Pharmazie und Pharmagie gehören zusammen - SpringerMedizin 1
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war weniger stark. Eine Wirkung auf das Immunsystem — gemessen als geringere Aktivierung der Basophilen — zeigte sich<br />
jedoch nur in der auf den Erdbeer-Drink konditionierten Gruppe <strong>und</strong> im Verumarm. Der Effekt auf das Immunsystem war<br />
vergleichbar groß. Konditionierte Effekte können nicht nur subjektive Rhinitissymptome <strong>und</strong> allergische Hautreaktionen<br />
lindern, sie induzieren auch Veränderungen im Immunsystem.<br />
Konditionierung: Placeboeffekt als supportive Therapie<br />
Schedlowski kann sich vorstellen, solche Konditionierungen im klinischen Alltag einzusetzen, da sie die pharmakologische<br />
Therapie unterstützen. Die Konditionierungsprozesse müssen jedoch an unterschiedliche Erkrankungen <strong>und</strong> die dabei<br />
eingesetzten Medikamente abgestimmt werden — ethische Bedenken gibt es keine.<br />
Lebensgefährlich wirksam<br />
Nocebo: Suizidversuch eines Studenten<br />
Das Nocebophänomen ist bei Weitem nicht so gut untersucht wie die<br />
Placeboeffekte. Es scheint jedoch über die gleichen Wirkmechanismen<br />
„Erwartung” <strong>und</strong> „Konditionierung” ausgelöst zu werden.<br />
Aufsehenerregend ist ein Fallbericht eines Studenten (Roy R. Reeves, General<br />
Hospital Psychiatry 2007;29:275-277), der einen Suizidversuch unternahm. Der<br />
26-Jährige, nennen wir ihn Tom, hatte Liebeskummer, seine Fre<strong>und</strong>in hatte ihn<br />
verlassen.<br />
Tom war deprimiert, deshalb nahm er unmittelbar nach der Trennung von seiner<br />
Fre<strong>und</strong>in an einer Medikamentenstudie teil, die placebokontrolliert <strong>und</strong><br />
doppelblind ein neues Antidepressivum untersuchte. Nach zweiwöchiger<br />
Studiendauer fühlte er sich schon deutlich besser. Vier Wochen nach der<br />
Trennung kam es jedoch zu einem heftigen Streit zwischen Tom <strong>und</strong> seiner Ex.<br />
Er war am Ende <strong>und</strong> warf den kompletten Monatsvorrat (29 Kapseln) der<br />
©sagasan/shutterstock<br />
Studienmedikamente ein.<br />
Dann bekam er Angst <strong>und</strong> ließ sich in die Notaufnahme eines Krankenhauses<br />
fahren. Dort kollabierte er. Sein Blutdruck fiel auf 80/40 mmHg, der Puls lag bei 110. Er war zittrig, die Atmung<br />
beschleunigt, sonst unauffällig. Die Ärzte hingen ihn sofort an eine Kochsalzinfusion. Zunächst stieg der Blutdruck an. Mit<br />
dem Verlangsamen der Infusion fiel er jedoch wieder ab. Tom erhielt in über vier St<strong>und</strong>en etwa sechs Liter Kochsalzlösung,<br />
blieb jedoch lethargisch. Der Blutdruck lag weiterhin niedrig bei 100/62 mmHg, Puls 106. Alle anderen Untersuchungen<br />
waren unauffällig.<br />
Eine Besserung trat erst ein, als ein Studienarzt in die Klinik kam <strong>und</strong> zur Überraschung aller erklärte, dass Tom im<br />
Placeboarm war. Tom weinte Tränen der Erleichterung <strong>und</strong> erholte sich innerhalb von 15 Minuten, Blutdruck <strong>und</strong> Puls<br />
normalisierten sich.<br />
Placebo im OP<br />
Erfolgreiche Scheinoperationen<br />
Die Vertebroplastie ist eine minimal-invasive Behandlung osteoporotischer<br />
Wirbelfrakturen. Die Injektion von „Knochenzement” in den gesinterten<br />
Wirbelkörper wurde im vergangenen Jahr in zwei Studien mit einer<br />
Scheinoperation verglichen (Kallmes D et al. NEJM 2009;361:557–579,<br />
Buchbinder R et al. Med J Aust. 2009;191(9):476–7).<br />
Beide Studien überraschten mit dem Ergebnis, dass die Scheinoperation — es<br />
wurde ein kurz wirksames Analgetikum injiziert — auch bis zu sechs Monate © smartmediadesign/Fotolia<br />
nach dem Eingriff die Schmerzen genauso gut gelindert hatte wie die echte<br />
Vertebroplastie. Das zeigt: Auch heftigste Rückenschmerzen bei<br />
osteoporotischen Frakturen reagieren auf Placebo.<br />
Ein anderes Beispiel einer erfolgreichen Placebooperation betrifft Patienten mit Kniearthrose (Moseley JB et al. NEJM 2002;<br />
347:81–88). Der Orthopäde behandelte 180 Patienten mit Kniegelenksarthrose. Bei zwei Dritteln wurde in einer Arthroskopie<br />
der Knorpel geglättet bzw. eine Lavage vorgenommen. Die anderen Patienten erhielten als „Placebo” oberflächliche<br />
Hautschnitte am Knie. Die Patienten wussten nicht, ob sie operiert worden waren oder nicht. Das Ergebnis: Nach zwei<br />
Jahren waren 90% der Patienten beider Gruppen mit ihrer Operation zufrieden.<br />
Literatur<br />
M. Bernateck et al. Der Schmerz, 2009;23(1):47–53<br />
Fässler M et al., BMC Health Services Research 2009,9:144<br />
Ted Kaptchuk (BMJ 2008;336(7651): 999–1003<br />
Goebel MU et al. Psychother Psychosom. 2008;77(4):227–34<br />
Zeitschrift: MMW - Fortschritte der Medizin 2010/7<br />
publiziert am: 28.9.2010 17:02 Autor: Dr. Carola Göring Quelle: MMW - Fortschritte der Medizin 2010;2 (7):12-14 basierend<br />
auf: Gespräch mit Prof. Dr. M. Schedlowski, Duisburg-Essen