Christoph Schneider - Stadtmission Kiel
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Amt für Wohnen u. Grundsicherung <strong>Kiel</strong>, 01.12.2011<br />
Wohnungs- und Unterkunftssicherung App. 36 60<br />
55.2. cs Fax 74 36 60<br />
1. 10 Jahre Tagestreff und Kontaktladen<br />
Sehr geehrter Herr Probst Sunderdieck,<br />
sehr geehrter Probst Riecken,<br />
sehr geehrter Herr Nernheim,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
Zunächst einmal vielen Dank für die Einladung zu diesem Jubiläum.<br />
Die Anfrage an mich lautete in etwa: Kannst du etwas dazu sagen, welche Bedeutung der<br />
Tagestreff und Kontaktladen – prägnanter und kürzer: der TaKo – und das Manna für die<br />
Wohnungslosenhilfe aus städtischer Sicht haben? Das will ich gerne tun!<br />
Ich erinnere mich noch sehr genau, als der Kollege Lutz Richter und ich etwa Mitte der<br />
neunziger Jahre im Zusammenhang mit der Neuordnung der Wohnungslosenhilfe während<br />
der Wohnungsnot und bereits damals klammer Haushaltslage darum gerungen haben, die<br />
Tageswohnung – damals noch in der Hamburger Chaussee – wieder auf ihre ursprüngliche<br />
Aufgabe zu reduzieren: nämlich Treffpunkt/Anlaufstelle zu sein für ehemalige Wohnungslose.<br />
Wir wollten diesen Ansatz zur Reintegration erhalten und natürlich Steuergelder zielgerichtet<br />
eingesetzt wissen.<br />
Um mit Monopoly zu sprechen:<br />
„Auf ihrem neuen Weg in die bürgerliche Normalität gehen Sie über die Tageswohnung,<br />
ziehen nicht 4.000 DM ein, dafür aber einen Kaffee mit ein paar Kollegen und<br />
gute Ratschläge für den neuen Start.“<br />
Was haben wir dafür gekämpft, die Tageswohnung als Treffpunkt ehemals Wohnungsloser<br />
zu erhalten. Die Realität war eine völlig andere: Wohnungen gab es fast überhaupt nicht, die<br />
Unterkünfte der Wohnungslosenhilfe waren überfüllt, Hotels und Pensionen verdienten gut<br />
an dieser Notlage und dennoch machten viele der Betroffenen Platte und brauchten dringend<br />
einen Ort, wo sie sich tagsüber aufhalten, aufwärmen, duschen und waschen und sich austauschen<br />
konnten. Aus der Übergangseinrichtung mit Nachsorgecharakter wurde eine Wärmestube<br />
mit Angeboten zur Akutversorgung, um den Tag auf der Straße bestehen zu können.<br />
Über die weitere Entwicklung des Tagestreff wurde bereits berichtet. Bei dem Umzug 2001 in<br />
die Schaßstraße hatte ich große Bedenken: meiner Meinung nach zu weit vom Bodelschwingh-Haus,<br />
zu weit vom Bahnhof und der Innenstadt entfernt. Ich war mir relativ sicher,<br />
dass der neue Standort zu einem Einbruch in der immer erfolgreicheren Arbeit führen würde.<br />
Denn mittlerweile war ich vom steuersparenden Saulus zum Paulus bekehrt, der von der<br />
wichtigen Aufgabe und Bindegliedfunktion dieser Arbeit überzeugt war.<br />
Und so fiel es mir auch nicht schwer, 2001 fünf entscheidende Sätze zu formulieren, um die<br />
wir anlässlich der Einweihung am neuen Ort gebeten worden waren. Sie lauteten:<br />
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1) Der Kontaktladen ist ein wichtiges und unverzichtbares Bindeglied<br />
zwischen der aufsuchenden Straßensozialarbeit und den unterschiedlichen<br />
Hilfesystemen wie z.B. der Wohnungslosen-, Sucht-, Gesundheits- oder<br />
Sozialhilfe.<br />
2) Er bietet den Betroffenen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob sie über<br />
das bewusst niedrigschwellige Angebot Kontakt zu den „offiziellen“<br />
Hilfesystemen mit ihren für viele Menschen häufig komplizierten und verwirrenden<br />
Anforderungen aufnehmen oder sich „nur“ einen Rat holen.<br />
3) Die Sicherheit, dabei trotz der oft schwierigen individuellen Problematik als<br />
Mensch akzeptiert und geachtet zu werden, ist ein unverzichtbarer<br />
Bestandteil der Menschenwürde und des von der Stadt initiierten<br />
Arbeitsauftrages.<br />
4) Das Angebot des Kontaktladens ist deswegen ein unverzichtbares Angebot<br />
für einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Armut, Krankheit oder<br />
Isolation.<br />
5) Die Innenstadtnähe und das Essensangebot erleichtern zusätzlich den<br />
wichtigen ersten Schritt der Kontaktaufnahme zu diesem Hilfeangebot aber<br />
auch zur Kontaktaufnahme zu Menschen in ähnlichen Lebenssituationen.<br />
Diese fünf Sätze gelten für mich heute unverändert und stellen gerade auch aus städtischer<br />
Sicht, die wesentlichen Essentials dieses Angebots dar. Man könnte sie auch „eindampfen“<br />
auf die Schlagwörter:<br />
Schutzraum und Grundversorgung<br />
Hilfeangebote ohne Voraussetzungen<br />
Begegnung und Unterstützung<br />
Akzeptanz und Respekt<br />
Lebensperspektiven.<br />
Seit nunmehr 10 Jahren werden diese Ziele erfolgreich umgesetzt. Zusammen mit den<br />
Angeboten von Hempels – den anderen Zutaten des Sandwiches, wie die damalige<br />
Geschäftsführerin der <strong>Stadtmission</strong>, Frau Jänicke, die Lage des Tako in der damaligen<br />
Hausaufteilung bildhaft verglich – kommt es zu zahlreichen positiven Synergieeffekten, die<br />
sich gegenseitig verstärken. Diese Arbeit ist derart erfolgreich, dass die 650 m Luftlinie zum<br />
Bahnhof oder bis zur Holstenstraße keinerlei Hindernis für die sogenannten Randgruppen<br />
darstellen - es gibt sie nicht mehr, die ungeliebten Innenstadtszenen, weder in der<br />
Holstenstraße noch am Hauptbahnhof. Offensichtlich ist kein Weg zu weit, wenn es einen<br />
Ort gibt, wo sich Menschen willkommen und respektiert fühlen.<br />
Die Bildung eines „Kartells gegen die Armut“, wie es die damalige Sozialdezernentin der<br />
Stadt, Frau Bommelmann, zur Einweihung nannte, war erfolgreich. Hier in diesem Haus<br />
können und werden die Weichen gestellt, um neue, wenn auch manchmal nur zaghafte<br />
neue, Wege für das eigene Leben auszuprobieren und einzuschlagen.<br />
Dafür ist die Landeshauptstadt Allen dankbar, die sich dieser oft belastenden Aufgabe<br />
stellen – und das hier ist keine Phrase!<br />
Wenn auch die ehemalige Zielgruppe der Wohnungslosen mittlerweile den kleineren Anteil<br />
an den Besucherinnen und Besuchern ausmacht, so verbindet doch die meisten von ihnen<br />
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die Einsamkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und damit Perspektivlosigkeit. Da wird es relativ<br />
unerheblich, ob ich noch, nicht mehr oder schon wieder eine Wohnung habe. Wichtiger ist,<br />
dass hier meine Würde als Mensch anerkannt und mein So-Sein akzeptiert wird.<br />
Diese Arbeit ist heute wichtiger als je zuvor:<br />
Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen denen, die ein eigenes Einkommen haben<br />
und denen, die „nur“ Transferleistungen haben, wird immer größer.<br />
Und wenn es wahr wird, was man munkelt, dann tut sich im nächsten Jahr eine neue Schere<br />
auf, nämlich die zwischen denen, denen man eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zutraut und<br />
denen, die amtlich chancenlos bleiben.<br />
Und da wundert sich die Gesellschaft und Politik, dass es immer mehr Straßenszenen gibt,<br />
mit Menschen, denen nichts anderes mehr einfällt und übrig bleibt, als den Tag biertrinkend<br />
auf der Straße zu verbringen. „Wenn ich schon keine Chance mehr bekomme, Teil der<br />
Arbeitswelt, Teilnehmer am gesellschaftlichen Leben zu sein, dann will ich mich<br />
zumindest dort aufhalten, wo das gesellschaftliche Leben sich abspielt.“, oder wie es<br />
das Sophienhofmanagement vor Jahren formulierte: „Dort sein, wo was los ist“. Mit Sicherheit<br />
war allerdings die Zielgruppe des TaKo damit nicht gemeint.<br />
Und es gibt neue Wohnungslose, häufig sind sie zusätzlich auch noch obdachlos. Die EU<br />
wächst und mit ihr die Freizügigkeit. Die gibt es sogar als amtliche Bescheinigung: die sogenannte<br />
„EU-Freizügigkeitsbescheinigung“. Als EU-Bürger kann ich mich in allen EU-Staaten<br />
frei bewegen, kann überall arbeiten, mein Glück machen – nur wenn ich dabei kein Glück<br />
habe, um mich selbst versorgen zu können, hört diese vermeintliche Freizügigkeit schlagartig<br />
auf. Denn daran haben die EU-Architekten offensichtlich nicht gedacht, dass die Grenz-<br />
und vermeintliche Wohlstandsöffnung unter Umständen auch eine Freizügigkeit an Hilfe und<br />
Unterstützung erforderlich macht, damit die Armutsflüchtlinge aus den neuen EU-Staaten<br />
nicht zu den Pariern der „alten“ EU-Länder werden.<br />
Und so klopfen sie an und kommen immer zahlreicher in das Tako, um alles zu nehmen, was<br />
es dort an kostenlosen Angeboten gibt.<br />
Und wieder öffnet sich eine weitere Schere, nämlich die, zwischen den sogenannten privilegierten<br />
EU-Bürgern, die Anspruch auf finanzielle Hilfen haben und denen EU-Bürgern, die<br />
sich lediglich freizügig hier aufhalten dürfen. Es grenzt an Zynismus, dass es an dieser<br />
Stelle, an diesem Ort, dem TaKo, zu einem Konkurrenzkampf der Armen und Ausgegrenzten<br />
kommt. Es ist nur zu hoffen, dass damit nicht ungewollt neuer Fremdenhass geschürt wird.<br />
Erfolgreiche Unternehmer sind in allen EU-Staaten gerne gesehen, aber nicht die erfolglosen<br />
Armen.<br />
Und nach meiner persönlichen Einschätzung wird es auch nicht mehr lange dauern, dass<br />
sich noch eine weitere Schere aufmachen wird, nämlich die Schere zwischen denen die –<br />
noch – eine Wohnung haben, und denen, die keine mehr haben und die vermutlich auch für<br />
geraume Zeit keine neue finden werden. Denn dafür, dass uns eine neue Wohnungsnot<br />
bevorsteht – zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen - gibt es leider erste untrügliche<br />
Anzeichen.<br />
Und damit wären wir dann wieder am Anfang der Geschichte des TaKo und müssen allesamt<br />
aufpassen, dass es nicht wieder zu einer überwiegenden Wärmestube für die wird, die<br />
gezwungen sind „Platte zu machen“. Wir werden Sorge dafür tragen müssen, dass das TaKo<br />
weiterhin Clearingstelle bleibt, in der armen Menschen mit Respekt begegnet wird und in der<br />
Perspektiven für ein besseres, zumindest aber ein menschenwürdiges Leben aufgezeigt<br />
werden.<br />
Deswegen wird ein solches Angebot für mich immer unverzichtbarer Bestandteil bleiben für<br />
ein Hilfesystem der Menschlichkeit.<br />
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Die Frage lautete: Welche Bedeutung hat diese Einrichtung für die Wohnungslosenhilfe. Ich<br />
habe gerade versucht, sie zu beantworten. Wenn man das eben Gesagte zu einer Kurzformel<br />
komprimieren müsste, würde ich sagen:<br />
Das TaKo ist unverzichtbares Bindeglied zwischen den Betroffenen und dem Hilfesystem!<br />
Immer.