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„Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“1 Johannes Reuchlin aus ...

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STEFAN PÄTZOLD: <strong>„Zu</strong> <strong>s<strong>ein</strong>er</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>ein</strong> Wunderzeichen“<br />

ten, sammelten und kopierten in Vergessenheit geratene lat<strong>ein</strong>ische wie griechische<br />

Handschriften, verglichen die überlieferten Texte kritisch und stellten stilistische, historische<br />

oder biographische Untersuchungen an. Auf diese Weise belebten sie Geschichtsschreibung,<br />

Rede- und Dichtkunst. Die neulat<strong>ein</strong>ische Literatur entstand und<br />

gesellte sich zur mittellat<strong>ein</strong>ischen. Humanisten verfaßten darüber hin<strong>aus</strong> auch pädagogische,<br />

ethische, philosophische und theologische Schriften. Um 1500 entstand <strong>ein</strong>e<br />

humanistische Theologie, deren prominentester Vertreter Erasmus von Rotterdam<br />

(1466/69-1536) war. 44<br />

Fragen wie diejenige nach der rechten christlichen Lebensführung des <strong>ein</strong>zelnen<br />

oder aber das philologische Bemühen um die Texte der Bibel und der Kirchenväter<br />

riefen den Unwillen mancher Kirchenvertreter hervor, die befürchteten, daß ihre Autorität<br />

untergraben werden könnte. So gerieten Humanisten nicht nur in Streit mit den<br />

traditionell denkenden Universitätslehrern, die der Scholastik anhingen, sondern auch<br />

mit Schultheologen, die überkommene Lehren und Glaubensinhalte in Gefahr wähnten.<br />

45 Die heftigsten Konflikte wurden zwischen den Antiqui und den Moderni in den<br />

Jahren von 1490 bis 1515 <strong>aus</strong>getragen. Ihren Höhepunkt bildete die Veröffentlichung<br />

der Dunkelmännerbriefe 1515, 46 in denen die Theologen wegen ihrer Dummheit, Verschlagenheit<br />

und Sittenlosigkeit sowie ihres schlechten Lat<strong>ein</strong>s angegriffen wurden.<br />

Die Humanisten scharten sich um <strong>Reuchlin</strong> – nicht so sehr um s<strong>ein</strong>es Einsatzes für die<br />

jüdischen Bücher willen, sondern weil <strong>ein</strong>er der Ihren angegriffen wurde und der Streit<br />

<strong>ein</strong>e günstige Gelegenheit bot, polemische Kritik an konservativen Scholastikern zu<br />

üben. <strong>Reuchlin</strong> wurde so zur Symbolgestalt des fortschrittlichen Humanisten und<br />

„<strong>Reuchlin</strong>ista“ zum Ehrentitel für <strong>ein</strong>en gebildeten Humanisten. 47<br />

<strong>Johannes</strong> <strong>Reuchlin</strong>s Vita zeigt tatsächlich typische Merkmale <strong>ein</strong>es Humanisten.<br />

Dazu zählen zunächst <strong>ein</strong>mal – aber das braucht kaum eigens betont zu werden – s<strong>ein</strong>e<br />

44 Grundlegend: August BUCK, Humanismus. S<strong>ein</strong>e europäische Entwicklung in Dokumenten und<br />

Darstellungen. 1987, passim und jüngst Cornelis AUGUSTIJN, Humanismus (Die Kirche in ihrer Geschichte<br />

2) 2003. – Einen Überblick über die Entwicklung des europäischen Humanismus und die<br />

wesentliche Literatur zu diesem Thema bieten Walter RÜEGG, Art. Humanismus, A. Allgem<strong>ein</strong> und<br />

Italien, in: LMA 5 (1990/91), Sp. 186-193, Franz Josef WORSTBROCK, Art. Humanismus, B. Deutsches<br />

Reich, ebenda, Sp. 193-197 und HAMMERSTEIN, Bildung, S. 12-17 und 103-105; ferner zum<br />

Humanismus im deutschen Südwesten Paul Gerhard SCHMIDT, Einführung, in: DERS., Humanismus<br />

(wie Anm. 13) S. 9-12.<br />

45 <strong>Johannes</strong> HELMRATH, „Humanismus und Scholastik“ und die deutschen Universitäten; in: <strong>Zeit</strong>schrift<br />

für Historische Forschung 15 (1988) S. 187-203 und Hans PETERSE, <strong>Reuchlin</strong>s Stellung zur<br />

Kirche und Theologie <strong>s<strong>ein</strong>er</strong> <strong>Zeit</strong>, in RHEIN, Politische Kräfte (wie Anm. 6) S. 155.<br />

46 Fidel RÄDLE, Die „Epistolae obscurorum virorum“, in: Hartmut BOOCKMANN (Hg.), Kirche und<br />

Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts (Abhandlungen der Akademie<br />

der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 3. Folge, Nr. 206) 1994, S.<br />

103-115.<br />

47 RHEIN, <strong>Reuchlin</strong> (wie Anm. 2) S. 73f.

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