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Katja Schurter, Fotos - Schweizerisches Arbeiterhilfswerk

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RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 1<br />

www.sah.ch<br />

hr<br />

Das Magazin des Schweizerischen <strong>Arbeiterhilfswerk</strong>s SAH Mai 2/2008<br />

eite<br />

Sondernummer<br />

zur Kampagne<br />

«Keine Ausbeutung mit<br />

unseren Steuergeldern»


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 2<br />

2<br />

EDITORIAL<br />

Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern!<br />

RUTH DAELLENBACH<br />

Geschäftsleiterin SAH Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Billige Produkte haben eine Kehrseite: ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Mit der<br />

Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern» fordert das SAH von der<br />

öffentlichen Hand, mit unserem Geld zur Entwicklung beizutragen und nicht Ausbeutung<br />

zu unterstützen. Wie das aussehen könnte, erfahren Sie in dieser Solidarität, die ganz<br />

der Kampagne gewidmet ist.<br />

Faire Arbeitsbedingungen sind ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Armut. Erhalten<br />

Eltern keine Existenz sichernden Löhne, so müssen ihre Kinder arbeiten, um das<br />

Überleben der Familie zu sichern. So zum Beispiel in den Steinbrüchen Indiens, wo 12-<br />

Jährige 45 Kilogramm schwere Schlagbohrer bedienen (siehe S. 6).<br />

Steine aus diesen Steinbrüchen säumen auch Schweizer Strassen. Wenn Gemeinden<br />

sich nicht darum kümmern, woher die Pflastersteine stammen, mit denen sie ihre Dorfplätze<br />

verschönern, so nehmen sie unmenschliche Arbeitsbedingungen in Kauf.<br />

Das SAH fordert Gemeinden und Kantone auf, faire Produktionsbedingungen zu verlangen<br />

beim Einkauf von Gütern und Dienstleistungen. Denn die öffentliche Hand ist<br />

eine gewichtige Auftraggeberin, die den Markt mitgestaltet. Fordert sie den Nachweis<br />

fairer Arbeitsbedingungen für die Produkte, welche sie einkauft, so hat dies Auswirkungen<br />

auf das Angebot (siehe S. 4).<br />

Wir können etwas tun, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Lesen Sie auf<br />

Seite 10, wie Sie die Kampagne unterstützen können.<br />

Ich wünsche uns viel Erfolg für die Kampagne, damit Menschen in den Entwicklungs -<br />

ländern die Chance auf menschenwürdige Lebensbedingungen haben.<br />

Ruth Daellenbach


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 3<br />

KAMPAGNE<br />

Warum es die Kampagne «Keine Ausbeutung<br />

mit unseren Steuergeldern» braucht 4<br />

Ohne faire Preise keine fairen Löhne 5<br />

Tragen Sie zum Erfolg der Kampagne bei 10<br />

Faire Beschaffung in den Niederlanden 11<br />

STEINE<br />

Kinderarbeit in indischen Steinbrüchen 6<br />

Ein indischer Unternehmer will Steine<br />

unter fairen Bedingungen abbauen 9<br />

TEXTILIEN<br />

Ausbeutung in Textilfabriken 12<br />

SPORTBÄLLE<br />

Bälle können fair sein 14<br />

RÄTSEL & CARTOON 16<br />

COMPUTER<br />

Hungerlöhne und Zwangsüberstunden 17<br />

PORTRÄT SAH 18<br />

Umschlag: Kehrseite – Billige Waren für Schweizer Gemeinden werden<br />

teuer bezahlt von ausgebeuteten ArbeiterInnen. Foto: spinas I gemperle<br />

Foto S. 2: Sabine Rock<br />

Impressum<br />

Herausgeber: <strong>Schweizerisches</strong> <strong>Arbeiterhilfswerk</strong> SAH,<br />

Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich,<br />

Tel. 044 444 19 19, E-Mail: info@sah.ch, www.sah.ch,<br />

Postkonto 80-188-1 Zürich<br />

Redaktion: <strong>Katja</strong> <strong>Schurter</strong> (verantwortliche Redaktorin),<br />

Rosanna Clarelli, Christian Engeli, Hans Fröhlich,<br />

Alexandre Mariethoz, Cyrill Rogger<br />

Layout: Atelier Binkert, www.atelierbinkert.ch<br />

Übersetzungen: Marianne Enckell, Ursula Gaillard, Milena Hrdina,<br />

Peter Schrembs<br />

Korrektorat: Angelo Ciampi, Jeannine Horni, Frances Trezevant<br />

Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG,<br />

Platz 8, 8201 Schaffhausen<br />

Erscheint vierteljährlich, Auflage: 50 000<br />

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag<br />

inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–,<br />

Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).<br />

Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.<br />

KAMPAGNE Diese Sondernummer ist der Kampagne «Keine<br />

Ausbeutung mit unseren Steuergeldern» gewidmet, mit der das SAH<br />

Gemeinden und Kantone auffordert, beim Einkauf von Waren und<br />

Dienstleistungen auf faire Produktionsbedingungen zu achten.<br />

STEINE Wenn Schweizer Städte<br />

Steine aus Asien importieren, profitieren<br />

sie von tiefen Preisen aufgrund<br />

von Kinderarbeit und Ausbeutung.<br />

S. 6–9<br />

SPORTBÄLLE Mit der Abschaffung<br />

von Kinderarbeit allein ist es<br />

nicht getan: ArbeiterInnen brauchen<br />

Existenz sichernde Löhne. S. 14<br />

TEXTILIEN Spitäler inte -<br />

ressieren sich kaum für die<br />

Herkunft ihrer Wäsche.<br />

Was zählt, sind Preis,<br />

Qualität und Lieferfristen.<br />

Das hat Auswirkungen auf<br />

die TextilarbeiterInnen. S. 12<br />

3<br />

INHALT


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 4<br />

4<br />

KAMPAGNE<br />

Faire Beschaffung muss sein<br />

Mit der Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren Steuer geldern»<br />

fordert das SAH Gemeinden und Kantone auf, beim Einkauf<br />

von Waren auf faire Produktions bedingungen zu achten.<br />

Text: <strong>Katja</strong> <strong>Schurter</strong>, <strong>Fotos</strong>: Atelier Binkert<br />

Die Jagd nach möglichst billigen Produkten<br />

hat eine Kehrseite: ausbeuterische<br />

Arbeitsbedingungen, Armut, Verschmutzung<br />

der Umwelt. Zehn Gründe für eine<br />

Kampagne für faire Beschaffung:<br />

1. ProduzentInnen in Entwicklungsländern<br />

sollen einen Preis für ihre Produkte<br />

erhalten, der die realen Kosten ihrer<br />

Arbeit widerspiegelt und eine nachhaltige<br />

Produktion ermöglicht. Dies trägt entscheidend<br />

zur Verminderung der Armut bei.<br />

2. Wettbewerb soll über Qualität, Effizienz<br />

und Leistung stattfinden, nicht<br />

über Sozial- und Ökodumping und die<br />

Verletzung von menschenrechtlichen<br />

Mini malstandards.<br />

3. Schweizerische Betriebe müssen ökologische<br />

und arbeitsrechtliche Auflagen<br />

erfüllen. Es darf nicht sein, dass die öffentliche<br />

Hand diese Produkte billiger dort<br />

beschafft, wo sie unter Verletzung der<br />

Menschenrechte, Missachtung menschenwürdiger<br />

Arbeitsbedingungen und auf<br />

Kosten der Umwelt produziert werden.<br />

4. Die öffentliche Hand vergibt jedes<br />

Jahr für 36 Milliarden Franken Aufträge<br />

verschiedenster Art, was 8 Prozent des<br />

Bruttoinlandprodukts ausmacht. Diese<br />

Marktmacht kann sie nutzen, um eine<br />

nachhaltige Entwicklung zu fördern. Wenn<br />

die BeschafferInnen konsequent nachhaltige<br />

Produkte nachfragen, nehmen Firmen<br />

diese längerfristig in ihr Angebot auf, das<br />

allen KundInnen zur Verfügung steht.<br />

5. Auf kantonaler und lokaler Ebene ist<br />

einiges zu bewirken: Vom gesamten Auftragsvolumen<br />

werden 19 Prozent auf Bundesebene,<br />

38 auf Kantonsebene und 43 auf<br />

Gemeindeebene vergeben.<br />

6. Die Schweizer Standortpolitik darf<br />

nicht sozial und ökologisch blind sein.<br />

Sie soll nachhaltig ausgestaltet werden,<br />

statt in der Schweiz sozialpolitische Massnahmen<br />

und ökologische Standards abzubauen<br />

und auf dem Weltmarkt internationale<br />

Mindeststandards zu unterlaufen.<br />

7. Der Markt für fair gehandelte Produkte<br />

wächst in Europa seit 2000 jährlich<br />

um 20 Prozent. Immer mehr KonsumentInnen<br />

wollen wissen, ob das gekaufte Produkt<br />

unter fairen Bedingungen hergestellt<br />

wurde, und sind bereit, dafür einen gerechten<br />

Preis zu bezahlen.<br />

8. Der Bundesrat hat in seinem Strategiebericht<br />

«Nachhaltige Entwicklung<br />

2002» deutlich gemacht, dass Produkte<br />

und Dienstleistungen hohen wirtschaftlichen,<br />

ökologischen und sozialen Anforderungen<br />

genügen müssen. Diese schönen<br />

Worte müssen in Taten umgesetzt werden.<br />

9. Die öffentliche Hand kann eine wichtige<br />

Rolle bei der Sensibilisierung der<br />

Öffentlichkeit für die Nord-Süd-Beziehungen<br />

spielen, wenn sie kommuniziert,<br />

dass sie einen wachsenden Anteil ihrer Einkäufe<br />

nachhaltig beschaffen will.<br />

10. Die Welt wird nur dann sicherer und<br />

friedlicher, wenn die Globalisierung sozial<br />

und ökologisch gestaltet wird und die<br />

knappen Ressourcen gerecht genutzt werden.<br />

Dazu kann und muss der Staat in seinem<br />

Beschaffungswesen beitragen.<br />

Ob sterile Spritzen, Uniformen, Baumaterial, Fahrzeuge oder Spielsachen: Die öffentliche Hand kauft jährlich für 36 Milliarden ein.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 5<br />

Fair sein kostet etwas<br />

Die Finanz- und Warenströme sind längst globalisiert. Was<br />

jetzt ansteht, ist die Globalisierung der Gerechtigkeit – dies ist<br />

die Herausforderung der Zukunft.<br />

Text: Hans-Jürg Fehr, Foto: Erika Bühlmann<br />

HANS-JÜRG FEHR<br />

SAH-Präsident<br />

Milliarden Menschen haben keine Chance<br />

auf Entwicklung, weil sie unter ungerechten,<br />

ja menschenverachtenden Bedingungen<br />

arbeiten müssen. Damit sie sich aus<br />

ihrer Armut befreien können, brauchen sie<br />

eine Arbeit, die ihre Gesundheit nicht zerstört,<br />

und einen Lohn, der nicht nur das<br />

Überleben sichert, sondern auch Bildung<br />

und Gesundheitsvorsorge für die ganze<br />

Familie ermöglicht.<br />

Das SAH treibt mit seinen Projekten in<br />

zehn Ländern diese Globalisierung der<br />

Gerechtigkeit voran. Gemeinsam mit<br />

seinen Partnerorganisationen vor Ort<br />

unterstützt es Menschen dabei, menschenwürdige<br />

Lebensbedingungen zu verwirk -<br />

lichen – mit Bildungsprojekten, Rechts -<br />

beratungsstellen, Vernetzungsarbeit oder<br />

Mikro krediten.<br />

So wichtig solche Projekte sind – sie<br />

allein können keine würdige Existenz dieser<br />

Menschen garantieren. Solange es sich<br />

auszahlt, in Fabriken, Plantagen oder<br />

Minen die Arbeitenden zu miserablen<br />

Bedingungen schuften zu lassen, solange<br />

wird die Ausbeutung irgendwo auf der<br />

Welt weitergehen. Diesen Produktionsmethoden<br />

muss ein Riegel geschoben werden.<br />

Und weil die Marktkräfte dies nicht tun,<br />

braucht es international vereinbarte<br />

Regeln, die von der Staatengemeinschaft<br />

durchgesetzt werden. Zu diesen Regeln<br />

gehören die von der internationalen<br />

Arbeitsorganisation (ILO) erlassenen<br />

Minimalstandards.<br />

Die Durchsetzung der international vereinbarten<br />

Regeln ist zwar in erster Linie<br />

eine politische Aufgabe, aber nicht nur. Es<br />

kann auch Druck ausgeübt werden durch<br />

die Nachfragemacht der importierenden<br />

Länder. Das SAH will den Kampf gegen<br />

die Armut deshalb nicht nur in den betroffenen<br />

Ländern führen, sondern auch in der<br />

Schweiz. Globalisierung heisst eben auch:<br />

Unser Konsumverhalten als Individuen<br />

und Körperschaften hat einen Einfluss auf<br />

die Lebens- und Arbeitsbedingungen in<br />

den Ländern des Südens.<br />

Darauf macht das SAH mit der Kam -<br />

pagne «Keine Ausbeutung mit unseren<br />

Steuergeldern» aufmerksam. Es will die<br />

Kehrseite von billigen Produkten aus zweifelhafter<br />

Herstellung aufzeigen und die<br />

öffentliche Hand dafür gewinnen, beim<br />

Einkauf von Gütern auf eine sozial nachhaltige<br />

Produktion zu achten. Wer anständige<br />

Arbeitsbedingungen und anständige<br />

Löhne will, muss anständige Preise bezahlen<br />

und hilft so mit, die Armut zu besei -<br />

tigen.<br />

5<br />

KAMPAGNE


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 6<br />

6<br />

STEINE<br />

Hartes Pflaster Steinhandel<br />

Kinderarbeit und gefährliche Produktionsbedingungen sind in<br />

indischen Steinbrüchen an der Tagesordnung. Solche prekären<br />

Verhältnisse nehmen die Schweizer Gemeinden in Kauf, wenn<br />

sie ihre Pflastersteine und Bodenplatten unbesehen bestellen.<br />

Das SAH fordert soziale Kriterien. Text: Mike Weibel, <strong>Fotos</strong>: Benjamin Pütter (o.), <strong>Katja</strong> <strong>Schurter</strong> (u.)<br />

Senkrecht ragt die Granitwand hinter den<br />

Kindern in den Himmel. Die Luft ist zum<br />

Schneiden dick, gesättigt mit hellem<br />

Staub. Ohrenbetäubend der Lärm aus den<br />

45 Kilo schweren Schlagbohrmaschinen.<br />

Bis zu drei Kinder halten die Maschinen<br />

fest, während sich der Bohrer langsam in<br />

die Tiefe frisst. Trotzdem schüttelt es die<br />

Kinder, als würden sie in einer Seifenkiste<br />

über Kopfsteinpflaster fahren. Manche<br />

werden taub, bevor sie 14 sind.<br />

Wie hier im Hinterland von Bangalore,<br />

arbeiten in verschiedenen Regionen In -<br />

diens ganze Familien in Steinbrüchen. Oft<br />

sind sie beim Besitzer des Steinbruchs verschuldet,<br />

auf Lebzeiten und über Generationen<br />

hinweg. Die Schuldenfalle schnappt<br />

zu, sobald ein Familienmitglied ärztliche<br />

Hilfe braucht – was in Steinbrüchen mit<br />

ungeschützten Arbeitsbedingungen zwangsläufig<br />

geschieht. Wegen der verbreiteten<br />

Silikose (Staublunge) sterben die Menschen<br />

im Durchschnitt, bevor sie 40 sind.<br />

Kinderarbeit ist in Indien immer noch<br />

weit verbreitet; gemäss einem Bericht der<br />

Regierung arbeitet fast jedes zehnte Kind<br />

ausser Haus. Augenzeuge Benjamin Pütter<br />

sagt: «Ich habe noch in jedem Steinbruch,<br />

den ich unangemeldet besuchte, arbeitende<br />

Kinder angetroffen. Sie dürfen nicht zur<br />

Schule. Ihre Arbeitskraft und ihre Gesundheit<br />

werden schamlos ausgebeutet.»<br />

Steine aus Kinderarbeit säumen<br />

Schweizer Strassen<br />

Eine Freiluft-Ausstellung im Zentrum<br />

von Uitikon-Waldegg (ZH) erinnert an die<br />

Frondienste, die den BewohnerInnen vor<br />

400 Jahren von der Obrigkeit aufgebürdet<br />

wurden. Heute gehört die Gemeinde zum<br />

Speckgürtel der Stadt und zu den steuergünstigsten<br />

im Kanton; der Steuerfuss liegt<br />

bei 78 Prozent.<br />

Das kürzlich erneuerte Dorfzentrum ist<br />

mit rötlichem Stein gepflastert. Dieser<br />

Granit stammt aus der Region Bangalore<br />

im südlichen Indien – und ist wahrscheinlich<br />

mit Kinderarbeit gewonnen worden.<br />

Der Gemeinderat habe diese Wahl<br />

wegen des günstigen Preises getroffen, sagt<br />

Zertifizierung sauberer Steine<br />

der bauleitende Gemeindeingenieur Urs<br />

Tobler gegenüber der «solidarität». «Es<br />

stand auch ein Tessiner Granit zur Diskussion,<br />

doch davon war nicht genug lieferbar»,<br />

ergänzt er.<br />

Das Beispiel Uitikon ist nur die Spitze<br />

des Berges aus Rand-, Pflaster-, Wassersteinen<br />

und Stellplatten. Zwar sind von den<br />

jährlich 130 000 Tonnen Strassenbausteinen,<br />

die in die Schweiz importiert werden,<br />

nur zehn Prozent als asiatisch deklariert.<br />

Doch der Schein trügt: Für die Herkunfts-<br />

Benjamin Pütter ist Geschäftsführer des Vereins «Xertifix», der indische Steine aus sozial<br />

verträglicher Produktion zertifiziert.<br />

Herr Pütter, wie kamen Sie als Mitarbeiter des Hilfswerks Misereor dazu, das Label<br />

«Xertifix» für Natursteine zu schaffen?<br />

Ich kämpfe in Indien schon lange gegen ausbeuterische Kinderarbeit. Früher ging es um<br />

handgeknüpfte Teppiche. Auf diesen Kontakten und Erfahrungen konnte ich Xertifix aufbauen.<br />

Wie funktioniert Xertifix?<br />

Der Betreiber eines Steinbruch muss unseren MitarbeiterInnen in Indien jederzeit und ohne<br />

Anmeldung Zutritt zum Areal gewähren. Wir kontrollieren im Schnitt alle drei Wochen, ob<br />

keine Kinder unter 14 beschäftigt sind, ob die Angestellten Zugang zu Schutzmasken<br />

haben, und ob sie sich ungehindert organisieren können. Ist dies der Fall, bekommt die<br />

Importeurin das Xertifix-Label für diese Steine. Sie zahlt uns eine Lizenzgebühr von drei<br />

Prozent.<br />

Was geschieht mit den Einnahmen?<br />

80 Prozent bekommen wir für unseren Aufwand, 20 Prozent geht an Misereor. Das Hilfswerk<br />

investiert das Geld in Projekte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Steinbruch.<br />

Wo steht Xertifix heute?<br />

Obschon das Echo in der Öffentlichkeit sehr gut ist, labeln wir weniger als ein Prozent des<br />

Marktes. Unser Umsatz liegt bei rund 20000 Euro. Ich arbeite weiterhin gratis für Xertifix.<br />

(www.xertifix.de)


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 7<br />

Billige Steine werden häufig von Kinderhand abgebaut – zum Beispiel in indischen Steinbrüchen.<br />

Aus Indien stammen auch die Pflastersteine des neuen Dorfplatzes in Uitikon-Waldegg.<br />

7<br />

STEINE


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 8<br />

8<br />

STEINE<br />

Wenn Kinder nicht arbeiten müssen, können sie die Schule besuchen. (Foto: Solidar)<br />

angabe ausschlaggebend ist das Erstverzollungsland.<br />

Über 40 000 Tonnen Strassenbausteine<br />

kommen aus Deutschland, wo<br />

gar keine geeigneten Granite gewonnen<br />

werden. Deutschland wiederum führt<br />

mehr als die Hälfte seiner Natursteine aus<br />

China ein – wo auch indische Steine bearbeitet<br />

werden.<br />

SteinhändlerInnen gehen davon aus,<br />

dass 20 bis 30 Prozent der Natursteine im<br />

«Ich habe in jedem Steinbruch<br />

arbeitende Kinder<br />

angetroffen.»<br />

Schweizer Strassenbau asiatischer Herkunft<br />

sind. Obschon in der Branche die<br />

Probleme in Indien und China bekannt<br />

sind, fehlt es an konkreten Schritten. «Deshalb<br />

ist es wichtig, dass die Gemeinden<br />

und Kantone ein klares Signal aussenden:<br />

Wir wollen nur Steine einwandfreier Herkunft»,<br />

betont Christian Engeli, Kampag -<br />

nenleiter beim SAH.<br />

Saubere Steine aus Europa<br />

Der Weg zu sauberen Steinen muss<br />

nicht steinig sein. Notker Schmid, Leiter<br />

der Abteilung Strassenbau der Stadt St.<br />

Gallen, bestätigt gegenüber der «solidarität»,<br />

dass die Stadt seit geraumer Zeit asiatische<br />

Steine meidet: «Wir<br />

lassen die Unternehmer wissen,<br />

dass wir solche Steine<br />

nicht möchten. Folglich<br />

offerieren die Strassenbauer<br />

Steine aus Europa, wo die<br />

Arbeitsbedingungen eher<br />

unseren Vorstellungen entsprechen.» In<br />

anderen Fällen kann die öffentliche Hand<br />

ein Zertifikat verlangen. Glaubwürdig sind<br />

allerdings nur jene Papiere, die von einer<br />

dritten, unabhängigen Stelle kontrolliert<br />

werden.<br />

Die Zertifizierung<br />

SA 8000<br />

Eine der wichtigsten internationalen<br />

Zertifizierungen ist SA 8000, ein Ma -<br />

nagementsystem zur Durchsetzung von<br />

Sozialstandards, das die gesamte Produktionskette<br />

abdeckt. SA 8000 basiert<br />

auf den ILO-Kernarbeitsnormen und<br />

weiteren ILO-Konventionen, der Allgemeinen<br />

Erklärung der Menschenrechte<br />

sowie den UN-Konventionen über die<br />

Rechte des Kindes und über die Beseitigung<br />

der Diskriminierung von Frauen.<br />

Ausserdem müssen die nationalen Ge -<br />

setze eingehalten werden. Kontrolle und<br />

Zertifizierung er folgen durch unabhängige<br />

AuditorInnen, die von SAI (Social Ac -<br />

countability International) akkreditiert<br />

sind. Bei Nichterfüllung wird das Zertifikat<br />

nicht vergeben bzw. wieder entzogen<br />

und das Unternehmen angehalten,<br />

die Missstände zu beheben.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 9<br />

Eine Bewegung für sauberen Marmor<br />

Ausbeutung und Kinderarbeit in Steinbrüchen müssen nicht<br />

sein: Manmohan Shastri will in einem Modellsteinbruch im indischen<br />

Rajastan Steine unter menschenwürdigen Arbeits -<br />

bedingungen abbauen. Interview: <strong>Katja</strong> <strong>Schurter</strong>, Foto: Mike Weibel<br />

Woher kommt Ihre Motivation, einen<br />

Modellsteinbruch zum Abbau von Granit<br />

und Marmor aufzubauen?<br />

Ich habe in meinem Leben häufig gesehen,<br />

wie ArbeiterInnen ausgebeutet werden,<br />

und kämpfe seit Jahren gegen Kinderarbeit.<br />

In meinen eigenen Unternehmen<br />

habe ich Fairtrade-Praktiken stets als<br />

grundsätzliches Geschäftsprinzip befolgt.<br />

So führe ich in Agra seit zehn Jahren<br />

eine Speckstein-Werkstatt. Es war der erste<br />

Versuch in Indien, ohne Zwangs- und Kinderarbeit,<br />

mit fairen Löhnen zu produzieren.<br />

Speziell an dieser Werkstatt ist auch<br />

eine unterirdische Staubabsaugkammer,<br />

die das Arbeiten angenehmer macht.<br />

Als ich vor einigen Jahren Steinbrüche in<br />

Rajastan besichtigte, wurde mir be wusst,<br />

wie schlimm die Arbeitsbedingungen in<br />

dieser Branche sind. Ich sah aber keine<br />

Möglichkeit, etwas zu verändern, da die<br />

BetreiberInnen dieser Steinbrüche nicht<br />

offen waren für Verbesserungsvorschläge.<br />

Deshalb beschloss ich, in dieser Region<br />

einen Modellsteinbruch zu eröffnen, um<br />

eine andere Entwicklung anzuregen.<br />

Wann wird Ihr Modellsteinbruch eröffnet?<br />

Der Abbau soll Mitte April beginnen,<br />

der Export Mitte Mai. Der Landtitel für<br />

das Gelände von gut 30 000 Quadratmetern<br />

ist ebenso erteilt wie die Lizenz,<br />

99 Jahre lang Mineralien abzubauen.<br />

Wie sieht Ihr Modell aus?<br />

Gute Arbeitsbedingungen, das heisst:<br />

48-Stunden-Woche, zwei Pausen und eine<br />

Mittagspause pro Tag, keine Diskriminie-<br />

Ein Modell für fair produzierte Steine soll Schule machen.<br />

rung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religion<br />

oder politischer Einstellung, keine<br />

Misshandlung von Arbeitenden, Arbeitskleidung<br />

mit Helm, Gummistiefeln und<br />

Schutzmaske, Existenz sichernde Löhne,<br />

Organisationsfreiheit, Trinkwasser, Toiletten,<br />

Unterkunft, Grundschule für die Kinder<br />

der Angestellten mit Mittagstisch,<br />

Krankenversicherung, medizinisches Zentrum,<br />

Familien- und Sozialberatung,<br />

Warnsystem gegen Unfälle etc. Und: keine<br />

Kinderarbeit, keine Schuldknechtschaft,<br />

keine Zwangsarbeit.<br />

Sind sie auch mit fairen Produktionsbedingungen<br />

konkurrenzfähig?<br />

Die Investition in Arbeitsmaschinen wie<br />

Bagger, Krane und Kompressoren sowie<br />

die Unterhaltskosten werden durch den<br />

Export der Steine finanziert. Profite werden<br />

benutzt, um die Kapitalbasis auf -<br />

zubauen und für Schule, Mittagstisch,<br />

medizinisches Zentrum und Sicherheitsmassnahmen<br />

aufzukommen.<br />

Wohin werden Sie die Steine verkaufen?<br />

Der Steinbruch wird vor allem nach<br />

Übersee exportieren.<br />

Wird der Steinbruch zertifiziert?<br />

Wir werden sofort den Zertifizierungsprozess<br />

von SA 8000 (siehe Kasten S. 8) in<br />

Gang setzen. Alle KäuferInnen und Inte -<br />

ressierten sind willkommen, den Steinbruch<br />

zu besichtigen.<br />

Werden auch andere Steinbrüche von<br />

Ihren Erfahrungen profitieren können?<br />

Bereits vor Inbetriebnahme haben sich<br />

20 BesitzerInnen von kleinen Steinbrüchen<br />

gemeldet, die das Modell übernehmen<br />

wollen. Wir möchten die Idee sauberer<br />

Minen bei weiteren 200 kleinen und<br />

mittleren Steinbrüchen in verschiedenen<br />

Provinzen verbreiten und eine Weiterbildung<br />

zu unseren Standards anbieten. So<br />

könnte eine Bewegung in der Steinindustrie<br />

entstehen, die die Produktion von<br />

sauberem Granit und Marmor fördert.<br />

9<br />

STEINE


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 10<br />

10<br />

KAMPAGNE<br />

Holen Sie die Ausstellung des SAH in Ihre Wohngemeinde.<br />

So tragen Sie zum Kampagnenerfolg bei<br />

Für das Gelingen der Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren<br />

Steuergeldern» braucht es Druck und Sen sibilisierungsarbeit.<br />

Ihre Unterstützung ist wichtig.<br />

Postkarte einsenden<br />

Füllen Sie beiliegende Postkarte aus und<br />

schicken Sie sie ans SAH zurück. Bestellen<br />

Sie weitere Postkarten und verteilen Sie sie<br />

an Bekannte.<br />

Gemeinsam mit verschiedenen Gruppierungen<br />

in Ihrer Wohngemeinde möchten<br />

wir möglichst viele Unterschriften<br />

sammeln und diese den zuständigen Be -<br />

hör den übergeben.<br />

Unterschriften sammeln<br />

Mobilisieren Sie in Ihrer Gemeinde inte -<br />

ressierte Menschen, um gemeinsam Unterschriften<br />

für eine Petition zu sammeln und<br />

diese der Gemeinde zu übergeben. Wie<br />

zum Beispiel in der Gemeinde Amriswil,<br />

wo die lokale SP eine Petition lanciert hat.<br />

Diese fordert den Stadtrat auf, dafür zu<br />

sorgen, dass keine Randsteine aus Steinbrüchen<br />

importiert werden, in denen Kinderarbeit,<br />

unwürdige Arbeitsbedingungen<br />

und Umweltverschmutzung an der Tagesordnung<br />

sind.<br />

Wir unterstützen Sie gerne bei dieser<br />

Aktion. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf.<br />

Eine Motion anregen<br />

Überzeugen Sie ParlamentarierInnen da -<br />

von, eine Motion einzureichen, die den<br />

Regierungs- oder Gemeinderat zu fairer<br />

Beschaffung verpflichtet. LieferantInnen<br />

soll im Rahmen des Beschaffungswesens<br />

gesetzlich vorgeschrieben werden, die<br />

Bestimmungen der ILO-Kernarbeitsnormen<br />

einzuhalten. Im Zürcher Kantonsrat<br />

wurde eine solche Motion im April 2007<br />

eingereicht. Die Diskussion ist hängig.<br />

Wird in jedem Kanton eine Motion eingereicht,<br />

entsteht schweizweit Druck!<br />

Ausstellung organisieren<br />

Tun Sie sich mit weiteren Interessierten<br />

zusammen, um die Ausstellung des SAH in<br />

Ihrer Wohngemeinde zu zeigen. Mit übergrossen<br />

Overalls und Informationstafeln<br />

macht die Ausstellung auf die unmenschlichen<br />

Arbeitsbedingungen aufmerksam, die<br />

in vielen Ländern des Südens bei der Produktion<br />

von Exportgütern vorherrschen.*<br />

Unterstützung<br />

Helfen Sie bei Standaktionen mit oder tragen<br />

Sie mit einer Spende zur Kampagne<br />

bei (PC 80-188-1).<br />

Informationen, Mustermotionen und<br />

weiteres Material zum Mitmachen unter<br />

www.kehrseite.ch. Kontaktieren Sie uns<br />

per E-Mail (info@kehrseite.ch), rufen Sie<br />

an (044 444 19 19) oder schreiben Sie uns:<br />

Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren<br />

Steuergeldern», <strong>Schweizerisches</strong> <strong>Arbeiterhilfswerk</strong><br />

SAH, Postfach 2228, 8031<br />

Zürich.<br />

* Die Overalls stammen aus fairer Produk tion und wurden<br />

vom schweizerisch-peruanischen Be kleidungsunternehmen<br />

Bergspitz gesponsert. www.bergspitz.ch<br />

Die acht ILO-Kernarbeitsnormen<br />

Für eine sozial nachhaltige Beschaffung<br />

müssen als Mindestanforderung<br />

die ILO-Kernarbeitsnormen und die<br />

nationale Gesetzgebung im Produktionsland<br />

eingehalten werden.<br />

Die ILO-Kernarbeitsnormen verbieten<br />

Zwangs- und Kinderarbeit, garantieren<br />

den Gewerkschaften das Recht, die<br />

Interessen ihrer Mitglieder kollektiv zu<br />

vertreten, fordern Lohngleichheit zwischen<br />

Frauen und Männern und verbieten<br />

Diskriminierung in der Arbeitswelt.<br />

Die Schweiz hat alle acht Konventionen<br />

unterzeichnet und ist damit die völkerrechtliche<br />

Verpflichtung eingegangen,<br />

die Normen in nationales Recht umzusetzen.<br />

Diese Kernkonventionen wurden<br />

von der ILO 1998 als für alle Staaten verpflichtende<br />

Standards deklariert, selbst<br />

wenn sie diese nicht ratifiziert haben.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 11<br />

Gewerkschaftliche Organisierung ist unabdingbar für die Durchsetzung gerechter Arbeitsbedingungen.<br />

Die Niederlande machen es vor<br />

Dass faire Beschaffung möglich ist, zeigt das Beispiel der<br />

Niederlande. Die Schweiz kann von deren Erfahrungen mit<br />

einem nationalen Aktionsplan lernen. Text: <strong>Katja</strong> <strong>Schurter</strong>, <strong>Fotos</strong>: Khanya College<br />

2005 hat das holländische Parlament eine<br />

Motion verabschiedet, die festlegt, dass ab<br />

2010 Nachhaltigkeit als oberstes Kriterium<br />

für jegliche öffentliche Beschaffung gelten<br />

soll. Das heisst: Waren und Dienstleistungen,<br />

die von der öffentlichen Hand eingekauft<br />

werden, müssen ökologisch und so zial<br />

verträglich produziert sein. Dafür wurde<br />

ein Paket von Kriterien für 32 Produkte<br />

und Dienstleistungen entwickelt, die jährlich<br />

aktualisiert werden. Dazu gehören zum<br />

Beispiel Büromaterial, Müllabfuhr, Reinigung,<br />

Bür omöbel, Dienstkleider, Catering<br />

etc. Schlussendlich soll der Katalog auf 120<br />

Produkte ausgeweitet werden. Eine nationale<br />

Informationsstelle unterstützt die Verantwortlichen<br />

bei der Umsetzung.<br />

Zurückhaltung der Regierung –<br />

lokales Engagement<br />

Drei der fünf Jahre für die Umsetzung<br />

der Motion sind bereits vergangen. «Bis<br />

jetzt wurde nicht definiert, was 100 Prozent<br />

nachhaltig konkret heisst», stellt Bart<br />

Slob von Somo, dem niederländischen<br />

Zentrum für Forschung über multinationale<br />

Konzerne, fest. «Die ILO-Kernarbeitsnormen<br />

werden von manchen Ge -<br />

meinden bei ihren Einkäufen bereits<br />

berücksichtigt. Dabei gibt es allerdings<br />

Schwierigkeiten: Zum Beispiel Computer<br />

kommen zu 90 Prozent aus China, wo es<br />

keine Organisationsfreiheit gibt.»<br />

Beim Produkt «Müllabfuhrwagen» beinhalten<br />

die Kriterien zum Beispiel Energieeffizienz<br />

und Treibstoffart, Brennstoffverbrauch,<br />

Gewicht und Design sowie<br />

Sicherheit, Gesundheit und Wohlergehen<br />

der ArbeiterInnen. Bis anhin ist die<br />

Berücksichtigung der Kriterien bei Einkäufen<br />

jedoch nicht zwingend. «Die Regierung<br />

ist hier leider noch zurückhaltend», bedauert<br />

Bart Slob. Viele Verantwortliche sind<br />

allerdings von der Wichtigkeit einer nachhaltigen<br />

Beschaffung überzeugt. «Die Diskussion<br />

ist in Gang gekommen, bei den<br />

lokalen Behörden gibt es erste Erfahrungen,<br />

es werden Lösungen gesucht und<br />

gefunden.» 2006 hat die Zentralregierung<br />

bereits 35 Prozent aller Güter und Dienstleistungen<br />

unter Berücksichtigung von<br />

Nachhaltigkeitskriterien beschafft, im Vergleich<br />

zu 23 Prozent im Jahr 2004.<br />

Die Erfahrungen widerlegen laut Slob<br />

die häufig geäusserte Befürchtung, dass<br />

nachhaltige Beschaffung zu teuer sei: «Es<br />

gibt genug faire Produkte auf dem Markt,<br />

die nicht teurer sind, und wenn die<br />

Gemeinden gemeinsam einkaufen, kann<br />

es sogar billiger werden.»<br />

Barcelona auf<br />

Nachhaltigkeitskurs<br />

Die Stadtverwaltung von Barcelona<br />

hat in Zusammenarbeit mit NGOs be -<br />

reits 2002 begonnen, nach ethischen<br />

Kriterien zu beschaffen. Sie verfolgte<br />

drei Schwerpunkte: die Förderung von<br />

Fairtrade-Produkten sowie die nachhaltige<br />

Beschaffung von Holz und von<br />

Arbeitskleidern im Gartenbau.<br />

In Zusammenarbeit mit einer Fairtrade-<br />

NGO wurde eine Sensibilisierungskampagne<br />

bei den Angestellten durchgeführt.<br />

Mit Erfolg: 2007 gab es 102<br />

Kaf feemaschinen mit Fairtrade-Kaffee<br />

gegenüber drei im Jahr 2003. Die Kriterien<br />

für die Lieferung von Arbeitskleidern<br />

beinhalten die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen.<br />

Nur eine Anbieterin<br />

konn te Dokumente vorweisen, die Ort<br />

und Name der Produktionsfirma sowie<br />

die ethische Verpflichtung des Unternehmens<br />

belegten. Hier hatte ein anderer<br />

Kunde bereits ethische Commitments<br />

verlangt.<br />

Das Beispiel Barcelona zeigt einerseits,<br />

dass die Forderung nach fairen Arbeitsbedingungen<br />

wirkt, und andererseits,<br />

dass der Einbezug der Angestellten und<br />

die Kooperation mit NGOs wesentlich<br />

sind für eine nachhaltige Beschaffung.<br />

11<br />

KAMPAGNE


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 12<br />

12<br />

TEXTILIEN<br />

Flecken auf weissen Kitteln?<br />

Spitäler in der Schweiz kümmern sich kaum je darum, wo<br />

und wie ihre verwendeten Textilien produziert werden. So ist<br />

nicht auszuschliessen, dass sich PatientInnen mit Duvets<br />

zudecken und das Pflegepersonal Arbeitskleidung trägt, die<br />

in China unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen hergestellt<br />

wurden. Text: Christian Engeli, <strong>Fotos</strong>: Reuters<br />

In China arbeiten 15 Millionen Menschen<br />

in der Bekleidungsindustrie, hauptsächlich<br />

junge Frauen, die aus ländlichen Regionen<br />

in die Exportproduktionszonen migriert<br />

sind.<br />

Eine von ihnen ist Xiao Qing 1 , die vor<br />

drei Jahren, nach dem Tod ihres Vaters, in<br />

einer Textilfabrik in Wuhan zu arbeiten<br />

begann. Damals war sie gerade 16 Jahre alt.<br />

Normalerweise beginnt die Arbeit um 7<br />

Uhr morgens und dauert mit je einer Stunde<br />

Mittags- und Abendpause bis um 21<br />

Uhr. Nur selten hat sie am Wochenende<br />

einen Tag frei. Es gibt keine Krankenversicherung<br />

oder Altersvorsorge. Wie alle<br />

ArbeiterInnen wird Xiao Qing im Stücklohn<br />

bezahlt. Dieser ist jedoch nicht fix,<br />

sondern sinkt in produktionsintensiveren<br />

Zeiten, sodass die ArbeiterInnen weniger<br />

verdienen, obwohl sie mehr produzieren<br />

und länger arbeiten. Xiao Qing beklagte<br />

sich darüber beim Management – worauf<br />

ihr der ausstehende Lohn nicht ausbezahlt<br />

wurde. 2<br />

Ausbeutung von MigrantInnen<br />

Xiao Qing ist kein Einzelfall. Wie die<br />

meisten WanderarbeiterInnen, die auf der<br />

Suche nach Arbeit in die Stadt kommen,<br />

arbeitet sie ohne Vertrag. Wanderarbeite -<br />

r Innen haben kein Anrecht auf Sozialhilfe<br />

und dürfen ihre Familie nicht nachziehen.<br />

Rechtlos und abgeschnitten von ihrem<br />

sozialen Umfeld, können sie sich nicht<br />

gegen Missbräuche wehren und sind so der<br />

Willkür der FabrikbesitzerInnen ausgelie-<br />

fert. Um ihre Stelle nicht zu verlieren, er -<br />

dulden die meisten die Ausbeutung. Das<br />

geht so weit, dass viele selbst ungeschützte<br />

Arbeit mit gesundheitsschädigenden Chemikalien<br />

in Kauf nehmen.<br />

In China gibt es keine unabhängigen<br />

Gewerkschaften. Die einzige legale<br />

Gewerkschaft ist die «All China Federation<br />

of Trade Unions» (ACFTU). Da sie jedoch<br />

nicht nur den Arbeitnehmenden, sondern<br />

auch der Regierung verpflichtet ist, unterdrückt<br />

sie Streiks häufig, obwohl sie selber<br />

feststellt, dass 62 Prozent der ArbeiterInnen<br />

sieben Tage in der Woche arbeiten.<br />

1) Name geändert.<br />

2) Ein Interview mit dem Bruder von Xiao Qing wurde im<br />

Mai 2006 gesendet, siehe China Labour Bulletin:<br />

www.china-labour.org.hk/en/node/100196.<br />

Spitäler kümmern sich nicht um die Herkunft<br />

ihrer Wäsche<br />

Die kantonalen Spitäler oder Universitätskliniken kaufen ihre enorme Menge an Bettwäsche<br />

und Berufskleidern nicht direkt bei den HerstellerInnen ein, sondern beziehen<br />

sie über Schweizer HändlerInnen oder leasen die Wäsche bei Gross wäschereien.<br />

In der Schweiz gibt es etwa 15 HändlerInnen, die den Spitalsektor beliefern. Nur einer<br />

davon arbeitet mit HerstellerInnen zusammen, die SA 8000 (siehe S. 8) zertifiziert sind, wie<br />

eine Recherche des SAH Ende 2007 ergab. Kein Wunder – denn die Verantwortlichen in<br />

den Spitälern interessieren sich vor allem für Preis, Qualität und Lieferfristen der Textilien.<br />

Nur gerade ein Händler gibt an, dass sich Spitäler nach der Herkunft der Waren erkundigen.<br />

Für kurzfristige Aufträge wird die Wäsche häufig aus dem EU-Raum importiert. Es gibt aber<br />

auch Importe aus China, Pakistan und Marokko. Hier ist es schwierig, die Produktionsbedingungen<br />

zu überprüfen. Zwar lassen Schweizer Firmen in nichteuropäischen Ländern<br />

manchmal vor Ort Audits zur Arbeitssituation durchführen, doch sind die Resultate nicht<br />

immer vertrauenswürdig. In China werden laut der Organisation Play Fair die Beschäftigten<br />

zum Teil detailliert angewiesen, wie sie die InspektorInnen belügen sollen.<br />

Es ist fast unmöglich herauszufinden, unter welchen Bedingungen Bettlaken und OP-Kittel<br />

in einem bestimmten Spital produziert worden sind. PatientInnen der Kantonsspitäler in<br />

Menziken und Baden liegen in Bettlaken, die in Pakistan hergestellt wurden. Der Händler,<br />

der die Ware zum Teil aus Pakistan importiert, gibt jedoch den Namen des Betriebes nicht<br />

bekannt. Die Wäscherei Zeba bezieht ihre Berufskleider, die sie an Kantonspitäler der Region<br />

Basel liefert, zum Teil aus China. Auch hier sind Fabriken und Arbeitsbedingungen nicht<br />

bekannt. Damit sich daran etwas ändert, müssen die EinkäuferInnen der Spitäler Druck<br />

machen. Sie haben es in der Hand, den Nachweis fairer Arbeitsbedingungen für die TextilarbeiterInnen<br />

einzufordern.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:08 Uhr Seite 13<br />

Hungerlöhne, die spät oder gar nicht ausbezahlt werden, und Zwang zu Überstunden sind Alltag<br />

für chinesische Textilarbeiterinnen.<br />

Spitäler haben es in der Hand, die Bedingungen bei der Produktion ihrer Textilien zu kontrollieren.<br />

13<br />

TEXTILIEN


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14<br />

SPORTBÄLLE<br />

Bälle können fair sein<br />

In einem EM-Jahr wie diesem steigt die Nachfrage nach Fussbällen<br />

deutlich an. Wo und unter welchen Bedingungen werden<br />

die Bälle hergestellt? Text: <strong>Katja</strong> <strong>Schurter</strong>, <strong>Fotos</strong>: ILO/M.Crozet (o.) und Sabine Rock (u.)<br />

Etwa sechs von zehn handgenähten Bällen<br />

– und handgenäht sind nach wie vor die<br />

meisten – gehen durch pakistanische<br />

Hände. Führend in der Ballproduktion ist<br />

die Stadt Sialkot in der Region Punjab.<br />

Hier greifen täglich etwa 35 000 Menschen<br />

zu Nadel und Faden und produzieren je<br />

vier bis fünf Bälle. Der Output liegt bei 20<br />

Millionen Bällen pro Jahr.<br />

Kinder nähten Bälle statt damit zu<br />

spielen<br />

Mitte der 90er-Jahre wurde publik, dass<br />

in Pakistan Kinder im Akkord Fussbälle<br />

nähen mussten. Die Produktion war stark<br />

auf Heimarbeit ausgerichtet, die Näh-Kits<br />

Die Löhne für NäherInnen<br />

sanken, während die<br />

Gewinn margen stiegen.<br />

wurden nach Hause geliefert und die fertigen<br />

Bälle wieder abgeholt. Die ganze Familie<br />

beteiligte sich an der Arbeit, was dazu<br />

führte, dass viele Kinder nicht zur Schule<br />

gingen. Aufgrund der massiven Kritik von<br />

Nichtregierungsorganisationen reagierten<br />

die Markenfirmen. Bereits 1997 unterzeichneten<br />

HerstellerInnen, UNICEF und<br />

die internationale Arbeitsorganisation ILO<br />

das Atlanta-Abkommen 1 zur Abschaffung<br />

der Arbeit von Kindern unter 14 Jahren.<br />

Die pakistanische Ballindustrie wurde<br />

umgestellt und dank eines aufwendigen<br />

Monitoring-Systems gibt es kaum mehr<br />

Kinderarbeit. Über 10 000 ehemals arbeitende<br />

Kinder konnten an Schulprogrammen<br />

teilnehmen und haben inzwischen die<br />

Grundschule beendet. Die Hälfte von<br />

ihnen setzte die Schulausbildung anschliessend<br />

fort.<br />

Abschaffung der Kinderarbeit<br />

genügt nicht<br />

Damit ist es jedoch nicht getan. Die<br />

betroffenen Familien büssten eine wichtige<br />

Einkommensquelle ein, nämlich den Verdienst<br />

der Kinder und in vielen Fällen auch<br />

jenen der Frauen. Denn die Zentralisierung<br />

des Nähens in grösseren Manufakturen<br />

schloss de facto Frauen aus. Erstens<br />

dürfen junge Frauen nicht mit fremden<br />

Männern zusammenarbeiten und zweitens<br />

brachte die Zentralisierung wesentlich längere<br />

Arbeitswege mit sich,<br />

was nicht vereinbar ist mit<br />

Kindererziehung und Hausarbeit,<br />

wofür meist die<br />

Frauen zuständig sind. Die<br />

Stücklöhne für NäherInnen<br />

wurden zudem nicht<br />

erhöht, sondern sanken<br />

zwi schen 1996 und 2006 um rund 10 Prozent,<br />

während die Gewinnmargen der<br />

Gedankenloser Einkauf an Schulen<br />

Sportartikelfirmen stiegen. Der Stücklohn<br />

beträgt je nach Qualität zwischen 40 und<br />

75 Rappen – was bei einem Tagespensum<br />

von vier bis fünf Bällen keine Existenz<br />

sichert.<br />

Alternativen sind greifbar<br />

Ein Fairtrade-Betrieb zahlt bis zu 50<br />

Prozent mehr pro Fussball – das heisst, ausgehend<br />

von den üblichen Stücklöhnen,<br />

kostet die Produktion eines Balls unter<br />

guten Arbeitsbedingungen lediglich 40<br />

Rappen mehr. Die Fairtrade Labelling<br />

Organizations International (FLO) 2 zertifizieren<br />

fair produzierte Bälle. Diese sind<br />

im Handel erhältlich und kaum teurer als<br />

Produkte aus zweifelhafter Herkunft.<br />

Es gilt also: Bälle kaufen, die über ein<br />

FLO-Label oder ein A-Rating des Ballherstellers<br />

gemäss IMAC 3 verfügen – erhältlich<br />

zum Beispiel im Claro Fairtrade-<br />

Laden oder bei Helvetas 4 .<br />

1) www.imacpak.org/atlanta.htm<br />

2) www.fairtrade.net<br />

3) Independent: monitoring association for child labour:<br />

www.imacpak.org<br />

4) www.helvetas.biz<br />

In den vergangenen Jahren wurden gemäss Zollstatistik durchschnittlich 1,5 Millionen<br />

Bälle in die Schweiz eingeführt. Grosse Abnehmerinnen sind Schulen, die 20 bis 30<br />

Prozent der importierten Bälle einkaufen. Sie bestücken ihre Turnhallen mit Bällen und<br />

ersetzen diese regelmässig. Dabei sind sie weitgehend autonom. Oft kaufen SportlehrerInnen<br />

die Bälle direkt bei einem Lieferanten ihrer Wahl ein; das kann ebenso das lokale Sportgeschäft<br />

wie eine grosse Sporthändlerin sein (z.B. Ochsner, Huspo). Das wichtigste Kriterium<br />

ist meist der Preis. Für Fussbälle zahlen Schulen zwischen 20 und 40 Franken.<br />

Herkunft und Produktionsbedingungen werden kaum nachgefragt, wie eine Umfrage des<br />

SAH Ende 2007 ergab.<br />

So ist es wahrscheinlich, dass Schulen immer wieder Bälle einkaufen, die unter miserablen<br />

Arbeitsbedingungen hergestellt wurden, obwohl faire Bälle kaum höhere Kosten verur -<br />

sachen.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:09 Uhr Seite 15<br />

Der Lohn für die meist handgenähten Fussbälle reicht nicht zum Leben.<br />

Es gibt Alternativen: Fairtrade-Bälle sind kaum teurer als Produkte von zweifelhafter Herkunft.<br />

15<br />

SPORTBÄLLE


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:09 Uhr Seite 16<br />

16<br />

RÄTSEL<br />

SAH-Sudoku<br />

3 5<br />

Lösungswort<br />

3 9 6<br />

1 6 2 8<br />

6 5 3<br />

2 7 9 6<br />

9 3 1 8<br />

7 5 6 9<br />

1 7 4<br />

Cartoon von Anna Sommer<br />

3 8<br />

Spielregeln<br />

Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen 1 bis 9. Dabei darf jede<br />

Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun<br />

3x3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich<br />

aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem<br />

Schlüssel: 1 = i, 2 = e, 3 = s, 4 = k, 5 = u, 6 = g, 7 = h, 8 = r, 9 = t<br />

Schicken Sie das Lösungswort ans SAH – mit dem beiliegenden vorfrankierten<br />

Service-Talon, einer Postkarte oder per E-Mail an<br />

info@sah.ch, Betreff «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an einer<br />

Verlosung teil.<br />

Preise<br />

Als Preise winken: 1. Preis: Ein Einkaufsgutschein der gebana im<br />

Wert von 300 Franken, 2. und 3. Preis: Einkaufsgutscheine von<br />

gebana im Wert von je 100 Franken.<br />

Die Preise werden freund licherweise von unserer<br />

Partnerorganisation gebana gestiftet. Die gebana<br />

ist eine Pionierin des fairen Handels. Über ihren<br />

Fairtrade-Webshop gelangen mehr als 100 biologisch<br />

produzierte Lebens mittel bequem und<br />

direkt zu Ihnen nach Hause. Bezug und Informationen: www.gebana.com<br />

Einsendeschluss ist der 20. September 2008. Die Namen der GewinnerInnen werden in<br />

der «solidarität» 4/2008 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz<br />

geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende<br />

des SAH, der SAH-Regionalvereine und der gebana.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:09 Uhr Seite 17<br />

Täglich 6000 Tastaturen<br />

Sie arbeitet 11 Stunden am Tag, 28 Tage in Folge, und verdient<br />

50 Rappen pro Stunde. Li Mei Zhuang* erzählt über ihre Arbeitsbedingungen<br />

in einer Computerfabrik in der chinesischen<br />

Sonderwirtschaftszone Pearl River Delta. Interview: Chantal Peyer, Foto: ITUC<br />

Li Mei Zhuang, warum sind Sie zum<br />

Arbeiten in die Industriezone Dong -<br />

guan gekommen?<br />

Ich bin in einer Bauernfamilie im Süden<br />

Chinas aufgewachsen. Die Schulgebühren<br />

im Dorf waren hoch, und meine Eltern<br />

waren wegen der Baukosten des Hauses<br />

verschuldet. So habe ich als 16-Jährige<br />

beschlossen, in die Stadt zu gehen, um<br />

Geld für die Familie zu verdienen.<br />

Was machen Sie in der Fabrik?<br />

Ich arbeite in einer Montageanlage für<br />

Computer-Tastaturen. Meine Aufgabe ist<br />

es, acht Buchstaben an jeder Tastatur anzubringen:<br />

das H, G, T, Z, U, V, B und N.<br />

Wie viele Tastaturen produzieren Sie<br />

pro Tag?<br />

Eigentlich beträgt die Quote 6000<br />

Tastaturen pro Tag, aber dazu muss man<br />

extrem schnell arbeiten: Die neuen Arbeiterinnen<br />

haben Mühe, da zu folgen.<br />

Wie viel verdienen Sie für diese Arbeit?<br />

Ich verdiene ungefähr 3,1 Yuan pro<br />

Stunde (50 Rappen).<br />

Reicht das für den Lebensunterhalt?<br />

Mit den Überstunden ja. Die letzten<br />

Monate brauchte ich 500 Yuan meines<br />

Kampagnen zu fairen Arbeitsbe dingungen<br />

Lohnes und den Rest, 450 Yuan, habe ich<br />

meinen Eltern geschickt. Aber ich achte<br />

sehr auf mein Geld: Ich lebe in der Fabrik,<br />

gehe nie aus und ich kaufe mir nie Früchte.<br />

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?<br />

Das hängt von den Bestellungen ab. Im<br />

letzten Monat gab es viel zu tun. Ich arbeitete<br />

11 Stunden pro Tag, ohne Unterbruch<br />

während 28 Tagen.<br />

Was möchten Sie ändern in der Fabrik?<br />

Die Verpflegung: Sie ist scheusslich.<br />

Manchmal ist das Fleisch verdorben, und<br />

ich esse den ganzen Tag nichts. Wir haben<br />

uns bei der Direktion beschwert, aber bis<br />

jetzt gab es keine Verbesserung.<br />

* Name zum Schutz der Arbeiterin geändert.<br />

Quelle: Kampagne gegen Ausbeutung in der Computerindustrie<br />

von Brot für alle und Fastenopfer.<br />

Faire Computer Brot für alle und Fastenopfer führen ihre letztes Jahr lancierte Kampagne gegen Ausbeutung in der Computerindustrie weiter.<br />

Mit dem «Postulat für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung von Computern» werden Städte aufgefordert, dafür zu sorgen, dass ihre<br />

Computer unter Einhaltung der Arbeitsrechte produziert wurden. In einer Arbeitsgruppe mit ExpertInnen sollen Kriterien entwickelt werden,<br />

die es erlauben, die Politik der sozialen Verantwortung von Unternehmen zu evaluieren. Postulate wurden bereits in Biel und Lausanne eingereicht.<br />

Siehe www.fair-computer.ch<br />

Be clever – buy fair Helvetas hat ein Fan-T-Shirt zur Fussballeuropameisterschaft mit der Rückennummer «IQ» und dem Kampagnenslogan<br />

«Be clever – buy fair» produziert. Das T-Shirt aus Biobaumwolle kommt aus fairem Handel. Passend dazu gibt es einen Fussball, der unter<br />

fairen Bedingungen in einem Nähatelier in Pakistan hergestellt wurde; Laminierung und Blase sind aus nachhaltig gewonnenem Naturkaut -<br />

schuk. Der Helvetas-Ball ist der erste Max Havelaar und FSC zertifizierte Fussball weltweit. Die Produkte können bestellt werden unter:<br />

www.helvetas.biz<br />

Revolution in der Modebranche Die Erklärung von Bern (EvB) lanciert ein fair produziertes T-Shirt, bei dem die gesamte Produktionskette<br />

vom Baumwollfeld eines Helvetas-Projekts in Burkina Faso bis zur Näherin in Indien erstmals exakt verfolgt werden kann. Damit will die EvB<br />

zeigen, dass faire Mode möglich ist, die Modefirmen zum Umdenken bewegen und eine Revolution in der Textilindustrie auslösen. Folgerichtig<br />

ist auf der Schulter des Shirts das Bild einer indischen Näherin im Stil des berühmten Bildes von Che Guevara aufgedruckt. Die Petition<br />

«Faire Mode ist möglich» kann unterschrieben werden unter: www.fairemode.ch<br />

17<br />

COMPUTER


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18<br />

PORTRÄT SAH<br />

Die internationale Arbeit des SAH<br />

Das SAH realisiert Programme in acht Schwerpunktländern: Bolivien, Burkina Faso, El Salvador, Kosovo,<br />

Moçambique, Nicaragua, Serbien und Südafrika. Darüber hinaus ist es in verschiedenen Ländern mit huma -<br />

nitärer Hilfe und Wiederaufbauprojekten präsent. Zusammen mit lokalen Basisorganisationen unterstützt<br />

das SAH Menschen darin, ihre Lebensbedingungen selbst zu verbessern und die Armut zu überwinden.<br />

Endlich mitgestalten<br />

können<br />

Zum ersten Mal können DorfbewohnerInnen<br />

in Moçambique den Planungsprozess<br />

in ihren Dörfern mitgestalten. Ein<br />

Novum in einem Land, das bisher strikt<br />

zentralistisch regiert wurde. Bei der Ausarbeitung<br />

der Entwicklungspläne bringen<br />

die Frauen und Männer ihre Vorstellungen<br />

und Ideen ein – denn sie wissen<br />

am besten über die Bedürfnisse ihrer<br />

Gemeinde Bescheid. Ihre Projektvorschläge<br />

werden von den Behörden zwar<br />

nicht immer berücksichtigt – die Demokratisierung<br />

ist vielen BeamtInnen noch<br />

suspekt oder sie kennen die korrekten<br />

Abläufe gar nicht. Der notwendige<br />

Prozess, um dies zu verändern, wird<br />

durch Schulungen gefördert.<br />

Mit Hilfe des SAH konnten in zahlreichen<br />

Dörfern Initiativen der Bevölkerung<br />

umgesetzt werden – zum Beispiel<br />

der Bau von Gemeindezentren und Primarschulen.<br />

So finanzierte das SAH Baumaterial<br />

und einen Ingenieur, die<br />

BewohnerInnen selbst gossen die Ziegel<br />

und mauerten die Gebäude.<br />

Faire Produktion für<br />

den Weltmarkt<br />

Das SAH unterstützt in Nicaragua KleinbäuerInnen<br />

dabei, Landtitel im Grundbuch<br />

einzutragen, was Zugang zu Krediten<br />

und Investitionen in eine nachhaltige<br />

Landwirtschaft ermöglicht. Der biologische<br />

Anbau wird konsequent gefördert<br />

und in die Qualitätsverbesserung inves -<br />

tiert. Gemeinsam mit lokalen Partner<br />

Innen stärkt das SAH die Organisationsentwicklung<br />

landwirtschaftlicher Genossenschaften,<br />

in denen die Bäuerinnen<br />

und Bauern ihre Kräfte zusammenlegen<br />

können: Wenn eine zentrale Struktur<br />

die Verantwortung für die Vermarktung,<br />

die technische Begleitung, den<br />

Einkauf von Produktionsmitteln und die<br />

Verwaltung von externen Mitteln übernimmt,<br />

können die KaffeebäuerInnen<br />

ein höheres Einkommen erwirtschaften.<br />

So vermarktet die Genossenschaft Cecocafen<br />

den Kaffee kleiner ProduzentInnen<br />

erfolgreich im In- und Ausland, bietet<br />

Beratung durch Fachleute und<br />

Weiterbildung an. Nach zehn Jahren<br />

Unterstützung ist Cecocafen 2007 vom<br />

SAH unabhängig geworden. Sie verfügt<br />

über die ISO-Zertifizierung 9001:2000<br />

und gilt als eines der besten Kaffeevermarktungsunternehmen<br />

Nicaraguas.<br />

Sozialer Dialog<br />

fördert Partizipation<br />

In Serbien ist der Übergang von der Planzur<br />

Marktwirtschaft auch sieben Jahre<br />

nach dem Regimewechsel nicht abgeschlossen.<br />

Um die negativen Folgen der<br />

Privatisierung abzufedern, fördert das<br />

SAH den Dialog zwischen Gewerkschaften,<br />

ArbeitgeberInnenverbänden und<br />

Behörden. Das ist nicht immer einfach,<br />

da eine Kultur des Sozialdialogs fehlt<br />

und sich die SozialpartnerInnen eher<br />

gewöhnt sind, einander zu bekämpfen<br />

als miteinander zu sprechen. Dank<br />

gemeinsamer Plattformen und Weiterbildungen<br />

lernen sich die drei Parteien<br />

kennen und werden kompetentere VerhandlungspartnerInnen.<br />

Zum Beispiel<br />

wird mit einem Zeitungsprojekt, in dem<br />

ein Thema aus drei verschiedenen Perspektiven<br />

behandelt wird, den LeserInnen<br />

die Möglichkeit gegeben, sich selbst<br />

eine Meinung zu bilden. So fördert der<br />

Sozialdialog Demokratisierung und<br />

gesellschaftliche Partizipation in einem<br />

Land, das auch Jahre nach dem Sturz des<br />

Milosevic-Regimes noch unter den<br />

Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

leidet.


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:09 Uhr Seite 19<br />

Projekte in der Schweiz<br />

Zehn unabhängige SAH-Regionalvereine setzen sich in der Schweiz für benachteiligte Menschen ein:<br />

für Erwerbslose, MigrantInnen, Asylsuchende oder GefängnisinsassInnen. Sei es in Basel, Bern, Fribourg,<br />

Genf, Schaffhausen, Zürich oder der Zentralschweiz, im Tessin, der Waadt oder im Wallis. Drei Beispiele<br />

veran schaulichen ihre Arbeit.<br />

Move On –<br />

bleib dran<br />

Wer längere Zeit arbeitslos ist, hat es<br />

schwerer, wieder eine Anstellung zu finden.<br />

Noch gravierender ist dies für junge<br />

Erwachsene, die kaum Berufserfahrung<br />

vorweisen können. Das Projekt «Move<br />

On» des SAH Zürich in Fehraltorf unterstützt<br />

junge Stellensuchende beim Einstieg<br />

ins Erwerbsleben.<br />

Die TeilnehmerInnen von Move On<br />

sammeln durch gemeinnützige Arbeit<br />

Erfahrung, zum Beispiel in der Holzwerkstatt,<br />

bei Renovationsarbeiten oder<br />

bei der Rietpflege im Naturschutzgebiet.<br />

Mit einem breiten Kursangebot werden<br />

unterschiedliche Bildungsbedürfnisse<br />

aufgenommen. Ausserdem erhalten die<br />

jungen Erwachsenen individuelles<br />

Coaching und werden bei der Stellen -<br />

suche am Computer begleitet.<br />

Mit Erfolg: Über 40 Prozent finden<br />

während dem sechsmonatigen Einsatz<br />

bei Move on eine Arbeitsstelle.<br />

Bildung im<br />

Straf vollzug<br />

Ohne ausreichende Bildung haben aus<br />

der Haft Entlassene kaum Chancen auf<br />

dem Arbeitsmarkt. Dies steigert die<br />

Gefahr, wieder straffällig zu werden,<br />

deutlich. Um die Chancen der gesellschaftlichen<br />

Integration von GefängnisinsassInnen<br />

zu erhöhen, hat das SAH<br />

Zentralschweiz im August 2007 das<br />

Pilotprojekt Bildung im Strafvollzug lanciert.<br />

In sechs Deutschschweizer Straf -<br />

anstalten werden vier Lerngruppen mit<br />

jeweils sechs Plätzen angeboten.<br />

Gemeinsam mit jeder Teilnehmerin und<br />

jedem Teilnehmer werden individuelle<br />

Lernziele definiert. Neben Fächern wie<br />

Deutsch, Mathematik und Lebenskunde<br />

wird grosser Wert auf Persönlichkeitsentwicklung<br />

gelegt. Die Gefangenen<br />

sollen lernen, ihre Möglichkeiten, Grenzen<br />

und Chancen realistisch einschätzen<br />

zu können.<br />

Falls die Resultate des dreijährigen Pilotprojekts<br />

überzeugend ausfallen, soll das<br />

Bildungsangebot später in weiteren<br />

Vollzugsanstalten – auch in der Romandie<br />

– eingeführt werden. Nach dem<br />

ersten halben Jahr Erfahrung im Unterricht<br />

hinter Gittern ziehen die Lehr -<br />

personen eine positive Bilanz: Die InsassInnen<br />

arbeiten motiviert mit und<br />

machen Fortschritte.<br />

Integrationskurs<br />

für Migrantinnen<br />

Das Projekt Cife des SAH Wallis unterstützt<br />

ausländische Frauen, die meist<br />

keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und<br />

sehr isoliert sind, obwohl sie bereits seit<br />

mehreren Jahren in der Schweiz leben.<br />

Viele von ihnen haben kaum Kontakte<br />

zu SchweizerInnen.<br />

In den Cife-Kursen kommen verschiedene<br />

gesellschaftliche Themen zur Sprache.<br />

Behandelt werden Fragen zur<br />

Gesundheit, zum Schweizer Schulsystem<br />

und zu den Sozialversicherungen, aber<br />

auch Geografie und Geschichte der<br />

Schweiz. Ausserdem werden Exkursionen<br />

organisiert, etwa in eine Ludothek<br />

oder interkulturelle Bibliothek.<br />

Im Französischunterricht wird mit aus<br />

dem Leben gegriffenen Geschichten,<br />

Rollenspielen und Diskussionen nicht<br />

«nur» Französisch vermittelt, sondern<br />

auch die Bewältigung des Alltags geübt.<br />

Ziel von Cife ist es, die persönlichen<br />

Ressourcen der Teilnehmerinnen zu<br />

mobilisieren. So wird im Sprachatelier<br />

häufig mit Erzählungen oder Musik aus<br />

dem Herkunftsland der Frauen gear -<br />

beitet. Bereits sind auf diese Weise drei<br />

Theateraufführungen zum Thema Exil<br />

entstanden, die im Wallis ein grosses<br />

Publikum angelockt haben.<br />

19<br />

PORTRÄT SAH


RZ_Soli_118_2_08_d.qxd:SAH 16.4.2008 9:09 Uhr Seite 20<br />

Die Jagd nach möglichst billigen Produkten hat<br />

eine Kehrseite: ausbeuterische Arbeitsbedingungen.<br />

Das SAH fordert die öffentliche Hand auf, fair produzierte Waren einzukaufen. www.sah.ch<br />

Keh

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