Ärztliche Leichenschau
Ärztliche Leichenschau
Ärztliche Leichenschau
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Auch nach Empfehlungen des Statistischen Bundesamtes<br />
ist – sollte nichts Genaues bekannt sein – die Angabe<br />
„Todesursache unbekannt“ einer vagen Spekulation<br />
vorzuziehen. Keinesfalls sollen in die Todesursachenkaskade<br />
vom Grundleiden zur letztendlichen Todesursache<br />
funktionelle Endzustände, die konstitutiver<br />
Bestandteil jedes Sterbeprozesses sind, eingetragen<br />
werden wie Herzstillstand, Atemstillstand, elektromechanische<br />
Entkopplung.<br />
Weiterhin ist in der rechten Spalte jeweils anzugeben<br />
der Zeitraum der Erkrankung, wobei Ausgangspunkt<br />
der geschätzte Krankheitsbeginn und nicht der Zeitpunkt<br />
der Feststellung ist. Die Angaben zu den Zeiträumen<br />
dienen auch der Plausibilitätskontrolle der Todesursachenkaskade.<br />
Wenn die Todesursache unter Ia keine Folge weiterer<br />
Komplikationen oder anamnestisch bekannter Grundleiden<br />
ist, bedarf es keiner weiteren Eintragungen, zum<br />
Beispiel:<br />
Ia: Schädel-Hirn-Durchschuss<br />
Letzte mittelbare Todesursachen können differenziert<br />
werden in organgebundene und nicht organgebundene<br />
(17) (Tabelle 1).<br />
Bei den vorstrukturierten Eintragungen zu Grundleiden<br />
und Todesursache im <strong>Leichenschau</strong>schein, entsprechend<br />
den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation,<br />
sollte sich der Arzt die gesamte Krankheitsgeschichte<br />
seines Patienten nochmals vor Augen halten. Insbesondere<br />
sollte er sich auch fragen, ob eine finale Morbidität<br />
vorlag, die das Ableben des Patienten zum gegebenen<br />
Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen erwarten<br />
ließ. Dabei sind harte von weichen Todesursachen<br />
zu unterscheiden: Harte Todesursachen liegen vor,<br />
wenn Grundleiden und unmittelbare Todesursache eng<br />
miteinander verbunden sind, sie in kurzer zeitlicher<br />
Aufeinanderfolge eintreten und ein enger Kausalzusammenhang<br />
besteht, etwa bei einem klinisch diagnostizierten<br />
Myokardinfarkt, der über eine Herzruptur zur<br />
Herzbeuteltamponade führt. Hier liegen Grundleiden<br />
und Todesursache in einem Organsystem vor (linearer<br />
Sterbenstyp).<br />
Weiche Diagnosen liegen schließlich vor, wenn der<br />
Patient an mehreren Grunderkrankungen leidet, von denen<br />
sich keine a priori als Todesursache anbietet, die<br />
Todesursache letztlich multifaktoriell bleibt.<br />
Bei der Bewertung von Krankheitszuständen hinsichtlich<br />
ihrer todesursächlichen Dignität ist eine Orientierung<br />
an einer Befundeinteilung hilfreich, wie sie<br />
in der Rechtsmedizin seit mehr als 90 Jahren üblich ist.<br />
Todesursache unbekannt<br />
Die Angabe „Todesursache unbekannt“ ist einer<br />
vagen Spekulation vorzuziehen.<br />
KASTEN 4<br />
● Gruppe 1: Befunde, die aufgrund ihres Schweregrades<br />
und ihrer Lokalisation für sich allein und<br />
ohne Einschränkung den Tod eines Menschen erklären,<br />
zum Beispiel rupturiertes Hirnbasisaneurysma<br />
mit tödlicher Subarachnoidalblutung<br />
● Gruppe 2: Organveränderungen, die den Tod erklären,<br />
aber nicht die Akuität des Todeseintritts.<br />
Ein Beispiel wäre die akute Koronarinsuffizienz.<br />
Ihr morphologisches Substrat, die schwere Aterosklerose,<br />
bestand zweifellos auch bereits am<br />
Tag davor, eine äußere Belastung wie körperliche<br />
Arbeit bei schwülem Wetter ist jedoch das hinzutretende<br />
äußere Ereignis für den Todeseintritt zum<br />
gegebenen Zeitpunkt.<br />
● Gruppe 3: Todesfälle, bei denen trotz sorgsamster<br />
Untersuchung keine Todesursache aufzufinden ist.<br />
Weiterhin sollte man sich an Sterbenstypen orientieren,<br />
die als thanatologische Brücke zwischen Grundleiden und<br />
Todesursache bezeichnet werden (18, 19) (Grafik 1)<br />
● linearer Sterbenstyp: Grundleiden und Todesursache<br />
liegen in einem Organsystem<br />
● divergierender Sterbenstyp: organspezifisches<br />
Grundleiden, jedoch organunspezifische Todesursache<br />
● konvergierender Sterbenstyp: in verschiedenen<br />
Organsystemen gelegene Grundleiden führen<br />
Eintragung zur Todesursache<br />
Der Arzt sollte sich bei der Eintragung zur Todesursache<br />
die gesamte Krankheitsgeschichte seines<br />
Patienten vor Augen halten und sich fragen, ob eine<br />
Morbidität vorlag, die zum Tod führte.<br />
MEDIZIN<br />
Feststellung der Todeszeit<br />
● bei Tod unter ärztlicher Überwachung<br />
– Protokollierung des Zeitpunktes des beobachteten Herz- oder Kreislaufstillstandes<br />
● bei Totauffindungen<br />
– Eingrenzung des Todeszeitintervalls durch folgende Angaben:<br />
– zuletzt lebend gesehen am…<br />
– tot aufgefunden am…beziehungsweise<br />
– Schätzung der Liegezeit aus dem Fortschreitungsgrad von Leichenerscheinungen<br />
● bei durch Zeugen beobachtetem Todeseintritt mit kurzer Agonie<br />
– Todeszeitpunkt nach Angaben von Angehörigen, Zeugen etc.<br />
● Vorsicht bei quasi gleichzeitigem Tod naher Angehöriger<br />
(etwa kinderloses Ehepaar)<br />
– gute Dokumentation wegen möglicher erbrechtlicher Konsequenzen<br />
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 579