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Inzucht und Exogamie

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4<br />

allem unter dem eugenischen <strong>und</strong> weniger kulturellen oder sozialen Gesichtspunkt<br />

reflektiert. So behaupteten z.B. Maine 2 <strong>und</strong> Morgan 3, daß die Inzestverbote<br />

deshalb aufgestellt wurden, weil die Menschen den biologisch schädlichen<br />

Charakter der Verwandtenehen erkannt hätten. Auch Hobhouse vertrat diese<br />

Meinung, wenn auch nur in Verbindung mit anderen Vorstellungen. 4 Diese Autoren<br />

hatten (wie andere vor <strong>und</strong> nach ihnen 5) jenen Zweck des Inzestverbots<br />

überraschenderweise gerade solchen Stammesgruppen, Ethnien oder Gesellschaften<br />

unterstellt, welche notorisch die Verwandtenheirat institutionalisierten<br />

oder noch praktizierten <strong>und</strong> mit ihren Heiratsvorschriften tatsächlich auch ein<br />

System der <strong>Inzucht</strong> (assortive mating) eingerichtet hatten.<br />

Die eugenische Theorie des Inzestverbots wurde durch die Genetik, durch historische<br />

Erwägungen <strong>und</strong> durch den Hinweis auf jene Inzestverbote zurückgewiesen,<br />

die keinen eugenischen Zweck erfüllen können, weil sie sowohl in genetischer<br />

Hinsicht nicht näher verwandte Personen in das Verbot einbezogen als auch<br />

biologisch enger verwandte Personen unberücksichtigt ließen, d.h. also auch engere<br />

Verwandte nicht vom erwünschten Sexualverkehr <strong>und</strong> der bevorzugten Gattenwahl<br />

unter Verwandten ausschlossen.<br />

Biologen, d.h. hier vor allem Genetiker, z.B. Ludwig <strong>und</strong> von Schelling, wiesen<br />

schon bald darauf hin, "daß die starke Belastung einzelner <strong>Inzucht</strong>populationen<br />

mit Defekten <strong>und</strong> Erbleiden keine <strong>Inzucht</strong>-, sondern eine Zufallswirkung darstellt."<br />

6 Diese Auffassung legten ältere Studien 7 über menschliche <strong>Inzucht</strong>kreise<br />

bereits nahe <strong>und</strong> fanden durch jüngere ihre Bestätigung. Als eine der wenigen<br />

Ausnahmen unter den soziologisch orientierten Anthropologen der ersten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts wies auch Malinowski darauf hin, „daß sich<br />

die Biologen darin einig sind, das inzestuöse Verbindungen keinen schädlichen<br />

Einfluß auf die Art ausüben.“ 8 Unter den Psychologen vertrat Wilhelm Reich die<br />

gleiche Postion: „Die Schädlichkeit der <strong>Inzucht</strong> ist nirgends nachgewiesen.“ 9<br />

Über die Verwandtenehen der Rehoboter Bastards, einer Bastardpopulation<br />

Südwestafrikas (heute in Namibia), die Eugen Fischer 1913 untersucht hatte,<br />

2 H.S.Maine, Dissertation on Early Law and Custom, London 1883, S.228<br />

3 L.H.Morgan, Ancient Society, London 1877, S.424<br />

4 L.T. Hobhouse, Morals in Volution, A Study in Comparative Ethics, London 1906<br />

5 Eugenische Gründe für die Einrichtung des Inzestverbots führten an: E.B.Taylor, Researches into the Early<br />

History of Mankind and the Development of Civilization, London 1865, J.Lubbock, The Origin of Civilization<br />

and the Primitive Condition of Man, London 1870, L.H.Morgan, Ancient Society, New York 1877, H.Spencer,<br />

The Principles of Sociology, II, London 1877, H.S.Maine, Dissertation on Early Law and Custom, London<br />

1883, L.T. Hobhouse, Morals in Volution, A Study in Comparative Ethics, London 1906. Unter den Vertretern<br />

der Social Anthropology <strong>und</strong> Cultural Anthropology vertreten diese Auffassung nur noch D.F.Aberle et al., The<br />

Incest Taboo and the Mating Pattern of Animals, in: American Anthropologist, 65, 1963 <strong>und</strong> M.Ember, On the<br />

Origin and Extension of the incest taboo, in: Behavior Science Research, Journal of Comparative Studies, 10,<br />

1975<br />

6 Ludwig/ von Schelling, Der <strong>Inzucht</strong>grad in endlichen panmiktischen Populationen, in: Biolog. Zentralblatt,<br />

67, 1948, S.272<br />

7 H.Polijn Buchner, Bijdrage betrekkelijk de voormalige bewoners van het eiland Schokland, Schat der<br />

gezondheid, 4, 1861; Voisin, Etude sur les mariages entre consanguins dans la commune de Batz, 1865;<br />

G.H.Darwin, Die Ehen zwischen Geschwisterkindern <strong>und</strong> ihre Folgen, Leipzig 1876<br />

8 B.Malinowski, Geschlecht <strong>und</strong> Verdrängung in primitiven Gesellschaften, Reinbek 1962, S.228<br />

9 W.Reich, Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, Frankfurt 1978. S.117

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