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Neue gesundheitliche Anforderungen an die Kraftfahrereignung<br />
im Straßenverkehr – Umsetzung von EU-<br />
Richtlinien in der 5. Änderungs-Verordnung der<br />
Fahrerlaubnisverordnung vom 17. 12. 2010<br />
Dr. Rolf Kittel – Leitender Arzt –Ärztezentrum Südwest<br />
Bundeseisenbahnvermögen - Karlsruhe
• wesentliche Neuerungen der gesundheitlichen<br />
Anforderungen an die Kraftfahrereignung im<br />
Straßenverkehr treten zum 1. 7. 2011 in Kraft.<br />
• In der neuen Verordnung werden neue EU-Richtlinien<br />
(Richtlinie 2009/112 +113/EG) umgesetzt,<br />
nachdem vom EU-Führerscheinausschuss ein<br />
Aktualisierungsbedarf für<br />
• Diabetes, Epilepsie und Sehvermögen ermittelt<br />
und Arbeitsgruppen aus von den Mitgliedsstaaten<br />
benannten Sachverständigen eingesetzt wurden.
• Bei Diabetes wird jetzt hinsichtlich der Fahreignung<br />
zwischen niedrigem und hohem Hypoglykämie-Risiko<br />
unterschieden.<br />
• Orale Antidiabetika mit niedrigem Hypoglykämie-<br />
Risiko werden jetzt wie Diät eingestuft,<br />
• während Antidiabetika mit hohem Hypoglykämie-<br />
Risiko wie Insulin bewertet werden (Tab. 1).
Tab. 1: Zuckerkrankheit: Auszug FeVÄndVerO – Klassen A, A1, B, BE, M, L,T =<br />
Motorräder, PKW; Traktoren - Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E,FzF = LKW,<br />
Busse, Fahrzeuge zur Fahrgastbeförderung<br />
5. Zuckerkrank-<br />
heit<br />
5.1 Neigung<br />
zu schweren<br />
Stoffwechsel-<br />
Erkrankungen<br />
5.2 bei erstmaliger<br />
Stoffwechselent-<br />
gleisung oder<br />
neuer Einstellung<br />
Eignung oder<br />
bedingte Eig-<br />
nung<br />
Klassen<br />
A, A1,<br />
B, BE, M, L,T<br />
Nein<br />
ja, nach<br />
Einstellung<br />
Eignung oder<br />
bedingte Eig-<br />
nung<br />
Klassen C, C1,<br />
CE, C1E, D,D1,<br />
DE, D1E, FzF<br />
Nein<br />
ja, nach<br />
Einstellung<br />
Beschränk-<br />
ungen/<br />
Auflagen bei<br />
bedingter<br />
Eignung<br />
---- ----<br />
---- ----<br />
Beschränk-<br />
ungen/<br />
Auflagen bei<br />
bedingter<br />
Eignung<br />
---- ----<br />
---- ----
5. Zuckerkrankheit<br />
5.3 bei ausgeglich-<br />
enerStoffwechsel- lage mit Diät oder<br />
oder oralen Antidia-<br />
betika mit niedrigem<br />
Hypoglykämierisiko<br />
5.4 bei medikament-<br />
öser Therapie mit<br />
hohem Hypokämie-<br />
risiko (z.B. Insulin)<br />
Eignung o.<br />
bedingte Eig-<br />
nung<br />
Klassen<br />
A, A1,<br />
B, BE, M, L,T<br />
ja<br />
ja<br />
Eignung oder<br />
bedingte Eig-<br />
nung<br />
Klassen C, C1,<br />
CE, C1E, D,D1,<br />
DE, D1E, FzF<br />
ja, ausnahms-<br />
weise, bei<br />
guter<br />
Stoffwechsel-<br />
führung über<br />
3 Monate<br />
wie 5.3<br />
Beschränk-<br />
ungen/<br />
Auflagen<br />
bei<br />
bedingter<br />
Eignung<br />
---- ----<br />
---- ----<br />
Beschränk-<br />
ungen/<br />
Auflagen<br />
bei<br />
bedingter<br />
Eignung<br />
Nachunter-<br />
suchung<br />
regelmäßige<br />
Kontrollen
Epilepsie<br />
Verkürzung des das anfallsfreien Intervalls von<br />
bisher 2 auf 1 Jahr Anfallsfreiheit als Bedingung<br />
für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis für die<br />
Klassen A, A1, B, BE, M, L, T unter der<br />
Voraussetzung, dass kein wesentliches Risiko<br />
von Anfallsrezidiven mehr besteht<br />
Neurologische<br />
Untersuchung<br />
z.B.<br />
normales EEG<br />
keine<br />
spikes and waves
Bei den Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E,<br />
FzF sind jetzt keine definierten Nachuntersuchungs-<br />
abstände nach 1, 2 und 4 Jahren mehr vorge-<br />
schrieben.<br />
Die Nachuntersuchungsabstände sind vom<br />
untersuchenden Neurologen<br />
• in Abhängigkeit von der Krankheitsintensität und<br />
vom Risiko individuell festzulegen
6.6<br />
Epi-<br />
lepsie<br />
Eignung oder<br />
bedingte<br />
Eignung<br />
Klassen<br />
A, A1, B, BE, M,<br />
L, T<br />
ausnahmsweise<br />
ja, wenn kein<br />
wesentliches<br />
Risiko von<br />
Anfallsrezidiven<br />
mehr besteht<br />
z.B.<br />
1 Jahr anfallsfrei<br />
Epilepsie<br />
Eignung oder<br />
bedingte<br />
Eignung<br />
Klassen<br />
C, C1, CE, C1E, D1,<br />
DE, D1E, FzF<br />
ausnahmsweise<br />
ja, wenn kein<br />
wesentliches<br />
Risiko von<br />
Anfallsrezidiven<br />
mehr besteht z.B.<br />
5 Jahre anfallsfrei<br />
ohne Therapie<br />
Beschränkungen/<br />
Auflagen<br />
bei<br />
bedingter<br />
Eignung<br />
Nachunter-<br />
suchungen<br />
Beschränkungen/<br />
Auflagen<br />
bei<br />
bedingter<br />
Eignung<br />
Nachunter-<br />
suchungen
Farbensehen (FeV-Änderungsverordnung 17.12.10)<br />
Das Farbensehen ist nach der aktuellen FeV mit<br />
einem geeigneten Test zu prüfen z.B. Ishihara-<br />
oder Velhagen-Tafeln<br />
• Bei Auffälligkeiten Überweisung zum Augenarzt<br />
zur Bestimmung des Anomalquotienten.<br />
Weggefallen ist in der geänderten FeV vom<br />
17. 12. 10 der Passus:<br />
• Bei den Klassen D,D1,DE,D1E und der Erlaubnis<br />
zur Fahrgastbeförderung ist eine Rotblindheit<br />
oder eine Rotschwäche mit einem<br />
Anomalquotienten von unter 0,5 unzulässig.
ISHIHARA-Tafeln<br />
Velhagen/Broschmann-Tafeln
Bei Rotblindheit oder einer Rotschwäche mit<br />
einem Anomalquotienten von unter 0,5<br />
ist eine Aufklärung des Betroffenen über die<br />
mögliche Gefährdung erforderlich<br />
(= neu / FeV-Änderungsverordnung v. 17.12.10)<br />
Auch rotschwache/rotblinde Busfahrer zugelassen<br />
Grenzwerte für den Anomalquotienten AQ<br />
(Anomaloskop nach Nagel):<br />
• 0,63 - 1,4 Normalbereich<br />
• unter 0,63 Rotstörung (Protanomalie)<br />
• über 1,4 Grünstörung (Deuteranomalie)
Fotos: Prof. Wilhelm Tübingen
In den Erläuterungen B zur FeVÄndVerO<br />
heisst es:<br />
„Für die bisherige Einschränkung (unter<br />
FeV Anlage 6 2.2 mit Ausschluss von Rotblindheit<br />
oder einer Rotschwäche mit einem AQ von unter<br />
0,5 bei den Klassen D,D1,DE,D1E und der Erlaubnis<br />
zur Fahrgastbeförderung) gibt es nach wissen-<br />
schaftlichen Erkenntnissen keine Grundlage,<br />
die EG-Führerscheinrichtlinien 2009/112/113<br />
Anlage III Nr. 6.4 Abs. 3 sehen solche Ein-<br />
schränkungen ebenfalls nicht vor“
• Personen mit Einschränkungen des Farbsehvermögens<br />
im Rotbereich erscheinen rote Farben<br />
sehr dunkel.<br />
• Sie nehmen rote Signallichter wesentlich<br />
schwächer und später wahr als Personen mit<br />
einem normalen Farbsehvermögen,<br />
da ein Teil des langwelligen Farbspektrums nicht<br />
bzw. zu dunkel gesehen wird.<br />
• Somit besteht das Risiko, dass rote Bremslichter<br />
oder Positionslichter zu spät gesehen werden<br />
(erhöhtes Risiko für Auffahrunfälle)
Aber FeV-Änderungsverordnung 17.12.10:<br />
Für Inhaber einer bis zum 31. 12. 1998 erteilten<br />
Fahrerlaubnis gelten folgende Anforderungen:<br />
Rotblindheit oder Rotschwäche mit einem<br />
Anomalquotienten von unter 0,5 bei Fahrerlaubnis<br />
zur Fahrgastbeförderung unzulässig<br />
(widersprüchliche Regelung)<br />
Zentrale Tagessehschärfe:<br />
Klasse 2: 0,7 /0,2 ; bei Einäugigkeit 0,7<br />
Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung: 0,7 /0,5<br />
Einäugigkeit nur bei Taxen u. Mietwagen zulässig<br />
Bei Einäugigkeit 0,7
Die ab 1. 7. 2011 in Kraft tretende FeV-Änderung<br />
mit Zulassung von rotblinden und rotschwachen<br />
Bus- und Taxifahrern ist im Vergleich zu den<br />
Vorschriften im Eisenbahn- und Schiffsverkehr und<br />
in der Luftfahrt nicht nachvollziehbar.<br />
Im deutschen und europäischen Schienenverkehr<br />
wird für Lokführer ein normales Farbsehen<br />
(Anomalquotient 0,7 – 1,4) verlangt.<br />
Die europäischen Tauglichkeitsanforderungen in<br />
der Luftfahrt für die Klasse 1 (Verkehrs- und<br />
Berufspiloten) und Klasse 2 (Privatpiloten) fordern<br />
ein normales Farbsehen
Holmgren berichtete, dass das Eisenbahnunglück<br />
bei Lagerlunde in Schweden 1875 der Farbenblind-<br />
heit eines Lokführers zuzuschreiben war.<br />
Elze beschrieb mehrere Schiffsunfälle im 19.Jahr-<br />
hundert durch farbenblinde Kapitäne.<br />
Im Jahr 1900 kollidierten 2 Passagierschiffe auf der<br />
Elbe durch die Farbenblindheit eines Schiffs-<br />
führers, dabei ertranken 110 Passagiere.
Brandl berichtete über zwei gravierende Flug-<br />
unfälle, die durch Rotsinngestörte verursacht<br />
wurden<br />
1984 kam es zu einer Bruchlandung einer Phantom<br />
F4 bei einem Nachtflug, weil der Pilot die seitlichen<br />
Erkennungslichter anderer Flugzeuge verwechselt<br />
hat;
• 2002 erfolgte eine weitere Bruchlandung einer<br />
FEDEX-Maschine, weil der protanope Pilot die<br />
Landelichter falsch interpretiert hat.
• ab 1. Juli 2011 Forderung eines „ausreichenden<br />
Kontrast- oder Dämmerungssehen“ „geprüft mit<br />
einem standardisierten anerkannten Prüfgerät“<br />
bei den Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E,<br />
FzF<br />
= Umsetzung einer langjährige Forderung der<br />
Augenärzte und der Verkehrskommission der<br />
Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft<br />
Ab einem Alter von 40 - 50 Jahren nehmen<br />
Trübungen der brechenden Augenmedien<br />
insbesondere Katarakt deutlich zu und sind<br />
Ursache für ein vermindertes Kontrastsehvermögen<br />
mit Einschränkung des Dämmerungssehens<br />
und erhöhter Blendempfindlichkeit<br />
- u. U. erhöhtes Unfallrisiko.
Lachenmayr hat 1996 in einer Studie über<br />
„Sehstörungen als Unfallursache“ bei 754<br />
Verkehrsteilnehmern eine statistisch signifikante<br />
Unfallhäufung bei Verkehrsteilnehmern mit<br />
reduzierter Tagessehschärfe, gestörtem Däm-<br />
merungssehen und erhöhter Blendungsempfind-<br />
lichkeit festgestellt
Dämmerungs- / Nachtsehen<br />
Wahrnehmung bei normalem Dämmerungssehen und bei Medientrübungen
FeV-Änderungsverordnung v. 17.12.10<br />
(Umsetzung EG-Richtlinie 112 / 113)<br />
Neu: gilt ab 1. Juli 2011<br />
FeV Anlage 6 - 2.1.2:<br />
„Ausreichendes Kontrast- oder Dämmerungssehen<br />
geprüft mit einem standardisierten anerkannten<br />
Prüfgerät“<br />
In den Erläuterungen B zur FeVÄndVerO heisst es:<br />
Die Untersuchung des Kontrast- oder Dämmerungssehens<br />
ist beim Arbeits- u. Betriebsmediziner mit<br />
geringem Zeitaufwand u. vorhandenem Instrumentarium<br />
möglich
Standardisiert und anerkannt zur Prüfung des<br />
Kontrastsehens im Straßenverkehr wurden bisher<br />
von der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft<br />
DOG nur die Geräte<br />
Mesotest Fa. Oculus<br />
Nyktometer 500 Fa. Vistec / Rodenstock<br />
Kontrastometer Fa. BKG Medizin Technik<br />
die das Kontrastsehen und die Blendempfindlich-<br />
keit unter Dämmerungsbedingungen mit definierten<br />
Normwerten prüfen (mesopisches Kontrastsehen)
OCULUS MESOTEST 2
Rodenstock Nyktometer 500
DOG-Empfehlungen für den Straßenverkehr<br />
FeV-Klassen Kontrast<br />
mit u. ohne Blendung<br />
• D, D1, DE, D1E 1 : 2,7<br />
• C, C1,CE,C1E u. Taxifahrer 1 : 5<br />
• A, A1, B, BE, M, L, S u. T 1 : 23<br />
Bei Unterschreiten dieser Werte<br />
Nachtfahrverbot
Testverfahren zur Prüfung des Kontrastsehens<br />
unter Tageslichtbedingungen (photopisches<br />
Kontrastsehen) u. Prüfung der Blendempfindlichkeit<br />
u.a.<br />
• Rodatest 302 Fa. Vistec<br />
• Optovist Fa. Vistec<br />
Mind. 3 von 5 Landolt-Ringen müssen erkannt<br />
werden<br />
• bei einem Kontrast von 5 %<br />
bis zum Alter von 50 Jahren<br />
• bei einem Kontrast von 10% bei über 50jährigen<br />
(Umfeldleuchtdichte 200 cd/m²- Visus 0,25)
Empfehlungen der DOG zur Qualitätssicherung bei<br />
sinnesphysiologichen Untersuchungen und<br />
Geräten – update Nov. 2010<br />
5.9.2: „Rodatest (302) u. andere Geräte mit groß-<br />
flächigen Blendquellen prüfen nicht unter den<br />
von der DOG empfohlenen Standardbedingungen“
Rodatest 302<br />
Kontrast- und<br />
Blendempfindlichkeitstest unter<br />
Tageslichtbedingungen<br />
Optovist
Neues Sehtestgerät Oculus Binoptometer 4P<br />
Prüfung aller arbeitsmedizinisch relevanten<br />
Sehfunktionen in einem Gerät:<br />
• Visusprüfung<br />
• Kontrasttestung unter<br />
photopischen Bedingungen<br />
• Testung des Dämmerungs-<br />
sehens und der Blend-<br />
empfindlichkeit wie<br />
im Mesotest
aktuelle Stellungnahme der DOG und des BVA zur<br />
FeV-Änderungsverordnung (12/2010) vom 9. 2. 2011<br />
„In der DOG-Verkehrskommission muss noch<br />
diskutiert werden, welche Geräte als standardisierte<br />
Prüfgeräte zur Feststellung eines ausreichenden<br />
Kontrast- oder Dämmerungssehens mit definierten<br />
Normwerten bei den Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1,<br />
DE, D1E, FzF anerkannt werden“
• Prof. Wilhelm: Untersuchung des Kontrastsehens:<br />
Vergleich verschiedener Methoden -<br />
Universitätsaugenklinik Tübingen 2008<br />
• „ viele Studien dafür sprechen, dass der<br />
photopische Kontrast auch den mesopischen<br />
Kontrast repräsentiert. Für die photopischen<br />
Kontrastsehtests (Sehtestgerät Rodatest 302,<br />
Pelli-Robson-Testtafel, Freiburger Visustest) gibt<br />
es Normwerte. Allerdings ist es sehr schwer, im<br />
Einzelfall genau zu sagen, ab welchem Ergebnis<br />
keine Fahr- und Berufseignung mehr gegeben<br />
ist.“
• Wilhelm und Mitarbeiter haben in einer Studie<br />
verschiedene Kontrastsehtestverfahren unter<br />
photopischen Bedingungen mit den etablierten<br />
Verfahren unter mesopischen Bedingungen<br />
verglichen<br />
• und festgestellt, dass das Kontrastsehen<br />
auch unter photopischen Bedingungen (mit<br />
Sehtestgerät Rodatest 302, Pelli-Robson-<br />
Testtafel, Freiburger Visustest) ausreichend<br />
zuverlässig geprüft werden kann,<br />
wobei die mesopische Testung mit dem<br />
Mesoptometer I die besten Ergebnisse<br />
ergab (Goldstandard).
Aber: Kontrastempfindlichkeit = Sinnesleistung, die<br />
interindividuell sehr unterschiedlich ist<br />
Nach Burton unterscheidet sich die Kontrast-<br />
Empfindlichkeit für Sinusgitter bei vollkommen<br />
augengesunden Personen um den Faktor von 4 - 8.<br />
Solch große Unterschiede gibt es beim Visus<br />
von Augengesunden nicht