Vitus» auf CD mit ZKO Neues «Outfit» - Jecklin & Co. AG
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Im Foyer getroffen<br />
Iso Camartin:<br />
Wehrlos im <strong>CD</strong>-Laden<br />
Iso Camartin, Romanist, Philosoph, Essayist,<br />
Schriftsteller und vielseitig neugieriger<br />
Homme de lettre, erläutert seinen<br />
unwiderstehlichen Drang, sich in<br />
Buchhandlungen und <strong>CD</strong>-Geschäften<br />
<strong>auf</strong>zuhalten.<br />
Saisonklänge: Sie sind regelmässig in den<br />
<strong>Jecklin</strong>-Geschäften am Pfauen anzutreffen.<br />
Was treibt Sie dorthin?<br />
Iso Camartin: Die Neugier, das Bedürfnis,<br />
<strong>auf</strong> dem aktuellen Wissensstand zu<br />
sein, konkrete berufliche Fragen, etwa<br />
im Zusammenhang <strong>mit</strong> meinen Werkeinführungen<br />
im Opernhaus – es gibt<br />
tatsächlich viele Anlässe, regelmässig<br />
bei <strong>Jecklin</strong> Zürich vorbeizuschauen.<br />
Sind Sie ein stöbernder Kunde oder k<strong>auf</strong>en Sie<br />
gezielt ein?<br />
Camartin: Noten k<strong>auf</strong>e ich gezielt, bei<br />
Büchern beobachte ich, was neu <strong>auf</strong> den<br />
Markt kommt. Oft entdecke ich da in den<br />
Auslagen Bücher, <strong>auf</strong> die ich nicht einfach<br />
so von selber gestossen wäre. Besonders<br />
wenn es um thematische Sammlungen<br />
geht wie beispielsweise jetzt im<br />
Mozart-Jahr.<br />
28<br />
Wie schätzen Sie all die Mozart-Neuerscheinungen<br />
ein? Als Bereicherung oder eher als kommerzielle<br />
Überflutung?<br />
Camartin: Natürlich war nicht jede Publikation<br />
wirklich nötig, die sich dem allgemeinen<br />
Mozart-Jubel anschloss. Im<br />
Allgemeinen fand ich aber hochinteressant,<br />
was alles erschienen ist. Das Spektrum<br />
der Perspektiven ist ja sehr breit. Es<br />
schrieben Historiker, Musikwissenschafter,<br />
Schriftsteller, begeisterte Laien <strong>mit</strong><br />
manchmal unerwarteten Blickwinkeln …<br />
Haben Sie persönlich dabei noch neue Aspekte<br />
des Mozart-Bilds erkennen können?<br />
Camartin: In Einzelfällen durchaus.<br />
Beispielsweise über die historisch richtige<br />
Einschätzung der Bedeutung der Opera<br />
seria, über die ich im grossen Mozart-<br />
Handbuch einiges erfahren habe.<br />
Eine revolutionäre Studie wie einst Wolfgang<br />
Hildesheimers Biografie war aber nicht mehr<br />
dabei.<br />
Camartin: Es gibt keinen zweiten Fall<br />
einer Biografie, die so sehr einer Liebeserklärung<br />
durch einen so scharfsinnigen<br />
Autor gleicht wie Hildesheimers Mozart-<br />
Buch. Eine Studie, die ja nicht nur zur<br />
Klärung der Fragen, sondern gleichzeitig<br />
auch zur Verrätselung beitrug. Das ist<br />
das Grossartige daran.<br />
Und welches ist die spannendste der neuen<br />
Mozart-Publikationen?<br />
Camartin: Die war zweifellos die Taschenbuch-Ausgabe<br />
der Briefe. Jetzt sind<br />
all diese Dokumente zu einem vernünftigen<br />
Preis erhältlich, die Briefe der Familie<br />
Mozart selber, aber auch Dokumente<br />
aus dem ganzen Umkreis. Das lädt wirklich<br />
zum Stöbern und Nachdenken ein.<br />
Sie gehören also zu jenen Liebhabern, die Bücher<br />
noch im Laden und nicht im Internet suchen?<br />
Camartin: Ich kenne beides. Aber zweibis<br />
dreimal pro Woche bin ich tatsächlich<br />
in Buchhandlungen anzutreffen und<br />
komme dann oft nicht <strong>mit</strong> den Sachen<br />
heim, die ich eigentlich im Sinn hatte. Es<br />
gibt eben gewisse Bücher, zu denen man<br />
sich verführen lassen muss.<br />
Und wie ist es <strong>mit</strong> dem <strong>CD</strong>-Geschäft?<br />
Camartin: Da bin ich wehrlos. Das ist ein<br />
Bereich, in dem ich mich irrational und<br />
hemmungslos verhalte. Eigentlich bin<br />
ich ein einigermassen kontrollierter<br />
Mensch. Aber wenn es um die 10. Aufnahme<br />
von Mahlers Neunter geht, dann stürze<br />
ich mich dr<strong>auf</strong>. Manchmal bietet die<br />
dann nichts Neueres, als was ich zu Hause<br />
schon im <strong>CD</strong>-Gestell habe. Aber haben<br />
muss ich sie trotzdem.<br />
K<strong>auf</strong>en Sie gleich? Oder hören Sie rein und wählen<br />
dann aus?<br />
Camartin: Nein, ich k<strong>auf</strong>e sofort. Das<br />
sind ja Investitionen, die man verkraften<br />
kann, nicht vergleichbar <strong>mit</strong> jemandem,<br />
der etwa im Kunstbereich tätig ist und<br />
sich seine Akquisitionen gründlich überlegen<br />
muss.<br />
Und wor<strong>auf</strong> stürzen Sie sich am meisten?<br />
Camartin: Normalerweise gehe ich nicht<br />
interpreten-, sondern werkorientiert vor.<br />
Ich habe einen privaten Kanon von etwa<br />
150 Werken der Musikgeschichte, an denen<br />
ich möglichst nahe dran bleiben<br />
möchte. Das beginnt bei Monteverdi –<br />
oder sogar noch früher bei der Gregorianik<br />
– und geht bis zur jüngsten Gegenwart.<br />
Besonders faszinieren mich<br />
zyklische Projekte, wie sie beispielsweise<br />
Claudio Abbado in Berlin verwirklichte.<br />
Diese führen dazu, dass man das Kunstwerk<br />
nicht mehr isoliert, sondern in inhaltlichen<br />
und historischen Kontexten<br />
betrachtet.<br />
Das <strong>CD</strong>-Geschäft dient also der Allgemeinbildung<br />
…<br />
Camartin: Selbstverständlich. Früher<br />
galt ja bei den Katholiken die Beichte<br />
mindestens einmal monatlich als Pflicht<br />
für die Gewissensreinigung. Das ändert<br />
sich <strong>mit</strong> den Jahren, wenn man erwachsen<br />
wird. Heute habe ich eher das Gefühl,<br />
ich hätte meine Sorgfaltspflicht nicht<br />
wahrgenommen, wenn ich nicht einmal<br />
monatlich im Plattenladen vorbeigeschaut<br />
habe.<br />
Konsumieren Sie anders, wenn Sie Bücher und<br />
<strong>CD</strong>s nicht nur zum privaten Vergnügen, sondern<br />
aus beruf lichen Gründen k<strong>auf</strong>en?<br />
Camartin: Das lässt sich kaum trennen.<br />
Aber ich habe festgestellt, dass die Musik<br />
für mich in den letzten Jahren zusehends<br />
wichtiger geworden ist. Zwar spielt sie in<br />
meinen Essays seit bald zwanzig Jahren<br />
eine Rolle. Doch ein kontinuierliches<br />
Thema, ähnlich wie es die Literatur für<br />
mich schon immer war, ist sie erst seit<br />
kurzem geworden. Sie gehört zu den Dingen,<br />
die mich gegenwärtig am meisten<br />
faszinieren und mich am neugierigsten<br />
stimmen.<br />
Das hat wohl auch <strong>mit</strong> den Werkeinführungen<br />
bei der Opernwerkstatt zu tun?<br />
Camartin: Gewiss. Was mich dort aber<br />
fast noch mehr packt, ist der Kontakt <strong>mit</strong><br />
den ausübenden Musikern. Musizierende<br />
zeigen eine besondere Konzentration <strong>auf</strong><br />
ihre ganz eigene Haupttätigkeit, <strong>auf</strong> ihr<br />
Instrument, ihre Stimme. Bei aller Fahrigkeit,<br />
die den Menschen sonst eigen<br />
ist, wirken sie <strong>auf</strong> eine gute Art und Weise<br />
gefesselt. Sie sind gezwungen, bei jedem<br />
Angebot zu entscheiden: Brauche<br />
ich es wirklich, oder gehe ich nicht besser<br />
üben? Dadurch reduziert sich die Beliebigkeit,<br />
das fasziniert mich als Existenzform.<br />
Wer die richtige Ausdrucksart<br />
für seine Kunst sucht, kann ja ohnehin<br />
nicht sitzen bleiben und seinen Job beamtenhaft<br />
ausüben. Da wird Energie spürbar.<br />
Wer beispielsweise <strong>mit</strong> Opernsängern<br />
zu tun hat, kann diese Intensität<br />
<strong>mit</strong>erleben, das Palpitierende eines<br />
Künstlerlebens. Das hat etwas Ansteckendes<br />
und macht das Leben reich.<br />
Interview: Michael Eidenbenz<br />
Mozart, Wolfgang Hildesheimer, insel<br />
taschenbuch, Fr. 18.50, Best-Nr. 49<br />
Mozart, Briefe und Aufzeichnungen,<br />
Gesamtausgabe, Band I, 9 Bücher,<br />
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