„Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“1 Johannes Reuchlin aus ...

„Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“1 Johannes Reuchlin aus ... „Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“1 Johannes Reuchlin aus ...

06.04.2013 Aufrufe

40 STEFAN PÄTZOLD: „Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“ dazu, angesehene Persönlichkeiten, zumeist bedeutende Juristen, zu ehren. Friedrich III. verlieh Reuchlin das kleine, nicht erbliche Palatinat mit einer auf den 24. Oktober 1492 datierten Urkunde. Er erhielt dadurch das Recht, Gelehrte zu Doktoren zu promovieren, Notare zu ernennen, bestimmte Gerichtsakte wie beispielsweise Adoptionsbestätigungen vorzunehmen und – für den ursprünglich bürgerlichen Reuchlin wohl von besonderer Bedeutung – ein eigenes Wappen zu führen. 39 Nach der Rückkehr ins Württembergische ist eine neue Karriere in Sold und Dienst des Landesherrn nicht mehr nachzuweisen. Allerdings erhielt Reuchlin unter Herzog Ulrich den Status eines unbesoldeten Rates (der „von Haus aus“ agierte, also nicht dauernd am Hof anwesend war). Das bedeutete für ihn zwar einen Zuwachs an Prestige und Schutz, verwickelte ihn aber auch in Ulrichs Konflikte, etwa die Streitigkeiten um den Tübinger Vertrag von 1514. 40 Seinen Lebensunterhalt verdiente Reuchlin von 1502 bis 1513 als Richter des Schwäbischen Bundes, eines auf Betreiben Kaiser Friedrichs III. (gegen die Wittelsbacher gerichteten) Zusammenschlusses der südwestdeutschen Stände. Der Bund, der von 1488 bis 1534 existierte, hatte den Charakter einer Einung zur Wahrung des Landfriedens. Streitigkeiten wurden durch die in der Einungsbewegung ausgebildete freiwillige Schiedsgerichtsbarkeit geregelt. Das Bundesgericht gestaltete man als ständiges Schiedsgericht mit drei gelehrten Berufsrichtern, den ‚triumviri Sueviae’. Reuchlin war einer von ihnen. Jeder Richter vertrat einen der Stände, Reuchlin agierte für die Fürstenbank. Es gibt Zeugnisse für wenigstens drei Prozesse, die unter seiner Leitung geführt wurden. Der Sitz des Gerichts befand sich zu Reuchlins Zeit zunächst in Ulm, dann in Tübingen. Als es nach Augsburg verlegt werden sollte, gab der Jurist sein Richteramt auf. 41 Die Vertrauensstellung als Rat am württembergischen wie am pfälzischen Hof verdankte Reuchlin, der 1482 von Eberhard im Bart „nach der Überlieferung vor allem wegen seines guten Lateins angeworben worden war“ 42 , seiner Doppelqualifikation als Philologe und Jurist. Seine Rechtskenntnisse sicherten Reuchlin ein gutes Einkommen, hohes Ansehen und adelsgleichen Status. Dauerhaften Ruhm hingegen erwarb er als exzellenter Kenner des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen sowie als Humanist. 39 Peter-Johannes SCHULER, Art. Hofpfalzgraf, in: LMA 5 (1990/91), Sp. 76f.; LAUFS, Zeitenwende (wie Anm. 33) S. 24f. 40 STIEVERMANN, Jurist (wie Anm. 34) S. 45-49. 41 Peter-Johannes SCHULER, Art. Schwäbischer Bund, in: LMA 7 (1994/95), Sp. 1607f., LAUFS, Zeitenwende (wie Anm. 33) S. 20f., Horst CARL, Triumvir Sueviae – Reuchlin als Bundesrichter, in: RHEIN, Politische Kräfte (wie Anm. 6) S. 65-86. 42 STIEVERMANN, Jurist (wie Anm. 34) S. 37.

STEFAN PÄTZOLD: „Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“ 41 3. Humanismus und Renaissance Das Wort ‚Humanismus’ ist die im 19. Jahrhundert geprägte Bezeichnung für eine Geistesbewegung des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ein paralleler, aber nicht synonymer Begriff ist ‚Renaissance’. Darunter versteht man den umfassenden kulturellen und sozialen Wandel zwischen Mittelalter und Neuzeit, dessen wesentliche Elemente die Ausprägung eines individuellen Selbstbewußtseins, eine intensiv betriebene naturwissenschaftliche Forschung und die Rezeption antiker Kunst, Literatur und Gelehrsamkeit waren. ‚Humanismus’ meint hingegen allein die diesem Wandel zugrundeliegende Bildungsbewegung. Der Erwerb humanistischer Bildung ist ein Prozeß: Das antike Wort ‚humanitas’ bedeutet Menschlichkeit im Sinne höherer Bildung, Freundlichkeit, Kultiviertheit und verfeinerter Lebensart. 43 Man erwirbt humanistische Bildung in der Auseinandersetzung mit sprachlich geformter, fremder (das heißt: antiker) ‚humanitas’; so wird ein Individuum selbst zu einem sprachlich mündigen und moralisch verantwortlichen Menschen. Die Anfänge von Renaissance und Humanismus lagen in Italien zwischen 1330 und 1400. Als ihr Begründer gilt Francesco Petrarca (1304-1374), der gegen die scholastische Dialektik, Rechts- und Naturwissenschaft polemisierte, da sie ihm in seiner krisenhaften und pestverseuchten Gegenwart – anders als die Werke Ciceros und Augustins – keinen existenziellen Sinn zu vermitteln schienen. Befreundet war Petrarca mit dem florentinischen Kanzler Coluccio Salutati, der die humanistische Erneuerung der Kultur energisch förderte. Von Florenz aus breitete sich der Humanismus zunächst in Italien, dann in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch nördlich der Alpen aus und wurde schließlich im 15. und 16. Jahrhundert in ganz Europa wirksam. Die ersten humanistischen Vorlesungen hielt in Deutschland der in Italien ausgebildete „Wanderhumanist“ Peter Luder 1456 an der Heidelberger Universität. Seinen ursprünglichen Ort in der italienischen wie deutschen Gesellschaft hatte der Humanismus zunächst allerdings nicht an den hohen Schulen, sondern in den Kreisen Gebildeter, die sich an den Höfen kulturliebender Fürsten in Literaturzirkeln trafen oder in regem Briefkontakt zueinander standen. Am Hof Kaiser Friedrichs III. etwa war auch der wirkungsvollste Initiator des frühen deutschen Humanismus tätig, nämlich der später als Papst Pius II. bekanntgewordene Enea Silvio Piccolomini. Humanisten lehnten das Studium der systematischen Handbücher ab: Sie wollten die Werke der antiken Autoren selbst lesen. Diese Wendung von den Artes zu den Auctores hatte zur Folge, daß die Gelehrten selbst philologisch tätig wurden. Sie such- 43 Heinrich GEORGES, Karl Ernst GEORGES, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, (8. Aufl.) 1913 (ND 1985), Sp. 3091.

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dazu, angesehene Persönlichkeiten, zumeist bedeutende Juristen, zu ehren. Friedrich<br />

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vorzunehmen und – für den ursprünglich bürgerlichen <strong>Reuchlin</strong> wohl<br />

von besonderer Bedeutung – <strong>ein</strong> eigenes Wappen zu führen. 39<br />

Nach der Rückkehr ins Württembergische ist <strong>ein</strong>e neue Karriere in Sold und Dienst<br />

des Landesherrn nicht mehr nachzuweisen. Allerdings erhielt <strong>Reuchlin</strong> unter Herzog<br />

Ulrich den Status <strong>ein</strong>es unbesoldeten Rates (der „von H<strong>aus</strong> <strong>aus</strong>“ agierte, also nicht<br />

dauernd am Hof anwesend war). Das bedeutete für ihn zwar <strong>ein</strong>en Zuwachs an Prestige<br />

und Schutz, verwickelte ihn aber auch in Ulrichs Konflikte, etwa die Streitigkeiten<br />

um den Tübinger Vertrag von 1514. 40 S<strong>ein</strong>en Lebensunterhalt verdiente <strong>Reuchlin</strong> von<br />

1502 bis 1513 als Richter des Schwäbischen Bundes, <strong>ein</strong>es auf Betreiben Kaiser Friedrichs<br />

III. (gegen die Wittelsbacher gerichteten) Zusammenschlusses der südwestdeutschen<br />

Stände. Der Bund, der von 1488 bis 1534 existierte, hatte den Charakter <strong>ein</strong>er<br />

Einung zur Wahrung des Landfriedens. Streitigkeiten wurden durch die in der Einungsbewegung<br />

<strong>aus</strong>gebildete freiwillige Schiedsgerichtsbarkeit geregelt. Das Bundesgericht<br />

gestaltete man als ständiges Schiedsgericht mit drei gelehrten Berufsrichtern,<br />

den ‚triumviri Sueviae’. <strong>Reuchlin</strong> war <strong>ein</strong>er von ihnen. Jeder Richter vertrat <strong>ein</strong>en der<br />

Stände, <strong>Reuchlin</strong> agierte für die Fürstenbank. Es gibt Zeugnisse für wenigstens drei<br />

Prozesse, die unter <strong>s<strong>ein</strong>er</strong> Leitung geführt wurden. Der Sitz des Gerichts befand sich<br />

zu <strong>Reuchlin</strong>s <strong>Zeit</strong> zunächst in Ulm, dann in Tübingen. Als es nach Augsburg verlegt<br />

werden sollte, gab der Jurist s<strong>ein</strong> Richteramt auf. 41<br />

Die Vertrauensstellung als Rat am württembergischen wie am pfälzischen Hof verdankte<br />

<strong>Reuchlin</strong>, der 1482 von Eberhard im Bart „nach der Überlieferung vor allem<br />

wegen s<strong>ein</strong>es guten Lat<strong>ein</strong>s angeworben worden war“ 42 , <strong>s<strong>ein</strong>er</strong> Doppelqualifikation als<br />

Philologe und Jurist. S<strong>ein</strong>e Rechtskenntnisse sicherten <strong>Reuchlin</strong> <strong>ein</strong> gutes Einkommen,<br />

hohes Ansehen und adelsgleichen Status. Dauerhaften Ruhm hingegen erwarb er als<br />

exzellenter Kenner des Lat<strong>ein</strong>ischen, Griechischen und Hebräischen sowie als Humanist.<br />

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Peter-<strong>Johannes</strong> SCHULER, Art. Hofpfalzgraf, in: LMA 5 (1990/91), Sp. 76f.; LAUFS, <strong>Zeit</strong>enwende<br />

(wie Anm. 33) S. 24f.<br />

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STIEVERMANN, Jurist (wie Anm. 34) S. 45-49.<br />

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Peter-<strong>Johannes</strong> SCHULER, Art. Schwäbischer Bund, in: LMA 7 (1994/95), Sp. 1607f., LAUFS, <strong>Zeit</strong>enwende<br />

(wie Anm. 33) S. 20f., Horst CARL, Triumvir Sueviae – <strong>Reuchlin</strong> als Bundesrichter, in:<br />

RHEIN, Politische Kräfte (wie Anm. 6) S. 65-86.<br />

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STIEVERMANN, Jurist (wie Anm. 34) S. 37.

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