Oder)“ im Internet über 200 Porträtfotos von Teilnehmern der<br />
NPD-Demonstration. Parallel dazu hielt die „Autonome Antifa Frankfurt<br />
(Oder)“ der Polizei in einer Erklärung vor, „Nazis vor Protest zu schützen“.<br />
Innerhalb der autonomen Szene wird diskutiert und bemängelt, dass Veranstaltungen<br />
und Aktionen im Rahmen ihres „antifaschistischen Kampfes“<br />
oft nur Reaktionen auf Demonstrationen, Versammlungen oder Info-Tische<br />
des politischen Gegners sind. Dies unterstreicht ein Flyer der „Autonomen<br />
Antifa Königs Wusterhausen“ (AAKW) anlässlich einer angemeldeten<br />
NPD-Demonstration am 6. Oktober 2007 in Königs Wusterhausen:<br />
„Um als AntifaschistInnen nicht lediglich den Nazis hinterher zu rennen<br />
und uns von ihnen die Inhalte unserer Aktionen diktieren zu lassen,<br />
werden wir am Vortag des Aufmarsches in KW mit eigenen Inhalten auf<br />
die Straße gehen. Für linke Freiräume und gegen den Leistungsterror<br />
der kapitalistischen Warengesellschaft! Jugendliche brauchen eine<br />
Perspektive, allerdings keine, die auf Arbeitsfetisch, Volksgemeinschaft<br />
und Antisemitismus abzielt. Darum: Für eine revolutionäre Perspektive<br />
– emanzipatorisch und antifaschistisch!“ Gleichzeitig wurde aufgerufen,<br />
am nächsten Tag den „Naziaufmarsch [zu] sabotieren!“.<br />
Auch wenn die autonome Antifa auf Veranstaltungen des politischen Gegners<br />
einerseits oft nur reagiert, agiert sie andererseits ereignisunabhängig<br />
und betreibt verstärkt die so genannte „Antifa-Recherche“. Hierbei werden<br />
politische Gegner gezielt ausgespäht und „geoutet“. Diese Daten fi nden<br />
als „Steckbriefe“ in Publikationen, Flugblättern und im Internet ihren Weg<br />
in die Öffentlichkeit. Solche Informationen können gewalttätigen Aktionen<br />
108
Militanz und Linksextremismus<br />
vorausgehen. Dazu zählt unter anderem das gezielte „Abfackeln“ von<br />
„Nazi“-Kraftfahrzeugen.<br />
Das „Antifaschistische Autorenkollektiv (Westhavelland)“ zeichnet für einen<br />
jährlich erscheinenden regionalen „Jahresrückblick“ verantwortlich. Er<br />
wurde für das Jahr 2006 pünktlich am 1. Januar 2007 im Internet veröffentlicht<br />
(www.westhavelland.antifa.net). Berichtet wird insbesondere über<br />
gegnerische Aktivitäten in Rathenow und Premnitz sowie über Treffpunkte,<br />
Fahrzeuge und Plakate der rechtsextremistischen Szene. Hinzu kommen<br />
Fotos von entsprechend charakterisierten und zugeordneten Personen.<br />
In Frankfurt (Oder) trat eine „Antifaschistische Recherchegruppe Frankfurt<br />
(Oder)“ mit „recherche output“ in Erscheinung. Die Gruppe beabsichtigt,<br />
ihre Publikation unregelmäßig als „Informationsblatt zur Braunzone in der<br />
Region Frankfurt (Oder)“ herauszugeben. Es enthält unter anderem Fotos<br />
mit Namen von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten.<br />
Im März 2007 erschien von „recherche output“ die zweite Ausgabe. Darin<br />
wurde über den im „Bereich Frankfurt (Oder) zuständigen NPD-Aktivisten“<br />
und den Stadtteil, in dem er wohnt, berichtet. Einen Monat später, im April<br />
2007, wurden 15 Plakate im Umfeld seiner Wohnung verklebt. Sie trugen<br />
die Aufschrift „Frankfurts neuester Neonazi ..., Mit freundlichen Grüßen<br />
ihre Antifa“. „BeobachterInnen“ veröffentlichten die Plakat-Klebeaktion unter<br />
der Überschrift „NPD-Kader geoutet“ im Internet und forderten: „Ihm<br />
und seiner Arbeit möglichst viele Steine in den Weg zu räumen sollte das<br />
erklärte Ziel lokaler Antifas sein. KEINE RUHE FÜR NEONAZIS - NEO-<br />
NAZIS AUS DER ANONYMITÄT HOLEN“. Wenige Tage später, am 2. Mai<br />
2007, ging das Fahrzeug des NPD-Aktivisten in Flammen auf. Tatverdächtige<br />
konnten bislang nicht ermittelt werden.<br />
Im Juli 2007 veröffentlichte ein „Antifa Recherche Team Teltow-Fläming“<br />
(ART-TF) einen „Antifa Blickpunkt“. Darin wird schwerpunktmäßig die neonazistische<br />
Kameradschaft „Freie Kräfte Teltow-Fläming“ behandelt. Die<br />
Publikation enthüllt aus Antifa-Perspektive rechtsextremistische Aktivitäten<br />
im Norden des Landkreises Teltow-Fläming.<br />
Nach wie vor streben Autonome im Rahmen ihres „antifaschistischen<br />
Kampfes“ nach Bündnissen. Für Linksextremisten ist Bündnispolitik eine<br />
109
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
taktische Methode. Mit ihr wollen sie als Minderheit aus einer Position der<br />
Schwäche heraus versuchen, auf eine Veränderung der politischen Machtverhältnisse<br />
einzuwirken. Sie haben erkannt, dass sich durch Zusammenarbeit<br />
mit zivilgesellschaftlichen Organisationen eigene Positionen politisch<br />
besser vermarkten lassen. Häufi g sind es anlassbezogene Bündnisse, wie<br />
Veranstaltungen gegen NPD-Aktivitäten.<br />
Zwar gelingt es der autonomen Antifa nur schwer, derartige Bündnisse in<br />
ihrem Sinne zu dominieren. Doch eröffnet ihr dieses Vorgehen Möglichkeiten,<br />
das eigene Ansehen bei nicht-extremistischen Bündnispartnern<br />
günstig zu beeinfl ussen und so eine Erosion der Abgrenzung zu bewirken.<br />
Auch ohne zuvor ein Bündnis eingegangen zu sein, nutzen Autonome häufi<br />
g die Gelegenheit, sich an Demonstrationen nicht-extremistischer Organisationen<br />
zu beteiligen. Die bekundete Absicht, friedlich demonstrieren<br />
zu wollen, dient dabei häufi g nur als Vorwand, um eine Gelegenheit für<br />
Gewalttaten zu fi nden. Nicht immer wird die so genannte Kleingruppentaktik<br />
favorisiert. Die andere Taktik, nämlich „Masse zu demonstrieren“,<br />
hat aus Sicht der Szene den Vorteil, mit möglichst vielen Personen gegen<br />
die Teilnehmer rechtsextremistischer Demonstrationen und ebenso gegen<br />
Polizeikräfte vorgehen zu können.<br />
Rechtsextremistische Demonstrationen bieten außerdem Gelegenheit, die<br />
oben genannte Recherchearbeit zu betreiben: „Nazis“ werden fotografi ert<br />
und die Bilder im Internet veröffentlicht, wie nach der NPD-Demonstration<br />
am 27. Januar 2007 in Frankfurt (Oder) geschehen.<br />
110
Militanz und Linksextremismus<br />
Transformationsprozesse: Militanter Öko-Aktivismus<br />
und G8-Proteste<br />
Unter Globalisierung wird der Prozess zunehmender internationaler Verfl<br />
echtung in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur und Kommunikation<br />
verstanden. Dieses gegenseitige globale Durchdringen und Zusammenrücken,<br />
welches beispielsweise Geldtransfer in Echtzeit rund um den<br />
Globus ermöglicht, vollzieht sich nicht überall gleich. Ebenso wirken sich<br />
vorhandene Chancen und Risiken in vielfältiger Weise unterschiedlich aus.<br />
Jedoch: All dies ist nichts Neues. Im Gegenteil. Seit der Mensch Räume<br />
erschlossen, besiedelt und angefangen hat, Handel zu treiben, globalisiert<br />
er sich und damit die Welt. In diesem prozesshaften Lauf der Dinge werden<br />
Dynamik, Strukturen und Mitteleinsatz angepasst, verbessert und so einer<br />
unermüdlichen Modernisierung unterworfen. Individuen, Gesellschaften,<br />
Institutionen, Unternehmen, Kommunikationssysteme und Staaten sind<br />
daran beteiligt. Die Liberalisierung des Welthandels bildet den Rahmen<br />
und bindet in diesen Prozess immer mehr Akteure ein.<br />
Kritiker, Gegner und Skeptiker der Globalisierung fi nden sich im extremistischen<br />
wie im demokratischen Spektrum der Bevölkerung. Im Folgenden<br />
wird nur noch von den extremistischen Globalisierungsgegnern die Rede<br />
sein. Nur sie stehen im Fokus des <strong>Verfassungsschutz</strong>es.<br />
Globalisierung als Thema von Extremisten<br />
Rechtsextremisten verkoppeln wie Linksextremisten ihre Globalisierungsgegnerschaft<br />
mit anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Ideologiefragmenten.<br />
Für beide Lager bietet Globalisierungsgegnerschaft ein<br />
politisch profi tables Betätigungsfeld, in welchem sie ihre extremistischen<br />
Positionen spiegeln, weiterentwickeln und nach Bündnispartnern Ausschau<br />
halten können.<br />
Rechtsextremisten betrachten die von ihnen scharf abgelehnte Migration<br />
als Ergebnis von Globalisierung. Dem setzen sie ihre rassisch homogenen,<br />
kollektivistisch wie hierarchisch durchformten, „Volksgemeinschaften“ entgegen.<br />
Hierzu müssen liberale Marktwirtschaft und Freiheit jedoch einem<br />
autoritären Protektionismus unterworfen werden. Nur so lässt sich nach ihrer<br />
Meinung Wirtschaft „bändigen“ und in eine außenhandelsunabhängige<br />
Nationalökonomie überführen.<br />
111
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Linksextremistische Globalisierungsgegner verstehen soziale Ungleichheit<br />
ausschließlich als Prozess kapitalistischer Reproduktion. Globalisierung<br />
verstärke diese Tendenz zusätzlich. Daher müsse die Grundlage allen<br />
Übels – der Kapitalismus – überwunden werden. Gewalt ist ihrer Meinung<br />
nach hierfür ein legitimes Mittel. Da Linksextremisten nationalstaatlich verfasste<br />
Gesellschaften ebenso überwinden wollen, befürworten sie Migration<br />
im Gegensatz zu Rechtsextremisten.<br />
Im folgenden Abschnitt wird dieses Thema mit Blick auf den Linksextremismus<br />
näher erläutert.<br />
Linksextremisten und Transformationsprozesse<br />
Gerade für Linksextremisten der herkömmlichen kommunistischen Schule<br />
bietet Globalisierungsgegnerschaft ein neues Betätigungsfeld. Der Marxismus-Leninismus<br />
mit seiner radikalen Ablehnung von Liberalismus und<br />
Freiheit lässt sich nunmehr unter leicht verändertem Vorzeichen zur ideologischen<br />
Grundlage der Globalisierungskritik umwandeln und kann in<br />
neuem Gewand erscheinen.<br />
In den letzten Jahren haben Linksextremisten, insbesondere gewaltbereite<br />
Autonome, „Antiglobalisierung“ konsequent zu einem neuen Schwerpunktthema<br />
erhoben. Sie richten ihre Proteste gegen die Symbole der Globalisierung.<br />
Das sind multinationale Konzerne, der Internationale Währungsfonds<br />
(IWF), die Weltbank (WB), die Welthandelsorganisation (WHO) oder<br />
eben Gipfeltreffen der wichtigsten Industriestaaten (G8).<br />
Im Juni 2007 war Deutschland Gastgeber des international bedeutsamen<br />
G8-Gipfels. Die Repräsentanten der acht wirtschaftlich bedeutendsten<br />
Staaten trafen sich in Heiligendamm. Schon gut zwei Jahre vor dem Gipfeltreffen<br />
hatten autonome Gruppen mit den Planungen einer möglichst breit<br />
angelegten Mobilisierungskampagne begonnen. Es blieb aber nicht nur bei<br />
Informations- und Mobilisierungsveranstaltungen sowie publizistischen Aktivitäten<br />
gegen den Gipfel. Seit Juli 2005 wurden zahlreiche Brandanschläge<br />
auf Fahrzeuge, Firmengebäude und staatliche Stellen verübt.<br />
Die Akteure dieser begleitenden „militanten Kampagne“ stellten in Taterklärungen<br />
einen Bezug zwischen ihren Aktionen und dem G8-Gipfel her.<br />
(siehe Seiten 132 ff.)<br />
112
Militanz und Linksextremismus<br />
Linksextremisten wissen, dass sie in der Gesellschaft nur eine kleine und<br />
zunehmend isolierte Gruppe darstellen. Deshalb sind sie stets auf der<br />
Suche nach Bündnispartnern. Breiter angelegte Proteste eröffnen ihnen<br />
Möglichkeiten, diese Isolation zumindest zeitweilig zu überwinden und Anhänger<br />
zu gewinnen.<br />
Globalisierungsfeindliche Netzwerke<br />
Zur Durchführung der Antiglobalisierungskampagne gegen den G8-Gipfel<br />
initiierten Linksextremisten drei bundesweite Netzwerke:<br />
- die Internet-Vernetzung „Dissent!“<br />
- die „Interventionistische Linke“ (IL)<br />
- das „Revolutionäre G8-Bündnis“.<br />
Maßgeblich bestimmten „Dissent!“ und IL die Vorbereitungen der Gipfelproteste.<br />
Während „Dissent!“ darauf bedacht war, möglichst nur linksextremistische<br />
Gruppierungen zu vereinen, strebte die IL ein möglichst breites<br />
Bündnis unter Einschluss großer Teile des bürgerlichen Protestspektrums<br />
an. „Dissent!“ befürchtete, dass antidemokratische Positionen in einem<br />
breiten Bündnis nicht durchsetzbar wären; der IL hingegen ging es darum,<br />
eine möglichst große Zahl von Protestteilnehmern zu bündeln. Das kleinere<br />
„Revolutionäre G8-Bündnis“ bildete sich ausschließlich aus extremistischen<br />
antiimperialistischen Gruppen. Es nannte sich später „Anti-G8-Bündnis für<br />
eine revolutionäre Perspektive“ und hat sein linksextremistisches Ziel, die<br />
Überwindung der Demokratie, am deutlichsten formuliert.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> haben alle drei bundesweiten Vernetzungen keinen nennenswerten<br />
Einfl uss auf Globalisierungsgegner gewinnen können. Relativ<br />
spät gründete sich das „Bündnis gegen Kapital und Nation“, auch „...ums<br />
Ganze!“-Bündnis genannt. In ihm kamen die antideutschen Strömungen<br />
des Linksextremismus zusammen. Aus <strong>Brandenburg</strong> war der Arbeitskreis<br />
„AK Antifa Potsdam“ daran beteiligt. Und schließlich konstituierte sich noch<br />
das „Antifaschistische und Antiimperialistische Aktionsbündnis gegen die<br />
G8“. In ihm wirkten mehrheitlich deutsche und ausländische marxistischleninistische<br />
Parteien und maoistische Gruppen zusammen.<br />
Es dauerte Monate, bis sich alle an der Vorbereitung der G8-Proteste<br />
beteiligten Gruppen nach mehreren Konferenzen auf eine „Gesamtcho-<br />
113
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
reographie der Proteste“ geeinigt hatten. Ein ursprünglich geplantes Gesamtbündnis<br />
war nicht zustande gekommen, denn bis zuletzt gab es zwischen<br />
den verschiedenen Gruppen unüberbrückbare Differenzen. Deshalb<br />
wurde der endgültige Terminplan der Gipfelgegner für die „Aktionswoche“<br />
erst relativ spät verabschiedet. Sichtbarer Ausdruck der Differenzen und<br />
Eigeninteressen ist auch, dass die Gruppen der Gipfelgegner bei der „Internationalen<br />
Großdemonstration“ in Rostock zum Teil zwei unterschiedliche<br />
Routen zurücklegten.<br />
Um das hochgesteckte Ziel von „über 100.000 Teilnehmern“ an der Großdemonstration<br />
gegen den G8-Gipfel in Rostock zu erreichen, kam es zu<br />
deutschlandweiten Mobilisierungsveranstaltungen. Unterstützt wurde die<br />
Mobilisierungskampagne durch Aktionen an zahlreichen Orten. Ziel dieser<br />
zahlreichen Aktivitäten war es, möglichst viele Menschen, die kritisch zur<br />
Globalisierung stehen, zur Großdemonstration und zu weiteren Protestaktionen<br />
nach Mecklenburg-Vorpommern zu bewegen. Mit dieser breit<br />
angelegten, teilweise von Linksextremisten verantworteten Kampagne,<br />
versuchten diese, dem Ziel „vom Protest zur Gegenmacht“ näher zu kommen.<br />
Auftaktveranstaltungen in <strong>Brandenburg</strong><br />
Einige bedeutende Auftaktaktionen der Globalisierungsgegner ereigneten<br />
sich in <strong>Brandenburg</strong>. Anlass dafür boten die drei wichtigsten Vorbereitungskonferenzen<br />
für den G8-Gipfel: das Treffen der G8-Umweltminister<br />
im März 2007 sowie die Treffen der G8-Finanzminster und G8-Außenminister<br />
im Mai 2007. Sie fanden in Potsdam und Umgebung statt.<br />
Zur Planung der Proteste gegen diese G8-Vorbereitungskonferenzen trat<br />
am 22. Februar 2007 ein regionales „Anti-G8-Bündnis Potsdam“ an die<br />
Öffentlichkeit. Es umfasste neun Partner, darunter die linksextremistischen<br />
Organisationen „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP), „Freie Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter Union – Internationale Arbeiter Assoziation“ (FAU-IAA),<br />
und „Revolutionär Sozialistischer Bund / IV. Internationale“ (RSB) sowie<br />
autonome Gruppen, bei denen linksextremistische Tendenzen nachweisbar<br />
sind.<br />
114
Militanz und Linksextremismus<br />
Am 17. März 2007 organisierte dieses Bündnis in Potsdam einen Aufzug<br />
unter dem Motto „Gemeinsam die Welt zerstören, den G8 unter die Arme<br />
greifen“. Zeitlich fi el die Demonstration etwa mit dem Abschluss der G8-<br />
Umweltministerkonferenz zusammen. Eine Auftaktkundgebung fand nicht<br />
statt. Zu Beginn des Aufzugs beteiligten sich etwa 120 Personen. Während<br />
der Demonstration erhöhte sich die Zahl der teilweise kostümierten und<br />
maskierten Teilnehmer auf etwa 300. Der Veranstalter sprach von über<br />
500 Personen.<br />
Am 19. Mai 2007 führte das „Anti-G8-Bündnis Potsdam“ auf dem Potsdamer<br />
Bassinplatz ein Open-Air-Konzert durch. Es war als Protestveranstaltung<br />
gegen das Vorbereitungstreffen der G8-Finanzminister in Petzow bei<br />
Potsdam konzipiert. Plakate mit der Überschrift „G(8)IPFELSTURM“ und<br />
Hinweise auf entsprechenden Seiten im Internet luden zu dem fast ganztägigen<br />
„Event“ ein. Insgesamt elf Potsdamer Initiativen boten an Ständen,<br />
in Diskussionen und weiteren Aktionen Informationen zum G8-Gipfel in<br />
Heiligendamm sowie zu den dort geplanten Protestaktionen an. Die Angaben<br />
zu den Teilnehmerzahlen variieren stark: Während die Presse von bis<br />
zu tausend Teilnehmern sprach, verkündete der Veranstalter zweitausend<br />
Teilnehmer.<br />
Unter dem Motto „Außenministerinnen ... treffen. Gegen G8, Ausbeutung,<br />
Kapitalismus und Krieg“ fand am 30. Mai 2007 in Potsdam eine zweistündige<br />
Demonstration des „Anti-G8-Bündnisses Potsdam“ statt. Sie begann<br />
mit etwa 530 Teilnehmern am Hauptbahnhof und endete nach Zwischenkundgebungen<br />
und ohne eine besondere Abschlusskundgebung mit etwa<br />
600 Teilnehmern am Potsdamer Neuen Garten. Am Rande und unmittelbar<br />
nach dem Ende der Demonstration kam es zu Fällen von versuchter Körperverletzung,<br />
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und zwei Sachbeschädigungen.<br />
Im Vorfeld dieser Demonstration und des bevorstehenden G8-Gipfels wurde<br />
vom 24. bis 31. Mai 2007 in Potsdam eine Veranstaltungsreihe unter<br />
dem Motto „Alles nur Zirkus“ abgehalten. In einem kleinen Zirkuszelt auf<br />
dem Bassinplatz fanden laut Ankündigung „Diskussionen, Infos und Kulturprogramm<br />
zum Gipfel der G8 und aktueller sozialer Kämpfe“ statt.<br />
Abgesehen von den oben beschrieben Aktionen wurde <strong>Brandenburg</strong> auch<br />
zum Transitland für Gipfelgegner. Als symbolische Akte der Einbindung<br />
sowohl ost- als auch westeuropäischer Globalisierungsgegner und als ein<br />
115
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
weiteres Mobilisierungsmittel gegen den G8-Gipfel ersannen die Organisatoren<br />
„Fahrradkarawanen“ sowie „Euromärsche“. Die Strecken, die in<br />
Ungarn, Polen und Belgien begannen, waren so ausgelegt, dass die meisten<br />
Teilnehmer um den 1. Juni 2007 die Wittstock-Ruppiner Heide (das so<br />
genannte „Bombodrom“ passieren und zur Großdemonstration am 2. Juni<br />
2007 Rostock erreichen würden. Die Fahrradkarawanen bestanden aus<br />
jeweils etwa 20 Teilnehmern. Den von den Organisatoren erwünschten<br />
Effekt erzielten sie jedoch nicht, da sie von der Öffentlichkeit mehr oder<br />
weniger ignoriert wurden.<br />
Die „Gesamtchoreographie der Proteste“ stellte jeden Tag der „Aktionswoche“<br />
vom 1. bis 8. Juni 2007 unter ein besonderes Thema. Einige Themen,<br />
wie „Migration“, der Aktionstag „Gegen Militarismus, Krieg und Folter“ oder<br />
der „Internationale G8-Alternativkongress“, boten gewalttätigen Globalisierungsgegnern<br />
kaum Ansatzpunkte, so dass sie im Wesentlichen friedlich<br />
verliefen. Andere dagegen, wie der „Bombodrom“-Aktionstag, die „Internationale<br />
Großdemonstration“, der „Aktionstag Globale Landwirtschaft & G8“<br />
und die Blockaden, gaben Randalierern Anlass für Gewalt.<br />
1. Juni 2007: „Bombodrom“-Aktionstag<br />
Ein eher der Friedensbewegung zuzurechnendes Bündnis „No War – No<br />
G8“ rief für den 1. Juni zu einer „Besiedelung“ des „Bombodroms“ auf. Das<br />
Motto des Bündnisses „Von der Heide bis zum Strand“ beabsichtigte, einen<br />
„Zusammenhang zwischen den geplanten Kriegsübungen in der Heide<br />
und denen, die über die nächsten Kriege entscheiden“ herzustellen. Es<br />
war geplant, „eine in ein antimilitaristisches Rosa getauchte Zielpyramide<br />
vom „Bombodrom“ nach Heiligendamm zu bringen“.<br />
Mehrere Hundert Demonstranten betraten das von der Bundeswehr gesperrte<br />
Gelände, erklärten es für besetzt und strichen einen ehemaligen<br />
Kommandoturm in einem rosa Farbton an. Die von Bürgerbewegungen<br />
getragene Veranstaltung verlief friedlich. Linksextremisten gelang es nicht,<br />
die demokratische Bürgerbewegung zu unterlaufen und für ihre Zwecke zu<br />
missbrauchen.<br />
Unmittelbar vor dem G8-Gipfel fand in Hamburg das „Asien-Europa-Treffen“<br />
(ASEM) statt. An der gegen das Gipfeltreffen gerichteten Demonstration<br />
eines „Bundesweiten Bündnisses gegen EU und G8-Gipfel“ betei-<br />
116
Militanz und Linksextremismus<br />
ligten sich am 28. Mai 2007 in Hamburg rund 4.000 Personen. Darunter<br />
waren etwa 2.000 Linksextremisten. Von den ungefähr 500 Angehörigen<br />
des „Schwarzen Blocks“ gingen erhebliche Störungen aus. Selbst nach<br />
der Aufl ösung der Demonstration verübten militante Störergruppen in<br />
Kleingruppentaktik erhebliche Angriffe gegen die Polizei. Linksextremisten<br />
bezeichneten die Auseinandersetzungen später als „Warmlaufen für den<br />
G8-Gipfel“.<br />
2. Juni 2007: „Internationale Großdemonstration“<br />
Am 2. Juni 2007 fand in Rostock die „Internationale Großdemonstration“<br />
der Globalisierungsgegner unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich!“<br />
statt. An ihr beteiligten sich etwa 30.000 Personen. Der Veranstalter<br />
sprach von 60.000 bis 80.000. Er hatte ursprünglich mit „über 100.000 Teilnehmern“<br />
gerechnet.<br />
Auch aus Potsdam und Südbrandenburg waren zahlreiche Globalisierungsgegner<br />
mit mehreren gecharterten Bussen nach Rostock gereist. Auf<br />
diese Transfers griffen demokratische wie linksextremistische Globalisierungsgegner<br />
gleichermaßen zurück.<br />
Zwei Demonstrationszüge bewegten sich aus unterschiedlichen Richtungen<br />
durch die Rostocker Innenstadt zu einer gemeinsamen Abschlusskundgebung.<br />
In einem der beiden Demonstrationszüge hatten sich etwa<br />
2.000 gewaltbereite, schwarz gekleidete Teilnehmer schon bald vermummt<br />
und zu einem „Schwarzen Block“ formiert. Steine wurden auf ein Sparkassengebäude<br />
und ein Hotel geworfen. Nachdem Demonstrationsteilnehmer<br />
ein Polizeifahrzeug massiv angegriffen und die Beamten erheblich verletzt<br />
hatten, eskalierten die Übergriffe. Fahrzeuge von Anwohnern wurden umgestürzt<br />
und in Brand gesetzt, Polizeibeamte mit Pfl astersteinen, Flaschen<br />
und Molotow-Cocktails beworfen. Es gelang der Polizei erst mit einem<br />
deutlichen Kräfteeinsatz, die Lage zu beruhigen. Bei den Ausschreitungen<br />
wurden über 400 Polizeibeamte und etwa 500 Demonstranten verletzt.<br />
Unter den ermittelten Tatverdächtigen war auch ein 18-jähriger Globalisierungsgegner<br />
aus dem Land <strong>Brandenburg</strong>. Er warf während der gewalttätigen<br />
Übergriffe am 2. Juni 2007 in Rostock einen faustgroßen Stein gezielt<br />
in Richtung der Polizeibeamten. Das Ermittlungsverfahren erstreckt sich<br />
auf den Verdacht des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs<br />
und der gefährlichen Körperverletzung.<br />
117
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Nach den Ereignissen distanzierten sich die meisten an der Demonstration<br />
beteiligten Gruppen – mit Ausnahme des linksextremistischen „...ums Ganze!“-Bündnis<br />
– von den Gewaltexzessen.<br />
Die Auseinandersetzungen in Rostock haben den so genannten „Schwarzen<br />
Block“ wieder in das öffentliche Interesse gerückt. Der „Schwarze<br />
Block“ ist keine Organisation. Er besitzt weder Struktur noch Hierarchie<br />
oder einheitliche Ideologie. Ihn eint lediglich die „Aktionsform“, also die Bereitschaft<br />
zu Gewalt. Schwarze Kleidung, Maskierung und ein entpersonifi<br />
ziertes Gehabe täuschen eine organisatorische und ideologische Einheit<br />
vor, die in Wirklichkeit nicht existiert. Mitmachen kann praktisch jeder, der<br />
den Kleidercodex und die Gewaltbereitschaft erfüllt. Der Altersdurchschnitt<br />
liegt mit etwa 16 bis 26 Jahren deutlich unter dem der sonstigen Demonstrationsteilnehmer.<br />
Da im „Schwarzen Block“ fast ausschließlich Autonome und Anarchisten<br />
agieren, welche sich selbst als antiautoritär betrachten, fehlen klaren Führungsstrukturen.<br />
Gewaltsam wird dafür ‚das Außenstehende’ bekämpft. So<br />
kippt die angebliche Antiautorität schnell in brutales Verhalten um. Jeder<br />
Widerspruch wird von den Angehörigen des „Schwarzen Blocks“ als Provokation<br />
aufgefasst und dient als Vorwand für weitere Gewaltexzesse.<br />
Ihre Gewalttaten gegen politisch anders denkende Menschen sind häufi g<br />
mit Alkoholkonsum verbunden, wobei die geleerten Flaschen zusätzliche<br />
Wurfgeschosse liefern.<br />
3. Juni: „Aktionstag Globale Landwirtschaft & G8“<br />
Kampagnen gegen den legalen Anbau von gentechnisch veränderten<br />
Pfl anzen stehen dann im Konfl ikt mit der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung, wenn Linksextremisten diese für gewalttätige Aktionen instrumentalisieren<br />
und für sich beanspruchen, Recht und Gewalt selbst in<br />
die Hand zu nehmen.<br />
Beispielsweise kommen bei so genannten „Feldbefreiungen“ entsprechende<br />
genveränderte Anpfl anzungen großfl ächig zu Schaden. Maispfl anzen<br />
werden sogar mit Pfl astersteinen oder Eisenstangen präpariert, um<br />
die Erntemaschinen der Bauern zu beschädigen. „Feldbefreiungsaktionen“<br />
werden in der Regel von den jeweiligen Initiativen im Internet angekündigt.<br />
Regelmäßig leisten einige Aktivisten Widerstand gegenüber der Polizei.<br />
118
Militanz und Linksextremismus<br />
<strong>Brandenburg</strong> ist das Bundesland mit der größten Anbaufl äche für Genmais<br />
in der Bundesrepublik. Angemeldet sind 1.371 Hektar, das sind 49 Prozent<br />
der gesamten Genmais-Anbaufl äche in Deutschland. Aktivitäten der Gentechnik-Gegner<br />
sind in <strong>Brandenburg</strong> daher besonders ausgeprägt. Viele<br />
„Feldbefreier“ kommen aus anderen Bundesländern, wie aus einer Bekennerliste<br />
(„Wir sind freiwillige Feldbefreier. Wir reißen gewaltfrei Gendreck<br />
aus.“) unter der Internetadresse www.gendreck-weg.de hervorgeht.<br />
Das linksextremistische Netzwerk „Dissent!“ führte am 3. Juni 2007 den<br />
„Aktionstag globale Landwirtschaft & G8“ durch. Die Untergruppierung<br />
„Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft“ setzt sich weltweit „für den Kleinbauern<br />
und gegen Großgrundbesitzer sowie landwirtschaftliche Konzerne“<br />
ein. Die im Rahmen des Aktionstages in Rostock durchgeführte friedliche<br />
Demonstration mit etwa 1.000 Teilnehmern verlief weitgehend ohne Zwischenfälle.<br />
Allerdings war am selben Morgen in Strasburg (Mecklenburg-<br />
Vorpommern) ein Feld mit gentechnisch veränderten Maispfl anzen von<br />
unbekannten Tätern „abgeerntet“ – das heißt zerstört – worden.<br />
Bereits vor dem G8-Gipfel war es vor allem<br />
in <strong>Brandenburg</strong> zu gewalttätigen Handlungen<br />
gekommen, die Zerstörungen von<br />
Feldern mit Genmaispfl anzen nach sich<br />
zogen. Schon im Januar 2007, als vor dem<br />
Amtsgericht Zehdenick die Sachbeschädigungen<br />
vom 2006er „Gentechnikfreien Wochenende“<br />
verhandelt wurden, ereigneten<br />
sich im Vorfeld des Prozesses zahlreiche<br />
Schmierereien auf den benachbarten Straßen.<br />
Das Gerichtsgebäude selbst wurde mit<br />
Buttersäure und Farbe angegriffen.<br />
Eine besonderes Zeugnis ihrer Militanz hatten Genmais-Gegner bereits<br />
im September 2006 gegeben, als sie an vier Firmen-LKW der Märkischen<br />
Kraftfutter GmbH (Märka) in Eberswalde Brandsätze anbrachten, die aber<br />
aus technischen Gründen nicht zündeten. In dem mit „Autonome Gruppen“<br />
unterzeichneten Bekennerschreiben wiesen die Täter auf die Geschäftsbeziehungen<br />
von Märka zu dem amerikanischen Genmais-Konzern Monsanto<br />
hin. Im Hinblick auf den damals bevorstehenden G8-Gipfel wurden weitere<br />
Aktionen angekündigt.<br />
119
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Die umfangreichste Aktion der Genmais-Gegner – ein „Genfreies Wochenende“<br />
– wurde erst nach dem G8-Gipfel am 21. und 22. Juli 2007<br />
durchgeführt. Annähernd 300 „Unterstützer“ sowie etwa 200 „Feldbefreier“<br />
bekannten sich zuvor im Internet zur Teilnahme. Bei der Aktion nahm<br />
die Polizei 66 Personen in Gewahrsam. Ein weiteres Mal missbrauchten<br />
Personen aus dem linksextremistischen Spektrum demokratischen Protest<br />
gegen Gentechnik, indem sie zur Gewalt aufriefen.<br />
6. bis 8. Juni 2007: „Blockaden“<br />
Nach den Planungen der Globalisierungsgegner sollte der Flughafen Rostock-Laage<br />
am 6. Juni von mehreren Tausend Teilnehmern blockiert und<br />
die Ankunft der Regierungsdelegationen zum G8-Gipfel behindert werden.<br />
Tatsächlich fand sich jedoch nur eine bedeutend kleinere Zahl von Gipfelgegnern<br />
am Flughafen ein, so dass es nicht zu ernsthaften Störungen<br />
kam. Andere Gipfelgegner versuchten, die Verkehrsanbindung des Flughafens<br />
zu stören.<br />
Ebenfalls am 6. Juni 2007 überstiegen Globalisierungsgegner in der Nähe<br />
von Laage (Mecklenburg-Vorpommern) den Wildzaun an der Autobahn 19,<br />
den sie dabei erheblich beschädigten, und betraten die Autobahn. Dadurch<br />
kam der Fahrzeugverkehr zum Erliegen. Einige Personen konnten vorläufi<br />
g festgenommen werden. Darunter befand sich auch ein 18-jähriger Tatverdächtiger<br />
aus <strong>Brandenburg</strong>.<br />
120
Militanz und Linksextremismus<br />
Eine weitere Strategie der Gipfelgegner bestand darin, die Infrastruktur<br />
des Gipfeltreffens zu stören. Die Verkehrswege nach Heiligendamm<br />
sollten unterbrochen werden, um die Versorgung der Delegationen empfi<br />
ndlich zu stören, Versorgungsmittel, Dienstleistende und Dolmetscher<br />
sollten nicht an den Tagungsort gelangen. Militante Globalisierungsgegner<br />
errichteten am 7. Juni 2007 auf der Landstraße 11 zwischen Kühlungsborn<br />
und Jennewitz (Mecklenburg-Vorpommern) eine Straßensperre, so dass<br />
Rettungsfahrzeuge nicht mehr hindurch kamen. Vor dem Zugriff der Polizei<br />
zündeten sie die Barrikade an und fl üchteten. Unter den ermittelten Tatverdächtigen<br />
waren auch fünf <strong>Brandenburg</strong>er im Alter von 18 bis 25 Jahren.<br />
Am 7. Juni 2007 wurde in Wittenbeck (Mecklenburg-Vorpommern) eine<br />
Zufahrtsstraße für Einsatzkräfte nach Hinter Bollhagen blockiert. Zu den<br />
beteiligten Personen gehörten auch drei <strong>Brandenburg</strong>er im Alter von 20 bis<br />
24 Jahren. Sie hielten sich in der gerichtlich festgelegten Versammlungsverbotszone<br />
auf, saßen auf der Fahrbahn und hatten neben sich große<br />
Steine positioniert. Nach mehreren Ansprachen durch die Polizei begaben<br />
sie sich allerdings friedlich auf die Grünfl ächen neben der Fahrbahn.<br />
Die linksextremistischen Gegner des G8-Gipfels haben ihr Blockade-Ziel<br />
nicht erreicht. Das Medieninteresse am Thema Antiglobalisierung verebbte<br />
im Verlauf des Gipfels und der Krawalle schneller, als es sich die militanten<br />
Gipfelgegner wünschten. Die Gründe dafür können sogar in der Gewalt<br />
selbst zu fi nden sein.<br />
Ursprünglich hatten sich extremistische Globalisierungsgegner einen Sympathiegewinn<br />
und Mitgliederzulauf erhofft. Dazu ist es nicht gekommen.<br />
Die Zahl der im Zusammenhang mit den Gipfelprotesten ermittelten gewalttätigen<br />
Linksextremisten entspricht der von den Sicherheitsbehörden<br />
zuvor prognostizierten Zahl. Demnach konnte der linksextremistische Flügel<br />
der Anti-G8-Bewegung durch die Proteste keinen wesentlichen Zulauf<br />
verbuchen. Insofern dürfte sich auch die Zahl der Linksextremisten insgesamt<br />
durch diese Ereignisse nicht erhöht haben.<br />
Nachbereitungstreffen von Globalisierungsgegnern zeigen, wie sehr sie<br />
dies – neben materiellen Sorgen – schmerzt. Zudem ist es ihnen nicht<br />
gelungen, die Antiglobalisierungsbewegung als permanente Kampagne zu<br />
installieren. Dies belegt auch die geringe Resonanz, mit der das Thema<br />
schon wenige Monate nach dem Gipfel beim „2. Sozialforum in Deutschland“<br />
vom 18. bis 21. Oktober 2007 in Cottbus aufgenommen wurde.<br />
121
Ausblick<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Eine zentrale Rolle dürfte den Kommunalwahlen 2008 in <strong>Brandenburg</strong><br />
zufallen: Die autonome Antifa wird Auftritte rechtsextremistischer Parteien<br />
und Personen öffentlichkeitswirksam mit militanten Aktionen stören, um<br />
ihren „antifaschistischen Kampf“ fortzuführen. Zusammenstöße zwischen<br />
Rechts- und Linksextremisten sind zu erwarten.<br />
Mit der stagnierenden Anhängerschaft der autonomen Antifa dürfte sich<br />
allerdings für sie die Frage stellen, wie zukünftig die Bandbreite zwischen<br />
direkten Aktionen und Demonstrationen gegen den politischen Gegner,<br />
„Antifa-Recherche“ sowie Zusammenarbeit in Bündnissen ausgefüllt werden<br />
kann. Für Autonome wird das Aktionsfeld „Antifaschismus“ weiterhin<br />
der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit bleiben. Auch künftig ist mit tätlichen<br />
Angriffen gegen den tatsächlichen oder vermeintlichen politischen<br />
Gegner zu rechnen. Dies kann sowohl spontan bei geeigneter Überzahl<br />
von ‚Antifas gegenüber Nazis’ erfolgen, als auch geplant im Rahmen von<br />
gezielten Überfällen oder Demonstrationen von Rechtsextremisten.<br />
Die autonome Antifa wird – wie in den vergangenen Jahren – den zur<br />
Gewährleistung des Versammlungsrechts und zur Unterbindung von militanten<br />
„Links-Rechts“-Auseinandersetzungen eingesetzten Polizeikräften<br />
aggressiv entgegentreten. Dem politischen Gegner wird das Demonstrationsrecht<br />
vollkommen abgesprochen und zur Selbsthilfe gegriffen. Da der<br />
eigentliche politische Gegner bei Demonstrationen oft nicht erreichbar ist,<br />
werden die Polizisten als „Handlanger der Nazis“ diffamiert und so zum<br />
Ersatzziel von Attacken. Zusätzlich wird die Behauptung in den Raum gestellt,<br />
staatliche Stellen sympathisierten mit Rechtsextremisten. Ebenso<br />
gehört es zum üblichen Argumentationsmuster von Linksextremisten, polizeiliche<br />
Maßnahmen regelmäßig als unverhältnismäßig zu verunglimpfen.<br />
Auch und gerade weil der Mobilisierungsversuch der „mg“, im Hinblick auf<br />
den G8-Gipfel die „militante Option zu forcieren“, 2007 nicht die gewünschte<br />
Resonanz fand, ist mit nachgeahmten Anschlägen seitens militanter<br />
Kampagnen zu rechnen.<br />
Im Jahr 2007 wurden „Antifa-Recherchen“ intensiver betrieben, dies dürfte<br />
sich in der Vorbereitung der Kommunalwahlen weiter verstärken. Deshalb<br />
werden sich vermehrt „Antifa-Recherche-Gruppen“ bilden, um in ihren Regionen<br />
vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten zu „outen“, das<br />
122
Militanz und Linksextremismus<br />
heißt öffentlich bloßzustellen. Manche der von der „Antifa-Recherche“ bislang<br />
ins Visier genommenen NPD-Aktiven betätigen sich zudem über ihre<br />
Region hinaus. Insofern wird die Vernetzung von Antifa-Recherche-Gruppen<br />
untereinander und überregional forciert. Via Internet haben Autonome<br />
kürzlich angekündigt, ihre Aktionen gegen Läden, die Devotionalien der<br />
rechtsextremistischen Szene verkaufen, fortzusetzen.<br />
Die weitere Stagnation der altkommunistischen Parteien wie der DKP und<br />
KPD in <strong>Brandenburg</strong> ist absehbar. Bei den brandenburgischen Kommunalwahlen<br />
2008 werden sie kaum eine Rolle spielen. Die aussichtslose<br />
Position drängt diese Parteien in Bündnisse: Im Vorfeld des G8-Gipfels in<br />
Heiligendamm schlossen sich in Potsdam verschiedene Globalisierungskritiker<br />
zu einem Anti-G8-Bündnis zusammen; welches im November 2007<br />
fortgeschrieben wurde. Die „Autonome Antifaschistische Linke Potsdam“<br />
(AALP), der „Revolutionär Sozialistische Bund“ (RSB) und die „Deutsche<br />
Kommunistische Partei“ (DKP) sowie weitere Gruppen bilden nun das „Antikapitalistische<br />
Bündnis Potsdam“.<br />
Linksextremistische Globalisierungsgegner verklären in „Nachbereitungstreffen“<br />
zum G8-Gipfel 2007 ihre Protestaktionen und versuchen in Bündnissen,<br />
das Thema „Antiglobalisierung“ als eine ständige Kampagne zu<br />
installieren. Sie sind bestrebt, die im Vorfeld zu Heiligendamm mit den<br />
bürgerlichen Globalisierungsgegnern eingegangenen Bündnisse fortzusetzen.<br />
Da für die meisten extremistischen Globalisierungsgegner die Teilnahme<br />
an Aktionen gegen den G8-Gipfel 2008 in Japan aus fi nanziellen<br />
Gründen nicht in Frage kommt, werden sie ihre globalisierungskritischen<br />
Aktionen auf Europa beschränken.<br />
Ein weiteres von Linksextremisten als kampagnenfähig eingeschätztes<br />
Themenfeld ist der Kampf gegen Gentechnik. <strong>Brandenburg</strong>, das Bundesland<br />
mit dem größten Anteil von Feldern gentechnisch veränderter Pfl anzen,<br />
ist besonders geeignet, um Globalisierungskritik und Anti-Gentechnik<br />
zu verknüpfen. International agierende Konzerne, die die Gentechnikforschung<br />
in <strong>Brandenburg</strong> betreiben, werden ebenso zum Angriffsobjekt für<br />
Sachbeschädigungen wie die Felder von einzelnen Bauern. Auch 2008<br />
wird es neben anderen Protestaktionen ein „gentechnikfreies Wochenende“<br />
geben. Es ist zu erwarten, dass erneut der legitime Protest gegen die<br />
Gentechnik durch Personen aus dem linksextremistischen Spektrum zu<br />
gewalttätigen Handlungen missbraucht wird.<br />
123
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
124
Islamisten und religiös motivierter Terrorismus<br />
BEDROHUNG DER FREIHEIT DURCH<br />
ISLAMISTEN UND RELIGIÖS<br />
MOTIVIERTEN TERRORISMUS<br />
Islamismus und Konvertiten - Herausforderung für<br />
die Sicherheitsbehörden<br />
Islamisten lehnen einen weltlichen Staat ab. Denn er basiere auf Gesetzen,<br />
die von Menschen geschaffen sind, was ihnen, so die Islamisten, jedoch<br />
nicht zustehe. Gesetze können nur von Allah kommen. Demokratischem<br />
Parlamentarismus, unabhängigen Gerichten und allen anderen Kernelementen<br />
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird somit<br />
schlichtweg die Legitimität entzogen. Obwohl die Idee der Untrennbarkeit<br />
von Religion und Staat allen Islamisten gemein ist, kann man keineswegs<br />
von einer „Islamistischen Internationale“ oder gar einer homogenen Gruppe<br />
sprechen. Auch die Gründe für terroristische Anschläge, die in Bekennerschreiben<br />
zum Ausdruck kommen, sind höchst unterschiedlicher Natur.<br />
So behauptete Aiman Zawahiri beispielsweise, dass die Anschläge vom<br />
11. September 2001 die „Produkte des Westens seien, die von den Mujaheddin<br />
lediglich zurückgeschickt wurden“ und inszeniert sich damit in einer<br />
Opferrolle. Eine ähnliche Position nehmen die Trolley Bomber von Koblenz<br />
ein. Sie behaupten, ihnen seien psychische Verletzungen durch die Veröffentlichung<br />
der Mohamed Karikaturen zugefügt worden.<br />
Hier wird deutlich, dass es sich beim Islamismus nicht um eine einheitliche<br />
Bewegung mit klaren politischen Zielen handelt, sondern um ein vages Ideengebilde,<br />
das als einziges gemeinsames Element nur den Hass auf die<br />
„Ungläubigen“ hat. Dass weltweit zahlreiche islamistische Terrornetzwerke<br />
existieren, belegen die zahlsreichen Verhaftungen nahezu überall in Europa.<br />
Auch für Deutschland ist dies mit einer konstanten Bedrohung verbunden.<br />
Mittlerweile wird Deutschland in den Videobotschaften der Terroristen<br />
explizit aufgeführt. Als Grund hierfür wird die Beteiligung der Bundeswehrsoldaten<br />
im Rahmen internationaler Einsätze angegeben. Der Einsatz in<br />
Afghanistan gegen den internationalen Terrorismus wird als Kampf gegen<br />
den Islam bewertet. Deutschland selbst wird zum potentiellen Anschlagsziel.<br />
Dabei ist es äußerst schwierig, die Bedrohung auszumachen. Einer-<br />
125
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
seits sickern ausländische Terroristen nach Deutschland ein. Andererseits<br />
entsteht zusehends auch ein so genannter „Homegrown Terrorism“, also<br />
Terroristen, die sich erst in Deutschland radikalisiert haben. Dabei handelt<br />
es sich nicht nur um Personen mit Migrationshintergrund, sondern auch<br />
um westlich sozialisierte Islam Konvertiten.<br />
Am 4. September 2007 wurden in Medebach-Oberschlehdorn, einem kleinen<br />
Dorf im nordrhein-westfälischen Hochsauerlandkreis, drei junge Männer<br />
festgenommen. Sie hatten sich dort ein Wochenendhaus gemietet. In<br />
der Abgeschiedenheit eines Ferienortes bereiteten sie Terroranschläge in<br />
Deutschland vor. Sicherheitsbehörden hatten die Männer schon seit Monaten<br />
unter Beobachtung. Auch der Ankauf von über 500 Litern dreißigprozentigem<br />
Wasserstoffperoxyd blieb den Beobachtern nicht verborgen.<br />
In solch hoher Konzentration lässt sich damit Sprengstoff herstellen. Die<br />
Kanister waren in einer abgelegenen Garage zwischengelagert.<br />
Aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsbehörden<br />
konnten geplante Anschläge verhindert werden. Die mutmaßlichen<br />
Täter gingen der Polizei ins Netz. Es muss aber nicht immer gelingen,<br />
Anschlagsvorbereitungen rechtzeitig zu erkennen. Dass terroristisches<br />
Potential auch in Deutschland vorhanden ist, hat sich in den letzten Jahren<br />
immer häufi ger gezeigt. Die Täter der Anschläge auf die Zwillingstürme<br />
des New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 hatten unentdeckt<br />
in Deutschland gelebt und auch von hier aus ihren tausendfachen<br />
Massenmord vorbereitet.<br />
Mittlerweile rücken weniger symbolträchtige Orte, die nicht nur in Ballungszentren<br />
liegen, verstärkt ins Blickfeld terroristischer Bedrohung. Zu diesen<br />
so genannten „weiche Zielen“ gehören Züge oder kleinere Flughäfen,<br />
die sich nicht fl ächendeckend überwachen lassen. Das Ausweichen auf<br />
„weiche Ziele“ hängt vor allen mit der Entwicklung des islamistischen Terrorismus<br />
zu unabhängig agierenden Kleinstzellen zusammen. Logistisch<br />
sind diese kaum in der Lage, größere Anschläge auf gut geschützte Ziele<br />
durchzuführen.<br />
Die einzige Chance, terroristische Anschläge zu verhindern, besteht darin,<br />
die Täter schon in der Planungsphase auszumachen. Gelingen kann dies<br />
nur, wenn die Kommunikation unter den betroffenen Behörden reibungslos<br />
funktioniert, wenn die Sicherheitsbehörden über ausreichende gesetzliche<br />
126
Islamisten und religiös motivierter Terrorismus<br />
Befugnisse zum Schutz der Bevölkerung verfügen und wenn ihnen ausreichende<br />
Mittel zur Umsetzung des notwendigen Schutzauftrages bereitgestellt<br />
werden. Durch das „Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum“<br />
(GTAZ), das 2004 in Berlin seine Arbeit aufgenommen hat und in dem über<br />
30 Sicherheitsbehörden täglich Erkenntnisse zu aktuellen Lagen austauschen,<br />
wurde ein wesentlicher Schritt zur Optimierung der Kommunikationswege<br />
getan. Zusätzlich wurden wichtige Arbeitsgruppen eingerichtet,<br />
in denen Spezialisten aus unterschiedlichen Behörden gemeinsam spezielle<br />
Themenkomplexe analysieren. Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde des<br />
Landes <strong>Brandenburg</strong> ist hieran aktiv beteiligt.<br />
Das Land <strong>Brandenburg</strong> hat das bundesweite Konzept aufgegriffen und<br />
Ende 2006 das „Gemeinsame Analysezentrum Terrorismus/Extremismus“<br />
(GATE) eingerichtet. Im GATE arbeiten Mitarbeiter des Landeskriminalamtes<br />
und der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde in gemeinsamen Projekten eng<br />
zusammen. Eines der vorrangigen Ziele ist, den Kommunikationshorizont<br />
durch Tagungen und Symposien auch über die Sicherheitsbehörden hinaus<br />
zu erweitern und dabei andere gesellschaftliche Bereiche, zum Beispiel<br />
Universitäten, daran zu beteiligen. Das Symposion „Freiheit, Islam<br />
und Islamismus“, das die Europa-Universität „Viadrina“ und das GATE<br />
zusammen am 25. Oktober 2007 durchführten, ist ein Ergebnis dieses Ansatzes.<br />
Einladung für das Symposion „Freiheit, Islam und Islamismus“, das die<br />
Europa-Universität „Viadrina“ und das GATE am 25. Oktober 2007 durchführten<br />
127
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Ein weiteres Gremium, das teilweise auch durch die Mitarbeiter des GATE<br />
und des GTAZ bedient wird, ist die „Ständige Arbeitsgruppe Einbürgerungen<br />
/ Aufenthalt“ (SAGA) des Innenministeriums. Hier werden Informationen<br />
zwischen den Sicherheits- und Ausländerbehörden ausgetauscht,<br />
um bei Erteilungen oder Verlängerungen von Aufenthaltstiteln und Einbürgerungen<br />
problematische Fälle zu erkennen und die Ausländerbehörden<br />
über aktuelle Bewertungen der einzelnen islamistischen/terroristischen<br />
Gruppierungen sowie Sicherheitsbedenken in Kenntnis zu setzen.<br />
Obwohl die Sicherheitsbehörden durch zahlreiche Formen der Zusammenarbeit<br />
mit unterschiedlichen Behörden bestrebt sind, der Dynamik sowohl<br />
terroristischer wie auch extremistischer Bedrohung zu folgen, tauchen<br />
immer wieder neue Aspekte und damit neue Herausforderungen auf. Ein<br />
solcher Aspekt ist die steigende Bedeutung westlicher Islamkonvertiten,<br />
die sich bis ins islamistisch-terroristische Umfeld radikalisieren, oder gleich<br />
zum Jihadismus konvertieren.<br />
So hatte sich im November 2005 eine 37jährige Belgierin in der Nähe von<br />
Bagdad in die Luft gesprengt. Ungefähr ein halbes Jahr später musste eine<br />
weitere Frau aus Berlin in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert werden,<br />
weil sie ein Selbstmordattentat in Afghanistan plante. Die Behörden stießen<br />
im Internet auf die Spur der Konvertitin, als sie sich erkundigte, ob es<br />
einer Muslima erlaubt sei, ihr Kind bei einem Attentat mitzunehmen.<br />
Seit einiger Zeit tauchen Konvertiten im Umfeld des gewaltbereiten Islamismus<br />
auf, darunter auch einige Deutsche. Hamsa – ehemals Thomas<br />
– Fischer ist einer von ihnen. Er ging 2003 nach Tschetschenien. Dort<br />
wollte er sein Leben im „Dschihad“ gegen russische Soldaten Allah opfern.<br />
Er wurde kurz nach seiner Einreise in Tschetschenien von russischen<br />
Sicherheitskräften erschossen. Hamsa Fischer wurde in Deutschland gewaltbereiter<br />
Islamist. Die entsprechende Indoktrinierung erhielt er im Ulmer<br />
Multi-Kulturhaus, an dem zahlreiche Gleichgesinnte verkehren. Dort fand<br />
er auch Personen, die über die notwendigen Kontakte verfügten, um ihm<br />
die Reise nach Tschetschenien zu ermöglichen. Geschichten wie die Hamsa<br />
Fischers sind keine Einzelfälle: Zwei der vier im Sauerland verhafteten<br />
Personen sind ebenfalls Islam-Konvertiten.<br />
In Deutschland leben zurzeit etwa 3,8 Millionen Muslime. Nach dem Christentum<br />
ist der Islam hier die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft. Die Zah-<br />
128
Islamisten und religiös motivierter Terrorismus<br />
len sind Schätzungen. Bei den Einwohnermeldeämtern werden Muslime<br />
unter der Kategorie „verschiedene Weltreligionen“ verbucht. Nach einer<br />
Erhebung des „Zentralinstituts Islam Archiv Deutschland“ mit Stand 1. März<br />
2000 lebten zu diesem Zeitpunkt erst 3,04 Millionen Muslime in Deutschland.<br />
Am 1. März 2001 war die Zahl bereits auf 3,24 Millionen gestiegen.<br />
Bei der repräsentativen Frühjahrsumfrage 2002, ebenfalls durchgeführt<br />
vom „Zentralinstitut Islam Archiv Deutschland“, hatte sich die Zahl der in<br />
Deutschland lebenden Muslime weiterhin auf 3,45 Millionen erhöht.<br />
Stimmen diese Zahlen annähernd, wovon auszugehen ist, entspricht dies<br />
einer jährlichen Steigerungsrate von 6,6 Prozent. Dagegen ist die Zahl der<br />
Konvertiten kaum zu bestimmen. Der „Zentralrat der Muslime in Deutschland<br />
e. V.“ gibt die Zahl der deutschen Muslime mit 630.000 an, darunter<br />
fallen jedoch nicht nur Konvertiten, sondern beispielsweise auch eingebürgerte<br />
ehemalige türkische Staatsangehörige. Das „Zentralinstitut Islam-<br />
Archiv – Deutschland“ setzt die Zahl der Konvertiten bei 12.000 an. Nach<br />
Schätzungen konvertieren etwa 250 bis 300 Deutsche jährlich zum Islam.<br />
So meldete das Nachrichtenmagazin Focus, dass sich die Zahl der Konvertiten<br />
2005 im Vergleich zu dem Jahr davor vervierfacht habe.<br />
Der Großteil der Konversionen steht im Zusammenhang mit Eheschließungen.<br />
Dabei sind Zweidrittel der Konvertiten weiblich. Die Tatsache, dass<br />
Partnerwahl im Zentrum der Konversionen steht, sagt jedoch nicht aus, ob<br />
es sich bei einer Konversion lediglich um bloße Anpassungsvorgänge handelt.<br />
Auch hier kann eine grundlegende spirituell-ethische Neuorientierung<br />
zugrunde liegen. Die Partnerwahl wäre dann eine Folge davon.<br />
Da die Beteiligung von Konvertiten am gewaltbereiten Islamismus auffällig<br />
ist und die Zahl der Konvertiten jährlich steigt, stellt sich für die Sicherheitsbehörden<br />
die Frage, ob diese Neu-Muslime für Radikalisierungen besonders<br />
anfällig sind. Ebenso ist zu fragen, ob sie statt zum Islam gleich zum<br />
Islamismus oder gar Jihadismus konvertieren.<br />
Eines aber ist sicher: Konvertiten sind für extremistische Organisationen<br />
wertvolle Mitglieder. Sie kennen sich in Deutschland aus und wissen genau,<br />
wie man sich verhalten muss, um nicht aufzufallen. Ihre ethnische<br />
Abstammung unterstützt dies optisch zusätzlich. Sie kennen die Kultur, die<br />
Behörden und sie bewegen sich hier gewissermaßen auf sicherem Terrain.<br />
129
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Islamismus in <strong>Brandenburg</strong><br />
In <strong>Brandenburg</strong> leben nur wenige Muslime, obwohl in Potsdam bereits<br />
1731 die erste Moschee auf deutschem Boden eingerichtet wurde. Die<br />
wenigen in <strong>Brandenburg</strong> wohnhaften Muslime nehmen mehrheitlich am<br />
– um ein vielfaches reicheren – muslimischen Leben in Berlin teil und<br />
besuchen dort ihnen vertraute Moscheen. In <strong>Brandenburg</strong> stehen solche<br />
Angebote weitgehend nur in den Universitätsstädten zur Verfügung. Dieser<br />
niedrige Organisationsgrad erschwert es islamistischen Organisationen,<br />
in <strong>Brandenburg</strong> für ihre Ziele zu werben und Anhänger zu gewinnen.<br />
So sind auch Strukturen islamistischer Netzwerke in <strong>Brandenburg</strong> bisher<br />
nicht festzustellen. Lediglich Einzelpersonen sind bekannt, die Kontakte zu<br />
islamistischen Strukturen in Berlin und anderen Bundesländern pfl egen.<br />
Einige von Ihnen versuchen auch Einfl uss auf die Moscheebesucher in<br />
<strong>Brandenburg</strong> zu nehmen, wobei die Resonanz in den Gemeinden zurzeit<br />
erfreulich gering ist.<br />
Im Internet wird man bei der Suche nach muslimischen Einrichtungen in<br />
Potsdam bei der „Islamischen Gemeinschaft Potsdam“ fündig, die auf ihrer<br />
Website in die Seminarräume des „Weimar Institut e. V.“ zu Veranstaltungen<br />
einlädt. Die Gemeinde stellt sich selbst als „Gemeinschaft der einheimischen<br />
Muslime in Potsdam, aber auch Berlin, zumeist europäischer<br />
Herkunft, wie Deutschland, Spanien England“ dar.<br />
Weiter heißt es dort: „Die Treffen der Gemeinschaft stehen allen Interessierten,<br />
Muslimen als auch Nichtmuslimen offen, ganz besonders Familien<br />
mit Kindern sollen sich wohlfühlen.“<br />
Weiter ist zu erfahren, dass der Verein vor knapp 10 Jahren in Weimar von<br />
„neuen deutschstämmigen Muslimen“ gegründet wurde. Gemäß Satzung<br />
des Vereins ist das „Weimar Institut“ „eine wissenschaftliche Einrichtung<br />
zur Erforschung und Deutung der abendländischen Geistesgeschichte und<br />
ihrer vielfältigen Beziehung und Affi nität zum Islam. Des Weiteren werden<br />
aktuelle ökologische, ökonomische und philosophische Probleme der Neuzeit<br />
unter wissenschaftlicher Zielsetzung bearbeitet.“ Als Gründungsmitglieder<br />
zeichnet 1995 für die Vereinssatzung neben dem jetzt bekannten<br />
Vereinsvorstand auch Andreas Rieger, bekannt als Abu Bakr Rieger. Seine<br />
aktuelle Verbundenheit zu der Gemeinschaft wird nicht zuletzt durch Vortragsveranstaltungen<br />
in Potsdam dokumentiert.<br />
130
Islamisten und religiös motivierter Terrorismus<br />
Rieger sah sich im Herbst 2007 in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender<br />
des Islamrates – einer der wichtigsten islamischen Dachverbände<br />
in Deutschland - einer kritischen Öffentlichkeit ausgesetzt. Hintergrund<br />
war die durch Spiegel Online bekannt gewordene Veröffentlichung eines<br />
Videos im Internet. Das Video zeigt eine Rede Riegers im Jahre 1993.<br />
Er sprach auf einer Veranstaltung der seit 2001 verbotenen Organisation<br />
„Kalifatsstaat“.<br />
Rieger wörtlich: „Wie die Türken haben wir Deutschen in der Geschichte<br />
schon oft für eine gute Sache gekämpft, obwohl ich zugeben muss, dass<br />
meine Großväter bei unserem gemeinsamen Hauptfeind nicht ganz gründlich<br />
waren.“ Wegen des Vorwurfs, dass Rieger „vor hunderten Muslimen<br />
das Bedauern darüber äußerte, dass die Deutschen die Juden nicht ganz<br />
vernichtet hätten“, wurde die Dialogwürdigkeit des Islamrates in der Islamkonferenz<br />
von mehreren Teilnehmern in Frage gestellt. Mit seinem Rücktritt<br />
von der Funktion als stellvertretender Vorsitzender des Islamrates am<br />
2.Oktober 2007 zog Rieger nun Konsequenzen. In einer Presseerklärung<br />
gab er an, dass er dadurch verhindern wolle, dass Schaden für die Muslime<br />
in Deutschland entstehe. Rieger tut seine Feststellung als „unheilvolle<br />
Begleiterscheinung seines Seins“ ab. „Nie“ sei er „ein Rechtsradikaler oder<br />
ein Antisemit gewesen“.<br />
Rieger ist Herausgeber der „Islamischen Zeitung“, die sich als „Brücke<br />
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und als Ort des Austausches mit<br />
dem Phänomen Islam“ versteht. Neben Abu Bakr Rieger waren weitere im<br />
Impressum der „Islamischen Zeitung“ bekannt gegebene Verantwortliche<br />
zum Teil mehrfach Vortragende in der „Islamischen Gemeinschaft Potsdam“.<br />
Wiederholt werden in der „Islamischen Zeitung“ ausführliche Abhandlungen<br />
von einem Shaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi , dem Gründer und<br />
Kopf der Murabitun, veröffentlicht. Die damit dokumentierte besondere<br />
Verbindung zu Shaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi lässt Riegers Dementi des<br />
Antisemitismus fragwürdig erscheinen. Ein Porträt des Shaikh Dr. Abdalqadir<br />
As-Sufi hängt in der von der „Islamischen Gemeinschaft Potsdam“<br />
genutzten Räumlichkeit des „Weimar Instituts“.<br />
Bei der Ideologie der weltweit agierenden Murabitun-Gemeinschaft handelt<br />
es sich um ein Gemenge aus antikapitalistischen, antisemitischen und antiimperialistischen<br />
Ideen mit revisionistischen und rechtsesoterischen Ten-<br />
131
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
denzen. Shaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi stellt in seinen Veröffentlichungen<br />
den Holocaust in Frage und fi ndet lobende Worte für Hitler und den Nationalsozialismus.<br />
In der Schrift „The Sign of the Sword“ (1984) erklärt er allen<br />
Ungläubigen, insbesondere aber den Juden und dem von ihnen angeblich<br />
zu verantwortenden kapitalistischen Weltwirtschaftssystem den Krieg.<br />
In der 100. Ausgabe der „Islamischen Zeitung“ im Februar 2005 schreibt<br />
Shaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi zum Thema Tsunami, dass ein Tsunami keine<br />
bedeutungslose Naturkatastrophe sei, sondern eine Strafe Allahs für<br />
ausschweifenden Lebensstil. Ein Ereignis dieses Ausmaßes weise klar<br />
darauf hin, dass sich die Menschen an Orten, an denen es zu einer Tsunami-Katastrophe<br />
komme, einiges zu Schulden kommen ließen. Beispielhaft<br />
seien die „Leute Thamuds“. Mit dem Wissen, dass es sich bei „Thamuds“<br />
um einen Monat im jüdischen Kalender handelt, wird die antisemitische<br />
Anspielung des Shaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi , die Juden seien Schuld an<br />
Naturkatastrophen, deutlich.<br />
Im letzten Jahr war der Ramadankalender der Berliner Moschee „Haus der<br />
Weisheit“ während der Veranstaltungen der „Islamischen Gemeinschaft<br />
Potsdam“ ausgelegt. Am 4. Oktober 2007 wurde durch die Bild-Zeitung<br />
bekannt, dass ein „Berliner Hassprediger“ verhaftet und ausgewiesen wurde.<br />
„Dem Imam wird vorgeworfen, in seinen Predigten den Hass gegen<br />
Israel und die USA geschürt zu haben“, hieß es in der Veröffentlichung. Es<br />
handelte sich um den Imam der Moschee „Haus der Freiheit“.<br />
132
Islamisten und religiös motivierter Terrorismus<br />
Wegen der Verbindungen führender Angehöriger und Unterstützer der<br />
„Islamischen Gemeinschaft Potsdam“ zu islamistischen Organisationen<br />
mit antisemitischen Tendenzen sind Zweifel an der toleranten Einstellung<br />
der Gemeinschaft und ihrer Verpfl ichtung auf demokratische Grundwerte<br />
angebracht. Diesen Zweifeln kommt erhebliches Gewicht zu, da die „Islamische<br />
Gemeinschaft Potsdam“ auch Kinderbetreuung anbietet und in<br />
Schulen über den Islam berichtet.<br />
Ausblick<br />
Die Erfahrungen sprechen dafür, dass sich in Deutschland und in <strong>Brandenburg</strong><br />
Personen aufhalten, die bereit sind, für einen totalitären islamistischen<br />
Staat nach ihren Vorstellungen auch mit terroristischen Mitteln<br />
zu kämpfen. Diese Personen oder Personengruppen rechtzeitig ins Visier<br />
der Sicherheitsbehörden zu bekommen, ist dabei die große Herausforderung.<br />
Die Sicherheitsbehörden werden diese Aufgabe aber nur in einem<br />
gesamtgesellschaftlichen Ansatz bewältigen können. Vom Islamismus und<br />
dem sich aus ihm herleitenden Terrorismus gehen derzeitig die größten<br />
Bedrohungen für die Bundesrepublik aus. Mit Anschlägen muss – trotz aller<br />
Anstrengungen – weiterhin gerechnet werden.<br />
Die Gesellschaft muss nicht nur Radikalisierung frühzeitig erkennen, sondern<br />
sie möglichst verhindern. Der <strong>Verfassungsschutz</strong> kann zwar durch<br />
sorgfältige Beobachtungen und Recherchen gewaltbereite Zellen, Rekrutierer<br />
und Prediger mit Indoktrinierungsabsicht erkennen, benennen und<br />
im Zusammenwirken mit den verschiedenen Exekutivbehörden bekämpfen.<br />
Ein noch verlässlicherer und wirksamerer Schutz der Bürger kann<br />
erreicht werden, wenn sich muslimische Gemeinden Radikalisierung und<br />
Indoktrination entgegenstellen. Sie können am ehesten erkennen, wenn<br />
ein Gemeindemitglied oder eine ganze Gemeinde in extremistische Milieus<br />
abgleitet. Und sie stehen in der Verantwortung, dies mit zu verhindern und<br />
zu bekämpfen. Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus – und das<br />
muss ganz deutlich betont werden – muss auch innerhalb der Gemeinden<br />
kommuniziert werden. Denn der gewaltbereite Islamismus ist insbesondere<br />
eine Bedrohung für Muslime selbst.<br />
133
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
134
Extremistische Online-Aktivitäten<br />
EXTREMISTISCHE<br />
ONLINE-AKTIVITÄTEN<br />
Das wohl größte Kommunikationsnetzwerk in der Geschichte der Menschheit<br />
ist das Internet. Selbst wenn einem die Begriffe YouTube, MySpace<br />
Flickr, RSS-Feed, Weblogs oder Podcasting nichts sagen, ist doch Allgemeinwissen,<br />
dass kein anderes Medium dem Benutzer so vielfältige Möglichkeiten<br />
bietet, Informationen auf schnellstem Wege und unbegrenzt zu<br />
erhalten und auszutauschen. Das Internet hat sich als weltweite Kommunikationsplattform<br />
in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen<br />
Lebens durchgesetzt und wird auch künftig fast alle gesellschaftlichen und<br />
politischen Bereiche immer weiter berühren.<br />
Viele Angebote im Internet werden von den Betreibern immer gezielter auf<br />
Anforderungen der Nutzer ausgerichtet und qualitativ verbessert. Nicht<br />
zuletzt durch den Einsatz neuer Webtechnologien – so zum Beispiel so<br />
genannte Web2.0-Techniken – die seit einigen Jahren stetig entwickelt<br />
werden, nimmt das Internet zuvor ungeahnte Dimensionen der Geschwindigkeit<br />
und Größe an. Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden stellt das<br />
vor neue Herausforderungen. Das Zeitalter herkömmlicher Homepages mit<br />
‚starren’ Webinhalten ist längst Vergangenheit. Dynamik – auch extremistischer<br />
Inhalte – prägt das Internet heute. Offene Schnittstellenprogrammierungen<br />
ermöglichen einen freien Zugriff auf Programme und Dienste von<br />
außen. Interaktiv folgt der Nutzer diesen Möglichkeiten. Verlinkungen der<br />
Dienste untereinander und Schlagworterstellungen in den Anwendungen<br />
sorgen für eine massenhafte Verbreitung der neuen Möglichkeiten. Ebenso<br />
steigt die Geschwindigkeit, mit der Informationen oder Datenmaterial verbreitet<br />
werden. Leistungsstarke Computer und Breitband-Internetzugänge<br />
sind inzwischen fi nanziell erschwinglich und keine Besonderheit mehr.<br />
Aufgrund der rechtlich kaum geregelten Strukturen des Internets erschließen<br />
sich politische Extremisten transnationale Freiräume, die nicht mehr<br />
allein im nationalstaatlichen Rahmen begrenzt werden können. Um verbotene<br />
Texte und Symbole ins Internet einzustellen, nutzen deutsche<br />
Extremisten meist die Anonymität ausländischer Provider, etwa einen ukrainischen<br />
Anbieter. In vielen Ländern existiert nicht einmal der Straftatbestand<br />
der Volksverhetzung oder sie unterliegt keinem mit Deutschland<br />
135
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
vergleichbaren Strafrecht. Eine Verbreitung solcher Straftatbestände über<br />
ausländische Server lässt sich derzeit kaum verhindern. Vor allem in den<br />
USA ist die Einschreitschwelle deutlich höher als in den meisten europäischen<br />
Ländern. So fi nden sich im internationalen Forum der in den USA<br />
betriebenen Homepage von „Blood & Honour/Combat 18“ auch immer<br />
wieder Aussagen deutscher Rechtsextremisten, die keinen Hehl aus ihrer<br />
Einstellung machen und das Forum als rechtsfreien Raum betrachten.<br />
Extremisten bedienen sich verschiedener Verschlüsselungstechniken.<br />
Hierzu zählen „Pretty Good Privacy“ (PGP) oder „Gnu Privacy Guard“<br />
(GnuPG). Mit diesen Programmen werden elektronische Nachrichten codiert<br />
oder mit bestimmten Kennungen versehen. Nur der Empfänger, der<br />
den elektronischen Schlüssel für eine so geschützte Nachricht hat, kann<br />
diese auch lesen. Per E-Mail, Chat oder Forum ist offene wie verschlüsselte<br />
Kommunikation weltweit leicht herzustellen. Foren, wie das auf der<br />
rechtsextremistischen Webseite „Widerstand.info“, das „Hatecore Forum“<br />
oder das „Thiazi Forum“ dienen Rechtsextremisten als Plattform für ihre<br />
Hass-Gedanken.<br />
Mit der Einrichtung solcher Foren, Newsgroups oder Weblogs entstehen<br />
Kommunikationsknotenpunkte, die zum Meinungsaustausch, zur Information<br />
oder zum Aufruf für etwaige Aktionen genutzt werden können. Videos,<br />
Bilder und Dokumente können im Internet dauerhaft archiviert werden<br />
und sind jederzeit abrufbar. So entstehen regelrechte ‚Dienstleistungssysteme’.<br />
Sie sind die technische Basis für eine nationale und internationale<br />
Vernetzung politischer Gruppierungen. Es ist für Rechtsextremisten<br />
selbstverständlich, Informationen über Kundgebungen, Demonstrationen<br />
oder Großveranstaltungen von einschlägigen Websites zu beziehen. Auf<br />
ihnen werden aktuelle Infos, Termine, Veranstaltungsorte, aber auch Hinweise<br />
zu Ausweichveranstaltungen zeitnah eingestellt. Die Szene ist so<br />
schnellstmöglich und ständig auf dem Laufenden. Schließlich folgen im<br />
Nachgang Erlebnisberichte, mit denen Aktionen ausgewertet und neue<br />
Anhänger mobilisiert werden.<br />
136
Extremistische Online-Aktivitäten<br />
Videoplattformen wie YouTube bieten Extremisten die Möglichkeit, Filme<br />
über das Internet zu verbreiten. Die Videoclips werden mit Musik hinterlegt.<br />
Sie sollen gerade junge Menschen ansprechen. Beispielsweise zeigt<br />
das Video „Jugend Offensive“ auf den Webseiten von Jugend-Offensive.<br />
info gefi lmte Aktionen der rechtsextremistischen Szene (Plakataktionen,<br />
Protestaktionen, Demonstrationen, Verteileraktionen). Es enthält auch Sequenzen<br />
zu Aktionen in <strong>Brandenburg</strong> und ist mit Musik der aus <strong>Brandenburg</strong><br />
stammenden rechtsextremistischen Band „Hassgesang“ unterlegt.<br />
Dieses Video ist auf YouTube zu fi nden.<br />
Auch Vertreiber einschlägiger Szeneprodukte („RockNord“, „Wikinger Versand“),<br />
rechtsextremistische Bands („Frontalkraft“, „Wolfskraft“, „Downfall“)<br />
und Liedermacher fi nden im Internet Interessenten und Käufer.<br />
Entsprechend nimmt die Werbung für diese Artikel zu. In Foren werden<br />
Tonträger oder Konzerte besprochen und ausgewertet. Demoversionen<br />
einschlägiger Skinheadbands können angehört und heruntergeladen werden.<br />
So wurden beispielsweise Hörproben der rechtsextremistischen Band<br />
aus <strong>Brandenburg</strong> „Downfall“ über deren Homepage angeboten. Auf den<br />
Seiten des rechtsextremistischen Vertriebsdienst „PC-Records“ wurden<br />
die aktuellen CDs sowie Hörproben der Band „Bloodshed“ angeboten. Der<br />
brandenburgische Vertrieb „On the Streets“ wirbt auf seinen Seiten für die<br />
rechtsextremistische Band „Wintergewitter“ aus Cottbus. Einige Skinheadkonzerte,<br />
welche in <strong>Brandenburg</strong> stattfanden, wurden zum Beispiel ausführlich<br />
im „Thiazi Forum“ ausgewertet.<br />
Sowohl Linksextremisten als auch Rechtsextremisten nutzen das Internet,<br />
um ihre politischen Gegner öffentlich anzuprangern. Immer häufi ger späht<br />
man sich gegenseitig aus, ob auf Konzerten, Demonstrationen oder anderen<br />
Veranstaltungen. Stets wird beobachtet, fotografi ert und gefi lmt, um<br />
das Bildmaterial auf einschlägigen Seiten im Internet zu verbreiten. Man<br />
verfasst Steckbriefe und stellt sich gegenseitig an den virtuellen Pranger.<br />
Die „Antifaschistischen Gruppen im Westhavelland“ legen regelrechte Dossiers<br />
über Personen an, die sie der rechtsextremen Szene zurechnen.<br />
Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch die Internetpräsentationen<br />
selbst Ziel von Angriffen (Hacking) werden. In den letzten Jahren wurden<br />
häufi g Angriffe auf vor allem rechtsextremistische Homepages beobachtet.<br />
Die Angreifer kommen vermutlich aus den lokalen Gegenszenen. Mehrmals<br />
wurden die Kundendaten von Online-Versandhäusern („Aufruhr-Ver-<br />
137
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
sand“, „West-Versand“) gehackt und ins Internet eingestellt. Damit soll der<br />
politische Gegner aus dem Dunkel der Anonymität ins Rampenlicht der<br />
Öffentlichkeit gezerrt werden. Manchmal begnügen sich die Hacker damit,<br />
die Inhalte der Seiten einfach nur auszutauschen. Man demonstriert dem<br />
Gegner die eigene technische Überlegenheit. Ihn soll das nachhaltig verunsichern.<br />
Die rechtsextremistischen „Freien Kräfte“ im Internet<br />
Da wesentliche rechtsextremistische Organisationsstrukturen in <strong>Brandenburg</strong><br />
durch Verbote aufgelöst sind oder sie aus Furcht vor weiteren Verboten<br />
ihre Aufl ösung erklärt haben, setzen die Extremisten um so mehr<br />
auf die informelle Vernetzung. Diese Strategie verlangt zwangsläufi g gut<br />
funktionierende Kommunikationsmechanismen. Anders wäre der Informationsaustausch<br />
untereinander zu langsam und stünde einer raschen Mobilisierung<br />
im Weg. Auch Rechtsextremisten aus <strong>Brandenburg</strong> greifen daher<br />
auf das Internet zurück. Es werden Serverkapazitäten gemeinsam genutzt,<br />
Homepages untereinander verlinkt, Szeneinformationen ausgetauscht und<br />
über das Internet verbreitet.<br />
Allerdings konnte man im Jahr 2007 auch feststellen, dass die anfängliche<br />
Euphorie der rechtsextremistischen Szene <strong>Brandenburg</strong> über diese virtuelle<br />
Kommunikation erloschen scheint. Obwohl das Internet bei der Vernetzung<br />
der Szene zentral ist, dümpeln ihre „Internetprojekte“ vor sich hin.<br />
Beispielsweise haben die Betreiber der Webseiten „Nationaler Widerstand<br />
Berlin – <strong>Brandenburg</strong>“ augenscheinlich vollständig die Übersicht verloren.<br />
Das Informationsportal, welches angeblich im Auftrag vieler freier Nationalisten<br />
betrieben wird, ist ganz und gar nicht aktuell. Termine, Aktionen,<br />
Berichte und Pressemitteilungen sind veraltet oder werden nur sporadisch<br />
gepfl egt.<br />
Die Betreiber der Homepage „Freie Kräfte <strong>Brandenburg</strong>“ kämpfen ebenfalls<br />
mit ihrem Konzept, Neonazis aus <strong>Brandenburg</strong> ein politisches Forum<br />
zu schaffen. Gerade einmal ein Termin ließ sich dort fi nden. Das Infoportal<br />
„<strong>Brandenburg</strong>er Aktionsfront“ hört sich zwar dynamisch an, ist jedoch im<br />
Jahr 2006 stehen geblieben und verweist derzeit immer noch auf Webseiten<br />
von Gruppierungen, die sich zwischenzeitlich selbst aufgelöst haben<br />
(„Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost <strong>Brandenburg</strong>“, „Sturm Cottbus“).<br />
138
Extremistische Online-Aktivitäten<br />
Einige der Internetangebote sind aus Baukastensystemen zusammengezimmert.<br />
Überfrachtet mit vielen Bildchen wollen sie den Anschein erwecken,<br />
sie wären die Kommunikationsplattform ganzer Gruppierungen.<br />
Sie nennen sich „Nationaler Widerstand Premnitz“, „Freie Nationalisten<br />
Rathenow“ oder „Nationale Aktivisten Prenzlau/Uckermark“. Oftmals stehen<br />
wenige oder nur eine Person als Betreiber hinter solchen „Projekten“.<br />
Ständig wechselnde URLs und das mäßige Design zeigen, wie wenig professionell<br />
die Betreiber hier arbeiten. Darüber hinaus erzielen aber auch<br />
einige Homepages in der Szene selbst nicht die gewünschte Resonanz<br />
und werden recht schnell wieder vom Netz genommen.<br />
Für rechtsextremistische Parteien wächst<br />
die Bedeutung der Internetpräsenz<br />
Nicht nur Einzelpersonen und Kleinstgruppen, sondern auch größere,<br />
bundesweit verbreitete Organisationen aus dem rechtsextremistischen<br />
Spektrum nutzen das Internet seit langem zur Vernetzung ihrer Strukturen.<br />
Parteien wie die DVU und insbesondere die NPD halten mehr oder weniger<br />
professionelle Internet-Angebote bereit. Mit dem über das Internet<br />
verbreiteten Videoprojekt „Die Woche – Kritische Nachrichten“ versucht<br />
sich die NPD an einer eigenen Nachrichtensendung. Kreis- und Landesverbände<br />
aber auch kleinere Ortsverbände der NPD sowie die „Jungen<br />
Nationaldemokraten“ (JN) verbreiten ihre Informationen über eigene Internet-Seiten.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> sind das zum Beispiel die NPD-Kreisverbände<br />
Lausitz, Havel-Nuthe, Oderland / Ortsbereich Fürstenwalde oder die JN<br />
Spreewald. Die Betreiber strukturieren ihre Angebote übersichtlich nach<br />
einheitlichem Muster, halten Inhalte auf dem aktuellen Stand, geben Nachrichten<br />
zeitnah ein und integrieren multimediale Elemente.<br />
Mit der Ablösung herkömmlicher Homepages und der Einrichtung so genannter<br />
Weblogs folgen sie dem Trend, gezielt neue Webtechnologien<br />
zu übernehmen. Die Präsentation von Webinhalten wird dadurch dynamischer,<br />
zeitnäher und einfacher („Nationales Netztagebuch“ der NPD-<br />
Barnim). Der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt befürwortet ausdrücklich<br />
die Darstellung der NPD im Internet. Es sei eine „wunderbare Möglichkeit,<br />
die Position der NPD ohne Zensur darzustellen“.<br />
139
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Linksextremisten nutzen Internet im großen Stil<br />
Für Linksextremisten stellt das Internet ein nicht mehr wegzudenkendes<br />
Medium der politischen Agitation dar. Fast alle bedeutenden linksextremistischen<br />
Gruppierungen besitzen eigene Webseiten oder sind über das<br />
Internet erreichbar. Die linksextremistische Szene vermeidet dabei im Gegensatz<br />
zur rechtsextremistischen weitgehend die Verbreitung strafrechtlich<br />
relevanter Inhalte. Insgesamt sind ihre Webpräsentationen auch um<br />
einiges professioneller, inhaltsreicher und aktueller gestaltet.<br />
Die Spannbreite linksextremistischer Nutzung des Internets geht von Eigendarstellungen<br />
einzelner Gruppierungen über Berichterstattungen zu<br />
Veranstaltungen bis zur Veröffentlichung szenerelevanter Dokumentationen.<br />
Neben den Webseiten einzelner Gruppierungen und Parteien, wie<br />
„Rote Hilfe“ oder DKP, gibt es Angebote, die von informellen Netzwerken<br />
erstellt, ausgebaut und regelmäßig aktualisiert werden. So werden beispielsweise<br />
„indymedia“ und „inforiot“ auch von Linksextremisten genutzt.<br />
Diese Webseiten ahmen bewusst den Stil von Nachrichtenagenturen nach.<br />
Solche Internetportale sind professionell aufgebaut und zeichnen sich<br />
durch Struktur und Aktualität aus. Sie werden vor allem auch zur Verbreitung<br />
von Demonstrations- und Aktionsaufrufen genutzt. Daneben dienen<br />
sie der linksextremistischen Szene zur Selbstdarstellung, als Archive und<br />
Diskussionsplattformen. Die Webseite „indymedia“ ist als Internetplattform<br />
der „linken“ Szene nicht mehr wegzudenken. Sie gilt inzwischen als eine<br />
der bedeutendsten internetbasierten Informationsseiten für die linksextremistische<br />
Szene. In zahlreichen Beiträgen werden hier Aktionsfelder und<br />
Diskussionsprozesse der Szene beschrieben.<br />
Sonderseiten, die speziell<br />
für Kundgebungen oder<br />
öffentlich wirksame Aktionen<br />
ins Internet gestellt<br />
werden, nehmen zu. Diese<br />
in der rechts- und linksextremistischen Szene üblichen „Kampagnen-<br />
und Mobilisierungsseiten“ enthalten in der Regel anlassbezogen und<br />
kurzfristig eingestellte Informationen zu aktuellen Themen- oder Aktionsschwerpunkten.<br />
So rief die kurzzeitig eingerichtete Website www.keinenpd-in-cottbus.de.vu<br />
zur Teilnahme an einer Kundgebung unter dem Titel<br />
„Keine Homezone für die NPD“ am 28. Juli 2007 in Cottbus auf. Haben<br />
140
Extremistische Online-Aktivitäten<br />
solche Seiten ihren Zweck erfüllt, werden diese Webseiten in der Regel<br />
wieder aus dem Netz genommen.<br />
Anders verhält es sich bei Webseiten, die über wiederkehrende Großereignisse<br />
berichten, etwa den G8-Gipfel. Diese Internet-Plattformen bleiben<br />
ständig im Netz und bieten recht umfangreiche Informationen in teilweise<br />
mehreren Sprachen. Berichte über die aktuelle Entwicklung, Kommentare<br />
sowie Presseartikel sind ebenso abrufbar wie Demonstrationsaufrufe und<br />
Hinweise zu Vorbereitungstreffen der Szene (www.antiG8.tk, www.G8-<br />
2007.de, dissentnetzwerk.org). Mailinglisten, Newsletter sowie Berichte<br />
über frühere G8-Gipfel runden die Angebote ab.<br />
Islamistische Medienproduzenten –<br />
ohne Internet geht nichts<br />
Auch Islamisten setzen immer stärker auf das Internet als Kommunikations-<br />
und Agitationsmedium. Viele für Deutschland relevante Organisationen<br />
äußern sich auf ihren Webseiten in türkischer oder arabischer Sprache.<br />
Es gibt aber auch immer häufi ger englisch- und deutschsprachige<br />
Angebote.<br />
Für ausländische Extremisten ist die unbehinderte und unbeobachtete<br />
Kommunikation wichtig. Ihre Mitglieder und Anhänger werden in den<br />
Herkunftsländern von den Sicherheitsbehörden gesucht oder leben über<br />
Exilländer verstreut. Politaktivsten können aus sicherer Entfernung über<br />
das Internet unmittelbar politische Erklärungen öffentlich verbreiten oder<br />
Aktionsanweisungen ausgeben.<br />
Auch islamistische Netzwerke erhöhen durch das Internet ihre personelle<br />
und operative Leistungskraft, wobei ihnen die dezentrale und wenig kontrollierbare<br />
Struktur des Internets zugute kommt. Islamisten können sich<br />
dabei als virtuelle Einheit darstellen. Ob terroristische Gruppierungen im<br />
Irak oder in Afghanistan, Webseiten der Terrororganisation „Al Kaida“ oder<br />
141
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
auch Medienprojekte wie die „Globale islamische Medienfront“: Nahezu<br />
alle bekannten islamistischen Organisationen sind im Internet mit eigenen<br />
Web-Auftritten vertreten. Die meisten Seiten sind sehr aufwändig gestaltet<br />
und mit Tondokumenten, zahlreichen Links oder Kurzfi lmen ausgestattet.<br />
Dort fi nden sich Einführungen in ideologische Grundlagen und Geschichte<br />
der Organisationen, oftmals in Verbindung mit Gewaltverherrlichung. Sie<br />
benutzen das Internet zur Selbstdarstellung und zu Propagandazwecken.<br />
Damit werden sie ihrem ausgeprägten Sendungs- und Mitteilungsbedürfnis<br />
gerecht.<br />
Die Filme folgen stets dem gleichen Plot: Zunächst werden Szenen aus<br />
historischen oder aktuellen Kriegen und Konfl ikten gezeigt, an denen auch<br />
Muslime beteiligt sind. Das sind beispielsweise der Bosnienkrieg (1992-<br />
1995), der Irakkrieg oder der Krieg in Tschetschenien. Dabei geht es den<br />
Machern auch darum, die Betrachter durch die Darstellung von Grausamkeit<br />
und Gewalt zu ängstigen. Gezeigt werden, häufi g mit pathetisch heroischer<br />
Musik untermalt, „Glaubenskrieger“.<br />
Anfänglich amateurhafte Berichterstattungen nahmen schnell professionelle<br />
Formen an. Die Qualität der Video- und Audiobotschaften hat sich<br />
in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Ganze Reportagen werden<br />
zusammengestellt, teilweise ohne Qualitäts- und Zeitverlust. Man ist live<br />
vor Ort. Manche islamistischen Medienproduzenten wie „al-Furqan“ oder<br />
„al-Sahab“ werden so zu einer wichtigen Säule im medialen und propagandistischen<br />
Kampf der Islamisten und dienen dazu, islamistische Gräueltaten<br />
zu rechtfertigen und zu glorifi zieren.<br />
Die Terrororganisation „Al Kaida“ verbreitet regelmäßig<br />
Erklärungen und Drohungen über das<br />
Internet. So zum Beispiel auch zwei Videos<br />
(März und November 2007), in welchen die Bundesrepublik<br />
Deutschland erstmals als Feindbild<br />
erwähnt wird. „Al Kaida“ nutzt das Internet ebenso,<br />
um sich zu Anschlägen zu bekennen. Das<br />
Internet dient „Al Kaida“ somit auch der psychologischen<br />
Kriegsführung, der Wehrertüchtigung<br />
und der Verbreitung von Angst und Schrecken.<br />
142
Extremistische Online-Aktivitäten<br />
Der 2006 verstorbene „Al Kaida“-Anführer Al-Zarqawi rief in seinen im Internet<br />
veröffentlichten Tonbandbotschaften immer wieder zur Fortsetzung<br />
und Intensivierung des „Jihads“ gegen US-amerikanische Truppen im Irak<br />
auf. Der „Internet-Fernsehsender“ „Sout al-Khalifa“ („Stimme des Kalifats“)<br />
publiziert Videobeiträge zu Themen wie „Jihad“, internationaler „Mujahedin“,<br />
Palästina und Irak sowie Erklärungen von islamistisch-terroristischen<br />
Gruppierungen.<br />
Darüber hinaus werden Filmbeiträge beispielsweise zu Anschlägen und<br />
Entführungen im Irak eingespielt. Als Produzent der mehrsprachigen Internetsendungen<br />
tritt die Organisation „Global Islamic Media Front“ auf,<br />
unter deren Namen seit Jahren schon islamistische Propaganda im Internet<br />
verbreitet wird.<br />
Auch künftig werden Extremisten das Internet für ihre Zwecke nutzen. Zwar<br />
werden herkömmliche Homepages, die zudem mit strafrechtlichen Inhalten<br />
betrieben werden, weiter in den Hintergrund rücken, mit Sicherheit aber<br />
werden die neuen multimedialen Technologien genutzt, um noch schneller<br />
auf die Zielgruppen einwirken und um noch fl exibler im Netz agieren zu<br />
können. Spontane Aktionen, Demonstrationen oder Konzerte zu organisieren,<br />
wird immer einfacher, ob über RSS basierte Weblogs, über Chats<br />
und VoIP-Programme, wie Skype oder über Podcasting. Virtuell gestaltete<br />
Onlinewelten wie Second Life werden bereits vereinzelt genutzt um verfassungsfeindliche<br />
Kennzeichen und Symbole darzustellen. Die Vielzahl der<br />
im Internet angebotenen Anwendungen wird die Möglichkeiten zur Darstellung<br />
und zur Vernetzung im Internet weiter erhöhen.<br />
Kostengünstige Flatrates, hohe Übertragungsgeschwindigkeiten und<br />
Heim-PCs mit enormen Speicherkapazitäten werden es zukünftig fast jedem<br />
erlauben, mit Daten zu jonglieren, deren Volumengröße noch vor einigen<br />
Jahren nahezu jede Vorstellungskraft gesprengt hätte. Immer besser<br />
werden Suchmaschinen. Sie ermöglichen es selbst ungeübten Nutzern,<br />
schnell und einfach im Netz fündig zu werden. Kinder haben immer früher<br />
Zugang zum Internet. Es gehört zu ihrer Lebenswelt. Folglich kommen<br />
sie bereits sehr viel früher in ihrem Leben mit extremistischer Propaganda<br />
in Berührung als ältere Generationen. Zufällig oder in Folge gezielter<br />
Suche werden sie leicht mit extremistischen Ideen und Angeboten konfrontiert.<br />
Gleichzeitig sind die Sicherheitsbehörden gezwungen, sich dem<br />
technischen Wettlauf zu stellen, um das Internet den Extremisten nicht als<br />
rechtsfreien Raum zu überlassen.<br />
143
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
144
Moderne Industrie und Forschung brauchen Schutz<br />
MODERNE INDUSTRIE UND<br />
FORSCHUNG BRAUCHEN SCHUTZ<br />
Geheimschutz und Sicherheit<br />
Geheimschutz dient der Sicherung von solchen Informationen, die im öffentlichen<br />
Interesse geheim zu halten sind, vor Ausspähungen und unbefugtem<br />
Zugriff. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Unbefugte keine<br />
Kenntnis von Dingen oder Sachverhalten bekommen, die zum Nachteil der<br />
Bundesrepublik Deutschland oder des Landes <strong>Brandenburg</strong> verwendet<br />
werden können. Geheimhaltungsbedürftig sind beispielsweise Informationen<br />
über verteidigungswichtige militärische Einrichtungen und Sicherheitseinrichtungen<br />
für so genannte kritische Infrastruktur (z. B. Flughäfen).<br />
Man unterscheidet den materiellen Geheimschutz (beispielsweise Nutzung<br />
von Panzerschränken, IT-Sicherheit) und den personellen Geheimschutz<br />
(Sicherheitsüberprüfungen). Geheimzuhaltende Tatsachen, Gegenstände<br />
oder Erkenntnisse werden – unabhängig von ihrer Form – als Verschlusssachen<br />
bezeichnet. Diese dürfen nur von berechtigten (d. h. sicherheitsüberprüften)<br />
Personen eingesehen sowie bearbeitet werden.<br />
Das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen ist in <strong>Brandenburg</strong> durch<br />
das Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 30. Juli 2001 gesetzlich geregelt.<br />
Voraussetzung für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung ist die<br />
Einwilligung der betroffenen Person, d. b. dass niemand ohne Einwilligung<br />
überprüft werden darf.<br />
Das Verfahren beginnt mit dem Ausfüllen der Sicherheitserklärung des zu<br />
Überprüfenden. Mit seiner Unterschrift erklärt er seine Einwilligung. Hier<br />
zeigt sich ein wichtiges Prinzip des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens<br />
– die Freiwilligkeit. Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von<br />
Gründen widerrufen werden. Dann wird das Verfahren ohne Ergebnis<br />
eingestellt. Der Umfang einer Überprüfung richtet sich nach der Anzahl<br />
und dem Geheimhaltungsgrad der Verschlusssachen, mit denen die zu<br />
überprüfende Person künftig zu tun haben soll. Die Angaben in der Si-<br />
145
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
cherheitserklärung werden von der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde überprüft.<br />
Wichtig ist hierbei, dass sich keine Widersprüche ergeben oder unwahre<br />
Angaben festgestellt werden. Bei der Sicherheitsüberprüfung dürfen keine<br />
nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt werden. Demzufolge sind also<br />
eine Observation der betroffenen Person oder eine Telefonüberwachung<br />
nicht zulässig.<br />
Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung wird nach Sicherheitsrisiken gefragt.<br />
Dadurch sollen solche Personen aus sensiblen Bereichen ferngehalten<br />
werden, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit oder an ihrem<br />
Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben oder<br />
die für Ansprachen gegnerischer Nachrichtendienste gefährdet erscheinen.<br />
Am Ende der Überprüfung können unterschiedliche Entscheidungen<br />
stehen. Wenn keine sicherheitserheblichen Erkenntnisse vorliegen, kann<br />
die betroffene Person zum Umgang mit Verschlusssachen ermächtigt werden.<br />
Liegen hingegen sicherheitserhebliche Erkenntnisse vor und können<br />
diese durch weitere Maßnahmen nicht ausgeräumt werden, kann die überprüfte<br />
Person nicht ermächtigt werden. Zumeist führen die Überprüfungen<br />
jedoch zur Ermächtigung.<br />
Proliferation<br />
Als Proliferation bezeichnet man die illegale Verbreitung atomarer, biologischer<br />
und chemischer Waffen (ABC-Waffen) sowie der zu ihrem Einsatz<br />
erforderlichen Mittel und Träger-Technologien. Darunter fällt auch die Bereitstellung<br />
von wissenschaftlichem und technischem Know-how. Vor allem<br />
so genannte Krisenländer bemühen sich darum, über Proliferation in den<br />
Besitz von Massenvernichtungswaffen zu kommen. Bei einigen dieser<br />
Länder ist zu befürchten, dass – wie im Iran-Irak-Krieg (1980 -1988) durch<br />
Saddam Hussein angeordnet – A-, B- oder C-Waffen in einem bewaffneten<br />
Konfl ikt eingesetzt werden oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer<br />
Ziele angedroht wird.<br />
Problematisch sind Erzeugnisse und Technologien, die sowohl zivil als<br />
auch militärisch genutzt werden können („Dual-Use“), wie abgereichertes<br />
Uran oder auch Produkte, zum Beispiel Sendeeinrichtungen, die sich aber<br />
umfunktionieren und in der Waffentechnologie einsetzen lassen. Neben<br />
anderen Institutionen – beispielsweise dem Bundesamt für Wirtschaft und<br />
146
Moderne Industrie und Forschung brauchen Schutz<br />
Ausfuhrkontrolle und den Zolldienststellen – hat auch der <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
den gesetzlichen Auftrag, Proliferation frühzeitig zu erkennen und<br />
aufzuklären und so illegale Ausfuhren zu verhindern.<br />
Nach Erfahrungen der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden lassen folgende Anhaltspunkte<br />
auf mögliche illegale Beschaffungsaktivitäten im Zusammenhang<br />
mit Proliferation schließen:<br />
– Der tatsächliche Endverbleib der Güter ist unklar oder der beabsichtigte<br />
Verwendungszweck weicht erheblich von der vom Hersteller<br />
vorgegebenen Produktbestimmung ab oder der Kunde kann<br />
erst gar nicht erklären, wofür das Produkt gebraucht wird.<br />
– Der Kunde handelt normalerweise mit militärischen Gütern.<br />
– Der Käufer verfügt nicht über das erforderliche Fachwissen.<br />
– Ohne erkennbaren Grund werden Zwischenhändler eingeschaltet.<br />
– Der Kunde wünscht eine außergewöhnliche Etikettierung oder<br />
Kennzeichnung der Ware.<br />
– Der Kunde bietet an den Markt- und Branchengepfl ogenheiten<br />
gemessen atypische Zahlungsbedingungen an (Barzahlung, hohe<br />
Vorauszahlungen, ungewöhnliche Provisionen).<br />
– Der Käufer verzichtet, entgegen üblicher Handhabung, auf Einweisung<br />
in die Handhabung der Ware, auf Serviceleistung oder auf<br />
Garantie.<br />
– Firmenangehörige des Käufers werden, um in der Bedienung geschult<br />
zu werden, zur Herstellerfi rma nach Deutschland geschickt,<br />
obwohl eine Einweisung vor Ort praktischer und sinnvoller wäre.<br />
– Weitere Geschäftskontakte in Deutschland unterliegen einer ungewöhnlichen<br />
Verschwiegenheit.<br />
147
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Forschung, Entwicklung und Zukunftstechnologien<br />
vor Spionage schützen<br />
Der Schaden, der der deutschen Wirtschaft durch Wirtschaftsspionage,<br />
Produktpiraterie und Ideenklau entsteht, kann nur geschätzt werden. Erst<br />
im Oktober nannte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. August<br />
Hanning, die Summe von über 20 Milliarden Euro. Experten schätzen<br />
den Wert des bedrohten Wissens auf 50 Milliarden Euro.<br />
Deutschland steht auf der Liste der Spionageziele nach wie vor ganz oben.<br />
Deutsches Know-how ist der einzig nennenswerte Rohstoff, den die Bundesrepublik<br />
im internationalen Wettbewerb zu bieten hat. Innovationen<br />
kosten Geld, binden Ressourcen und verschlingen unter Umständen immense<br />
Summen für die Grundlagenforschung. Dieses Know-how gilt es<br />
zu schützen, vor staatlich gelenkter Wirtschaftsspionage genauso wie vor<br />
privater Konkurrenz- oder Industriespionage.<br />
Die Abgrenzung der einen von der anderen Spionageform ist nicht immer<br />
einfach. Letztendlich ist das allerdings für den Schutz des eigenen Wissens<br />
und der eigenen Produkte unerheblich, denn Schaden ist Schaden.<br />
Aufgabe der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde des Landes <strong>Brandenburg</strong> ist es,<br />
solchen Schaden abzuwenden.<br />
<strong>Brandenburg</strong> bildet zusammen mit Berlin einen leistungsfähigen und zukunftsträchtigen<br />
Wirtschaftsraum in der Mitte Europas. Technologiezentren<br />
und junge Unternehmen mit hoher Innovationskraft haben sich angesiedelt.<br />
Medizin-, Pharma- und Genforschung, Laser- und Verfahrenstechniken,<br />
Optoelektronik, Material-, Luft- und Raumfahrttechnik werden vorangetrieben<br />
und bestehen wie selbstverständlich neben den großen und<br />
bekannten Unternehmen.<br />
Während große Wirtschaftsunternehmen oft über mehr fi nanzielle Ressourcen<br />
für effektive Schutzmaßnahmen verfügen, stehen die Mittelstands-<br />
und Kleinunternehmen dem ungewollten Informationsabfl uss oft<br />
schutz- und ahnungslos gegenüber. Erfahrungen zeigen, dass es bei der<br />
Wirtschaftsspionage durch fremde Nachrichtendienste nicht auf die Größe<br />
eines Unternehmens ankommt. Einzig ausschlaggebender Faktor für das<br />
Fremdinteresse ist das zu beschaffende Know-how.<br />
148
Moderne Industrie und Forschung brauchen Schutz<br />
Fremde Nachrichtendienste beteiligen sich in zunehmendem Maße an diesem<br />
Ringen um ökonomische Vorteile zugunsten ihrer Länder. Dabei geht<br />
es immer um ein Ziel: Dem eigenen Staat Vorteile durch wirtschaftliche<br />
Ausspähung eines anderen Staates zu verschaffen. Für das ausgespähte<br />
Unternehmen ist es dabei völlig unerheblich, ob der fremde Nachrichtendienst<br />
den direkten Auftrag hat, Informationen für die heimische Wirtschaft<br />
zu beschaffen, oder ob solche Aktivitäten lediglich geduldet werden. Klar<br />
ist jedoch: Fremde Nachrichtendienste sind in den vergangenen Jahren<br />
umstrukturiert und mit neuen Kompetenzen versehen sowie personell verstärkt<br />
und fi nanziell hervorragend ausgestattet worden. Allein die Anzahl<br />
der Mitarbeiter in den russischen Nachrichtendiensten beträgt mit den<br />
dazugehörigen Grenztruppen rund 400.000. Der damalige russische Präsident<br />
Vladimir Putin erklärte im russischen Parlament am 10. Mai 2006:<br />
„Ich denke, dass der Staat bei der Beschaffung moderner Technologien im<br />
Ausland unterstützend tätig sein muss.“<br />
Spionageziele sind:<br />
– Forschungsergebnisse, Produktideen und Designstudien,<br />
– Studien über Entwicklungskosten,<br />
– Erfahrungswissen aus Entwicklung, Produktion und Management,<br />
– Verkaufsstrategien und Lagerbestände,<br />
– Kenntnisse über Kostenstrukturen, Preispolitik und strategische<br />
Ausrichtung,<br />
– Imageschädigung oder Sabotage und<br />
– Besitzerlangung von Kundendaten und -adressen.<br />
So fallen Jahr für Jahr auch deutsche Arbeitsplätze den Aktivitäten der<br />
Produktpiraterie und der Wirtschaftsspionage zum Opfer. Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel hat diese Themen schon mehrfach offen angesprochen.<br />
Ohne Gegensteuerung läuft Deutschland Gefahr, noch größeren Schaden<br />
zu nehmen.<br />
149
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Wenn bekannt ist, wie ein potenzieller Gegner denkt und agiert, um an<br />
Know-how zu gelangen, können Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.<br />
Folgende zentrale Methoden zur Ausspähung kommen in Deutschland zur<br />
Anwendung:<br />
– Auswertung offener wissenschaftlicher Informationen über Datenbanken,<br />
Produktbeschreibungen, Internet, Veröffentlichungen,<br />
Messe- und Veranstaltungsbesuche, Ausspähen von ausgestellten<br />
Maschinen auf Messen,<br />
– Gezielte persönliche Kontakte, Herstellung vertrauensvoller Beziehungen<br />
über Fachgespräche sowie Kontaktpfl ege über lange<br />
Zeiträume,<br />
– Bitten um Betreuung einer Delegation, wobei Delegationsmitglieder<br />
verbotswidrig aber gezielt Unterlagen oder Maschinen fotografi eren<br />
oder Datenträger „verschwinden“ lassen,<br />
– Mitarbeiter von Nachrichtendiensten werden als Praktikanten, Diplomanden,<br />
Doktoranden gezielt in deutsche Universitäten oder<br />
Unternehmen mit Hochtechnologie beziehungsweise mit „gewünschter<br />
Technologie“ eingeschleust,<br />
– Verpfl ichtung von Studenten, Ingenieuren und Wissenschaftlern<br />
der eigenen Nationalität, die in Deutschland leben und arbeiten,<br />
– Internetangriffe zur Ausspähung sensibler Daten.<br />
Bei allen Maßnahmen zum Schutz eines Unternehmens, seiner Produkte<br />
und des Know-how ist der wichtigste Faktor der Mensch selbst. Er stellt<br />
das entscheidende Glied in der Sicherheitskette dar. Alle technischen<br />
Maßnahmen und Sicherheitsregeln können nur dann greifen, wenn sie<br />
durch die Mitarbeiter akzeptiert und umgesetzt werden. Erfahrungen zeigen,<br />
dass etwa Zweidrittel aller Angriffe durch Firmenangehörige ausgeübt<br />
werden. Die Motive reichen von Unzufriedenheit, Geldgier oder überzogenem<br />
Selbstwertgefühl bis zu privaten wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />
oder Zukunftsängsten. Angehörige von Fremdfi rmen wie Reinigungspersonal<br />
oder Instandhaltungs- und Serviceunternehmen können ein weiterer<br />
Unsicherheitsfaktor sein.<br />
150
Moderne Industrie und Forschung brauchen Schutz<br />
Zur Prävention eines möglichen Informationsabfl usses sind Sicherheitskonzepte<br />
zwingend notwendig. Ein gutes Sicherheitskonzept hat an erster<br />
Stelle den Mitarbeiter im Blick. Ebenso kommt es auf die so genannten<br />
Kleinigkeiten an, die aber eine große Wirkung haben können. Hierzu zählt<br />
beispielsweise die Erstellung und Umsetzung eines IT-Sicherheitskonzepts.<br />
So können Kerninformationen des Unternehmens vor Ausspähung<br />
durch Dritte geschützt werden.<br />
Mögliche Anzeichen bereits erfolgter Ausspähung könnte der Verlust oder<br />
Diebstahl von Entwicklungsunterlagen, Software, Mustern, Zeichnungen<br />
oder sonstigen Datenträgern sein. Wenn sich ein Mitarbeiter in seinem<br />
Verhalten verändert hat und Auffälligkeiten wie besondere Neugier oder<br />
Inkompetenz deutlich werden, könnte dies ein Hinweis auf Informationsabfl<br />
uss sein. Auch ein unerklärlicher Rückgang von Aufträgen oder plötzlicher<br />
Kundenverlust sind kritisch zu hinterfragen.<br />
Der brandenburgische <strong>Verfassungsschutz</strong> ist für Unternehmen jederzeit<br />
ansprechbar und bietet Unterstützung an. Hierzu zählen:<br />
– allgemeine Beratungs- und Sensibilisierungsgespräche über die<br />
Gefahren der Wirtschaftsspionage,<br />
– Lagebilder über Erkenntnisse der Wirtschaftsspionage,<br />
– Analysen, warum bestimmte Unternehmen oder Produkte für den<br />
Abfl uss von Know-how interessant sind,<br />
– Kontakte zu anderen Institutionen und<br />
– Hilfe und Unterstützung bei konkretem Verdacht oder Schadensfall.<br />
151
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
152
<strong>Verfassungsschutz</strong> durch Aufklärung<br />
VERFASSUNGSSCHUTZ<br />
DURCH AUFKLÄRUNG<br />
In den vorherigen Kapiteln haben wir Schein und Sein der extremistischen<br />
Bestrebungen dargelegt. Extremisten haben das Ziel, Menschenrechte,<br />
Oppositionsfreiheit und Meinungsvielfalt abzuschaffen. Dagegen muss<br />
sich eine Demokratie wehren. Der beste Schutz der Verfassung ist deshalb<br />
der informierte Bürger. Hierzu trägt der <strong>Verfassungsschutz</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
bei, indem er Informationen über Feinde der Demokratie systematisch<br />
sammelt, auswertet und weitergibt.<br />
Adressaten dieser Informationen sind Polizei, Regierung und nicht zuletzt<br />
die Öffentlichkeit. Viele unserer rund 120 Verfassungsschützer nehmen<br />
Aufgaben in der Öffentlichkeitsarbeit wahr, indem sie in Vorträgen, Lagebildern<br />
und Hintergrundberichten über Bestrebungen gegen die freiheitliche<br />
demokratische Grundordnung informieren. Hierzu zählen nicht nur<br />
unterschiedlichste Veranstaltungen in Landkreisen, sondern beispielsweise<br />
auch Universitäten und Schulen. Diese aktive Präventionsarbeitarbeit<br />
ist für einen modernen Nachrichtendienst unverzichtbar. Und der Gesetzesauftrag<br />
sieht das auch so vor. Ein zentraler Kooperationspartner für<br />
ein konzeptionell abgestimmtes Vorgehen gegen Rechtsextremismus ist<br />
die Koordinierungsstelle der Landesregierung „Tolerantes <strong>Brandenburg</strong>“.<br />
Die Öffentlichkeit, die immer stärker auf das Informationsangebot des<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>es zurückgreift, ist so vielfältig wie die Gesellschaft in<br />
<strong>Brandenburg</strong> selbst: Schülerinnen und Schüler, Auszubildende, Lehrkräfte,<br />
Mitarbeiter in Jugendeinrichtungen, politische Gremien auf Landes- und<br />
Kommunalebene, Medien und andere Multiplikatoren, Justizvollzugsanstalten,<br />
Wirtschafts- und Unternehmerverbände etc. ließen sich im vergangenen<br />
Jahr von Mitarbeitern des <strong>Verfassungsschutz</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
über Rechts- und/oder Linksextremismus, Islamismus oder den Wirtschaftsschutz<br />
informieren.<br />
Einrichtungen und Verbände mit hohem sozialem Ansehen kommt eine<br />
Multiplikatorenrolle zu. Sie organisieren gemeinsam mit dem <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
Symposien, Schulungs- und Weiterbildungsangebote. Periodische<br />
Vorträge am Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) ermöglichen<br />
153
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Kontakte zwischen Lehrern, Fachleuten der Jugendarbeit und Verfassungsschützern.<br />
Besonders erfreulich ist, dass wir für ganz <strong>Brandenburg</strong><br />
eine regelmäßige Zusammenarbeit mit der Freiwilligen Feuerwehr ab<br />
2007 vereinbaren konnten. Diese Arbeit ist nun fester Bestandteil im Weiterbildungsprogramm<br />
an der Feuerwehrschule in Eisenhüttenstadt. Mitarbeiter<br />
des Referates „<strong>Verfassungsschutz</strong> durch Aufklärung“ diskutierten<br />
beispielsweise mit Jugendlichen im Pfi ngstlager der Jugendfeuerwehr in<br />
Spremberg.<br />
Der zentrale Auftrag der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde des Landes <strong>Brandenburg</strong><br />
ist der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Aufklärungsarbeit<br />
über den politischen Extremismus umfasst die Vermittlung<br />
des Schützenswerten: Das sind unsere demokratischen Werte, zusammengefasst<br />
im Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung,<br />
welche von Extremisten abgelehnt und bekämpft wird. Zu ihr zählen: Die<br />
Menschenrechte, das Recht des Volkes, die Volksvertretung frei zu wählen,<br />
die Bindung an Recht und Gesetz, Oppositionsfreiheit, die Ablösbarkeit<br />
der Regierung, die Unabhängigkeit der Gerichte und der Ausschluss<br />
jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (siehe Anlage: Gesetzestexte).<br />
Die aktive Präventionsarbeit setzt bei der<br />
Zusammenarbeit mit Schulen an. Um anschaulich<br />
zu machen, was mit der freiheitlichen<br />
demokratischen Grundordnung verbunden<br />
ist, bieten wir für Jugendliche ab<br />
dem 17. Lebensjahr ein vom <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> entwickeltes Planspiel<br />
mit dem Titel „Demokratie und Extremismus“<br />
an. Dieses Planspiel macht die<br />
Konfl ikte zwischen Demokratie und ihren<br />
Feinden erlebbar. Und es zeigt auf, dass<br />
es zu Rechtsstaat, Freiheit und Demokratie<br />
keine Alternative gibt. Das Spiel wurde im<br />
Jahr 2007 unter pädagogischer Anleitung<br />
durch <strong>Verfassungsschutz</strong>mitarbeiter gut<br />
zehn Mal mit großem Erfolg durchgeführt.<br />
Veranstaltungsorte waren beispielsweise<br />
Halbe, Königs Wusterhausen, Lübben,<br />
Werder, Goyatz und Zossen.<br />
154
<strong>Verfassungsschutz</strong> durch Aufklärung<br />
Damit Informationen breiter gestreut werden können, setzt der <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> in der Öffentlichkeitsarbeit zum einen auf seine<br />
Publikationen, zum anderen auf sein Info-Mobil. Letzteres ermöglicht es<br />
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Referats „<strong>Verfassungsschutz</strong><br />
durch Aufklärung“, auf Messen oder Veranstaltungen den direkten Kontakt<br />
mit den <strong>Brandenburg</strong>ern zu suchen. Das Info-Mobil war beispielsweise<br />
beim Präventionscup in Lübben, beim Radscharmützel in Bad Saarow und<br />
beim „Send-A-Sign“-Musikfestival in Halbe. Viele schätzen es, mit uns auf<br />
diesem Wege persönlich und direkt in Kontakt zu treten.<br />
Bei den Info-Ständen, wie auch zu den Veranstaltungen des <strong>Verfassungsschutz</strong>es<br />
<strong>Brandenburg</strong> führen wir immer unsere Informationsschriften für<br />
die Bürger mit. Zuallererst ist dies der jeweils aktuelle <strong>Verfassungsschutz</strong>bericht.<br />
Unsere Faltblattreihe „Feinde der Demokratie“ ist um den Bereich<br />
„Antisemiten“ erweitert und durch eine Neuaufl age der Blätter „Linksextremisten“,<br />
„Rechtsextremisten“ und „Hassmusiker“ aktualisiert worden.<br />
Sie dienen dem Zweck, allen Interessierten kurz und knapp darzustellen,<br />
welche Ziele Extremisten verfolgen und warum diese nicht mit der freiheitlichen<br />
demokratischen Grundordnung vereinbar sind.<br />
155
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
156
<strong>Verfassungsschutz</strong> durch Aufklärung<br />
Im November 2007 erschien eine überarbeitete Neuaufl age der von den<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>behörden <strong>Brandenburg</strong> und Berlin gemeinsam veröffentlichten<br />
Broschüre „Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus“.<br />
Darin werden verbotene Kennzeichen rechtsextremistischer Organisationen<br />
dargestellt und die gesetzlichen Grundlagen erörtert. Es fi nden<br />
sich ebenso legale Symbole und Mode-Labels, die in den rechtsextremistischen<br />
Jugendszenen beliebt sind. Mit dieser Broschüre richten wir uns<br />
besonders an Eltern, Lehrer, Jugendarbeiter, Streetworker und Polizisten.<br />
Schließlich müssen sie oft und schnell entscheiden, ob und wie sie vorgehen,<br />
wenn auffällige Symbole gezeigt werden. Die große Nachfrage nach<br />
der Broschüre bestätigt, wie sehr diese Informationen benötigt werden.<br />
Daher ist sie nun auch erstmals Bestandteil dieses <strong>Verfassungsschutz</strong>berichtes<br />
geworden (siehe Anlage: Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus).<br />
Der vorliegende <strong>Verfassungsschutz</strong>bericht 2007 sowie alle genannten<br />
Broschüren und Faltblätter stehen auf der seit 2006 barrierefrei gestalteten<br />
Homepage www.verfassungsschutz.brandenburg.de zur Verfügung.<br />
Zusätzlich wird dort regelmäßig über neueste Ereignisse im Extremismus<br />
oder neue Sichten dazu berichtet. Über die Homepage kann das Infomaterial<br />
auch bestellt werden.<br />
Der <strong>Verfassungsschutz</strong> nutzt zudem seine Website, um auf die eigenen<br />
Veranstaltungen und vielfältigen Angebote aufmerksam zu machen. Dazu<br />
gehörten 2007 die Symposien „Freiheit, Islam und Extremismus“ in Frankfurt<br />
(Oder) mit nahezu 300 Teilnehmern sowie „Antisemitismus - Gleichklang<br />
zwischen den Extremen“ in Potsdam mit rund 140 Teilnehmern.<br />
Im Jahr 2007 standen für die Aufgaben des <strong>Verfassungsschutz</strong>es 125 Planstellen<br />
zur Verfügung, 119 davon waren besetzt. Die Personalkosten beliefen<br />
sich auf 4.923.600 Euro. An sonstigen Haushaltsmitteln standen<br />
1.314.900 Euro zur Verfügung, davon wurden 1.311.281,49 ausgegeben<br />
Für das Jahr 2008 sind weitere vielfältige Aktivitäten geplant: Die Aufklärungsarbeit<br />
an Schulen, in der Feuerwehr und in der Wirtschaft soll intensiviert<br />
werden. Auch die Vernetzung mit Institutionen und Vereinen, die sich<br />
gegen Extremismus und für eine demokratische Kultur in <strong>Brandenburg</strong><br />
engagieren, wird ausgebaut. Ebenso folgen weitere Fachveranstaltungen,<br />
unter anderem zu den Themen Menschenrechte/Islamismus und rechtsextremistische<br />
Hooligans.<br />
157
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
158
Anhang<br />
ANHANG<br />
159
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
160
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Rechtsextremisten denken in rassistischen Kategorien von Über- und Unterordnung<br />
und drücken dies durch Symbole und Kennzeichen aus. In der<br />
Gruppe defi nieren Rechtsextremisten sich über ihre „Gemeinschaft“ und<br />
grenzen sich von anderen ab, die sie zu ihren „Feinden“ zählen. Durch<br />
Symbole werden Feindbilder und Gemeinschaftsgefühl gestärkt und in die<br />
Öffentlichkeit getragen. Vorbild ist die Symbolik des Nationalsozialismus.<br />
Es ist in Deutschland strafbar, Kennzeichen verbotener und ehemaliger nationalsozialistischer<br />
Organisation öffentlich zu zeigen. Deswegen suchen<br />
Rechtsextremisten nach Alternativen, um die Verbundenheit untereinander<br />
und ihre Ablehnung der Demokratie zum Ausdruck zu bringen. Dabei greifen<br />
sie auf Symbole, Codes und Modemarken zurück.<br />
Zeichen, die dem „Germanischen“ oder allgemein „Nordischen“ zugeordnet<br />
werden, sind zentral für die rechtsextremistische Symbolik. Die<br />
Runenschrift soll die angebliche Überlegenheit der „nordischen Rasse“<br />
demonstrieren. Die Frakturschrift wird als besonders „deutsche“ Schrift<br />
verstanden, obwohl gerade sie 1941 im „Dritten Reich“ als „Judenlettern“<br />
verboten wurde. Auch Zeichen aus internationalen rassistischen Zusammenhängen<br />
werden gebraucht, so etwa die „White Power“-Symbolik, welche<br />
bei US-amerikanischen Rassisten Anwendung fi ndet. Mittlerweile ist<br />
das ursprünglich in der „linken“ Protestkultur der 1980er Jahre verbreitete<br />
Palästinensertuch sogar bei Rechtsextremisten, besonders unter den „Autonomen<br />
Nationalisten“, ein sehr beliebtes Accessoire. Schließlich lassen<br />
sich darüber antisemitische Grundhaltungen zum Ausdruck bringen.<br />
Mittels der Symbolik erkennen Rechtsextremisten Gleichgesinnte und<br />
grenzen sich gleichzeitig von ihrer Umwelt ab. Dabei setzen sie auch auf<br />
Zahlencodes. Die als Gruß verwendete Zahl „14“ z. B. steht für die von USamerikanischen<br />
Rassisten verwendete, aus vierzehn Worten bestehende<br />
Formel „We must secure the existence of our people and a future for white<br />
children“ (Wir müssen den Bestand unseres Volkes und eine Zukunft für<br />
weiße Kinder sichern). Die „18“ steht für den ersten und achten Buchstaben<br />
im Alphabet (Adolf Hitler). „88“ wiederum signalisiert den verbotenen<br />
Gruß Heil Hitler. Symbolträchtig sind für Rechtsextremisten auch Daten:<br />
Der Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß oder der „Heldengedenktag“<br />
geben Rechtsextremisten immer wieder Anlass zu demonstrativen<br />
Aktionen.<br />
161
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
In geschlossenen Szeneveranstaltungen scheuen sich Rechtsextremisten<br />
wenig, verbotene oder strafbare Kennzeichen zu verwenden oder entsprechende<br />
Handlungen zu begehen. Das Zeigen des „Hitlergrußes“ oder auch<br />
das Brüllen von „Sieg Heil“ sind ritualisierte Bestandteile bei Skinheadkonzerten.<br />
In der Öffentlichkeit siegt hingegen regelmäßig die Angst vor<br />
Bestrafung über die politische Gesinnung. Rechtsextremisten versuchen<br />
öffentlich oft nur solche Symbole zu verwenden, die die Strafbarkeitsschwelle<br />
noch nicht überschreiten.<br />
Manche Kleiderlabel wie „LONSDALE“ haben eindeutig demonstriert, dass<br />
sie sich nicht mit ihrer rechtsextremistischen Kundschaft gemein machen.<br />
„LONSDALE“ war bei Rechtsextremisten beliebt, weil dieser Firmenname<br />
die Buchstaben NSDA und damit in ihren Augen eine Reminiszenz an die<br />
NSDAP enthält. Es gibt allerdings immer noch Markenbekleidung, die wenig<br />
Zweifel an der Gesinnung ihrer Hersteller und Träger aufkommen lässt:<br />
„CONSDAPLE“ etwa ist solch ein Kleiderlabel, das sich bei Rechtsextremisten<br />
richtiggehend anbiedert. Im Wort selbst befindet sich die Buchstabenfolge<br />
„NSDAP“.<br />
Das in Zeesen (Dahme-Spreewald) ansässige Unternehmen Mediatex<br />
GmbH produziert die bei Rechtsextremisten hoch im Kurs stehende Marke<br />
„Thor Steinar“. Das Sortiment der Firma Mediatex kann als Bedienung<br />
völkischer Symbolik in Farbgebung und Schrifttyp – etwa durch das Verwenden<br />
von Tarnfarben und -mustern oder gedruckten Schriftzügen in<br />
Runenschrift – verstanden werden. Auch gibt es Bekleidungsstücke mit<br />
militärischen Reminiszenzen. Hierzu zählt die ME 262 - ein in den letzten<br />
Monaten des Zweiten Weltkrieges als „Wunderwaffe“ angepriesenes<br />
Flugzeug.<br />
Das Tragen von „Thor Steinar“ dient als identitätsstiftendes Erkennungszeichen<br />
unter Rechtsextremisten. Nicht umsonst bezeichnet der einschlägig<br />
rechtsextremistisch bekannte Internet-Versandhandel „Rock-Nord“ die<br />
Käufer von „Thor Steinar“- Artikeln als „patriotische“ Kunden.<br />
162
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Die Mittel des Rechtsstaates können zwar rechtsextremistische Symbolik<br />
nicht völlig aus dem Licht der Öffentlichkeit verbannen. Allerdings sind Staat<br />
und Gesellschaft aufmerksam gegenüber einschlägigen Kennzeichen. Das<br />
zeigt sich auch am Verhalten der <strong>Brandenburg</strong>erinnen und <strong>Brandenburg</strong>er,<br />
die in ihrer ganz großen Mehrheit keine rechtsextremistischen Zeichen und<br />
Symbole dulden und zur Anzeige bringen. Die Strafverfolgung tut ihr Übriges.<br />
Dies nimmt Rechtsextremisten öffentlichen Raum und Aufmerksamkeit<br />
und dient damit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.<br />
Unter den Straftaten, die aus einer rechtsextremistischen Motivation heraus<br />
begangen werden, ragen in der Statistik regelmäßig die so genannten<br />
Propagandadelikte heraus. Bundesweit, wie auch in <strong>Brandenburg</strong>, machen<br />
sie über die Hälfte aller rechtsextremistischen Straftaten aus.<br />
Das nun folgende Kapitel soll Hinweise für die öffentliche Auseinandersetzung<br />
mit dem Rechtsextremismus und seinen Kennzeichen und Symbolen<br />
geben.<br />
Gesetzliche Grundlagen<br />
Unter den strafrechtlich erfassten so genannten Propagandadelikten versteht<br />
man die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger<br />
Organisationen (§ 86 Strafgesetzbuch – StGB) und das Verwenden von<br />
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB). Bundesweit<br />
machen sie den größten Anteil der rechtsextremistischen Delikte<br />
aus.<br />
§ 86 Strafgesetzbuch (Gesetzestext)<br />
(1) Wer Propagandamittel<br />
1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten<br />
Partei oder einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt<br />
ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist,<br />
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen<br />
die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung<br />
richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist,<br />
daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,<br />
3. einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen<br />
Geltungsbereichs dieses Gesetzes, die für die Zwecke einer der<br />
163
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen<br />
tätig ist, oder<br />
4. Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen<br />
einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen,<br />
im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt,<br />
vorrätig hält, einführt oder ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich<br />
macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe<br />
bestraft.<br />
(2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften<br />
(§ 11 Abs. 3 StGB), deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet<br />
ist.<br />
(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der<br />
staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen,<br />
der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der<br />
Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder<br />
der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.<br />
(4) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach<br />
dieser Vorschrift absehen.<br />
Das Gesetz nennt zwar nur den Begriff „Schriften“, hierzu zählen nach § 11<br />
Abs. 3 StGB jedoch auch:<br />
Tonträger: z. B. CDs, Magnetbänder, -kassetten und -platten, Schallplatten<br />
und Walzen;<br />
Bildträger: z. B. Videos, DVDs, CD-ROMs;<br />
Abbildungen: unmittelbar durch Gesichts- oder Tastsinn wahrnehmbare<br />
Wiedergaben der Außenwelt, vor allem Fotos, Dias und in der<br />
Regel auch Filme;<br />
Darstellungen: jedes Gebilde von gewisser Dauer, das sinnlich wahrnehmbar<br />
Vorstellungen oder Gedanken ausdrückt, z. B. abstrakte Bilder,<br />
Plastiken, Datenträger, Bildschirmtexte aber auch Kennzeichen.<br />
Verwenden bedeutet jeden Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder<br />
akustisch wahrnehmbar macht, also insbesondere das Tragen, Zeigen,<br />
164
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Ausstellen, Vorführen, Vorspielen, Ausrufen, Veröffentlichen auf Webseiten.<br />
Vorrätig halten ist der Besitz zu einem bestimmten Verwendungszweck.<br />
Es genügen einzelne Stücke, die zur freien Verfügung stehen. Der Täter<br />
muss über den Absatz zumindest bestimmen können. Zu beachten ist: Die<br />
reine Lagerung ist für die Erfüllung eines Straftatbestands nicht ausreichend.<br />
Verbreiten umfasst das öffentliche Zugänglichmachen beziehungsweise<br />
die Weitergabe an eine größere, nicht mehr kontrollierbare Zahl von Personen.<br />
Auch die Weitergabe an eine einzelne Person kann bereits Verbreiten<br />
im Sinne des Gesetzes sein, wenn es von der Vorstellung getragen ist,<br />
dass die Sache von dieser Person weiteren Personen zugänglich gemacht<br />
wird.<br />
Vorkonstitutionelle, das heißt vor Inkrafttreten<br />
des Grundgesetzes 1949 entstandene Schriften<br />
(und andere Propagandamittel), z. B. das 1923<br />
von Adolf Hitler diktierte programmatische Buch<br />
des Nationalsozialismus „Mein Kampf“, stellen in<br />
erhalten gebliebenen historischen Exemplaren<br />
einen Sonderfall dar: Sie fallen nicht unter § 86<br />
StGB. Dennoch ist etwa die unveränderte Neuaufl<br />
age von „Mein Kampf“ in Deutschland nicht<br />
erlaubt. Der Freistaat Bayern besitzt zum Teil die<br />
Urheberrechte und gestattet keinen Nachdruck.<br />
Die Herstellung und Verbreitung der Schrift ist<br />
eine Straftat nach dem Urheberrecht.<br />
§ 86 a Strafgesetzbuch (Gesetzestext)<br />
(1) (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft,<br />
wer<br />
2. Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten,<br />
zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in<br />
Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt<br />
oder ausführt.<br />
(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen,<br />
Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 ge-<br />
165
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
nannten Kennzeichen K i h stehen h solche l h gleich, l i h die di ihnen ih zum Verwechseln<br />
V h l<br />
ähnlich sind.<br />
(3) § 86 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.<br />
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sind oftmals ohne besondere<br />
Fachkenntnisse erkennbar. Vor allem aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />
ist eine Vielzahl von Beispielen bekannt. Für diese Epoche<br />
und das uneingeschränkte Bekenntnis zum damaligen Unrechtsregime<br />
sind insbesondere die Verwendung von Hakenkreuz oder „Sig“-Rune charakteristisch.<br />
Parteiabzeichen der NSDAP Doppelte „Sig“-Rune der SS<br />
Allerdings bezieht sich § 86 a StGB nicht nur auf Kennzeichen aus der Zeit<br />
des Nationalsozialismus. Auch Kennzeichen von neonazistischen Organisationen,<br />
die erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und sich oft<br />
der Symbolik des Nationalsozialismus in abgewandelter Form bedienen,<br />
sind nach § 86 a StGB strafrechtlich relevant. Nach dem Verbot einer Organisation<br />
dürfen auch deren Kennzeichen nicht mehr verwendet werden.<br />
Durch ihr nur begrenztes Erscheinen in der Öffentlichkeit sind diese im<br />
Gegensatz zum Hakenkreuz und der „Sig“-Rune jedoch weit weniger im<br />
öffentlichen Bewusstsein präsent und werden oft nicht sofort mit einem<br />
extremistischen Hintergrund verbunden.<br />
Hinzu kommen nicht durch das Strafrecht erfasste, vergleichsweise neue<br />
und in vielen Fällen verschlüsselte Symbole und Parolen der rechtsextremistischen<br />
und neonazistischen Szene, die nur deren Angehörigen selbst<br />
oder dem geschulten Beobachter die Verbindung zum Rechtsextremismus<br />
zeigen. Gleichwohl verrät der Benutzer damit einen bestimmten ideologischen<br />
Standort.<br />
166
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Sozialadäquanzklausel<br />
§ 86 Abs. 3 und § 86 a Abs. 3 StGB enthalten eine so genannte Sozialadäquanzklausel,<br />
d. h. die Verbote gelten nicht für bestimmte Verwendungen<br />
von Kennzeichen in den Bereichen der Wissenschaft und Lehre, der Kunst<br />
oder der staatsbürgerlichen Aufklärung, wie auch im Fall dieser Veröffentlichung.<br />
Gleichermaßen ist auch das Verwenden von Kennzeichen nicht<br />
strafbar, aus denen der unbefangene Beobachter eine Ablehnung der NS-<br />
Ideologie erkennen kann. Beispielhaft dafür sind folgende Darstellungen<br />
– hier wird das Hakenkreuz abgebildet, um z. B. gegen die Veröffentlichung<br />
rechtsextremistischer Zeitungen zu protestieren.<br />
Beispiele für die Verwendung des Hakenkreuzes<br />
gemäß der Sozialadäquanzklausel<br />
Ebenfalls erlaubt ist die Verwendung des Hakenkreuzes in durchgestrichener<br />
Form. Der Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, dass der Gebrauch<br />
des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation nicht<br />
von § 86 a StGB erfasst wird, wenn der Inhalt der Darstellung in offenkundiger<br />
und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die<br />
Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt. 1<br />
1 Vgl. Urteil des BHG vom 15. März 2007, Az.: 3 StR 486/06<br />
167
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Symbole und Kennzeichen<br />
Hakenkreuz<br />
Das Hakenkreuz als wohl bekanntestes, untrennbar<br />
mit dem Nationalsozialismus verbundenes<br />
Kennzeichen, war keine Erfi ndung Hitlers. Bereits<br />
in frühgeschichtlicher Zeit war es in verschiedenen<br />
Kulturen, z. B. in China und Indien,<br />
als ein vermutlich der Sonnenscheibe nachgebildetes<br />
Schmuckornament verbreitet. Als Identifi<br />
kationszeichen für eine bestimmte Gruppierung<br />
wurde es im deutschsprachigen Raum in der Neuzeit erstmalig von „Turnvater“<br />
Jahn verwendet, indem er sein Motto „Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei“<br />
in Hakenkreuzform schrieb. Das 1907 als offi zielles Symbol des deutschen<br />
Turnerbundes verwendete Hakenkreuz wurde auch von der nicht extremistischen<br />
„Wandervogelbewegung“ übernommen. Die „Wandervögel“ hatten<br />
es sich u. a. zum Ziel gesetzt, die jugendlichen Großstädter mit Fahrten<br />
und Zeltlagern zurück in die Natur zu führen.<br />
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der allgemeinen Mobilmachung<br />
führten junge Rekruten aus der „Wandervogelbewegung“ ihr Kennzeichen<br />
in das kaiserliche Heer ein. Einige der sich nach Kriegsende formierenden<br />
Freikorps verwendeten das Hakenkreuz auf ihren Fahnen weiter.<br />
Inspiriert durch ideologische Vordenker, die dem Hakenkreuz eine völkische<br />
und antisemitische, die „arische Herrenrasse“ symbolisierende<br />
Bedeutung gegeben hatten, wählte Adolf Hitler das Zeichen zum Symbol<br />
„seiner“ Bewegung. Zum Kennzeichen der „Nationalsozialistischen Deutschen<br />
Arbeiterpartei“ (NSDAP) wurde das Hakenkreuz am 7. August 1920<br />
auf der „Salzburger Tagung“ bestimmt.<br />
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erhob der<br />
„Führer“ und Reichskanzler Adolf Hitler das ursprüngliche Parteikennzeichen<br />
am 5. November 1935 zum Hoheitszeichen des Deutschen Reiches<br />
(„Reichsfl aggengesetz“). Als Reichsadler mit Hakenkreuz symbolisierte es<br />
die Einheit von Partei und Staat. Hintergrund war die weitgehende Verquickung<br />
von staatlichen Funktionen mit Parteifunktionen im nationalsozialistischen<br />
Regime. Eine exakte Trennung von Hoheitszeichen und Parteisymbolen<br />
ist daher rückblickend nicht immer möglich.<br />
168
Flaggen<br />
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Die von 1935 bis 1945 verwendete<br />
Reichskriegsfl agge des „Dritten Reiches“<br />
ist heute verboten. Auf der Suche<br />
nach einem Ersatz nutzen Rechtsextremisten<br />
bei ihren Aufmärschen oft<br />
Flaggen anderer Epochen, die nicht mit<br />
dem nationalsozialistischen Regime und<br />
seiner Ideologie verbunden sind.<br />
Insbesondere die Flagge des Norddeutschen Bundes und des deutschen<br />
Kaiserreiches sowie die Fahne der Reichswehr ab 1933 – vor der Bildung<br />
der Deutschen Wehrmacht 1935 und noch ohne Hakenkreuz – dienen<br />
häufi g als Ersatzsymbole.<br />
1867 – 1921<br />
Diese Fahne wurde 1867 vom Norddeutschen<br />
Bund zur Flagge der Kriegs- und<br />
Handelsmarine bestimmt und 1892 zur<br />
Kriegsfl agge des Deutschen Reiches<br />
erhoben.<br />
1922 – 1933<br />
Reichskriegsfl agge der Weimarer Republik<br />
1933 – 1935<br />
Fahne der Reichswehr<br />
169
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Eine Straftat ist die Verwendung dieser historischen Flaggen nicht. Da aber<br />
Rechtsextremisten diese Flaggen immer wieder bei Aufmärschen mitführen,<br />
werden sie kaum noch als Teil der Traditionspfl ege, sondern eher als<br />
Ausdruck einer politischen Gesinnung verstanden.<br />
Deshalb weisen in manchen Bundesländern, so auch in <strong>Brandenburg</strong>, Erlasse<br />
der Innenministerien die Polizei an, „das Zeigen oder Verwenden<br />
der Reichskriegsfl agge aus der Zeit vor 1933 in der Öffentlichkeit zu unterbinden<br />
und die Flagge [...] sicherzustellen“. Die öffentliche Verwendung<br />
der Flagge kann in diesem Kontext als „Verstoß gegen die öffentliche Ordnung“<br />
gewertet werden.<br />
In dem <strong>Brandenburg</strong>er Erlass vom August 1993 heißt es, dass die Flaggen<br />
als „ein Symbol neofaschistischer Anschauungen oder der Ausländerfeindlichkeit“<br />
einzustufen sind. Rechtsextremistische Gruppierungen benutzten<br />
sie als verbindendes Kennzeichen, weil sie glaubten, so die Bestimmungen<br />
des § 86 a StGB umgehen zu können.<br />
In Berlin wird das Zeigen oder Verwenden der (Kriegs-) Flagge des Norddeutschen<br />
Bundes in der Öffentlichkeit als Verstoß gegen die öffentliche<br />
Sicherheit und Ordnung im Sinne des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz<br />
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Berlin (ASOG) gewertet. Dies<br />
kann unterbunden und die Flagge gegebenenfalls sichergestellt werden.<br />
Schriftzeichen<br />
Runen sind die ältesten germanischen Schriftzeichen. Sie stellten jedoch<br />
keine Schrift im eigentlichen Sinne dar, sondern dienten vor allem Priestern<br />
zu magischen und kultischen Zwecken. Mit der völkischen Verklärung<br />
des Germanentums entdeckten die Nationalsozialisten die von der<br />
lateinischen Schrift verdrängten Runen neu und sahen in diesen Zeichen<br />
einen wichtigen Bestandteil der „arischen Kultur“.<br />
Das „Runenalphabet“ (nach der ersten Buchstabenreihe „Futhark“ genannt)<br />
unterlag im Laufe der Zeit Veränderungen, was sowohl die Anzahl<br />
der Zeichen als auch ihre Form und Benennung betraf.<br />
170
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
„Runenalphabet“<br />
Unter der Vielzahl überlieferter Runen aus germanischer<br />
Zeit wurden jedoch nur wenige tatsächlich im Nationalsozialismus<br />
verwendet und instrumentalisiert. Am bekanntesten<br />
ist die „Sig“-Rune als Kennzeichen des „Deutschen Jungvolks“<br />
(DJ) und – als doppelte „Sig“-Rune – auch Kennzeichen<br />
der „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP. Der Ursprung der<br />
„Sig“-Rune ist umstritten, wahrscheinlich entspricht sie der<br />
„Sowulo“-Rune (auch „Sol“-Rune genannt) als Symbol für „Sig“-Rune<br />
die Sonne. Die SS verwendete die doppelte „Sig“-Rune in<br />
ihrem Abzeichen und machte sich damit die aggressive dynamische Form<br />
(Blitz) und die Assoziation mit dem Wort „Sieg“ zu Eigen.<br />
In der heutigen Zeit verwenden Rechtsextremisten neben der „Sig“-Rune<br />
vor allem noch die „Odal“- („Othila“) sowie die „Lebens“- bzw. „Todes“-<br />
Rune („Algiz“). „Lebens“- und „Todes“-Rune dienen ihnen oft zur Kennzeichnung<br />
entsprechender Geburts- und Todesdaten.<br />
„Lebens“-Rune „Odal“-Rune „Todes“-Rune<br />
171
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Hinzu kommen Symbole, die aus ursprünglichen Runen abgeleitet worden<br />
sind, z. B. die so genannten Wolfsangeln.<br />
Der seit September 2000 verbotene Personenzusammenschluss<br />
„Blood & Honour“ verwendete insbesondere<br />
eine an ein abgewandeltes, dreiarmiges Hakenkreuz<br />
erinnernde Triskele. Eine Strafbarkeit der Verwendung<br />
dieser Zeichen ist allerdings<br />
nur dann gegeben,<br />
wenn sie bei<br />
einem unbefangenen<br />
Dritten den Eindruck<br />
erwecken, es handele sich um Erkennungszeichen einer verbotenen Organisation.<br />
Rechtsextremisten gebrauchen darüber hinaus häufi g eine den Runen<br />
ähnelnde Schriftform, um so den heidnisch-germanischen Ursprung des<br />
deutschen Volkes zu betonen und eine Traditionslinie zu ihrem eigenen<br />
vermeintlichen Germanentum zu ziehen.<br />
Runenähnliche Schrift und Odalrune -<br />
hier in Verbindung mit der verbotenen Wiking-Jugend<br />
Eine weitere heute mitunter in rechtsextremistischen Kreisen gebräuchliche<br />
Schriftform ist die Frakturschrift. Diese Schriftart war vom 16. bis zum<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum üblich.<br />
172
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Grußformen, Parolen und Losungen<br />
Während Symbole und Kennzeichen als optische Erkennungszeichen<br />
der nationalsozialistischen Ideologie unter das Strafrecht fallen, sind bestimmte<br />
Grußformen, Parolen und Lieder vor allem wegen ihrer Inhalte und<br />
ihrer Verwendung in der Zeit des „Dritten Reiches“ als Ausdruck besonderer<br />
Systemnähe heute verboten.<br />
Zu derartigen Grußformen gehören:<br />
„Heil Hitler“,<br />
„Sieg Heil“,<br />
„Sieg und Heil für Deutschland“,<br />
„Mit Deutschem Gruß“ (u. a. als Schlussformel für Briefe).<br />
Zu den Grußformen des Nationalsozialismus ist als charakteristische Geste<br />
auch der so genannte „Deutsche Gruß“ bzw. „Hitlergruß“ zu rechnen.<br />
Der „Deutsche Gruß“ bzw. „Hitlergruß“ ist ein Verstoß gegen § 86 a StGB.<br />
Die deutsche Neonazi-Szene verwendete seit den 1970er Jahren eine<br />
durch Michael Kühnen2 initiierte Abwandlung des „Deutschen Grußes“,<br />
den so genannten „Widerstandsgruß“ bzw. „Kühnengruß“. Hierbei sind bei<br />
erhobenem und ausgestrecktem rechten Arm Daumen, Zeige- und Mittelfi<br />
nger der Hand von einer Faust abgespreizt, wobei sie praktisch ein „W“<br />
bilden. Diese Grußform ist ebenfalls strafbar.<br />
Rechtsextremistische Bands zeigen bei ihren Auftritten häufi g den „Hitlergruß“<br />
und animieren auch das Publikum dazu. Zusammen mit einschlägigen<br />
Texten ist das ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus.<br />
„Deutscher Gruß“ oder „Hitlergruß“<br />
2 Michael Kühnen (1955 - 1991) war ein führender Kpof der Neonazi-Szene und<br />
Organisationsleiter der 1983 verbotenen „Aktionsfront Nationaler Sozialisten /<br />
Nationaler Aktivisten“ (ANS / NA).<br />
173<br />
„Widerstands-“ oder „Kühnengruß“
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Verbotene Losungen des „Dritten Reiches“ sind:<br />
„Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ (allgemeine Losung des „Dritten Reiches“),<br />
„Deutschland erwache“ (Losung der SA),<br />
„Meine / Unsere Ehre heißt Treue“ (Losung der SS),<br />
„Blut und Ehre“ (Losung der Hitlerjugend).<br />
Die im Rahmen rechtsextremistischer Proteste gegen die Wehrmachtsausstellung<br />
im Jahr 1999 aufgekommene Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-<br />
SS“ war in ihrer strafrechtlichen Relevanz umstritten. Sie wurde zunächst<br />
als Verstoß gegen § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB angesehen. Der Bundesgerichtshof<br />
hat diese Rechtsauffassung nicht bestätigt. Jedoch kommt eine<br />
Strafbarkeit nach § 130 Abs. 4 StGB in Betracht, wenn öffentlich oder in<br />
einer Versammlung der öffentliche Friede in einer die Würde der Opfer verletzenden<br />
Weise dadurch gestört wird, dass die nationalsozialistische Gewalt-<br />
und Willkürherrschaft gebilligt, gerechtfertigt oder verherrlicht wird.<br />
Codes<br />
Darüber hinaus verwendet die rechtsextremistische Szene häufi g interne,<br />
aus Zahlen- oder Buchstabenkombinationen bestehende Codes:<br />
14 Words ist die Abkürzung der Parole des amerikanischen Neonazi-<br />
Führers David Lane („American Nazi Party“) „We must secure<br />
the existence of our people and a future for white children“ –<br />
von deutschen Rechtsextremisten übernommen: „Wir müssen<br />
den Erhalt unserer Rasse sichern und eine Zukunft für weiße<br />
Kinder“.<br />
168 : 1 bezieht sich auf das Bombenattentat des amerikanischen<br />
Rechtsextremisten Timothy Mc Veigh auf ein Regierungsgebäude<br />
in Oklahoma City im Jahr 1995, bei dem 168 Menschen<br />
getötet wurden. Mc Veigh wurde zum Tode verurteilt und 2001<br />
hingerichtet.<br />
ZOG bedeutet „Zionist Occupied Government“ („zionistisch okkupierte<br />
Regierung“).<br />
WAR bedeutet „White Arian Resistance“ („weißer arischer Widerstand“).<br />
174
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
18 steht für den ersten („A“) und achten („H“) Buchstaben des Alphabets<br />
– als Abkürzung für „Adolf Hitler“.<br />
28 steht für den zweiten („B“) und achten („H“) Buchstaben des<br />
Alphabets – als Abkürzung für die in Deutschland verbotene<br />
Organisation „Blood & Honour“ (B & H).<br />
88 steht für den achten („H“) Buchstaben des Alphabets – als Abkürzung<br />
für „Heil Hitler“.<br />
Auch die Zahlenkombination „14 / 88“ ist eine häufi g gebrauchte, rechtsextremistische<br />
Grußformel mit der oben genannten Bedeutung. Auf diese<br />
Weise lässt sich jede Aussage verschlüsseln.<br />
Bekleidung<br />
Aktionsorientierte Rechtsextremisten haben in der Vergangenheit ihre<br />
Gesinnung häufi g durch ein nahezu uniformiertes Erscheinungsbild zum<br />
Ausdruck gebracht. Dieses Aussehen orientierte sich vor allem an der an<br />
sich ursprünglich nicht rechtsextremistischen Subkultur der Skinheads:<br />
So genannte Bomberjacken, Kampfstiefel und kurzrasierte Haare prägen<br />
auch heute noch das mediale Bild vom Rechtsextremismus. Allerdings haben<br />
sich die modischen Stile des Rechtsextremismus stark verändert und<br />
bieten kein eindeutiges Zuweisungsmerkmal mehr. Zum einen ist der Skinhead-Stil<br />
auch bei nicht rechtsextremistischen Jugendlichen anzutreffen.<br />
Zum anderen vermeiden Rechtsextremisten zunehmend ein martialisches,<br />
uniformiertes Auftreten und orientieren sich in der Öffentlichkeit eher an<br />
der Mainstream-Jugendkultur oder kopieren sogar Formen des Auftretens<br />
der linksextremistischen Autonomen-Szene. Im aktionsorientierten<br />
Rechtsextremismus werden Marken wie „LONSDALE“, „CONSDAPLE“<br />
und „Thor Steinar“ aber auch „Masterrace“ („Herrenrasse“) oder „Rizist“<br />
(für „Widerstand“) getragen.<br />
„LONSDALE“<br />
Beim Tragen unter der geöffneten Jacke sind die Buchstaben<br />
„NSDA“ zu erkennen. Es handelt sich aber um<br />
einen weitverbreiteten Sportartikelhersteller, der sich<br />
von dem Missbrauch seiner Produkte ausdrücklich<br />
distanziert und in Kampagnen gegen Rassismus engagiert.<br />
175
„CONSDAPLE“<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Auch bei „CONSDAPLE“ ist die Sichtbarkeit der Buchstaben<br />
„NSDAP“ das ausschlaggebende Element. Das<br />
Label dürfte im Gegensatz zu „LONSDALE“ gezielt für einen<br />
Absatz unter Rechtsextremisten kreiert worden sein,<br />
da es ausschließlich in entsprechenden Szeneläden oder<br />
im einschlägigen Versandhandel erhältlich ist.<br />
„Thor Steinar“<br />
Die ursprünglich norwegische, seit einigen Jahren in Zeesen (<strong>Brandenburg</strong>)<br />
produzierte Marke „Thor Steinar“ betont einen nordischen Hintergrund.<br />
„Thor Steinar“ verwendete zunächst ein aus zwei Runen zusammengesetztes,<br />
bei Rechtsextremisten<br />
beliebtes Logo. Dieses Logo wird<br />
von der Rechtssprechung in Berlin<br />
und <strong>Brandenburg</strong> sowie in anderen<br />
Bundesländern nicht als strafbar angesehen.<br />
Seit Anfang 2005 gebraucht<br />
die Firma ein strafrechtlich neutrales alt neu<br />
Logo.<br />
Immer seltener tragen Rechtsextremisten Aufnäher<br />
mit Losungen wie „Ich bin stolz ein Deutscher<br />
zu sein“ oder die so genannten „Gaudreiecke“,<br />
die sich an Kennzeichen der Hitlerjugend orientieren<br />
und der regionalen Zuordnung des Trägers<br />
dienen.<br />
Die öffentliche Verwendung von „Gaudreiecken“<br />
ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs<br />
gemäß § 86 a StGB strafbar, da sie unabhängig<br />
davon, ob sie mit den von der Hitlerjugend verwendeten<br />
Abzeichen im Detail übereinstimmen,<br />
mit diesen zumindest<br />
verwechselbar sind. Zudem vermitteln<br />
sie ihren Trägern die gleichen Symbolwerte<br />
und erfüllen eine wichtige gruppeninterne<br />
Funktion als sichtbares<br />
Symbol geteilter Überzeugungen.<br />
176
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Rechtsextremistische Musik<br />
Einen besonderen Fall rechtsextremistischer Symbolik stellt die Szene-<br />
Musik als gemeinschaftsbildendes Erkennungszeichen dar. Unter rechtsextremistischer<br />
Musik versteht man die Kombination rechtsextremistischer<br />
Texte mit verschiedenen Musikstilen (u. a. Rock / Hardrock, „Hatecore“,<br />
Heavy Metal, Gothic, Dark Wave, Schlager, Rockabilly, Volkslieder). Die<br />
Aufzählung zeigt, dass rechtsextremistische Musik nicht mit einem Musikstil<br />
verbunden ist, sondern ganz unterschiedlich klingen kann. Entscheidend<br />
für die Bewertung sind die Textinhalte.<br />
Musik des „Dritten Reichs“<br />
Die Zeit des Nationalsozialismus brachte eine Vielzahl von Kampf- und Propagandaliedern<br />
hervor, die insbesondere zur Verherrlichung des Systems<br />
und seiner Organisationen dienten. An erster Stelle ist das so genannte<br />
„Horst-Wessel-Lied“ („Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen ...“) zu<br />
nennen, das während der NS-Diktatur zu einer zweiten Nationalhymne bestimmt<br />
worden war. Das Absingen oder -spielen dieses Liedes verwirklicht<br />
wegen seiner deutlichen Übereinstimmung mit der Ideologie des Nationalsozialismus<br />
einen Straftatbestand.<br />
Weitere mit der nationalsozialistischen Ideologie eng verknüpfte und daher<br />
unter den § 86 a StGB fallende Lieder sind beispielsweise:<br />
„Vorwärts! Vorwärts!“ („Unsre Fahne fl attert uns voran“) und<br />
„Ein junges Volk steht auf“ (Lieder der Hitlerjugend),<br />
„Sturm, Sturm, Sturm“ (Liedgut der NSDAP),<br />
„Brüder in Zechen und Gruben“ (Kampfl ied der NSDAP),<br />
„Siehst Du im Osten das Morgenrot“ (NSDAP-Liedgut),<br />
„Es stehet in Deutschland“ (Kampfl ied der SA),<br />
„Wir sind die Sturmkolonnen ... es lebe Adolf Hitler“ (SA-Liedgut).<br />
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat 1987 entschieden, dass ein Straftatbestand<br />
auch dann gegeben ist, wenn ein Lied ohne oder mit anderem<br />
Text gespielt wird: „Gerade die Melodie macht Symbolkraft aus“ 3 . Allerdings<br />
haben Nationalsozialisten vor allem in den 1920er Jahren einige Melodien<br />
von Arbeitervolksliedern übernommen und deren Texte geringfügig, aber<br />
an entscheidenden Stellen verändert. Deshalb sind bei der Beurteilung von<br />
Liedern, erst recht von einzelnen Melodien, immer die konkreten Umstände<br />
sowie die erkennbare Zielrichtung zu berücksichtigen.<br />
3 Urteil des OLG Oldenburg vom 5.10.1987, Az.: 1 Ss 481/87<br />
177
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Verbotene Personenzusammenschlüsse<br />
Bundesweit wurden seit 1951 mehr als 100 rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse,<br />
die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung<br />
richteten, verboten.<br />
Zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung hat der Gesetzgeber u. a.<br />
folgende Instrumente vorgesehen:<br />
Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (verbotene Vereinigungen),<br />
Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (Verfassungswidrigkeit und Verbot von Parteien),<br />
§ 32 Parteiengesetz (Vollstreckung eines Parteiverbotes),<br />
§ 3 Vereinsgesetz (Vereinsverbot).<br />
Weil ein Partei- oder Vereinsverbot in einer von Meinungsvielfalt und der<br />
Achtung der Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen geprägten Gesellschaft<br />
nur letztes Abwehrinstrument sein kann, muss vor einem Verbot die<br />
Verfassungsfeindlichkeit des Personenzusammenschlusses ausdrücklich<br />
nachgewiesen werden. Ein Verbot einer Partei kann nur das Bundesverfassungsgericht<br />
aussprechen. Vereine können dagegen durch Verfügung<br />
des Bundesinnenministers und bei ausschließlich regionalen Aktivitäten<br />
durch den Innenminister oder -senator des jeweiligen Bundeslandes verboten<br />
werden.<br />
Voraussetzung für ein Verbot ist eine aggressiv-kämpferische Tätigkeit<br />
gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Dabei kommt es nicht auf die<br />
Erfolgsaussichten an. Diese Zielrichtung ist insbesondere dann zu unterstellen,<br />
wenn eine Vereinigung in programmatischer Ausrichtung, Vorstellungswelt<br />
und Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus<br />
aufweist.<br />
Die nachstehend aufgeführten, rechtsextremistischen Personenzusammenschlüsse<br />
wurden durch den Bundesminister des Innern oder den Innenminister<br />
eines Bundeslandes nach dem Vereinsrecht verboten.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> wurden bisher fünf rechtsextremistische Organisationen<br />
verboten: Kameradschaft Schutzbund Deutschland (2006), Alternative Nationale<br />
Strausberger Dart Oiercing und Tattoo Offensive (ANSDAPO), Kameradschaft<br />
Hauptvolk und deren Untergliederung Sturm 27 (beide 2005),<br />
Kameradschaft Oberhavel (1997), Direkte Aktion / Mitteldeutschland (JF)<br />
(1995).<br />
178
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Ausgewählte verbotene Personenzusammenschlüsse /<br />
Verbotsland (ab 1982)<br />
179<br />
Jahr<br />
Volkssozialistische Bewegung Deutschlands (VSBD) / Bund 1982<br />
Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANSNA)<br />
/ Bund<br />
1983<br />
Nationale Sammlung (NS) / Bund 1989<br />
Nationalistische Front (NF) / Bund 1992<br />
Deutsche Alternative (DA) / Bund 1992<br />
Nationale Offensive (NO) / Bund 1992<br />
Nationaler Block (NB) / Bayern 1993<br />
Heimattreue Vereinigung Deutschlands (HVD) / BW 1993<br />
Freundeskreis Freiheit für Deutschland (FFD) / NRW 1993<br />
Wiking-Jugend e. V. (WJ) / Bund 1994<br />
Nationale Liste (NL) / Hamburg 1995<br />
Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) / Bund 1995<br />
Direkte Aktion / Mitteldeutschland (JF) / BB 1995<br />
Kameradschaft Oberhavel / BB 1997<br />
Hetendorfer Vereine / Niedersachsen 1998<br />
Hamburger Sturm / Hamburg 2000<br />
Blood & Honour – Division Deutschland (B & H)<br />
einschl. White Youth (WY) / Bund<br />
2000<br />
Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) / Sachsen 2001<br />
Fränkische Aktionsfront (FAF) / Bayern 2004<br />
Kameradschaft Tor Berlin einschl. Mädelgruppe / Berlin 2005<br />
Berliner Alternative Süd-Ost (BASO) / Berlin 2005<br />
Kameradschaft Hauptvolk und Untergliederung Sturm 27 / BB 2005<br />
Alternative Nationale Strausberger Dart Piercing und Tattoo Offensive<br />
(ANSDAPO) / BB<br />
2005<br />
Kameradschaft Schutzbund Deutschland / BB 2006<br />
Kameradschaft Sturm 34 / Sachsen 2007
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Kennzeichen verbotener Personenzusammenschlüsse<br />
„Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit“ (VSBD / PDA)<br />
Das Keltenkreuz war Symbol der VSBD. Deren Verbot im Jahre 1982 beinhaltete<br />
auch das Verbot des Keltenkreuzes in der von dieser Organisation<br />
verwendeten Form. Eine „isolierte“ Verwendung des Keltenkreuzes ist nur<br />
dann strafbar, wenn weitere konkrete Umstände auf die VSBD hinweisen.<br />
„Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS)<br />
negatives Hakenkreuz „Sig“-Rune mit angesetzten Spitzen<br />
„Nationale Sammlung“ (ANS- Ersatzorganisation)<br />
180
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
„Nationalistische Front“ (NF)<br />
„Deutsche Alternative“ (DA)<br />
„Nationale Offensive“ (NO) Nationaler Block (NB)<br />
„Wiking-Jugend“ (WJ)<br />
Die „Wiking-Jugend“ verwendete als eines ihrer Symbole auch die „Odalrune“.<br />
Ohne Bezug zur WJ ist dieses Zeichen nicht strafbar.<br />
181
„Nationale Liste“ (NL)<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
„Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP)<br />
„Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ),<br />
später „Direkte Aktion / Mitteldeutschland“ (JF)<br />
„Kameradschaft Oberhavel“ „Kameradschaft Hauptvolk”<br />
ANSDAPO mit Sonnenrad<br />
Die Darstellung des Sonnenrades ist ohne Bezug zur ANSDAPO nicht<br />
strafbar.<br />
182
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
„Blood & Honour“ (B & H)<br />
„White Youth” mit Triskele<br />
183
Rat und Hilfe<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Mit rechtsextremistischen Phänomenen beschäftigt sich eine Vielzahl von<br />
Behörden und – teils staatliche, teils private – Institutionen, Gremien und<br />
Initiativen.<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong><br />
Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden des Bundes und der Länder haben die<br />
gesetzlich bestimmte Aufgabe, Strukturen und Aktivitäten von extremistischen<br />
Organisationen auch mit verdeckten Methoden, so genannten<br />
nachrichtendienstlichen Mitteln, zu beobachten, aktuelle Entwicklungen<br />
festzustellen und hierüber die politisch Verantwortlichen sowie die Öffentlichkeit<br />
zu unterrichten. Sie haben keine polizeilichen Zwangsbefugnisse.<br />
Neben den jährlich erscheinenden <strong>Verfassungsschutz</strong>berichten veröffentlichen<br />
die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden regelmäßig Informationsmaterial zu<br />
Themen des politischen Extremismus und bieten für interessierte Gruppen<br />
nach Vereinbarung auch fachbezogene Informationsvorträge an.<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ministerium des Innern des Landes <strong>Brandenburg</strong><br />
Abteilung <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
Henning-von-Tresckow-Str. 9 – 13<br />
14467 Potsdam<br />
Tel.: (0331) 866 – 25 00<br />
Fax: (0331) 866 – 26 09<br />
E-Mail: info@verfassungsschutz-brandenburg.de<br />
Internet: www.verfassungsschutz.brandenburg.de<br />
Polizeilicher Staatsschutz<br />
Aufgabe des polizeilichen Staatsschutzes ist die Ermittlung und Aufklärung<br />
politisch motivierter Straftaten nach der Strafprozessordnung (StPO). Zur<br />
Gefahrenabwehr hat der Staatsschutz die in den Polizeigesetzen der Länder<br />
vorgesehenen Befugnisse.<br />
Im Land <strong>Brandenburg</strong> gibt es zwei Polizeipräsidien mit ihren insgesamt<br />
15 Schutzbereichen und das Landeskriminalamt. Dort bieten Beamte Unterstützung<br />
an, wenn es darum geht, Straftaten vorzubeugen und anzuzeigen.<br />
184
Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus<br />
Polizeipräsidium Potsdam<br />
Bürgertelefon: 0700 3333 0331<br />
Polizeipräsidium Frankfurt (Oder)<br />
Bürgertelefon: 0700 3333 0335<br />
Landerskriminalamt<br />
Tel.: 03334 388 – 2601<br />
Weitere Informationen fi nden sie unter:<br />
www.internetwache.brandenburg.de<br />
Koordinierungsstelle Tolerantes <strong>Brandenburg</strong><br />
Die Koordinierungsstelle unterstützt die Umsetzung des Handlungskonzeptes<br />
Tolerantes <strong>Brandenburg</strong> der Landesregierung gegen Rechtsextremismus,<br />
Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Sie initiiert und begleitet den<br />
Auf- und Ausbau von Trägerstrukturen und Netzwerken zur Festigung der<br />
Bürgergesellschaft. Sie fungiert dabei als Ansprechpartner für regionale<br />
und landesweite Akteure, Initiativen und lokale Bündnisse und nimmt eine<br />
Brückenfunktion zwischen Zivilgesellschaft und Landesregierung wahr.<br />
Wichtige Partner sind – neben den Ressorts der Landesregierung – vor<br />
allem das landesweit wirkende Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus<br />
und Fremdenfeindlichkeit, die Mobilen Beratungsteams (MBT),<br />
die Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule<br />
<strong>Brandenburg</strong> (RAA) und der Verein Opferperspektive.<br />
Gefördert und begleitet werden außerdem Träger und Projekte mit örtlicher<br />
bzw. regionaler Ausrichtung.<br />
Koordinierungsstelle Tolerantes <strong>Brandenburg</strong> der Landesregierung<br />
im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport<br />
Heinrich-Mann-Allee 107<br />
Haus 1 a<br />
14473 Potsdam<br />
Tel.: (0331) 866 – 35 60<br />
Fax.: (0331) 866 – 35 66<br />
E-Mail: angelika.thiel-vigh@mbjs.brandenburg.de<br />
Internet: www.tolerantes.brandenburg.de<br />
185
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien<br />
Die im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren,<br />
Frauen und Jugend angesiedelte Bundesprüfstelle für jugendgefährdende<br />
Medien (BPjM) überprüft Veröffentlichungen aller Art – z. B. Bücher, Filme,<br />
CDs, Computerprogramme, Homepages im Internet auf jugendgefährdende<br />
Inhalte. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu<br />
Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende sowie den Krieg<br />
verherrlichende Schriften.<br />
Die BPjM wird auf Antrag einer Stelle, die vom Gesetz dazu besonders<br />
ermächtigt ist, oder durch die Anregung einer Behörde bzw. eines anerkannten<br />
Trägers der freien Jugendhilfe aktiv.<br />
Im Falle eines jugendgefährdenden Inhalts wird das jeweilige Produkt „indiziert“,<br />
das heißt seine Verbreitung unterliegt Beschränkungen. Es darf<br />
z. B. Kindern und Jugendlichen nicht mehr frei zugänglich gemacht werden.<br />
Die BPjM veröffentlicht regelmäßig fortgeschriebene Übersichten zu<br />
den indizierten Medien.<br />
Von einer Indizierung zu unterscheiden sind die in Zusammenhang mit<br />
einem Strafverfahren ergehenden Entscheidungen wie die polizeiliche<br />
Beschlagnahmung oder die spätere gerichtliche Einziehung solcher Produkte.<br />
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien<br />
Rochusstr. 10<br />
53123 Bonn<br />
Tel.: (0228) 96 21 03 – 0<br />
Fax: (0228) 37 90 14<br />
E-Mail: info@bpjm.bund.de<br />
Internet: www.bundespruefstelle.de<br />
186
Personenpotenziale<br />
Personenpotenziale<br />
Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Gruppierungen<br />
(z. T. geschätzt)<br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
2006 2007<br />
subkulturell geprägte und sonstige<br />
gewaltbereite Rechtsextremisten*<br />
organisierte und unorganisierte<br />
550 500<br />
Neonazis 270 240<br />
NPD** 230 250<br />
DVU<br />
sonstige rechtsextremistische<br />
280 250<br />
Organisationen 50 50<br />
gesamt 1.380 1.290<br />
Mehrfachmitgliedschaften 60 60<br />
tatsächliches Personenpotenzial 1.320 1.230<br />
* Die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten,<br />
darunter Skinheads, wird unter Berücksichtigung von Dunkelziffern<br />
und möglichen Doppelzählungen aus folgenden Teilgrößen errechnet:<br />
a) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die im Berichtsjahr<br />
straffällig geworden sind;<br />
b) bezifferbare Gruppen extremistisch motivierter, namentlich nicht bekannter<br />
Gewalttäter, die im betrachteten Jahr straffällig geworden sind;<br />
c) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die in vergangenen<br />
Jahren straffällig geworden und bei denen konkrete Anhaltspunkte<br />
für eine fortdauernde Gewaltbereitschaft gegeben sind;<br />
d) extremistisch orientierte Personen, denen keine einschlägigen Gewalttaten<br />
nachzuweisen sind, die aber aufgrund konkreter Einzelerkenntnisse<br />
(mutmaßliche Beteiligung an Gewalttaten, Verhalten, Äußerungen usw.)<br />
als gewaltbereit gelten müssen.<br />
** Die Mitgliederzahl der NPD wird unter Berücksichtigung der Unterorganisation<br />
„Junge Nationaldemokraten“ (JN) angegeben.<br />
187
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Mitgliederzahlen linksextremistischer Gruppierungen<br />
(z. T. geschätzt)<br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
2006 2007<br />
Autonome* 300 300<br />
Anarchisten<br />
Einzelpersonen<br />
DKP 100 100<br />
KPD 15 15<br />
MLPD 25 25<br />
Rote Hilfe 150 160<br />
sonstige linksextremistische<br />
Organisationen 75 75<br />
gesamt** 665 675<br />
Mehrfachmitgliedschaften 60 60<br />
tatsächliches Personenpotenzial 605 615<br />
* Die Zahl der Angehörigen autonomer Gruppen wird unter Berücksichtigung<br />
von Dunkelziffern und möglichen Doppelzählungen aus folgenden Teilgrößen<br />
errechnet:<br />
a) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die im Berichtsjahr<br />
straffällig geworden sind;<br />
b) bezifferbare Gruppen extremistisch motivierter, namentlich nicht bekannter<br />
Gewalttäter, die im betrachteten Jahr straffällig geworden sind;<br />
c) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die in vergangenen<br />
Jahren straffällig geworden und bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde<br />
Gewaltbereitschaft gegeben sind;<br />
d) extremistisch orientierte Personen, denen keine einschlägigen Gewalttaten<br />
nachzuweisen sind, die aber aufgrund konkreter Einzelerkenntnisse (mutmaßliche<br />
Beteiligung an Gewalttaten, Verhalten, Äußerungen usw.) als gewaltbereit<br />
gelten müssen.<br />
** Mitglieder linksextremistisch beeinfl usster Organisationen sind nicht mitgezählt.<br />
188
Personenpotenziale<br />
Mitgliederzahlen ausländerextremistischer und<br />
islamistischer Gruppierungen (z. T. geschätzt)<br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
2006 2007<br />
Islamisten 50 50<br />
davon IGMG<br />
Einzelpersonen<br />
Linksextremisten 170 200<br />
davon KONGRA-GEL* 150 180<br />
Nationalistische Extremisten 35 35<br />
gesamt 255 285*<br />
* Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen mitgezählt.<br />
189
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Extremistische Parteien und Gruppierungen<br />
„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)<br />
und Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN)<br />
Gründungsjahr: 1964<br />
Sitz: Berlin<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1990<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>: 250<br />
für <strong>Brandenburg</strong> relevante regionale<br />
und überregionale Publikationen: „Deutsche Stimme“ „Zündstoff–<br />
Deutsche Stimme für Berlin-<br />
<strong>Brandenburg</strong>“<br />
Internetadressen: www.brandenburg.npd.de<br />
www.npd.de<br />
„Deutsche Volksunion“ (DVU)<br />
Gründungsjahr: 1987<br />
Sitz: München<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1991<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>:<br />
für <strong>Brandenburg</strong> relevante<br />
250<br />
überregionale Publikation: „National-Zeitung“ (NZ)<br />
Internetadressen: www.dvu-brandenburg.de,<br />
www.dvu.de<br />
190
Extremistische Parteien und Gruppierungen<br />
„Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP)<br />
Gründungsjahr: 1968<br />
Sitz: Essen<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1990<br />
Jugendorganisation: „Sozialistische Deutsche<br />
Arbeiterjugend“ (SDAJ)<br />
Studentenorganisation: „Assoziation Marxistischer<br />
StudentInnen“ (AMS)<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>: 100<br />
für <strong>Brandenburg</strong> relevante regionale<br />
und überregionale Publikationen: „Unsere Zeit“ (UZ),<br />
„Roter <strong>Brandenburg</strong>er“ (DKP-<br />
Bezirkszeitung <strong>Brandenburg</strong>),<br />
„Trotz alledem!“ (Zeitung der<br />
DKP Potsdam-Umland),<br />
„Rote Kalenderblätter“<br />
Internetadressen: www.dkpbrandenburg.de<br />
www.dkp.de<br />
„Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD)<br />
Gründungsjahr: 1990<br />
Sitz: Berlin<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1990<br />
Jugendorganisation: „Kommunistischer Jugendverband<br />
Deutschlands“ (KJVD)<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>:<br />
für <strong>Brandenburg</strong> relevante<br />
15<br />
überregionale Publikationen: „Die Rote Fahne“, „Trotz<br />
alledem“<br />
Internetadresse: www.k-p-d-online.de<br />
191
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
„Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD)<br />
Gründungsjahr: 1982<br />
Sitz: Gelsenkirchen<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1990<br />
Jugendorganisation: „Rebell“ (KJVD)<br />
Kinderorganisation: „Rotfüchse“<br />
Frauenorganisation: „Courage“<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>:<br />
für <strong>Brandenburg</strong> relevante<br />
25<br />
überregionale Publikationen: „Rote Fahne“<br />
„Revolutionärer Weg“<br />
Internetadresse: www.mlpd.de<br />
„Rote Hilfe e. V.“ (RH)<br />
Gründungsjahr: 1975<br />
Sitz: Göttingen<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1993<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>:<br />
für <strong>Brandenburg</strong> relevante regionale<br />
160<br />
und überregionale Publikationen: „Die Rote Hilfe“<br />
„newsletter“<br />
Internetadressen: www.rote-hilfe-brandenburg.<br />
de.vu, www.rote-hilfe.de<br />
192
Extremistische Parteien und Gruppierungen<br />
„Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA-GEL)<br />
Gründungsjahr (als PKK): 1978 in der Türkei<br />
Sitz: Nord-Irak<br />
in <strong>Brandenburg</strong> aktiv seit: 1993<br />
Mitglieder in <strong>Brandenburg</strong>: 180<br />
Publikationen: „Serxwebun“ (Unabhängigkeit)<br />
„Yeni Özgür Politika“ (Neue<br />
Freie Politik)<br />
Internetadressen: www.kongra-gel.org<br />
internationale Teilorganisation: „Koordination der kurdisch-demokratischen<br />
Gesellschaft in<br />
Europa“ (CDK)<br />
Betätigungsverbot für die PKK in Deutschland durch<br />
den Bundesminister des Innern am 26.11.1993<br />
193
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
194
Glossar<br />
Glossar<br />
Anarchismus<br />
Die Anhänger des Anarchismus streben eine „herrschaftsfreie“ Gesellschaft<br />
ohne den Zwang gesellschaftlicher Normen an. In Deutschland<br />
gibt es anarchistische Kleinparteien und Kleingruppen, die sich zum Teil<br />
auf klassische Theoretiker des Anarchismus wie Michael Bakunin, Errico<br />
Malatesta oder Pierre-Joseph Proudhon berufen, oft aber auch jeweils eigene<br />
Vorstellungen entwickeln. Sie haben jedoch im Gesamtspektrum des<br />
Linksextremismus nur eine randständige Bedeutung. Symbole und einige<br />
Forderungen der Anarchisten werden zum Teil auch von Autonomen (siehe<br />
„Autonome Antifa“) genutzt. Sie lehnen jedoch die festen Organisationsformen<br />
der „klassischen“ Anarchisten ab.<br />
Anti-Antifa<br />
Die „Anti-Antifa“ ist eine überwiegend von Neonazis (siehe „Neonazismus“)<br />
betriebene Kampagne. Mit ihr soll im „nationalen Lager“ eine organisationsübergreifende<br />
Plattform geschaffen werden, um Streit und Konkurrenz<br />
zwischen verschiedenen Neonaziorganisationen zu überwinden.<br />
Dies geschieht durch die Einrichtung eines gemeinsamen Feindbildes: die<br />
„Antifa“ (siehe „Autonome / Autonome Antifa“). So wie „Antifa“-Angehörige<br />
Daten über Rechtsextremisten sammeln, kopieren die Rechtsextremisten<br />
dieses Vorgehen und tragen Daten über „Antifa“-Aktivisten zusammen.<br />
Hierbei können auch Vertreter demokratischer Verbände oder staatlicher<br />
Instanzen ins Visier der Extremisten geraten. Ihre Daten über „Antifa“-Angehörige<br />
tauschen Neonazis untereinander aus. Diese Datensammlungen<br />
sollen die dort erfassten Personen bedrohen und einschüchtern.<br />
Anti-Deutsche<br />
„Anti-Deutsche“ sind eine Bewegung, die aus der „autonomen Antifa“ (siehe<br />
„Autonome / Autonome Antifa“) hervorgegangen ist. Ihr Verständnis von<br />
„Antifaschismus“ benennt den von den Nationalsozialisten propagierten<br />
Antisemitismus als den Kern des Faschismus (zum Faschismus siehe<br />
Rechtsextremismus und Nationalsozialismus). Wer Antifaschist sein wolle,<br />
so argumentieren sie, müsse deswegen in erster Linie ein Anti-Antisemit<br />
sein. „Anti-Deutsche“ sehen ihre unbedingte Solidarität mit Israel in dieser<br />
195
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Haltung begründet. „Anti-Deutsche“ tragen oft auf Demonstrationen Israel-Fahnen<br />
mit sich. Der Name „Anti-Deutsche“ geht auf die Überzeugung<br />
zurück, dass jeder deutsche Staat antisemitisch und somit faschistisch sei<br />
und deswegen schon von vorn herein jegliche Daseinsberechtigung verwirkt<br />
habe. Slogans wie „Wer Deutschland liebt muss scheiße sein, wir<br />
hau’n alles kurz und klein“ dokumentieren diese Ideologie.<br />
Antisemitismus<br />
Antisemiten behaupten, es gebe eine geheime weltweite Verschwörung<br />
des Judentums gegen den Rest der Welt. Der Kapitalismus wird genauso<br />
als Auswuchs der jüdischen Weltverschwörung angesehen wie Kommunismus,<br />
Rassismus, Islamismus und Imperialismus. Der Erfi nder des<br />
Begriffes „Antisemitismus“, Wilhelm Marr (1819-1904), betrachtete sogar<br />
die gesamte moderne Welt als Ergebnis eines angeblichen jüdischen<br />
Komplotts. Oft wird von Antisemiten ein Buch mit dem Titel „Protokolle<br />
der Weisen von Zion“ als Beleg für ihre Verschwörungsfantasien herangezogen.<br />
Jedoch ist das Buch eine plumpe Fälschung, welche Anfang des<br />
20. Jahrhunderts entstand.<br />
Rechtsextremistische Antisemiten meinen, Demokratie sei den Deutschen<br />
„wesensfremd“ und nach 1945 von „Angloamerikanern sowie Juden“ mittels<br />
„Umerziehung“ aufgezwungen worden. Sie bezeichnen die freiheitliche<br />
demokratische Grundordnung als „ZOG“ (siehe auch „Zionist Occupied<br />
Government“), als „zionistisch besetzte Regierung“. Kritische Auseinandersetzung<br />
mit dem „Dritten Reich“ betrachten sie als jüdischen Angriff auf<br />
die „deutsche Art“. Einerseits leugnen sie den organisierten Massenmord<br />
an europäischen Juden im „Dritten Reich“, andererseits beschuldigen<br />
sie die Überlebenden, vom Holocaust-Gedenken profi tieren zu wollen.<br />
Linksextremistische Antisemiten verstehen Israel als „Brückenkopf des<br />
US-Imperialismus im Nahen Osten“ und streiten dem Land jede Daseinsberechtigung<br />
ab. Islamistische Extremisten brechen mit der viele Jahrhunderte<br />
alten Tradition der religiösen Toleranz des Islam. Sie sind zum Teil<br />
– wie Rechtsextremisten auch – Rassisten, die Juden als Angehörige einer<br />
„verfl uchten Rasse“ verunglimpfen. Ähnlich wie linksextremistische Antisemiten<br />
betrachten Islamisten Israel als Teil einer „westlichen Verschwörung“<br />
gegen den Islam. Deswegen glauben sie auch nicht an einen Frieden im<br />
Nahen Osten, sondern fordern eine „Beendigung der jüdischen Existenz in<br />
Palästina“, die sie durch Terroranschläge und Krieg erreichen wollen.<br />
196
Glossar<br />
Ausländerextremismus<br />
Extremisten ausländischer Herkunft verfechten in Deutschland Anliegen,<br />
die ihren Ursprung in den politischen und religiösen Konfl ikten der jeweiligen<br />
Herkunftsländer haben. Sie gehen mit aggressiv-kämpferischer<br />
Propaganda und auch unter Anwendung von Gewalt gegen ihre Gegner<br />
vor. Damit schaden sie den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik<br />
und dem inneren Frieden. Sie fordern mitunter extremen Gehorsam ihrer<br />
Mitglieder und treiben mit Gewalt „Spenden“-Gelder ein. Hinzu kommen<br />
Bestrafungsaktionen gegen ehemalige Mitglieder, die als „Verräter“ bezeichnet<br />
werden.<br />
Solch aggressives Vorgehen hat bereits zu einigen Betätigungsverboten<br />
ausländerextremistischer Organisationen geführt. Manche Organisationen<br />
ausländischer Extremisten in Deutschland agieren als Vertreter von extremistischen<br />
Vereinigungen und Parteien ihrer Heimatländer, die dort zum<br />
Teil verboten sind (siehe „Ausländerorganisationen, extremistische“).<br />
Ausländerorganisationen, extremistische<br />
Zu Organisationen ausländischer Extremisten in Deutschland zählen:<br />
(a) linksextremistische Organisationen, die die bestehende soziale und politische<br />
Ordnung in ihren Heimatländern gewaltsam beseitigen und durch<br />
einen sozialistischen Staat marxistischer Prägung ersetzen wollen;<br />
(b) extrem-nationalistische Vereinigungen, die Macht- beziehungsweise<br />
Gebietszuwachs für die eigene Nation und die Abschaffung oder Nichtgewährung<br />
von Minderheitenrechten aggressiv propagieren;<br />
(c) separatistische Organisationen, die für die Loslösung ihrer Heimatregion<br />
aus bestehenden Staaten eintreten;<br />
(d) islamistische Gruppierungen, die die Trennung von Religion und Staat<br />
zugunsten eines autoritären theokratischen Systems aufheben wollen und<br />
(e) Gruppierungen, die in Verbindung mit Regierungsstellen ihrer Länder<br />
gegen Landsleute im Ausland, insbesondere Regimegegner, repressiv<br />
oder sogar terroristisch vorgehen. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />
zwischen rechtsextremistischen Anhängern der türkischen „Grauen<br />
Wölfe“ und linksextremistischen Anhängern der verbotenen Kurdischen<br />
Arbeiterpartei PKK im Herbst 2007 in mehreren deutschen Großstädten<br />
illustrieren die Gefahr, die von ausländerextremistischen Organisationen<br />
ausgehen kann.<br />
197
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Autonome / Autonome Antifa<br />
Autonome lehnen gesellschaftliche Normen und Zwänge ab und suchen<br />
nach einem freien, selbst bestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen.<br />
Bei ihnen kommen kommunistische und anarchistische Überzeugungen<br />
zusammen. Ideologisch reicht ihr Ursprung bis in die Anfänge der studentischen<br />
Protestbewegung der 60er Jahre zurück. Sie werden dann als Extremisten<br />
vom <strong>Verfassungsschutz</strong> beobachtet, wenn sie gewalttätig oder<br />
gewaltbereit sind, oder Gewalt befürworten. Autonome besitzen meist kein<br />
einheitliches, verbindliches Weltbild. Oft folgen sie verschwommenen anarchistischen<br />
und anarcho-kommunistischen Vorstellungen oder spontanen<br />
aktionistischen Antrieben. Sie wollen das demokratisch verfasste Gemeinwesen<br />
bekämpfen und möglichst zerschlagen, da der Staat und sein<br />
„Repressionsapparat“ sie an der Verwirklichung ihrer Absichten hindere.<br />
Gewalt – zum Beispiel gegen die Polizei – ist für Autonome oft die einzige<br />
Möglichkeit, einen Zusammenhalt innerhalb der Gruppe herzustellen, da<br />
alle Versuche, sich zu organisieren, als „Machtgier“ abgelehnt werden.<br />
Die „Autonome Antifa“ hat sich dem Kampf gegen den „Faschismus“ verschrieben.<br />
Der Faschismus-Begriff der Autonomen Antifa ist dabei sehr<br />
weit gespannt. Polizisten werden genauso als „Faschisten“ bezeichnet,<br />
wie beispielsweise Lehrer, Selbständige oder sonstige Bürger, die sich den<br />
reißerischen Parolen nicht anschließen wollen. Wenn die „Autonome Antifa“<br />
gegen tatsächliche Rechtsextremisten vorgeht, sucht sie oft Anschluss<br />
an demokratische Gruppen. Innerhalb der „Autonomen Antifa“ gibt es verschiedene,<br />
einander mitunter deutlich widersprechende Strömungen. Zusammenschlüsse<br />
halten oft nicht lange und zerbrechen aufgrund interner<br />
Streitigkeiten. Eine Strömung innerhalb der „Autonomen Antifa“ sind die<br />
„Anti-Deutschen“ (siehe „Anti-Deutsche“).<br />
Autonome Nationalisten<br />
„Autonome Nationalisten“ werden dem rechtsextremistischen Spektrum<br />
der „Freien Kräfte“ (siehe „Freie Kräfte / Freie Nationalisten“) zugeordnet.<br />
Sie orientieren sich ideologisch auch an nationalrevolutionären Ideen. Besonderes<br />
Merkmal ist die Übernahme von Verhaltensformen, die militanten<br />
Linksextremisten (siehe „Autonome / Autonome Antifa“) zugerechnet werden.<br />
„Autonome Nationalisten“ treten oft mit einem hohen Maß an Militanz<br />
gegen Polizeibeamte und politische Gegner auf. Wie gewaltbereite Links-<br />
198
Glossar<br />
extremisten bilden auch sie „Schwarze Blöcke“. Innerhalb der Neonazi-<br />
Szene sind „Autonome Nationalisten“ vor allem wegen ihres öffentlichen<br />
Erscheindungsbildes umstritten.<br />
Deutsche Kommunistische Partei (DKP)<br />
Die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) ist eine linksextremistische<br />
Partei (siehe auch „Linksextremismus“ und „Linksextremistische Parteien“).<br />
Sie wurde am 26. September 1968 in Essen gegründet. Ihre 18 Landesverbände<br />
(jeweils zwei in Nordrhein-Westfalen und Bayern) haben über<br />
4.000 Mitglieder, von denen etwa 200 jünger als 30 Jahre alt sind.<br />
Parteiorgan ist die Wochenzeitung „Unsere Zeit“ (UZ). Die „Sozialistische<br />
Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) ist eine der DKP nahestehende Jugendorganisation.<br />
Daneben ist Ende der 90er Jahre mit der „Assoziation<br />
Marxistischer Studierender“ (AMS) eine DKP-nahe Studentengruppe entstanden.<br />
Ziel der DKP ist „der Sozialismus als erste Stufe auf dem Weg<br />
zur klassenlosen Gesellschaft“, wobei ihr die „wissenschaftliche Theorie<br />
von Marx, Engels und Lenin“ als Grundlage dient. Im April 2006 wurde ein<br />
neues Parteiprogramm beschlossen, das seit 2001 Gegenstand kontroverser<br />
Diskussionen und innerparteilicher Richtungskämpfe war. Es setzt<br />
auf „Aktionseinheiten“ mit „neuen soziale Bewegungen“ (beispielsweise<br />
Montagsdemonstrationen, „Antifa“). Oberhalb der kommunalen Ebene<br />
konnte die DKP zu keiner Zeit Mandate erringen. Bei Landtags- und Europawahlen<br />
erreichte sie allenfalls Ergebnisse deutlich unter einem Prozent.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> zählt die DKP etwa 100 Mitglieder.<br />
Deutsche Volksunion<br />
siehe Berichtsteil ab Seite 36<br />
Dschihad<br />
Dschihad bedeutet im Arabischen Anstrengung, innerer Kampf aber auch<br />
heiliger Krieg. In der islamischen Kultur hat der Begriff verschiedene Bedeutungen.<br />
Ein „Heiliger Krieg“ kann beispielsweise eine innere spirituelle<br />
Auseinandersetzung sein. Andere wiederum verstehen darunter den bewaffneten<br />
Kampf gegen „Ungläubige“ und „Feinde des Islam“. Für mili-<br />
199
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
tante Islamisten ist der bewaffnete Dschihad eine religiöse Pfl icht. In ihrer<br />
angestrebten Ordnung eines idealisierten Islam hält sich angeblich jeder<br />
aus Einsicht und Gottesfurcht ganz von selbst an angestrebte moralische<br />
wie soziale Maßstäbe. Nur der Islam kenne die alleinige Herrschaft Gottes<br />
über alle Menschen, alle anderen politischen und sozialen Systeme sähen<br />
menschliche Einrichtungen vor (z. B. das Parlament in der Demokratie),<br />
die die Menschen führen wollten. Dschihad sei deswegen ein Krieg zur<br />
Befreiung der Menschen von der Knechtschaft der Menschen. Durch den<br />
Dschihad werde der Mensch zum „Stellvertreter Gottes“, dem es gelingen<br />
könne, ein „Reich Gottes auf Erden“ zu errichten. In dieser Zielsetzung<br />
einer totalen Gesellschaft ähnelt der Dschihadismus kommunistischen<br />
Bewegungen (siehe Kommunismus) weit mehr als dem traditionellen Islam.<br />
Es kann angesichts ihres totalitären Religionsverständnisses nicht<br />
verwundern, dass sich dschihadistische Gewalt zumeist gegen Muslime<br />
selbst richtet.<br />
Extremismus<br />
In der Alltagssprache werden die Begriffe „Extremismus“ und „Radikalismus“<br />
häufi g gleichbedeutend verwendet. Für den <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
bestehen hier aber entscheidende Unterschiede. Denn „radikale“ Bestrebungen<br />
werden nicht vom <strong>Verfassungsschutz</strong> beobachtet, „extremistische“<br />
hingegen schon. Als „radikal“ wird eine Bestrebung dann verstanden, wenn<br />
sie eine politische Problemstellung von der Wurzel (lateinisch „radix“) her<br />
anpacken will, ohne dabei die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />
beseitigen zu wollen. Im Gegensatz dazu stehen „extremistische“ Bestrebungen.<br />
Sie richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.<br />
So streben Teile des linksextremistischen Spektrums beispielsweise<br />
eine „Diktatur des Proletariats“ an. Rechtsextremisten wollen statt dessen<br />
einen rassistischen „totalen Führerstaat“ errichten. Und Islamisten sind<br />
auf einen „Gottesstaat“ ausgerichtet. Gewalt wird dabei häufi g als Mittel<br />
zur Durchsetzung der jeweiligen Ziele befürwortet, propagiert oder sogar<br />
praktiziert.<br />
Gemeinsam ist diesen extremistischen Gegenentwürfen die Ablehnung der<br />
freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGo). Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat die Prinzipien der fdGo 1952 folgendermaßen defi niert:<br />
(a) die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte;<br />
(b) die Volkssouveränität;<br />
200
Glossar<br />
(c) die Gewaltenteilung;<br />
(d) die Verantwortlichkeit der Regierung;<br />
(e) die Gesetzmäßigkeit der Regierung;<br />
(f) die Unabhängigkeit der Gerichte;<br />
(g) das Mehrparteienprinzip;<br />
(h) die Chancengleichheit aller politischen Parteien und<br />
(i) das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.<br />
Extremistische Bestrebungen, die einen oder mehrere dieser Grundwerte<br />
abschaffen wollen, werden vom <strong>Verfassungsschutz</strong> beobachtet (siehe<br />
auch „Ausländerextremismus“; „Linksextremismus“; „Rechtsextremismus“;<br />
„Terrorismus“).<br />
Extremistische Gefangenenhilfsorganisationen<br />
Sowohl Rechts- als auch Linksextremisten und Islamisten betreuen inhaftierte<br />
Sympathisanten und Mitglieder. Dazu stellen sie beispielsweise<br />
Rechtsanwälte zur Verfügung und Kontakte zur Außenwelt her. Für Extremisten<br />
ist die Arbeit mit Gefängnisinsassen deswegen bedeutsam, weil<br />
sie den Häftlingen einreden, „Kämpfer für die richtige Sache“ zu sein. Das<br />
deutsche Strafrecht wird als „Gesinnungsstrafrecht“ diffamiert. Solche<br />
Gefangenenhilfsorganisationen stellen ein Netzwerk zwischen Gefängnisinsassen<br />
und Extremisten her, das meist noch lange über die Haftdauer<br />
hinaus Bestand hat. Auf diese Weise „vermitteln“ sie oft Häftlinge nach<br />
deren Entlassung in extremistische Kreise.<br />
Die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige<br />
e. V.“ (HNG) ist die aktivste rechtsextremistische Gefangenenhilfsorganisationen<br />
in Deutschland. Sie wurde 1979 gegründet und vermittelt<br />
vornehmlich Kontakte zwischen Szeneangehörigen und Häftlingen und<br />
sorgt auf diesem Weg dafür, dass Rechtsextremisten auch während ihrer<br />
Haftzeit nicht ihre Haltung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung<br />
ändern. Die „Rote Hilfe e. V.“ (RH) ist eine bundesweite Solidaritätsorganisation,<br />
die politisch Aktive aus dem gesamten linksextremistischen<br />
Spektrum auf vielfältige Weise unterstützt. Die RH hat bundesweit über<br />
4.000 Mitglieder. Sie rekrutieren sich überwiegend aus dem autonomen<br />
Spektrum. Mit Beratungsangeboten, Prozessbegleitung und Gefangenenbesuchen<br />
steht die RH tatsächlichen oder vermeintlichen linksextremistischen<br />
Tatverdächtigen und Straftätern bei. Sie beteiligt sich an den<br />
201
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Rechtsanwalts- und Prozesskosten. Bei hohen Geldstrafen, Verlust des<br />
Arbeitsplatzes oder Haftstrafen gewährt sie auch fi nanzielle Hilfen zum<br />
Lebensunterhalt. Eigenständige islamistische Gefangenenhilfsorganisationen<br />
sind bislang nicht bekannt. Allerdings bemühen sich einzelne islamistische<br />
Gruppierungen um Gefangene in deutschen Gefängnissen, um sie<br />
auf Dauer für ihre jeweiligen Ideologien zu gewinnen.<br />
Faschismus<br />
siehe „Rechtsextremismus“ und „Nationalsozialismus“<br />
Freie Kräfte / Freie Nationalisten<br />
Mitte der 1990er Jahre entwickelten Neonazis das Konzept der „Freien<br />
Kräfte“ beziehungsweise „Freien Nationalisten“ als Reaktion auf zahlreiche<br />
Vereinsverbote. Ihre wesentlichsten Ausprägungen sind Kameradschaften<br />
(siehe „Kameradschaften“) und „Autonome Nationalisten“ (siehe „Autonome<br />
Nationalisten“). Einerseits bezeichnen sich Kameradschaftsmitglieder<br />
zum Teil selber als „Freie Kräfte“ beziehungsweise „Freie Nationalisten“,<br />
um sich von rechtsextremistischen Parteistrukturen abzugrenzen. Andererseits<br />
verwenden auch rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse,<br />
die sich nicht als Kameradschaft defi nieren, diese Begriffl ichkeit. Insbesondere<br />
seit den Verboten von Kameradschaften in mehreren Bundesländern<br />
nutzen viele Neonazis auf ihren Transparenten oder Internet-Seiten nur<br />
noch den Begriff „Freie Kräfte“ und versehen ihn mit einem lokalen Namenszusatz.<br />
Der Begriff kommt bei Neonazis zunehmend nur noch unverbindlich<br />
zur Anwendung, um das eigene parteiungebundene Konzept<br />
zu verdeutlichen. Sie hoffen, damit den Sicherheitsbehörden weniger Angriffsfl<br />
ächen zu bieten.<br />
Fremdenfeindlichkeit<br />
Berührungsängste zwischen Personen unterschiedlicher Herkunft, die<br />
einander nicht kennen, sind menschlich und überwindbar. Jedoch sehen<br />
Rechtsextremisten in „Fremden“ generell einen zu bekämpfenden Feind.<br />
Ihre Fremdenfeindlichkeit richten Rechtsextremisten gegen alle Menschen,<br />
die sie als „fremd“ betrachten. Als vordergründige Unterscheidungsmerkmale<br />
werden von Rechtsextremisten Hautfarbe, Religion, vermutete Her-<br />
202
Glossar<br />
kunft und Ähnliches herangezogen. Opfer von Fremdenfeindlichkeit sind<br />
demnach Ausländer und Deutsche. Hierbei kommt es zu fremdenfeindlich<br />
motivierten Straftaten und nicht selten zu Gewaltstraftaten. Ihren Opfern<br />
sprechen Rechtsextremisten allein wegen des vermuteten „Fremdseins“<br />
die Menschenwürde und die Menschenrechte ab. (siehe auch „Rassismus“)<br />
Geheimschutz<br />
Mit dem Begriff Geheimschutz bezeichnet man den Schutz staatlicher<br />
Interessen vor Ausspähungen und unbefugtem Zugriff. Insbesondere Informationen<br />
über verteidigungswichtige militärische Einrichtungen und so<br />
genannte kritische Infrastruktur (z. B. Flughäfen) zählen dazu. Man unterscheidet<br />
den materiellen Geheimschutz (beispielsweise Nutzung von Panzerschränken,<br />
IT-Sicherheit) und den personellen Geheimschutz (Sicherheitsüberprüfungen).<br />
Der Geheimschutzbeauftragte ist verantwortlich für<br />
beide Bereiche. Rechtsgrundlage ist das <strong>Brandenburg</strong>ische Sicherheitsüberprüfungsgesetz.<br />
Die Kennzeichnung, Aufbewahrung, Verwaltung und<br />
den Transport von Verschlusssachen (materieller Geheimschutz) regelt<br />
verbindlich für alle Landesbehörden die Verschlusssachenanweisung.<br />
Islamismus<br />
Islamismus ist eine Sammelbezeichnung für eine politische, sozialrevolutionäre<br />
und in sich teilweise sehr zerstrittene Bewegung, die von einer Minderheit<br />
der Muslime getragen wird. Ihre Anhänger fordern unter Berufung<br />
auf einen von ihnen politisch idealisierten Islam die „Wiederherstellung“<br />
einer „islamischen Ordnung“. Sie verstehen den Islam als politische Ideologie,<br />
die sie als Gegenmodell zu westlichen, demokratischen Staats-<br />
und Gesellschaftsformen ansehen. Die von ihnen propagierte „islamische<br />
Ordnung“ göttlichen Ursprungs (Scharia), die im Koran, in der Praxis der<br />
muslimischen Urgemeinde (Sunna) und in den biographischen Berichten<br />
über den Propheten (Hadithe) verbindlich vorgegeben sei, müsse alle Lebensbereiche<br />
regeln. Militante Islamisten glauben sich legitimiert, die „islamische<br />
Ordnung“ mit Gewalt durchzusetzen. Sie beziehen sich dabei auf<br />
im Koran enthaltene Aufforderungen zum „Dschihad“ (siehe „Dschihad),<br />
den sie, abweichend von der Mehrheit der Muslime, als heilige Pfl icht zum<br />
unablässigen Krieg gegen alle „Feinde“ des Islams sowohl in muslimischen<br />
203
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
als auch in nichtmuslimischen Ländern verstehen. Manche Gruppen militanter<br />
Islamisten greifen zu Mitteln des Terrorismus (siehe „Terrorismus“).<br />
Die Gewalt gegen die so genannten „Verräter des wahren Islam“ richtet<br />
sich sehr häufi g auch gegen gläubige Muslime, die nicht in das enge Weltbild<br />
der Islamisten passen.<br />
Kameradschaften<br />
Kameradschaften (siehe auch „Freie Kräfte / Freie Nationalisten“) entstanden<br />
als Reaktion auf Verbote rechtsextremistischer Organisationen in<br />
den 1990er Jahren. Rechtsextremisten glaubten, dass sie durch diese Art<br />
der Zusammenschlüsse einem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren ausweichen<br />
könnten. Ihr Wirkungskreis ist lokal oder regional begrenzt, oft<br />
spiegelt sich dies in der Namensgebung wieder. Innerhalb der Kameradschaften<br />
besteht eine Übereinstimmung zu gemeinsamer politischer Arbeit<br />
auf Basis rechtsextremistischer, insbesondere neonazistischer Grundorientierung.<br />
Ihre Binnenstruktur ist in der Regel streng hierarchisch aufgebaut.<br />
Letztlich ist das Selbstverständnis der NSDAP (siehe „Nationalsozialismus“),<br />
die sich nie als Partei, sondern immer als Hitler-Bewegung verstanden<br />
hat, das historisches Vorbild, dem Kameradschaften nacheifern.<br />
Die Verbote mehrerer neonazistischer Kameradschaften in <strong>Brandenburg</strong><br />
haben zur Folge gehabt, dass sich Mitläufer von einem kleinen harten<br />
Kern überzeugter Rechtsextremisten losgelöst haben und in der rechtsextremistischen<br />
Szene nicht mehr in Erscheinung traten. Andere Neonazis<br />
nutzen mittlerweile die Strukturen von NPD oder JN für ihre Aktivitäten.<br />
Das Kameradschaftsmodell scheint für Rechtsextremisten an Bedeutung<br />
zu verlieren.<br />
Kommunismus<br />
Kommunisten glauben an die Lehre von Karl Marx (1818-1883), der zufolge<br />
sich die gesamte Menschheitsgeschichte als Wechselspiel von Ausbeutung<br />
und Revolte dagegen verstehen ließe. Den an den Konfl ikten<br />
beteiligten Gruppen werden materielle Interessen unterstellt, die in der<br />
kommunistischen Lehre als „objektiv“ verstanden werden. Sollen es in der<br />
Geschichtsauffassung der Kommunisten erst Sklavenhalter und Sklaven,<br />
204
Glossar<br />
dann Feudalherren und Bauern gewesen sein, die einen so genannten<br />
Klassenkampf führten, so stünden sich heute Bourgeoisie und das so<br />
genannte Proletariat gegenüber. Dieses Proletariat solle eine Diktatur<br />
einrichten, die den Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft einleiten<br />
werde. Besonders die von Wladimir I. Lenin (1870-1924) eingeführte<br />
Lehre, wonach das Proletariat dabei von einer Avantgarde geführt werden<br />
müsse, hat die Erscheinungsform kommunistischer Gruppen in der letzten<br />
Jahrzehnten geprägt. Von der marxistisch-leninistischen Orthodoxie abweichende<br />
kommunistische Strömungen berufen sich oft auf Berufsrevolutionäre<br />
wie Leo Trotzki, Joseph Stalin oder Mao Zedong.<br />
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)<br />
Die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD) ist eine linksextremistische<br />
Partei (siehe auch „Linksextremismus“ und „Linksextremistische<br />
Parteien“). Sie wurde 1990 in der DDR gegründet und wird in einigen Publikationen<br />
als „KPD-Ost“ oder „KPD (Rote Fahne)“ bezeichnet. Eine Partei<br />
gleichen Namens wurde 1956 verboten. Ihre Mitgliederzahl liegt in einem<br />
niedrigen dreistelligen Bereich. Ihr „Zentralorgan“ ist die Monatszeitschrift<br />
„Die Rote Fahne“. Als Jugendorganisation bildete sich 2002 der „Kommunistische<br />
Jugendverband Deutschlands“ (KJVD). Die KPD bekennt sich<br />
ohne Einschränkungen zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und distanziert<br />
sich nicht vom Stalinismus. Sofern sich die Partei an Wahlen beteiligt<br />
hat, fi elen die Ergebnisse mit einem Stimmenanteil von 0,1 – 0,2 %<br />
denkbar gering aus. In <strong>Brandenburg</strong> hat sie etwa 15 Mitglieder.<br />
Linksextremismus<br />
Kommunisten, Anarchisten und Autonome (siehe auch jeweils „Kommunisten“,<br />
„Anarchisten“ und „Autonome“) stellen die Hauptströmungen des<br />
Linksextremismus dar. Sie unterscheiden sich in einigen Punkten stark<br />
voneinander, sind sich aber in der Ablehnung der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung einig. Für Linksextremisten ist die Demokratie in<br />
Deutschland nur ein Deckmantel für die von ihnen unterstellte eigentliche<br />
Macht des Kapitals. Sie gehen davon aus, dass sowohl Gewaltenteilung<br />
als auch die Unabhängigkeit der Gerichte in Wirklichkeit gar nicht gegeben<br />
seien, sondern nur vorgespielt würden. Ihr Ziel ist eine Demokratie, die<br />
allerdings nichts mit der freiheitlichen demokratische Grundordnung zu tun<br />
205
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
hat, sondern eine Diktatur über die Mehrheit und damit eine Bevormundung<br />
Andersdenkender bedeutet. Die von ihnen häufi g genannten Werte<br />
„Gleichheit“, „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ stellen sich bei näherem Hinsehen<br />
als Synonyme für die Zerstörung demokratischer Errungenschaften<br />
(zum Beispiel die Gewaltenteilung), für die Einschränkung persönlicher<br />
Freiheitsrechte (zum Beispiel die freie Berufswahl) und die Beseitigung<br />
des Rechts auf Eigentum dar.<br />
So unterschiedlich sie auch ausgerichtet sein mögen, verstehen sich doch<br />
alle linksextremistischen Organisationen als „antifaschistisch“. Damit ist<br />
allerdings nur teilweise der Kampf gegen Rechtsextremismus gemeint.<br />
Gemeinsam ist linksextremistischen Gruppen die Ausdehnung des Faschismus-Begriffes<br />
auch auf demokratische Einrichtungen.<br />
Linksextremistische Parteien<br />
Linksextremistische Parteien verstehen sich als Kaderorganisationen, die<br />
eine revolutionäre Umwälzung vorbereiten wollen. Die in <strong>Brandenburg</strong><br />
aktiven linksextremistischen Parteien „Deutsche Kommunistische Partei“<br />
(DKP; siehe auch „Deutsche Kommunistische Partei“) und „Kommunistische<br />
Partei Deutschlands“ (KPD; siehe auch „Kommunistische Partei<br />
Deutschlands“) sind marxistisch-leninistisch ausgerichtet. Die „Marxistisch-Leninistische<br />
Partei Deutschlands“ (MLPD; siehe auch „Marxistisch-<br />
Leninistische Partei Deutschlands“) orientiert sich daneben noch an den<br />
Lehren Joseph Stalins und Mao Zedongs. Sporadisch treten auch trotzkistische<br />
Parteien, zum Beispiel die „Partei für Soziale Gleichheit“ (PSG), bei<br />
Wahlen in Erscheinung.<br />
Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)<br />
Die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) ist eine linksextremistische<br />
Partei (siehe auch „Linksextremismus“ und „Linksextremistische<br />
Parteien“). Sie hat bundesweit über 2.000 Mitglieder und wird vom<br />
Zentralkomitee der Partei (Stefan Engel / Vorsitz, dessen Ehefrau und zwölf<br />
weitere Parteimitglieder) geleitet. Ihr Sitz ist in Gelsenkirchen. Parteiorgan<br />
ist die Wochenzeitung „Rote Fahne“. Die Jugendorganisation „Rebell“ gibt<br />
ein gleichnamiges Magazin heraus. Die Kinderorganisation „Rotfüchse“<br />
soll bereits Kinder an die Ideologie der MLPD heranführen. Die Partei ist<br />
206
Glossar<br />
stalinistisch-maoistisch orientiert und sieht sich als „politische Vorhutorganisation<br />
der Arbeiterklasse in Deutschland“. Sie ist der Auffassung, dass<br />
sich der Sozialismus nur auf der Grundlage einer „proletarischen Denkweise“<br />
erkämpfen und aufbauen lasse. Da sie auf Bundes- und Landesebene<br />
keine nennenswerten Wahlergebnisse erzielen konnte, wendet sie sich seit<br />
dem Ende der 90er Jahre verstärkt der Kommunalpolitik zu. Die MLPD ist<br />
wegen ihrer maoistischen Positionen und der Relativierung stalinistischer<br />
Verbrechen im linksextremistischen Spektrum weitgehend isoliert.<br />
Nachrichtendienstliche Mittel<br />
Der <strong>Verfassungsschutz</strong> unterrichtet die Landesregierung und die Öffentlichkeit<br />
über Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung richten, damit Maßnahmen für deren Verteidigung eingeleitet<br />
werden können. Für diesen Gesetzesauftrag sammelt der <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
Informationen über Extremisten.<br />
Der <strong>Verfassungsschutz</strong> gewinnt seine Informationen aus offen zugänglichen<br />
Quellen (beispielsweise Internet-Seiten, Zeitschriften, Flugblätter)<br />
und durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die sach- und personenbezogenen<br />
Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen werden ausgewertet<br />
und die daraus gewonnen Erkenntnisse an zuständige Stellen weitergegeben,<br />
um so die demokratische Grundordnung zu schützen.<br />
Das <strong>Brandenburg</strong>ische <strong>Verfassungsschutz</strong>gesetz gestattet in Paragraf 6,<br />
Absatz 3 unter anderem folgende nachrichtendienstliche Mittel: Einsatz<br />
von V-Leuten (siehe „V-Leute“), Observation, Anwendung technischer<br />
Hilfsmittel wie Bild- und Tonaufzeichnungen außerhalb des Schutzbereichs<br />
der Wohnung sowie Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.<br />
Die Intensität solcher Maßnahmen ist unterschiedlich. Nach streng<br />
geregelten Verfahren genehmigen beziehungsweise kontrollieren parlamentarische<br />
Kontrollgremien den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel.<br />
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)<br />
siehe Berichtsteil ab Seite 9<br />
207
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Nationalsozialismus<br />
Nationalsozialismus war eine völkisch-antisemitisch-national-sozial-revolutionäre<br />
Bewegung in Deutschland (1919-45), die sich 1920 als „Nationalsozialistische<br />
Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) organisierte und die<br />
unter Führung Adolf Hitlers 1933 eine totalitäre Diktatur in Deutschland<br />
errichtete. Der Nationalsozialismus weist zahlreiche Parallelen, aber auch<br />
Unterschiede zum italienischen Faschismus auf.<br />
Neonazismus<br />
Die Begriffe „Neonazismus“ und „Rechtsextremismus“ werden umgangssprachlich<br />
häufi g synonym verwandt. Der <strong>Verfassungsschutz</strong> dagegen<br />
versteht unter Neonazis diejenigen Rechtsextremisten, die ein politisches<br />
System nach dem Vorbild des nationalsozialistischen „Dritten Reichs“ (siehe<br />
„Nationalsozialismus“) mit „rassenreiner Volksgemeinschaft“ (siehe<br />
„Rassismus“) und totalitärem Führerstaat anstreben. Die Verbrechen, die<br />
vom nationalsozialistischen Regime 1933-1945 begangen wurden, verharmlosen,<br />
verherrlichen und leugnen sie gleichzeitig. Adolf Hitler und Rudolf<br />
Heß sind für Neonazis Identifi kationsfi guren. Je nach Strömung werden<br />
zusätzlich andere Verbrecher des Regimes verehrt, zum Beispiel Otto<br />
und Gregor Strasser oder Ernst Röhm. Kleine Teile des neonazistischen<br />
Spektrums knüpfen an die Ideologie des Nationalbolschewismus an. Einige<br />
Neonazis stellen gegenwartsbezogene Themen in den Mittelpunkt ihrer<br />
völkischen und rassistischen Agitation, bleiben aber dem Führerprinzip<br />
und der rassistischen Fremdenfeindlichkeit verhaftet.<br />
Proliferation<br />
Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen<br />
und Waffenträgersystemen beziehungsweise von Produkten<br />
und Kenntnissen, die zur Herstellung solcher Waffen dienen können. Oftmals<br />
ist bei Lieferungen solcher Produkte die beabsichtigte Rüstungsproduktion<br />
nicht erkennbar oder wird verschleiert, zumal sie häufi g sowohl im<br />
militärischen als auch im zivilen Bereich verwendet werden können - so<br />
genannte Dual-Use-Güter.<br />
208
Radikalismus<br />
siehe „Extremismus“<br />
Glossar<br />
Rassismus<br />
Alle Ausprägungen des Rechtsextremismus sind rassistisch. Rassisten teilen<br />
Menschen anhand bestimmter Merkmale in höher- und minderwertige<br />
Gruppen ein. Merkmale sind beispielsweise die Hautfarbe, die Nationalität<br />
oder Herkunft, Kultur und Religion. Um diese Gruppen voneinander ab- beziehungsweise<br />
auszugrenzen, verlangen Rassisten „ethnisch homogene“<br />
Nationen. Gewöhnlich gehen Rassisten dabei davon aus, dass Mitglieder<br />
der „weißen Rassen“ anderen überlegen seien. Daraus ziehen Rechtsextremisten<br />
ihre Rechtfertigung für Diskriminierung und Ausgrenzung aller<br />
ihnen unliebsamen Gruppen. Solch eine Diskriminierung verstößt gegen<br />
Verfassungsgrundsätze. Rassismus wird auch als Begründung für Fremdenfeindlichkeit<br />
(siehe „Fremdenfeindlichkeit“) benutzt. Eine spezielle<br />
Form des Rassismus ist der Antisemitismus (siehe „Antisemitismus“).<br />
Rechtsextremismus<br />
Folgende Einstellungen charakterisieren Rechtsextremisten: Ablehnung<br />
der Menschenrechte; Ablehnung der Gleichheit der Menschen vor dem<br />
Gesetz; übersteigerter, oft aggressiver Nationalismus, verbunden mit einer<br />
Feindschaft gegen Fremde oder fremd Aussehende, gegen Minderheiten,<br />
fremde Völker und Staaten (siehe „Rassismus“); Verschweigen, Verharmlosen<br />
oder Leugnen der nationalsozialistischen Verbrechen von 1933-1945<br />
(siehe „Revisionismus, rechtsextremistischer“).<br />
In unterschiedlicher Gewichtung und Ausprägung lassen sich in den einzelnen<br />
rechtsextremistischen Strömungen folgende Kernelemente ausmachen:<br />
Rassismus, ein biologistisch geprägtes Menschenbild und Antisemitismus;<br />
völkischer Kollektivismus, also pauschale Überbewertung einer<br />
meist rassistisch defi nierten „Volksgemeinschaft“ zu Lasten der Rechte<br />
und Interessen des Individuums; Militarismus samt dem Bestreben, auch<br />
zivile Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nach hierarchischen Prinzipien<br />
(„Führer und Gefolgschaft“) zu ordnen; Etatismus, also die Forderung<br />
nach einer autoritären oder diktatorischen staatlichen Ordnung.<br />
209
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Angesichts der vielfältigen Ausprägungen des Rechtsextremismus ist es<br />
nicht sachgerecht, Rechtsextremisten unterschiedslos als „Nazis“, „Neonazis“<br />
oder „Faschisten“ zu bezeichnen. Den Nationalsozialismus von<br />
1933 bis 1945 betrachten nur die Anhänger des Neonationalsozialismus<br />
(siehe auch „Neonazismus“ und „Nationalsozialismus“) als fortgeltendes<br />
Leitbild.<br />
Auf den Faschismus, das in Italien 1922 bis 1944 bestehende Herrschaftssystem<br />
und dessen von Benito Mussolini geprägte faschistische Ideologie,<br />
berufen sich in Deutschland allenfalls rechtsextremistische Splittergruppen.<br />
Dennoch wird in der Alltagssprache „Faschismus“ oft mit „Rechtsextremismus“<br />
gleichgesetzt.<br />
Rechtsextremistische Parteien<br />
Rechtsextremistische Parteien wollen den demokratischen Staat des<br />
Grundgesetzes „abwickeln“ und durch einen totalitären Führerstaat ersetzen.<br />
Sie propagieren beispielsweise ein so genanntes „lebensrichtiges<br />
Menschenbild“, das rassistisch ist. In <strong>Brandenburg</strong> treten die „Nationaldemokratische<br />
Partei Deutschlands“ (NPD) und die „Deutsche Volksunion“<br />
(DVU) regelmäßig zu Wahlen an. Der zwischen beiden Parteien geschlossene<br />
„Deutschland-Pakt“ schließt zur Zeit jedoch ein gleichzeitiges Antreten<br />
oberhalb der kommunalen Ebenen aus. Während die DVU zentralistisch<br />
auf ihre Parteiführung in München ausgerichtet ist, nimmt die NPD<br />
verschiedene rechtsextremistische Strömungen in sich auf, zum Beispiel<br />
Neonazis. Im Wahlkampf zielen rechtsextremistische Parteien sowohl auf<br />
Stamm- als auch auf Protestwähler.<br />
Revisionismus, rechtsextremistischer<br />
Als (Geschichts-)Revisionismus bezeichnet man den politisch motivierten<br />
Versuch, Verbrechen unter nationalsozialistischer Herrschaft im Wege einer<br />
„nochmaligen Betrachtung“ zu relativieren oder zu leugnen. Durch vermeintlich<br />
entlastende und verzerrende Darstellung der Geschichte soll die<br />
rechtsextremistische Ideologie wieder politikfähig werden. Insbesondere im<br />
Rahmen einer gezielten „Revisionismus-Kampagne“ versuchen Rechtsextremisten<br />
aus aller Welt seit Jahren, den millionenfachen Mord an den europäischen<br />
Juden zu bestreiten oder zumindest die Zahl der Opfer in Frage<br />
210
Glossar<br />
zu stellen. Dazu berufen sich Revisionisten auf häufi g von ihnen selbst<br />
in Auftrag gegebene pseudowissenschaftliche „Gutachten“ („Leuchter-Report“,<br />
„Rudolf-Gutachten“), in denen versucht wird, die Massenvernichtung<br />
in den Konzentrationslagern als technisch unmöglich darzustellen. In der<br />
Bundesrepublik wird dieses Verhalten strafrechtlich geahndet.<br />
Sicherheitsüberprüfung<br />
siehe Geheimschutz<br />
Skinheads<br />
Die Wurzeln der Skinheadbewegung liegen im Großbritannien der späten<br />
1960er Jahre. Sie war ursprünglich eine unpolitische, der Arbeiterschicht<br />
entstammende Jugendbewegung. Auch heute interessiert sich ein großer<br />
Teil der Skinheadszene nicht für politische Themen, sondern fühlt sich lediglich<br />
einer von einschlägiger Musik und Mode geprägten Subkultur zugehörig.<br />
Die Öffentlichkeit nimmt allerdings von der vielschichtigen Skinheadszene<br />
hauptsächlich den rechtsextremistischen Flügel („Boneheads“, „White-<br />
Power-Skins“ und „Fascho-Skins“) wahr, der sich über eine bestimmte<br />
Mode sowie Musik und über eine von neonazistischen Ideologieelementen<br />
durchsetzte Einstellung defi niert. Wichtige Bindeglieder der internationalen<br />
rechtsextremistischen Skinheadszene sind Skinhead-Musik, die auf Tonträgern<br />
und bei Konzerten mit oft aggressiven, zum Teil neonazistischen<br />
Texten verbreitet wird, und Skinhead-Modeartikel. Die Produkte werden<br />
von zahlreichen Vertriebsdiensten im Versandhandel angeboten sowie<br />
über einschlägige Internetseiten, in Foren und Skin-Magazinen (Fanzines)<br />
beworben.<br />
Eine Minderheit in der Skinheadszene ist dem linksextremistischen Spektrum<br />
zuzuordnen. „Red Skins“, SHARPs („Skinheads Against Racial Prejudice“)<br />
oder R.A.S.H.s („Red and Anarchist Skinheads“) grenzen sich<br />
energisch gegen „Nazis und Rassismus“ ab. Ein kleiner Teil dieses Personenkreises<br />
vertritt linksextremistische Vorstellungen. Linksextremistische<br />
Skinheads fi nden sich auch in der autonomen Szene und engagieren sich<br />
zum Teil in der autonomen Antifa (siehe „Autonome / autonome Antifa“).<br />
211
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Spionage<br />
Wenn ein Staat mit verdeckten Mitteln und Methoden politische Entscheidungsprozesse<br />
sowie wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische<br />
Potenziale eines anderen Staates ausforscht, um auf unerlaubte Weise<br />
Vorteile und Informationen zu gewinnen, betreibt er Spionage. Spionageabwehr<br />
ist Auftrag des <strong>Verfassungsschutz</strong>es. Die politische und militärische<br />
Spionage erreichte während des „Kalten Krieges“ ihren Höhepunkt, bleibt<br />
aber auch heute angesichts zahlreicher Interessengegensätze in der Staatenwelt<br />
aktuell. Insbesondere die staatlich gelenkte Wirtschaftsspionage<br />
ist eine Bedrohung und Belastung, die sich gegen Firmen, Unternehmen<br />
und Verbände richtet. Sie ist zu unterscheiden von der wirtschaftlichen<br />
Konkurrenzspionage, mit der ein privates Unternehmen gegen ein anderes<br />
vorgeht. Diese Form der Spionage ist nicht Gegenstand des <strong>Verfassungsschutz</strong>auftrages.<br />
Terrorismus<br />
Terrorismus ist Gewalt gegen eine bestehende Ordnung, um einen politischen<br />
Wandel über schwere Straftaten zu erzwingen. Terror dient dabei<br />
als Druckmittel, indem Angst und Schrecken verbreitet werden. Terrorismus<br />
benötigt mediale Öffentlichkeit, die er gerade über zivile Opfer erzeugt.<br />
Trotzkismus<br />
Der Trotzkismus ist eine politisch-ideologische Richtung, die auf Leo<br />
Trotzki, einen der Hauptakteure der russischen Oktoberrevolution 1917,<br />
zurückgeht. Ziel der Trotzkisten ist eine „permanente Revolution“ und die<br />
„Diktatur des Proletariats“ unter ihrer Führung. Trotzkistische Parteien stehen<br />
abseits von den übrigen kommunistischen Parteien. Um dennoch über<br />
ihre engen Zirkel hinaus Einfl uss zu gewinnen, bedienen Trotzkisten sich<br />
der Methode des gezielten Unterwanderns (Entrismus).<br />
Verbotene Kennzeichen<br />
Nach Paragraf 86 a Strafgesetzbuch ist das Verwenden von Kennzeichen<br />
verfassungswidriger Organisationen strafbar. Kennzeichen sind Fahnen,<br />
Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Das Verbot umfasst<br />
212
Glossar<br />
Kennzeichen verbotener Parteien, verbotener Vereinigungen, Kennzeichen<br />
ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen oder zum Verwechseln<br />
ähnliche Kennzeichen. Bekannteste Beispiele solcher Straftaten sind das<br />
Schmieren von Hakenkreuzen oder das Zeigen des so genannten. „Hitlergrußes“.<br />
Verschlusssachen<br />
siehe Geheimschutz<br />
V-Mann<br />
Das brandenburgische <strong>Verfassungsschutz</strong>gesetz erlaubt in Paragraf 6,<br />
Absatz 3 den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel (siehe „Nachrichtendienstliche<br />
Mittel“), darunter unter anderem den Einsatz von V-Leuten und<br />
geheimen Informanten. V-Leute sind Privatpersonen, die aus unterschiedlichen<br />
Interessen Informationen aus dem Bereich des politischen Extremismus<br />
weitergeben, dem sie angehören oder in dem sie sich bewegen<br />
können. V-Leute sind keine Mitarbeiter der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde.<br />
Ein Vertrauensverhältnis besteht zu solch einer Person ausdrücklich nicht.<br />
Der Geheimhaltung bedarf es deshalb, weil Identität und Verbindung zum<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong> im Interesse der weiteren Informationsgewinnung geschützt<br />
werden müssen.<br />
“Zionist Occupied Government” (ZOG)<br />
“Zionist Occupied Government” (ZOG) kommt aus dem Englischen und<br />
heißt wörtlich übersetzt „Zionistisch besetzte Regierung”. Die Abkürzung<br />
ist eine in rechtsextremen Bewegungen übliche antisemitische Schmiererei.<br />
Mit dem Ausdruck ist gemeint, dass die Regierung von Juden „besetzt”<br />
beziehungsweise „erobert”, also fremdbestimmt sei und demnach das<br />
Staatsvolk nicht repräsentiere, sondern unterdrücke. Rechtsextremisten<br />
sehen in den „zionistisch besetzten Regierungen“ ein Indiz für eine jüdische<br />
Weltverschwörung.<br />
213
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
214
Gesetzestexte<br />
Gesetzestexte<br />
Gesetz über den <strong>Verfassungsschutz</strong> im Land <strong>Brandenburg</strong><br />
(<strong>Brandenburg</strong>isches <strong>Verfassungsschutz</strong>gesetz- BbgVerfSchG)<br />
Vom 5. April 1993 (GVBl. I/93, [Nr. 04], S. 78),<br />
zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 30. November 2007<br />
(GVBl. I/07, [Nr. 15], S. 193, 203)<br />
Erster Abschnitt<br />
Allgemeine Vorschriften<br />
§ 1<br />
Zweck des <strong>Verfassungsschutz</strong>es; Auftrag der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Der <strong>Verfassungsschutz</strong> dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und<br />
der Länder.<br />
(2) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde unterrichtet die Landesregierung und andere<br />
zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder.<br />
Dadurch soll es ihnen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die<br />
erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen.<br />
§ 2<br />
Zuständigkeit der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde ist das Ministerium des Innern. Es unterhält für<br />
diese Aufgaben eine besondere Abteilung.<br />
(2) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf einer polizeilichen Dienststelle nicht<br />
angegliedert werden.<br />
(3) <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich<br />
dieses Gesetzes nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes im<br />
Einvernehmen, die des Bundes nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften<br />
nur im Benehmen mit der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde des Landes<br />
<strong>Brandenburg</strong> tätig werden.<br />
§ 3<br />
Aufgaben der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Zur Erfüllung ihres Auftrages sammelt die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
Informationen, insbesondere sach- und personenbezogene Auskünfte,<br />
Nachrichten und Unterlagen, über<br />
1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,<br />
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet<br />
sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane<br />
des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum<br />
Ziel haben,<br />
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<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik<br />
Deutschland für eine fremde Macht,<br />
3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung<br />
von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige<br />
Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,<br />
4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel<br />
9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche Zusammenleben<br />
der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.<br />
und wertet sie aus. Voraussetzung für ihr Tätigwerden ist das Vorliegen tatsächlicher<br />
Anhaltspunkte.<br />
(2) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde wirkt mit<br />
1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse<br />
geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse<br />
anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich<br />
verschaffen können,<br />
2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfi<br />
ndlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen<br />
beschäftigt sind oder werden sollen,<br />
3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen<br />
Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen<br />
gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte.<br />
Die Befugnisse der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde bei der Mitwirkung nach Satz<br />
1 Nr. 1 und 2 sind in dem <strong>Brandenburg</strong>ischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz<br />
geregelt.<br />
§ 4<br />
Begriffsbestimmungen<br />
(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind<br />
1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche<br />
politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in<br />
einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist,<br />
die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben,<br />
ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes<br />
Gebiet abzutrennen,<br />
2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche<br />
politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in<br />
einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist,<br />
den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit<br />
erheblich zu beeinträchtigen,<br />
3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />
solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen<br />
216
Gesetzestexte<br />
in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet<br />
ist, die in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder<br />
außer Geltung zu setzen.<br />
(2) Eine Bestrebung im Sinne dieses Gesetzes ist insbesondere dann gegeben,<br />
wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches<br />
und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten<br />
Grundsätzen erkennen läßt.<br />
(3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes<br />
zählen:<br />
1. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte,<br />
2. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen<br />
und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt<br />
und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner,<br />
unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,<br />
3. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und<br />
die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz<br />
und Recht,<br />
4. das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,<br />
5. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber<br />
der Volksvertretung,<br />
6. die Unabhängigkeit der Gerichte und<br />
7. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft.<br />
(4) Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen<br />
aktiv unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht<br />
in einem oder für einen Personenzusammenschluß handeln, sind Bestrebungen<br />
im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt<br />
gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise sonst geeignet sind, ein<br />
Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen.<br />
(5) Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne der §§ 16 Abs. 1 und 20<br />
Abs. 1 sind Verbrechen oder Vergehen, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe<br />
von sechs Monaten bedroht sind, sowie Rauschgifthandel, Falschgeld-,<br />
Sprengstoff- und Waffendelikte und Straftaten nach § 129 des Strafgesetzbuches.<br />
§ 5<br />
Unterrichtung der Öffentlichkeit<br />
Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde informiert die Öffentlichkeit in zusammenfassenden<br />
Berichten über Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne von § 3 Abs. 1.<br />
Sie unterrichtet jährlich die Öffentlichkeit über die Summe ihrer Haushaltsmittel<br />
und über die Gesamtzahl ihrer Bediensteten.<br />
217
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Zweiter Abschnitt<br />
Befugnisse<br />
§ 6<br />
Befugnisse der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde ist an Gesetz und Recht gebunden.<br />
(2) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben<br />
erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten<br />
verarbeiten, soweit nicht die Bestimmungen des <strong>Brandenburg</strong>ischen Datenschutzgesetzes<br />
oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen.<br />
(3) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf zur Informationsbeschaffung als<br />
nachrichtendienstliche Mittel die folgenden Maßnahmen anwenden:<br />
1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informanten, zum<br />
Zwecke der Spionageabwehr überworbenen Agenten, Gewährspersonen<br />
und verdeckten Ermittlern;<br />
2. Observationen;<br />
3. Bildaufzeichnungen (Fotografi eren, Videografi eren und Filmen) außerhalb<br />
des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes;<br />
4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen;<br />
5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel;<br />
6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter<br />
Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels<br />
13 des Grundgesetzes;<br />
7. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang<br />
bestimmten Kanälen sowie die Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung<br />
und Entschlüsselung von Signalen in Kommunikationssystemen;<br />
8. Verwendung fi ngierter biographischer, berufl icher oder gewerblicher<br />
Angaben (Legenden);<br />
9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen;<br />
10. Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe<br />
des Artikel 10-Gesetzes.<br />
Minderjährige dürfen nicht als Vertrauensleute, sonstige geheime Informanten,<br />
Gewährspersonen oder verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Soweit<br />
sich Personen aus berufl ichen Gründen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />
berufen können, darf die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde diese nicht von sich aus<br />
für ihre Zwecke in Anspruch nehmen; Informationen, die diese Personen unter<br />
Verletzung des § 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht<br />
entgegengenommen werden. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen auch<br />
zu dem in § 7 Abs. 1 Nr. 5 genannten Zweck verwendet werden; die zuständigen<br />
Behörden des Landes sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände sind<br />
218
Gesetzestexte<br />
verpfl ichtet, der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde für diese Tarnmaßnahmen Hilfe zu<br />
leisten.<br />
(4) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
nicht zu. Sie darf die Polizei auch nicht im Wege der<br />
Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist.<br />
(5) Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer<br />
Kenntnis erhoben, so ist sie über den Verwendungszweck aufzuklären.<br />
Die Aufklärungspfl icht umfaßt bei einer beabsichtigten Übermittlung auch<br />
den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die<br />
Tatsache, daß die Erhebung für Zwecke der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. Die betroffene<br />
Person ist auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen.<br />
(6) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
diejenige zu wählen, die die betroffene Person voraussichtlich am wenigsten<br />
beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen,<br />
der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.<br />
(7) Beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel dürfen keine Straftaten begangen<br />
werden. Die abschließende Aufzählung der Straftatbestände, die<br />
verwirklicht werden dürfen, erfolgt in einer Dienstvorschrift nach Vorlage in<br />
der Parlamentarischen Kontrollkommission.<br />
§ 7<br />
Besondere Formen der Datenerhebung<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben Informationen,<br />
insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß § 6<br />
Abs. 3 nur erheben, wenn<br />
1. sich ihr Einsatz gegen Personenzusammenschlüsse, in ihnen oder einzeln<br />
tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den<br />
Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 bestehen,<br />
2. sich ihr Einsatz gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen<br />
richtet, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß<br />
sie für diese bestimmte oder von diesen herrührende Mitteilungen entgegennehmen<br />
oder weitergeben,<br />
3. ihr Einsatz gegen andere als in den Nummern 1 und 2 genannten Personen<br />
unumgänglich ist, um Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder<br />
geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen<br />
zu gewinnen, die sich durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete<br />
Vorbereitungshandlungen gegen die in § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 genannten<br />
Schutzgüter wenden,<br />
4. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten<br />
nach § 3 Abs. 1 erforderlichen Quellen in Personenzusammenschlüssen<br />
nach Nummer 1 gewonnen werden können oder<br />
219
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
5. dies zum Schutz der Bediensteten, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen<br />
der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde gegen sicherheitsgefährdende oder<br />
geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist.<br />
Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes<br />
auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise<br />
möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen,<br />
wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine<br />
Auskunft nach § 15 gewonnen werden kann. Die Anwendung eines Mittels<br />
gemäß § 6 Abs. 3 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des<br />
aufzuklärenden Sachverhaltes stehen, insbesondere nicht zu der Gefahr, die<br />
von der jeweiligen Bestrebung oder Tätigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 ausgeht.<br />
Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder<br />
sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht<br />
werden kann.<br />
(2) Die mit den Mitteln nach § 6 Abs. 3 gewonnenen Informationen dürfen<br />
nur für den jeweiligen Erhebungszweck genutzt werden. Eine anderweitige<br />
Nutzung ist nur zulässig, wenn das zur Informationsgewinnung verwendete<br />
Mittel auch für den jeweils anderen Nutzungszweck hätte eingesetzt<br />
werden dürfen. Sie ist ferner zulässig im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen<br />
nach § 3 Abs. 2 und in Verwaltungsverfahren, in denen die Beteiligung<br />
der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde gesetzlich vorgeschrieben ist.<br />
(3) Das Mithören oder Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes<br />
unter Einsatz technischer Mittel oder sonstige Maßnahmen nach § 6 Abs.<br />
3, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post und<br />
Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, sind zulässig, wenn dadurch Erkenntnisse<br />
über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten<br />
für eine fremde Macht oder Bestrebungen, die auf Gewaltanwendung<br />
gerichtet sind oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten<br />
gegenüber den in § 4 Abs. 3 genannten Grundsätzen erkennen lassen,<br />
gewonnen werden können. Ein solcher Eingriff bedarf im Einzelfall der<br />
vorherigen Zustimmung des Ministers des Innern, im Falle seiner Verhinderung<br />
der seines Vertreters. Die Parlamentarische Kontrollkommission<br />
ist in der jeweils nächsten Sitzung, bei Fortdauer der Maßnahmen jeweils<br />
in Abständen von drei Monaten, zu unterrichten. Die durch den Eingriff<br />
erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 des<br />
Artikel 10-Gesetzes, zur Erforschung oder Verfolgung einer Straftat nach<br />
§ 129 des Strafgesetzbuches sowie für die in Absatz 2 Satz 3 genannten<br />
Zwecke genutzt werden.<br />
(4) Beim Einsatz von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern sowie bei<br />
Observationen fi nden die Bestimmungen in Absatz 3 Satz 3 entsprechende<br />
Anwendung, ohne daß die Identität der Vertrauensleute oder verdeckten<br />
Ermittler, auch nicht in mittelbarer Form, offenbart wird.<br />
220
Gesetzestexte<br />
§ 8<br />
Speicherung, Veränderung, Nutzung, Berichtigung,<br />
Sperrung und Löschung personenbezogener Daten<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 3<br />
Abs. 1 Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, speichern,<br />
verändern und nutzen, wenn<br />
1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 vorliegen<br />
oder<br />
2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten<br />
nach § 3 Abs. 1 erforderlich ist.<br />
Die Speicherung von Informationen über das Verhalten Minderjähriger vor Vollendung<br />
des 14. Lebensjahres zu ihrer Person ist unzulässig. Mittels automatisierter<br />
Datenverarbeitung zu ihrer Person gespeicherte Daten Minderjähriger<br />
dürfen nur einem besonders beschränkten Personenkreis zugänglich gemacht<br />
werden. Die Speicherdauer ist auf das für die Aufgabenerfüllung erforderliche<br />
Maß zu beschränken.<br />
(2) Gespeicherte Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird die<br />
Richtigkeit von der betroffenen Person bestritten, so ist dies im Zusammenhang<br />
mit dem Datum, dessen Richtigkeit bestritten wird, zu vermerken. Sie<br />
sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige<br />
Interessen Betroffener beeinträchtigt sein können.<br />
(3) Personenbezogene Daten sind zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig<br />
war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nach § 3 Abs. 1<br />
nicht mehr erforderlich ist. Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde prüft bei der<br />
Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf<br />
Jahren, sofern Minderjährige betroffen sind, nach zwei Jahren, ob gespeicherte<br />
personenbezogene Daten zu löschen oder zu berichtigen sind. Die<br />
Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch<br />
schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In<br />
diesem Fall sind die Daten zu sperren; sie dürfen nur noch mit Einwilligung<br />
der betroffenen Person verwendet werden. Ein schutzwürdiges Interesse<br />
liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach § 12 Abs. 1<br />
gestellt hat.<br />
(4) Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach § 3<br />
Abs. 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach § 3<br />
Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten<br />
gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter<br />
der <strong>Verfassungsschutz</strong>abteilung im Ministerium des Innern, im Falle seiner<br />
Verhinderung sein Vertreter, trifft im Einzelfall eine andere Entscheidung.<br />
Daten über Minderjährige sind nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn,<br />
dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse über Bestrebungen<br />
oder Tätigkeiten im Sinne von § 3 Abs. 1 angefallen sind.<br />
221
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
(5) Informationen aus der engeren Persönlichkeitssphäre des Betroffenen,<br />
die mittels automatisierter Datenverarbeitung gespeichert sind, dürfen nur<br />
einem besonders beschränkten Personenkreis zugänglich gemacht werden.<br />
(6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle,<br />
der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen<br />
Betriebs einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert<br />
werden, dürfen nur für diese Zwecke sowie zum Nachweis strafbarer<br />
Handlungen nach § 38 des <strong>Brandenburg</strong>ischen Datenschutzgesetzes verwendet<br />
werden.<br />
§ 9<br />
(aufgehoben)<br />
§ 10<br />
(aufgehoben)<br />
§ 11<br />
(aufgehoben)<br />
Dritter Abschnitt<br />
Auskunft und Einsicht<br />
§ 12<br />
Auskunft, Einsicht und Benachrichtigung<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde erteilt auf Antrag unentgeltlich Auskunft<br />
über die zur antragstellenden Person gespeicherten Daten sowie den<br />
Zweck und die Rechtsgrundlage ihrer Speicherung. Soweit sich die personenbezogenen<br />
Daten in Akten befi nden, ist auf Antrag der antragstellenden<br />
Person Einsicht zu gewähren. Die Akteneinsicht ist auf die Teile<br />
der Akten beschränkt, die personenbezogene Daten der antragstellenden<br />
Person enthalten. Auskunft oder Akteneinsicht können sich auf Antrag<br />
auch auf die Herkunft der Daten, den Zweck ihrer Übermittlung und die<br />
Empfänger von Übermittlungen innerhalb der letzten zwei Jahre erstrecken.<br />
Auskunft aus Akten oder Einsicht in Akten, die nicht zur Person des<br />
Betroffenen geführt werden, sind zu gewähren, soweit die antragstellende<br />
Person Angaben macht, die das Auffi nden der Daten mit angemessenem<br />
Aufwand ermöglichen.<br />
(1a) Soweit Daten zur Person mittels automatisierter Datenverarbeitung gespeichert<br />
sind, erhält die antragstellende Person Einsicht in Ausdrucke der<br />
gespeicherten Datensätze. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.<br />
(2) Auskunftserteilung oder Einsichtsgewährung können nur unterbleiben,<br />
wenn<br />
1. das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung der Erkenntnisse sowie<br />
der nachrichtendienstlichen Arbeitsmethoden und Mittel der Verfassungs-<br />
222
Gesetzestexte<br />
schutzbehörde gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an<br />
der Auskunftserteilung oder Einsicht überwiegt oder<br />
2. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift<br />
oder wegen der überwiegenden berechtigten Interessen von Dritten<br />
geheimgehalten werden müssen.<br />
Die Entscheidung trifft der Leiter der <strong>Verfassungsschutz</strong>abteilung im Ministerium<br />
des Innern oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter unter Abwägung<br />
der in den Nummern 1 und 2 genannten Interessen mit dem Interesse<br />
der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung oder Einsicht.<br />
(3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung oder der Einsichtsgewährung bedarf<br />
keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Verweigerung gefährdet<br />
würde; die Gründe sind aber festzuhalten. Die antragstellende Person<br />
ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen einer Begründung und darauf<br />
hinzuweisen, daß sie sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz<br />
wenden kann. Dem Landesbeauftragten ist auf sein Verlangen Auskunft zu<br />
erteilen und Einsicht zu gewähren. Stellt der Minister des Innern, im Falle<br />
seiner Verhinderung der Staatssekretär, im Einzelfall fest, daß durch die<br />
Auskunft oder die Einsicht die Sicherheit des Bundes oder eines Landes<br />
gefährdet würde, erhält nur der Landesbeauftragte persönlich Auskunft<br />
oder Einsicht. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende<br />
Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
zulassen, sofern sie nicht einer weitergehenden Auskunft<br />
zugestimmt hat.<br />
(4) Bezieht sich die Auskunftserteilung oder die Einsicht auf die Herkunft<br />
personenbezogener Daten von anderen <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden,<br />
der Staatsanwaltschaft und der Polizei, von Landesfi nanzbehörden, soweit<br />
diese personenbezogene Daten in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben<br />
im Anwendungsbereich der Abgabenordnung zur Überwachung<br />
und Prüfung speichern, vom Bundesnachrichtendienst, vom Militärischen<br />
Abschirmdienst und, soweit die Sicherheit des Bundes berührt wird, von<br />
anderen Behörden des Bundesministers der Verteidigung, ist sie nur mit<br />
Zustimmung dieser Stellen zulässig. Das gleiche gilt, wenn diese Behörden<br />
Empfänger von Übermittlungen personenbezogener Daten sind. Soweit<br />
es sich um Behörden des Landes handelt, gelten für die Versagung<br />
der Zustimmung die Absätze 2 und 3 entsprechend.<br />
(5) Von der ohne ihre Kenntnis erfolgten Erhebung personenbezogener Daten<br />
ist die betroffene Person zu benachrichtigen, sobald der Zweck der Erhebung<br />
es zuläßt. Bei Eingriffen nach § 7 Abs. 3 und 4 ist die Parlamentarische<br />
Kontrollkommission spätestens drei Jahre nach der Beendigung des<br />
Eingriffes zu unterrichten, sofern eine Mitteilung an die betroffene Person<br />
nicht erfolgt ist.<br />
223
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
(6) Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach § 12 Abs. 3 tätig,<br />
so kann er die Parlamentarische Kontrollkommission von sich aus unterrichten,<br />
wenn sich im Einzelfall Beanstandungen ergeben, eine Auskunft<br />
an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben<br />
muß.<br />
Vierter Abschnitt<br />
Informationsübermittlung<br />
§ 13<br />
Zulässigkeit von Ersuchen<br />
Wird nach den Bestimmungen dieses Abschnittes um die Übermittlung von<br />
personenbezogenen Daten ersucht, dürfen nur die Daten übermittelt werden,<br />
die bei der ersuchten Behörde bekannt sind oder aus allgemein zugänglichen<br />
Quellen entnommen werden können.<br />
§ 14<br />
Übermittlung von Informationen an die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Die Behörden, Betriebe und Einrichtungen des Landes sowie die der Aufsicht<br />
des Landes <strong>Brandenburg</strong> unterstehenden juristischen Personen des<br />
öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen einschließlich personenbezogener<br />
Daten, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche<br />
Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungsbereich<br />
dieses Gesetzes erkennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder<br />
darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in § 3 Abs. 1 Nr. 1,<br />
3 und 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind.<br />
(2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen<br />
Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus von sich<br />
aus der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde auch alle anderen ihnen bekanntgewordenen<br />
Informationen einschließlich personenbezogener Daten über<br />
Bestrebungen nach § 3 Abs. 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />
bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
erforderlich ist.<br />
(3) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben die<br />
Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen<br />
Sachleitungsbefugnis, die Polizei sowie andere Behörden um Übermittlung<br />
der zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich<br />
personenbezogener Daten ersuchen, wenn sie nicht aus allgemein<br />
zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch<br />
eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden<br />
können. Die Ersuchen sind festzuhalten.<br />
224
Gesetzestexte<br />
(4) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme<br />
nach § 100 a der Strafprozeßordnung bekanntgeworden sind, ist<br />
nach den Vorschriften der Absätze 1 bis 3 nur zulässig, wenn tatsächliche<br />
Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine der in § 3 des Artikel 10-<br />
Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die<br />
dabei übermittelten Kenntnisse und Unterlagen fi nden § 4 Abs. 1 Satz 2<br />
und 3 und § 4 Abs. 2 Satz 2 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung.<br />
Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer<br />
strafprozessualer Maßnahmen bekanntgeworden sind, ist zulässig,<br />
wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach<br />
§ 3 Abs. 1 bestehen. Sie dürfen nur zur Erforschung dieser Bestrebungen<br />
oder Tätigkeiten genutzt werden.<br />
§ 14a<br />
Übermittlung von Informationen durch nicht-öffentliche Stellen<br />
an die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Auskünfte nach § 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes<br />
dürfen nur auf schriftlichen Antrag des Leiters der <strong>Verfassungsschutz</strong>abteilung<br />
im Ministerium des Innern, im Falle seiner Verhinderung seines Vertreters,<br />
eingeholt werden. Über den Antrag entscheidet der Minister des<br />
Innern, im Falle seiner Verhinderung sein Vertreter.<br />
(2) Das Ministerium des Innern unterrichtet die G 10-Kommission über die<br />
beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann das<br />
Ministerium des Innern den Vollzug der Entscheidung auch vor Unterrichtung<br />
der Kommission anordnen. Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen<br />
oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit<br />
der Einholung von Auskünften. Entscheidungen über Auskünfte, die die G<br />
10-Kommission für nicht notwendig oder unzulässig erklärt, hat das Ministerium<br />
des Innern unverzüglich aufzuheben.<br />
(3) Die Kontrollbefugnis der Kommission erstreckt sich auf die gesamte Erhebung,<br />
Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 1 erlangten Daten.<br />
(4) Für die Verarbeitung der nach § 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes<br />
erhobenen Daten ist § 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend<br />
anzuwenden.<br />
(5) Für die Mitteilung an den Betroffenen fi ndet § 12 Abs. 1 und 3 des Artikel<br />
10-Gesetzes entsprechende Anwendung.<br />
(6) Das Ministerium des Innern unterrichtet im Abstand von höchstens sechs<br />
Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über die Durchführung<br />
von Maßnahmen nach Absatz 1.<br />
(7) Das Ministerium des Innern unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium<br />
des Bundes jährlich über die nach Absatz 1 durchgeführten<br />
225
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Maßnahmen nach Maßgabe des § 8 Abs. 10 Satz 1 zweiter Halbsatz des<br />
Bundesverfassungsschutzgesetzes.<br />
(8) Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10<br />
Grundgesetz, Artikel 16 Verfassung des Landes <strong>Brandenburg</strong>) wird nach<br />
Maßgabe des Absatzes 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 6 und 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes<br />
eingeschränkt.<br />
§ 15<br />
Registereinsicht durch die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf zur Aufklärung<br />
1. von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten in der<br />
Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht oder<br />
2. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete<br />
Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines<br />
Landes gerichtet sind, oder<br />
3. von Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung<br />
von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen<br />
auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,<br />
4. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete<br />
Vorbereitungshandlungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung<br />
(Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche<br />
Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes)<br />
gerichtet sind,<br />
von öffentlichen Stellen geführte Register einsehen.<br />
(2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn<br />
1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere<br />
durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der<br />
Zweck der Maßnahme gefährdet würde oder<br />
2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig<br />
beeinträchtigt würde und<br />
3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis<br />
der Einsichtnahme nicht entgegensteht.<br />
(3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 trifft der Leiter der <strong>Verfassungsschutz</strong>abteilung<br />
im Ministerium des Innern, im Falle seiner Verhinderung<br />
sein Vertreter.<br />
(4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz<br />
1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Informationen<br />
sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese<br />
Zwecke nicht mehr benötigt werden.<br />
(5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem<br />
ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der be-<br />
226
Gesetzestexte<br />
troffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich<br />
sind, hervorgehen. Der Nachweis ist gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten<br />
Zugriff zu sichern und am Ende des zweiten Kalenderjahres,<br />
das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten.<br />
§ 16<br />
Übermittlung personenbezogener Daten durch die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf personenbezogene Daten an inländische<br />
Behörden übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich<br />
ist oder die empfangende Behörde die Daten zum Schutz vor<br />
Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1, zur Abwehr einer erheblichen<br />
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder zur Verfolgung einer Straftat<br />
von erheblicher Bedeutung (§ 4 Abs. 5) benötigt oder wenn eine andere<br />
gesetzliche Vorschrift dies vorsieht. Die Übermittlung ist festzuhalten. Die<br />
empfangende Behörde darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich<br />
nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihr<br />
übermittelt wurden.<br />
(2) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde darf personenbezogene Daten an ausländische<br />
öffentliche Stellen sowie an über- und zwischenstaatliche Stellen<br />
übermitteln, wenn dies zum Schutz von Leib oder Leben oder zur Erfüllung<br />
eigener Aufgaben, insbesondere bei grenzüberschreitenden Bestrebungen<br />
oder Tätigkeiten im Sinne von § 3 Abs. 1, erforderlich ist. Die Übermittlung<br />
unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland<br />
oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person,<br />
insbesondere die Gefahr einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen.<br />
Die Übermittlung ist festzuhalten. Die empfangende Stelle<br />
ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten Daten nur zu dem Zweck<br />
verwendet werden dürfen, zu dem sie ihr übermittelt wurden, und daß die<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>behörde sich vorbehält, um Auskunft über die Verwendung<br />
der Daten zu bitten.<br />
(3) Personenbezogene Daten dürfen an andere Stellen nicht übermittelt werden,<br />
es sei denn, daß<br />
1. die betroffene Person zugestimmt hat,<br />
2. dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des<br />
Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder<br />
3. zum Schutz der in § 3 Abs. 2 Nr. 2 genannten Einrichtungen erforderlich<br />
ist<br />
und der Minister des Innern oder von ihm besonders bestellte Beauftragte ihre<br />
Zustimmung im Einzelfall erteilt haben. Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde führt<br />
227
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
hierüber einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, ihre Veranlassung,<br />
die Fundstelle und der Empfänger hervorgehen. Der Nachweis ist gesondert<br />
aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende<br />
des zweiten Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten.<br />
Die empfangende Stelle darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden,<br />
zu dem sie ihr übermittelt wurden. Sie ist auf die Verwendungsbeschränkung<br />
und darauf hinzuweisen, daß die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde sich<br />
vorbehält, um Auskunft über die Verwendung der Daten zu bitten.<br />
§ 17<br />
Übermittlung von Informationen durch die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
an Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten<br />
des Staats- und <strong>Verfassungsschutz</strong>es<br />
(1) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und,<br />
vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, der Polizei<br />
von sich aus die ihr bekanntgewordenen Informationen einschließlich<br />
personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />
bestehen, daß die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von<br />
Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in den<br />
§§ 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten<br />
sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs<br />
des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche<br />
Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe<br />
b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind.<br />
(2) Die Polizei darf zur Verhinderung von Staatsschutzdelikten nach Absatz 1<br />
Satz 2 die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde um Übermittlung der erforderlichen<br />
Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen.<br />
(3) Übermittlungen nach den Absätzen 1 und 2 sind festzuhalten.<br />
§ 18<br />
Übermittlung personenbezogener Informationen an die Öffentlichkeit<br />
Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit über Erkenntnisse der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
dürfen personenbezogene Daten nur bekanntgegeben werden,<br />
wenn dies für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von<br />
Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen zwingend erforderlich ist<br />
und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen<br />
Person überwiegen. Personenbezogene Informationen über Personen der<br />
Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung<br />
ihres Amtes dürfen veröffentlicht werden, wenn überwiegende schutzwürdige<br />
Interessen dieser Personen nicht beeinträchtigt werden.<br />
228
Gesetzestexte<br />
§ 19<br />
Übermittlungsverbote<br />
Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Abschnittes unterbleibt, wenn<br />
1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, daß die Information<br />
zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht mehr erforderlich ist,<br />
2. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung<br />
der Art der Information und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen<br />
der betroffenen Person das öffentliche Interesse an der Übermittlung<br />
überwiegen, wovon in der Regel auszugehen ist, wenn die Information die<br />
engere Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person berührt,<br />
3. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder<br />
4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die<br />
Verpfl ichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspfl ichten oder von<br />
Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen<br />
Vorschriften beruhen, bleibt unberührt.<br />
§ 20<br />
Minderjährigenschutz<br />
(1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten<br />
Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt<br />
werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach § 8<br />
Abs.1 Satz 2 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor,<br />
ist eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen<br />
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder zur Verfolgung einer Straftat von<br />
erheblicher Bedeutung (§ 4 Abs. 5) erforderlich ist.<br />
(2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten<br />
Minderjähriger vor Vollendung des sechzehnten Lebensjahres dürfen<br />
nicht an ausländische oder über- oder zwischenstaatliche Stellen übermittelt<br />
werden.<br />
§ 21<br />
Pfl ichten der empfangenden Stelle<br />
Die empfangende Stelle prüft, ob die nach den Vorschriften dieses Gesetzes<br />
übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich<br />
sind. Ergibt die Prüfung, daß die Daten nicht erforderlich sind, hat<br />
sie die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die<br />
Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich<br />
sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich wäre; in diesem<br />
Fall sind die Daten zu sperren.<br />
229
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
§ 22<br />
Nachberichtspfl icht<br />
Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung gemäß den<br />
Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so sind sie unverzüglich<br />
gegenüber der empfangenden Stelle zu berichtigen.<br />
Fünfter Abschnitt<br />
Parlamentarische Kontrolle<br />
§ 23<br />
Parlamentarische Kontrollkommission<br />
In Angelegenheiten des <strong>Verfassungsschutz</strong>es unterliegt die Landesregierung<br />
unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische<br />
Kontrollkommission.<br />
§ 24<br />
Zusammensetzung und Amtsdauer der Parlamentarischen<br />
Kontrollkommission<br />
(1) Die Parlamentarische Kontrollkommission wird vom Landtag gebildet. Der<br />
Landtag beschließt über ihre Größe, die fünf Mitglieder nicht überschreiten<br />
soll, und Zusammensetzung und wählt die Mitglieder. Die parlamentarische<br />
Opposition muß angemessen vertreten sein.<br />
(2) Scheidet ein Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission aus dem<br />
Landtag oder aus seiner Fraktion aus oder wird es Mitglied der Landesregierung,<br />
so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission.<br />
Ein neues Mitglied ist unverzüglich zu bestimmen. Das<br />
gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen<br />
Kontrollkommission ausscheidet.<br />
(3) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das<br />
Ende einer Wahlperiode des Landtages hinaus solange aus, bis der nachfolgende<br />
Landtag nach Absatz 1 eine neue Parlamentarische Kontrollkommission<br />
gebildet hat.<br />
§ 25<br />
Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />
(1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission<br />
umfassend über die allgemeine Tätigkeit der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde,<br />
das Lagebild und Vorgänge von besonderer Bedeutung und auf<br />
Verlangen der Kommission über Einzelfälle. Die Kommission hat Anspruch<br />
230
Gesetzestexte<br />
auf diese Unterrichtung. Sie kann von der Landesregierung alle für ihre<br />
Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Akten- und Dateneinsicht,<br />
Stellungnahmen und den Zutritt zur <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf mit Zustimmung des<br />
Innenministers Bedienstete zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht<br />
überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen; die Landesregierung<br />
hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu<br />
begründen.<br />
(2) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission<br />
auch über die Herstellung des Einvernehmens für das Tätigwerden von<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>behörden anderer Länder im Land <strong>Brandenburg</strong> gemäß<br />
§ 2 Abs. 2 sowie in allgemeiner Form über die Herstellung des Benehmens<br />
für das Tätigwerden des Bundesamtes für <strong>Verfassungsschutz</strong> gemäß § 5<br />
Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes.<br />
(3) Eingaben einzelner Bürger (Petenten) über ein sie betreffendes Verhalten<br />
der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde sind nach Zustimmung des Petenten der<br />
Parlamentarischen Kontrollkommission zur Kenntnis zu geben, wenn sie<br />
nicht an sie selbst gerichtet sind. Sie hat auf Antrag eines Mitgliedes Petenten<br />
zu hören.<br />
(4) Die Kontrolle der Durchführung des Artikel 10-Gesetzes bleibt den aufgrund<br />
von Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz von der Volksvertretung<br />
bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten.<br />
(5) Für die Parlamentarische Kontrollkommission gilt § 23 Abs. 3 Satz 1 des<br />
<strong>Brandenburg</strong>ischen Datenschutzgesetzes entsprechend.<br />
§ 26<br />
Verfahrensweise der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />
(1) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung;<br />
im übrigen gelten die Bestimmungen der Geschäftsordnung des<br />
Landtages.<br />
(2) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt nicht öffentlich. Auf Antrag<br />
eines Mitgliedes beschließt die Kommission über die Herstellung der Öffentlichkeit,<br />
soweit das öffentliche Interesse oder berechtigte Interessen<br />
eines einzelnen dem nicht entgegenstehen. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen<br />
ist, sind die Mitglieder der Kommission zur Verschwiegenheit<br />
über Angelegenheiten verpfl ichtet, die ihnen dabei bekannt geworden sind.<br />
Das gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Kommission. Die<br />
Verpfl ichtung zur Verschwiegenheit kann von der Kommission aufgehoben<br />
werden, wenn die Gründe für die Verschwiegenheit nachträglich weggefallen<br />
sind. Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen,<br />
231
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines anderen Landes fallen,<br />
ist nur mit deren Zustimmung möglich.<br />
(3) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet den Landtag jährlich<br />
über ihre Tätigkeit.<br />
Sechster Abschnitt<br />
Schlußvorschriften<br />
§ 27<br />
Geltung des <strong>Brandenburg</strong>ischen Datenschutzgesetzes<br />
Bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 3 durch die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde<br />
fi nden die §§ 4a, 9, 12 bis 19, 33 c und 33 d des <strong>Brandenburg</strong>ischen Datenschutzgesetzes<br />
keine Anwendung.<br />
§ 28<br />
Erlaß von Verwaltungsvorschriften<br />
Der Minister des Innern wird ermächtigt, die zur Durchführung dieses Gesetzes<br />
erforderlichen Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Über solche, die nachrichtendienstliche<br />
Mittel nach § 6 Abs. 3 betreffen, ist die Parlamentarische Kontrollkommission<br />
vorab zu unterrichten.<br />
§ 29<br />
(Inkrafttreten, Außerkrafttreten)<br />
232
Gesetzestexte<br />
Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder<br />
in Angelegenheiten des <strong>Verfassungsschutz</strong>es<br />
und über das Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
(Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG)<br />
Vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970),<br />
zuletzt geändert durch § 32 des Gesetzes<br />
vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2590)<br />
– Auszug –<br />
Erster Abschnitt<br />
Zusammenarbeit, Aufgaben der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden<br />
§ 1<br />
Zusammenarbeitspfl icht<br />
(1) Der <strong>Verfassungsschutz</strong> dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und<br />
der Länder.<br />
(2) Der Bund und die Länder sind verpfl ichtet, in Angelegenheiten des <strong>Verfassungsschutz</strong>es<br />
zusammenzuarbeiten.<br />
(3) Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung.<br />
§ 2<br />
<strong>Verfassungsschutz</strong>behörden<br />
(1) Für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern unterhält der Bund<br />
ein Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong> als Bundesoberbehörde. Es untersteht<br />
dem Bundesminister des Innern. Das Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden.<br />
(2) Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund und der Länder untereinander<br />
unterhält jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten<br />
des <strong>Verfassungsschutz</strong>es.<br />
§ 3<br />
Aufgaben der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden<br />
(1) Aufgabe der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden des Bundes und der Länder<br />
ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von<br />
sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen,<br />
über<br />
1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,<br />
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet<br />
sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane<br />
des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum<br />
Ziele haben,<br />
233
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich<br />
dieses Gesetzes für eine fremde Macht,<br />
3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung<br />
von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige<br />
Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,<br />
4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den<br />
Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes),<br />
insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26<br />
Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.<br />
(2) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden des Bundes und der Länder wirken mit<br />
1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse<br />
geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse<br />
anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich<br />
verschaffen können,<br />
2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfi<br />
ndlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen<br />
beschäftigt sind oder werden sollen,<br />
3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen<br />
Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen<br />
gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,<br />
4. bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten<br />
Fällen.<br />
Die Befugnisse des Bundesamtes für <strong>Verfassungsschutz</strong> bei der Mitwirkung<br />
nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April<br />
1994 (BGBl. I S. 867) geregelt.<br />
(3) Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften<br />
gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).<br />
§ 4<br />
Begriffsbestimmungen<br />
(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind<br />
a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche<br />
politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in<br />
einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist,<br />
die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben,<br />
ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes<br />
Gebiet abzutrennen;<br />
b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes<br />
solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen<br />
in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet<br />
ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit<br />
erheblich zu beeinträchtigen;<br />
234
Gesetzestexte<br />
c) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />
solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen<br />
in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet<br />
ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen<br />
oder außer Geltung zu setzen.<br />
Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen<br />
nachdrücklich unterstützt. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung<br />
von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher<br />
Anhaltspunkte. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder<br />
für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne<br />
dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder<br />
aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes<br />
erheblich zu beschädigen.<br />
(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes<br />
zählen:<br />
a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen<br />
und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt<br />
und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner,<br />
unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,<br />
b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und<br />
die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz<br />
und Recht,<br />
c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,<br />
d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber<br />
der Volksvertretung,<br />
e) die Unabhängigkeit der Gerichte,<br />
f) der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und<br />
g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.<br />
§ 5<br />
Abgrenzung der Zuständigkeiten der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden<br />
(1) Die Landesbehörden für <strong>Verfassungsschutz</strong> sammeln Informationen, Auskünfte,<br />
Nachrichten und Unterlagen zur Erfüllung ihrer Aufgaben, werten<br />
sie aus und übermitteln sie dem Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong> und<br />
den Landesbehörden für <strong>Verfassungsschutz</strong>, soweit es für deren Aufgabenerfüllung<br />
erforderlich ist.<br />
(2) Das Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong> darf in einem Lande im Benehmen<br />
mit der Landesbehörde für <strong>Verfassungsschutz</strong> Informationen, Auskünfte,<br />
Nachrichten und Unterlagen im Sinne des § 3 sammeln. Bei Bestrebungen<br />
und Tätigkeiten im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ist Voraussetzung,<br />
dass<br />
235
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
1. sie sich ganz oder teilweise gegen den Bund richten,<br />
2. sie sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken,<br />
3. sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland berühren<br />
oder<br />
4. eine Landesbehörde für <strong>Verfassungsschutz</strong> das Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
um ein Tätigwerden ersucht.<br />
Das Benehmen kann für eine Reihe gleichgelagerter Fälle hergestellt werden.<br />
(3) Das Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong> unterrichtet die Landesbehörden<br />
für <strong>Verfassungsschutz</strong> über alle Unterlagen, deren Kenntnis für das Land<br />
zum Zwecke des <strong>Verfassungsschutz</strong>es erforderlich ist.<br />
§ 6<br />
Gegenseitige Unterrichtung der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden<br />
Die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden sind verpfl ichtet, beim Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong><br />
zur Erfüllung der Unterrichtungspfl ichten nach § 5 gemeinsame<br />
Dateien zu führen, die sie im automatisierten Verfahren nutzen. Diese Dateien<br />
enthalten nur die Daten, die zum Auffi nden von Akten und der dazu notwendigen<br />
Identifi zierung von Personen erforderlich sind. Die Speicherung personenbezogener<br />
Daten ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 10 und 11 zulässig.<br />
Der Abruf im automatisierten Verfahren durch andere Stellen ist nicht zulässig.<br />
Die Verantwortung einer speichernden Stelle im Sinne der allgemeinen Vorschriften<br />
des Datenschutzrechts trägt jede <strong>Verfassungsschutz</strong>behörde nur für<br />
die von ihr eingegebenen Daten; nur sie darf diese Daten verändern, sperren<br />
oder löschen. Die eingebende Stelle muss feststellbar sein. Das Bundesamt<br />
für <strong>Verfassungsschutz</strong> trifft für die gemeinsamen Dateien die technischen und<br />
organisatorischen Maßnahmen nach § 9 des Bundesdatenschutzgesetzes. Die<br />
Führung von Textdateien oder Dateien, die weitere als die in Satz 2 genannten<br />
Daten enthalten, ist unter den Voraussetzungen dieses Paragraphen nur<br />
zulässig für eng umgrenzte Anwendungsgebiete zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden<br />
oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht<br />
oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder<br />
Gewaltanwendung vorzubereiten. Die Zugriffsberechtigung ist auf Personen<br />
zu beschränken, die unmittelbar mit Arbeiten in diesem Anwendungsgebiet<br />
betraut sind; in der Dateianordnung (§ 14) ist die Erforderlichkeit der Aufnahme<br />
von Textzusätzen in der Datei zu begründen.<br />
§ 7<br />
Weisungsrechte des Bundes<br />
Die Bundesregierung kann, wenn ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung<br />
des Bundes erfolgt, den obersten Landesbehörden die für die Zusammenarbeit<br />
der Länder mit dem Bund auf dem Gebiete des <strong>Verfassungsschutz</strong>es<br />
erforderlichen Weisungen erteilen.<br />
236
Gesetzestexte<br />
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses<br />
(Artikel 10-Gesetz – G 10)<br />
Vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 5<br />
des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198)<br />
– Auszug –<br />
§ 1<br />
Gegenstand des Gesetzes<br />
(1) Es sind<br />
1. die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden des Bundes und der Länder, der Militärische<br />
Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst zur Abwehr<br />
von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />
oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich<br />
der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten<br />
Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages,<br />
2. der Bundesnachrichtendienst im Rahmen seiner Aufgaben nach § 1<br />
Abs. 2 des BND-Gesetzes auch zu den in § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 6 und<br />
§ 8 Abs. 1 Satz 1 bestimmten Zwecken<br />
berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, in<br />
den Fällen der Nummer 1 auch die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden<br />
Sendungen zu öffnen und einzusehen.<br />
(2) Soweit Maßnahmen nach Absatz 1 von Behörden des Bundes durchgeführt<br />
werden, unterliegen sie der Kontrolle durch das Parlamentarische<br />
Kontrollgremium und durch eine besondere Kommission (G 10-Kommission).<br />
§ 3<br />
Voraussetzungen<br />
(1) Beschränkungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 dürfen unter den dort bezeichneten<br />
Voraussetzungen angeordnet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte<br />
für den Verdacht bestehen, dass jemand<br />
1. Straftaten des Friedensverrats oder des Hochverrats (§§ 80 bis 83 des<br />
Strafgesetzbuches),<br />
2. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84<br />
bis 86, 87 bis 89 des Strafgesetzbuches, § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes),<br />
3. Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit<br />
(§§ 94 bis 96, 97 a bis 100 a des Strafgesetzbuches),<br />
4. Straftaten gegen die Landesverteidigung (§§ 109 e bis 109 g des Strafgesetzbuches),<br />
5. Straftaten gegen die Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland<br />
stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages<br />
(§§ 87, 89, 94 bis 96, 98 bis 100, 109 e bis 109 g des Strafge-<br />
237
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
setzbuches in Verbindung mit § 1 des NATO-Truppen-Schutzgesetzes,<br />
6. Straftaten nach<br />
a) den §§ 129a und 130 des Strafgesetzbuches sowie<br />
b) den §§ 211, 212, 239 a, 239 b, 306 bis 306 c, 308 Abs. 1 bis 3, § 315<br />
Abs. 3, § 316b Abs. 3 und § 316c Abs. 1 und 3 des Strafgesetzbuches,<br />
soweit diese sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,<br />
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten,<br />
oder<br />
7. Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes<br />
plant, begeht oder begangen hat. Gleiches gilt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte<br />
für den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied einer Vereinigung<br />
ist, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten<br />
zu begehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,<br />
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet<br />
sind.<br />
(2) Die Anordnung ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf<br />
andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich<br />
nur gegen den Verdächtigen oder gegen Personen richten, von denen auf<br />
Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Verdächtigen<br />
bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen<br />
oder weitergeben oder dass der Verdächtige ihren Anschluss benutzt.<br />
Maßnahmen, die sich auf Sendungen beziehen, sind nur hinsichtlich solcher<br />
Sendungen zulässig, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen,<br />
dass sie von dem, gegen den sich die Anordnung richtet, herrühren oder<br />
für ihn bestimmt sind. Abgeordnetenpost von Mitgliedern des Deutschen<br />
Bundestages und der Parlamente der Länder darf nicht in eine Maßnahme<br />
einbezogen werden, die sich gegen einen Dritten richtet.<br />
§ 9<br />
Antrag<br />
(1) Beschränkungsmaßnahmen nach diesem Gesetz dürfen nur auf Antrag<br />
angeordnet werden.<br />
(2) Antragsberechtigt sind im Rahmen ihres Geschäftsbereichs<br />
1. das Bundesamt für <strong>Verfassungsschutz</strong>,<br />
2. die <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden der Länder,<br />
3. das Amt für den Militärischen Abschirmdienst und<br />
4. der Bundesnachrichtendienst<br />
durch den Behördenleiter oder seinen Stellvertreter.<br />
(3) Der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Er muss alle für die<br />
Anordnung erforderlichen Angaben enthalten. In den Fällen der §§ 3 und<br />
8 hat der Antragsteller darzulegen, dass die Erforschung des Sachverhalts<br />
auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.<br />
238
Gesetzestexte<br />
§ 10<br />
Anordnung<br />
(1) Zuständig für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen ist bei Anträgen<br />
der <strong>Verfassungsschutz</strong>behörden der Länder die zuständige oberste<br />
Landesbehörde, im Übrigen ein vom Bundeskanzler beauftragtes Bundesministerium.<br />
§ 12<br />
Mitteilungen an Betroffene<br />
(1) Beschränkungsmaßnahmen nach § 3 sind dem Betroffenen nach ihrer<br />
Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung<br />
ausgeschlossen werden kann. Lässt sich in diesem Zeitpunkt noch<br />
nicht beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen,<br />
sobald eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen<br />
werden kann. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn die G 10-<br />
Kommission einstimmig festgestellt hat, dass<br />
1. diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme<br />
noch nicht eingetreten ist,<br />
2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft<br />
nicht eintreten wird und<br />
3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden<br />
Stelle als auch beim Empfänger vorliegen.<br />
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Beschränkungsmaßnahmen nach den §§ 5<br />
und 8, sofern die personenbezogenen Daten nicht unverzüglich gelöscht<br />
wurden. Die Frist von fünf Jahren beginnt mit der Erhebung der personenbezogenen<br />
Daten.<br />
(3) Die Mitteilung obliegt der Behörde, auf deren Antrag die Anordnung ergangen<br />
ist. Wurden personenbezogene Daten übermittelt, erfolgt die Mitteilung<br />
im Benehmen mit dem Empfänger.<br />
§ 16<br />
Parlamentarische Kontrolle in den Ländern<br />
Durch den Landesgesetzgeber wird die parlamentarische Kontrolle der nach<br />
§10 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen zuständigen<br />
obersten Landesbehörden und die Überprüfung der von ihnen angeordneten<br />
Beschränkungsmaßnahmen geregelt. Personenbezogene Daten dürfen nur<br />
dann an Landesbehörden übermittelt werden, wenn die Kontrolle ihrer Verarbeitung<br />
und Nutzung durch den Landesgesetzgeber geregelt ist.<br />
§ 21<br />
Einschränkung von Grundrechten<br />
Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des<br />
Grundgesetzes) wird durch dieses Gesetz eingeschränkt.<br />
239
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (G10AGBbg)<br />
Vom 14. Dezember 1995 (GVBl. I/95, S. 286),<br />
zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Oktober 2002 (GVBl. I/02, S. 154)<br />
§ 1<br />
Anordnung von Beschränkungen<br />
(1) Oberste Landesbehörde im Sinne des § 10 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes<br />
ist das Ministerium des Innern.<br />
(2) Antragsberechtigt nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 des Artikel 10-Gesetzes ist der<br />
Leiter der <strong>Verfassungsschutz</strong>abteilung im Ministerium des Innern, im Falle<br />
seiner Verhinderung sein Vertreter.<br />
(3) Die Anordnung von Beschränkungen ist durch den Minister des Innern, im<br />
Falle seiner Verhinderung durch seinen Vertreter zu unterzeichnen.<br />
§ 2<br />
G 10-Kommission<br />
(1) Der Landtag wählt eine Kommission, die die vom Ministerium des Innern<br />
angeordneten Beschränkungsmaßnahmen überprüft. Sie ist auch zuständige<br />
Stelle im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 des Artikel 10-Gesetzes. Sie<br />
besteht aus dem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt besitzen<br />
oder Diplomjurist sein muß, und zwei Beisitzern. Für jedes Mitglied<br />
der Kommission wird ein Vertreter gewählt; der Vertreter des Vorsitzenden<br />
muß die Befähigung zum Richteramt besitzen oder Diplomjurist sein. Jede<br />
Fraktion hat das Recht, ein Kommissionsmitglied sowie dessen Vertreter<br />
vorzuschlagen.<br />
(2) Die Bestellung der Mitglieder der Kommission erfolgt für die Dauer einer<br />
Wahlperiode. Die Amtszeit endet mit der Neuwahl der Mitglieder, spätestens<br />
jedoch drei Monate nach Ablauf der Wahlperiode.<br />
(3) Die Mitglieder der Kommission sind in ihrer Amtsführung unabhängig und<br />
Weisungen nicht unterworfen. Sie treffen ihre Entscheidungen mehrheitlich.<br />
(4) Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, die nach Anhörung der<br />
Landesregierung der Bestätigung durch die Parlamentarische Kontrollkommission<br />
nach § 23 des <strong>Brandenburg</strong>ischen <strong>Verfassungsschutz</strong>gesetzes<br />
vom 5. April 1993 (GVBl. I S. 78) bedarf.<br />
(5) Die Beratungen der Kommission sind geheim. Ihre Mitglieder sind zur Geheimhaltung<br />
der Angelegenheiten verpfl ichtet, die ihnen im Rahmen ihrer<br />
Tätigkeit in der Kommission bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die<br />
Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Kommission.<br />
(6) Die Mitglieder der Kommission und ihre Vertreter erhalten eine Entschädigung<br />
für Aufwand, die vom Präsidium des Landtages festgesetzt wird.<br />
Daneben werden als Kosten für Reisen die notwendigen Fahrtkosten nach<br />
den für Landesbeamte der Besoldungsgruppe A 15 geltenden Bestimmungen<br />
erstattet.<br />
240
Gesetzestexte<br />
(7) Der G 10-Kommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige<br />
Personal- und Sachausstattung zur Verfügung zu stellen.<br />
§ 3<br />
Überprüfung angeordneter Beschränkungsmaßnahmen<br />
(1) Das Ministerium des Innern unterrichtet unverzüglich die G 10-Kommission<br />
über die von ihm angeordneten Beschränkungsmaßnahmen vor deren<br />
Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann es den Vollzug der Beschränkungsmaßnahme<br />
bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen; die<br />
Unterrichtung hat dann unverzüglich, spätestens jedoch eine Woche nach<br />
der Anordnung zu erfolgen. Die Kommission entscheidet von Amts wegen<br />
oder aufgrund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit<br />
von Beschränkungsmaßnahmen. Anordnungen, die die Kommission für<br />
unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das Ministerium des Innern<br />
unverzüglich aufzuheben. Die Kontrollbefugnis der Kommission erstreckt<br />
sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach dem<br />
Artikel 10-Gesetz erlangten personenbezogenen Daten. Die Kommission<br />
kann dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf<br />
Akteneinsicht Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes<br />
geben.<br />
(2) Das Ministerium des Innern unterrichtet nach Einstellung einer Beschränkungsmaßnahme<br />
in der nächsten Sitzung, spätestens innerhalb von drei<br />
Monaten, die Kommission über das Ergebnis der Maßnahme und die von<br />
ihm nach § 12 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes vorgenommene Mitteilung<br />
an betroffene Personen oder über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen.<br />
Kann zum Zeitpunkt der Einstellung noch nicht abschließend<br />
über die Mitteilung entschieden werden, unterrichtet es die Kommission<br />
auf ihr Verlangen weiterhin, spätestens alle drei Jahre. Hält die Kommission<br />
eine Mitteilung an die betroffene Person für geboten, hat das Ministerium<br />
des Innern diese unverzüglich zu veranlassen. Betroffenen Personen<br />
steht nachträglich der Rechtsweg offen.<br />
§ 4<br />
Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />
Das Ministerium des Innern unterrichtet auf Anforderung, mindestens jedoch<br />
im Abstand von drei Monaten, die Parlamentarische Kontrollkommission in<br />
allgemeiner und anonymisierter Form über die Durchführung des Gesetzes<br />
zu Artikel 10 Grundgesetz sowie über die Ergebnisse der angeordneten Beschränkungsmaßnahmen.<br />
Der Bericht wird in geheimer Sitzung behandelt.<br />
§ 5<br />
Inkrafttreten<br />
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.<br />
241
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts<br />
(Vereinsgesetz-VereinsG)<br />
Vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593),<br />
zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007<br />
(BGBl. I S. 3198)<br />
- Auszug -<br />
Erster Abschnitt<br />
Allgemeine Vorschriften<br />
§ 1<br />
Vereinsfreiheit<br />
(1) Die Bildung von Vereinen ist frei (Vereinsfreiheit).<br />
(2) Gegen Vereine, die die Vereinsfreiheit mißbrauchen, kann zur Wahrung<br />
der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nur nach Maßgabe dieses Gesetzes<br />
eingeschritten werden.<br />
§ 2<br />
Begriff des Vereins<br />
(1) Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform<br />
jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer<br />
Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen<br />
und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.<br />
(2) Vereine im Sinne dieses Gesetzes sind nicht<br />
1. politische Parteien im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes,<br />
2. Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Parlamente der Länder.<br />
Zweiter Abschnitt<br />
Verbot von Vereinen<br />
§ 3<br />
Verbot<br />
(1) Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes)<br />
behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde<br />
festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen<br />
zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung<br />
oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist<br />
die Aufl ösung des Vereins anzuordnen (Verbot). Mit dem Verbot ist in der<br />
Regel die Beschlagnahme und die Einziehung<br />
1. des Vereinsvermögens,<br />
2. von Forderungen Dritter, soweit die Einziehung in § 12 Abs. 1 vorgesehen<br />
ist, und<br />
242
Gesetzestexte<br />
3. von Sachen Dritter, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der<br />
Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich<br />
gefördert hat oder die Sachen zur Förderung dieser Bestrebungen<br />
bestimmt sind,<br />
zu verbinden.<br />
(2) Verbotsbehörde ist<br />
1. die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige<br />
Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und<br />
Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken;<br />
2. der Bundesminister des Innern für Vereine und Teilvereine, deren Organisation<br />
oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.<br />
Die oberste Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde<br />
entscheidet im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern, wenn sich<br />
das Verbot gegen den Teilverein eines Vereins richtet, für dessen Verbot nach<br />
Satz 1 Nr. 2 der Bundesminister des Innern zuständig ist. Der Bundesminister<br />
des Innern entscheidet im Benehmen mit Behörden, die nach Satz 1 Nr. 1 für<br />
das Verbot von Teilvereinen zuständig gewesen wären.<br />
(3) Das Verbot erstreckt sich, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, auf<br />
alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, daß sie nach<br />
dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins<br />
erscheinen (Teilorganisationen). Auf nichtgebietliche Teilorganisationen<br />
mit eigener Rechtspersönlichkeit erstreckt sich das Verbot nur, wenn<br />
sie in der Verbotsverfügung ausdrücklich benannt sind.<br />
(4) Das Verbot ist schriftlich oder elektronisch mit einer dauerhaft überprüfbaren<br />
Signatur nach § 37 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes<br />
abzufassen, zu begründen und dem Verein, im Falle des Absatzes 3<br />
Satz 2 auch den Teilorganisationen, zuzustellen. Der verfügende Teil des<br />
Verbots ist im Bundesanzeiger und danach im amtlichen Mitteilungsblatt<br />
des Landes bekanntzumachen, in dem der Verein oder, sofern sich das<br />
Verbot hierauf beschränkt, der Teilverein seinen Sitz hat; Verbote nach<br />
§ 15 werden nur im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Das Verbot wird mit<br />
der Zustellung, spätestens mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger,<br />
wirksam und vollziehbar; § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.<br />
(5) Die Verbotsbehörde kann das Verbot auch auf Handlungen von Mitgliedern<br />
des Vereins stützen, wenn<br />
1. ein Zusammenhang zur Tätigkeit im Verein oder zu seiner Zielsetzung<br />
besteht,<br />
2. die Handlungen auf einer organisierten Willensbildung beruhen und<br />
3. nach den Umständen anzunehmen ist, daß sie vom Verein geduldet<br />
werden.<br />
243
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
§ 5<br />
Vollzug des Verbots<br />
(1) Soweit das Verbot nach diesem Gesetz nicht von der Verbotsbehörde<br />
selbst oder den von ihr gemäß § 10 Abs. 3 und § 11 Abs. 3 beauftragten<br />
Stellen zu vollziehen ist, wird es von den von der Landesregierung bestimmten<br />
Behörden vollzogen.<br />
(2) Folgt dem Verbot eines Teilvereins, bevor es unanfechtbar geworden ist,<br />
ein den Teilverein einschließendes Verbot des Gesamtvereins, so ist von<br />
diesem Zeitpunkt an nur noch das Verbot des Gesamtvereins zu vollziehen.<br />
§ 6<br />
Anfechtung des Verbotsvollzugs<br />
(1) Wird eine Maßnahme zum Vollzug des Verbots angefochten und kommt es<br />
für die Entscheidung darauf an, ob das Verbot rechtmäßig ist, so hat das<br />
Verwaltungsgericht, wenn es die Rechtmäßigkeit des Verbots bezweifelt,<br />
das Verfahren auszusetzen, bis über das Verbot unanfechtbar entschieden<br />
ist, und dieses Ergebnis seiner Entscheidung zugrunde zu legen.<br />
(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen zum Vollzug des<br />
Verbots haben keine aufschiebende Wirkung.<br />
§ 8<br />
Verbot der Bildung von Ersatzorganisationen<br />
(1) Es ist verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen<br />
(Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) eines nach § 3 dieses<br />
Gesetzes verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen (Ersatzorganisationen)<br />
oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen<br />
fortzuführen.<br />
(2) Gegen eine Ersatzorganisation, die Verein im Sinne dieses Gesetzes ist,<br />
kann zur verwaltungsmäßigen Durchführung des in Absatz 1 enthaltenen<br />
Verbots nur auf Grund einer besonderen Verfügung vorgegangen werden,<br />
in der festgestellt wird, daß sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins<br />
ist. Die §§ 3 bis 7 und 10 bis 13 gelten entsprechend. Widerspruch und Anfechtungsklage<br />
gegen die Verfügung haben keine aufschiebende Wirkung.<br />
Die für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zuständigen<br />
Behörden und Dienststellen sind bei Gefahr im Verzug zu vorläufi gen Maßnahmen<br />
berechtigt, die außer Kraft treten, wenn die Verbotsbehörde nicht<br />
binnen zweier Wochen die in Satz 1 bestimmte Verfügung trifft.<br />
244
Gesetzestexte<br />
§ 9<br />
Kennzeichenverbot<br />
(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit<br />
des Verbots nicht mehr<br />
1. öffentlich, in einer Versammlung oder<br />
2. in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die<br />
verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind,<br />
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen<br />
im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger<br />
Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.<br />
(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen,<br />
Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten<br />
Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich<br />
sind.<br />
(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins,<br />
die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen<br />
oder von selbständigen, die Zielrichtung des verbotenen<br />
Vereins teilenden Vereinen verwendet werden.<br />
(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer<br />
Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach<br />
§ 8 Abs. 2 Satz 1.<br />
Vierter Abschnitt<br />
Sondervorschriften<br />
§ 14<br />
Ausländervereine<br />
(1) Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer<br />
sind (Ausländervereine), können über die in Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes<br />
genannten Gründe hinaus unter den Voraussetzungen des Absatzes<br />
2 verboten werden. Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich<br />
oder überwiegend ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates<br />
der Europäischen Union sind, gelten nicht als Ausländervereine. § 3 Abs. 1<br />
Satz 2 und § 12 Abs. 1 und 2 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass die<br />
Beschlagnahme und die Einziehung von Forderungen und Sachen Dritter<br />
auch im Falle des Absatzes 2 zulässig sind.<br />
(2) Ausländervereine können verboten werden, soweit ihr Zweck oder ihre<br />
Tätigkeit<br />
1. die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder<br />
das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von<br />
verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicher-<br />
245
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
heit oder Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik<br />
Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet,<br />
2. den völkerrechtlichen Verpfl ichtungen der Bundesrepublik Deutschland<br />
zuwiderläuft,<br />
3. Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets fördert, deren Ziele oder<br />
Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden<br />
staatlichen Ordnung unvereinbar sind,<br />
4. Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser<br />
oder sonstiger Belange unterstützt, befürwortet oder hervorrufen soll oder<br />
5. Vereinigungen innerhalb oder außerhalb des Bundesgebiets unterstützt,<br />
die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten<br />
oder androhen.<br />
(3) Anstelle des Vereinsverbots kann die Verbotsbehörde gegenüber Ausländervereinen<br />
Betätigungsverbote erlassen, die sie auch auf bestimmte<br />
Handlungen oder bestimmte Personen beschränken kann. Im übrigen<br />
bleiben Ausländervereinen gegenüber die gesetzlichen Vorschriften zur<br />
Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unberührt.<br />
246
Personen- und Organisationsverzeichnis<br />
Al Kaida<br />
Al-Zarqawi, Abu Mussab<br />
ANSDAPO<br />
Anti-Antifa<br />
Antifa<br />
Personen- und Organisationsverzeichnis<br />
Antifaschistisches und Antiimperialistisches<br />
Aktionsbündnis gegen die G8<br />
Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive<br />
Anti-G8-Bündnis Potsdam<br />
Apfel, Holger<br />
Appel, Detlef<br />
As-Sufi , Shaikh Abdalqadir<br />
Autonome Antifaschistische Linke Potsdam<br />
Autonome Nationalisten<br />
Antikapitalistisches Bündnis Potsdam<br />
Baier, Klaus<br />
Beier, Klaus<br />
Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V.<br />
Bewegung Neue Ordnung (BNO)<br />
Bewegung Neues Deutschland<br />
Blood & Honour<br />
Böhm, Holle<br />
Bordin, Norman<br />
Bündnis gegen Kapital und Nation<br />
Bund Heimattreuer Jugend<br />
Claus, Michael<br />
Combat 18<br />
Deckert, Günter<br />
Deutsche Kommunistische Partei (DKP)<br />
Deutsche Volksunion (DVU)<br />
247<br />
Seite<br />
141 ff.<br />
143<br />
54, 56<br />
65 f., 92<br />
65, 67, 83 f., 91, 105 f.,<br />
108 f., 113, 122<br />
113<br />
113<br />
114 f.<br />
28<br />
17<br />
131 f.<br />
122<br />
66 f., 68 f., 96<br />
122<br />
10,<br />
13 f., 15, 17<br />
63<br />
15 ff., 31<br />
54 f.<br />
114, 136<br />
60<br />
29<br />
113<br />
60<br />
47<br />
114, 136<br />
28<br />
114, 122, 140, 186, 189<br />
9, 12, 15, 36 ff., 49,<br />
67, 73, 78, 97, 99, 117,<br />
139, 185, 188
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Dissent!<br />
Färber, Julius<br />
Fechner, Birgit<br />
Fischer, Thomas (Hamsa)<br />
Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union - Internationale<br />
Arbeiter Assoziation (FAU-IAA)<br />
Freie Kräfte<br />
Freie Kräfte Teltow-Fläming<br />
Freundeskreis Halbe<br />
Frey, Gerhard<br />
Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF)<br />
Georg, Friedrich<br />
Gesellschaft für freie Publizistik e. V.<br />
Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost <strong>Brandenburg</strong><br />
Graf, Arnold<br />
Guse, Marcel<br />
Hähnel, Jörg<br />
Hafemann, Nico<br />
Hammerskins<br />
Hauptvolk<br />
Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für<br />
Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V. (HDJ)<br />
Heinze, Angela<br />
Herrmann, Rene<br />
Hesselbarth, Liane<br />
Interessengemeinschaft Sturm Oranienburg<br />
Interventionistische Linke (IL)<br />
Islamische Gemeinschaft Millli Görüs (IGMG)<br />
Jakobs, Lars<br />
Jugendheimer, Bernd<br />
Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO)<br />
Junge Nationaldemokraten (JN)<br />
248<br />
113, 119<br />
27<br />
42<br />
128<br />
114<br />
16, 20 f., 31 ff.,<br />
50 f., 56 f., 68,<br />
96, 116, 138 f.<br />
109<br />
71<br />
36, 42, 46<br />
63<br />
37<br />
34<br />
55, 138<br />
41<br />
45<br />
15<br />
72<br />
74<br />
53, 56 f.<br />
24, 60 ff., 96<br />
41<br />
89<br />
43<br />
55<br />
113<br />
187<br />
70<br />
41<br />
85<br />
16, 21 f., 28 ff.,<br />
50 f., 55 ff., 89,<br />
97, 99, 117, 139,<br />
185, 188
Kalifatsstaat<br />
Kameradschaft Süd<br />
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)<br />
KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans<br />
Kuhn, Klaus<br />
Lausitzer Aktionsbündnis (LAB)<br />
Lausitzer Front Guben (LFG)<br />
Lausitzer Widerstandsbewegung<br />
Mann, Klaus<br />
Mann, Sybille<br />
Märkischer Heimatschutz (MHS)<br />
Marx, Peter<br />
Marxistich-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)<br />
Menzel, Klaus-Jürgen<br />
Menzel, Uwe<br />
militante gruppe (mg)<br />
Molau, Andreas<br />
Monkowiak, Thomas<br />
Müller, Michel<br />
Nahrath, Wolfram<br />
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)<br />
Nationaler Bildungskreis (NBK)<br />
Nationaler Hochschulbund (NHB)<br />
Pakleppa, Jens<br />
Palau, Stella<br />
Pastörs, Udo<br />
Paul, Matthias<br />
Privenau, Markus<br />
Räbiger, Sebastian<br />
Redlhammer-Raback, Bärbel<br />
Reinholz, Gordon<br />
Personen- und Organisationsverzeichnis<br />
249<br />
130<br />
29<br />
12, 186, 189<br />
187,191<br />
41<br />
31, 57 f<br />
55, 57<br />
58<br />
45 f., 73, 76<br />
47 ff.<br />
30 f., 55, 57<br />
17, 68<br />
186, 190<br />
10<br />
72<br />
101 ff., 122<br />
34 f.<br />
41<br />
17<br />
60 f..<br />
9 ff., 30 f., 33 ff.,<br />
38 ff., 51, 55 ff.,<br />
61, 63, 65 ff., 71,<br />
74, 88, 97 ff., 105,<br />
108 ff., 117, 123,<br />
139 f., 152 ff.,185,<br />
188<br />
29<br />
29<br />
31<br />
16, 48 f., 152 f.<br />
11, 21, 71<br />
10<br />
40<br />
60 f.<br />
41<br />
30
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Revolutionäres G8-Bündnis<br />
Revolutionär Sozialistischer Bund/IV. Internationale<br />
Richter, Sebastian<br />
Rieger, Jürgen<br />
Ring Nationaler Frauen (RNF)<br />
Rochow, Stefan<br />
Rossmüller, Sascha<br />
Rote Hilfe (RH)<br />
Salomon, Thomas<br />
Sandow, Mike<br />
Schäfer, Michael<br />
Schilling, Bodo<br />
Schmidt, Mirko<br />
Schön, Jürgen<br />
Schuldt, Sigmar-Peter<br />
Schulz, Mario<br />
Schulz, Roland<br />
Schulze, Norbert<br />
Schutzbund Deutschland<br />
Schwemmer, Günther<br />
Schwerdt, Frank<br />
Skinhead-Bands, rechtsextremistische<br />
Sturm 27<br />
Sturm Cottbus<br />
Sukrow, Detlef<br />
Thalheim, Michael<br />
Tittmann, Siegfried<br />
Tönhardt, Dietmar<br />
Tönhardt, Manuela<br />
...ums Ganze!-Bündnis<br />
Valenta, Philipp<br />
Voigt, Udo<br />
Wiking-Jugend<br />
Wilhelm-Tietjen Stiftung für Fertilisation Ltd.<br />
Willig, Angela<br />
250<br />
113<br />
114, 123<br />
21, 29, 31, 58 f<br />
35<br />
16, 19<br />
28<br />
71<br />
118, 140, 186, 190<br />
17<br />
17<br />
28<br />
41<br />
10<br />
10<br />
36<br />
15, 17, 31<br />
41<br />
41<br />
54 ff., 81<br />
41, 45<br />
24<br />
72 ff., 115<br />
53, 56 f<br />
55, 57, 138<br />
41<br />
19<br />
38, 40<br />
40, 46<br />
40<br />
113, 118<br />
28 f.<br />
9, 12, 21, 99, 139<br />
60, 62<br />
35<br />
12
Wirth, Matthias<br />
Worch, Christian<br />
Zasowk, Ronny<br />
Zawahiri, Aiman<br />
Personen- und Organisationsverzeichnis<br />
251<br />
15<br />
65, 71<br />
17, 21<br />
125
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
252
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
Fotonachweis: BTU Cottbus (Titel), Ministerium des Innern (21, 30, 46, 67,<br />
69, 78, 83, 89, 95, 102, 104, 105, 106, 110, 156(3)<br />
Titelmotiv: Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum<br />
der BTU Cottbus<br />
Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung<br />
<strong>Brandenburg</strong> unentgeltlich herausgegeben. Sie ist nicht zum gewerblichen Vertrieb<br />
bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern<br />
während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden.<br />
Das gilt für Landtags-, Bundestags- und Kommunalwahlen sowie für die Wahl der<br />
Mitglieder des europäischen Parlaments. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung<br />
auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das<br />
Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel.<br />
Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung.<br />
Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese<br />
Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu<br />
einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die auf Parteinahme<br />
der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden<br />
werden könnte.<br />
253
<strong>Verfassungsschutz</strong>bericht Land <strong>Brandenburg</strong> 2007<br />
254
I. Die Grundrechte<br />
Artikel 1<br />
(1) Die Würde des Menschen ist<br />
unantastbar. Sie zu achten und zu<br />
schützen ist Verpfl ichtung aller<br />
staatlichen Gewalt.<br />
(2) Das Deutsche Volk bekennt<br />
sich darum zu unverletzlichen und<br />
unveräußerlichen Menschenrechten<br />
als Grundlage jeder menschlichen<br />
Gemeinschaft, des Friedens und<br />
der Gerechtigkeit in der Welt.<br />
(3) Die nachfolgenden Grundrechte<br />
binden Gesetzgebung, vollziehende<br />
Gewalt und Rechtsprechung als<br />
unmittelbar geltendes Recht.<br />
Artikel 2<br />
(1) Jeder hat das Recht auf die freie<br />
Entfaltung seiner Persönlichkeit,<br />
soweit er nicht die Rechte anderer<br />
verletzt und nicht gegen die<br />
verfassungsmäßige Ordnung oder<br />
das Sittengesetz verstößt.<br />
(2) Jeder hat das Recht auf Leben<br />
und körperliche Unversehrtheit.<br />
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.<br />
In diese Rechte darf nur auf<br />
Grund eines Gesetzes eingegriffen<br />
werden.