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Inzucht und Exogamie

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sondern auch weil diese Gebrechen kulturell <strong>und</strong> sozial kompensiert werden<br />

konnten, vermochte man sie vor der natürlichen Auslese zu schützen. Ohne die<br />

entsprechenden kulturellen <strong>und</strong> sozialen Kompensationsleistungen würde man die<br />

Paarung mit Taubstummen oder Farbenblinden meiden.<br />

Auch die Beobachtungen, die Arthur Ruppin 1903 in Halicz (Galizien) bei seinem<br />

Aufenthalt in der Karaitengemeinde gemacht hat, welche sich von den Sadduzäern<br />

herleitet <strong>und</strong> sich aus religiösen Gründen zu Verwandtenehen gezwungen sah,<br />

gleichen dem Bild, das Farb von den Samaritern gezeichnet hat. Ruppin zählt<br />

Heiraten zwischen Vetter <strong>und</strong> Kusine, Tante <strong>und</strong> Neffe, Nichte <strong>und</strong> Onkel auf,<br />

also zwischen Personen, deren <strong>Inzucht</strong>skoeffizient 1 16 oder 1 8 ist. 105 Das gehäufte<br />

Auftreten organischer Fehler <strong>und</strong> die größere Anfälligkeit gegenüber bestimmten<br />

Krankheiten in dieser Karaitengemeinde wurde mit amtlichen Daten untermauert.<br />

Die religiös bedingte Reduktion der Gattenwahl, vor allem aber die Inkaufnahme<br />

erbkranker Heiratspartner, provozierte einen genetisch negativen Gründereffekt<br />

wie bei den Samaritern.<br />

Aus diesen Beispielen religiös bedingter <strong>und</strong> zum Teil auch politisch erzwungener<br />

Endogamie (das Gastvolk verweigert aus religiösen Gründen die Zwischenheirat),<br />

die zu einer inzuchtbedingten Fixierung bestimmter Körpermerkmalsgruppen<br />

führten, kann man also nicht den Schluß ziehen, daß Verwandtenehen populationsgenetisch<br />

schädlicher seien als panmiktische, zumal es sich bei den hier<br />

erwähnten Ehebräuchen um Beispiele künstlich hergestellter oder kulturell<br />

bedingter genetischer Isolate handelt. Seltene rezessive Erbleiden erscheinen in<br />

einzelnen Bevölkerungsgruppen in größerer Häufigkeit als in anderen. Diese<br />

Anhäufung wird genetisches Isolat genannt, dessen Erscheinung durch geographische,<br />

geschichtliche, religiöse oder ethnische Grenzen bedingt wird, die über<br />

längere Zeiträume diese Gruppen von den anderen Bevölkerungsteilen getrennt<br />

haben <strong>und</strong> damit auch den sog. fo<strong>und</strong>er effect selbst dann konservieren können,<br />

wenn die Präferenz für Verwandtenehen aufgegeben worden ist. In den hier erwähnten<br />

Fällen wirkt die religiös bedingte Endogamie wie ein institutionell forcierter<br />

Gendrift. Die hohe Frequenz der angeführten Erbleiden geht auf einen<br />

(oder mehrere) Ahnen dieser relativ kleinen Bevölkerungsgruppen zurück, der<br />

zufälligerweise ein Träger jener seltenen Gene war, die sich nun durch Endogamie<br />

in dem definierten Zeugungskreis ausbreiten konnten. Nur wenn sich unter<br />

den isolierten Gruppen (bedingt durch verschiedene Gründe) auch Vertreter mit<br />

relativ seltenen Genen befinden, können sich diese dank der kleinen Zahl auch<br />

relativ schnell unter der Bevölkerung ausbreiten.<br />

Durch Verkleinerung des Paarungskreises aber läßt sich Engzucht auf jedes<br />

Merkmal hin durchführen, das äußerlich wahrgenommen wird. Sie führt nicht nur<br />

zur Manifestation verdeckter Ermerkmale (ganz gleich, ob gute oder schlechte).<br />

Als Beschränkung der Paarung auf die denkbar kleinsten Kreise repräsentiert die<br />

Methode der <strong>Inzucht</strong> ein Extrem der Gattenwahl, <strong>und</strong> zwar die Reduktion des<br />

105 Siehe: A.Ruppin, <strong>Inzucht</strong>erscheinungen bei den Karaiten in Halicz, Pol. Anthropol. Revue, II,9, 1903,<br />

S.704-706

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